Sie finden dich nie & In the Dark - Keiner weiß, wer sie sind - Cara Hunter - E-Book
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Cara Hunter

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Beschreibung

Zwei packende Krimis von Cara Hunter in einem E-Book!

Sie finden dich nie.

Ein Mädchen verschwindet – und niemand hat etwas gesehen. Daisy, die achtjährige Tochter der Masons, verschwindet bei einer Party spurlos vom Grundstück der Eltern. Sofort beginnt die Polizei mit den Ermittlungen. Partygäste, Nachbarn, Mitschülerinnen – jeder scheint verdächtig, aber nirgends findet sich eine Spur des Mädchens. Detective Inspector Adam Fawley gerät in ein Netz aus Widersprüchen und Beschuldigungen, doch das Mädchen bleibt verschwunden. Erst als er weiter zurückgeht in die Vergangenheit der Familie, scheint sich ein düsteres Geheimnis zu offenbaren ... 

In the Dark - Keiner weiß, wer sie sind.

Keiner weiß, wer sie sind. Bei Renovierungsarbeiten finden Handwerker in einem Kellerraum eine junge Frau und einen zweijährigen Jungen, kaum noch am Leben. Niemand hat sie als vermisst gemeldet, und der ältere Mann, dem das Haus gehört, behauptet, die beiden nie zuvor gesehen zu haben. DI Adam Fawley übernimmt die Ermittlungen und stößt auf den Fall einer jungen Frau, die vor zwei Jahren mit ihrem Sohn verschwunden ist. Das Kind wurde schließlich in einem Kinderwagen gefunden, doch von der Mutter fehlt seither jede Spur. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Frauen?

»Twist folgt auf Twist, und das in einem atemberaubenden Tempo.« Daily Mail.



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Zwei packende Krimis von Cara Hunter in einem E-Book!

Sie finden dich nie.

Ein Mädchen verschwindet – und niemand hat etwas gesehen. Daisy, die achtjährige Tochter der Masons, verschwindet bei einer Party spurlos vom Grundstück der Eltern. Sofort beginnt die Polizei mit den Ermittlungen. Partygäste, Nachbarn, Mitschülerinnen – jeder scheint verdächtig, aber nirgends findet sich eine Spur des Mädchens. Detective Inspector Adam Fawley gerät in ein Netz aus Widersprüchen und Beschuldigungen, doch das Mädchen bleibt verschwunden. Erst als er weiter zurückgeht in die Vergangenheit der Familie, scheint sich ein düsteres Geheimnis zu offenbaren...

In the Dark - Keiner weiß, wer sie sind.

Keiner weiß, wer sie sind. Bei Renovierungsarbeiten finden Handwerker in einem Kellerraum eine junge Frau und einen zweijährigen Jungen, kaum noch am Leben. Niemand hat sie als vermisst gemeldet, und der ältere Mann, dem das Haus gehört, behauptet, die beiden nie zuvor gesehen zu haben. DI Adam Fawley übernimmt die Ermittlungen und stößt auf den Fall einer jungen Frau, die vor zwei Jahren mit ihrem Sohn verschwunden ist. Das Kind wurde schließlich in einem Kinderwagen gefunden, doch von der Mutter fehlt seither jede Spur. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Frauen?

»Twist folgt auf Twist, und das in einem atemberaubenden Tempo.« Daily Mail

Über Cara Hunter

Cara Hunter hat Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt in Oxford. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem ihre anderen Kriminalromane mit DI Adam Fawley, „Sie finden dich nie“ und „In the Dark – Keiner weiß, wer sie sind“, lieferbar.

Iris Hansen lebt nach Aufenthalten in Kanada und Spanien als Übersetzerin in Hamburg.

Teja Schwaner, Studium in Hamburg, Frankfurt und London. Arbeitete als Musik- und Filmjournalist. Übertrug neben Hunter S. Thompson Daniel Woodrell und Daniel Friedmann ins Deutsche.

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Cara Hunter

Sie finden dich nie & In the Dark - Keiner weiß, wer sie sind

Zwei packende Krimis von Cara Hunter in einem E-Book!

Aus dem Englischen von Teja Schwaner und Iris Hansen

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

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Sie finden dich nie

Prolog

20. Juli 2016, 2:05 Uhr Canal Manor Estate, Oxford

19. Juli 2016, 15:30 Uhr Der Tag des Verschwindens Bishop Christopher’s Grundschule, Oxford

18. Juli 2016, 16:29 Uhr Der Tag vor dem Verschwinden Das Connor Haus, 54 Barge Close

5. Juli 2016, 16:36 Uhr Zwei Wochen vor dem Verschwinden Connor House, 54 Barge Close, Treppenabsatz 1. Stock

22. Juni 2016, 15:29 Uhr 27 Tage vor dem Verschwinden 5 Barge Close, Schlafzimmer oben

7. Juni 2016, 10:53 Uhr 42 Tage vor dem Verschwinden Das Pitt Rivers Ethnographic Museum, Oxford

25. Mai 2016, 11:16 Uhr 55 Tage vor dem Verschwinden Bishop Christopher’s Grundschule, Oxford.

12. Mai 2016, 7:47 Uhr 68 Tage vor dem Verschwinden 5 Barge Close, Küche

11. Mai 2016, 19:09 Uhr 69 Tage vor dem Verschwinden Das Haus der Chens, 11 Manor Lanchester Road, Oxford

9. Mai 2016, 19:29 Uhr 71 Tage vor dem Verschwinden Grays Familienzirkus, Wolvercote Common

1. Mai 2016, 14:39 Uhr 79 Tage vor dem Verschwinden 5 Barge Close

16. April 2016, 10:25 Uhr 94 Tage vor dem Verschwinden Shopping Parade, Summertown, Oxford

4. April 2016, 22:09 Uhr 106 Tage vor dem Verschwinden 5 Barge Close, Wohnzimmer

27. Juli 1991 Hotel La Marina, Lanzarote

19. Juli 2016, 17:18 Uhr Der Tag des Verschwindens Loughton Road, Oxford

19. Juli, 16:09 Uhr Der Tag des Verschwindens 5 Barge Close, Küche

Epilog

Danksagung

In the Dark - Keiner weiß, wer sie sind

Prolog

Epilog

Danksagung

Impressum

Cara Hunter

Sie finden dich nie

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Teja Schwaner und Iris Hansen

Für Simon

Prolog

Es wird dunkel, und das kleine Mädchen friert. Es war ein schöner Tag gewesen – die Lichter und die Kostüme und das Feuerwerk wie ein Sternenschauer. Es hatte sich wie ein Zauber angefühlt, wie ein Märchen, aber jetzt war alles zerstört, alles war schiefgelaufen. Sie blickt hinauf durch die Baumkronen, deren Äste sich über ihrem Kopf verschränken. Aber nicht wie bei Schneewittchen, nicht wie bei Dornröschen. Hier gibt es keinen Prinzen, keinen Retter auf einem wunderschönen Schimmel. Nur den dunklen Himmel und Monster in den Schatten. Sie hört Geräusche im Dickicht, das Rascheln kleiner Tiere, und dann etwas lautere Bewegungen, die näher kommen, Schritt für Schritt. Sie wischt sich über die Wange, die von den Tränen noch feucht ist, und wünscht sich von ganzem Herzen, so zu sein wie die tapfere Disneyprinzessin Merida. Sie hätte keine Angst allein im Wald. Aber Daisy hat Angst.

Daisy hat sogar furchtbare Angst.

»Daisy«, sagt eine Stimme. »Wo bist du?«

Weitere Schritte, jetzt bereits näher, die Stimme klingt verärgert. »Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Ich werde dich finden. Das weißt du doch, Daisy, oder? Ich werde dich finden.«

Ich werde es jetzt sagen, bevor wir anfangen. Es wird Ihnen nicht gefallen, aber vertrauen Sie mir, ich habe das öfter tun müssen, als ich mich mit der Erinnerung daran bestrafen möchte. Wenn es ein Kind betrifft, ist in neun von zehn Fällen jemand aus dem häuslichen Umfeld beteiligt. Familie, Freund, Nachbar, ein Gemeindemitglied. Vergessen Sie das nicht. Wie verstört auch immer sie wirken, wie unwahrscheinlich es erscheinen mag, sie wissen, wer es getan hat. Vielleicht ist es ihnen nicht bewusst. Vielleicht noch nicht. Aber sie wissen es.

Sie wissen es.

*

20. Juli 2016, 2:05 UhrCanal Manor Estate, Oxford

Man sagt, dass Hauskäufer sich innerhalb der ersten dreißig Sekunden nach dem Eintreten für ein Objekt entscheiden. Glauben Sie mir, der durchschnittliche Polizeibeamte braucht weniger als zehn. Tatsächlich haben die meisten von uns ihr Urteil gefällt, lange bevor wir durch die Tür treten. Aber wir beurteilen die Menschen, nicht das Anwesen. Als wir vor dem Haus Nummer 5 am Barge Close halten, habe ich also bereits eine recht gute Vorstellung davon, was uns erwartet. Es handelt sich um eines der ehemals sogenannten »Executive Homes«. Vielleicht heißen sie noch immer so, keine Ahnung. Geld haben diese Leute, vielleicht nicht so viel, wie ihnen recht wäre, denn sonst hätten sie ein echtes viktorianisches Haus gekauft und nicht diese Imitation auf eine grüne Wiese auf der falschen Seite des Kanals gestellt. Es ist derselbe rote Backstein, es sind dieselben Erkerfenster, aber die Gärten sind klein und die Garagen riesig – weniger ein Abklatsch als vielmehr eine dreiste Fälschung.

Der Uniformierte, der an der Eingangstür postiert ist, berichtet mir, dass die Familie selbstverständlich bereits Haus und Garten durchsucht hat. Sie wären erstaunt, wie oft wir Kinder unter Betten oder in Kleiderschränken finden. Sie sind nicht verschwunden, sondern haben sich nur versteckt. Die meisten dieser Geschichten finden auch kein glückliches Ende. Aber es sieht so aus, als hätten wir es hier mit etwas anderem zu tun. Wie der Diensthabende vor einer Stunde zu mir sagte, als er mich aus dem Schlaf holte: »Ich weiß, wir würden Sie normalerweise nicht so früh anrufen, aber so spät in der Nacht und ein kleines Kind … Ich habe kein gutes Gefühl. Die Familie feierte eine Party, und die Gäste haben lange nach dem Mädchen gesucht, bevor sie uns anriefen. Ich hab mich entschieden, dass es unser geringstes Problem wäre, wenn Sie sauer reagieren würden.« Tue ich ja gar nicht. Sauer reagieren, meine ich. Und ganz ehrlich, ich hätte genauso gehandelt.

»Sir, hinterm Haus sieht es leider aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen«, sagt der Police Constable an der Tür. »Die Leute müssen die ganze Nacht hier rumgelatscht sein. Überall abgebrannte Feuerwerkskörper. Kinder. Kann mir nicht vorstellen, dass die Forensiker da was finden, Sir.«

Wunderbar, denke ich. Verflucht wunderbar.

Gislingham klingelt, und wir stehen wartend vor der Tür. Er tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Egal, wie oft man es tun muss, man gewöhnt sich nie daran. Und wenn man sich doch daran gewöhnt, ist es Zeit, den Dienst zu quittieren. Ich ziehe noch ein paarmal an meiner Zigarette und sehe mich in der Wohnsiedlung um. Obwohl es zwei Uhr morgens ist, sind so gut wie alle Häuser hell erleuchtet, und an mehreren Fenstern der oberen Stockwerke sind Leute zu sehen. Zwei Streifenwagen mit blinkendem Blaulicht parken gegenüber auf dem kümmerlichen, von Fahrradspuren durchzogenen Grasstreifen, und einige müde Polizisten versuchen, die Schaulustigen auf Abstand zu halten. Ein halbes Dutzend Wachmänner steht vor den Hauseingängen und spricht mit den Nachbarn. Dann öffnet sich die Tür, und ich drehe mich um.

»Mrs. Mason?«

Sie ist beleibter, als ich erwartet hatte. Obwohl sie noch nicht älter sein dürfte als etwa Mitte dreißig, hat sie bereits Ansätze von Hängebacken. Sie trägt eine Strickjacke über ihrem Partykleid, einem Fummel mit Leopardenmuster und Nackenträgern in einem langweiligen Orange, das gar nicht zu ihrem Haar passt. Sie blickt die Straße hinunter und zieht die Jacke enger um sich. Dabei ist es nicht kalt, wir hatten heute an die dreißig Grad.

»Detective Inspector Adam Fawley, Mrs. Mason. Dürfen wir reinkommen?«

»Wenn Sie Ihre Schuhe ausziehen würden? Der Teppich war erst kürzlich in der Reinigung.«

Ich habe nie verstanden, warum Leute sich cremefarbene Teppiche anschaffen, besonders wenn sie Kinder haben, aber es ist wohl kaum der richtige Moment, darüber zu diskutieren. Also bücken wir uns wie Schulkinder und lösen die Schnürsenkel. Gislingham wirft mir einen Blick zu. Neben der Tür befinden sich Haken mit den Namen der einzelnen Familienmitglieder, die Schuhe sind neben der Matte aufgereiht. Der Größe nach. Und nach Farbe. Du großer Gott.

Es ist schon seltsam, was einem durch den Kopf geht, wenn man keine Schuhe anhat. In Socken komme ich mir vor wie ein Amateur. Kein guter Anfang.

Vom Wohnzimmer führt ein Durchgang in eine Küche mit Frühstückstresen. Dort tuscheln einige Frauen um den aufgesetzten Wasserkessel herum. Ihr Party-Make-up wehrt sich erfolglos gegen das unerbittliche Neonlicht. Die Familie hat sich auf der Kante eines Sofas aufgereiht, das für den Raum viel zu groß ist. Barry Mason, Sharon und ihr Sohn Leo. Der Junge blickt auf den Boden, Sharon starrt mich an, Barry lässt den Blick schweifen. Er sieht aus wie der Prototyp eines Hipster-Daddys – Cargohosen, leicht übertriebene Igelfrisur und ein ebenfalls leicht übertrieben geblümtes Hemd, das lose über dem Hosenbund flattert –, auch wenn das Äußere auf fünfunddreißig geeicht sein soll, vermute ich angesichts der graumelierten Stellen, dass er gute zehn Jahre älter ist als seine Frau. Die offensichtlich in diesem Haus die Hosen anhat.

Man spürt alle möglichen Emotionen, wenn ein Kind vermisst wird. Zorn, Panik, Nicht-wahrhaben-Wollen, Schuldbewusstsein. Ich habe sie erlebt, jede einzeln und auch alle auf einmal. Aber einen Ausdruck wie den auf Barry Masons Gesicht habe ich noch nie gesehen. Einen Ausdruck, den ich nicht deuten kann. Sharon hingegen hat die Fäuste so krampfhaft geballt, dass die Knöchel weiß hervortreten.

Ich setze mich. Gislingham bleibt stehen. Vermutlich hat er Angst, dass die Möbel sein Gewicht nicht aushalten könnten. Er lockert seinen Hemdkragen am Hals, in der Hoffnung, dass niemand es bemerkt.

»Mrs. Mason, Mr. Mason«, fange ich an. »Mir ist bewusst, dass Sie eine schwierige Zeit durchmachen, aber es ist unerlässlich, dass wir so viele Informationen wie möglich sammeln. Bestimmt wissen Sie, dass die ersten paar Stunden von entscheidender Bedeutung sind. Je mehr wir erfahren, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir Daisy sicher und wohlbehalten wiederfinden.«

Sharon Mason zupft an einem losen Faden ihrer Strickjacke. »Ich weiß nicht, was wir Ihnen noch erzählen sollten – wir haben doch bereits mit Ihrem Kollegen gesprochen …«

»Ich weiß, aber vielleicht könnten Sie einfach mit mir alles noch einmal durchgehen. Sie sagten, Daisy sei wie gewöhnlich heute in der Schule gewesen, und danach war sie hier im Haus, bis die Party begann – sie ging nicht nach draußen, um zu spielen?«

»Nein, sie blieb oben in ihrem Zimmer.«

»Und die Party – würden Sie mir sagen, wer zu Gast war?«

Sharon sieht zu ihrem Mann und wendet sich dann an mich. »Leute aus der Nachbarschaft. Die Klassenkameraden der Kinder. Deren Eltern.«

Die Freunde der Kinder also. Nicht die der Mutter und auch nicht die gemeinsamen.

»Also, was würden Sie sagen – vierzig Personen? Kommt das hin?«

Sie runzelt die Stirn. »So viele nicht. Ich habe eine Liste.«

»Wenn Sie die Liste Detective Constable Gislingham aushändigen könnten, würde uns das sehr helfen.«

Gislingham schaut kurz von seinem Notizbuch auf.

»Und wann genau haben Sie Daisy zum letzten Mal gesehen?«

Barry Mason hat noch keinen Ton gesagt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er zugehört hat. Ich wende mich ihm zu. Er hält einen Stoffhund, den er unentwegt in den Händen dreht. Es ist die Verzweiflung, ich weiß, aber es sieht aus, als wolle er dem Tier den Hals umdrehen, und das wirkt verstörend.

»Mr. Mason?«

Er blinzelt. »Weiß nicht«, sagt er schleppend. »So um elf vielleicht? Es war alles ein bisschen verwirrend. Hektisch. Sie wissen schon, massenweise Leute.«

»Aber es war bereits Mitternacht, als Ihnen auffiel, dass sie verschwunden war.«

»Wir fanden, dass es für die Kinder langsam Zeit war, ins Bett zu gehen. Die ersten Gäste brachen auf. Wir konnten Daisy nicht finden. Überall haben wir gesucht, alle angerufen, die uns einfielen. Mein kleines Mädchen – mein wunderschönes kleines Mädchen …«

Ihm kommen die Tränen. Ich kann damit immer noch nicht gut umgehen, auch jetzt nicht. Wenn Männer weinen.

Ich wende mich an Sharon. »Mrs. Mason? Was ist mit Ihnen? Wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen? War das vor dem Feuerwerk oder danach?«

Sharon erschaudert plötzlich. »Vorher, glaube ich.«

»Wann begann das Feuerwerk?«

»Um zehn. Sobald es dunkel wurde. Es sollte nicht zu lange dauern. Das kann Ärger geben. Man wird schnell bei der Gemeinde angezeigt.«

»Sie haben Daisy also vorher gesehen. Im Garten oder im Haus?«

Sie zögert, denkt nach. »Im Garten. Sie lief den ganzen Abend herum. Unsere kleine Ballkönigin.«

Ich frage mich nebenbei, wie lange ich diesen Ausdruck nicht mehr gehört habe. »Daisy war also gutgelaunt – und nicht bedrückt, soweit Sie wissen?«

»Nein, bestimmt nicht. Sie lachte, tanzte zur Musik. Was kleine Mädchen eben so machen.«

Ich sehe hinüber zu ihrem Bruder, interessiert an seiner Reaktion. Aber er zeigt keine. Er sitzt auffällig still. In Anbetracht der Umstände.

»Wann hast du Daisy zuletzt gesehen, Leo?«

Er zuckt die Achseln. Er weiß es nicht. »Ich hab beim Feuerwerk zugeschaut.«

Ich lächle ihm zu. »Magst du Feuerwerke?«

Er nickt, sieht mir aber nicht direkt ins Gesicht.

»Weißt du was? Ich mag sie auch.«

Er blickt auf, und eine flüchtige Verbindung entsteht zwischen uns, dann senkt er den Kopf wieder und schiebt einen Fuß über den Läufer. Zieht Kreise in den Teppichflor. Sharon streckt die Hand aus und tippt ihm aufs Bein. Er hört auf.

Ich wende mich wieder an Barry. »Und die Seitenpforte zum Garten war offen, soweit ich weiß.«

Barry Mason lehnt sich zurück, geht plötzlich in die Defensive. Er zieht laut die Nase hoch und wischt sich mit der Hand darüber. »Na ja, man kann schließlich nicht alle fünf Minuten hinrennen und das Tor öffnen, oder? Da ist es schon einfacher, wenn die Leute an der Seite reinkommen. Bringt auch weniger Schmutz ins Haus.« Er sieht seine Frau an.

Ich nicke. »Natürlich. Ich habe gesehen, dass der Garten hinten an den Kanal grenzt. Gibt es dort noch eine Pforte zum Treidelpfad?«

Barry Mason schüttelt den Kopf. »Wohl kaum – die Gemeinde duldet es nicht. Auf dem Weg ist er bestimmt nicht reingekommen.«

»Er?«

Er wendet den Blick wieder ab. »Wer auch immer es war. Der Dreckskerl, der sie mitgenommen hat. Der Dreckskerl, der meine Daisy mitgenommen hat.«

Ich schreibe meine auf den Notizblock und setze ein Fragezeichen dahinter. »Aber Sie haben nicht wirklich einen Mann gesehen?«

Er holt tief Luft. Aus dem Atemzug wird ein Schluchzen. Er sieht zur Seite, bricht wieder in Tränen aus. »Nein, ich habe niemanden gesehen.«

Ich wühle in meinen Unterlagen. »Ich habe das Foto von Daisy, das Sie Sergeant Davis überlassen haben. Können Sie mir sagen, was sie anhatte?«

Es folgt eine Pause.

Schließlich sagt Sharon: »Es war ein Kostümfest. Für die Kinder. Wir hielten das für eine gute Idee. Daisy war passend zu ihrem Namen verkleidet.«

»Entschuldigung, aber ich komme nicht ganz mit …«

»Daisy. Sie war als Gänseblümchen verkleidet.«

Ich ahne Gislingshams Reaktion, aber gestatte mir nicht, zu ihm hinüberzusehen. »Ich verstehe. Das war also …?«

»Ein grüner Rock, grüne Strumpfhosen und Schuhe. Und auf dem Kopf weiße Blütenblätter mit einem gelben Mittelteil. Die haben wir in diesem Laden in der Fontover Street gefunden. Hat ein Vermögen gekostet, obwohl wir es nur geliehen haben. Und wir mussten eine Kaution hinterlegen.«

Sie kommt ins Stocken, ringt nach Atem. Sie ballt die Hand zur Faust und presst sie gegen den Mund. Ihre Schultern beben. Barry Mason streckt den Arm aus und schlingt ihn um ihre Schulter. Sie wimmert, wiegt sich vor und zurück, sagt ihm, es sei nicht ihre Schuld und sie habe es nicht gewusst. Er streicht ihr übers Haar.

Es folgt wieder Schweigen, bis Leo plötzlich nach vorne rückt und vom Sofa rutscht. Seine Kleidungsstücke scheinen etwas zu groß für ihn zu sein. Die Ärmel sind so lang, dass man kaum mehr seine Hände sehen kann. Er kommt zu mir und reicht mir sein Handy. Es zeigt ein Standbild aus einem Video. Ein Bild von Daisy in ihrem grünen Kleid. Ein sehr hübsches Kind, zweifellos. Ich drücke auf Play und sehe ungefähr fünfzehn Sekunden lang zu, wie sie für die Kamera tanzt. Sie sprüht vor Selbstsicherheit und Ausgelassenheit – selbst auf dem kleinen Handydisplay wirkt ihre Energie ansteckend. Ich entnehme der Datumsanzeige, dass das Video erst drei Tage alt ist. Zum ersten Mal haben wir Glück. Nicht immer verfügen wir über so aktuelles Bildmaterial.

»Vielen Dank, Leo.« Ich sehe Sharon Mason an, die sich die Nase putzt. »Mrs. Mason, würden Sie mir das Video schicken, wenn ich Ihnen meine Handynummer gebe?«

Sie hebt hilflos die Hände. »Oh, ich weiß mit diesen Dingern nichts anzufangen. Leo kann es tun.«

Ich werfe ihm einen Blick zu, und er nickt. Sein Pony ist ein wenig zu lang, aber es scheint ihm nichts auszumachen, wenn ihm das Haar in die Augen fällt. Seine Augen sind dunkel. Wie sein Haar.

»Danke, Leo. Anscheinend kannst du für dein Alter schon sehr gut mit Handys umgehen. Wie alt bist du denn?«

Er wird kurz rot. »Zehn.«

Ich wende mich an Barry Mason. »Besaß Daisy einen eigenen Computer?«

»Auf keinen Fall. Man hört doch immer wieder, was die Kids heutzutage im Internet anstellen. Sie darf aber meinen Computer benutzen, solange ich mit ihr im Zimmer bin.«

»Also keine E-Mails?«

»Nein.«

»Und wie steht es mit einem Handy?«

Diesmal antwortet Sharon. »Sie ist unserer Ansicht nach noch zu jung. Ich habe ihr versprochen, dass sie Weihnachten eins bekommt. Dann wird sie ja bereits neun.«

Eine Chance weniger also, sie aufzuspüren. Aber ich spreche es nicht aus. »Leo, hast du gestern Abend jemanden zusammen mit Daisy gesehen?«

Er setzt zum Sprechen an, schüttelt dann aber den Kopf.

»Oder davor – hat sich jemand in der Gegend herumgetrieben? Jemand, den du auf dem Weg zur Schule oder auf dem Heimweg gesehen hast?«

»Ich fahre sie zur Schule«, fuhr Sharon dazwischen. Als wäre damit alles geklärt.

Und dann läutet es an der Tür. Gislingham schlägt sein Notizbuch zu. »Dürften die Leute von der SOKO sein. Oder wie auch immer die heutzutage heißen.«

Sharon sieht ihren Mann verdutzt an. »Er meint die Forensiker«, sagt Barry.

Sharon wendet sich an mich. »Was haben die hier zu suchen? Wir haben doch nichts getan.«

»Das weiß ich, Mrs. Mason. Bitte seien Sie nicht beunruhigt. Das gehört zur Routine, wenn – wenn ein Kind vermisst wird.«

Gislingham öffnet die Eingangstür und lässt sie herein. Alan Challow erkenne ich sofort. Er hat den Job nur wenige Monate nach mir angetreten. Das Alter ist ihm nicht so gut bekommen. Auf dem Kopf zu wenig, um die Taille zu viel. Aber er ist gut.

Er nickt mir zu. Höflichkeiten brauchen wir nicht auszutauschen. »Holroyd holt unsere Sachen aus dem Auto«, sagt er energisch. Sein Papieranzug knistert. Er wird darin höllisch schwitzen, sobald die Sonne am Himmel steht.

»Wir gehen zuerst nach oben«, sagt er und zieht sich Handschuhe an. »Dann legen wir draußen los, sobald es hell wird. Wie ich sehe, ist die Presse noch nicht da. Dem Himmel sei gedankt.«

Sharon Mason ist aufgestanden und steht etwas wacklig auf den Beinen. »Ich will nicht, dass in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt wird – dass man ihre Sachen antatscht – dass man uns wie Verbrecher behandelt …«

»Es handelt sich nicht um eine vollständige forensische Untersuchung, Mrs. Mason – wir richten keine Unordnung an. Wir müssen nicht einmal das Zimmer ihrer Tochter betreten. Wir brauchen nur ihre Zahnbürste.«

Denn von der lässt sich eine DNA-Probe am besten abnehmen. Die brauchen wir eventuell, um sie mit ihrer Leiche abzugleichen. Das erwähne ich jedoch nicht.

»Wir werden im Garten eine gründlichere Suche vornehmen. Es könnte sein, dass ihr Entführer dort Sachbeweise hinterlassen hat, mit deren Hilfe wir ihn identifizieren können. Ich gehe davon aus, dass Sie einverstanden sind?«

Barry Mason nickt, hebt die Hand und berührt den Ellbogen seiner Frau. »Am besten lassen wir sie einfach ihren Job machen, hm?«

»Und wir werden veranlassen, dass hier so bald wie möglich ein Opferschutzbeamter zur Stelle ist.«

Sharon dreht sich zu mir: »Was soll das heißen – hier zur Stelle ist?«

»Er wird sicherstellen, dass Sie sofort informiert werden, wenn wir Neuigkeiten haben, und zur Stelle sein, falls Sie irgendetwas benötigen.«

Sharon sieht mich finster an. »Etwa hier? Im Haus?«

»Ja, wenn es Ihnen recht ist. Es handelt sich um gut ausgebildete Beamte – Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Man wird Sie nicht belästigen …«

Aber sie schüttelt bereits den Kopf. »Nein. Ich will niemanden hier haben. Ich will nicht, dass Ihre Leute uns hinterherspionieren. Ist das klar?«

Ich sehe zu Gislingham hinüber, der kurz die Achseln zuckt.

Ich hole tief Luft. »Ja, das ist natürlich Ihr gutes Recht. Wir werden ein Mitglied unseres Teams zu Ihrer Kontaktperson machen, und sollten Sie es sich anders überlegen …«

»Nein, das werden wir nicht«, sagt sie sofort.

*

02:45

Oxford’s News @OxfordNewsOnline

EILMELDUNG Beträchtliche Polizeipräsenz in der Canal-Manor-Siedlung – bisher keine weiteren Einzelheiten …

02:49

Julie Hill @JulieHillinOxford

@OxfordNewsOnline Ich wohne im Canal Manor. Gestern Abend gab es eine Party und die Polizei befragte die Nachbarn

02:49

Julie Hill @JulieHillinOxford

@OxfordNewsOnline Niemand scheint zu wissen, was los ist – ungefähr 15 Streifenwagen sind vorgefahren

02:52

Angela Betterton @AngelaGBetterton

@JulieHillinOxford @OxfordNewsOnline Ich war auf der Party – es geht um ihre Tochter – offenbar wird sie vermisst – sie ist mit meinem Sohn in einer Klasse

02:53

Julie Hill @JulieHillinOxford

@AngelaGBetterton Wie furchtbar, ich dachte, es geht um Drogen oder so was @OxfordNewsOnline

02:54

Oxford’s News @OxfordNewsOnline

@AngelaGBetterton Wie heißt das kleine Mädchen und wie alt?

02:55

Angela Betterton @AngelaGBetterton

@OxfordNewsOnline Daisy Mason. Müsste 8 oder 9 sein?

02:58

Oxford’s News @OxfordNewsOnline

EILMELDUNG Berichtet wird von einer möglichen Entführung in der Canal-Manor-Siedlung. Quellen sagen, 8-jähriges Mädchen wird vermisst

03:01

Oxford’s News @OxfordNewsOnline

Wenn Sie mehr über die #Oxfordentführung hören, twittern Sie bitte an uns – wir bringen die ganze Nacht Oxford-Lokalnachrichten und mehr

*

Kurz nach drei rufen die Kollegen vom Media Team an und informieren mich, dass die Presse Bescheid weiß und wir uns damit abfinden müssen. Zwanzig Minuten später trifft auch schon der erste Übertragungswagen ein. Ich befinde mich gerade in der Küche, die Familie hält sich immer noch im Wohnzimmer auf. Barry Mason hat sich in einem Sessel zurückgelehnt, hält die Augen geschlossen, ist jedoch wach. Als wir hören, dass sich ein Fahrzeug nähert, rührt er sich nicht. Sharon Mason hingegen steht vom Sofa auf und schaut aus dem Fenster. Sie sieht den Reporter aussteigen und dann einen Mann in Lederjacke mit Mikrofon und Kamera. Sie starrt einen Augenblick hinaus, schaut dann in den Spiegel und legt eine Hand an ihre Frisur.

»DI Fawley?«

Jemand aus Challows Team steht auf halber Treppe. Eine junge Frau. Sie muss neu sein, denn ich kenne ihre Stimme nicht. Ihr Gesicht kann ich auch nicht sehen, wegen der Kapuze und der Maske. Im Gegensatz zu dem, was sie einem im Fernsehen glauben machen wollen, ähnelt die Ausstattung unserer Forensiker eher der Arbeitskleidung eines Hähnchenschlachters als dem schicken Look der Spurensicherer bei CSI. Die machen mich echt wahnsinnig, diese Scheißsendungen – keine echte Forensikerin würde jemals den Tatort kontaminieren, indem sie mit ihren Haarverlängerungen wedelt. Die junge Frau gibt mir ein Zeichen, und ich folge ihr bis zum Treppenabsatz. An der Tür vor uns verkündet ein hübsches Schild:

DAISYS ZIMMER.

Mit Klebeband ist ein Stück Papier daran befestigt, auf dem mit ungelenken Großbuchstaben aufgefordert wird:

DRAUSSEN BLEIBEN!!

»Wir haben, was wir brauchen«, sagt sie. »Aber ich dachte mir, dass Sie das Zimmer sehen möchten, auch wenn wir nicht reingehen.«

Als sie die Tür aufstößt, verstehe ich, was sie meint. Kein Kinderzimmer hat je so ausgesehen, außer vielleicht in einer Sitcom. Nichts liegt auf dem Fußboden, nichts auf den Oberflächen, nichts wurde unters Bett geschoben. Ein Kamm liegt parallel zur Haarbürste. Schmusetiere sind in Linie aufgereiht, die kleinen Knopfaugen starr auf uns gerichtet. Die Szenerie ist befremdlich. Besonders deswegen, weil das ausgelassene und quirlige Kind, das ich im Video gesehen habe, einfach nicht zu einem Zimmer passt, das so ordentlich ist. Manche Zimmer spiegeln die Menschen wider, die einmal in ihnen gewohnt haben. Aber dies ist die Leere des Nichtvorhandenseins, nicht die einer momentanen Abwesenheit. Das einzige Zeichen dafür, dass sie je hier gewesen ist, ist das Disney-Poster an der gegenüberliegenden Wand: Prinzessin Merida aus dem gleichnamigen Animationsfilm, allein im Wald, das Haar in einem aufmüpfig leuchtenden Rot. Und darunter in großen orangen Buchstaben DAS SCHICKSAL LIEGT IN DEINER HAND. Jake hat den Film auch geliebt – wir sind zweimal mit ihm hingegangen. Er vermittelt Kindern eine gute Botschaft: dass es okay ist, man selbst zu sein, dass man nur den Mut braucht, derjenige zu sein, der man wirklich ist.

»Grässlich, nicht wahr?«, unterbricht die junge Frau neben mir meinen Gedankengang.

Zumindest ist sie so taktvoll, die Stimme zu senken.

»Finden Sie?«

Sie hat inzwischen ihre Schutzmaske abgenommen, und ich sehe, dass sie die Nase rümpft. »Das ist doch wohl zu viel des Guten. Dass alles total zusammenpasst, meine ich. Kein Mensch liebt seinen Namen so sehr, glauben Sie mir.«

Jetzt, da sie es erwähnt, sehe ich es auch. Nichts als Gänseblümchen. Daisys. Das ganze verdammte Zimmer ist voll damit. Alle verschieden, aber alle Gänseblümchen. Da stehen Plastik-Daisys in einem grünen Topf, und ein leuchtend gelber Blumenkranz aus Daisys hängt am Spiegel der Frisierkommode. Glitzernde Daisy-Haarspangen, ein Gänseblümchenlampenschirm und ein Daisy-Mobile, das von der Decke baumelt. Das hier erinnert weniger an ein Kinderzimmer als an einen Themenpark.

»Vielleicht gefiel es ihr so?« Aber kaum habe ich den Gedanken ausgesprochen, verwerfe ich ihn.

Die junge Frau zuckt die Achseln. »Möglich. Aber was weiß ich schon – ich habe keine Kinder. Sie denn?«

Sie weiß es nicht. Niemand hat es ihr erzählt.

»Nein«, sage ich.

Nicht mehr.

*

BBC MIDLANDS TODAY

Mittwoch, 20. Juli 2016 | Letzte Aktualisierung um 6:41 Uhr

Polizei bittet um Mithilfe bei der Suche nach einem achtjährigen Mädchen aus Oxford

In Oxford ist ein achtjähiges Mädchen aus seinem Zuhause verschwunden. Daisy Mason wurde zuletzt am Dienstag um Mitternacht im Garten des Hauses ihrer Eltern Barry und Sharon Mason gesehen, wo diese eine Party veranstalteten.

Daisy ist blond und hat grüne Augen. Sie war zum Zeitpunkt des Verschwindens als Blume verkleidet und trug Zöpfchen. Nachbarn beschreiben sie als kontaktfreudig, aber vernünftig, und halten es für unwahrscheinlich, dass sie freiwillig mit einem Fremden fortgegangen wäre.

Die Polizei bittet darum, dass jeder, der Daisy sieht oder etwas über sie weiß, sich bei der Thames Valley Einsatzzentrale der Kriminalpolizei unter der Nummer 018650966552 meldet.

*

Gegen halb sieben ist das Forensikteam im Garten fast fertig. Die Uniformierten haben eine weitere Suchaktion in der näheren Umgebung begonnen und werden jetzt von einer ganzen Batterie sensationsgieriger Fernsehkameras beobachtet. Da wäre auch noch der Kanal, aber daran möchte ich gar nicht denken. Noch nicht. Alle nehmen an, dass dieses Mädchen noch lebt. Bis ich etwas anderes sage.

Ich stehe auf der winzigen Terrasse zum Garten hinter dem Haus. Verstreut auf den Blumenbeeten liegen ausgebrannte Reste von Feuerwerkskörpern, und der trockene Sommerrasen ist völlig verwüstet. Der Uniformierte hatte recht. Die Aussichten auf einen brauchbaren Fußabdruck gehen gegen null. Ich sehe Challow unten beim Zaun. Gebückt bahnt er sich den Weg durchs Unterholz. Über seinem Kopf hat sich in den Büschen am Treidelpfad ein Ballon verfangen. Das silberne Band flattert träge in der Luft des frühen Morgens. Was mich betrifft – ich brauche dringend eine Kippe.

Der Kanal macht hier eine leichte Kurve, was zur Folge hat, dass der Garten der Masons etwas länger ist als die meisten anderen in der Wohnsiedlung, aber dennoch muss es mit so vielen Partygästen eng geworden sein. Ich kann mich nicht entscheiden, ob es an der Schaukel in der Ecke liegt oder an dem unansehnlichen Pampasgras oder auch nur an meinem Schlafmangel, aber dieser Garten hier erinnert mich auf unangenehme Weise an den Garten, den wir in meiner Jugend hatten. Eingepfercht zwischen all den identischen tristen Häusern in einer unsäglichen Straßensiedlung, die ihre Existenz einzig und allein der U-Bahn verdankt – eine Haltestation auf dem letzten Streckenabschnitt, willkürlich aus dem Boden gestampft, wo sich einmal Wiesen ausgebreitet hatten, die jedoch schon zubetoniert waren, als wir noch dort wohnten. Meine Eltern hatten sich für diesen Ort entschieden, weil er sicher war und sie sich mehr nicht leisten konnten. Auch jetzt kann ich ihnen weder das eine noch das andere zum Vorwurf machen. Aber es blieb trotzdem grässlich. Kein richtiger Ort, nur etwas, das sich südlich der einzigen stadtähnlichen Ansammlung von Häusern im Umkreis von Meilen befand. Dorthin musste ich fahren, um in die Schule zu gehen, um meine Kumpel zu besuchen, um in den Pubs abzuhängen und Mädchen zu treffen. Nicht einen einzigen Freund habe ich je mit nach Hause genommen, nie habe ich jemanden sehen lassen, wo ich tatsächlich wohnte. Vielleicht sollte ich mit diesen Canal-Manor-Leuten nicht so streng sein: Ich weiß doch, wie es sich anfühlt, auf der falschen Seite der Gleise zu wohnen.

Unten im Garten der Masons glüht es noch immer auf dem Grill, und beim Abkühlen gibt das Metall ein leises Ticken von sich. Die Ketten der Schaukel sind mit Klebeband aneinander befestigt, damit sie nicht benutzt werden kann. Da steht außerdem ein Stapel Gartenstühle, ein kleiner Faltpavillon und ein Klapptisch mit Karomusterdecke, ebenfalls zusammengefaltet. Darunter stehen grüne Kühlboxen mit den Aufschriften BIER, WEIN, SOFTDRINKS. Auf der Terrasse hinter mir sehe ich zwei Tonnen auf Rollen, die Recyclingtonne randvoll mit Dosen und Flaschen, die andere beladen mit schwarzen Müllsäcken. Mir dämmert – was es schon von vornherein hätte tun sollen –, dass Sharon Mason all das gemacht haben musste. Das Saubermachen, das Falten. Sie hat den gesamten Garten aufgeräumt, um ihn vorzeigbar zu machen, und zwar nachdem sie erfahren hat, dass ihre Tochter vermisst wurde.

Gislingham kam aus der Küche zu mir. »DC Everett sagt, bei den Befragungen der Nachbarn hat sich nichts Nützliches ergeben. Keiner von den Partygästen erinnert sich daran, etwas Verdächtiges bemerkt zu haben. Wir sammeln jedoch ihre Fotos ein – das dürfte hilfreich sein, was den Zeitablauf betrifft. Es gibt auf dem Gelände keine Überwachungskamera, aber vielleicht finden wir ja was in der Umgebung. Und wir überprüfen die Aufenthaltsorte bekannter Sexualstraftäter in einem Radius von zehn Meilen.«

Ich nicke. »Gute Arbeit.«

Challow richtet sich auf und winkt uns zu sich. Im Zaun hinter der Schaukel ist eine Latte lose. Aus der Entfernung sieht sie fest und solide aus, aber man braucht nur kraftvoll dagegen zu drücken, und schon könnte sich ein Erwachsener hindurchquetschen.

Gislingham liest meine Gedanken. »Aber könnte tatsächlich jemand einsteigen, sich das Mädchen greifen und wieder verschwinden, ohne dass er bemerkt wird? In einem Garten dieser Größe, in dem so viele Menschen versammelt sind? Und noch dazu ein Mädchen, das sich wahrscheinlich wehrt?«

Ich sehe mich um. »Wir müssen herausfinden, wo der Pavillon stand und wie groß er war. Wenn sie ihn am hinteren Ende des Gartens aufgestellt hatten, könnte es sein, dass niemand das Loch im Zaun bemerkt hat, und auch nicht, dass jemand hindurchgeschlüpft ist. Und dann war da noch das Feuerwerk …«

Er nickt. »Jeder sieht in eine andere Richtung, jede Menge Krach, kreischende Kids …«

»Dazu die Tatsache, dass die meisten Gäste hier die Eltern von Schulfreunden waren. Und ich gehe jede Wette ein, dass die Masons manche von ihnen noch nicht kannten. Besonders nicht die Väter. Jemand mit Eiern aus Stahl, könnte hier auftauchen und so tun, als gehöre er zu den Eltern. Und er könnte davonkommen, zumal die Leute geradezu erwarten würden, dass man sich mit den Kindern unterhält.«

Wir gehen über den Rasen zum Haus hinauf. »Diese Fotos, die du einsammelst, Chris – die können wir nicht nur wegen des Zeitablaufs gebrauchen. Fang damit an, die Namen abzuhaken. Wir müssen nicht nur wissen, wo die Leute waren, sondern wer sie sind.«

*

Um fünf Minuten nach sieben klingelt DC Everett an einer weiteren Haustür. Sie wartet, dass sich die Tür öffnet, wartet darauf, ihr professionelles Lächeln aufzusetzen und zu fragen, ob sie zu einem kleinen Gespräch hineinkommen darf. Das macht sie jetzt zum fünfzehnten Mal und versucht, nicht damit zu hadern, dass man ihr die Befragungen auferlegt hat, während Gislingham in dem einzigen Haus arbeiten darf, auf das es ankommt. Das Haus im Mittelpunkt des Geschehens. Schließlich kann man die Fälle, in denen eine Kindesentführung anhand dessen aufgeklärt wurde, »was die Nachbarn beobachtet haben«, an fünf Fingern abzählen. Aber um fair zu sein: Einige dieser Leute waren tatsächlich im Garten der Masons, als deren Tochter verschwand. Aber wenn man bedenkt, wie viele potentielle Zeugen sich an dem kleinen Schauplatz aufhielten, hat Everett bislang nicht viel Brauchbares erfahren. Es war eine »nette Party«, ein »durchaus angenehmer Abend«. Und doch ist irgendwann an diesem Abend ein kleines Mädchen verschwunden, und niemand hat auch nur das Geringste bemerkt.

Sie klingelt wieder (zum dritten Mal), tritt einen Schritt zurück und sieht am Haus hinauf. Die Vorhänge sind offen, aber es ist kein Mensch zu sehen. Sie überprüft ihre Liste. Kenneth und Caroline Bradshaw, ein Ehepaar in den Sechzigern. Könnten durchaus noch vor den Schulferien in den Urlaub gefahren sein. Sie kritzelt eine Notiz neben die Namen und geht über die Auffahrt zurück zum Fußweg. Eine der uniformierten Polizistinnen tritt an sie heran und ist leicht außer Atem. Everett hat sie zwar schon auf dem Revier gesehen, aber die Neue hat gerade erst die Ausbildung in Sulhamstead hinter sich gebracht, und sie haben sich noch nie unterhalten. Everett versucht, sich an ihren Namen zu erinnern – Simpson? So ähnlich. Nein – Somer. Stimmt. Erica Somer. Sie ist älter als die meisten Anfängerinnen, sie muss wohl vorher schon etwas anderes gemacht haben. So ähnlich wie Everett selbst, die einen Fehlstart als Krankenschwester auf dem Konto hat. Aber darüber schweigt sie, denn das würde ihren Kollegen nur einen weiteren Vorwand liefern, sie mit dem Überbringen schlechter Nachrichten zu betrauen. Oder von Tür zu Tür zu gehen.

»Da liegt etwas in einer der Tonnen – ich glaube, das sollten Sie sich ansehen«, sagt Somer und deutet zurück in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Sie kommt ohne Umschweife auf den Punkt. Everett ist das sofort sympathisch.

Die erwähnte Tonne steht an der Ecke, wo die Wohnstraße von der Seitenstraße abgeht. Ein Forensiker steht bereits daneben und macht Fotos. Als er Everett sieht, nickt er, und die beiden Frauen sehen zu, wie er in die Tonne greift und etwas herauszieht, das obenauf liegt. Es entfaltet sich wie eine Schlangenhaut. Schlaff, leer, grün.

Eine Strumpfhose, an einem Knie aufgerissen. Und in Kindergröße.

*

Gespräch mit Fiona Webster, geführt in 11 Barge Close, Oxford

20. Juli 2016, 7:45 Uhr

Anwesend: DC V. Everett

VE: Würden Sie uns sagen, woher Sie die Masons kennen, Mrs. Webster?

FW: Im Kit’s ist meine Tochter Megan in derselben Klasse wie Daisy. Und Alice ist in der Klasse darüber.

VE: Kit’s?

FW: Entschuldigung – Bishop Christopher’s Grundschule. Alle hier nennen sie nur Kit’s. Und natürlich sind wir Nachbarn. Wir haben ihnen für die Party den Faltpavillon geliehen.

VE: Sie sind also befreundet?

FW: Befreundet würde ich es nicht nennen. Sharon hält Abstand. Wir unterhalten uns am Schultor, und manchmal gehe ich mit ihr joggen. Aber sie ist viel disziplinierter als ich. Sie läuft jeden Morgen, auch im Winter, nachdem sie die Kinder zur Schule gebracht hat. Sie macht sich Sorgen um ihr Gewicht – ich meine, sie hat es nicht ausdrücklich gesagt, aber ich merke so was. Wir haben mal in der Stadt zu Mittag gegessen – eigentlich rein zufällig –, weil wir uns bei der Pizzeria in der High Street über den Weg gelaufen sind. Und sie konnte nicht ablehnen. Aber sie hat so gut wie gar nichts gegessen, nur in einem Salat gestochert …

VE: Sie arbeitet also nicht. Sonst könnte sie ja morgens nicht joggen.

FW: Tut sie nicht. Ich glaube, sie hat mal gearbeitet, aber ich weiß nicht, als was. Mich würde es verrückt machen, den ganzen Tag im Haus zu sitzen, aber sie scheint ganz in der Kindererziehung aufzugehen.

VE: Sie ist also eine gute Mutter?

FW: Ich kann mich nur erinnern, dass sie bei diesem Mittagessen von nichts anderem geredet hat als den guten Zensuren, die Daisy bei dieser oder jener Klassenarbeit bekommen hatte, und dass sie vorhätte, Tierärztin zu werden. Und ob ich wüsste, welche Uni für dieses Studium die beste sei.

VE: Also eine von diesen ehrgeizigen Müttern?

FW: Unter uns gesagt – mein Mann Owen kann sie nicht ausstehen. Sie kennen doch den Ausdruck, dass jemand die Ellbogen einsetzt? Er sagt, bei ihr sind es keine Ellbogen, sondern Sensen. Aber ich persönlich finde, dass man niemanden dafür verurteilen kann, dass er für seine Kinder das Beste will. Bei Sharon ist das nur ein wenig offensichtlicher als bei den meisten von uns. Ich glaube auch, dass die Masons eigentlich wegen der Schulen hergekommen sind. Ich glaube nicht, dass sie sich private Schulen leisten könnten.

VE: Die Häuser hier sind aber auch nicht gerade billig …

FW: Nein, ich habe nur den Eindruck, dass es bei ihnen etwas knapp ist.

VE: Wissen Sie, wo die Familie vorher gewohnt hat?

FW: Irgendwo in South London, glaube ich. Sharon spricht nicht viel über die Vergangenheit. Oder ihre Familie. Ehrlich gesagt, bin ich etwas verwundert, dass Sie all das wissen wollen – sollten Sie nicht da draußen sein und nach Daisy suchen?

VE: Unsere Officers durchsuchen in Gruppen die Gegend und sichten das Material der örtlichen Überwachungskameras. Je mehr wir jedoch über Daisy und über ihre Familie erfahren, desto besser. Man kann nie wissen, was sich eventuell als bedeutsam erweist. Lassen Sie uns weiter über den gestrigen Abend sprechen. Um welche Zeit sind Sie eingetroffen?

FW: Kurz nach sieben. Wir gehörten zu den Ersten. Auf der Einladung stand halb sieben bis sieben, und ich glaube, dass Sharon wohl damit gerechnet hatte, dass die Leute um halb sieben kommen würden. Sie war sehr nervös, als wir auftauchten. Vermutlich hatte sie Angst, dass niemand kommen würde. Sie hatte sich große Mühe gemacht – ich habe ihr gesagt, alle würden sich gern beteiligen und Sachen mitbringen, aber sie wollte unbedingt alles allein machen. Auf den Tischen im Garten standen schon die Speisen, mit Frischhaltefolie abgedeckt – das Zeug ist doch einfach grässlich, oder? Ich meine …

VE: Sie sagten, Sharon sei nervös gewesen?

FW: Nun ja, aber nur wegen der Party. Später, als alles gut anlief, war sie guter Dinge.

VE: Und Barry?

FW: Oh, Baz war mit Leib und Seele bei der Sache, wie man es von ihm kennt. Er ist sehr gesellig – hat immer was zu erzählen. Ich bin sicher, die Party war seine Idee. Er ist vernarrt in Daisy – eine typische Vater-Tochter-Beziehung. Ständig hebt er sie hoch und trägt sie auf den Schultern umher. In ihrem Blümchenkostüm sah sie sehr süß aus. Es ist traurig, wenn sie das Alter erreichen, in dem sie sich nicht mehr verkleiden wollen – Alice hat das rundheraus abgelehnt. Sie ist gerade mal ein Jahr älter als Daisy, aber inzwischen sind nur noch bauchfreie Tops und Sportschuhe angesagt.

VE: Sie müssen Barry Mason sehr gut kennen?

FW: Bitte?

VE: Sie haben ihn Baz genannt.

FW: (lacht) Guter Gott, habe ich ihn so genannt? Ich weiß, es ist schlimm, aber manche von uns nennen die beiden so. ›Baz und Shaz‹. Eben kurz für Barry und Sharon. Aber um Gottes willen, sagen Sie Sharon nicht, dass ich sie so genannt habe – sie hasst es, und als es einmal jemandem aus Versehen rausgerutscht ist, hat sie total die Fassung verloren.

VE: Barry ist da nicht so empfindlich?

FW: Anscheinend nicht. Aber er ist sowieso ein lockerer Typ. Lockerer als sie. Ist auch keine große Kunst.

VE: Wann haben Sie Daisy das letzte Mal gesehen?

FW: Ich hab mir deswegen schon den Kopf zerbrochen. Ich denke, es war kurz vor dem Feuerwerk. Jede Menge kleine Mädchen tobten den ganzen Abend durch die Gegend. Die Stimmung war großartig.

VE: Und Sie haben niemanden gesehen, der mit ihr sprach – vielleicht sogar jemanden, den Sie nicht kannten?

FW: Die meisten kannte ich. Ich glaube, sie waren alle aus der Siedlung. Zumindest erinnere ich mich an niemanden von der anderen Seite.

VE: Der anderen Seite?

FW: Sie wissen schon. Von der anderen Seite des Kanals: die feinere Gesellschaft. Von denen verirrt sich nur selten einer in unseren Slum. Auf jeden Fall hat Daisy, soweit ich mich erinnern kann, die ganze Zeit mit ihren Freundinnen verbracht. Erwachsene sind doch ganz schön langweilig, wenn man in dem Alter ist.

VE: Und Ihr Mann Owen? War er dort?

FW: Wieso wollen Sie das wissen?

VE: Wir müssen einfach in Erfahrung bringen, wo die einzelnen Personen waren …

FW: Wollen Sie andeuten, dass Owen etwas damit zu tun haben könnte? Dann kann ich Ihnen nämlich gleich sagen …

VE: Wie ich schon sagte, müssen wir nur wissen, wer die Partygäste waren. (Pause) Es kann sein, dass wir die Strumpfhose gefunden haben, die Daisy trug. Können Sie sich entsinnen, ob das Mädchen sie noch anhatte, als Sie sie zum letzten Mal gesehen haben?

FW: Tut mir leid, aber daran kann ich mich wirklich nicht erinnern.

VE: Und sie ist auf der Party nicht hingefallen und hat sich verletzt, soweit Sie wissen?

FW: Nein, ich bin mir sicher, dass ich mich daran erinnern würde. Aber warum fragen Sie danach? Wieso ist das wichtig?

VE: Es war Blut an der Strumpfhose, Mrs. Webster. Wir versuchen, herauszufinden, wie es dorthin gekommen ist.

*

Um halb neun sitze ich im Auto. Ich parke um die Ecke im Waterview Crescent, einer Straße, die in der Immobilienhackordnung definitiv eine Stufe höher angesiedelt ist – dreistöckige Stadthäuser und am Eingang tatsächlich, ob man es glauben mag oder nicht, ein steinernes Löwenpaar auf Sockeln. Ich esse eine Pastete, die mir jemand von der Tankstelle an der Hauptstraße mitgebracht hat. Ich spüre, wie sich meine Arterien schon bei ihrem Anblick verstopfen. Aber für zehn Uhr ist eine Pressekonferenz anberaumt, und wenn ich bis dahin nicht gegessen habe, wird mir schwindlig. Und wo wir gerade dabei sind, das Auto ist ein Ford. Sollten Sie sich das gefragt haben. Und für dämliche Kreuzworträtsel habe ich auch nichts übrig.

Jemand klopft ans Fenster auf der Fahrerseite, und ich fahre es herunter. DC Everett. Verity heißt sie – ich habe ihr mal gesagt, dass sie mit ihrem Namen, der Wahrheit bedeutet, wie geschaffen ist für unseren Job. Und sie hört auch nie auf, danach zu suchen – nach der Wahrheit, meine ich. Lassen Sie sich nicht von ihrem behäbigen Auftreten täuschen – eine so unerbittliche Mitarbeiterin wie sie hatte ich selten.

»Was ist los? Was hatte Fiona Webster zu sagen?«

»Eine Menge. Aber es geht um etwas anderes. Die alte Tante in Nummer sechsunddreißig hat etwas gesehen. Ein paar Minuten nach elf, sagt sie. Sie ist ganz sicher, denn sie wollte schon bei der Gemeinde anrufen, um sich über den Lärm zu beschweren.«

Mir fällt ein, was Sharon Mason über Leute gesagt hat, die andere anschwärzen. Vielleicht habe ich sie falsch eingeschätzt – wenn man tatsächlich Scheißnachbarn hat, leidet man nicht unter Verfolgungswahn.

»Was hat also Mrs. …?«

»Bampton.«

»Was hat Mrs. Bampton also gesagt?«

»Sie sagt, sie sah einen Mann, der sich vom Haus der Masons entfernte und ein Kind in den Armen hielt. Ein Mädchen. Es weinte. Doch es hörte sich eher nach Schreien an, sagt die alte Dame. Deswegen ist sie ja überhaupt erst ans Fenster gegangen.«

Ich schüttle den Kopf. »Es wurde eine Party gefeiert. Woher wollen wir wissen, dass da nicht etwas völlig Harmloses vor sich ging – dass es sich nicht um einen der Väter handelte, der nach Hause wollte?«

Mit diesem Einwand will ich nicht ausdrücken, dass ich ihr nicht glaube, doch es widerstrebt mir, anzunehmen, dass das tatsächlich passiert ist. Aber ihre Wangen sind gerötet – sie hat noch mehr zu berichten. »Mrs. Bampton sagt, sie konnte das Gesicht des Mannes auf die Entfernung nicht erkennen und ist daher auch nicht in der Lage, ihn zu beschreiben.«

»Und wieso konnte sie erkennen, dass er ein Mädchen bei sich hatte?«

»Weil die Kleine ein Kostüm trug. Sie war als Blume verkleidet.«

*

09:00

Thames Valley Police @ThamesValleyPolice

Gesucht wird Daisy Mason, 8. Zuletzt gesehen Canal Manor #Oxford Dienstag Mitternacht. Infos an 018650966552

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09:09

BBC Midland @BBCMidlandsBreaking

Pressekonferenz der Polizei, 10 Uhr heute Morgen. Betreff: Verschwinden der 8-jährigen Daisy Mason

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09:11

ITV NEWS @ITVLiveandBreaking

EILMELDUNG: Polizei Oxford informiert um 10:00 Uhr über Suche nach 8-jähriger #DaisyMason mit Einzelheiten über möglichen Verdächtigen

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*

Die ersten fünfzehn Minuten der Pressekonferenz verliefen recht ereignislos. Die üblichen Fragen, die üblichen ausweichenden Antworten. »Frühe Phase der Ermittlungen« – »tun alles in unserer Macht Stehende« – »wenn jemand über Informationen verfügt«. Die übliche Prozedur. Das Publikum war unruhig – man wusste, dass es eine große Sache sein könnte, aber es fehlte der Ansatzpunkt, und man bewegte sich im Kreis. Dass der Täter möglicherweise gesehen worden war, hatte zeitweilig Aufregung ausgelöst, aber ohne Foto oder Beschreibung kam man nicht weiter. Einer der üblichen Verdächtigen versuchte, sich ins Rampenlicht zu stellen, indem er auf harte Weise persönlich wurde (»DI Fawley, sind Sie tatsächlich der geeignete Officer, um die Ermittlungen im Fall einer Kindesentführung zu leiten?«), aber alle anderen hielten sich zurück. Ich sah auf meine Uhr – die ihnen zugestandene Viertelstunde war fast verstrichen –, als ganz hinten jemand aufstand. Er sah aus wie siebzehn. Strohblondes Haar, teigige Haut, die sehr schnell errötete, als sich alle zu ihm umdrehten. Keiner von der nationalen Presse, das war mir klar. Wahrscheinlich ein Volontär von einem der lokalen Anzeigenblätter. Aber ich unterschätzte ihn, und das hätte ich wissen müssen.

»DI Fawley, können Sie bestätigen, dass Sie in der Nähe des Schauplatzes ein Kleidungsstück gefunden haben, das eventuell Daisy gehört? Stimmt das?«

Wie elektrisiert schienen zwei Dutzend Personen ganz plötzlich vor Aufmerksamkeit zu vibrieren.

Ich zögerte. Was immer ein schlimmer Fehler ist.

Hände schossen in die Höhe, man hörte hektisches Fingertippen auf Tablet-Displays. Sechs oder sieben Leute wollten sich einmischen, aber das Teiggesicht stand seinen Mann.

Während der Nanosekunde, die ich für meine Antwort brauchte, ging mir auf, dass er wohl absichtlich nicht genau beschrieb, was wir gefunden hatten. Nicht, weil er es nicht weiß. Es geht ihm darum, diese kleine Sensationsnachricht für sich zu nutzen.

Ich atmete tief durch. »Ja, das stimmt.«

»Und dieses – Kleidungsstück – war voller Blut?«

Ich wollte etwas erwidern, ihn korrigieren, aber es war zu spät. Ein Tumult brach aus.

*

Um zehn Uhr fünfzehn stellt DC Andrew Baxter am Eingang des Gemeindesaals in der Banbury Road, der für die Suchmannschaften requiriert war, einen Flipchart-Ständer mit einer großen Karte von North Oxford auf. Die unmittelbare Umgebung wurde bereits abgesucht, und da eine so große Zahl Einheimischer persönlich erschienen ist oder telefonisch ihre Hilfe angeboten hat, erfordert die nächste Phase wohlüberlegte Organisation.

»Also«, sagt er mit lauter Stimme, um den Lärm zu übertönen. Man kann den Polizeihubschrauber hören, der über den Köpfen kreist. »Mal gut aufpassen. Wir müssen ganz genau wissen, wer was zu tun hat, damit wir uns nicht im Kreis drehen oder über unsere eigenen Füße stolpern und auf den Arsch fallen. Wenn ihr es anders ausdrücken möchtet, nur zu.«

Er nimmt einen roten Marker zur Hand. »Wir haben die nächsten Suchgebiete in drei Zonen geteilt. Zu jedem Team gehört mindestens ein Dutzend Polizeibeamte sowie ein speziell ausgebildeter Suchexperte, der die Verantwortung dafür trägt, dass Beweisstücke zugeordnet werden, und der sicherstellt, dass kein Hanswurst mehr schadet als hilft.«

Mit dem Marker zieht er eine Linie um einen Teil der Karte. »Team Eins unter Sergeant Ed Mead übernimmt die Griffin School, das ganze verdammte Gelände. Das meiste ist Gott sei Dank gut überschaubar, aber es gibt da immer noch genügend Gestrüpp und kleine Wäldchen sowie das Unterholz auf der Ostseite des Kanals. Die Schule hat einen Trupp kräftiger Sechstklässler aufgestellt, die mithelfen sollen – der Sportlehrer war mal in der Army. Dürfte also nützlich sein. Team Zwei unter Sergeant Philip Mann übernimmt den Treidelpfad am Canal Manor und das Naturschutzgebiet westlich des Kanals. Freiwillige vom Wildlife Trust werden sich dort mit euch treffen – offenbar brüten bestimmte Vögel noch immer, und deswegen sind die Leute zur Stelle, um sicherzustellen, dass wir nicht mehr Schaden anrichten als nötig. Außerdem liegen in der Gegend einige Kanalboote, deren Besitzer wir befragen müssen.«

Er zeichnet weitere Linien auf die Karte. »Team Drei unter Sergeant Ben Roberts wird das Freizeitgelände übernehmen, den Parkplatz beim Bahnübergang und die College-Sportplätze an der Woodstock Road. Jede Menge Einheimische, die nur zu gerne helfen.«

Er schiebt die Kappe wieder auf den Marker. »Irgendwelche Fragen? Gut. Bleibt telefonisch in Kontakt, und wenn die Suche ausgeweitet werden muss oder der Hubschrauber etwas entdeckt, berufen wir ein neues Treffen ein. Hoffen wir, dass es nicht nötig sein wird.«

*

Auf dem Weg aus dem Presseraum klingelt mein Telefon. Alex. Ich frage mich, ob es eine gute Idee ist, das Gespräch anzunehmen. Mein Display ziert eines jener nichtssagenden Fotos, die vom Hersteller mitgeliefert werden: Bäume und Gras und Himmel. Ich habe es nicht ausgewählt – es war mir auch nicht wichtig. Ich musste nur das damalige Bild loswerden. Das Foto von Jake auf Alex’ Schultern, das ich letzten Sommer gemacht hatte und auf dem das Gegenlicht sein dunkles Haar rot erglühen ließ. Ich hatte ihm gerade gesagt, dass er langsam ein bisschen zu groß werde, um noch Huckepack genommen zu werden, aber er grinste nur und ließ sich trotzdem tragen. Das Bild erinnerte mich immer an ein Gedicht, das wir in der Schule gelesen hatten: Überrascht von Freude. So wirkte Jake auf dem Foto. Als habe ihn das Glücksgefühl überrumpelt.

Ich nehme den Anruf entgegen.

»Hallo, Adam? Wo bist du?«

»Auf dem Revier, eine Pressekonferenz. Es ist etwas passiert – ich wollte dich nicht wecken …«

»Ich weiß – ich hab es in den Nachrichten gehört. Es heißt, ein Kind werde vermisst.«

Ich hole tief Luft. Ich wusste, dass so etwas früher oder später auf uns zukommen würde. Nur eine Frage der Zeit. Aber das Wissen, dass etwas geschehen wird, macht es nicht immer leichter, wenn es dann tatsächlich geschieht.

»Ein kleines Mädchen«, sage ich. »Daisy heißt sie.«

Ich meine, ihren Herzschlag zu hören. »Die armen Eltern. Wie geht es ihnen?«

Eigentlich eine einfache Frage, aber ich habe keine einfache Antwort. Und das, mehr als alles andere, macht mir bewusst, wie rätselhaft die Masons sind.

»Schwer zu sagen«, erwidere ich, um Ehrlichkeit bemüht. »Ich glaube, es ist im Moment eher der Schock. Aber es ist noch früh, und es gibt keinen Hinweis, dass dem Kind etwas angetan wurde. Nichts, was vermuten ließe, wir würden sie nicht heil wiederfinden.«

Sie schweigt einen Augenblick. Und fährt fort: »Manchmal frage ich mich, ob das nicht schlimmer ist.«

Ich drehe mich zur Seite und senke die Stimme. »Schlimmer? Was meinst du damit?«

»Hoffnung. Ob die vielleicht schlimmer ist. Schlimmer als die Gewissheit. Wir zumindest …«

Ihre Stimme erstirbt.

So hat sie noch nie mit mir geredet. Wir haben so noch nie miteinander geredet. Sie wollten uns dazu bringen, man trug uns auf zu reden. Aber wir schoben es immer länger vor uns her. Länger und länger und länger, bis wir gar nicht mehr darüber sprechen konnten. Bis jetzt. Sie weint leise vor sich hin, weil sie nicht möchte, dass ich es höre. Ich kann nicht sagen, ob es an ihrem Stolz liegt oder ob sie mir Kummer ersparen möchte. Ich hebe den Blick. Ein DC verlangt meine Aufmerksamkeit.

»Alex, ich muss leider Schluss machen.«

»Ich weiß. Tut mir leid.«

»Nein, mir tut es leid. Ich rufe dich später an. Versprochen.«

*

19. Juli 2016, 15:30 UhrDer Tag des VerschwindensBishop Christopher’s Grundschule, Oxford

Es klingelt zum Unterrichtsschluss, und die Kinder strömen lärmend aus ihren Klassenzimmern in den Sonnenschein und die überheizten Autos, in denen die Eltern am Schultor warten. Manche rennen, manche hüpfen, eines oder zwei trödeln, und manche der älteren Kinder sammeln sich zu Gruppen, reden und zeigen einander Interessantes auf ihren iPhones. Zwei Lehrerinnen stehen auf den Stufen und sehen zu, wie sich die Kinder zerstreuen.

»Das Halbjahr ist ja Gott sei Dank bald vorbei«, sagt die Ältere der beiden, schnappt sich ein Sweatshirt, das auf dem Boden schleift, und reicht es seinem Besitzer. »Ich kann es kaum erwarten – dieses war irgendwie anstrengender als gewöhnlich.«

Die Frau neben ihr lächelt betrübt. »Wem sagst du das?« Einige Kinder aus ihrer Klasse laufen vorbei, und eines der Mädchen bleibt stehen, um sich zu verabschieden. Sie ist den Tränen nahe, denn ihre Familie fährt am nächsten Tag in den Urlaub, und ihre Lehrerin wird zum nächsten Halbjahr nicht mehr wiederkommen. Sie mag ihre Lehrerin.

»Hab es schön in Südafrika, Millie«, sagt die Frau freundlich und berührt sanft die Schulter des Mädchens. »Ich hoffe, du bekommst deine Löwenbabys zu sehen.«

Millies Klassenkameraden schließen auf und folgen ihr nach draußen. Ein paar Jungen, ein hochgewachsenes Mädchen mit Zöpfen und eines, das chinesisch aussieht. Und zuletzt kommt ein blondes Mädchen mit einer blassrosa Strickjacke um die Schultern und einer Tasche voller Disney Prinzessinnen angestürmt.

»Langsam, Daisy«, mahnt die Lehrerin, als sie die Treppen hinunterspringt. »Du willst doch nicht hinfallen und dich verletzen!«

»Sie hat heute besonders gute Laune«, bemerkt die ältere Frau, als sie sehen, wie das Mädchen sich beeilt, um die beiden anderen zu erreichen.

»Die Familie gibt heute Abend eine Grillparty. Deswegen ist die Kleine wohl so überdreht.«

Die ältere Frau zieht eine Grimasse. »Ich wünschte, ich wäre jung genug, um mich so für matschigen Salat und durchgebratene Hamburger zu begeistern.«

Ihre Kollegin lacht. »Es gibt auch ein Feuerwerk. Dafür ist man doch nie zu alt.«

»Okay, da muss ich zustimmen. Mit Pyrotechnik kann man mich noch locken. Auch in meinem Alter.«

Die beiden Frauen lächeln einander an, die jüngere dreht sich um und geht in die Schule zurück, während die andere noch ein paar Minuten stehen bleibt und den Spielplatz im Auge behält. In den folgenden Wochen wird die Erinnerung an diesen Moment sie immer wieder verfolgen: das kleine blonde Mädchen, das im Sonnenschein am Schultor steht und fröhlich mit einer Freundin spricht.

*

»Also, wer zum Teufel hat mit der Presse geredet?«

Zehn Uhr fünfunddreißig. In der Einsatzzentrale ist es heiß. Die Fenster stehen offen, und jemand hat in irgendeinem Lagerraum einen uralten Ventilator aufgestöbert. Sirrend bewegt er sich gemächlich von links nach rechts, von rechts nach links. Manche Leute sitzen auf den Schreibtischen, andere lehnen sich dagegen. Ich betrachte sie, gemächlich von links nach rechts, von rechts nach links. Die meisten von ihnen haben keine Scheu, mir in die Augen zu sehen. Einer oder zwei wirken leicht verlegen. Mehr aber auch nicht. Wenn zehn Jahre Erfahrung mit Verhören mich etwas gelehrt haben, dann das: Wenn du auf eine Wand gestoßen bist, bleib stehen.

»Ich habe strikte Anweisungen gegeben, in der Öffentlichkeit weder die Strumpfhose zu erwähnen noch das, was wir darauf gefunden haben. Und jetzt muss die Familie in den verdammten Nachrichten davon hören. Was denken Sie, wie sich die Angehörigen fühlen? Die Information stammt von einer Person in diesem Raum, und ich bin fest entschlossen herauszufinden, von wem. Aber ich werde jetzt keine kostbare Zeit damit verschwenden. Nicht, solange Daisy Mason verschwunden ist.«

Ich wende mich wieder dem Whiteboard zu. Dort hängt eine Karte, in der bunte Pinnwandnadeln stecken, und einige unscharfe Fotos, offensichtlich Handyaufnahmen, sind entlang einer angedeuteten Zeitleiste aufgereiht. Den meisten von ihnen sind Namen beigefügt; das eine oder andere ist mit einem Fragezeichen versehen. Und daneben dann Daisy selbst. Beim Betrachten der Bilder fällt mir zum ersten Mal auf, wie sehr sie ihrer Mutter gleicht. Ähnlich und doch auch wieder nicht. Und dann frage ich mich, wie ich davon so überzeugt sein kann, wenn ich dem Mädchen noch nie begegnet bin.

»Wie weit sind wir mit der angeblichen Sichtung eines Verdächtigen?«

Hinter mir räuspert sich jemand. »Wir haben die Bilder der Überwachungskameras innerhalb von zwei Meilen.«

Gareth Quinn. Man kennt den Stil: scharfer Anzug und stumpfer Rasierer. Spielt sich auf, während Jill Murphy Mutterschaftsurlaub genießt, und ist fest entschlossen, aus jeder einzelnen Minute das Beste herauszuholen. Mir persönlich geht er auf die Nerven, aber er ist nicht dumm, und sein Auftritt ist nützlich, wenn man jemanden braucht, dem man nicht schon von weitem ansieht, dass er Polizist ist. Es überrascht mich nicht, dass die Witzbolde auf dem Revier ihn »GQ« nennen, was er – ein wenig zu theatralisch – als lästige Zumutung von sich weist. Ich höre ihn hinter mir näher kommen.

»Der Kanal führt östlich am Anwesen vorbei«, sagt er. »Also muss man eine dieser beiden Brücken benutzen, um rauszukommen. Keine von beiden wird videoüberwacht. Aber an der Woodstock Road nach Norden gibt es eine Kamera, und zwar hier.« Er deutet auf eine rote Pinnwandnadel. »Und eine befindet sich hier am Kreisverkehr der Ringstraße. Wer schnell davonkommen wollte, hätte diesen Weg nehmen müssen und nicht den in Richtung Süden durch die Stadt.«

Ich betrachte die Karte, die weite Fläche offenen Geländes, die sich nach Osten erstreckt: dreihundert Acres, die seit tausend Jahren brachliegen und selbst bei diesem Wetter zur Hälfte unter Wasser stehen. Und nicht mehr als fünf Minuten vom Canal Manor entfernt, aber man muss die Eisenbahntrasse überqueren, um hinzukommen.

»Was ist mit Port Meadow – gibt es da am Bahnübergang Überwachungskameras? Ich kann mich nicht erinnern, welche gesehen zu haben.«

Quinn schüttelt den Kopf. »Nein, außerdem war der Übergang während der letzten beiden Monate geschlossen, weil man dort eine neue Fußgängerüberquerung baut und einen Teil der Trasse verlegt. Gearbeitet wird nachts, und gestern Abend war eine ganze Mannschaft aktiv. Die alte Fußgängerbrücke hat man vor dem Abriss gesperrt, daher konnte niemand auf diesem Weg nach Port Meadow gelangen.«

»Wenn das also eine Niete ist, welche anderen Optionen bleiben uns?«

Quinn deutet auf eine grüne Nadel. »Angesichts der Tatsache, dass wir die Strumpfhose hier gefunden haben, ist es wahrscheinlich, dass der Verdächtige über den Birch Drive und dann hinauf zur Ringstraße entkommen ist, wie ich schon sagte. Und das könnte auch der Ort gewesen sein, wo die alte Wachtel Daisy gesehen haben will.«

Er tritt zurück und klemmt seinen Stift hinters Ohr. Das ist ein Tick von ihm, und mir fällt auf, dass ein paar Burschen weiter hinten dasselbe tun – sie nehmen ihn auf die Schippe, doch es ist nicht böse gemeint. Er ist einer von ihnen, aber jetzt auch ein DS, zumindest zeitweise, und das macht ihn zur Zielscheibe des Spotts. »Wir haben uns das gesamte Filmmaterial aller Kameras auf dieser Route angesehen«, fährt er fort, »aber verdammt noch mal nichts gefunden. Um diese nächtliche Zeit herrschte nicht viel Verkehr, und die Autofahrer, mit denen wir bisher gesprochen haben, kommen nicht in Frage. Da gibt es einen oder zwei, die wir bisher nicht aufspüren konnten, aber keine Männer, die allein in ihrem Auto saßen. Und absolut niemand war mit einem kleinen Kind zu Fuß unterwegs oder mit einem Bündel, bei dem es sich auch nur im Entferntesten um ein kleines Kind handeln könnte. Was nur folgende Alternativen lässt: Entweder hat die alte Wachtel in der Siedlung sich geirrt – oder Daisy befindet sich noch im Canal Manor.«