The Whole Truth - Falsches Spiel - Cara Hunter - E-Book
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The Whole Truth - Falsches Spiel E-Book

Cara Hunter

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Beschreibung

Sie bestimmt die Regeln. Er könnte alles verlieren. Und einer von beiden lügt!

An der renommierten Universität Oxford wird der schwerwiegende Vorwurf eines sexuellen Übergriffs laut. Das routinierte Team von DI Adam Fawley glaubt zunächst, dass sie derartige Geschichten schon oft auf dem Schreibtisch hatten. Doch diesmal sollten sie sich gewaltig irren. Die mutmaßliche Täterin: eine hoch angesehene, aufstrebende Professorin der Universität mit makellosem Ruf. Das Opfer: ein 1,80 Meter großer Student aus der Rugby-Mannschaft. Schnell gerät Fawley mit seinem Team unter Zeitdruck.

Was sie nicht ahnen ist, dass jemand sie genau im Blick hat. Und dieser jemand schmiedet einen perfiden Plan, um Fawley für immer außer Gefecht zu setzen ...

Für Fans von Shari Lapena, Claire Douglas und Lisa Jewell.

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Über das Buch

Sie bestimmt die Regeln. Er könnte alles verlieren. Und einer von beiden lügt.

An der renommierten Universität Oxford wird der schwerwiegende Vorwurf eines sexuellen Übergriffs laut. Das routinierte Team von DI Adam Fawley glaubt zunächst, dass sie derartige Geschichten schon oft auf dem Schreibtisch hatten. Doch diesmal sollten sie sich gewaltig irren.

Die mutmaßliche Täterin: eine hoch angesehene, aufstrebende Professorin der Universität mit makellosem Ruf. Das Opfer: ein 1,80 Meter großer Student aus der Rugby-Mannschaft.

Schnell gerät Fawley mit seinem Team unter Zeitdruck. Was sie nicht ahnen ist, dass jemand sie genau im Blick hat. Und dieser jemand schmiedet einen perfiden Plan, um Fawley für immer außer Gefecht zu setzen ...

Für Fans von Shari Lapena, Claire Douglas und Lisa Jewell.

Über Cara Hunter

Cara Hunter hat Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt in Oxford. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem ihre anderen Kriminalromane mit DI Adam Fawley, „Sie finden dich nie“ und „In the Dark – Keiner weiß, wer sie sind“, lieferbar.

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Cara Hunter

The Whole Truth - Falsches Spiel

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Kerstin Winter

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

DIE AKTE FAWLEY. WAS BISHER GESCHAH …

Prolog

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 13.15 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 14.35 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 15.17 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 15.49 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 16.35 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 16.56 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 16.58 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 17.04 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 18.43 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 19.24 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 19.47 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 19.53 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 20.15 Uhr

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 21.54 Uhr

Adam Fawley, 8. Juli 2018, 10.20 Uhr

Adam Fawley, 8. Juli 2018, 13.45 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 8.45 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 9.34 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 10.57 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 11.20 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 11.52 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 12.18 Uhr

Adam Fawley, 9. Juli 2018, 14.25 Uhr

Adam Fawley, 10. Juli 2018, 17.09 Uhr

Adam Fawley, 10. Juli 2018, 20.49 Uhr

Adam Fawley, 11. Juli 2018, 9.42 Uhr

Adam Fawley, 11. Juli 2018, 9.59 Uhr

Adam Fawley, 11. Juli 2018, 10.04 Uhr

Adam Fawley, 11. Juli 2018, 11.35 Uhr

Adam Fawley, 12. Juli 2018, 15.55 Uhr

13. Juli 2018, morgens, Kidlington

13. Juli 2018, mittags, St. Aldate’s

13. Juli 2018, nachmittags, Newbury

13. Juli 2018, abends, vor St. Aldate’s

14. Juli 2018, morgens, St. Aldate’s

14. Juli 2018, nachmittags, St. Aldate’s

15. Juli 2018, morgens, Summertown

15. Juli 2018, mittags, St. Aldate’s

16. Juli 2018, morgens, St. Aldate’s

16. Juli 2018, mittags, St. Aldate’s

16. Juli 2018, später Nachmittag, Abingdon

9. Juli 2018, 21.25 Uhr

9. Juli 2018, 21.26 Uhr

9. Juli 2018, 21.27 Uhr

9. Juli 2018, 21.45 Uhr

16. Juli 2018, abends, St. Aldate’s

Adam Fawley, 16. Juli 2018, 18.17 Uhr

9. Juli 2018, 22.50 Uhr

9. Juli 2018, 21.55 Uhr

Adam Fawley, 16. Juli 2018, 19.09 Uhr

EPILOG — 6. Juli 2018, 23.26 Uhr

Danksagungen

Impressum

Wer von diesem Kriminalroman begeistert ist, liest auch ...

Für Judith

Eine sehr besondere Lady

DIE AKTE FAWLEY. WAS BISHER GESCHAH …

Dies ist der fünfte Band der Fawley-Reihe, und für alle, die erst jetzt einsteigen, hier eine kurze Einführung der wichtigsten Teammitglieder, und wir beginnen natürlich mit dem Mann selbst …

Name

DI Adam Fawley

Alter

46

Verheiratet?

Ja. Mit Alex, 44, Anwältin in Oxford.

Kinder?

Jake, der zehnjährige Sohn der Fawleys, hat vor zwei Jahren Selbstmord begangen. Nach dieser Tragödie glaubten beide, nie mehr ein Kind haben zu können, doch nun ist Alex wieder schwanger …

Zur Person:

Selbstreflektiert, aufmerksam, intelligent, nach außen widerstandsfähig, nach innen weniger. Weder stört ihn, dass Alex mehr verdient als er, noch, dass sie in High Heels größer ist. Er ist gut im lateralen Denken und schlecht in Büropolitik, er ist mitfühlend und gerecht, aber auch ungeduldig und reizbar. Fawley wuchs in einem tristen Londoner Vorort auf und wurde adoptiert, was er allerdings nur durch Zufall herausfand; seine Eltern haben bis zum heutigen Tag noch nicht mit ihm darüber gesprochen.

Er schaut keine Krimis (davon hat er auf seiner Arbeit genug) und hört gerne Oasis, Bach und Roxy Music (Alex hat einmal behauptet, er sähe aus wie Bryan Ferry, was er mit »Schön wär’s« kommentiert hat). Hätte er ein Haustier, wäre es eine Katze (auch wenn er nie eine gehabt hat). Er trinkt am liebsten Merlot, favorisiert spanisches Essen (isst allerdings zu viel Pizza), und seine Lieblingsfarbe ist – Überraschung! – Blau.

Name

DS Chris Gislingham (vor Kurzem vom Constable zum Sergeant befördert worden)

Alter

42

Verheiratet?

Ja, mit Janet

Kinder?

Billy, fast zwei

Zur Person

Gut gelaunt, gutmütig, fleißig, anständig. Und ein echter Chelsea-Fan.

»Er wird meist als ›stämmig‹ und ›solide‹ beschrieben, und zwar nicht nur, weil er um die Körpermitte etwas zugelegt hat. Jedes CID-Team braucht einen Gislingham; wenn man zu ertrinken droht, ist er es, den man sich am Ende der Rettungsleine wünscht.«

Name

DC Gareth Quinn (vor Kurzem vom Sergeant zum Constable degradiert worden, weil er sich auf eine Verdächtige eingelassen hat)

Alter

36

Verheiratet?

Nie und nimmer

Zur Person

Großspurig, ehrgeizig, gut aussehend. Fawley beschreibt ihn mit: »Man kennt den Look: Scharfer Anzug, stumpfer Rasierer.«

»Quinn hat sich auf die Rolle des Sergeants gestürzt wie ein Hund ins Wasser: null Zögern, maximales Platschen.«

Name

DC Verity Everett

Alter

33

Verheiratet?

Nein. Hat aber einen Kater (Hector)

Zur Person

Privat ungezwungen, beruflich schonungslos. Leider fehlt ihr das Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten (wie sich Fawley durchaus bewusst ist).

»Mag sein, dass sie aussieht wie Miss Marple mit 35, dafür ist sie aber mindestens genauso unerbittlich. Oder wie Gis es ausdrückt: Ev war in einem früheren Leben definitiv ein Bluthund.«

Name

DC Erica Somer

Alter

29

Verheiratet?

Nein, aber sie ist seit Kurzem mit einem DI der Polizei von Hampshire zusammen, Giles Saumarez.

Zur Person

Abgeschlossenes Englisch-Studium. Hat als Lehrerin gearbeitet, ehe sie zur Polizei kam (im ersten Roman ist sie noch PC). Ihr Nachname ist ein Anagramm von »Morse« – meine Verbeugung vor dem größten (fiktiven) Detective Oxfords!

»Ich beobachte immer wieder, wie Männer sie unterschätzen, weil sie attraktiv ist und Uniform trägt, und sie es bemerkt und zu ihrem Vorteil nutzt.«

Name

DC Andrew Baxter

Alter

38

Verheiratet

Ja, aber keine Kinder

Zur Person

Phlegmatisch, aber zuverlässig. Kennt sich mit Computertechnik aus, weswegen alles, was damit zu tun hat, gerne auf ihn abgewälzt wird.

»Ein gediegener Mann in einem Anzug, der etwas zu klein für ihn ist. Sein Hemd klafft an den Knopflöchern leicht auf. Beginnende Glatze, immer etwas kurzatmig. Auf dem besten Weg zum Bluthochdruck. Sieht aus wie vierzig, ist aber vermutlich mindestens fünf Jahre jünger.«

Name

DC Anthony Asante

Alter

32

Verheiratet?

Nein

Zur Person

Als Hochschulabsolvent auf direktem Weg in den Polizeidienst eingetreten, ist er erst kürzlich von der Metropolitan Police zu ihnen versetzt worden. Seine Eltern sind sehr vermögend, sein Vater ist ehemaliger ghanaischer Diplomat.

Fawley beschreibt ihn als »fleißig, intelligent, fachlich hervorragend. Er tut, was man ihm sagt, und ergreift die Initiative, wo man es erwarten kann. Und doch hat er etwas an sich, womit ich nicht so recht umzugehen weiß. Immer wenn ich glaube, ihn einschätzen zu können, tut er etwas, woraus ich nicht schlau werde.«

Weitere Mitglieder aus dem Team sind Alan Challow, Nina Mukerjee und Clive Conway von der Spurensicherung, Colin Boddie, der Rechtsmediziner, und Bryan Gow, Profiler.

Prolog

Du weißt also, was du zu tun hast?

Klar. Ich mach’s.

Und du bist absolut sicher, dass du das willst?

O Mann. Hast du ’ne bessere Idee?

Ich mein ja nur. Wenn das schiefgeht …

Tut’s nicht. Nicht, wenn du machst, was ich gesagt hab

Okay, okay, schon gut

Ich würde nicht fragen, wenn es anders ginge

Leute wie F glauben, dass sie sich alles erlauben können. Denen sind alle anderen doch egal

Wird Zeit, dass sich das ändert

Ich dachte, du siehst das auch so

Tu ich ja. Aber das hier ist ja mehr als nur eine kleine Revanche.

VIEL mehr

Nur so lässt sich verhindern, dass es wieder passiert.

Das verstehst du, oder?

Klar, versteh ich.

Du kriegst deine Rache

Wie ich schon sagte. Das ist keine Rache

Sondern Gerechtigkeit

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 13.15 Uhr

»Noch jemand ein Gläschen Sekt? Dad, wie steht’s mit dir? Du musst nicht mal mehr fahren, also keine Ausrede.«

Stephen Sheldon sieht lächelnd zu seiner Tochter auf, die mit der Flasche in der Hand abwartend hinter ihm steht. »Oh, na dann. Das einzig Gute daran, steinalt zu sein, ist doch, dass man sich nicht mehr um die staatlichen Promille-Empfehlungen kümmern muss.«

Seine Frau bedenkt ihn mit einem trockenen, aber wohlwollenden Blick; sie wissen beide, dass er auf seine Gesundheit achten muss, aber er hat heute Geburtstag, also will sie mal nicht so sein.

Nell Heneghan beugt sich vor und schenkt ihm nach. »Siebzig ist nicht steinalt, Dad. Heute nicht mehr.«

»Sag das meinen Gelenken«, erwidert er mit einem Lachen, während Nell den Tisch umrundet, um die anderen Gläser aufzufüllen.

Ich taste unterm Tisch nach Alex’ Hand und fühle den dünnen Stoff ihres Kleids über ihren verschwitzten Schenkel rutschen. Gott allein weiß, wie man sich in der fünfunddreißigsten Schwangerschaftswoche bei diesen Temperaturen fühlt. Schweißperlen stehen auf ihrer Oberlippe, und zwischen ihren Augenbrauen hat sich eine kleine Falte gebildet, die den anderen wahrscheinlich nicht auffällt. Jedenfalls hatte ich recht: Das hier ist zu viel für sie. Ich habe ihr im Vorfeld mehrmals gesagt, dass wir das nicht machen müssen – keiner würde es von ihr erwarten, schon gar nicht bei diesem Wetter, und Nell hat sofort angeboten, es zu übernehmen –, aber Alex hat darauf bestanden. Sie meinte, wir seien an der Reihe, den Geburtstag auszurichten, und es sei nicht fair, ihre Schwester zu bitten, sich zweimal hintereinander darum zu kümmern.

Aber das war nicht der wahre Grund. Sie weiß es, und ich weiß es. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, umso kleiner wird Alex’ Welt; sie verlässt kaum noch das Haus, und eine zwölf Meilen lange Fahrt nach Abingdon … vergiss es. Ich habe Nell erklärt, dass Alex um das Baby besorgt sei, und natürlich hatte sie Verständnis; sie habe sich in dem Zustand ebenso gefühlt, und es sei vollkommen normal. Und das stimmt natürlich. Wenn das der einzige Grund wäre, der dahintersteckte.

Draußen im Garten spielen Nells Kinder mit ihrem Hund Fußball und schießen abwechselnd Elfmeter. Die beiden sind elf und neun. Jake wäre jetzt zwölf. Kein kleiner Junge mehr, aber auch noch nicht wirklich etwas anderes. Bevor Alex wieder schwanger wurde, habe ich mich manchmal dabei ertappt, mir vorzustellen, wie sie wohl zusammen gewesen wären, er und seine Cousins. Jake war nie ein großer Sportfan, aber wäre er zu einer solchen Gelegenheit trotzdem mit draußen gewesen? Einerseits hoffe ich, er hätte es aus Höflichkeit getan oder weil er Hunde mochte oder auch nur, um es seiner Mutter recht zu machen. Andererseits würde ich mir wünschen, dass er genauso missmutig und unkooperativ gewesen wäre wie jeder andere Zwölfjährige auch. Ein Kind, das nicht mehr da ist, lässt sich nur allzu leicht glorifizieren, wie ich in den vergangenen Jahren erkennen musste.

Audrey Sheldon begegnet meinem Blick, und wir sehen uns einen Moment lang an – sie mich freundlich, ich sie ein wenig befangen. Alex’ Eltern verstehen besser als jeder andere, was wir nach Jakes Verlust durchgemacht haben, aber Audreys Mitgefühl ist für mich wie ihr Zitronenkäsekuchen: ein wenig davon ist gut, aber es wird mir schnell zu viel. Ich komme auf die Füße und beginne, die Teller einzusammeln. Nells Mann Gerry unternimmt einen halbherzigen Versuch, mir zu helfen, aber ich klopfe ihm kumpelhaft auf die Schulter und drücke ihn resolut auf seinen Stuhl zurück.

»Ihr habt das ganze Essen mitgebracht. Jetzt bin ich dran.«

Alex lächelt mir dankbar zu, als ich ihr den Dessertteller abnehme. Ihr Vater drängt sie seit mindestens fünf Minuten gutmütig, doch »endlich aufzuessen«. Eltern sind irgendwie alle gleich. Meine Mutter benimmt sich mir gegenüber auch so, und in zwanzig Jahren werde ich genauso sein. So Gott will.

In der Küche räumt Nell die Spülmaschine ein, und obwohl sie es völlig falsch macht, widerstehe ich dem Drang, einzugreifen, weil ich ihr damit bloß auf die Zehen treten würde. In Alex’ Augen haben Grill und Spülmaschine viel gemein – bei beiden könnten Männer es einfach nicht lassen, sich einzumischen, meint sie. Nell schenkt mir ein Lächeln, als sie mich sieht. Ich mag sie sehr – immer schon. Genauso klug wie ihre Schwester, genauso unverblümt. Sie haben ein gutes Leben, sie und Gerry. Haus (freistehend), Skiurlaube (Val d’Isère), Hund (angeblich Cocker-Pudel-Mix, aber bei der Größe der Pfoten ist mindestens ein Viertel Eisbär drin). Er ist Aktuar (Gerry, nicht der Hund), und wenn ich ehrlich bin, finde ich Dino sehr viel interessanter, doch ich hab’s noch niemandem eingestanden außer mir selbst.

Nell sieht mich an, und ich weiß genau, was dieser besondere Blick bedeutet: Wir müssen reden. Und wie Nell eben so ist, kommt sie direkt zur Sache. Genau wie ihre Schwester.

»Ich mach mir ein bisschen Sorgen um sie, Adam. Sie sieht nicht gut aus.«

Ich hole tief Luft. »Ich weiß, was du meinst, und diese elende Hitze macht es nicht besser, aber sie geht regelmäßig zur Kontrolle. Öfter sogar noch als für eine Frau in ihrem Zustand üblich.«

Aber die meisten Frauen in ihrem Zustand sind auch nicht schon wegen zu hohen Blutdrucks ins Krankenhaus eingewiesen und zu absoluter Bettruhe verdonnert worden.

Nell lehnt sich an die Küchentheke und greift nach einem Geschirrtuch, um sich die Hände abzutrocknen. »Sie hat kaum was gegessen.«

»Ich versuche wirklich alles –«

»Und sie wirkt total erschöpft.«

Sie blickt mich jetzt stirnrunzelnd an, denn, na klar, es muss ja meine Schuld sein, richtig? Im Garten schießt Ben ein Tor, zieht sich wie ein Großer das T-Shirt über den Kopf und rennt über den Rasen. Nell wirft einen Blick hinaus, ehe sie sich wieder mir zuwendet.

Ich versuche es noch einmal. »Sie schläft nicht gut. Du weißt, wie das ist, im letzten Drittel. Sie weiß einfach nicht, wie sie liegen soll.«

Aber Nells Stirn glättet sich nicht. Draußen brüllt Nicky, dass das Tor nicht gilt, und Gerry erhebt sich, tritt ans Fenster und ermahnt seine Söhne in jenem salbungsvollen Erwachsenentonfall, den wir uns alle niemals anzugewöhnen geschworen haben. Noch so was an der Elternschaft, was sich wohl niemals ändern wird.

»Hör zu«, sage ich, »mit dem Job ist es schwierig, aber ich tue im Haus, was ich kann, und für den Rest kommt einmal die Woche eine Putzfrau zu uns.«

Nell beobachtet ihre Jungs. »Wir haben uns vorhin unterhalten. Sie hat mir erzählt, dass du ins Gästezimmer gezogen bist.«

Ich nicke. »Nur, damit ich sie nicht wecke. Vor allem jetzt, da ich viermal pro Woche zur Unzeit aufstehe, um zum Training zu gehen.«

Sie wendet sich mir zu. »Immer noch auf Entzug?«

Der Blick dazu ist kühl, jedoch nicht unfreundlich: Nell ist ebenfalls Ex-Raucherin. Sie kennt sich mit Nikotin-Ersatz-Strategien aus.

Ich versuche ein schiefes Lächeln. »Leider. Aber es wird.«

Sie betrachtet mich von Kopf bis Fuß. »Und du bist wieder besser in Form. Steht dir.«

Ich lache. »Was allerdings ein echtes Wunder ist, wenn man bedenkt, dass ich pro Stunde ungefähr eine Rolle Polos vertilge.«

Eine Pause entsteht, dann schenkt sie mir schließlich ein Lächeln. Aber es ist ein trauriges. »Pass nur gut auf sie auf, ja, Adam? Sie steht so unter Druck – dieses Baby bedeutet ihr so viel. Ich habe keine Ahnung, was sie tun würde, wenn –« Sie bricht ab, beißt sich auf die Lippe und schaut weg.

»Nell – ich lasse nicht zu, dass ihr etwas geschieht, niemals. Das weißt du.«

Sie blickt auf und nickt, und ich warte ab. Ich weiß, was sie sagen will und warum es ihr so schwerfällt, es auszusprechen.

»Ich hab’s in der Zeitung gelesen«, bringt sie schließlich hervor. »Er ist draußen, nicht wahr? Gavin Parrie?«

»Ja, er ist draußen.« Ich bringe sie dazu, mich anzusehen. »Aber auf Bewährung – es gibt strikte Auflagen. Wohin er gehen und wen er treffen darf, zum Beispiel.«

Ihre Lippe zittert leicht. »Und er trägt so eine Fußfessel, oder? Die Polizei weiß immer, wo er sich aufhält?«

Ich schüttele den Kopf. »So gut ist die Technik meistens nicht. Der Sender wird mit einer Basisstation am Wohnort verbunden sein. Entfernt er sich aus einem bestimmten Radius, wird der betreffende Überwachungsdienst alarmiert.«

»Und wie Gerry gesagt hat: Wenn er sich auch nur ansatzweise in unsere Richtung bewegt, schleifen die ihn schneller zurück in den Knast, als man zusehen kann, oder?«

Ich hole tief Luft. »Genau.«

»Warum also so ein Risiko eingehen?« Sie will jetzt meine Zustimmung, will, dass ich ihr ihre Ängste nehme. »Er ist ja nicht blöd, er hat viel zu viel zu verlieren.«

»Genau.«

Sie seufzt. »Tut mir leid. Du findest bestimmt, dass ich überreagiere. Ich muss nur immer daran denken, wie er euch damals vor Gericht gedroht hat …«

Sie kann nicht ahnen, wie schwer es mir fällt, die Zuversicht auszustrahlen, die sie jetzt nötig hat. Aber ich versuche es. »Er hat damals Dampf abgelassen, Nell. Das passiert ständig. Und ich finde nicht, dass du überreagierst. Alle Angehörigen machen sich Sorgen, wenn ein Täter entlassen wird. Die anderen Opfer und ihre Familien werden jetzt genau dasselbe durchmachen.«

»Wenigstens hat Alex dich«, erwidert sie mit einem zittrigen Lächeln. »Wer hat schon das Glück, seinen ganz persönlichen Polizisten zum Schutz zu Hause zu haben?«

Ich traue mir selbst nicht, darauf zu reagieren, und zum Glück muss ich das auch nicht. Sie berührt meinen Arm und greift nach dem Stapel Teller. »Wir gehen besser wieder rein. Die anderen wundern sich bestimmt schon, wo wir so lange bleiben.«

Als ich ins Esszimmer zurückkehre, frage ich mich, was sie wohl gesagt hätte, wenn sie die Wahrheit kennen würde.

Gavin Parrie ist nicht dumm, damit hat sie recht. Und er hat verdammt viel zu verlieren, auch das ist richtig. Doch er hat einen Grund, der – vielleicht – das Risiko wert ist.

Rache.

Denn er hat damals im Gericht nicht nur Dampf abgelassen.

Er war schuldig. Er weiß das, und ich weiß das auch. Aber es gibt noch etwas, was wir beide wissen.

Gavin Parrie wurde aufgrund einer Lüge verurteilt.

***

Daily Mail

21. Dezember 1999

LEBENSLÄNGLICH FÜR DEN »STRAßENSCHÄNDER«

Richter bezeichnet Gavin Parrie als »böse, reuelos und verderbt«

Von John Smithson

Gestern wurde der Sexualstraftäter, der »der Straßenschänder« genannt wird, nach einer neunwöchigen Verhandlung im Londoner Old Bailey zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Richter Peter Healey bezeichnete Parrie als »böse, reuelos und verderbt« und empfahl eine Mindeststrafe von fünfzehn Jahren. Nach der Urteilsverkündung kam es im Gerichtssaal zu Tumulten, und Familienmitglieder Parries, die im Zuschauerraum saßen, beschimpften sowohl den Richter als auch die Geschworenen.

Parrie hat stets beteuert, an den Vergewaltigungen und versuchten Vergewaltigungen von sieben jungen Frauen im Großraum Oxford zwischen Januar und Dezember 1998 unschuldig zu sein. Der Fall stützte sich auf Sachbeweise, die in einer Garage Parries gesichert wurden und eindeutig einem der Opfer zugeordnet werden konnten. Parrie, der bis zuletzt behauptete, die Thames Valley Police habe ihm diese Beweise untergeschoben, stieß, als man ihn aus dem Saal führte, Morddrohungen gegen den Officer aus, der für seine Verhaftung ausschlaggebend gewesen war. Er würde »ihn kriegen«, sagte er, er und seine Familie könnten sich »für den Rest ihres Lebens nicht mehr sicher« fühlen. Besagter Officer, Detective Sergeant Adam Fawley, wurde für die Arbeit an diesem Fall vom Chief Constable belobigt.

In einer Stellungnahme nach dem Urteil sagte Chief Superintendent Michael Oswald von der Thames Valley Police, er sei überzeugt, dass man den richtigen Mann verurteilt habe, und bestätigte, dass im Verlauf der landesweiten Ermittlung kein anderer Verdächtiger identifiziert werden konnte. »Ich bin stolz auf die Arbeit meines Teams. Meine Leute haben keine Mühe gescheut, um den Verantwortlichen dieser abstoßenden Verbrechen zu finden und vor Gericht zu bringen, und es ist absolut inakzeptabel, dass sie Drohungen oder Einschüchterungsversuchen ausgesetzt sind. Um die Öffentlichkeit zu schützen, setzen Polizisten regelmäßig ihr Leben aufs Spiel, und Sie können versichert sein, dass wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um den Schutz unserer Leute und ihrer Familien zu gewährleisten.«

Jennifer Goddard, die Mutter eines Opfers, das nach der Tat Selbstmord beging, sprach nach der Verhandlung draußen mit den Medien. Nichts könne ihre Tochter zurückbringen, sagte sie, aber sie hoffe, dass Emma nun in Frieden ruhen könne. »Der Mann, der ihr Leben zerstört hat, bekommt endlich, was er verdient, und muss für das, was er getan hat, bezahlen.«

***

Auf St. Aldate’s besetzt Sergeant Paul Woods an diesem Nachmittag den Empfang und ist alles andere als glücklich darüber. Sein Arbeitsbereich ist eigentlich der Gewahrsamsdienst, aber die zivile Angestellte hat Urlaub, der Police Constable in Vertretung eine Lebensmittelvergiftung, und Woods hat beim Losen den Kürzeren gezogen. Entsprechend geladen ist er. Außerdem ist es viel zu heiß. Laut BBC Oxford soll es heute noch dreißig Grad werden. Dreißig Grad. So was gehört sich einfach nicht. Er hat die Tür zur Straße sperrangelweit aufgerissen, doch alles, was es ihm einbringt, sind Abgase. Und mehr Leute. Gut die Hälfte ist nur auf der Suche nach etwas Schatten – der Ständer mit den Prospekten hat jedenfalls bisher noch nie so viel Interesse gefunden, das ist mal sicher. Sonst können Wochen vergehen, ohne dass etwas aufgefüllt werden muss, aber plötzlich brauchen alle Wie mache ich mein Haus einbruchssicher oder Worauf man beim Online-Shoppen achten sollte. Gerade hat sich wieder eine Gruppe darum geschart – eindeutig Touristen und hauptsächlich Chinesen.

Woods blickt zur Uhr. Noch zwanzig Minuten, bis er Pause machen kann. Die Touristen unterhalten sich nun angeregt untereinander. Eine Frau deutet in Woods’ Richtung; sie scheint ihren Mut zusammenzunehmen, um ihn anzusprechen. Er richtet sich zu voller Autorität auf, und bei seinen eins achtundachtzig Größe und hundert Kilo Gewicht erzielt er eine in jeder Hinsicht stattliche Wirkung. Es ist ja nicht so, dass er sie grundsätzlich entmutigen will, aber er weiß aus leidvoller Erfahrung, dass diese Art von Fragen sich so gut wie immer mit einem halbwegs vernünftigen Stadtplan beantworten lassen. In all den Jahren hat er oft genug inoffiziell den Reiseführer spielen müssen.

Doch er kommt noch einmal davon. Just als die Chinesin auf die Theke zusteuert, geht das Telefon. Es ist die Frau aus der Zentrale – auch eine zivile Angestellte, Marjorie irgendwas. Sie muss ebenfalls den Kürzeren gezogen haben.

»Sergeant Woods – können Sie das Gespräch vielleicht annehmen? Ich hab’s im CID versucht, aber da ist keiner. Das Edith Launceleve ist dran.«

Er nimmt seinen Stift und ärgert sich einen Moment lang, dass er noch nie wusste, wie man diesen blöden Namen richtig schreibt. Wer ist bloß auf die schlaue Idee gekommen, ein College nach jemandem zu benennen, dessen Namen kein Schwein buchstabieren kann?

»Okay«, sagt er seufzend. »Stellen Sie sie durch.«

Die Hand zu einer erhabenen Geste erhoben, als hätte er den Chief Constable persönlich in der Leitung, hält er die chinesische Touristin auf.

»Ist da Sergeant Woods? Jancis Appleby hier, Edith Launceleve College.« Eine Stimme, bei der man sich automatisch gerade hinsetzt.

»Was kann ich für Sie tun, Miss Appleby?«

»Professor Hilary Reynolds möchte mit Ihnen sprechen.«

Sie sagt es, als müsste sogar ein armer Knecht wie er diesen Namen schon gehört haben. Und tatsächlich hat er das auch, obwohl er sich momentan absolut nicht erinnern kann, wo.

»Die Collegeleitung«, erklärt sie barsch. »Falls Sie das vergessen haben sollten. Bleiben Sie bitte dran.«

Das macht ihn allerdings stutzig. Die Collegeleitung? Was kann denn so wichtig sein, dass die Direktorin sich an die Strippe hängt? Was macht die überhaupt am Wochenende im Büro?

Das Telefon erwacht mit einem Klicken wieder zum Leben.

»Sergeant Woods?«

Nicht die weibliche Stimme, die er erwartet hat, und bis ihm wieder eingefallen ist, dass Hilary ja auch ein Männername sein kann, hat er die ersten Worte schon verpasst.

»Verzeihung, Sir, könnten Sie das wiederholen?«

»Ich fürchte, ich muss einen Vorfall melden, an dem ein Student von diesem College beteiligt ist.«

Woods verengt die Augen; der Begriff »Vorfall« kann von Todsünden bis zu absolut banalem Alltagskram so gut wie alles abdecken.

»Um was für einen Vorfall handelt es sich?«

Am anderen Ende wird kultiviert, aber auch leicht verärgert Luft geholt. »Um einen sehr ernsten, Sergeant. Zu diesem Zeitpunkt ist das leider alles, was ich zu sagen bereit bin. Würden Sie mich bitte zu Detective Inspector Fawley durchstellen?«

***

Auch in Boars Hill ist es heiß, aber hier oben kommt es einem sehr viel erträglicher vor. Zweifellos ist das durch die Höhenlage bedingt, doch das Zehn-Meter-Schwimmbecken und die gut ausgestattete Poolbar tragen definitiv dazu bei. Auch die sind durch die Höhenlage bedingt, wenn auch eine der anderen Art. Angesichts der Adresse hätte man kein Vollblutdetective sein müssen, um sich denken zu können, um welche Art von Haus es sich handeln würde, trotzdem war Gareth Quinn insgeheim beeindruckt, als er sah, was hinter den schmiedeeisernen Toren lag, die sich für seinen zu diesem Anlass auf Hochglanz polierten Audi A4 lautlos öffneten. Ein guter Hektar Rasenfläche (ebenfalls zu diesem Anlass in Topform gebracht, was er allerdings nicht wissen kann), vorgelagerte, symmetrisch gestaltete Beete, Orangenbäume und diverse »nützlicher Nebengebäude«, wie Immobilienmakler sie vermutlich anpreisen würden, die diskret außer Sicht des neopalladianischen Anwesens angeordnet sind und eine ungehinderte Aussicht auf das Stadtpanorama in der Ferne gewähren. Das Gestrüpp der Baukräne ist natürlich ein wenig störend, aber ansonsten liegen die Türme Oxfords an diesem Nachmittag genauso verträumt in der flirrenden Hitze, wie der Dichter Matthew Arnold sie einst gesehen hat.

Als Quinn Maisie kennenlernte, hatte er keine Ahnung, wie stinkreich ihre Eltern waren. Auf den ersten Blick war sie nur eins dieser typischen Pferdeschwanz-und-French-Nails-Mädchen mit ihrem sanften Lächeln und der klaren Aussprache. »Avocados« nennt er sie: reif, verzehrfertig und grün. Obwohl sie in diesem Fall nicht so grün war, dass sie schon beim ersten Date mit ihm ins Bett gegangen wäre, und in den beinahe unerhörten zehn Tagen, die dafür verstreichen mussten, wurde ihm bewusst, dass sie um einiges mehr zu bieten hatte als ihre austauschbaren Vorgängerinnen. Sie brachte ihn zum Lachen und hörte ihm zu, aber sie machte es ihm ganz und gar nicht leicht, und immer wieder sah er sich gezwungen, seine Weltsichten zu erklären, womit er sich teilweise sogar selbst überraschte. Er stellte ebenfalls fest – und das hatte es so auch noch nicht gegeben –, dass er sie wirklich mochte, und zwar nicht nur im Bett, sondern auch außerhalb. Weswegen er jetzt, obwohl der Gedanke, die Eltern einer Freundin kennenzulernen, bei ihm normalerweise eine nahezu anaphylaktische Reaktion hervorruft, nicht nur hier ist, sondern immer noch hier ist – lange nach dem Zeitpunkt, den er mit Maisie vorher ausgemacht hat. Das Rindfleisch war zart, der Wein teuer, und Ted und Irene Ingram sind ganz entschieden nicht das, was man erwarten könnte. Ja, sie haben verdammt viel Kohle, scheuen sich aber nicht, es zu zeigen, was für Quinn ganz sicher kein Problem darstellt. Die beiden Männer sind schon eine gute halbe Stunde um das Brexit-Minenfeld herumgeeiert, bis Ingram hat durchblicken lassen, auf welcher Seite er steht, woraufhin sie sich mit der inbrünstigen Erleichterung unterdrückter Glaubensbrüder förmlich in die Arme gefallen sind. Zumindest in Oxford ist ihre Pro-Austritt-Position die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt.

Alles in allem amüsiert Quinn sich also bestens. Kurz bevor der Anruf durchkommt, sitzt sogar ein kleines Teufelchen auf seiner Schulter und wispert ihm zu, dass Maisie das einzige Kind der Ingrams ist und die beiden, wenn angeheiratete Verwandte schon unumgänglich sind, nicht die schlechteste Wahl darstellen. Inzwischen stehen ein 1996er Sauternes und eine Kiste Havanas auf dem Tisch, und Quinn hat den Autoschlüssel an Maisie abgetreten, was, wie ihr Gesichtsausdruck deutlich macht, auch ein ziemliches Novum ist. Sie blickt ihn an, als sich sein Handy meldet – es ist der Klingelton für Anrufe von der Arbeit.

Während Quinn nach dem Gerät greift, lächelt er zerknirscht in die Runde. »Entschuldigen Sie – man würde mich nicht anrufen, wenn es nicht wirklich dringend wäre.«

Ingram macht eine abwehrende Geste. »Selbstverständlich. Maisie hat uns schon erklärt, dass es passieren könnte, und ich verstehe das nur allzu gut. Sie machen eine wichtige Arbeit.«

Irene Ingram schiebt taktvoll ihren Stuhl zurück, und Maisie erhebt sich ebenfalls. Sie sammeln die Teller ein, während Quinn ein paar Schritte in den Garten hinausgeht. Vielleicht tut er es, um ein besseres Signal zu bekommen, vielleicht möchte er auch nur nicht, dass Maisies Vater hört, mit welchem Rang er sich meldet.

Nach ein paar Metern nimmt er den Anruf an.

»DC Quinn.«

»Hier Woods.« Quinn kann im Hintergrund Verkehrslärm hören; Woods muss am Empfang sein. Er entschuldigt sich halbherzig dafür, Quinn den Samstag zu ruinieren, aber sein Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass er überhaupt nicht einsieht, warum das CID das Wochenende genießen soll, wenn er selbst keins hat.

»Ich hatte gerade den Direktor vom Edith Launceleve an der Strippe. Er hat nach Fawley gefragt.«

Quinn runzelt die Stirn. »Was ist mit dem diensthabenden Inspector?«

»Hab ich versucht. Fehlanzeige. Tut mir leid.«

»Okay, dann –«

Woods unterbricht ihn. »Selbstverständlich habe ich zuerst DS Gislingham angerufen, aber da er noch bis Mittwoch im Urlaub ist …«

Quinn ignoriert die Spitze. Er hat sich an die wenig subtilen Witzchen über seine Degradierung gewöhnt. Er hätte sich versetzen lassen können, und dass er mit der Entscheidung, es nicht zu tun, diese besondere Kröte würde schlucken müssen, war klar. Und natürlich lassen es sich die Scherzkekse auf der Wache nicht nehmen, ihn mit möglichst anzüglichen Sprüchen durch den Kakao zu ziehen. Aber er ist ja selbst schuld: Er hat sich von seinem Schwanz leiten lassen und etwas mit einer Verdächtigen angefangen. Er kann von Glück sagen, dass man ihn nicht rausgeschmissen hat. Doch er wird es ihnen allen schon zeigen – er holt sich die Streifen zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit. Tatsächlich – wer weiß? – könnte dieser Anruf die Gelegenheit sein. Da Gis weg ist, bietet sich ihm vielleicht schon hier die Chance, allen zu zeigen, was er draufhat.

»Schon gut«, sagt er leichthin. »Worum geht’s – wo liegt das Problem?«

Als Woods zu Ende gesprochen hat, sieht die Gelegenheit nicht mehr ganz so großartig aus, aber das muss Ted Ingram ja nicht wissen. Was ihn betrifft, ist das ein megawichtiger, streng geheimer Mordfall für einen aufstrebenden Officer, der zu Höherem berufen ist. Ein Mann, flüstert das Teufelchen, wie Ingram ihn als Schwiegersohn begrüßen würde. Quinn strafft die Schultern, hebt das Kinn und setzt sich in Bewegung, um zum Pool zurückzukehren.

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 14.35 Uhr

Ein Anruf von Quinn ist so gut wie das Letzte, was ich erwartet habe. Er ist heute bei den Eltern seiner Freundin zu Besuch; er hat ein Riesentamtam darum gemacht, wie tiefenentspannt er das sieht, was meiner Ansicht nach eher aufs Gegenteil verweist, doch das ist eben typisch Quinn. Er vertritt Gis während dessen Abwesenheit, aber wir haben im Augenblick keinen großen Fall – nichts jedenfalls, was einen Anruf am Wochenende erforderlich machen könnte. Ich hätte gedacht, dass Quinn die Gelegenheit genießt, wieder einmal solo zu agieren, obwohl ich keinen Zweifel daran gelassen habe, dass er es als inoffizieller Platzhalter tut, nicht als offizieller Entscheider.

Wir sitzen immer noch alle im Esszimmer, als er anruft. Der Nachmittag geht langsam zum trägen Teil über, obwohl Alex’ Dad noch immer quietschvergnügt ist – so geschwätzig habe ich ihn seit Jahren nicht mehr erlebt. Ich habe Stephen schon immer gemocht. Das ist das Besondere an Schwiegereltern: Sie sind genauso alt wie die eigenen Eltern, und manchmal kennst du sie beinahe genauso lange, doch wenn man Glück hat – wie ich –, stehen sie hinter dir, ohne dich je aus der Reserve zu locken. Obwohl es natürlich auch daran liegen kann, dass sie nicht wissen, wie man das am besten anstellt.

Alex wirft mir einen besorgten Blick zu, als mein Handy klingelt, sagt aber nichts. Eine Hand liegt auf ihrem Bauch, die andere spielt mit der Serviette. Sie wird müde. Es wird Zeit, die Gäste zum Gehen zu bewegen.

Draußen auf der Terrasse nehme ich den Anruf entgegen.

»Quinn. Was gibt’s?«

»Entschuldigen Sie die Störung, Boss. Ich treffe mich mit Ev am Edith Launceleve. Es hat einen Vorfall mit einem Studenten gegeben.«

Ich runzele die Stirn. Ich weiß, dass Quinn momentan übervorsichtig ist, keinen Mist zu bauen, aber muss er mich deswegen wirklich anrufen? Doch dann fällt mir ein, dass die meisten Studenten bereits in die Semesterferien gegangen sind, so dass es sich nicht um den üblichen Kotz-und-Randale-Exzess handeln kann.

»Womit haben wir es zu tun?«

»Ich weiß noch nicht genau.«

»Warum rufen Sie dann an?«

»Der Direktor hat explizit nach Ihnen gefragt. Er heißt Hilary Reynolds. Sagt Ihnen der Name was?«

Ganz entfernt – war da nicht diese Konferenz vor ungefähr zwei Jahren?

»Ich habe ihn gegoogelt«, fährt Quinn fort, »und er ist Anwalt. Irgendein Überfliegeranwalt für Menschenrechte.«

Ich hatte recht – es war diese Konferenz.

»Er ist gerade in dieses parlamentarische Beratungsgremium für lebenslange Freiheitsstrafen berufen worden. Sie wissen doch – in dem Bob O’Dwyer auch ist.«

Das hat mir gerade noch gefehlt: Robert O’Dwyer ist der Chief Constable. Doch Hut ab, dass Quinn sich erst erkundigt hat, anstatt wie der Lone Ranger einfach loszupreschen.

»Okay, ich muss erst meine Schwiegereltern nach Hause fahren, kann aber in ungefähr einer Stunde da sein.«

***

Das Edith Launceleve College – für die Studierenden kurz ›EL‹ – liegt in einer sechs Hektar großen Parkanlage, die sich über die Banbury und die Woodstock Road erstreckt. Nach normalen geografischen Maßstäben nicht weit außerhalb der Stadt, aber in dem quirligen Mikrokosmos der Oxforder Universität dennoch das Äquivalent zur Äußeren Mongolei. Es ist seit über dreißig Jahren ein gemischtes College, wurde jedoch ursprünglich von einer durchsetzungsfähigen viktorianischen Jungfer als Bildungseinrichtung für junge Frauen gegründet und nach der Schutzherrin des nahe gelegenen Nonnenklosters von Godstow aus dem zwölften Jahrhundert benannt, die dem Vernehmen nach mindestens genauso energisch und stur gewesen war. In seiner über hundertjährigen Geschichte hat es das EL auf eine beeindruckende Liste Alumnae gebracht, darunter einige Generationen Frauen, die genau die gleiche Zähigkeit hatten – und brauchten. Quinn kann es nicht wissen, aber DC Asantes Mutter war eine von ihnen. Sie leitet jetzt eins der hundert größten Unternehmen mit Sitz in England, und man kann die Frauen in einer solchen Position an den Fingern einer Hand abzählen. Die Abgeschiedenheit von der Stadt und ihren Verlockungen war für die resolute Gründerin des Colleges ohne Frage ein Vorteil, doch heutzutage bringt sie Probleme mit sich: Wenn die Uni einen Tag der offenen Tür veranstaltet, muss sie auf Kreidemarkierungen auf dem Gehweg zurückgreifen, um Oberstufenschüler so weit in den Norden zu locken. Gleichzeitig besitzt das EL ein Alleinstellungsmerkmal: Man bekommt so gut wie immer einen Parkplatz. Maisie findet einen direkt vor dem Pförtnerhaus und stellt den Motor ab. Quinn sitzt einen Moment nur da und blickt durch das Tor.

»Ich habe eine Bekannte, die hier auf dem College war«, sagt Maisie.

Quinn wendet den Kopf. »Ach ja?«

Sie nickt. »Sie meinte, es sei okay gewesen, hätte aber so gar nichts von Oxford gehabt. Auch wenn inzwischen Jungs zugelassen sind, hätte es sich eher wie ein Mädchenpensionat angefühlt.«

Quinn schaut wieder zum College. Am Haupteingang stehen ein paar junge Leute und unterhalten sich. Sie halten Mappen und die obligatorischen Wasserflaschen in den Händen, doch gemessen an den Plastikkarten, die sie um den Hals tragen, sind es Gaststudenten, keine immatrikulierten. Wie sie dort in dem hinsichtlich Geschlecht und Hautfarbe perfekt ausgewogenen Grüppchen zusammenstehen und zuversichtlich lächelnd in die Zukunft blicken, könnte es das Titelfoto für den College-Prospekt sein.

»Soll ich warten, bis deine Kollegin kommt?«

Quinn wendet sich wieder ihr zu. »Nicht nötig. Ev wohnt nur zehn Minuten von hier entfernt. Eigentlich wundert es mich, dass sie nicht schon hier ist.« Er drückt die Tür auf. »Wir sehen uns bei dir. Wenn es länger dauert, melde ich mich.«

»Okay, bis dann.«

Sie lässt den Motor an, fährt los und biegt an der Kreuzung mit quietschenden Reifen rechts ab. Quinn lächelt, obwohl ihm besagte Reifen lieb und teuer sind. Das Mädchen hat Mumm; sie fährt fast so schnell wie er.

Er überquert gerade die Straße, als Everetts Mini auf dem Parkplatz hält, den Maisie gerade freigemacht hat. Er ist eigentlich davon ausgegangen, dass sie zu Fuß von Summertown kommen würde, aber vielleicht war sie gar nicht zu Hause, als sein Anruf sie erreicht hat. Er sieht sie praktisch nie außer Dienst, weswegen ihr Outfit ihn überrascht. Was immer sie gerade gemacht hat, es scheint einen Rock erfordert zu haben.

»Sehr schick«, bemerkt sie, als sie auf ihn zukommt und seine Chinos und das rosafarbene Hemd mustert. »Ich hoffe, sie waren angemessen beeindruckt.«

Er könnte Anstoß daran nehmen, doch stattdessen lächelt er lieber. »Total«, antwortet er. »Sie fressen mir aus der Hand.«

Sie zieht den Riemen ihrer Tasche etwas weiter die Schulter herauf. »Also – worum geht’s hier?«

»Irgendein ›Vorfall‹. Aber kein Notruf, es wird also wohl keiner tot sein. Woods meinte, der Direktor hätte angerufen, hätte sich allerdings geweigert, mehr zu verraten, und darauf bestanden, mit Fawley zu reden.«

»Also was Ernstes.«

Er nickt. »Der Boss ist unterwegs. Aber im Augenblick können wir nur vermuten.«

Ev hat tatsächlich eine Vermutung, beschließt jedoch, diese vorerst für sich zu behalten.

Quinn betritt das Pförtnerhäuschen, und Ev wartet draußen; sie muss ihm nicht das Händchen halten, schon gar nicht, wenn er gerade dabei ist, sich als Ersatz-DS zu gerieren. Das Grüppchen junger Leute am Eingang hat sich inzwischen zerstreut, und der Hof ist leer. Glitzer und Konfettireste haben sich in die Ritzen der Gehwegplatten gesetzt – Überbleibsel der letzten Abschlussfeier. Ev spürt die Wärme der Steine durch die dünnen Sohlen ihrer Sandalen.

»Okay«, sagt Quinn, als er zurückkehrt. »Reynolds’ Büro soll im ersten Stock sein. Rechts durch den Flur, dann die Treppe hoch – die Assistentin erwartet uns.«

Es ist erstaunlich kühl drinnen, aber etwas am Parkettboden und dem Widerhall ihrer Schritte weckt in Ev Assoziationen an Desinfektionsmittel und drohendes Hockeytraining. Oben im ersten Stock, wo es weitaus wohnlicher aussieht, blickt ihnen die Assistentin schon ungeduldig entgegen; sie macht den Eindruck, als wüsste sie auf die Sekunde genau, wie lange die beiden Detectives für den Weg hierher hätten brauchen sollen, und sei nun herbe enttäuscht von ihrer unterdurchschnittlichen Leistung.

»Professor Reynolds telefoniert gerade. Bitte setzen Sie sich, es wird nicht lange dauern.«

Die Assistentin kehrt zu ihrem Tisch zurück, aber die Besucherstühle sehen entschieden nach »Warte, bis der Rektor kommt!« aus, was nicht besonders einladend ist.

Quinn kann ohnehin nicht stillsitzen. Er verbringt die nächsten fünf Minuten damit, die gerahmten Fotos des Lehrkörpers zu mustern, bis die Sprechanlage der Assistentin summt und sie wieder auf die Füße kommt.

»Hier entlang bitte.«

Das Büro ist durchaus beeindruckend, wenn auch nur in Bezug auf die Größe. Holzvertäfelung, Fenster zum Garten, noch mehr Fotos, diesmal die von Reynolds’ Vorgängerinnen. Tatsächlich alles Frauen.

Die Ausnahme tritt nun mit ausgestreckter Hand auf die beiden zu. »Hilary Reynolds – Sie müssen Detective Sergeant Quinn sein?«

Ev sieht, wie Quinn den Mund öffnet, aber Reynolds ist schon einen Schritt weiter.

»Und Sie DC Everett? Bitte – setzen Sie sich.«

»Also«, sagt Quinn nach einem Augenblick. »Sie wollten uns sprechen?«

Reynolds runzelt die Stirn. »Sollen wir nicht lieber warten, bis DI Fawley eintrifft?«

Quinn verlagert sein Gewicht. »Er hat gebeten, schon ohne ihn anzufangen. Sie wissen ja, wie das am Wochenende ist. Der Verkehr, die Touristen …«

Reynolds lehnt sich zurück und legt die Fingerspitzen aneinander. »Diese ganze Situation ist ausgesprochen delikat.«

Quinn nickt. »Das verstehen wir, Sir, aber solange wir nicht wissen, worum es geht –«

Ev wirft ihm einen kurzen Blick zu, dann wendet sie sich an Reynolds. »Falls es Ihnen hilft, ich habe eine Zusatzqualifikation im Bereich Sexualstraftaten.«

Reynolds richtet die Aufmerksamkeit auf sie. Er sagt nichts, aber Ev sieht seiner Miene an, dass sie ins Schwarze getroffen hat. Er räuspert sich. »Ja, DC Everett, gut kombiniert. Es geht tatsächlich um eine solche Sache.«

Everett holt ihr Notizbuch hervor. Quinn mag momentan den Erwachsenen spielen, aber irgendjemand muss die Arbeit ja machen.

»Vielleicht kann ich mir bereits ein paar Einzelheiten notieren? Ich nehme an, dass niemand sofortige medizinische Hilfe braucht?«

Reynolds schüttelt den Kopf. »Nein. So was ist es nicht.«

Quinn beugt sich leicht vor; er hat offensichtlich das Bedürfnis, sich die Initiative zurückzuholen. »Es ist also bei Ihnen als Leiter dieses Colleges eine offizielle Beschwerde eingegangen?«

Reynolds nickt. »Selbstverständlich werden wir zu gegebener Zeit gemäß Universitätsprotokoll die entsprechenden internen Verfahren in die Wege leiten, aber ich war der Ansicht, dass die Umstände eine sofortige Weiterleitung an die Behörden rechtfertigten.«

Klingt, als hätte er das aus dem neusten Handbuch für Gleichstellung und Vielfalt auswendig gelernt, denkt Ev und macht sich eine Notiz. Da will sich jemand gründlich absichern, so viel ist klar.

»Ich verstehe«, erwidert Quinn. »Vielleicht könnten Sie uns die Sache ja kurz mit eigenen Worten beschreiben. Sie haben meinem Kollegen auf der Wache gesagt, dass ein Student an diesem ›Vorfall‹ beteiligt ist?«

Reynolds befingert etwas auf seinem Tisch. »Ein Masterstudent. Einer unserer besten. Erst zum Michaelmas-Trimester von Cardiff hierher gewechselt.« Er wirft Ev einen Blick zu und wedelt mit dem Finger in Richtung ihrer Notizen. »Im Oktober, heißt das.«

Wow, danke, denkt Ev. So was kann ein Loser wie ich natürlich nicht wissen.

»Und die andere beteiligte Person?«, fragt sie freundlich.

Reynolds’ Miene verfinstert sich. »Die andere Partei gehört bedauerlicherweise zum akademischen Personal.«

Was keine Überraschung ist – für Ev zumindest nicht, und nicht nur deshalb, weil sie die besondere Ausbildung für Sexualstraftaten absolviert hat.

»Okay«, sagt Quinn, der offenbar die Nase voll davon hat, noch länger um den heißen Brei herumzureden. »Vielleicht wäre es einfacher, wenn wir direkt mit den Beteiligten sprechen könnten.«

***

»Willst du noch ein Glas Wein?«

Erica Somer blickt auf und schirmt mit einer Hand die Augen vor der Sonne ab. Sie sitzt auf der Terrasse von Giles Saumarez’ Haus. Drei ehemalige Fischerhütten, zusammengefügt zu einem langgestreckten, weiß getünchten Bau mit polierten Steinböden und Fenstern, die zum Southampton Water hinausgehen. Drinnen ist es kühl und luftig, doch hier draußen herrscht greller Sonnenschein. Wenigstens hat sich inzwischen ein Lüftchen erhoben; draußen an der Mündung sieht man zwischen den Tankern, die auf die Raffinerie zustreben, vier oder fünf kleine Segelboote, die sich in den Wind lehnen. Somer ist noch nie gesegelt und hatte auch nie den Wunsch dazu, doch plötzlich sehnt sie sich danach, dort draußen zu sein, auf dem Wasser, allein. Niemand, über den man nachdenken oder dem man Rechenschaft ablegen muss, gänzlich der Strömung und dem klaren blauen Himmel ausgeliefert. Es ist ein vorübergehender Impuls, und augenblicklich setzt das schlechte Gewissen ein. Sie sollte froh sein, dass sie hier ist – in diesem wunderschönen Haus mit Giles, der sich mit diesem Wochenende so viel Mühe gegeben hat, ohne alles wieder kaputtzumachen, indem er sie alle fünf Minuten darauf hinweist, wie die meisten Männer es tun würden. Er hat den Wein gekauft, den sie mag, Blumen ins Schlafzimmer gestellt und im Bad frische Handtücher bereitgelegt. Es war ein wunderschöner Tag, und sie hatten ein instagramtaugliches Mittagessen: krümeliger Feta, eine goldene Focaccia mit Rosmarin und Salz, reife Feigen, Prosciutto, orangefarbene Quittengeleewürfel – der Tisch hat förmlich nach einem #foodporn-Hashtag geschrien.

Sie beantwortet Giles’ Frage mit einem Kopfschütteln: Das Glas, das er ihr vor über einer halben Stunde eingeschenkt hat, ist fast noch voll.

Er schiebt die Sonnenbrille hoch, um ihr in die Augen sehen zu können. »Alles okay?«

Sie nickt und greift pflichtschuldig nach dem Glas.

»Ja, alles gut. Ich stand nur gerade ein bisschen neben mir.«

Er setzt sich zu ihr. »Hör mal, wir müssen heute Abend nicht ausgehen, wenn du nicht magst. Nur hattest du beim letzten Mal, als du hier warst, gesagt –«

»Nein«, unterbricht sie ihn. »Ich will. Hörst du jetzt bitte endlich auf, so ein Theater zu machen?«

Sie blickt weg, über das Wasser, zu den Möwen, zu den Booten – alles, nur um nicht wahrzunehmen, wie verwirrt und gekränkt er sie ansieht.

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 15.17 Uhr

Hilary Reynolds ist nicht der erste Institutsleiter, der mir in diesem Job begegnet ist. Direktoren, Vorsteher, Dekane – die Titel mögen sich unterscheiden, aber sie alle tragen dieselbe herrschaftliche Aura zur Schau, diesen Dünkel, der aus der Selbstverständlichkeit erwächst, gewohnheitsmäßig am Hohen Tisch zu speisen, über ein ganzes Organigramm an Angestellten zu verfügen und nicht zuletzt das durchzusetzen, was man für richtig hält. Reynolds ist nicht anders – oder zumindest auf den ersten Blick nicht. Ich brauche einen Moment, um mir darüber klar zu werden, wie viel Anspannung diesen Raum durchzieht. Und von wem sie ausgeht.

Er steht in einer Ecke und lehnt am Fensterbrett. Er muss zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt sein; braunes Haar, das an den Spitzen fast blond gebleicht ist. Auf dem Unterarm eine dunkle Tätowierung – irgendwas Finsteres wie eine venezianische Maske. Er ist größer als ich, außerdem breiter gebaut, Sportlerfigur – Rugby würde ich tippen, wenn ich mich entscheiden müsste.

»Inspector Fawley«, sagt Reynolds mit einem Hüsteln. »Ich bin froh, dass Sie sich zu uns gesellen konnten. Das ist Caleb Morgan. Er gehört zur mathematischen Fakultät und arbeitet an komprimierter linearer Algebra für maschinelles Lernen in großem Maßstab.«

Herablassend und geschwätzig. Eins muss man Reynolds lassen – was belanglose Informationen angeht, hat er gerade eine hervorragende Leistung abgeliefert.

Quinn scheint meine Verärgerung zu spüren, denn er meldet sich hastig zu Wort. »Es geht um den Vorwurf sexueller Nötigung, Boss.«

Ich starre ihn an. Was macht er denn da? Das hier ist Polizeiarbeit für Anfänger: Erst sammelt man alle relevanten Fakten, dann konfrontiert man den Täter damit.

Ich ziehe ihn zur Seite. »Was will der hier?«, frage ich leise. »Sie sind nicht vielleicht auf die Idee gekommen, zuerst mit dem Opfer zu sprechen?«

Quinn wird rot. »Doch«, sagt er. »Er ist das Opfer.«

Ich wende mich zu Morgan um. Seine hellblauen Augen fixieren mich, und ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen steigt. Und nun, da ich richtig hinsehe, nehme ich auch das zornig rote Mal an seinem Hals wahr. Und obwohl es dem widerspricht, was wir inzwischen gelernt haben – allem, was man uns heutzutage in den Schädel hämmert –, kann ich nicht verhindern, dass ich ins übliche Denkmuster zurückfalle: Der Kerl ist mindestens eins achtundachtzig groß und gebaut wie ein Fullback, der wird sich doch wohl verteidigen können …

»So«, sagt Reynolds mit Blick zuerst zu Quinn, dann zu mir, »da wir das nun geklärt haben, wollen Sie vermutlich mit Professor Fisher sprechen.«

Ev wirft mir einen Seitenblick zu. »Professor Fisher betreut Mr. Morgans Forschungs–«

Reynolds unterbricht sie. »Ich würde es, wie Sie sicher verstehen, vorziehen, wenn diese Befragung nicht in den College-Räumlichkeiten stattfindet, zumal der Vorfall sich auch nicht hier ereignet hat. Professor Fishers Adresse lautet Monmouth House, St. Luke Street.« Er lehnt sich zurück. »Und da wir Samstagnachmittag haben, dürfte es mehr als wahrscheinlich sein, dass Sie sie auch zu Hause antreffen.«

Sie?

Morgan wurde von einer Frau bedrängt?

***

In Risinghurst verabschiedet Alex gerade ihre Schwester. Es hat beinahe eine halbe Stunde gedauert, Hund und Jungs ins Auto zu schaffen, wobei der Hund noch am leichtesten zu verstauen war. Gerry sitzt bereits auf dem Fahrersitz und will endlich losfahren, ehe einer seiner Söhne zum dritten Mal auf die Idee kommt, er müsse noch mal dringend zum Klo.

Nell legt die Arme um ihre Schwester und hält sie einen Moment lang fest. »Du sagst mir, wenn du was brauchst?«

»Mir geht’s gut, wirklich. Adam ist ganz wunderbar.«

Nell macht sich los. »Wenn er nicht gerade an seinem freien Tag zur Arbeit rast, meinst du.«

»Dafür kann er nichts. Das bringt der Job mit sich.«

Nell zieht ein Gesicht. »Musst du mir nicht sagen. Ich kenne ihn fast so lange wie du.«

Plötzlich knallt es auf der Straße – zwei Skateboarder, die das Gefälle und die Bremsschwelle dazu nutzen, ein paar Tricks zu probieren –, aber Nell entgeht nicht, dass ihre Schwester heftig zusammenzuckt und es sofort zu überspielen versucht.

»Nur ein paar Teenies, die Lärm machen – du wirst langsam paranoid. Dieser Kerl, Parrie … die würden den niemals in deine Nähe lassen, das weißt du doch.«

Alex ringt sich ein Lächeln ab. »Ich bin einfach ein bisschen runter mit den Nerven, das ist alles.«

Die Autotür öffnet sich, und Gerry lehnt sich heraus. »Kommst du?«

Nell drückt kurz den Arm ihrer Schwester. »Und du vergisst nicht, was ich dir gesagt habe, okay? Wenn du was brauchst – egal was –, bin ich nur einen Anruf entfernt.«

Alex nickt, und Nell steigt ins Auto, aber selbst nachdem der Wagen schon davongefahren ist, steht Alex, die Arme fest um den Oberkörper geschlungen, noch immer da. Die zwei Skater rollen auf und ab und üben Ollies und Flips, doch Alex sieht sie gar nicht. Sie starrt über sie hinweg auf den weißen Van, der ein paar Hausnummern entfernt die Straße hinunter parkt. Hinterm Steuer sitzt ein Mann, der sich die Baseball-Kappe tief ins Gesicht gezogen hat.

Es ist vollkommen irrelevant, wie oft man ihr erklärt, dass Gavin Parrie meilenweit entfernt ist und rund um die Uhr elektronisch überwacht wird, sie sieht ihn dennoch an jeder Ecke, in jedem Van, in jedem halb verborgenen Gesicht, auf das sie einen Blick erhascht.

Denn er weiß es. Und eines Tages – vielleicht nicht heute oder diese Woche, vielleicht nicht einmal dieses Jahr –, doch eines Tages wird er sie finden, und dann wird er sich für das, was sie getan hat, rächen.

Es ist dreißig Grad warm, aber plötzlich fröstelt sie, als kalter Schweiß auf ihre Haut tritt.

***

Podcasts > Dokus > True Crime

[IVY PARRIE]

»Hi, Gav, Mum hier. Ich wollte nur sagen, dass ich deine Nachricht wegen der Anhörung bekommen hab. Wir drücken dir hier alle fest die Daumen, mein Lieber, und Jocelyn und ihr Team legen sich wirklich ins Zeug für dich. Bis nächste Woche dann.«

[TELEFONAT WIRD BEENDET]

[JOCELYN]

Ich heiße Jocelyn Naismith, und ich bin es, von der in dem Soundclip die Rede ist. Bei der Frau, die eben gesprochen hat, handelt es sich um Mrs. Ivy Parrie. Ivy ist sechsundsiebzig Jahre alt und lebt in Coventry, und das eben war eine Sprachnachricht an ihren Sohn. Sie konnte ihn nicht direkt anrufen, weil er zu dem Zeitpunkt im Gefängnis saß. In Wandsworth, um genau zu sein. Wo er eine lebenslange Haftstrafe für Verbrechen abbüßte, die begangen zu haben er immer abgestritten hat.

Die Aufnahme, die ich eben eingespielt habe, stammt vom April 2018, kurz bevor Gavin Parrie vor dem Bewährungsausschuss angehört wurde. Dank der Arbeit meines Teams und der Unterstützung von Parries Anwalt konnte der lange Kampf um die Gerechtigkeit endlich gewonnen werden, und Parrie wurde im Mai dieses Jahres aus der Haft entlassen.

Dieser Podcast erzählt Parries Geschichte. Wie er zunächst verurteilt wurde, was The Whole Truth über die ursprünglichen Ermittlungen herausgefunden hat und warum wir glauben, dass der wahre Täter noch immer auf freiem Fuß ist.

Ich bin Jocelyn Naismith, und ich bin Mitbegründerin von The Whole Truth, einer gemeinnützigen Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Justizirrtümer aufzudecken. Sie hören »Dem Recht zu Recht verhelfen«, Staffel drei: Straßenschänder oder schändlicher Irrtum?

Erstes Kapitel: Prolog

[JOCELYN]

Bob Dylan schrieb diesen Song, den wir gerade gehört haben, 1968, im selben Jahr, in dem Gavin Parrie geboren wurde.

Parrie war einer von drei Söhnen und kam nach seinem Bruder Neil und vor Robert (der Bobby genannt wird) zur Welt. Seine Mutter arbeitete stundenweise als Warenverräumerin in einem örtlichen Supermarkt, sein Vater Vernon hatte eine Stelle im Automobilwerk der damaligen British Leyland in Cowley, am Rand von Oxford. Die Parries wohnten in einem kleinen Reihenhaus an der Cowley Road, und alle drei Kinder besuchten zunächst die örtliche Grundschule, später dann die Temple Green Secondary Modern.

Ken Waring war im ersten Jahr der weiterführenden Schule Gavins Klassenlehrer.

[KEN WARING]

»Er war ein ziemlicher Rabauke, das muss man sagen. Er hat ständig Ärger gemacht. Aber er war kein schlechter Junge. Er hatte Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben, und aus heutiger Sicht würde ich vermuten, dass er Legastheniker war, aber damals wurden Kinder nicht auf solche Schwächen getestet und schon gar nicht extra gefördert. Kinder wie er störten den Unterricht, weil sie nicht mitkamen. Doch er war handwerklich begabt, daran kann ich mich erinnern – im Werken hatte er immer gute Noten. Ich bin davon ausgegangen, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten und in der Autofabrik anfangen würde. Das haben die meisten Jungen damals getan.«

[JOCELYN]

1984 zog die Familie nach Manchester um. Vernon Parrie war in Cowley entlassen worden, ergatterte aber eine Stelle in einem LKW-Montagewerk weiter oben im Norden. Für Gavin kam der Umzug zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da er ja, wie wir eben gehört haben, schon in seiner alten Schule Probleme hatte. Der Wechsel erwies sich als zu große Herausforderung, und Gavin brach im Sommer seine schulische Laufbahn ohne einen Abschluss ab.

In den kommenden zwei Jahren versuchte er sich in unterschiedlichen Jobs – mal als Reinigungskraft, mal als Taxifahrer und hin und wieder an der Seite seines Bruders Bobby, der eine Lehre als Verputzer begonnen hatte. Behalten Sie das im Hinterkopf – es wird später noch wichtig.

Ungefähr zu dieser Zeit begegnete Gavin auch der Frau, die er später heiraten sollte. Sandra Powell war sechzehn, und auf den Fotos in ihrem Familienalbum sieht man einen typischen fröhlichen 80er-Jahre-Teenager: breite Schulterpolster, breites Grinsen und eine wilde Lockenpracht. Wild und falsch.

[SANDRA]

»Ich weiß, ich weiß, aber wir hatten damals alle eine Dauerwelle. Meine Mutter hat mir die immer in der Küche selbst gemacht.«

[Geräusch einer Albumseite, die umgeblättert wird]

»Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich mir das hier zum letzten Mal angesehen habe. Und ich kann definitiv nicht fassen, dass wir so rumgelaufen sind. O Gott, diese Legwarmer … was haben wir uns bloß dabei gedacht?«

[JOCELYN]

Das ist Sandra. Wie man ihrer Stimme anhört, steckt noch immer etwas von diesem lustigen, frechen Teenie in ihr, obwohl die vergangenen Jahre ihren Tribut gefordert haben. Sie lebt jetzt in Schottland und hat wieder ihren Mädchennamen angenommen (warum, werden wir in einer späteren Folge erfahren), hat jedoch den Kontakt zu Gavin beibehalten und immer fest an seine Unschuld geglaubt. Aber wir greifen vor. Zurück ins Jahr 1986.

[SANDRA]

[Albumseite wird umgeblättert]

»Ah, das Bild liebe ich – das sind Gavin und ich in Blackpool, da waren wir vielleicht zwei Wochen zusammen.«

[JOCELYN]

Ein süßes Foto, und nicht nur deshalb, weil beide Zuckerwatte in der Hand halten. Gavin lächelt schüchtern, und mit seinem Vokuhila sieht er ein bisschen aus wie David Cassidy. Sandra macht Faxen für die Kamera, und obwohl sie zwei Jahre jünger als er ist, wirkt sie weitaus weltgewandter, weitaus reifer. Und laut Sandra scheint das eine ziemlich zutreffende Beschreibung ihrer anfänglichen Beziehung zu sein.

[SANDRA]

»Gavin brauchte ziemlich lange, um den Umzug hierher zu verkraften. All seine Freunde waren in Cowley, und das störte ihn wohl schon ziemlich. Außerdem kam er nicht besonders gut mit seinem Vater aus, deshalb glaube ich, dass er einsam war. Soweit ich weiß, war ich seine erste richtige Freundin. Er war damals wirklich nicht besonders selbstbewusst – er hat so lange gebraucht, mich anzusprechen, dass ich schon gedacht habe, er wollte doch nichts von mir.«

[JOCELYN]

Doch als sie erst einmal zusammengekommen waren, entwickelte sich die Beziehung sehr schnell. Nach drei Monaten war Sandra schwanger und brachte Ende des Jahres ihre gemeinsame Tochter Dawn zur Welt.

[DAWN MACLEAN]

»Meine erste Erinnerung an meinen Dad? Ich schätze, das war, als er mir das Fahrradfahren beigebracht hat. Ich muss damals sechs gewesen sein.«

[JOCELYN]

Das war Dawn. Sie ist Kosmetikerin, verheiratet und lebt mit Mann und ihren zwei Kindern in Stirling.

[DAWN]

»Ich hatte das Fahrrad zum Geburtstag bekommen, und ich weiß noch, dass es an diesem Tag wie aus Eimern schüttete – man kennt das ja aus Manchester –, aber er war trotzdem stundenlang mit mir draußen, während ich mit dem Rad auf und ab geeiert bin. Und ich weiß noch, dass er alles hasste, was mit Papierkram und Formularen zu tun hatte – Mum war immer diejenige, die sich mit dem Sozialamt oder der Stadt oder unserer Schule auseinandersetzen musste. Ich glaube, er hat solchen Leuten irgendwie immer misstraut. Den Behörden, meine ich. Er hat mal gesagt, die hätten es doch alle nur auf einen abgesehen. Und, na ja, letztlich hat er gar nicht so unrecht gehabt, nicht wahr?«

[JOCELYN]

Sandra und Gavin bekamen in den folgenden zehn Jahren noch zwei Kinder. Sandra arbeitete als Friseurin, aber Gavin tat sich nach wie vor schwer, einen festen Job zu bekommen, daher war das Geld immer knapp, und sie waren auf Sozialleistungen angewiesen. Nach einiger Zeit machte sich die Dauerbelastung bemerkbar.

[DAWN]

»Als ich ungefähr elf war, wurde mir klar, dass mein Vater Probleme hatte. Ich hätte es damals zwar nicht so ausgedrückt, aber ich wusste, dass er nicht glücklich war. Er wirkte immer wütend. Ich glaube auch, dass er getrunken hat, und dadurch wurde er nur noch wütender. Und traurig. Einmal hab ich ihn dabei ertappt, wie er weinte – oben im Schlafzimmer. Ich hatte vorher noch nie einen Mann weinen gesehen, und das hat mir echt Angst gemacht. Und irgendwann danach ging es bergab.«

[JOCELYN]

Das war 1997. Am zweiten Mai jenes Jahres wurde auf der Lockhart Avenue in Manchester eine Sechzehnjährige überfallen. Sie wurde in ein Gebüsch gezerrt, vergewaltigt und am Straßenrand liegen gelassen.

Drei Abende später bekam Sandra einen Anruf.

Es war Gavin. Er war im Hauptquartier der Greater Manchester Police, und man hatte ihn verhaftet.

Wegen Vergewaltigung.

[VOR DEM HINTERGRUND VON »I FOUGHT THE LAW« VON THE CLASH]

Ich bin Jocelyn Naismith, und das ist »Dem Recht zu Recht verhelfen«. Sie finden diesen und andere Podcasts von The Whole Truth auf Spotify oder wo immer Sie Ihre Podcasts streamen.

[FADE OUT]

Adam Fawley, 7. Juli 2018, 15.49 Uhr

»Wenn Sie jetzt also mit uns kommen könnten, würden wir Sie befragen und die Proben nehmen, die die Staatsanwaltschaft benötigt, wenn der Fall vor Gericht gebracht werden sollte.«

Ev hat die Gesprächsführung übernommen. Und sie macht das ohne Frage ziemlich gut. Vielleicht liegt es an ihrer Zusatzausbildung, aber es gelingt ihr, von der bizarren Wendung in diesem Fall vollkommen unbeeindruckt zu bleiben. Anders als ich. Sogar Quinn scheint es verarbeitet zu haben, obwohl es vielleicht nur daran liegt, dass er schon mehr Zeit gehabt hat, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Und unterdessen hat Ev ganz ruhig alle relevanten Daten für den vorläufigen Untersuchungsbericht notiert und Morgan erklärt, was ihn im Sexual Assault Referral Centre, der speziellen Anlaufstelle für Opfer sexueller Gewalt, erwartet, welche Hilfe er dort bekommt und welche Unterstützung er erbitten kann. Und als sie ihn zum Schluss darauf hinweist, dass er einen männlichen Officer als polizeilichen Ansprechpartner anfordern kann, falls ihm das lieber ist, überrascht es mich absolut nicht, dass er beschließt, bei ihr zu bleiben.