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Was tust du, wenn jemand versucht, deine Familie zu zerstören?
DI Adam Fawley wird an einen schrecklichen Tatort gerufen: Aus einem brennenden Haus werden nachts zwei kleine Kinder geborgen, von den Eltern fehlt jede Spur. Bald ist klar: Es war Brandstiftung. Offenbar hat die Familie sich in den Wochen zuvor seltsam verhalten. Nachbarn berichten, dass die Mutter sich zu Hause nicht mehr sicher gefühlt habe und der Vater eine aufwändige Alarmanlage installieren ließ. Dann wird in den Trümmern des Hauses eine Leiche gefunden – die Mutter der Kinder. Und sie war schwanger …
„Einer der besten Krimis.“ Sunday Times.
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Seitenzahl: 478
Was tust du, wenn jemand versucht, deine Familie zu zerstören?
DI Adam Fawley wird an einen schrecklichen Tatort gerufen: Aus einem brennenden Haus werden nachts zwei kleine Kinder geborgen, von den Eltern fehlt jede Spur. Bald ist klar: Es war Brandstiftung. Offenbar hat die Familie sich in den Wochen zuvor seltsam verhalten. Nachbarn berichten, dass die Mutter sich zu Hause nicht mehr sicher gefühlt habe und der Vater eine aufwändige Alarmanlage installieren ließ. Dann wird in den Trümmern des Hauses eine Leiche gefunden – die Mutter der Kinder. Und sie war schwanger …
»Einer der besten Krimis.« Sunday Times
Über Cara Hunter
Cara Hunter hat Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt in Oxford. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem ihre anderen Kriminalromane mit DI Adam Fawley, »Sie finden dich nie« und »In the Dark – Keiner weiß, wer sie sind«, lieferbar.
Teja Schwaner, Studium in Hamburg, Frankfurt und London. Arbeitete als Musik- und Filmjournalist. Übertrug neben Hunter S. Thompson Daniel Woodrell und Daniel Friedmann ins Deutsche.
Iris Hansen lebt nach Aufenthalten in Kanada und Spanien als Übersetzerin in Hamburg.
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Cara Hunter
No Way Out
Es gibt kein Entkommen
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Iris Hansen und Teja Schwaner
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
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21. Februar 2017, 7:45 Uhr – 317 Tage vor dem Feuer
9. April 2017, 14:13 Uhr – 270 Tage vor dem Brand
2. Mai 2017, 12:27 Uhr – 247 Tage vor dem Brand
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13. Juni 2017, 14:13 Uhr – 205 Tage vor dem Brand
25. Juni 2017, 16:30 Uhr – 193 Tage vor dem Brand
11. Juli 2017, 10:23 Uhr – 177 Tage vor dem Brand
12. Juli 2017, 16.43 Uhr – 176 Tage vor dem Brand
15. Juli 2017, 15:12 Uhr – 173 Tage vor dem Brand
20. Juli 2017, 11:45 Uhr – 168 Tage vor dem Brand
28. Juli 2017, 10:45 Uhr – 160 Tage vor dem Brand
5. September 2017, 19:15 Uhr – 121 Tage vor dem Brand
6. September 2017, 8:11 Uhr – 120 Tage vor dem Brand
25. September 2017, 17:49 Uhr – 101 Tage vor dem Brand
25. September 2017, 20:48 Uhr. – 101 Tage vor dem Brand
29. Oktober 2017, 14:48 Uhr – 67 Tage vor dem Brand
4. November 2017 19:14 Uhr – 61 Tage vor dem Brand
12. Dezember 2017, 15:54 Uhr – 23 Tage vor dem Brand
23. Dezember 2017, 15:12 Uhr – 12 Tage vor dem Brand
2. Januar 2018, 8:30 Uhr – Zwei Tage vor dem Brand
2. Januar 2018, 10:45 Uhr – Zwei Tage vor dem Brand
2. Januar 2018, 11:16 Uhr – Zwei Tage vor dem Brand
2. Januar 2018, 15:09 Uhr – Zwei Tage vor dem Brand
3. Januar 2018, 17:59 Uhr – Sechs Stunden vor dem Brand
3. Januar 2018, 21:04 Uhr – Drei Stunden vor dem Brand
4. Januar 2018, 00:05 Uhr – 23 Southey Road, Oxford
4. Januar 2018, 00:09 Uhr – 23 Southey Road, Oxford
15. Juli 2017, 14:09 Uhr – 173 Tage vor dem Brand
4. Januar 2018, 00:12 Uhr – 23 Southey Road, Oxford
4. Januar 2018, 00:22 Uhr – 23 Southey Road, Oxford
4. Januar 2018, 00:43 Uhr – 23 Southey Road, Oxford
Danksagung
Impressum
Für Sarah
Weil jeder eine WONDERWALL braucht
04.01.2018 00:55
Bildmaterial der Helmkamera, Feuerwehrmann Fletcher, Feuerwehr- und Rettungsdienst Oxfordshire
Ereignisfall im Felix House, 23 Southey Road, Oxford. Aufzeichnung beginnt, als zwei Löschfahrzeuge in die Vorortstraße einbiegen. Die Häuser sind groß. Es ist dunkel. Sirenen, Blaulicht.
LEITSTELLE BRANDSCHUTZ AN LÖSCHFAHRZEUGE:
Bei diesem Vorfall sind auch Personen in Gefahr. Laut einem 999-Anruf befinden sich möglicherweise vier Menschen im Gebäude: zwei Erwachsene und zwei Kinder.
EINSATZLEITER:
Verstanden. Sind jetzt im Einsatz. Erdgeschoss in Flammen.
Kamera schwenkt nach rechts auf ein Haus. Schwarze Rauchschwaden quellen aus den obersten Fenstern, und auch in den Stockwerken darunter sind Flammen zu erkennen. Ein halbes Dutzend Passanten und Nachbarn halten sich auf der Straße auf. Es sind laute Rufe zu hören, weiteres Sirenengeheul. Ein Polizeiwagen fährt vor. Feuerwehrleute bereiten Leitern vor, rollen Schläuche aus, legen Atemschutzmasken an.
EINSATZLEITER AN MANNSCHAFTEN:
Keiner der Nachbarn hat die Familie gesehen, also brauche ich zwei Männer mit Atemschutz, die hinaufgehen und sich im ersten Stock umsehen.
LEITER ATEMSCHUTZ:
Verstanden. Alpha Team 1 macht sich zum Einstieg bereit.
Durch die verglaste Eingangstür sind Flammen deutlich erkennbar. Alpha Team 1 unter Führung von Feuerwehrmann Fletcher geht über die Auffahrt zum Haus. Links wird eine Leiter ausgefahren. Fletcher steigt mit Schlauchtrommel hinauf. Gedämpfte Stimmen sind zu hören, dazu Funkstörungen. Schweres Atmen hinter der Maske. Kamera fährt über Fensterbank in den Raum. Dichter Rauch. Lichtstrahl der Helmlampe schwenkt von links nach rechts, trifft auf Regale, eine Kommode, einen Stuhl. Flammen sind hier nicht zu sehen, aber der Teppich schwelt. Kamera schwenkt zurück in Richtung Fenster und nimmt auf, wie Feuerwehrmann Evans die Leiter hinaufklettert.
LEITER ATEMSCHUTZ:
Alpha Team 1, haben Sie Opfer entdeckt?
FLETCHER[schwer atmend]:
Negativ.
Fletcher bewegt sich in Richtung Tür und tritt in einen Flur. Kamera schwenkt ruckweise hin und her, der Lichtstrahl beleuchtet drei weitere Türen sowie eine Treppe, die in ein höher gelegenes Stockwerk führt. Im unteren Treppenhaus flackert der Schein der Flammen aus dem Erdgeschoss, Funken leuchten in der Luft, Rauch kriecht die Treppen hinauf, die Decke entlang. Neue knisternde Störgeräusche im Funkverkehr. Geräusch von Wasserstrahl aus Schläuchen der Feuerwehrleute, die die Flammen zu löschen versuchen. Fletcher geht auf angrenzende Tür zu, die einen Spalt weit offen steht. Footballplakate und Einzelbett durch den Rauch gerade noch sichtbar. Bettdecke ist zurückgeschlagen, doch niemand liegt dort. Er durchsucht den Raum und sieht auch unters Bett.
LEITER ATEMSCHUTZ:
Alpha Team 1, wichtige Information: Nachbarn sagen, es gibt einen Jungen, zehn oder elf Jahre alt, und ein Kleinkind.
Fletcher geht wieder hinaus in den Flur und weiter zur nächsten Tür. Sie steht offen. Hier ist der Rauch viel dichter. Das Feuer hat sich ausgebreitet – Teppich, Vorhänge und Bettdecken brennen. Fletcher eilt zum Bett. Dort liegt ein Kind, bewegungslos. Er kehrt schnell zum ersten Zimmer zurück und übergibt das Kind an Feuerwehrmann Evans, der vor dem Fenster auf der Leiter steht. Ein Windstoß erfasst den Raum, entfacht Teile des Teppichs.
FLETCHER:
Alpha Team 1 an Leiter Atemschutz: Leblosen Körper gefunden und über die Leiter geborgen. Kind. Nicht ansprechbar.
EINSATZLEITER
Verstanden, Alpha 1. Sanitäter vor Ort.
Fletcher kehrt in den Flur zurück, gefolgt von Feuerwehrmann Waites. Sie gehen weiter die Treppe hinauf. Feuerwehrleute Evans und Jones haben ebenfalls das Gebäude betreten, um nach Brandopfern zu suchen. Sie nähern sich von der anderen Seite.
FLETCHER:
Jemanden gefunden?
Evans macht verneinende Geste. Jones hält eine Wärmebildkamera in der Hand, sucht in alle Richtungen und deutet dann aufgeregt die Treppe hinunter.
JONES:
Da ist jemand – ganz unten auf der Treppe.
FLETCHER:
Alpha 1 an BAECO: Brandopfer am Fuß der Treppe entdeckt. Könnte das andere Kind sein.
Alpha Team 1 geht nach unten. Der Fußboden des Flurs hat Feuer gefangen, und die Flammen haben sich in alle Richtungen ausgebreitet. Sie heben das Opfer auf und folgen den Treppenstufen bis zum ersten Stock, wo sie das Kind an Alpha Team 2 übergeben, von dem es zur Leiter getragen wird. Plötzliche Explosions- und Einsturzgeräusche, als das Feuer das obere Stockwerk erfasst. Rufe und Warnungen über Funk. An der Schlafzimmertür sind jetzt Flammen zu sehen.
WAITES:
Scheiße, Rauchgasexplosion – Backdraft!
EINSATZLEITER
Räumen, wiederhole, räumen.
FLETCHER[keuchend]:
Hier müssen noch mehr sein – ich geh wieder rein.
EINSATZLEITER:
Negativ, ich wiederhole, negativ. Höchste Lebensgefahr. Sofort raus da, ich wiederhole, auf der Stelle raus da. Team Alpha 1 bitte bestätigen …
Weitere Explosionsgeräusche. Funkverbindungen brechen ab.
Ich hasse Weihnachten. Mag sein, dass es mir als Kind mal gefallen hat, aber daran kann ich mich nicht erinnern. Kaum, dass ich alt genug war, hab ich mich davongemacht – nichts wie weg aus dem Haus. Auch wenn ich kein Ziel hatte, war kreuz und quer durch die Stadt zu wandern besser, als im Wohnzimmer zu hocken und einander anzustarren oder sich noch eine Weihnachtsfolge von »Only Fools and Horses« reinziehen zu müssen. Je älter ich wurde, desto intensiver verabscheute ich die Weihnachtszeit. Frohsinn und festliche Hochstimmung von Ende Oktober bis weit nach Neujahr.
Du wirst anders denken, sagten die Leute, wenn du Kinder hast, ganz bestimmt – Weihnachten mit dem eigenen Kind ist eine zauberhafte Zeit. Und so war es auch. Als wir Jake noch hatten, stimmte das. Ich erinnere mich, dass er die erstaunlichsten Fensterbilder aus Papier bastelte – Rentiere und Schneemänner und Eisbären, in filigranen Silhouetten sorgsam ausgeschnitten. Wir hatten Stechpalmenzweige aufgehängt, Apfelsinen in die Zehen der Weihnachtsstrümpfe gesteckt, und auch kleine weiße Lichterketten im Garten. Ich weiß noch, dass es in einem Jahr tatsächlich schneite und er an seinem Schlafzimmerfenster saß, absolut hingerissen von den großen Flocken, die still zu Boden tanzten, gerade schwer genug, um zu fallen. Also ja, das war zauberhaft. Aber was geschieht, wenn man das Kind verloren hat, dem man das verdankte – was dann? Darüber spricht niemand. Und keiner sagt dir, wie du das erste Weihnachtsfest ohne das Kind überstehen sollst. Oder das nächste oder gar das danach.
Da ist die Arbeit, sicher. Zumindest für mich. Aber Weihnachten ist eine miese Zeit für uns Polizisten. So ungefähr jedes Verbrechen, das man sich vorstellen kann, wird begangen. Diebstahl, häusliche Gewalt, Störung der öffentlichen Ordnung. Meistens nichts Schwerwiegendes, aber der Verwaltungsaufwand nervt trotzdem. Die Leute trinken zu viel, haben zu viel Freizeit und sind rund um die Uhr mit Menschen zusammen, die sie eigentlich lieben sollten. Leider stellen sie dabei häufig fest, dass es mit der Liebe nicht weit her ist. Obendrein will jeder frei haben, und wir sind ewig unterbesetzt. Das ist eine recht weitschweifige Erklärung dafür, dass ich kurz nach den Feiertagen um fünf nach halb sechs Uhr morgens in einer eiskalten Küche stehe, in die Dunkelheit hinausstarre, mir die Nachrichten auf Radio 4 anhöre und darauf warte, dass mein Wasser kocht. In der Spüle stehen dreckige Teller, weil ich es nicht schaffe, den Geschirrspüler auszuräumen, die Mülleimer quellen über, weil ich den Abfuhrtag verpasst habe, und der Komposteimer liegt umgekippt auf dem Gehsteig. Das war vermutlich die Nachbarskatze oder, noch wahrscheinlicher, der Fuchs, den ich in letzter Zeit ein- oder zweimal in den frühen Morgenstunden gesehen habe. Sie fragen sich, warum ich zu einer so gottlosen Uhrzeit auf den Beinen bin? Keine Sorge, Sie werden nicht lange grübeln müssen.
Im Radio senden sie jetzt das Morgengebet, und ich schalte ab. Ich hab’s nicht so mit Gott. Schon gar nicht so früh am Morgen. Ich greife nach meinem Handy, zögere einen Moment und rufe an. Und ja, ich weiß, es ist eine blöde Zeit, aber ich glaube nicht, dass ich sie wecken werde. Sie schaltet abends ihr Telefon aus. Wie jeder normale Mensch.
Ich höre erwartungsgemäß die vier Klingeltöne, das Klicken und dann die nicht ganz natürlich klingende Frauenstimme, die mich darüber unterrichtet, dass die Person, die ich anrufe, im Moment nicht erreichbar sei. Dann der Ton.
»Alex – ich bin’s. Nichts Wichtiges. Ich wollte nur hören, ob es dir gut geht. Ich meine, ob es dir hilft. Zeit zum Nachdenken zu haben. Wie du gesagt hast.«
Woran liegt es, dass vermeintlich intelligente Menschen wie Idioten zu quatschen beginnen, wenn sie in so ein Gerät sprechen? Da ist ein klebriger brauner Fleck auf der Arbeitsplatte, den ich, soweit ich mich erinnere, gestern noch nicht gesehen habe. Ich kratze mit dem Daumennagel daran.
»Grüß deine Schwester von mir.« Pause. »Das war’s schon. Hör mal, ruf mich an, okay?« Ich lausche der Stille. Ich weiß, dass es unmöglich ist, aber ich hoffe dennoch, dass sie mir zuhört. Dass sie antwortet. »Du fehlst mir.«
Ich liebe dich.
Das hätte ich sagen sollen, habe ich aber nicht. Ich gebe mir Mühe, nicht darüber nachzudenken, wie lange es her ist, dass sie mit mir gesprochen hat. Eine Woche? Länger. Ich glaube, es war gleich nach dem zweiten Weihnachtstag. Ich hoffte immer noch, dass sich Neujahr alles ändern würde. Dass wir die ganze Sache hinter uns lassen könnten, als würde eine rein willkürliche Datumsfestlegung den geringsten Einfluss darauf haben, wie sie sich fühlt. Wie ich mich fühle.
Das Wasser im Kessel kocht, und ich stöbere im Schrank nach Kaffee, finde aber nur noch das Glas mit dem billigen Pulverkaffee, den Alex für Klempner und Inneneinrichter bereithält. Die Schickimicki-Kaffeekapseln sind schon vor Tagen ausgegangen. Alex hatte die modische Kaffeemaschine unbedingt gewollt. Der billige Instantkaffee hat es jedoch in sich, und ich habe mir gerade eine zweite Tasse eingeschenkt, als das Telefon klingelt.
»Alex?«
»Nein, Boss. Ich bin’s, Gislingham.«
Ich spüre, dass ich rot werde. Habe ich in seinen Ohren auch so verzweifelt geklungen, wie es mir vorgekommen ist? »Was gibt’s, Gis?«
»Tschuldigung, dass ich so früh anrufe, Boss. Ich bin in der Southey Road. Hier hat es letzte Nacht gebrannt. Sie haben immer noch Mühe, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen.«
»Opfer?«
Ich kenne die Antwort, bevor ich frage. Sonst hätte Gis mich bestimmt nicht um Viertel vor sechs angerufen.
Ich höre, dass er Luft holt. »Bisher nur eins, Boss. Kleines Bürschchen. Da ist auch noch ein älterer Junge, aber den haben sie rechtzeitig rausgeholt. Er lebt – gerade noch. Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht.«
»Keine Spur von den Eltern?«
»Bis jetzt nicht.«
»Mist.«
»Ich weiß. Wir versuchen, nichts zur Presse durchsickern zu lassen, aber es ist nur eine Frage der Zeit. Tut mir leid, Sie aus dem Bett geholt zu haben und so, aber ich hab gedacht, Sie sollten doch lieber herkommen …«
»Ich war schon wach. Und bin jetzt auf dem Weg.«
* * *
In der Southey Road schiebt Gislingham sein Handy in die Tasche zurück. Er war sich unschlüssig gewesen, ob er anrufen sollte. Obwohl er es niemals laut gesagt hätte und sogar ein schlechtes Gewissen hatte, so etwas überhaupt zu denken, hat er bemerkt, dass Fawley in letzter Zeit nicht ganz er selbst ist. Nicht nur ist er besonders reizbar, sondern auch fahrig und zerstreut. Er war nicht auf der Weihnachtsfeier des Reviers, aber da er immer betont, wie sehr er Weihnachten hasst, hat das wohl nichts zu bedeuten. Allerdings hat seine Frau ihn angeblich verlassen, und so, wie seine Hemden aussehen, könnte an dem Gerücht etwas dran sein. Gislinghams eigenes Hemd sieht ebenso wenig polizeikonform aus, aber das ist nicht ungewöhnlich, denn er bügelt selbst und hat die Kragen noch nie gut hinbekommen.
Er dreht sich um und geht zur Auffahrt zurück. Die Flammen sind fast erloschen, aber die Feuerwehrleute mit den Atemschutzmasken schicken immer noch Wasser in hohem Bogen in die Fenster und treiben dadurch dichte Rauchschwaden in den dunklen Himmel. Die Luft ist rußgeschwängert, und es riecht nach verbranntem Kunststoff.
Der Einsatzleiter kommt auf ihn zu. Unter seinen Stiefeln knirscht der Kies. »Unter uns, es handelt sich wohl um Brandstiftung. Aber es dürfte noch eine Weile dauern, ehe das Ermittlungsteam reingehen kann. Sieht so aus, als wäre das Feuer im Wohnzimmer ausgebrochen, aber das Dach darüber ist komplett eingestürzt, also zitieren Sie mich bitte nicht.«
»Könnte es sein, dass wir auf weitere Leichen stoßen?«
»Möglich, aber auf der einen Hälfte des Hauses liegt der Schutt von drei Stockwerken. Gott weiß, wie lange sie brauchen, um sich vorzuarbeiten.« Er nimmt den Helm ab und reibt sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Haben Sie gehört, wie es dem Jungen geht?«
»Noch nicht. Einer meiner Kollegen ist im Rettungswagen mitgefahren. Ich informiere Sie, sobald ich etwas erfahre.«
Der Feuerwehrmann blickt skeptisch. Er weiß um die Chancen, denn er ist schon lange dabei. Er trinkt einen Schluck Wasser. »Wo ist denn Quinn – im Urlaub?«
Gislingham schüttelt den Kopf. »Das hier ist mein Fall. Ich bin der leitende DS.«
Der Officer zieht eine Augenbraue in die Höhe. »Ich hab gehört, dass Quinn Scheiße gebaut hat. Wusste aber nicht, dass es so schlimm war.«
Gislingham zuckt die Achseln. »Dazu kann ich nichts sagen.«
Der Feuerwehrmann beobachtet ihn einen Augenblick lang im pulsierenden grellblauen Licht. »Muss man sich erst dran gewöhnen, stimmt’s?«, sagt er schließlich. »Das Sagen zu haben.« Dann wirft er die Wasserflasche weg und macht sich auf den Weg zum Löschfahrzeug. Im Vorübergehen tippt er Gislingham auf den Arm. »Halten Sie sich ran, Mann. Man muss die Chancen nutzen, die das Leben bietet. Das nimmt einem niemand ab.«
So ungefähr drückte sich auch Gislinghams Frau aus, als er es ihr erzählte. Hinzu kam, dass Quinn sich diesen Schlamassel selbst eingebrockt hatte, und das Extrageld konnten sie gut gebrauchen, denn Billy wurde ja auch älter. Und schuldete er Quinn etwa irgendwas? Eine Frage, die er (klugerweise) als rhetorisch eingestuft hatte.
Er sieht sich kurz um und begibt sich dann zu dem uniformierten Kollegen am Absperrband. An der Straße stehen Schaulustige, aber wegen der Uhrzeit und der Kälte sind es nur wenige. Gislingham erkennt jedoch einen Journalisten von der Oxford Mail, der seit zehn Minuten vergeblich versucht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Er wendet sich an den Constable. »Werden die Anwohner schon befragt?«
»Sind gerade dabei, Sarge. Haben drei Leute aufgetrieben, Das ist nicht viel, aber …«
»Ja, ich weiß. Alle haben Urlaub.«
Ein Wagen fährt vor, und jemand steigt aus. Schneidig, amtlich, mit gezücktem Dienstausweis. Gislingham holt tief Luft. Es ist Quinns Wagen.
* * *
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Oxford Mail online
Donnerstag, 4. Januar 2018, letzte Aktualisierung 8:18 Uhr
Todesopfer bei Wohnhausbrand in Oxford
Ein dreijähriger Junge kam ums Leben, als heute in den frühen Morgenstunden in der Southey Road in einem Haus mit sieben Schlafzimmern aus der Zeit Eduards VII ein Feuer wütete. Die Brandursache ist noch ungeklärt, aber Oxfords Fire and Rescue Service arbeitet eng mit einem Kriminaltechnikteam der Polizei zusammen, um festzustellen, wo genau das Feuer ausbrach. Ein zweites Brandopfer, von den Nachbarn als älterer Bruder des Kleinkinds identifiziert, wurde schnellstmöglich ins John Radcliffe Hospital gebracht. Der Junge hat offenbar eine Rauchvergiftung erlitten.
Der Rettungsdienst wurde kurz nach 00:40 Uhr zum Haus gerufen, als ein Nachbar Flammen aus einem Erdgeschossfenster schlagen sah. Patrick Moreton, Leiter der Feuerwache in der Rewley Road, gab an, das Feuer habe bereits weit um sich gegriffen, als seine Leute am Schauplatz eintrafen, und es habe über vier Stunden gedauert, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Er sagte, es sei viel zu früh, um davon auszugehen, dass schnell brennbarer Weihnachtsschmuck mitverantwortlich für das Feuer gewesen sein könnte, fügte aber hinzu: »Das ruft uns ins Gedächtnis, wie wichtig es ist, angemessene Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, wenn wir unser Haus mit Kerzen und leicht entzündlichem Material wie Lametta schmücken. Zudem sollten wir nicht vergessen, mindestens einmal die Woche unsere Rauchmelder zu überprüfen.«
Zu der Frage, ob die beiden Kinder allein zu Hause waren, wollte sich die Thames Valley Police nicht äußern.
65 Kommentare
Janeelliottcornwallis
Ist mir etwas entgangen, oder war tatsächlich kein Elternteil im Haus? Man hat die beiden Kinder alleingelassen – in dem Alter? Da fehlen mir die Worte, das muss ich schon sagen.
111chris-the-bliss
Waren wahrscheinlich unterwegs, um sich irgendwo zu besaufen. So sind sie eben, die feinen Leute, denken nur an sich.
ernest-payne-gardener22
Ich bin vor einer Stunde an dem Haus vorbeigegangen – eine Hälfte ist in sich zusammengefallen. Dort könnten noch weitere Leichen zu finden sein. Lassen wir der Polizei Zeit, ihre Arbeit zu machen.
Josephyosef88188
Ich wünschte mir, dass mehr Menschen sich klarmachen würden, wie leicht entflammbar und gefährlich Weihnachtsschmuck ist. Ich war dreißig Jahre lang bei der Feuerwehr und habe viel Entsetzliches zu sehen bekommen.
* * *
Erst, als ich links blinke, um in die Banbury Road einzubiegen, wird mir bewusst, wo genau sich die Southey Road befindet: drei Abzweigungen nördlich der Frampton Road. Diese Straße werde ich wohl immer mit William Harper verbinden – und dem, was wir in seinem Keller fanden. In den Zeitungen hieß er nur »Oxford Fritzl«. Zumindest anfangs. Acht Monate ist es inzwischen her, aber bis in den Dezember hinein hatte ich Gerichtstermine, und die Akte liegt noch auf meinem Schreibtisch, wo sie darauf wartet, ins Archiv gebracht zu werden. Keiner von uns wird den Fall so schnell vergessen, Quinn am allerwenigsten. Damals noch Detective Sergeant Quinn, jetzt Detective Constable Quinn. Sein neuer schwarzer Audi fällt mir als Erstes ins Auge, als ich das Ziel erreicht habe und den Motor abstelle. Er war schon immer ein ziemlicher Angeber, wenn es um fahrbare Untersätze ging. Ich wüsste nicht zu sagen, was Gislingham fährt, dabei muss ich seine Karre schon mindestens tausendmal gesehen haben.
An der Brandstätte mag man das Feuer unter Kontrolle haben, aber es geht trotzdem zu wie auf der Kirmes: zwei Löschfahrzeuge und drei Polizeiwagen, Neugierige in parkenden Wagen, Leute, die mit ihren Handys Fotos machen. Nur gut, dass man den Wagen des Bestatters außer Sichtweite geparkt hat.
Quinn und Gislingham stehen oben am Haus und drehen sich zu mir um, als ich ihnen entgegengehe. Quinn stampft wegen der Kälte mit den Füßen auf, aber davon abgesehen ist seine Körpersprache, gelinde gesagt, unbeholfen. Die Degradierung zum DC liegt ihm schwer im Magen. Natürlich versucht er, den Schwanz nicht einzuziehen, aber gerade dieser Teil seiner Anatomie hat ihm den Ärger überhaupt eingebrockt. Ich merke, wie gerne er wieder die erste Geige spielen würde, aber Gislingham verdient die Chance, zu beweisen, dass er dieser Sache gewachsen ist. Vielleicht etwas zu demonstrativ wende ich mich an ihn.
»Was Neues, Sergeant?«
Gislingham zuckt leicht zusammen und schnappt sich sein Notizbuch. Ich kann kaum glauben, dass er es tatsächlich braucht. Seine Hände zittern fast unmerklich. Ich vermute, das ist auch Quinn aufgefallen.
»Das Haus gehört einer Familie namens Esmond, Sir. Michael Esmond, vierzig Jahre alt, Akademiker. Die Ehefrau heißt Samantha und ist dreiunddreißig. Sie haben zwei Kinder, Matty, zehn Jahre, und Zachary, drei Jahre.«
»Wie geht es ihm – dem älteren Jungen?«
»Steht auf der Kippe. Ist ziemlich übel dran.«
»Und immer noch keine Spur von den Eltern?«
Gislingham verzieht das Gesicht. »Das Elternschlafzimmer befindet sich da drüben«, sagt er und weist auf die linke Seite des Hauses. »Ist ziemlich intakt geblieben, aber es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass sich dort jemand aufgehalten hat. Die Jungs von der Feuerwehr sagen, in dem Bett hat keiner geschlafen. Also hab ich die Familie gegoogelt, und dabei ist das hier herausgekommen.«
Er gibt mir sein Telefon. Auf der Website des King’s College London wird für eine Tagung zur Ethnosoziologie geworben, die momentan in London stattfindet: »Zu den Rednern zählt Michael Esmond: Tod durch Feuer und Wasser – Opferrituale im Voodoo Lateinamerikas.« Hat nicht mal jemand behauptet, der Zufall sei Gottes Methode, anonym zu bleiben? Sollte das wirklich so sein, kann ich nur sagen, dass er manchmal einen ziemlich schlechten Geschmack beweist.
Ich gebe Gis das Telefon zurück. »Rufen Sie da an und lassen Sie sich bestätigen, dass er wirklich aufgetaucht ist. Zumindest hätten wir dann eine Leiche weniger zu suchen.«
»Und können uns die Grillsoße sparen, oder?«, sagt Quinn.
Ich werfe ihm einen Blick zu, der das Grinsen aus seinem Gesicht wischt, und wende mich wieder Gislingham zu.
»Wie lautet der Plan?«
Er blinzelt ein paarmal. »Michael und Samantha Esmond erreichen und feststellen, wo sie sich zur Zeit des Unglücks aufgehalten haben. Eine erste Befragung durchführen, denn vielleicht hat ja einer der Nachbarn etwas gesehen. Mit Boddie über die Obduktion reden. Verwandte identifizieren und informieren. Mit den Jungs von der Brandursachenermittlung zusammenarbeiten.« Er deutet über die Auffahrt hinweg »Und natürlich den Wagen ausfindig machen.«
Quinn wendet sich ihm zu. »Welchen Wagen?«
Gislingham zieht die Augenbrauen hoch. »Auf dem Kies sind Reifenabdrücke zu erkennen. Die Esmonds haben garantiert ein Auto. Aber wo ist es? Niemand wäre so verrückt, von hier nach London den Wagen zu nehmen. Wenn wir also das Auto finden, haben wir auch die Ehefrau, nehme ich an.«
Keine Frage, wessen Aktie gerade im Kurs gestiegen ist.
Ich nicke. »Gute Arbeit, Sergeant. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Ich wende mich wieder Quinn zu. Er ist ein paar Schritte zurückgetreten, wohl nach dem Motto: Wenn du sie nicht schlagen kannst, mach dich davon. Das Haus ist nicht nach meinem Geschmack, aber für jemandem, dem so etwas gefällt, ist es wahrscheinlich eine begehrenswerte Immobilie. Oder war es zumindest. Jetzt strömt Schmutzwasser an der Fassade hinunter, und im Erdgeschoss sind sämtliche Fensterscheiben geplatzt. Es ist ein freistehendes Gebäude mit einer Doppelfront, aber die rechte Seite ist nur wenig mehr als eine leere Hülle. Der Giebel hält sich noch, mehr schlecht als recht, und dahinter ist nicht viel übrig, nichts als geschwärzte Wände, ein Haufen Ziegelsteine, dazu Dachbalken und Glasscherben. Das restliche Mauerwerk trägt Steinputz, und es gibt Holzelemente im Tudor-Stil, die wohl mal weiß waren, jetzt jedoch verkohlt und rußverschmiert sind. Über einem der Fenster ist mit viel Mühe die Zahl »1909« zu lesen. Und an einem Stück Fensterglas haftet noch ein Arsenal-Aufkleber.
»Was denken Sie?«, frage ich Quinn.
Der erschrickt. »Ach, nur das Naheliegende, Boss. Wie sich ein Akademiker so was Großes hier in der Gegend leisten kann. Was schätzen Sie – fünf Millionen?«
Mehr, wenn man mich fragt. Hier teilt man die Häuser in die Kategorien »Groß«, »Klein«, »Groß-klein« und »Klein-groß« ein. Das hier dürfte unter »Groß« fallen. »Groß-groß«.
»Könnte Geld in der Familie gewesen sein«, sage ich. »Sollte man mal überprüfen.«
»Warum machst du das nicht, Quinn?«, sagt Gislingham.
Quinn zuckt die Achseln. »Okay.«
Und als ich weggehe, höre ich Gislingham murmeln: »Okay, Sarge.«
* * *
Um fünf nach sieben steht DC Erica Somer vor ihrem Kleiderschrank und überlegt, was sie anziehen soll. Sie ist erst seit drei Monaten bei der Kriminalpolizei, und die richtige Kleidungswahl ist ein Problem, das von Tag zu Tag lästiger wird. Ihre Uniform hat sie zwar nie gemocht, aber die hatte ihre Vorteile: Der nächstliegende war natürlich die Einheitlichkeit. Doch jetzt ist sie »in Zivil« und soll plötzlich alles sein, nur nicht einheitlich. Wie, fragt sie sich beim Blick auf die Kleiderbügel zum x-ten Mal, schafft man es, seriös auszusehen und dabei nicht altbacken zu wirken? Professionell, aber dennoch nicht unnahbar? Ein Alptraum. Sie seufzt. In diesen Dingen, wie in so vielen anderen auch, haben die Kerle es leicht. Ein Anzug von der Stange und drei Krawatten sind ausreichend – Baxter ist dafür der lebende Beweis. Verity Everett hat mit der Auswahl Weiße-Bluse-Dunkler-Rock ihren eigenen Stil gefunden, der kaum je variiert. Marineblau an einem Tag, Schwarz am nächsten, Grau am dritten und dann wieder zu Marineblau zurück. Dazu flache Schuhe und im Winter Strickjacke. Da könnte man auch gleich wieder auf eine Uniform zurückgreifen und es dabei belassen. Und was ist mit der Frisur – wäre ein Pferdeschwanz zu gewagt? Ein Dutt zu lehrerinnenhaft?
Gerade hat sie den schwarzen Hosenanzug hervorgeholt, (zum dritten Mal in fünf Tagen – auch der könnte schnell zu einer Uniform werden, wenn sie nicht achtgab), als das Handy klingelt. Es ist Gislingham. Sie mag Gislingham. Weder dreist (wie Quinn) noch talentiert (wie Fawley), aber auf jeden Fall effizient. Methodisch. Jemand, der hart arbeitet und anständig ist – das auf jeden Fall. Sie wünscht ihm wirklich, dass er sich als Sergeant bewährt. Er hat es verdient.
»Was kann ich für Sie tun, Sarge?«
»Ich bin in der Southey Road.« Der Wind muss stärker geworden sein. Sturmböen zerfetzten seine Wörter. »Es hat ein Feuer gegeben. Ein Toter und ein Junge auf der Intensivstation im John Rad.«
Sie setzt sich aufs Bett. »Brandstiftung?«
»Wissen wir noch nicht. Sieht aber so aus.«
»Wie kann ich helfen?«
»Wegen der Weihnachtstage sind wir unterbesetzt – Baxter kümmert sich um die Befragung der Anwohner, aber wir haben nur drei Uniformierte.«
Somer weiß, wie das abläuft, und es ist ein Scheißjob, besonders bei diesem Wetter. Sie hofft inständig, dass er sie nicht bittet, einzuspringen. Und er muss das geahnt haben, denn er fügt eilig hinzu: »Aber deswegen rufe ich nicht an. Ich bin hier im Moment unabkömmlich, und Everett ist erst heute Nachmittag wieder da. Könnten Sie sich vielleicht um die Obduktion kümmern?«
Warum macht Quinn das nicht?, fragt sie sich. Sie hat ihre eigene Geschichte mit Quinn – eine unkluge, aber dankenswerterweise kurze Beziehung, von der leider zu viele Leute wissen, wie sie befürchtet. Insbesondere Fawley.
»Sicher. Kein Problem.«
»Hatten Sie es schon einmal mit einem Brandopfer zu tun?«
Sie zögert. »Nein, noch nicht.« Sie hat überhaupt erst eine Obduktion miterlebt, und dabei ging es um eine Messerstecherei. Aufreibend genug, aber im Vergleich wohl eher banal.
»Für alles gibt es ein erstes Mal«, sagt Gislingham. »Sie schaffen das.« Er zögert und fügt dann hinzu: »Nehmen Sie ein Pfefferminzbonbon mit.«
* * *
Befragung von Beverley Draper
21 Southey Road, Oxford,
4. Januar 2018, 8:45 Uhr
Anwesend: DC A. Baxter
AB: Soviel ich weiß, waren Sie die Erste, die 999 gewählt hat, Mrs. Draper?
BD: Ja, genau. Mein Sohn hat mich geweckt – er hatte einen Alptraum. Sein Zimmer liegt zur Straße. Ich hörte ein Geräusch – es klang wie eine Fensterscheibe, die zersplitterte. Ich dachte, es sei vielleicht ein Einbrecher, und zog deswegen die Vorhänge beiseite. Da sah ich die Flammen. Ich weiß noch, dass ich dachte, um so schlimm zu werden, muss es schon eine geraume Weile gebrannt haben, aber es stehen so viele Bäume dazwischen, dass man das Haus von der Straße aus kaum sehen kann. Ich nehme an, deshalb ist es niemandem aufgefallen.
AB: Und um 00:47 Uhr haben Sie den Rettungsdienst angerufen?
BD: Stimmt.
AB: Und Sie haben in der Nähe des Hauses niemanden gesehen – es ist auch niemand weggelaufen?
BD: Nein. Wie ich schon sagte, ich hatte geschlafen, bis Dylan mich weckte. Wissen Sie, wie es ihnen geht – der Familie?
AB: Im Moment sind wir nicht befugt, irgendwelche Auskünfte zu geben.
BD: Ich habe gesehen, wie man Matty im Krankenwagen weggebracht hat, aber im Internet heißt es, dass Michael und Samantha vermisst werden. Das kann doch nicht stimmen, oder? Ich meine …
AB: Wie ich schon sagte, werden wir zu gegebener Zeit eine offizielle Erklärung abgeben. Würden Sie mir sagen, was Sie über die Familie wissen? Über Weihnachten und Neujahr waren sie hier? Nicht auf Verwandtenbesuch oder im Skiurlaub?
BD: Ich glaube nicht, dass sie Ski laufen. Und ja, sie waren hier. In der Schule wurden am Tag vor Heiligabend Weihnachtslieder gesungen, und da haben sie alle mitgemacht.
AB: Hatten sie irgendwelchen Besuch? Wissen Sie, ob gestern Abend sonst noch jemand im Haus war?
BD: Na ja, ich bin nicht sicher …
AB: Wir müssen nur genau wissen, wer sonst noch dagewesen sein könnte. Verwandte? Freunde? Lassen Sie sich Zeit.
BD: [Pause]. Also, besonders gesellig sind sie nicht, muss ich sagen. Als wir hier einzogen, wollten wir sie einladen, wie das so üblich ist, und Samantha sagte, sie würde mir ein paar Termine vorschlagen, aber daraus wurde nie etwas. Letzten Sommer haben wir eine Gartenparty gegeben, da kamen sie tatsächlich, doch ich hatte den Eindruck, sie wollten nur den Schein wahren. Sie blieben nicht lange.
AB: Was ist mit der Familie?
BD: Michaels Vater ist tot, soweit ich weiß, und ich glaube, seine Mutter lebt in einem Heim, irgendwo draußen in der Nähe von Wantage. Samantha hat ihre Familie nie erwähnt, nicht, dass ich es mitbekommen hätte.
AB: Wir nehmen auch an, dass die Familie ein Auto besitzt, aber es befand sich nicht am Haus.
BD: Aber ja, das haben sie auf jeden Fall. Einen Volvo-Kombi. Ziemlich alt, weiß. Aber ich weiß nicht, warum er nicht in der Auffahrt steht. Das tut er sonst immer.
AB: Sie wissen nicht, wo Samantha sein könnte?
BD: Sie wird also tatsächlich vermisst …
AB: Wie ich schon erwähnte: Wir dürfen dazu nichts sagen …
BN: Keine Sorge, ich verstehe schon. Aber nein. Ich habe keine Ahnung.
AB: Und Ihnen fällt auch niemand sonst ein, mit dem wir Kontakt aufnehmen sollten?
BD: Tut mir leid. So eng war unser Nachbarschaftsverhältnis einfach nicht.
* * *
In der Leichenhalle ist es noch kälter als draußen. Somer trägt zwei Pullover unter ihrem Kittel. Es war Everett gewesen, die ihr zu einer zusätzlichen Kleidungsschicht geraten hatte (»Wenn deine Zähne anfangen zu klappern, dann ist es zu spät – das lässt sich nicht wieder abstellen.«). Die Leiche liegt auf einer Metallbahre. Der kleine Junge. Zachary. Ihr wird sofort bewusst, dass man alles nur noch viel schlimmer macht, wenn man sich an die Namen erinnert. Fetzen einer blauen Decke kleben noch an seiner Haut, und darunter ist alles grauenvoll verbrannt. Die Leiche ist entsetzlich zugerichtet, entstellt von gelben Flecken und roten Blasen, stellenweise versengt und in Klumpen rußig verkohlt. Sein Kopf ist abgewendet, die zarten Babylocken sind weggebrannt, die Lippen eingeschrumpft und wächsern. Sie holt tief Luft, und beim Ausatmen klingt es fast wie ein Schluchzen. Einer der Assistenten wirft ihr einen Blick zu.
»Ich kenne das. Alles ist doppelt so grausam, wenn da ein Kind liegt.«
Somer nickt, traut sich nicht zu sprechen. Im Moment kreisen ihre Gedanken ohnehin nur um den Geruch. Sie kennt diese hyperrealistisch nachgestellten Obduktionen, die sie im Fernsehen zeigen, aber auf eines war sie nicht gefasst gewesen: den Gestank. Sogar hinter ihrer Maske gleicht der Geruch dem eines Spanferkels. Im Stillen bedankt sie sich bei Gislingham für den Tipp mit dem Pfefferminzbonbon, schluckt und bemüht sich, nicht die Fassung zu verlieren.
»Zuallererst«, sagt Boddie, »werden wir feststellen müssen, ob das Opfer vor Ausbruch des Feuers noch gelebt hat oder nicht. Da keine auffälligen äußerlichen Verletzungen festzustellen sind, werde ich zunächst die Luftröhre und die inneren Atemwege daraufhin untersuchen, ob Rauch eingeatmet wurde.«
Er nimmt ein Skalpell zur Hand und sieht sie an. »Also, wollen wir anfangen?«
* * *
Gislingham hält sich immer noch in der Southey Road auf. Die niedrige Wintersonne lässt die Trümmer des Hauses in einem intensiven rosa Schimmer erglühen. Die Luft ist frostig, aber trotz der Kälte ist die Menschenmenge auf der Straße größer geworden. Zwanzig Personen mögen es vielleicht sein, mit Schals und Handschuhen und in dicken Mänteln. Sie atmen in fröstelnden Stößen. Aber sie werden wahrscheinlich nicht lange bleiben – es ist nicht mehr viel zu sehen. Eines der Löschfahrzeuge ist weggefahren, die Feuerwehrleute, die geblieben sind, löschen die restlichen Brandstellen ab und laden ihre Ausrüstung wieder auf den Wagen. Drinnen sieht die Sache anders aus. Neben drei Mitgliedern von Alan Challows Forensikteam befinden sich dort noch zwei Brandermittler. Einer davon bedient eine Videokamera, der andere hält sich in dem ausgebrannten Frühstücksraum auf, zusammen mit Gislingham und Challow. Der schwere Tisch und die Stühle aus Holz schwelen noch immer. Rußflocken steigen auf. Wasser tropft von der Decke, und sie können zwischen den Balken hindurch ins obere Zimmer blicken. Pu-der-Bär-Tapeten und das Skelett eines Baby-Mobiles. Gislingham versucht, nicht hinzuschauen.
»Wir müssen noch allerhand Untersuchungen anstellen, bevor wir sicher sein können«, sagt der Brandermittler, »aber wie ich schon sagte, setze ich darauf, dass das Feuer im Wohnzimmer ausgebrochen ist. Dafür spricht auch die Verzögerung des Notrufs. Von hinten kann niemand das Grundstück einsehen, und soweit wir wissen, sind die Nachbarn zur Linken und Rechten verreist.«
»Und es handelt sich definitiv um Brandstiftung?«
Der Brandermittler nickt. »Angesichts der Geschwindigkeit und Verbreitung muss ein Brandbeschleuniger zur Anwendung gekommen sein, zweifellos unterstützt von dem verdammten Weihnachtsbaum. Der dürfte abgegangen sein wie Silvesterfeuerwerk. Muss bereits knochentrocken gewesen sein, ein Stapel Anzündhölzer hätte nicht besser funktionieren können. Danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es Wuusch! machte und alles in Flammen stand.«
»Wie lange könnte das gedauert haben?«, fragt Gislingham, der sich hektisch Notizen macht.
Der Brandermittler richtet sich auf. »Bis zum Zeitpunkt des Feuersprungs? Drei Minuten, vielleicht sogar weniger.« Er gestikuliert in Richtung Treppe. »So verkohlt wie die ist, schätze ich, dass man auch eine Art Girlande am Treppengeländer befestigt hatte. Eine bessere Lunte hätte man kaum finden können. Schlechtes Timing. Morgen hätten sie das alles bestimmt weggeräumt.«
Gislingham sieht ihn fragend an, aber dann: »Oh, natürlich, die zwölfte Nacht nach Weihnachten. Mist – das hatte ich ganz vergessen.«
Sein eigenes Haus ist geschmückt wie ein Kaufhaus in der Vorweihnachtszeit – Janet wollte Billy zu seinem ersten Weihnachtsfest daheim eine besondere Freude machen. Gislingham wird die ganze Nacht brauchen.
* * *
Verity Everett legt ihr Telefon zur Seite und macht es sich auf dem Stuhl bequem. Sie hatte fast erwartet, ein nahezu leeres Büro und klägliche Überbleibsel der Weihnachtspralinen vorzufinden. Aber nur fast: In diesem Job musste man immer damit rechnen, überrumpelt zu werden. Und um ehrlich zu sein: Nach mehreren Tagen am Stück mit ihrem Dad ist sie erleichtert, wieder arbeiten zu dürfen. Ihre Wohnung ist einfach nicht groß genug für Vater und Tochter. Besonders dann nicht, wenn der Vater sich darin aufführt wie in einem Hotel, seine leeren Tassen dort stehen lässt, wo er gesessen hat, und nicht ein einziges Mal sein Bett macht (ihr Bett im Übrigen, denn sie muss sich mit dem Futon begnügen, was erwartungsgemäß dazu geführt hat, dass sie von Rückenschmerzen geplagt wird und ihre Katze schmollt). Aber ihr Vater fährt morgen nach Hause, und sie ist heute endlich wieder dort, wo sie hingehört: bei der Arbeit. Sie lässt den Blick wandern, sucht Gislingham, doch der ist anscheinend noch nicht aus der Southey Road zurück. Und so sehr sie es hasst, über seinen Kopf hinweg zu handeln – das hier duldet keinen Aufschub.
Kurze Zeit später klopft sie an Fawleys Tür. Er telefoniert, bedeutet ihr aber, näherzukommen. Sie bleibt einen Moment stehen und bemüht sich demonstrativ, nicht mitzuhören, was er sagt, doch erfreulicherweise scheint es kein Privatgespräch zu sein. Auf keinen Fall spricht er mit seiner Frau, denn wenn er das tut, schließt er neuerdings die Tür. Sie betrachtet ihn von der Seite. Aus der Entfernung sieht er ganz okay aus, aber wenn man ihn gut genug kennt, entdeckt man die Anzeichen. Und das tut sie. Sie kennt ihn.
Er legt das Telefon beiseite und sie wendet sich ihm zu.
»Sie haben etwas, Ev?«
»Ja, Sir. Ich habe mit den Tagungsveranstaltern des King’s gesprochen. Michael Esmond hat sich am Dienstagnachmittag bei ihnen angemeldet und war beim Abendessen dabei. Und gestern Morgen nahm er an der einen oder anderen Diskussionsrunde teil.«
»Und danach?«
»Die Veranstalterin hat gesagt, sie habe ihn spätabends im Pub gesehen. Gegen halb elf.«
»Also ist er auf jeden Fall in London.«
»Ja, Sir. Aber er hat sich seine Unterkunft selbst gesucht, so dass man nicht weiß, wo er sich aufhält.«
»Handy?«
»Man hat mir die Nummer gegeben, aber es ist nur die Mailbox zu erreichen. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, dass er uns anrufen soll.«
»Wann wird er seinen Vortrag halten?«
Das muss sie ihm lassen: Er verliert nie das Wesentliche aus den Augen. »Morgen Nachmittag, Sir. Um vier.«
Fawley nickt bedächtig. »Okay, halten Sie mich auf dem Laufenden. Und wenn Esmond anruft, will ich als erster informiert werden.«
* * *
Erst nach fünf Stunden ist die Obduktion beendet, und am Ende beschließt Boddie, dass er sich ein verspätetes Mittagessen mehr als verdient hat.
»Wollen Sie mitkommen?«, fragt er Somer, als sie die Kittel ausziehen. »Wir gehen ins Frankie’s auf der anderen Straßenseite.«
Nachdem er gegangen ist, wendet sich einer der Assistenten ihr zu und lächelt unbeholfen. »Vielleicht möchten Sie die Einladung lieber ausschlagen. Es ist Boddies Tradition. Wenn es um Brandopfer geht, bestellt er für uns alle gegrillte Rippchen.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein – selbst wenn es um ein Kind geht?«
»Ich weiß. Klingt gefühllos, oder? Aber das ist eben seine Art, mit dem Horror fertigzuwerden.«
* * *
Um fünfzehn Uhr haben wir unsere erste Teambesprechung. Somer ist gerade erst aus der Leichenhalle zurück. Sie wirkt noch ein wenig blass, und ich sehe, wie sie mit einer Grimasse reagiert, als Everett ihr eine leise Frage stellt. Quinn sitzt in der ersten Reihe. Er hält sein Tablet in der Hand und hat einen Stift hinters Ohr geklemmt (das ergibt zwar keinen Sinn, aber so ist er eben). Baxter befestigt Bilder am Whiteboard. Das Felix House, vor und nach dem Feuer, Ersteres bestimmt bei Google Earth gefunden. Diverse Aufnahmen der Brandschäden im Inneren: das Esszimmer, das Treppenhaus, einige der Schlafzimmer, was von den Möbeln übrig ist, die zumeist klobig und altmodisch sind. Ein Grundriss aller drei Stockwerke mit Markierungen, wo sich Matty und Zachary befanden. Fotos von Michael und Samantha Esmond. Vermutlich von der Führerscheinstelle. Esmond hat eine aufrechte Haltung, einen wachen Blick, dunkles Haar, blasse Haut. Seine Frau wirkt weniger kontrastreich: dunkelblondes Haar, rosa Wangen, helle Augen, wahrscheinlich haselnussbraun. Dann sind da die Bilder der Kinder, anscheinend aus dem abgebrannten Haus geborgen: Matty in einem Arsenal-Trikot, einen Ball unter dem Arm, die Brille leicht schief auf der Nase. Der Knirps auf dem Schoß seiner Mutter, ein verschmitztes Grinsen und ein Schopf aus widerspenstigen bronzefarbenen Locken, die abzuschneiden sie wahrscheinlich noch nicht über sich gebracht hatte. Und neben dem lebenden Kind das tote. Mir geht durch den Kopf, und das nicht zum ersten Mal, wie zerstörerisch sich Feuer auf Menschenfleisch auswirkt. Daran gewöhnt man sich nie, glauben Sie mir, selbst wenn man es so oft gesehen hat wie ich. Und tut man es irgendwann doch, ist es an der Zeit, den Dienst zu quittieren.
Gislingham kommt herüber. »Wollen Sie, Sir?«, flüstert er.
Mir ist aufgefallen, dass es inzwischen nicht mehr »Boss« heißt, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Immer »Sir«. Wenn man von einem Rubikon sprechen möchte, so ist es zwar nur ein kleiner, aber dennoch einer von Bedeutung.
Ich werfe mein Jackett über die Rückenlehne eines Stuhls. »Nein, machen Sie nur. Ich mische mich nur ein, wenn es sein muss.«
Noch ein Rubikon. Und noch dazu einer von größerer Auswirkung, denn das Team wird es augenblicklich registrieren. Gislingham nickt. »Gerne, Sir.«
Er geht zur Stirnseite des Raums und wendet sich den Kollegen zu. »Okay, Leute, fangen wir an.«
Jeder Einzelne im Raum weiß, dass dies der erste Fall ist, den Gislingham bearbeitet, seit er zum leitenden DS befördert wurde. Ein paar Jahre zuvor, als Quinn in derselben Situation war, reagierten sie leicht hämisch, wenngleich nicht wirklich feindselig, aber auch nicht bereit, sich für ihn ein Bein auszureißen. Und jederzeit willens, ihn zu verarschen, wenn sich die Gelegenheit bot (was bei Quinn fast immer der Fall ist). Aber diesmal ist es anders. Sie mögen Gislingham und wollen, dass er seinen Job gut macht. Sie werden nicht zulassen, dass er es vermasselt – nicht, wenn sie es verhindern können.
Gislingham räuspert sich: »Okay, ich fasse kurz zusammen, wo wir in Bezug auf das Feuer in der Southey Road stehen, und dann übergebe ich das Wort an Paul Rigby, Watch Manager an der Feuerwache Rewley Road und der für diesen Fall zuständige Brandermittler.«
Er nickt einem Mann zu, der an der Tür steht. Groß, schütter werdendes Haar, glatt rasiert. Ich habe ihn ganz bestimmt schon einmal gesehen.
»Also«, sagt Gislingham und wendet sich wieder dem Whiteboard zu. »Dies hier ist das Haus in der Southey Road, Nummer 23. Heim der Familie Esmond, bestehend aus Michael Esmond, seiner Frau Samantha und ihren Kindern, dem dreijährigen Zachary, und Matty, der in vier Tagen elf wird.« Er hält inne, atmet tief durch und fährt fort. »Und für alle, die noch nicht auf dem neuesten Stand sind: Matty liegt noch immer auf der Intensivstation. Das John Rad hat zu verstehen gegeben, dass die Prognose nicht besonders gut ist. Man wird uns umgehend verständigen, wenn sich sein Zustand ändert.«
Er wendet sich wieder dem Whiteboard zu und tippt auf die Fotos der Eltern. »Noch immer keine Spur von Michael oder Samantha Esmond. Er soll sich gegenwärtig auf einer Tagung in London aufhalten …«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es noch nicht in den Nachrichten gesehen hat«, sagt einer der DCs. »Das läuft doch auf jedem Dreckssender.«
»Geht mir genauso«, stimmt Gis zu. »Aber bis wir ihn finden, ist alles nur Spekulation. Dasselbe gilt auch für Samantha.«
Der DC ist jedoch noch nicht fertig. »Glauben Sie wirklich, sie könnten so kleine Jungen sich selbst überlassen haben?«
Gislingham zuckt die Achseln. »Na ja, im Moment haben wir keine Ahnung, was sich gestern Abend in dem Haus abgespielt haben mag. Der Familie könnte etwas zugestoßen sein, von dem wir keine Ahnung haben. Und das ist ein Grund, warum wir nächste Verwandte aufspüren müssen. Irgendwelche Fortschritte, was das betrifft, Baxter?« Dessen Gesicht rötet sich bei dieser ersten, höchst öffentlichen Übernahme der Zuständigkeit ein wenig, aber er kommt damit gut klar. Wie mit den meisten Dingen.
»Bisher noch nicht, Sarge«, sagt er. »Samantha war Einzelkind, es gibt also weder Brüder noch Schwestern. Die Eltern leben in Cumbria, aber wir haben noch nicht mit ihnen sprechen können. Michaels Mutter wohnt in einem Heim in Wantage. Alzheimer, wie die Heimleiterin sagt. Wir sollten trotzdem mit ihr reden, aber ich möchte bezweifeln, dass dabei viel herauskommt.«
»Stimmt«, sagt Gislingham und spricht Somer an. »Und die Obduktion des kleinen Jungen – Zachary?«
Somer hebt den Blick. »Eines war auffällig: Boddie zeigte sich überrascht, wie wenig Ruß er in seinen Lungen fand. Aber anscheinend kann ein so kleines Kind viel schneller ersticken als ein Erwachsener. Besonders, wenn es Asthma oder auch nur eine Erkältung hat. Boddie lässt sein Blut untersuchen, um sicherzugehen.«
Es folgt Schweigen. Eine Hälfte von uns malt sich aus, dass es sehr schnell gegangen sein muss, die andere weiß, dass Schmerzen wie diese nicht in Sekunden zu messen sind. Und so grausam es auch klingen mag – ich möchte, dass sie darüber nachdenken. Ich will, dass sie sich hineinsteigern, dass sie wütend werden und mitleidlos. Ich will, dass sie ihre gesamte Energie darauf richten, die Wahrheit herauszufinden. Festzustellen, wie so etwas Entsetzliches geschehen konnte.
»Okay«, sagt Gislingham und sieht sich um. »Ich übergebe jetzt das Wort an Paul, und danach teilen wir die Arbeit für die nächsten Tage auf.«
Er tritt zur Seite. Paul Rigby bewegt sich eilig zum Whiteboard. Er ist ohne Frage ein erfahrener Redner und führt kurz und knapp aus, was sie wissen, was sie vermuten und was sie daraus ableiten können.
»Schlussendlich«, sagt er, »wie ich dem Sergeant bereits mitgeteilt habe, gehen wir von der Arbeitshypothese aus, dass man das Feuer absichtlich gelegt hat.«
Ich bemerke, dass Quinns Kopf zuckt, als das Wort »Sergeant« fällt. Er kaschiert es schnell mit einem Hüsteln. Aber Gislingham hat es auch gesehen.
»Besteht denn nicht die Möglichkeit, dass es ein Unfall war?«, fragt Everett eher verzweifelt als hoffnungsvoll. »Eine zu Boden gefallene Zigarette, eine Weihnachtskerze – so etwas?«
Rigby nickt. »Merkwürdige Unfälle gib es immer wieder, und ich habe in meinem Leben die verrücktesten erlebt, kann ich Ihnen sagen. Da gab es vor ein paar Jahren nur eine Meile oder zwei von diesem hier entfernt einen Fall: Ein junger Bursche brachte eine Brandbombe ins Haus, die nicht gezündet hatte. Angeblich hat er gesagt, dass er Feuerwerkskörper liebte. Es war überall in der Presse – vielleicht erinnern Sie sich.«
Natürlich erinnern wir uns. Es war Leo Mason, Daisy Masons Bruder.
»Es war unser Fall«, sage ich leise.
»Also«, sagt Rigby. »Dann wissen Sie ja, worauf ich hinauswill. Aber das hier ist anders. Das ist kein Unfall, oder auch nur Pech. Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit der Ausbreitung – ich wette, wir finden unter all dem Schutt irgendeine Art von Brandbeschleuniger. Und zwar eine ganz erhebliche Menge.«
Ich stehe auf, gehe nach vorn und drehe mich zu ihnen um.
»Wahrscheinlich brauche ich es nicht zu betonen, aber ich tue es trotzdem: Wir haben es hier nicht mit einem, sondern mit zwei Verbrechen zu tun. Von dem einen wissen wir, dass es begangen wurde, und von dem anderen müssen wir dasselbe annehmen, es sei denn, wir können es irgendwann ausschließen. Bei dem ersten handelt es sich um Brandstiftung. Wir müssen herausfinden, wer das Haus in Brand gesteckt hat, und warum. Bei dem zweiten handelt es sich um Mord. Wusste der Brandstifter, dass sich Menschen im Haus befanden, und wenn er – oder sie – es wusste, was in Teufels Namen mag ihn oder sie dazu angetrieben haben, ein Gebäude abzufackeln, in dem zwei Kinder schlafen?«
Ich wende mich dem Whiteboard zu und nehme den Stift zur Hand.
BRANDSTIFTUNG
MORD
Und unter diese beiden Wörter schreibe ich noch ein weiteres.
WARUM?
»Eins verstehe ich immer noch nicht«, sagt Everett nach einer Pause. »Nämlich, wo er gefunden wurde. Der ältere Junge, meine ich.«
»Gute Frage«, erwidert Rigby.
Der DC, der neben Everett sitzt, stößt sie an. »Sie sind ja heute Feuer und Flamme, Ev.« Sie errötet und wehrt sich mit einem spielerischen Schlag. Als ihm aufgeht, wie unpassend seine Bemerkung geklungen haben muss, wirkt er plötzlich verlegen.
»Darauf wollte ich noch kommen«, fährt Rigby mit ernster Miene fort. Er muss jeden dummen Kalauer über einen Brand hundertmal gehört haben. »Soweit wir ermitteln konnten, muss das Feuer kurz nach Mitternacht ausgebrochen sein – der 999-Notruf wurde um 00:47 Uhr aufgezeichnet. Man würde erwarten, dass Kinder sich um diese Zeit im Bett befinden, aber der ältere Junge wurde nahe dem Fuß der Treppe gefunden.«
»Und was schließen wir daraus?«, sagt Somer. »Er ist aufgewacht und wollte einen Schluck Wasser trinken oder so?«
»Äh, hallo«, sagt Quinn und tippt auf das Foto, das den Raum des Jungen zeigt. Und so irritiert ich von seinem Auftreten auch sein mag, muss ich doch zugeben, dass er im Recht ist. Das Zimmer wirkt wie verschneit von Ruß und Ascheflocken, aber den Wasserkrug und den Trinkbecher auf dem Nachttisch erkennt man genau. Quinn verdreht die Augen in Somers Richtung, und einer der DCs kichert.
Somers Gesicht ist rot angelaufen, und sie sieht Quinn nicht an. Das tut sie auch sonst nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Beide versuchen den Schein zu wahren, dass nie etwas zwischen ihnen war, aber das gesamte Revier weiß davon.
»Ich meine nur«, sagt sie leise, aber mit fester Stimme, »dass es einen Grund gegeben haben muss.«
»Er liegt im Koma. Wie sollen wir deiner Meinung nach diesen Grund herausfinden? Indem wir einen verdammten Wahrsager holen?« An Quinns Tonfall gibt es nichts mehr zu deuteln. Ich sehe, dass die Leute unruhig werden.
»Er könnte etwas gehört haben«, sagt Rigby unaufgeregt. Anscheinend hat er die gereizte Stimmung nicht bemerkt. »Oder vielleicht …«
»Wo sind die Telefone?«, fragt Everett plötzlich.
Rigby schaut auf den Grundriss. »Ein Handy haben wir in der Küche gefunden, wo es gerade aufgeladen wurde. Leider war es völlig verbrannt …«
»Wir versuchen herauszufinden, wem es gehörte«, sagt Gislingham hastig.
»… und nach Angaben der Telefongesellschaft gab es nur einen Festnetzanschluss«, bemerkt Rigby. »Im Wohnzimmer. Hier.«
»O mein Gott«, flüstert Everett. »Deswegen saß der Junge an der Treppe. Er muss aufgewacht sein und gemerkt haben, was los war. Dann hat er versucht, Hilfe zu holen. Aber es war zu spät. Er war gefangen.«
Der arme kleine Kerl hatte keine Chance. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, dem dieser Gedanke kommt.
Ich wende mich wieder den Fotos zu. In der Kinderstube ist ein Stück Tapete so gut wie unversehrt, bis auf Brandflecken hier und da zwischen den Tiggers, den I-Aahs und den Ferkeln. Die Flecken sehen eigentümlich aus, fast wie Handabdrücke. Ich höre, wie es hinter mir still wird, und sehe hinüber zu Rigby.
»Wie lange dauert es, bis Sie offiziell bestätigen können, dass es sich um Brandstiftung handelt?«
Er zuckt die Achseln. »Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Wir müssen ein halbes Haus untersuchen. Das braucht Zeit.«
»Was ist jetzt die dringendste Aufgabe, Sir?« Gislingham stellt die Frage.
Ich drehe mich um und sehe ihn an. »Die Eltern zu finden. Ich möchte, dass sich so viele Leute wie möglich damit beschäftigen, auch uniformierte Kräfte, wenn wir sie bekommen können. Zuerst möchte ich, dass der Wagen gefunden wird. Wie weit sind wir mit der automatischen Nummernschilderkennung? Und ist mit der Met über Esmond gesprochen worden?«
Gislingham nickt. »Sie haben Festnahmen und Krankenhausaufenthalte überprüft, aber nichts gefunden. Mehr als das können sie ohne eine Adresse nicht tun.«
»Okay. Aber wenn wir ihn nicht bis morgen früh aufgefunden haben, möchte ich, dass ihn auf dieser Tagung jemand abfängt, sobald er sich blicken lässt.«
Gis lässt den Blick durch den Raum schweifen. »DC Asante wird sich darum kümmern, Sir.«
Hinten hebt jemand den Kopf, und unsere Blicke treffen sich. Mir fällt ein, wer Tony Asante ist – nach dem Studienabschluss direkt in den höheren Dienst bei der Metropolitan Police und jetzt seit Kurzem von uns übernommen. Der Superintendent sagt, er sei gut, und das ist der Code für »wir haben ihn nicht nur eingestellt, um die Black-Minority-Ethnic-Quote zu verbessern.«
Asante hält meinem Blick mit einem Ausmaß an Selbstvertrauen stand, das ich nicht erwartet hätte. Schließlich bin ich es, der wegsieht.
»Und vergesst nicht, dass es nicht nur darum geht, wo sich diese Leute befinden, sondern auch, wer sie sind. Ich will alles, was wir über diese Familie ausgraben können. Soziale Medien, E-Mails, Telefondaten, eben alles. Haben wir im Haus irgendwas Nützliches gefunden? Computer? Tablets?«
Gislingham schüttelt den Kopf. »Noch nicht. Esmond muss ein Büro oder ein Arbeitszimmer gehabt haben, aber die Jungs von der Feuerwehr haben noch nichts dergleichen gefunden. Wenn sie mich fragen, liegt es unter einer halben Tonne Schutt vergraben. Sobald sie etwas entdecken, melden sie sich bei uns.«
Ich sehe mich um. »In der Zwischenzeit sollten wir mit allen sprechen, die die Familie kannten, in der Nähe gewohnt oder mit ihr gearbeitet haben. Wie haben sie ihre Zeit verbracht, wofür haben sie ihr Geld ausgegeben? Woher sind sie gekommen, und gibt es irgendetwas in ihrem Leben, das zu dieser Situation geführt haben könnte?«
Die Leute machen sich Notizen, sprechen leise miteinander.
»Schön. Wissen alle, was sie zu tun haben? Gut. Und, DC Quinn? Auf ein Wort in mein Büro.«
* * *
»Es muss aufhören, Quinn. Und tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wovon ich rede.«
Er sieht mich an, dann senkt er den Blick. »DC Somer ist eine gute Kollegin und leistet gute Arbeit. Ihr einziger Fehler war, ein Verhältnis mit Ihnen einzugehen, mag es auch noch so kurz gewesen sein. Aber sie hat die Geschichte anscheinend hinter sich gelassen. Ich verstehe nur nicht, warum es Ihnen nicht gelingt.«
Quinn fährt sich mit der Hand durchs Haar. Er sieht schrecklich aus. Ich bin sicher, dass er sein Hemd schon gestern getragen hat. Der Schlips ist auf jeden Fall vom Vortag. Aber wer bin ich denn, das zu verurteilen …
»Setzen Sie sich. Reden wir darüber.«
Er wirkt unschlüssig, zieht sich dann aber einen Stuhl heran. »Ich weiß, die Degradierung muss für Sie verdammt schlimm gewesen sein, aber Sie haben sich alles selbst zuzuschreiben. Dieser Vorfall – mit einer Verdächtigen zu schlafen …«
»Ich habe nicht mit ihr geschlafen – wie oft muss ich das noch sagen!«
Aber er weiß, dass er zu weit geht. Mich anzuschreien ist gewiss nicht hilfreich. Jedenfalls war das ein klassischer »Bill Clinton«. Und das wissen wir beide.
»Sorry, Sir«, sagt er.
»Man hat Ihnen eine Versetzung angeboten, aber die wollten Sie nicht annehmen.«
Das konnte ich ihm nachfühlen. Neu anzufangen ist nicht leicht. Er hat eine Wohnung, eine Hypothek, ein Leben. Aber wenn man bleiben will, muss man in den sauren Apfel beißen und so manches schlucken.
»Hören Sie, Quinn, Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Sich auf den verdammten Job zu konzentrieren. Und lassen Sie es nicht an Somer aus. Sie hatte nichts damit zu tun. Sie wären auch verdammt sauer, wenn es umgekehrt wäre. Somer ist beispielhaft zurückhaltend.«
Er verzieht das Gesicht. »Ich weiß. Es ist nur so, dass ich letztes Jahr um diese Zeit DS war und sie noch Uniform trug. Und jetzt …«
Jetzt sind sie beide gleichrangig. Und mit ihrer Karriere geht es definitiv aufwärts. Was seine betrifft, würde ich nicht darauf wetten.
»Auf dem Revier zerreißt man sich immer noch das Maul darüber«, schließt er und beißt sich auf die Lippe. Ich glaube, er ist den Tränen nahe.
Ich beuge mich vor. »Auch wenn ich mich jetzt anhöre wie ihr Vater, aber die Leute reden nur deswegen immer noch über die Sache, weil Sie es ihnen so leicht machen. Sie haben Ihre Strafe bekommen – Sie brauchen sie nicht immer wieder auf sich zu nehmen. Also vergessen Sie es, blicken Sie nach vorn. Und der erste Schritt wäre, Somer in Frieden zu lassen. Okay?«
Er sieht mich nicht an. Ich senke den Kopf, möchte seine Aufmerksamkeit erzwingen. »Okay, Quinn?«
Er holt Luft, hält einen Moment den Atem an und sieht auf. »Ja, Boss.«
Er lächelt – nicht besonders herzlich, aber es ist ein Anfang.
* * *
Andrew Baxter geht zu seinem Schreibtisch und loggt sich in den PC