Niemand ist bei den Kühen - Malaika Plueckthun - E-Book

Niemand ist bei den Kühen E-Book

Malaika Plueckthun

4,8

Beschreibung

"Manchmal kann es etwas dauern, bis sich zwei Seelen wiederfinden. Aber wenn sie es schaffen, verharrt die Zeit einen Moment, hält inne und lächelt." Unsagbare Freude trifft Melancholie. Kurze Geschichten, aus dem Leben gegriffen, wandeln sich in das, was vielleicht ist oder einmal war ...

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Seitenzahl: 60

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Für alle, die gegangen sind. Irgendwann sehen wir uns wieder...

Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder lebenden

Menschen,

sowie Geschehnissen sind rein zufälliger Natur.

Inhaltsverzeichnis

Die Zeit des Moments

Für R.

Das Käuzchen

Tabletten

Der Panzer

Fliegen

Mit dir bis ans Ende der Welt

Niemand ist bei den Kühen

Die kleine Weide

Aster

Die Zeit des Moments

Ihm gefiel ihre freche Art, ihr schillerndes Wesen.

Sie hatten sich geliebt. Erst im Wasser und schließlich am Ufer direkt neben dem Schilf unter den im Wind rauschenden Erlen. Ungeachtet der Mücken, die erbarmungslos über sie beide herfielen und zustachen. Der ganze Spätsommer duftete nach ihrem blumigen langen Haar, nach Lakritze und nach Algenwasser auf salziger Haut. Wenn die kurzen Momente zu zweit da waren, war er wie losgelöst. Wie in einer Art Wunderland. Wie Alice im Wunderland. Unabhängig von der Zeit. Einzig nur im Raum. Im Raum mit ihr. Ein Kribbeln durchflutete seine Magengegend. Kleine Schmetterlinge begannen zu schlüpfen. Lange hatte er dieses Gefühl nicht mehr gespürt.

Die Frau vor ihm hatte die gleiche Silhouette wie sie. Das Haar lang und kräftig. Er zitterte innerlich, blieb jedoch äußerlich ganz ruhig und besonnen. Dreh dich um, bitte. Dreh dich um. Seine Gedanken konzentrierten sich einzig auf diesen einfachen Wunsch. Ihr Lachen glitt in sein Herz und schüttelte ihn. Sie war es, sie musste es sein. Doch ohne sich umzudrehen, stieg sie in ein Auto, das er erst jetzt wahrnahm und fuhr davon.

Sein Herz zerriss. Er rang nach Luft. Es gibt immer eine zweite Chance, sagt sein Freund Bjoern. Sollte er sie gerade verpasst haben, sie einfach verschenkt haben? Noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, packte ihn eine Hand an der Schulter. Seine Frau war aus dem Geschäft zurück. Sie plapperte auf ihn ein, ohne das er etwas davon zur Kenntnis nahm. Erst als sie sich beschwerte, »Du hörst mir ja gar nicht zu«, tauchte er aus seinen Gedanken auf und kam wieder im Hier und Jetzt zum Stehen.

Die langhaarige Frau fuhr mit dem Auto davon. Sie hatte ein seltsames Gefühl. Irgendetwas war geschehen. Sie spürte eine Veränderung. Ein Vibrieren tief in sich. Es erinnerte sie an den Sommer. Den Sommer vor knapp 21 Jahren. Sie war nicht jung gewesen, aber auch nicht alt. Und es war der beste Sommer ihres Lebens gewesen. Ein Sommer, den sie nie vergessen würde.

Sie war damals irgendwie über ihn gestolpert. Genau genommen war er in ihr Leben gestolpert und dann war alles ganz ohne Worte gewesen. Sie waren zusammen, die Zeit stand still, es zählte nur der Moment.

Warme hitzige Tage hatten sie gemeinsam verbracht. Mal abends im letzten Sonnenschein, mal morgens, während der Tau auf den Wiesen lag. Es fühlte sich irgendwie richtig an, auch wenn Außenstehende es vielleicht für falsch betrachtet hätten. Für sie beide war es gut. Einfach gut. Ohne Kommentar. Aber das Ganze war lange her. Vergangenheit.

Sie hatte nun ihr eigenes Leben. Ihre eigene Familie, die aus zwei Katzen bestand. Für eine echte Familie hatte es nie gereicht.

Vielleicht hätte es mit ihm eine werden können. Doch es war anders gekommen. Vielleicht war es gut so. Vielleicht auch nicht. Sie dachte darüber nach, ob er noch in seinem alten Haus wohnen würde. Vielleicht sollte sie ihn einfach mal besuchen. Auch auf die Gefahr hin, wie früher, von seiner Frau verbal angegriffen zu werden. Lange nach ihrem wunderbaren Sommer hatte seine spätere Frau ihn sich, im grauen Nebelwetter eines Spätherbstes geangelt. Wie ein unmündiges Kind hatte sie ihn an ihre Leine gelegt, nahm ihm all seine Freiheiten und ließ ihn beim kleinsten Aufbegehren seinerseits zappeln, wie einen Fisch am Haken.

Sie war schon damals scheinheilig, später schlichtweg bösartig und missgünstig gewesen. Hatte ihn emotional entmündigt und ihn in ihr Spinnennetz getrieben, das sie gegen alle seine Freunde bewachte.

Die von ihr erzwungene Ehe, hatte ihr übriges getan.

Aber all das war lange her. Man könnte es einfach versuchen. Es gibt nichts zu verlieren, dachte sie und begab sich auf einen neuen, dennoch alten Pfad in ihrem Leben.

Er erwachte mitten in der Nacht. Die Uhr zeigte 2:34. Er horchte ins stille Zimmer hinein. Seine Frau hatte schon vor Jahren auf getrennte Schlafzimmer bestanden. Die Hochzeitstorte war kaum aufgegessen gewesen, da hatte sie ein eigenes Bett durchgesetzt und ihn verbannt. Nun lag er alleine wach in seinem Zimmer und starrte zum Fenster. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Wie wäre alles gekommen, wenn er sich anders entschieden hätte? Damals, vor 21 Jahren.

Die Digitalanzeige ihres Autos sprang auf 2:34 Uhr um, als sie in sicherer Entfernung vor seinem Haus anhielt. Sie beobachtete es. Versuchte auszumachen, ob er wirklich noch hier wohnte. Sie hatte nicht mehr abwarten können und war die ganze Nacht gefahren, um nun hier zu sein. Sie sog die Luft ein, als sich im oberen Stockwerk eine Gardine bewegte.

Er war ans Fenster gegangen, um einen Blick auf die Straße zu werfen. Ungewöhnlich, dort in einiger Entfernung stand ein Auto mit fremdem Kennzeichen. Etwas unglücklich geparkt, direkt an der Bundesstraße. Und fast schien es so, als würde dort am Steuer jemand sitzen. Er war wie paralysiert. Konnte den Blick nicht abwenden und versuchte immer wieder, den Fahrer des Wagens besser auszumachen. Sein Herz begann zu pochen. Ihm wurde eiskalt, ohne dass er Angst verspürte. Vielmehr war es ein seltsames Stechen und Ziehen im Unterleib, wie bei einer Achterbahnfahrt. Es war sonderbar. Er beschloss, nach unten zu gehen und nachzuschauen, wer dort unweit seines Hauses an so einsamer ungewöhnlicher Stelle parkte. Vielleicht war es eine Panne, Vielleicht konnte er helfen.

Als die Haustür geöffnet wurde, riss sie erschrocken die Augen auf. Panisch drehte sie den Schlüssel. Der Motor heulte auf. Eine Gestalt kam auf sie zu. „Zu früh, es ist noch zu früh.“ Sie trat das Gaspedal. Das Auto machte einen Satz und schoss davon.

Es kam in der Nacht zu Freitag zu einem tragischen Verkehrsunfall an der B209, bei dem zwei Menschen starben. Aus noch ungeklärter Ursache kam ein Pkw von der Straße ab und kollidierte mit einem Baum. Die Fahrerin verstarb sofort am Unfallort. Ein zu Hilfe eilender Anwohner wurde kurz darauf von einem nachfolgenden Lkw erfasst und erlag seinen tödlichen Verletzungen nur Stunden später im Krankenhaus. Für sachdienliche Hinweise melden Sie sich bitte bei der zuständigen Polizeidirektion.

So hatte es also geendet. Irgendwie spektakulär unspektakulär. Sie war nun tot. Seit ein paar Tagen schon. Die Nachricht über das ganze Geschehen hatte sie in der Zeitung mitgelesen, die jemand aufgeschlagen liegen gelassen hatte.

Sie fühlte sich leicht. Federleicht. Konnte sich bewegen, wohin sie wollte, nur konnte niemand sie wahrnehmen.

Es war irgendwie rührend gewesen, seine eigene Beerdigung zu erleben. Alle nochmal zu sehen und allen „ade“ zu sagen, auch wenn sie es nicht hören konnten. Die echten und die falschen Tränen zu sehen und sich die alberne Grabrede anzuhören. Die viel zu getragen war für ihren Geschmack.

Aber nun wurde es langsam langweilig. Und furchtbar einsam. Die Leute wandten sich wieder ihrem Alltag zu. Anfangs war es interessant gewesen, sie zu beobachten, aber da sie weder Kontakt aufnehmen, noch Zeichen geben konnte, war es sehr einseitig. Sie vermisste jemanden,