Nietzsche für Manager - Andreas Drosdek - E-Book

Nietzsche für Manager E-Book

Andreas Drosdek

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Beschreibung

Mut ist eine der wichtigsten Kernkompetenzen von Führungskräften, besonders in Zeiten sich verändernder Märkte und neuer globaler Herausforderungen. Doch gerade diese Eigenschaft fehlt vielen Managern von heute. Dieses Buch macht ihnen Mut!

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www.campus.de

Drosdek, Andreas

Nietzsche für Manager

Mit Mut zum Erfolg

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2008. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40458-5

|7|Vorbemerkung: Wer ist ein Manager?

»Nietzsche für Manager«: Wer ein Buch so nennt, wendet sich an eine bestimmte Zielgruppe. Als Leser fragen Sie sich vielleicht: Bin damit auch ich gemeint? Wer ist eigentlich ein Manager? (Im Buch sind selbstverständlich immer beide Geschlechter angesprochen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird aber nur eine Form verwendet.)

Friedrich Nietzsche war immer für Überraschungen gut, und wer seine Werke sorgfältig liest, wird darin für den Leser vielleicht eine überraschende, aber für Nietzsche typische Antwort auf diese Frage finden – eine Antwort, die im Trend des 21. Jahrhunderts liegt und Nietzsche zum zeitgemäßen Ratgeber für Manager macht.

Nietzsche war kein Freund der leisen Töne. Er hat sich nicht gescheut, auch die großen Fragen anzugehen. Viele seiner Erkenntnisse können Topmanagern dabei helfen , ihre Arbeit noch besser zu machen und sich stetig weiterzuentwickeln.

Der Begriff »Manager« bezog sich im deutschsprachigen Raum früher exklusiv auf die Leitung von Unternehmen und anderen Organisationen. Mittlerweile erfährt er aber auch hierzulande eine Ausweitung. So hat sich beispielsweise der Begriff des »Mittelmanagements« eingebürgert. Gemeint ist damit die Ebene, die zunehmend zum Rückgrat der alltäglichen Managementarbeit in vielen Unternehmen wird.

Mit wachsender Komplexität der Aufgaben gibt es immer mehr Menschen, die im wörtlichen Sinne etwas verantwortlich |8|»managen«. Dazu zählen auch der Filialleiter der Bank oder der Filialleiter einer Einzelhandelskette. In den Unternehmen kann sich schon die Leitung überschaubarer Teams als echte Managementherausforderung erweisen. Komplexes Projektmanagement wird häufig auch Mitarbeitern anvertraut, die offiziell keine Führungsposition innehaben.

Darüber hinaus wird von vielen Mitarbeitern erwartet, dass sie für die eigene Karriere und ihren unmittelbaren Arbeitsbereich Managementverantwortung tragen. Das ist ein fester Bestandteil des modernen Personalmanagements. Im Bereich des Wissensmanagements gibt es die Vorstellung, dass jeder Bürger und jeder Unternehmensmitarbeiter zum »Wissensunternehmer« in eigener Sache werden muss, wenn er in Zukunft seine beruflichen Chancen wahren will.

Immer mehr gesellschaftliche Aufgaben mutieren zu echten Managementherausforderungen. In der Politik gilt das zum Beispiel nicht nur auf Bundesebene, sondern betrifft zunehmend die Kommunalpolitik. Auch Beamte oder Kulturverantwortliche sehen sich mit komplexeren Herausforderungen konfrontiert, wenn sie einen wirklich produktiven Beitrag leisten wollen.

Diese Entwicklungen betonen nur die Bedeutung von Nietzsche für moderne Managementaufgaben. Als überzeugter Individualist hat er die entscheidende Herausforderung auf dem Weg zu persönlicher Größe konsequent auf die individuelle Ebene heruntergebrochen. Das bedeutet: Jeder ist im Grunde für seine eigene Entwicklung verantwortlich. Jeder muss sein eigenes Leben managen. Diese Leitgedanken fußen bei Nietzsche auf zwei Überlegungen. Zum einen kann nur derjenige, der erfolgreiches Selbstmanagement betreibt, sich zu wahrer Größe entwickeln, weil Talente allein nicht ausreichen. Sie müssen auch gezielt entwickelt werden. Zum anderen wird derjenige, der sich mit Mut und Einsatz persönlich weiterentwickelt, automatisch mehr berufliche Herausforderungen erleben. Nietzsche war davon überzeugt, |9|dass echte Größe sich nicht verstecken lässt, sie wird zwangsläufig irgendwann anerkannt werden. Auf unsere Zeit übertragen bedeutet das: Angesichts globaler Herausforderungen können es sich Unternehmen kaum noch leisten, echte Managementtalente und -leistungen langfristig zu ignorieren.

In der humanistischen Psychologie ging es um die Frage »Haben oder Sein?«. Der Psychologe Erich Fromm betonte schon damals, dass es wichtiger ist, was wir als Menschen sind, als was wir als Menschen besitzen. Abraham Maslow verwies darauf, dass die Selbstverwirklichung zu den höchsten menschlichen Zielen zählt. Viele ihrer Prinzipien haben sich mittlerweile auch im Management durchgesetzt. In einer von Wissen und Kreativität angetriebenen Ökonomie musste das menschliche Potenzial ernst genommen werden. Nietzsche geht noch weiter, für ihn geht es um das »Werden«.

Wer also bereits offiziell »Manager« ist, egal auf welcher Führungsebene, der sollte sich nicht nur fragen, wie er sich bei seiner Aufgabe bewähren kann. Er wird außerdem danach streben, sich durch entsprechendes persönliches Wachstum für noch höhere Verantwortungen zu empfehlen. Selbst Topmanager werden noch viel Entwicklungspotenzial erkennen, wenn sie sich selbst ehrlich unter die Lupe nehmen.

Wer bisher noch keine offiziellen Managementaufgaben erfüllt, sollte sein Augenmerk darauf richten, wie er sich durch persönliches Selbstmanagement so weiterentwickeln kann, dass er dieses berufliche Ziel erreicht. Natürlich strebt nicht jeder nach Führungsverantwortung. Es gibt auch die Möglichkeit, komplexere Aufgaben und Projekte zu managen. Das wird jeden angehenden Manager interessieren, der sich ein abwechslungsreiches Berufsleben mit Anerkennung und Erfolg wünscht.

Nietzsche hat auf allen Ebenen etwas beizutragen. In diesem Sinne ist ein »Nietzsche für Manager« in wesentlichen Aspekten auch ein »Nietzsche für uns alle«.

|10|Zu diesem Buch

Als vielbeschäftigter Manager fragen Sie sich wahrscheinlich, was Nietzsches Überlegungen wirklich für Ihren Managementalltag bewirken können. Falls Sie sich auf das Abenteuer einlassen, diesem Thema etwas von Ihrer Zeit einzuräumen, kann ich Ihnen eines versprechen: Sie werden zu neuen Erkenntnissen gelangen, die Ihre Arbeit als Manager an wichtiger Stelle entscheidend positiv beeinflussen können.

Ganz gleich, ob Sie erst am Anfang Ihrer Karriere stehen oder schon lange Jahre erfolgreich im Management tätig waren, ist eines sehr wahrscheinlich: Sie hatten nie die Gelegenheit, Ihre Überzeugungen, die Sie tagtäglich bei Ihren Entscheidungen und Aktionen leiten, wirklich kritisch zu überprüfen.

Am Beginn der Managerausbildung steht natürlich die Frage, was Management eigentlich ist. Planen, Kontrollieren, Motivieren – so oder ähnlich lauten die üblichen Antworten. Was dabei ungeklärt bleibt, ist die Frage, auf welcher Weltanschauung die moderne Managementlehre eigentlich beruht und ob diese Grundlage ausreicht, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu meistern.

Alles, was Sie im Studium oder direkt im Unternehmen als Wissenschaft gelernt und praktisch erfahren haben, fußt letzten Endes auf einer bestimmten Philosophie. Die Wissenschaft selbst ist das Produkt von Philosophie. Es waren vor allem die strikten Regeln der wissenschaftlichen Methoden, welche die großen wissenschaftlichen Fortschritte des letzten Jahrhunderts überhaupt |11|erst möglich gemacht haben. Diese Methoden wurden nach eingehender philosophischer Diskussion aufgestellt.

Ähnliches gilt auch für unsere Zukunft. Wir werden neue Herausforderungen nur dann zielsicher meistern können, wenn wir klare, effektive Prinzipien für unser Handeln haben. Unter veränderten Umständen können aber selbst diese Prinzipien wiederum überholt sein. Eine zunehmend globalisierte Welt erfordert neue Handlungsstrategien, die ihrerseits auf neuen Regeln und Prinzipien gegründet sind.

Kurz vor seinem Tod hat der Managementpionier Peter F. Drucker seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass uns soziologisch, politisch und wirtschaftlich die größten Veränderungen der Menschheitsgeschichte bevorstehen. Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Weltnachrichten bestätigt diese These. Die globalen Gleichgewichte zwischen den Kontinenten, Nationen und Unternehmen scheinen sich in ständigem Fluss zu befinden. Innerhalb unserer Nationen wird das, was gestern noch als undenkbar galt, plötzlich Wirklichkeit. Und alles läuft darauf hinaus, dass die besten Strategien der Zukunft heute noch nicht bekannt sind. Ihre Qualität wird von der Qualität der Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft abhängen, die dazu aufgerufen sind, sie zu formulieren.

Peter F. Drucker gilt vielen als einflussreichster Vertreter der Managementlehre des letzten Jahrhunderts. Als er seine ersten Managementtheorien entwickelte, war er als Professor für Philosophie und Politik in den USA tätig. Er hat unter anderem das berühmte Konzept »Management by Objectives« (Führen durch Zielvereinbarung) entwickelt, das aus den Philosophien von Hegel und Nietzsche erwachsen sein soll. Drucker war ein philosophisch hochgebildeter Mensch mit großem intellektuellem Engagement. So lernte er beispielsweise Spanisch, nur um eine einzelne Abhandlung des Spaniers Balthasar Gracian besser verstehen zu können (wie zuvor auch der Philosoph Arthur Schopenhauer|12|, der ebenfalls von Gracian fasziniert war). Druckers einflussreiche Managementthesen basierten zu einem wesentlichen Teil auf seinen umfassenden und teilweise auch sehr detaillierten Philosophiekenntnissen.

Managementmoden gibt es viele, und auch die Zahl der Managementgurus ist unverändert hoch. Beide bezirzen eine Zeit lang ihr Publikum, bevor das Kartenhaus häufig irgendwann zusammenbricht und es sich in der Managementpraxis erweist, dass die neuesten Ideen wieder einmal ins Leere laufen. Die Männer und Frauen jedoch, die einen nachhaltigen, langfristig positiven Einfluss auf das Managementdenken hatten, gründeten ihre Einsichten fast ausschließlich auf tiefere Erkenntnisse. Sie waren in der westlichen Geistesgeschichte verwurzelt, kannten die Lehren der wichtigsten Philosophen und entwickelten im ersten Schritt philosophische Werturteile, bevor sie ihre Managementtheorien entwarfen.

Es gibt zwei Gründe, warum diese Arbeitsteilung – die einen denken, die anderen lenken – heute so nicht mehr funktionieren kann. Zum einen werden die Erkenntnisse der besten Managementdenker schneller als jemals zuvor zum globalen Allgemeingut. Egal wo ein einflussreicher Managementdenker mit einer wichtigen neuen Methode aufwartet, steht diese innerhalb kürzester Zeit deutschen, amerikanischen, chinesischen oder russischen Managern zur Verfügung. Zum anderen führt die zunehmende Beschleunigung der Wirtschaftsprozesse dazu, dass Sie als Manager gar nicht mehr den Luxus genießen, auf solche Ideen warten zu können. Sie sind praktisch täglich aufgefordert, selbst mit progressiven Strategien neue Herausforderungen anzugehen. Sie sind also – zeitlich bedingt – oft auf sich selbst angewiesen. Deshalb kann es für Sie nur von Nutzen sein, sich mit eben jenen Denkwerkzeugen zu rüsten, die Ihnen einen kontinuierlichen Wettbewerbsvorteil versprechen.

Zusätzlich kommt für Sie als Manager auch noch ein sehr persönlicher |13|Aspekt hinzu. Unternehmen bleibt im globalen Wettbewerb oft gar keine andere Wahl, als die Mitarbeiter und Manager als eine Ressource unter vielen einzustufen. Es liegt an Ihnen, sich als echter Leistungsträger für Ihr Unternehmen zu profilieren und gleichzeitig Ihre Attraktivität für potenzielle globale Arbeitgeber aufrechtzuerhalten. Auf die Personalabteilung Ihres Unternehmens können Sie sich nicht mehr verlassen. Sie wird gerne bereit sein, partnerschaftlich mit Ihnen zu kooperieren. Die Initiative für Ihre eigene Zukunftssicherung muss aber auf jeden Fall von Ihnen selbst ausgehen.

Wir wollen in diesem Buch gemeinsam untersuchen, wie die Philosophie Ihnen in diesem Sinne bei Ihren Managementaufgaben und Ihrer persönlichen Karriereplanung zum Erfolg verhelfen kann. Da Ihre zeitlichen Ressourcen begrenzt sind, ist es ratsam, sich an den für Ihre Ziele wichtigen Philosophien zu orientieren.

Friedrich Nietzsche wurde zu Lebzeiten kaum anerkannt, er wurde später auf fatale Weise verkannt und für Ideologien ausgenutzt, die seinem fast radikalen Individualismus Hohn sprachen, und er wird heute noch nicht als das erkannt, was er im Grunde wirklich ist: ein Denker, der entscheidende Impulse für ein erfolgreiches Leben in unserem neuen Jahrhundert zu bieten hat.

Lassen Sie uns diese Impulse gemeinsam ergründen. Ich bin überzeugt davon, dass sich dieser Ausflug in die Gedankenwelt eines der kreativsten Philosophen der Neuzeit für Sie als moderner Manager lohnen wird.

|15|Teil 1 Friedrich Nietzsche und das moderne Management

|17|Nietzsche – der zeitgemäße Philosoph für Manager

Ich bin kein Mensch. Ich bin Dynamit.

Friedrich Nietzsche

Nietzsche ist der größte Pechvogel der Philosophiegeschichte. Er wurde von Analphabeten nicht nur in ihr Deutsch übersetzt, sondern auch noch in ihre Wirklichkeit.

Ludwig Marcuse

»Mögest du in interessanten Zeiten leben.« Schon heute bietet die Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts fast täglich die Gelegenheit, diesen alten chinesischen Fluch als reale Herausforderung zu erleben. Schon die alten Chinesen wussten, dass ein bequemes Leben zumindest für die Gutsituierten nur unter stabilen, sich nicht verändernden Bedingungen gewährleistet ist. Wenn stattdessen »interessante« Zeiten herrschen, dann ist alles im Fluss und niemand hat mehr eine feste Zukunftsgarantie. Die historisch einzigartige Kombination aus Globalisierung, Individualisierung und Virtualisierung hat die Spielregeln der Märkte nachhaltig verändert und damit uns allen solche »interessanten« Zeiten beschert.

Das wirtschaftliche Umfeld wird zunehmend schnelllebiger, unberechenbarer und risikoreicher. Ohne eine echte Überlegenheit des Unternehmens, seiner Produkte und Dienstleistungen, des Managements oder der Mitarbeiter gibt es auch keinen Wettbewerbsvorteil. Das war natürlich schon immer so. Dieser Umstand wird aber angesichts der globalen Konkurrenz brisanter.

Gerade die begehrtesten Kunden und die talentiertesten Mitarbeiter können in vielen Bereichen globale Vergleiche ziehen und sich für die aus ihrer Sicht besten Angebote entscheiden. Loyalität |18|ist, so scheint es, eine aussterbende Eigenschaft. Der globale Markt regiert. Entsprechend geraten strategische Einheiten unter Druck, seien es Wirtschaftsräume, Staaten, einzelne Unternehmen oder Unternehmensabteilungen.

Diese neuen Erfolgsbedingungen des Wirtschaftens bedeuten auch einen erhöhten Druck auf das Management. Die Zeiten für Manager sind härter geworden. Plötzlich gibt es scheinbar überall volatile Märkte, die in ihrer neuen Komplexität strategisch kaum auch nur mittelfristig in den Griff zu bekommen sind. Die alten Methoden verlieren an Wirksamkeit. Gleichzeitig sind ständig neue Ideen gefragt, denn den Innovativen gehört die Zukunft.

Diese Auswirkungen der Globalisierung stellen aber nur die erste Stufe der neuen, wesentlich komplexeren Wirtschaftswelt dar. Längst geht insgeheim auch das Schlagwort von einem erbitterten »Kampf um Rohstoffe« um. Diese Verteilungskämpfe werden auch das Management der Zukunft vor neue Herausforderungen stellen. Ebenso ist mittlerweile von einem »War of Talents«, einem weltweiten Ringen um die besten und intelligentesten Mitarbeiter, die Rede. Trotz hoher Arbeitslosenzahlen werden wichtige Fachkräfte immer knapper.

Neu in den Markt eintretende Global Player, vor allem aus den sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), dominieren bereits weltweit die Öl- und Gasmärkte. Sie treten auch in anderen Wirtschaftsbereichen den westlichen Großkonzernen erfolgreich entgegen.

Das gilt vor allem für China, das mit mittlerweile weit über einer Billion Dollar im Besitz der größten Währungsreserven der Welt ist. Das Riesenreich schickt sich an, mit strategischen Fusionen, Unternehmensaufkäufen und der Expansion in westliche Hochtechnologiemärkte neue globale Realitäten im Bereich der Wirtschaft zu schaffen.

Gleichzeitig regt sich in einzelnen Ländern der Widerstand gegen die rigorosen globalen Strategien der multinationalen Konzerne|19|. Die zunehmende Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billigregionen mit kaum existierenden Sozial- und Umweltstandards wird mancherorts auf politischer Ebene massiv kritisiert. Parallel dazu gewinnen die großen Investmentfonds immer stärker an Einfluss auf die Unternehmen und erwarten selbst bei Unternehmensgewinnen Strategien, die diesen Gewinn noch maximieren.

Der moderne Manager findet sich so in einem komplexen Spannungsfeld aus divergenten Interessen und Anforderungen wieder. Hinzu kommt, dass er für seine eigene Karriere mehr und mehr auf sich selbst gestellt ist. Es gibt kaum noch Unternehmen, welche die berufliche Zukunft ihrer Mitarbeiter und Manager bewusst gestalten. Jeder ist in dieser Hinsicht »seines eigenen Glückes Schmied« und muss zusehen, wie er seinen Karriereweg am besten und erfolgreichsten plant. Das schließt gelegentliche strategisch sinnvolle Unternehmenswechsel natürlich mit ein.

In dieser Situation ist es absolut sinnvoll, für die eigenen Denkstrategien und Zukunftsperspektiven auch ungewöhnlichere Bereiche wie die Philosophie als persönliche »Geheimwaffe« mit einzubeziehen. Nun gibt es im Bereich der Philosophie sehr viele Strömungen. Gerade bei begrenzter Zeit ist es daher wichtig, sich nach möglichst hilfreicher und praxisrelevanter philosophischer Anleitung umzusehen.

Gerade an dem Punkt kommt Friedrich Nietzsche wieder ins Spiel. Seine Philosophie bietet eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für den Manager, der konkrete, unmittelbare Impulse für die eigene Arbeit und Zukunftsplanung sucht. Die Beschäftigung mit Nietzsche lohnt sich.

|20|Nietzsche, der Visionär

Als Nietzsche gegen Ende des 19. Jahrhunderts seine Hauptwerke zu Papier brachte, nahm er darin Entwicklungen vorweg, die eigentlich erst heute voll zum Tragen kommen. Nietzsche war ein scharfsinniger Menschenkenner und er konnte bereits aus den Ansätzen seiner Zeit ablesen, dass die Machtbestrebungen der unterschiedlichen Nationen und Denkrichtungen in der Zukunft unweigerlich eine globale Dimension annehmen würden.

Die Zeit für kleine Politik ist vorbei. Schon das nächste Jahrhundert bringt den Kampf um die Erdherrschaft.

Zwar hat er sich im Zeitverlauf etwas verschätzt, aber auch das im Grunde nur um einige Jahrzehnte. Angesichts der zwei im 20. Jahrhundert ausgefochtenen Weltkriege könnte man Nietzsche entsprechend interpretieren. Sein Kommentar bezieht sich aber nicht gezielt auf solche destruktiven militärischen Auseinandersetzungen. Diese Aussage ist Ausdruck seiner Verachtung für die provinzielle Kleinstaaterei, die Europa damals dominierte. Nietzsche selbst glaubte stattdessen, dass bald die Zeit für »den Zwang zur großen Politik« kommen werde, und sah eine westeuropäische Einigung als einen ersten Schritt in die richtige Richtung.

Nietzsche war aber durchaus nicht davon überzeugt, dass sich die zukünftigen globalen Auseinandersetzungen rein politisch abspielen würden. Er erkannte bereits die Bedeutung der Wirtschaft für die kommenden Entwicklungen.

|21|Der Fürst denkt, aber der Krämer – lenkt!

Nietzsche wusste, welche Rolle wirtschaftliche Faktoren beim »Kampf um die Erdherrschaft« spielen würden. Interessant ist auch, dass er hier nicht von der Weltherrschaft spricht. Es geht ihm nicht um grandiose Ideologien, sondern nur um bestimmte Verteilungskämpfe. Die Erde, unser aller Planet, hat ihre begrenzten Ressourcen, und am Ende werden alle sich an einem ganz konkreten, von den eigenen menschlichen Bedürfnissen getriebenen Verteilungskampf beteiligen. Nietzsche interessiert sich letztendlich für die entscheidenden Fragen: Wer wird wie viel von den Energiequellen, Rohstoffen oder auch von so grundlegenden Dingen wie reinem Wasser und Nahrungsmitteln in ausreichender Menge abbekommen – und wer wird leer ausgehen?

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass das Ringen um die Erde im Sinne der konkreten Kontrolle über ihre Ressourcen an Brisanz gewinnt. Bereits 2006 hat das Magazin Der Spiegel dem Thema sowohl eine Sondersendung von Spiegel TV (27. März 2006) sowie ein Sonderheft gewidmet (Spiegel spezial vom 18. Juli 2006). Im Netz wurde die Sendung mit folgenden Worten angekündigt: »Der Aufstieg und Niedergang von Nationen: ein Spiel mit manchmal verdeckten Karten – und unter überraschenden, ungewohnten Vorzeichen. So ist es auch jetzt, da das Zeitalter eines neuen Kalten Kriegs begonnen hat.«

Gemeint ist damit das Zeitalter dramatischer Verteilungskämpfe um die immer knapper werdenden Ressourcen, die gleichzeitig in immer größeren Mengen benötigt werden – das Zeitalter, in dem die internationale Politik zunehmend von Fragen der Energiesicherheit bestimmt wird und in dem die Karten für potenzielle Gewinner und Verlierer gerade neu gemischt werden. Dazu Spiegel Online: »Die Jagd nach Ressourcen schafft neue strategische Bündnisse – und brandgefährliche Konflikte.«

|22|Und weiter: »Weltweit steigt der Bedarf an Rohstoffen: Öl und Gas, aber auch Kupfer, Gold, Uran oder Nickel sind knapp und teuer geworden. In der westlichen Welt wachsen die Versorgungsängste, es drohen Verteilungskämpfe mit den aufstrebenden Schwellenländern.«

Auch wenn diese Verteilungskämpfe um die Schätze der Erde uns noch weit entfernt zu sein scheinen, ist doch eines gewiss: Die steigenden Nahrungsmittelpreise als Folge einer globalen Nachfrage und die Verknappung von trinkbarem Wasser lassen Nietzsches erschreckende Vision mehr und mehr realistisch wirken.

Nein, Nietzsche war nicht der dumpfe Militarist, als den ihn manche Kritiker abstempeln wollten, vor allem auch deshalb, weil die Nationalsozialisten freimütig (völlig ungerechtfertigte) Anleihen bei seinen Ideen zu machen suchten. Nietzsche verstand durchaus, auf was es – gerade heute – wirklich ankommt.

Geld ist das Brecheisen der Macht.

Nietzsche erkannte frühzeitig, dass alles am Ende auf einen globalen Verteilungskampf um Rohstoffe, Produktionskapazitäten und Kunden hinausläuft. Und er machte sich keine Illusionen darüber, dass der finanzielle Aspekt dabei am Ende die Machtverhältnisse bestimmen würde.

War Nietzsche deshalb gegen eine Globalisierung? Gab er nationalen Interessen den Vorrang?

Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euch vor einem Nachbarn? So nehmt doch die Grenzsteine weg – so habt ihr keinen Nachbarn mehr. Aber ihr wollt den Krieg und deshalb erst setztet ihr die Grenzsteine.

Nietzsche war am Fortschritt der Menschheit interessiert. Er wollte, dass jede Zeit die besten Geister fördern würde. Nationale Partikularinteressen behagten ihm hingegen nicht. Für ihn waren Ideen und ihre Umsetzung von Bedeutung. Kleinliche Territorialstreitereien interessierten ihn dagegen weniger.

|23|Das sind auch die Herausforderungen, mit denen sich jeder global denkende Mensch konfrontiert sieht, der den besten Strategien und Methoden im Management zum Durchbruch verhelfen will. Als globaler Manager können Sie bei Nietzsche einen erstaunlich visionären Geistesverwandten finden und vielleicht auch etwas von seinen anderen Ansichten für Ihre praktische Arbeit nutzen.

|24|Nietzsche und das Chaosmanagement

Ob Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft: In allen Bereichen unseres Lebens scheint mehr und mehr das Chaosprinzip vorzuherrschen. Überraschende Entwicklungen und Ereignisse häufen sich, und längerfristige, sichere Vorhersagen sind, zum Beispiel in der Politik, kaum noch möglich. Das Gleiche gilt auch für die Wirtschaft. Wer weiß mittlerweile schon, was sich im Marketing als die »nächste große Idee« erweisen wird und was als enttäuschende Ente? Woher wird wohl die nächste entscheidende Herausforderung kommen, mit der sich Ihr Unternehmen konfrontiert sieht? Wie können sichere strategische Pläne gemacht werden, wenn deren Inhalt oft schon Makulatur ist, bevor das entsprechende Strategiepapier gedruckt und gebunden in den Verteiler gelangt?

Hatte Nietzsche zu dem Thema eine Meinung (schließlich kam der Begriff Chaosmanagement erst etwa ein Jahrhundert später auf)?

Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.

Das klingt erst einmal sehr poetisch. Es zeigt aber auch Nietzsches intuitive Kompetenz. Er erlebte die Anfänge der industriellen und wissenschaftlichen Revolution und konnte daraus auf eine Entwicklung schließen, die zu chaosähnlichen, komplexen Situationen führen würde. Gleichzeitig ahnte er, dass dieses Chaos keineswegs einen destruktiven Charakter haben müsste. |25|Im Gegenteil: Ein rechtes Maß an Chaos ist notwendig, damit durch erfolgreiches Chaosmanagement dann selbst die Sterne zu Freudentänzen animiert werden können.

Die Zukunft kann durchaus aufregend und bereichernd sein. Sie ist es aber nur dann, wenn wir genug Flexibilität und Spielfreude in uns haben, um sie als jeweils einmalige Gelegenheit anzunehmen und sogar zu begrüßen. Nietzsche sah im Chaos nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance für einmalige Leistungen und Ergebnisse. Ja, das Chaos wird erst die Besten zum Vorschein bringen.

Glattes Eis, ein Paradies für den, der gut zu tanzen weiß.

Die richtige, zukunftsfähige Art von Managern würde unter den Herausforderungen einer globalen und chaotischen Wirtschaft wirklich in ihrem Element sein. Der Manager, der spielerisch und mit Freude durch die neuen komplexen Herausforderungen hindurchtanzt, ist nicht nur erfolgreich, er hat dabei auch seine helle Freude.

Sie suchen also einen Philosophen, der Ihre heutigen chaotischen Herausforderungen versteht und der sogar glaubt, dass sich dem Ganzen nicht nur Erfolg, sondern auch Freude abgewinnen lässt. Wie wäre es dann mit Nietzsche?

|26|Nietzsche, das missverstandene Genie

Wenn andere davon hören, dass man ein Buch über Nietzsche für Manager schreibt, sind die Reaktionen häufig ähnlich: Viele Manager sind schon egoistisch und narzisstisch genug, da wollen Sie ihnen auch noch Nietzsche als Denk- und Handlungsempfehlung an die Hand geben?

Diese Frage offenbart nicht nur eine noch immer verbreitete, klischeebehaftete Vorstellung von Management, sondern zeigt auch, dass Nietzsche bis heute einer der am meisten missverstandenen deutschen Philosophen ist. Seine Sprachgewalt und sein Hang zur Provokation machen die Sache natürlich nicht leichter. Sicherlich hat er vieles gesagt und geschrieben, was als radikal und bei einseitiger Interpretation gar als »unmenschlich« oder »menschenfeindlich« interpretiert werden könnte. Wer jedoch hinter die Kulissen schaut, erkennt einen Philosophen, der von einer leidenschaftlichen Liebe zum menschlichen Leben erfasst war – einen Denker, der fast daran verzweifelte, dass der Mensch im Allgemeinen das eigene große Potenzial nur selten verwirklicht, sei es aus Bequemlichkeit oder weil ihm schlicht und ergreifend der Mut fehlt.

Zudem war Nietzsche poetisch veranlagt und er legte viel Wert auf Emotionen als Richtungsweiser. Er glaubte, dass der Mensch auf seine Intuition horchen muss, wenn er erfolgreich sein will. Es war in seinen Augen falsch, sich nur auf die reine Logik zu verlassen. Das Leben ist komplex und keineswegs klar geordnet. Der Mensch muss sich also auf diese Unwägbarkeiten des Lebens |27|einlassen und statt nur mit dem Kopf auch mit dem Bauch entscheiden.

Da Nietzsche sich auch selbst von seinen Emotionen leiten ließ, hängen manche seiner Aussagen von seiner jeweiligen Stimmung ab. Das ergibt natürlich auch etliche Widersprüchlichkeiten. Man kann aber trotzdem klare Leitlinien in Nietzsches Denken identifizieren. Es gibt Themen, die immer wieder angesprochen werden, und es gibt durchaus eine Grundhaltung, die seine Lehren durchzieht.

Nietzsche hatte eine Vorliebe für eine bombastische Sprache. Das war sicherlich mit ein Grund dafür, dass gerade die menschenverachtenden Ideologien seine Aussagen gerne für ihre größenwahnsinnigen Thesen nutzten. Man denke nur an die Verwendung des Begriffes »Übermensch«. Eine genaue Lektüre der entsprechenden Stellen hätte gezeigt, dass Nietzsche selbst davon ausging, es habe bisher auf Erden noch nie einen »Übermenschen« gegeben. Er propagierte dieses Konzept als Ideal, nach dem die Besten streben sollten. Er zollte nur einigen wenigen Anerkennung, von denen er glaubte, dass sie sich auf dem richtigen Weg zu diesem Ideal befanden.

Nietzsche lehnte das Konzept einer Überlegenheit qua Geburt entschieden ab. Niemand konnte seiner Meinung nach allein aufgrund seiner Herkunft einen Anspruch auf Privilegien reklamieren. Überlegenheit entsteht laut Nietzsche nur aus einer überragenden persönlichen Leistung. Das ist das Einzige, was für ihn bei der Beurteilung eines Menschen zählt.

Nietzsche ging bei diesen Überlegungen von dem Prinzip der Gleichheit aus. Jeder Mensch hatte die Wahl, ob er mit Mut und Einsatz sein eigenes Potenzial verwirklichen wollte oder nicht. Wer sich angesichts dieser Herausforderung aber dafür entschied, lieber ein risikoloses und bequemes Leben im Schoß der »menschlichen Herde« zu fristen, dem zollte Nietzsche deutlich weniger Anerkennung.

|28|Nietzsche als Erfolgsmensch

Wie sieht es mit der Reaktion der Zeitgenossen auf Nietzsches Thesen aus? Noch zu Lebzeiten wurde er als einzigartiges Genie eingestuft, das zeigt unter anderem seine akademische Laufbahn. Als er gerade einmal Mitte zwanzig ist, verleiht ihm die Baseler Universität einen Doktorgrad nur aufgrund seiner früheren Veröffentlichungen und ohne entsprechende Dissertation. Kurz darauf ernennt sie ihn sogar zum außerordentlichen Professor. Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbricht, lässt sich Nietzsche beurlauben und meldet sich als freiwilliger Krankenhelfer. Bei diesem Einsatz zieht er sich Gesundheitsschäden zu, die ihn ein Leben lang begleiten werden. 1879 muss er seine Universitätskarriere in Basel deswegen aufgeben.

Obwohl ihm diese steile Akademikerkarriere in jungen Jahren eigentlich ein bequemes Leben ermöglicht hätte, entschied sich Nietzsche gemäß seinen Überzeugungen. Er leistete dort einen Beitrag, wo er das für angemessen hielt.

Später in seinem Leben hat Nietzsche nur wenig Anerkennung für seine Philosophie erfahren. Davon ließ er sich aber nicht beirren.

Niemand weiß, welche Nachricht von Bedeutung ist, bevor hundert Jahre vergangen sind.

Nietzsche selbst brauchte nicht hundert Jahre zu warten, bis seine Thesen ihre machtvolle Wirkung entfalten sollten.

Nietzsches Einsichten für das Management

Was den allgemeingesellschaftlichen Zusammenhang angeht, kann man durchaus anderer Meinung sein als Nietzsche. Sein Vater stirbt früh (Nietzsche ist damals gerade fünf Jahre alt), und |29|trotz dieser schwierigen Umstände bekommt der Junge eine Chance. Seine außergewöhnliche Begabung wird früh erkannt, und so kann er kostenlos die Schulpforta in Naumburg besuchen, damals eines der elitärsten Gymnasien in Deutschland mit internationalem Ruf. In jungen Jahren bleibt Nietzsche also die Erfahrung erspart, dass widrige persönliche Umstände dazu führen können, sich doch lieber der Sicherheit der allgemeinen »menschlichen Herde« anzuvertrauen. Andererseits könnte aber auch seine persönliche Leistung als Hinweis darauf dienen, dass jeder sein Schicksal selbst bestimmen kann, wenn er nur will – letztlich eine Frage der Auslegung.

Besonders sein elitärer Hintergrund (trotz persönlicher Verluste wie dem frühen Tod des Vaters als Versorger der Familie erhielt Nietzsche aufgrund eigener Leistungen bereits im Kindesalter die Gelegenheit zu einer außergewöhnlichen Ausbildung) und seine Bereitschaft zu radikalen Einsichten machen Nietzsche für die Welt der Wirtschaft zu einem wichtigen Impulsgeber. Die Menschen, die in den Unternehmen aktiv am Arbeitsprozess teilnehmen, können aus seinem Gedankengut hilfreiche Denk- und Handlungsstrategien gewinnen.

Allgemein gesehen erkennt Nietzsche nur zwei Prinzipien an, die unser Denken und Handeln letztendlich bestimmen sollten: zum einen das Streben nach radikaler persönlicher Selbstverwirklichung und zum anderen das Bestreben, die Entwicklung herausragender menschlicher Persönlichkeiten zu unterstützen.

Auf Ihre Arbeit als Manager im Unternehmen übertragen, würde das Folgendes bedeuten: Sie arbeiten mit Nachdruck daran, Ihr eigenes Potenzial so weit wie möglich zu entwickeln und auszuschöpfen, um ein echter Leitungsträger zu sein. Bekanntlich vergeuden manche Manager viel Zeit damit, die eigene Position durch politische Ränkespiele und geschicktes Taktieren abzusichern. Das ist in den Augen Nietzsches aber keine echte Leistung. Er würde das als Versuch des »Schwachen« auslegen, |30|mit Tricks und Täuschung dem wirklich »Starken« einen Teil seiner Macht zu stehlen. Echte Macht und gerecht verdiente Privilegien können nach Nietzsche nur aus echter Leistung erwachsen – im Manageralltag also aus Leistungen, die gleichzeitig sowohl die eigene Karriere als auch das Unternehmenswohl in einzigartiger Weise fördern.

Wer wirklich danach strebt, echte Leistung zu erbringen, hat dabei auch das Recht, andere, die weniger herausfordernde Ziele haben, in die (selbstverschuldeten) Schranken zu weisen. Nietzsche sieht kein Problem darin, den echten Leistungsträgern außergewöhnliche Macht und einzigartige Privilegien einzuräumen. Für ihn trägt der Manager, der konsequent an sich selbst arbeitet und sich stetig zur höchstmöglichen Leistung anspornt, automatisch auch langfristig das meiste zum Wohl seines Unternehmens bei.

Für Unternehmen gelten durchaus zwei Seiten einer Medaille: Sie sind natürlich keineswegs gemeinnützige Organisationen, sondern sollen Profite erwirtschaften. Gleichzeitig tragen sie aber sehr wohl zum Nutzen des Gemeinwesens bei, wenn sie diese Arbeit geradlinig und ohne weitere Manipulationen verrichten.

Zwei Zitate dazu aus der Wirtschaft. Franz Reinisch, Chef des schnell wachsenden mittelständischen Unternehmens reinisch AG, schreibt in seinem Buch Die Köpfe sind das Kapital: »Man kann sich beim Umgang mit Wissenskapital nicht über unternehmerische Grundsätze hinwegsetzen. Eine Firma ist keine Laienspielgruppe, und wenn sie mit ihren immateriellen Vermögenswerten keinen Gewinn erwirtschaften kann, dann ist Wissenskapital bedeutungslos.« 1

Hermann Simon, früher Marketingprofessor und heute Geschäftsführer der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, hat in seiner Nachfolgestudie zu den Hidden Champions zwar auch global geforscht, identifizierte die Vorbilder aber vor |31|allem im deutschsprachigen Raum. Zur erfolgreichen Personalauswahl hierzulande schreibt er: »Wie wir schon im Zusammenhang mit der Probezeit ausführten, sollte die Intoleranz gegenüber Minderleistung und Drückebergerei kein Thema sein, das sich nur die Führungskräfte zu eigen machen, sondern es muss ein Anliegen der ganzen Mannschaft sein. Die Mitarbeiter müssen sich, ähnlich wie in einer Fußballmannschaft, bewusst sein, dass Minderleistung das ganze Unternehmen und damit auch den eigenen Arbeitsplatz gefährdet.«2 Anschließend belegt Simon erneut, wie außergewöhnlich erfolgreich diese »Hidden Champions« mit ihren Werten auf dem globalen Markt agieren.

Nietzsche hatte einen ungewöhnlichen Einfluss auf kulturelle Entwicklungen. Dabei hat oft ein Missverstehen seiner Thesen gesellschaftlich zu schwerwiegenden Verzerrungen und sogar zu unglaublichen Gräueltaten geführt, vor allem, wenn es um Versuche ging, diese in die Praxis umzusetzen.

Im Management aber treffen die Umstände und Nietzsches Weltsicht auf idealen Grund: In diesem Mikrokosmos, der aber von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität der jeweiligen Nationen und Gesellschaften ist, können Nietzsches Thesen (in begrenztem Umfang) besonders erfolgreich umgesetzt werden.

|32|Die Umarmung des Paradoxen

Vieles erscheint heute paradox – also widersinnig. Man könnte sowohl das eine als auch das andere tun und würde dabei immer etwas richtig machen, gleichzeitig aber auch oft etwas falsch. Wie können wir Entscheidungen treffen, wenn es anscheinend keine Entscheidungsmöglichkeiten gibt, die eindeutig und unmissverständlich zu den besten Ergebnissen führen werden?

Willkommen im 21. Jahrhundert! Es gibt heutzutage keine Entscheidungen mehr, die eindeutig die besten sind. Geschichtlich gesehen wird sich mit zeitlichem Abstand vielleicht ergründen lassen, ob die getroffene Entscheidung richtig war oder eine Alternative besser gewesen wäre, aber selbst das ist nicht sicher. Die beste Entscheidung? Keiner weiß das heute und keiner wird das vielleicht selbst im Nachhinein wirklich wissen können. Wir leben in einer paradoxen Welt voller widerstreitender Sichtweisen und unklarer Zukunftsszenarien.

Friedrich Nietzsche hat ein vergleichbares Dilemma vor mehr als einem Jahrhundert gesehen. Wenn er versuchte, ein Zeitphänomen philosophisch zu analysieren und es in den Griff zu bekommen, tauchten sogleich andere Aspekte auf, welche die gefundene Lösung wieder infrage stellten. Wäre Nietzsche ein Opportunist gewesen, hätte er sich einfach für die subjektiv attraktivste Sichtweise entschieden und seine nachfolgenden Gedankengebäude danach ausgerichtet. Nietzsche aber wollte ergründen, was ein menschliches Leben wirklich erst lebenswert macht. Da es zu seiner Zeit unterschiedliche Ansätze zu diesem |33|Thema gab, musste er zwangsläufig seine Gedanken und Meinungen im Lauf seines Lebens häufiger ändern.

Nietzsche sah darin aber kein wirkliches Problem. Im Gegenteil, diese kontinuierlich paradoxen Situationen verhalfen ihm langfristig zu einem weitergehenden Weltverständnis.

Die Welt in ihrer Tiefe verstehen heißt, den Widerspruch verstehen.

Je mehr er die Wirklichkeit analysierte, desto mehr verstand Nietzsche, dass die Paradoxität ein fester Bestandteil unserer Welt ist. Wir haben alles gerne wohlgeordnet. Seit Sokrates, Platon und Aristoteles bemüht sich die westliche Welt darum, die Dinge in Kategorien einzuteilen und mit reiner Logik zu objektiven, eindeutigen Wahrheiten zu gelangen.

Für Nietzsche war die Welt nicht in solch klare Kategorien einteilbar, weil sie und vor allem der Mensch in Wirklichkeit eben nicht so gestaltet ist. Paradoxe Situationen sind aus seiner Sicht unvermeidlich und sie sind auch notwendig, um neue Strategien und kreative Lösungen zu inspirieren. Was bedeutet das für uns? Wenn wir in unseren Analysen und unserem Verständnis der Welt nur an der trügerisch logischen, schwarz-weißen Oberfläche stehen bleiben, dann werden wir die Dinge nie in ausreichender Tiefe durchdringen.

Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von China und ganz Asien ist es durchaus auch für westliche Manager und Politiker empfehlenswert, das Phänomen der Paradoxität zu akzeptieren und sie aktiv zu nutzen. So ist China mit seinen kapitalistisch ausgerichteten Sonderhandelszonen als prosperierende Wirtschaftszentren innerhalb eines zutiefst kommunistischen Landes bisher nicht schlecht gefahren. Und wo sonst könnte im Westen ein Land gleichzeitig eine extrem orthodoxe kommunistische |34|Führung und Dutzende von Dollar-Milliardären ertragen, die ihr Vermögen auf rein privatwirtschaftlichen Wegen erlangt haben? Statt an solchen Widersprüchen zu zerbrechen, nutzt China sie als Trittbrett zum Aufstieg zu einer Weltmacht.

Nietzsche wusste, dass gerade im Wirtschaftsbereich eher weniger idealistische Verhältnisse das Leben bestimmen würden:

Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt, und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm der großen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen.

Der Manager muss sich mit Paradoxien auseinandersetzen und muss seinen eigenen Weg durch dieses Gestrüpp aus widersprüchlichen Anforderungen, Werten und Prioritäten finden.

Diese positive Sicht des Paradoxen muss auch Konsequenzen für unsere Sicht auf Nietzsche selbst haben. Es gibt in seinen Werken zwar einige besonders oft wiederkehrende Themen, und er vertrat bestimmte Werte relativ konsistent. Wir finden bei ihm aber auch durchaus widersprüchliche Aussagen. In diesem Sinne gibt es »die Wahrheit« der Lehren Nietzsches nicht. Alles ist letztendlich auch eine Frage der Interpretation – und das hätte Nietzsche sicherlich selbst auch begrüßt. Das Leben ist komplex und erfordert daher komplexe und flexible Lösungsansätze.

Im Management, das sich zunehmend im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der Fondsmanager und anderen Aktionären, Kunden, Mitarbeitern, den Medien und der Politik wiederfindet, gilt diese Forderung besonders. Da gibt es keine eindeutigen Patentrezepte. Jeder Manager muss für seinen Aufgabenbereich und sein Unternehmen ganz spezifische, optimierte Lösungen anstreben.

|35|Nietzsche und der Nihilismus

Nietzsche wird oft ein Hang zum Nihilismus (Standpunkt absoluter Verneinung) unterstellt. Das trifft aber nur einen Teil der Wahrheit. Aus der Analyse dieser Frage ergeben sich in jedem Fall wichtige Lektionen für das Management im 21. Jahrhundert.

In der Tat hat Nietzsche die traditionellen Wertvorstellungen seiner Zeit weitgehend abgelehnt. Für ihn basierten sie auf ungeprüften, schädlichen Glaubensvorstellungen:

Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne Gründe nennt man Glauben.

Nietzsche hielt nichts davon, die überlieferten Vorstellungen und Werte einfach unkritisch zu übernehmen. Seiner Meinung nach hielt das den Menschen nur von seiner Weiterentwicklung ab. Ein stures Festhalten an alten Grundsätzen, selbst wenn sich für diese keine sinnvollen Begründungen in der Gegenwart finden lassen, war für Nietzsche im besten Fall ein Zeichen von Schwäche:

Der Fanatismus ist die einzige »Willensstärke«, zu der auch die Schwachen gebracht werden können.

Diese Gedanken sind auch auf den Managementbereich übertragbar. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts wurde heftig über die Bedeutung von Werten und Visionen für den konkreten Unternehmenserfolg diskutiert. Es gab viele Lippenbekenntnisse zu diesem Thema. Unternehmen, die etwas auf sich hielten, verfassten |36|Unternehmens- und Führungsleitlinien und listeten Werte als Grundlage für ihre unternehmerische Arbeit auf. Ich selbst habe damals eine Studie zu den Visionen der deutschen Unternehmen