All the Rage - Gefährliches Schweigen - Cara Hunter - E-Book
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All the Rage - Gefährliches Schweigen E-Book

Cara Hunter

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Beschreibung

Ihr Schweigen könnte tödlich sein.

Nachdem Faith überfallen und entführt wurde, gelingt ihr die Flucht. Die Polizei in Oxford braucht dringend ihre Hilfe, um den Entführer zu fassen, zumal es scheint, als würde das Mädchen ihn kennen. Doch das Mädchen ist nicht bereit zu helfen und spielt das Ereignis herunter. DI Adam Fawleys Ermittlungen stecken in einer Sackgasse. Als ein weiteres Mädchen unter den gleichen Umständen verschwindet, erkennt er ein beunruhigendes Muster - und eine Verbindung zu etwas, das lange in seiner Vergangenheit vergraben war …

Der vierte Fall für Adam Fawley von Sunday Times Bestsellerautorin Cara Hunter – für alle Fans von Clarie Douglas, Shari Lapena und Jill Childs.

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Über das Buch

Ihr Schweigen könnte tödlich sein.

Nachdem Faith überfallen und entführt wurde, gelingt ihr die Flucht. Die Polizei in Oxford braucht dringend ihre Hilfe, um den Entführer zu fassen, zumal es scheint, als würde das Mädchen ihn kennen. Doch das Mädchen ist nicht bereit zu helfen und spielt das Ereignis herunter. DI Adam Fawleys Ermittlungen stecken in einer Sackgasse. Als ein weiteres Mädchen unter den gleichen Umständen verschwindet, erkennt er ein beunruhigendes Muster - und eine Verbindung zu etwas, das lange in seiner Vergangenheit vergraben war …

Der vierte Fall für Adam Fawley von Sunday Times Bestsellerautorin Cara Hunter – für alle Fans von Clarie Douglas, Shari Lapena und Jill Childs.

Über Cara Hunter

Cara Hunter hat Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt in Oxford. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem ihre anderen Kriminalromane mit DI Adam Fawley, „Sie finden dich nie“ und „In the Dark – Keiner weiß, wer sie sind“, lieferbar.

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Cara Hunter

All the Rage - Gefährliches Schweigen

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Kerstin Winter

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Widmung

PROLOG

Adam Fawley, 1. April 2018, 09.15 Uhr

Adam Fawley, 1. April 2018, 10.25 Uhr

Adam Fawley, 1. April 2018, 12.35 Uhr

Adam Fawley, 1. April 2018, 14.15 Uhr

Adam Fawley, 1. April 2018, 23.07 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 9.15 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 11.24 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 12.17 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 14.05 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 14.35 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 14.43 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 17.25 Uhr

Adam Fawley, 2. April 2018, 19.10 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 8.15 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 9.15 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 10.46 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 12.30 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 13.39 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 14.55 Uhr

Adam Fawley, 3. April 2018, 19.25 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 7.50 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 08.55 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 12.32 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 13.45 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 13.56 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 14.09 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 14.55 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 15.45 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 16.25 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 17.32 Uhr

Adam Fawley, 4. April 2018, 18.27 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 9.19 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 11.48 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 12.58 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 14.09 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 16.16 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 17.22 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 17.50 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 18.54 Uhr

Adam Fawley, 5. April 2018, 19.05 Uhr

Adam Fawley, 6. April 2018, 9.35 Uhr

Adam Fawley, 6. April 2018, 09.52 Uhr

Adam Fawley, 6. April 2018, 14.49 Uhr

Adam Fawley, 6. April 2018, 16.52 Uhr

Adam Fawley, 6. April 2018, 20.55 Uhr

Adam Fawley, 8. April 2018, 11.46 Uhr

Adam Fawley, 8. April 2018, 13.10 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 8.25 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 10.05 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 10.26 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 12.17 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 12.56 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 13.13 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 14.37 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 15.45 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 17.18 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 19.15 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 20.25 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 21.35 Uhr

Adam Fawley, 9. April 2018, 22.09 Uhr

Adam Fawley, 10. April 2018, 10.15 Uhr

Adam Fawley, 10. April 2018, 12.18 Uhr

Adam Fawley, 10. April 2018, 17.05 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 10.08 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 12.19 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 12.25 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 13.35 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 15.15 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 15.40 Uhr

Adam Fawley, 11. April 2018, 15.45 Uhr

EPILOG — HMP Wandsworth

DANKSAGUNGEN

Impressum

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Für meinen Bruder Mark

PROLOG

Der Abend ist so warm, dass ihr Fenster weit offen steht; träge bewegen sich die Vorhänge in der spätsommerlichen Brise. Licht brennt in der Wohnung, aber nur im Wohnzimmer, daher weiß er, dass sie allein ist. Außerdem läuft Musik – nicht laut, doch er parkt dicht genug am Haus, um sie zu hören. Am Anfang hat ihm das Sorge bereitet: Verrät er sich vielleicht, wenn er zu nah kommt? Aber inzwischen ist er beruhigt. Selbst am Tag stehen Vans wie seiner überall. Die Leute nehmen sie gar nicht wahr. Nicht einmal aufmerksame Leute wie sie.

Er lässt das Fenster ein Stück weiter herab. Sie scheint ausgehen zu wollen; die Musik ist schnell, energiegeladen, beschwingt, nicht das träge, jazzige Zeug, das sie normalerweise hört. Er schließt für einen Moment die Augen und versucht sich vorzustellen, was sie wohl anziehen wird, was sie in diesem Augenblick über ihre Haut streift, die noch feucht von der Dusche ist, unter der sie eben noch gestanden hat, wie er hat hören können. Bestimmt nicht das schwarze Kleid mit der Perlenstickerei, das so eng sitzt, dass er ihren Körper vor seinem inneren Auge genaustens vor sich sieht – wenn sie mit dem Flachwichser von ihrem Freund essen gehen wollte, würde sie keine solche Schrottmusik hören. Ihre Eltern wird sie auch nicht treffen. Wären sie in Oxford, hätte er ihren Wagen gesehen. Nein, es muss sich um einen Mädelsabend handeln, was bedeutet, dass sie etwas weniger Aufreizendes anziehen wird – etwas, das höfliche Unerreichbarkeit signalisiert. Das Türkisfarbene mit den weiten Ärmeln vielleicht. Tiffany Blue heißt die Farbe, was er vorher nicht wusste. Das Kleid ist hübsch. Neutral. Und eins ihrer Lieblingsoutfits.

Natürlich hat sie ihm das alles nicht erzählt. Das hat er selbst herausgefunden. Es war nicht einmal schwierig. Man muss nur beobachten. Abwarten, beobachten und Schlüsse ziehen. Manchmal dauert es bloß ein paar Tage, was aber nicht besonders zufriedenstellend ist. Die hier hat ihn bereits drei Wochen gekostet, doch er lässt sich gerne Zeit. Und irgendwas sagt ihm, dass sie es wert ist. Wie es im Werbeslogan ihrer Shampoomarke immer so schön heißt. Außerdem hat er auf die harte Tour gelernt, dass man nichts überstürzen darf. Wer es eilig hat, macht Fehler. Und alles geht schief.

Jetzt kommt jemand. Er hört das Klacken der Absätze auf dem Gehweg. Hohe Absätze. Kichern. Um besser sehen zu können, rutscht er ein Stück herum, und der Plastiksitz klebt und knistert unter ihm. Auf der anderen Straßenseite kommen zwei junge Frauen ins Blickfeld. Pailletten, vulgäre rot bemalte Münder, nuttige Schuhe, in denen sie nicht gehen können. An den beiden ist nichts Dezentes, das steht fest – die dummen Schlampen sind schon ziemlich angetrunken. Gesehen hat er noch keine der beiden, aber sie müssen mit ihr befreundet sein, denn sie bleiben vor ihrem Haus stehen und wühlen in ihren Handtaschen. Dann zieht eine mit großer Geste und einem lauten »Ta-da!« etwas hervor. Eine glänzende, rosafarbene Schärpe mit glitzernder Aufschrift, die er nicht richtig entziffern kann. Aber das muss er auch nicht. Er verengt die Augen. Er kennt diese Art von Schwachsinn. Ein Junggesellinnenabschied. Ein verdammter Junggesellinnenabschied. Seit wann gibt sie sich mit so einem Bullshit ab? Die beiden Frauen stecken die Köpfe zusammen, flüstern und kichern, und plötzlich beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Das wird doch wohl nicht ihre Party sein? Nein, unmöglich, das hätte er wissen müssen. Sie trägt keinen Ring, den hätte er auf jeden Fall bemerkt.

Er beugt sich vor, um besser zu sehen. Eine der Frauen drückt die Klingel und lehnt sich an die Türsprechanlage, bis oben das Fenster aufgerissen wird.

»Müsst ihr eigentlich derart viel Lärm machen?«

Sie versucht, missbilligend zu klingen, aber man hört das Lachen in ihrer Stimme. Sie lehnt sich aus dem Fenster, und eine gelockte Strähne ihres langen, dunklen Haars fällt ihr über die Schulter. Es ist noch feucht von der Dusche. Seine Kehle schnürt sich zu.

Eine der Freundinnen schaut hoch und streckt triumphierend die Arme in die Luft. In der einen Hand hält sie ein Diadem, in der anderen die Schärpe. »Hey! Schau mal, was wir haben!«

Die Frau am Fenster schüttelt den Kopf. »Du hast es mir Versprochen, Chlo – absolut keinen Plunder und schon gar kein Plastikkrönchen.«

Die zwei unten prusten los. »Dieser ausgesprochen geschmackvolle Haarschmuck ist zufällig für mich, nicht für dich«, sagt die zweite Frau. Sie spricht schon nicht mehr ganz deutlich. »Für dich haben wir diese kleine Kostbarkeit …«

Sie wühlt in ihrer Handtasche und hält etwas hoch, und als das Licht der Laterne sich darin fängt, kann er es ganz deutlich erkennen: eine leuchtend pinke Haarspange, auf der mit Strassbuchstaben das Wort »Vergeben« steht.

Wieder schüttelt die Frau im Fenster den Kopf. »Womit habe ich euch bloß verdient?«

Sie zieht sich ins Zimmer zurück, einen Moment später summt der Türöffner, und die zwei Freundinnen stolpern noch immer kichernd und giggelnd über die Schwelle.

Der Mann öffnet das Handschuhfach. Die Schlampe kann froh sein, dass er es ihr nicht jetzt sofort besorgt, dann hätte es sich mit ihrer trashigen Flittchenparty. Aber – nein. Noch nicht. Er will das Hochgefühl, das sich nur durch das Warten einstellt – selbst jetzt will er es noch. Die exquisite Vorfreude, das Schwelgen in den Einzelheiten: wie sie riechen, wie sie schmecken wird, wie sich ihr Haar anfühlen mag. Allein das Wissen, dass er es sich nach Belieben nehmen kann und nur seine Selbstbeherrschung ihn zurückhält …

Einen Moment lang sitzt er da, ballt und entspannt abwechselnd die Fäuste und lässt seinen Herzschlag zur Ruhe kommen. Dann steckt er den Schlüssel in die Zündung und startet den Motor.

Der Wecker klingelt um sieben, aber Faith Appleford ist schon seit einer Stunde auf. Haare, Kleidung, Schuhe, Make-up, das alles braucht Zeit. Nun sitzt sie am Schminktisch und gibt ihren getuschten Wimpern den letzten Schliff, während sie ihre Mutter aus der Küche unten rufen hört.

»Nadine – bist du schon auf? Wenn ich dich mitnehmen soll, musst du in zehn Minuten unten sein.«

Aus dem Zimmer nebenan erklingt ein Stöhnen, und Faith stellt sich vor, wie sich ihre Schwester im Bett herumwälzt und das Kissen über den Kopf zieht. Es ist immer dasselbe – morgens ist Nadine nicht zu gebrauchen. Im Gegensatz zu Faith. Faith ist immer rechtzeitig fertig. Immer perfekt zurechtgemacht. Sie wendet sich wieder dem Spiegel zu und dreht prüfend den Kopf nach links und rechts, zupft an einer Locke und richtet den Kragen ihres Pullis. Schön. Und das ist keine Prahlerei. Sie sieht wirklich gut aus.

Sie steht auf, tritt an die Tür, an der ihre Handtaschen hängen, und wählt eine aus. Wildleder. Na ja, nicht wirklich Wildleder, aber man muss schon sehr nah herankommen, um es zu erkennen. Jedenfalls ist die Farbe genau richtig. Sie passt zu ihrer Jacke, der Blauton ist perfekt.

Adam Fawley, 1. April 2018, 09.15 Uhr

»Ist das okay – nicht zu kalt?«

Alex zuckt zusammen, als die Sonde ihre Haut berührt, aber sie schüttelt lächelnd den Kopf. »Nein, alles gut.«

Die Schwester wendet sich wieder dem Monitor zu und tippt etwas auf der Tastatur. Alles im Raum – Licht, Geräusche – ist gedämpft wie unter Wasser. Im Krankenhaus um uns herum herrscht rege Geschäftigkeit, doch hier drin läuft die Zeit gedrosselt.

»So. Da ist es«, sagt die Schwester schließlich mit einem Lächeln und dreht den Monitor zu uns. Das Bild auf dem Display erwacht zum Leben. Ein Kopf, eine Nase, eine winzige Faust wie zum Triumph erhoben. Bewegung. Leben. Alex’ Hand greift nach meiner, doch ihr Blick ist fest auf ihr Kind gerichtet.

»Für Sie ist das das erste Mal, nicht wahr, Mr. Fawley?«, fährt die Schwester fort. »Beim ersten Ultraschall waren Sie doch nicht dabei, richtig?« Ihre Stimme klingt locker, doch ich kann den Vorwurf dennoch heraushören.

»Es war kompliziert«, antwortet Alex schnell. »Ich hatte solche Angst, dass etwas schiefgehen könnte … Ich wollte es einfach nicht beschreien.«

Ich drücke ihre Hand. Wir haben längst geklärt, warum sie mir nichts gesagt hat, warum sie nicht einmal mehr mit mir zusammenleben wollte, bis sie die Bestätigung hatte. Bis sie ganz sicher sein konnte.

»Schon gut«, sage ich. »Wichtig ist nur, dass ich jetzt hier bin. Und dass es dem Baby gut geht.«

»Nun, das Herz schlägt kräftig und regelmäßig«, erwidert die Schwester und tippt wieder auf der Tastatur. »Außerdem ist es genauso weit entwickelt, wie es für zweiundzwanzig Wochen sein soll. Ich entdecke nichts, was einen Anlass zur Besorgnis geben könnte.«

Ich stoße den Atem aus – ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich ihn angehalten hatte. Wir sind keine jungen Eltern mehr, wir haben alle Informationsblätter gelesen und die erforderlichen Tests gemacht, und doch …

»Und Sie sind sicher?«, fragt Alex. »Weil ich nämlich wirklich keine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen will.«

Die Schwester lächelt wieder, warm und herzlich diesmal. »Es ist alles ganz wunderbar, Mrs. Fawley. Sie müssen sich überhaupt keine Sorgen machen.«

Mit Tränen in den Augen wendet sich Alex mir zu. »Es wird alles gut«, flüstert sie. »Es wird wirklich alles gut.«

Auf dem Bildschirm schlägt das Baby plötzlich wie ein winziger Delfin in silbriger Dunkelheit einen Purzelbaum.

»Also«, sagt die Schwester und richtet die Sonde neu aus. »Wollen Sie das Geschlecht wissen?«

***

Fiona Blake stellt eine Schüssel mit Cornflakes vor ihre Tochter, aber Sasha scheint es gar nicht zu bemerken. Sie starrt auf ihr Handy, seit sie heruntergekommen ist, und Fiona muss sich zusammenreißen, um nichts zu sagen. In diesem Haus haben Handys am Tisch nichts zu suchen. Nicht, weil Fiona das so bestimmt hat, sondern weil sie beide sich darauf geeinigt haben. Sie wendet sich ab, um den Teekessel zu füllen, aber als sie sich wieder umdreht, starrt Sasha noch immer auf diesen verflixten Bildschirm.

»Probleme?«, fragt sie, bemüht, nicht gereizt zu klingen.

Sasha blickt auf und schüttelt den Kopf. »Entschuldige. Nein, Pat schreibt, dass sie heute nicht zur Schule kommt. Sie hat sich die ganze Nacht übergeben.«

Fiona zieht ein Gesicht. »Dieses Norovirus?«

Sasha nickt und steckt ihr Handy weg. »Hört sich so an. Sie klingt echt angeschlagen.«

Fiona mustert ihre Tochter prüfend. Ihre Augen schimmern hell, ihre Wangen sind gerötet, und wenn Fiona genau darüber nachdenkt, wirkt Sasha eigentlich schon die ganze Woche so. »Ist mit dir denn alles in Ordnung, Sash? Du siehst aus, als könntest du dir auch etwas eingefangen haben.«

Sasha reißt die Augen auf. »Ich? Mir geht’s gut. Wirklich, Mum, mit mir ist alles in Ordnung. Und ich habe Hunger wie ein Wolf.«

Sie grinst und langt quer über den Tisch nach einem Löffel.

***

Auf der St. Aldate’s Police Station ringt DC Anthony Asante um ein Lächeln. Obwohl es ihm nicht besonders gut gelingt, wenn er DS Gislinghams Gesichtsausdruck richtig deutet. Nicht dass Asante keinen Sinn für Humor hätte, nur fällt seiner nicht in die Bananenschalen-und-Sahnetorten-Kategorie. Weswegen er Mühe hat, das umgedrehte Glas mit Wasser auf seinem Tisch lustig zu finden. Außerdem ist er sauer auf sich selbst, weil er vergessen hat, was für ein Tag heute ist. Er hätte es natürlich voraussehen müssen: neustes Teammitglied, abgeschlossenes Studium, frisch von der Met. Ebenso gut hätte er sich »Leichte Beute« auf die Stirn tätowieren können. Und nun stehen sie alle da und beobachten ihn, um herauszufinden, ob er ein Späßchen versteht oder eine Heulsuse ist (was gemessen an DC Quinns höhnischem Grinsen, das er nicht einmal zu verbergen versucht, eindeutig seiner Erwartung entspricht – obwohl Asante gerne mal nachhaken würde, ob er da nicht von sich auf andere schließt). Er holt tief Luft und lächelt noch eine Spur breiter. Es hätte schlimmer kommen können. Einer der Scheißer in Brixton hat ihm am ersten Tag ein Bund Bananen auf den Tisch gelegt.

»Okay, Leute«, sagt er und blickt mit der, wie er hofft, richtigen Mischung aus Ironie und Abgeklärtheit in die Runde. »Sehr komisch.«

Durchaus erleichtert grinst Gislingham ihn an. Ein Scherz ist schließlich ein Scherz, und in diesem Job muss man genauso gut einstecken wie austeilen können, aber Gislingham ist noch nicht so lange Sergeant, und es soll nicht so aussehen, als würde er sich über jemanden lustig machen – am wenigsten über den einzigen nicht-weißen Kollegen auf der Wache. Er boxt Asante leicht gegen den Arm, sagt beiläufig »Gut gemacht, Tone«, kommt zu dem Schluss, dass er es am besten dabei belässt, und steuert die Kaffeemaschine an.

Adam Fawley, 1. April 2018, 10.25 Uhr

»Und wie stellst du dir das jetzt vor?«

Alex lässt sich behutsam auf dem Sofa nieder und legt die Füße hoch. Ich reiche ihr den Becher, den sie mit beiden Händen umfasst. »Wie stell ich mir was vor?«, fragt sie, aber ihr Blick ist verschmitzt.

»Du weißt genau, wovon ich rede – von der Kleinigkeit, dass ich nicht weiß, ob Junge oder Mädchen, du aber schon.«

Sie bläst über den Tee und blickt unschuldig zu mir auf. »Wieso ist das ein Problem?«

Ich räume ein Kissen von einer zur anderen Seite und setze mich. »Wie willst du so ein Geheimnis für dich behalten? Über kurz oder lang wirst du dich verraten.«

Sie grinst. »Solange du nicht deine berühmt-berüchtigten Verhörmethoden anwendest, kann ich es, denke ich, schaffen.« Bei meinem Gesichtsausdruck muss sie lachen. »Komm schon, ich verspreche dir auch, mir zwei Namenslisten auszudenken.«

»Okay, aber …«

»Und nicht alles in Blau zu kaufen.«

Noch ehe ich den Mund öffnen kann, grinst sie erneut und stupst mich mit dem Fuß an. »Oder in Rosa.«

Ich schüttele in gespielter Missbilligung den Kopf. »Ich gebe auf.«

»Nein, tust du nicht«, sagt sie, wieder ernst. »Du gibst nie auf. Niemals.«

Und wir wissen beide, dass sie nicht nur von meinem Job spricht.

Ich komme auf die Füße. »Geh es den Rest des Tages ruhig an, ja? Nichts Schweres heben oder andere verrückte Dinge tun.«

Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Also darf ich doch nicht in den Wald, Holz fällen, wie ich es eigentlich geplant hatte? So ein Ärger aber auch.«

»Und schreib mir, wenn ich irgendwas einkaufen soll.«

Sie parodiert einen zackigen Gruß, dann stupst sie mich erneut an. »Jetzt geh, du bist schon spät dran. Und vergiss nicht, dass ich das schon mal mitgemacht habe. Als ich Jakes Kinderzimmer tapeziert habe, war ich doppelt so schwer.«

Als sie lächelnd zu mir aufschaut, wird mir bewusst, dass ich mich nicht erinnern kann, wann sie das letzte Mal so geredet hat. In den Monaten nach Jakes Tod hat sie Mutterschaft ausschließlich mit Verlust in Verbindung gebracht. Mit der Lücke im Leben. Da war nicht nur die Trauer um Jake, sondern auch der verzweifelte Wunsch, ein weiteres Kind zu haben. Es tat ihr weh, über Jake zu sprechen, doch jetzt kann sie vielleicht auch wieder die Freude über ihn empfinden. Dieses Baby kann Jake niemals ersetzen, selbst wenn wir es so wollten, aber möglicherweise kann es eine Erlösung sein.

Erst als ich schon an der Tür bin, wende ich mich noch einmal um. »Was für eine berühmt-berüchtigte Verhörtechnik eigentlich?«

Ihr Lachen folgt mir die ganze Auffahrt hinab.

***

Um 10.45 Uhr steckt Somer immer noch im Stau auf der A33. Eigentlich wollte sie gestern Abend noch von Hampshire zurück nach Hause fahren, aber irgendwie ist aus dem Spaziergang an der Küste ein Abendessen geworden, woraus sich dann wieder ein Glas zu viel ergeben hat, und um halb zehn kamen sie beide überein, dass es keine gute Idee war, wenn sie jetzt noch fahren würde. Also hatte sie sich vorgenommen, um fünf Uhr aufzustehen, um die montägliche Rushhour zu umgehen, aber auch das hat nicht geklappt, und so ist sie erst nach neun losgekommen. Nicht, dass sie sich beschweren will. Unwillkürlich muss sie lächeln; trotz der heißen Dusche und der Kälte im Wagen prickelt ihre Haut noch immer. Auch wenn das alles bedeutet, dass sie keine Wechselsachen für das Büro dabeihat und ihr die Zeit fehlt, zu Hause vorbeizufahren und sich welche zu holen. Ihr Telefon pingt, und sie blickt hinab. Eine Nachricht von Giles. Sie lächelt wieder, als sie sie liest, und hat große Lust, ihm zurückzuschreiben, was sein Superintendent wohl sagen würde, wenn er diese Nachricht versehentlich erhalten hätte, aber der Wagen vor ihr fährt endlich wieder an. Giles muss ausnahmsweise einmal warten.

***

Als der Taxifahrer die junge Frau vor sich entdeckt, glaubt er zuerst, sie sei betrunken. Wieder so eine dämliche Studentin, denkt er, die sich am helllichten Tag mit billigem Cider besäuft und dann nach Hause torkelt. Sie ist gute hundert Meter vor ihm, aber er kann erkennen, dass sie unsicher von Seite zu Seite taumelt. Erst als er mit dem Auto näher kommt, stellt er fest, dass sie in Wirklichkeit humpelt; an einem Schuh fehlt der Absatz. Das ist der Grund, warum er das Tempo drosselt. Das und die Tatsache, dass sie sich auf der Marston Ferry Road befindet, mitten in der Walachei. Dennoch hält er sie, als er den Blinker setzt und neben ihr rechts ranfährt, immer noch für betrunken.

Bis er ihr Gesicht sieht.

***

Die Wache ist so gut wie ausgestorben, als der Anruf eintrifft. Quinn treibt sich irgendwo herum, Fawley wird erst gegen Mittag erwartet, und Gislingham ist auf einer Schulung. Irgendwas mit Mitarbeiterführung, verrät Baxter Ev, ehe er schief grinst und hinzufügt, dass er gar nicht verstehe, warum der Sarge sich die Mühe macht – schließlich könne er alles, was es zu dem Thema zu wissen gibt, von seiner Frau lernen.

Somer ist gerade mit einem Salat und einer Runde Kaffee zurückgekehrt, als das Telefon klingelt. Everett nimmt ab und klemmt sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter, während sie eine E-Mail zu Ende tippt.

»Wie bitte?«, sagt sie plötzlich und packt den Hörer; die E-Mail ist vergessen. »Können Sie das wiederholen? Sicher? Und wann ist das passiert?« Sie greift nach einem Stift und schreibt etwas auf. »Okay, wir sind in zwanzig Minuten da.«

Somer sieht auf. Sie hat das dumpfe Gefühl, dass ihr Salat noch warten muss. Mal wieder. Nicht ohne Grund holt sie sich kein warmes Mittagessen mehr.

Everett legt auf. »Auf der Marston Ferry Road ist eine junge Frau aufgelesen worden.«

»Aufgelesen? Was soll das heißen?«

»In einem extrem schlechten Zustand und mit Fesselspuren an den Handgelenken.«

»Wie bitte? Sie war gefesselt?«

Everetts Miene ist grimmig. »Ich fürchte, es klingt um einiges schlimmer.«

Adam Fawley, 1. April 2018, 12.35 Uhr

Ich bin noch auf der Ringstraße, als Everett anruft.

»Sir? Somer und ich sind auf dem Weg zu den Lakes. Vor zehn Minuten ging ein Anruf ein – auf der Marston Ferry Road ist eine extrem verstörte junge Frau aufgegriffen worden. Sie ist möglicherweise überfallen worden.«

Ich setze den Blinker, fahre in eine Haltebucht und greife nach dem Handy. »Vergewaltigt?«

»Das wissen wir noch nicht. Um ehrlich zu sein, wissen wir im Moment überhaupt nicht viel.«

Etwas stimmt da nicht, das höre ich an ihrer Stimme. Und wenn ich eins über Ev weiß, dann, dass sie sehr gute Instinkte besitzt. Leider vertraut sie ihnen – oder ihrem eigenen Urteil – nicht ausreichend. Worum sich Gislingham kümmern kann, wenn er von seinem Lehrgang zurückkehrt.

»Aber etwas beunruhigt Sie daran, richtig?«

»Ihre Kleider waren zerrissen und verdreckt, und es gab Spuren, dass sie gefesselt gewesen war …«

»Himmel.«

»Ja. Sie muss in einem schlimmen Zustand gewesen sein, aber sie hat sich kategorisch geweigert, zur Polizei oder auch nur zu einem Arzt zu gehen. Sie hat den Taxifahrer, der angehalten hat, gebeten, sie direkt nach Hause zu bringen, und ihn angewiesen, den Vorfall keinesfalls zu melden. Worüber er sich zum Glück hinweggesetzt hat.«

Ich taste im Handschuhfach nach etwas zu schreiben und bitte sie, die Adresse in den Lakes zu wiederholen. Und falls sich jetzt jemand wundert, wie ihm beim Sightseeing all diese stehenden Gewässer haben entgehen können – es gibt hier weit und breit nichts, was größer als ein Teich oder Tümpel ist. Die Seen – The Lakes – in Marston ist ein Siedlungsprojekt aus den 1930ern, das so getauft wurde, weil die Straßen nach Seen im Lake District benannt wurden: Derwent, Coniston, Grasmere, Rydal. Ich stelle mir immer gerne vor, dass der damalige Stadtplaner Heimweh nach den Fells gehabt hat, aber Alex meint, ich sei ein hoffnungsloser Romantiker.

»Kennen wir den Namen der Frau?«

»Wir glauben, dass sie Faith heißen könnte. Der Taxifahrer sagte, sie habe eine Kette mit dem Namen getragen. Obwohl es sich auch nur um etwas im Stil von ›Glaube, Liebe, Hoffnung‹ handeln könnte – Sie kennen das.«

Ja, kenne ich. Nicht von Ev allerdings, das steht fest. Was den Taxifahrer angeht, so scheint er nicht nur ein verantwortungsvoller Bürger zu sein, sondern auch ein ziemlich aufmerksamer. Wunder gibt es immer wieder.

»Laut Wählerverzeichnis wohnt an der Adresse eine Diane Appleford«, fährt sie fort. »Sie ist vor etwa einem Jahr dort eingezogen, nicht vorbestraft und auch sonst nicht aktenkundig. Aber es gibt keinen Mr. Appleford – oder zumindest keinen, der mit ihr dort wohnt.«

»Okay, ich bin in zehn Minuten da.«

»Wir biegen gerade in den Rydal Way ein, aber wir warten draußen, bis Sie eintreffen.«

Diane Appleford wohnt in einer gepflegten Doppelhaushälfte mit Erker, einem gepflasterten Vorgarten und einer niedrigen Mauer aus diesen weißen quadratischen Ziegeln, die nach Schablone aussehen. Als ich noch klein war, hatten unsere Nachbarn auch so eine. Mit diesem Mäuerchen und den gerüschten Gardinen wirkt das Haus wie im Jahr 1976 erstarrt.

Somer und Everett steigen aus dem Wagen und kommen die Straße entlang auf mich zu. Everett trägt die übliche Kombination aus weißem Hemd, dunklem Rock und zweckmäßigem Regenmantel, obwohl der rote Schal definitiv ihre kleine Rebellion darstellt. Somer dagegen trägt schwarze Jeans, Lederjacke und Stiefel mit hohen Absätzen und Fransen hinten am Schaft. Zur Arbeit kommt sie normalerweise nicht so gekleidet, daher nehme ich an, dass sie am Wochenende bei ihrem Freund war und noch nicht zu Hause vorbeifahren konnte. Sie errötet leicht, als sie mich sieht, was mich in meiner Annahme bestätigt. Sie hat ihn kennengelernt, als wir an dem Michael-Esmond-Fall gearbeitet haben. Ihren Freund, meine ich. Giles Saumarez. Er ist auch bei der Truppe. Ich bin mir nie sicher, ob das gut ist oder nicht.

»Tag, Sir«, sagt Everett und schiebt den Riemen ihrer Tasche etwas weiter die Schulter hinauf.

Ich taste in meiner Jacke nach einem Pfefferminz. Mittlerweile schleppe ich die Dinger ständig mit mir herum. Sich das Rauchen abzugewöhnen, ist nichts für Weicheier, aber es ist nicht verhandelbar. Und damit meine ich mit mir – ich habe nicht erst gewartet, bis Alex mich darum bittet.

»Ist das denn klug?«, fragt Somer und blickt auf das Bonbon. »Wegen der Zähne, meine ich.«

Ich runzele die Stirn, dann fällt mir wieder ein, dass ich gesagt habe, ich müsse heute Morgen zum Zahnarzt. Meine Universalnotlüge. Nicht, dass das Baby ein Geheimnis bleiben muss – die Leute sollen es bald genug erfahren. Aber, na ja … nur eben noch nicht.

»Es war alles in Ordnung«, sage ich. »Es musste nichts gemacht werden.«

Ich wende mich an Ev. »Also. Noch irgendwas, ehe wir da einfallen?«

Sie schüttelt den Kopf. »Sie sind auf demselben Stand wie wir.«

Die Frau, die die Tür öffnet, hat strohiges blondes Haar und trägt eine weiße Sweathose und ein weißes Sweatshirt mit dem Aufdruck Slummy Mummy. Sie muss Mitte vierzig sein. Sie wirkt müde. Müde und schlagartig defensiv.

»Mrs. Appleford?«

Sie betrachtet erst mich, dann die Frauen. »Ja. Wer sind Sie?«

»Ich bin Detective Inspector Adam Fawley. Das sind DC Everett und DC Somer.«

Sie packt die Tür ein wenig fester. »Faith hat doch klar zu verstehen gegeben, dass sie nicht mit der Polizei reden will. Sie haben kein Recht, hier –«

»Faith ist Ihre Tochter?«

Sie zögert einen Moment, als wäre es bereits ein Verrat, diese Tatsache preiszugeben. »Ja. Faith ist meine Tochter.«

»Der Taxifahrer, der Ihre Tochter nach Hause gebracht hat, macht sich große Sorgen um ihr Wohlergehen. Genau wie wir.«

Somer berührt meine Schulter und deutet hinter sich. Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, ich kann praktisch hören, wie sich die Vorhänge bewegen.

»Könnten wir vielleicht reinkommen, Mrs. Appleford? Nur für einen Moment? Drinnen können wir uns besser unterhalten.«

Die Frau blickt die Straße entlang; auch sie hat die neugierigen Blicke der Nachbarn bemerkt.

»Na gut. Aber nur für ein paar Minuten, okay?«

Das Wohnzimmer ist zartlila gestrichen, und obwohl Sofa und Sessel eindeutig dazu passen sollen, liegt die Farbe so weit neben dem Ton, dass man unwillkürlich irritiert ist. Außerdem ist beides zu groß für den Raum. Es wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben, warum die Leute ihre Zimmer nicht ausmessen, ehe sie Möbel kaufen. Es riecht stark nach Lufterfrischer. Lavendel. Was sonst?

Sie bittet uns nicht, Platz zu nehmen, also stehen wir etwas unbeholfen auf dem schmalen Streifen Teppich zwischen den Sitzmöbeln und dem gläsernen Couchtisch.

»War Ihre Tochter gestern Nacht hier, Mrs. Appleford?«

Sie nickt.

»Die ganze Nacht?«

»Ja. Sie war nicht unterwegs.«

»Sie haben sie also zum Frühstück gesehen?«

Sie nickt wieder.

»Um wie viel Uhr war das?«, fragt Somer und zieht diskret ihren Notizblock aus der Tasche.

Die Frau schlingt die Arme um ihren Oberkörper. Ich versuche, keine Schlüsse aus ihrer Körpersprache zu ziehen, aber sie macht es mir nicht leicht. »Viertel vor acht, glaube ich. Ich bin mit Nadine um acht gegangen, aber Faith musste heute erst später los. Sie dürfte so gegen neun das Haus verlassen haben, um den Bus zu kriegen.«

Also hat sie eigentlich keine Ahnung, was ihre Tochter heute Morgen getan hat. Dass etwas normalerweise geschieht, bedeutet schließlich nicht, dass es zwingend geschieht.

»Ist Nadine auch Ihre Tochter?«, fragt Somer.

Die Frau nickt. »Ich setze sie auf dem Weg zur Arbeit bei ihrer Schule ab. Ich arbeite in einer Arztpraxis in Summertown in der Aufnahme.«

»Und Faith?«

»Sie geht aufs FE College in Headington. Deswegen nimmt sie den Bus. Es liegt in der anderen Richtung.«

»Hatten Sie heute tagsüber Kontakt mit Faith?«

»Ich habe ihr gegen zehn eine Nachricht geschickt, aber sie hat nicht reagiert. Es war bloß ein Link zu einem Artikel über Meghan Markle. Es ging um die Hochzeit, das Kleid und so weiter. Faith interessiert sich für so was. Sie studiert Modedesign. Und sie hat wirklich Talent.«

»Und war das ungewöhnlich – dass sie nicht reagiert hat, meine ich?«

Die Frau überlegt, dann zuckt sie die Achseln. »Ja, schon.«

Jetzt bin ich wieder dran. »Hat sie einen Freund?«

Sie verengt die Augen ein wenig. »Nein. Im Moment nicht.«

»Aber sie würde es Ihnen sagen? Falls sie einen hätte?«

Sie bedenkt mich mit einem scharfen Blick. »Sie hat keine Geheimnisse vor mir, wenn es das ist, worauf Sie hinauswollen.«

»Warum sollte sie auch?«, bemerkt Somer beschwichtigend. »Wir versuchen nur, uns ein Bild zu machen, wer das getan haben könnte … ob es sich vielleicht um jemanden gehandelt hat, den sie kannte.«

»Sie hat keinen Freund. Sie will gar keinen Freund.«

Stille.

Somer wirft Ev einen Blick zu. Willst du es mal probieren?

»Waren Sie hier, als der Taxifahrer sie nach Hause gebracht hat?«, fragt Ev.

Die Frau richtet den Blick auf sie, dann nickt sie erneut. »Normalerweise wäre ich nicht hier gewesen. Aber ich hatte meine Lesebrille vergessen, also bin ich rasch zurückgefahren.«

Wieder tauschen Ev und Somer einen Blick aus. Ich ahne, was sie denken: Wenn Mrs. Appleford nicht zufällig zu Hause gewesen wäre, hätte ihre Tochter möglicherweise auch vor ihr zu verstecken versucht, was ihr zugestoßen war. Meine Überzeugung, dass Ev recht hat, wächst – hier stimmt etwas nicht.

Ich trete einen Schritt näher. »Wissen Sie, warum Faith nicht mit uns reden will, Mrs. Appleford?«

Prompt braust sie auf. »Sie will einfach nicht, das muss doch reichen, oder?«

»Aber wenn sie vergewaltigt wurde –«

»Sie wurde nicht vergewaltigt.« Ihr Tonfall lässt keinen Zweifel zu. Nicht den geringsten.

»Wie können Sie sich da so sicher sein?«

Ihre Miene verhärtet sich. »Weil sie es mir gesagt hat. Und meine Tochter lügt nicht.«

»Das will ich damit auch nicht sagen.« Inzwischen hat sie den Blick von mir abgewandt. »Hören Sie, ich weiß, dass die Ermittlungen für Vergewaltigungsopfer traumatisch sein können – ich kann es niemandem verübeln, wenn er davor zurückschreckt –, aber die Methoden sind heute anders. Wir haben gut ausgebildete Officer. DC Everett hier –«

»Es war keine Vergewaltigung.«

»Und darüber bin ich sehr froh. Aber wir könnten es hier dennoch mit einem ernsten Verbrechen zu tun haben. Zum Beispiel Körperverletzung oder –«

»Wie oft denn noch? Es war kein Verbrechen, und sie wird keine Anzeige erstatten. Also würden Sie uns jetzt bitte in Frieden lassen?«

Sie sieht uns an, einen nach dem anderen. Die Botschaft ist klar. Wir sollen gehen, wir sollen uns mit dem Spruch, Faith könne sich bei uns melden, wenn sie ihre Meinung ändert, verabschieden. Aber das tun wir nicht. Das tue ich nicht.

»Ihre Tochter war über zwei Stunden verschwunden«, sagt Ev behutsam. »Von neun Uhr bis kurz nach elf, als Mr. Mullins sie in einem furchtbaren Zustand auf der Marston Ferry Road entdeckt hat. Sie hat geweint, ihre Kleidung war verdreckt, ein Schuh kaputt. Es muss etwas passiert sein.«

Mrs. Appleford wird rot. »Ich gehe davon aus, dass es sich um einen Aprilscherz gehandelt hat. Nur ein dummer Streich, der ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist.«

Doch niemand in diesem Wohnzimmer glaubt daran. Nicht einmal sie.

»Wenn man ihr wirklich nur einen Streich gespielt hat, dann möchte ich das gerne von Faith selbst hören, wenn Sie nichts dagegen haben. Falls es etwas anderes gewesen ist, könnte die Person, die Faith das angetan hat, es wieder tun. Vielleicht muss ein anderes Mädchen dasselbe erleiden, was Ihre Tochter gerade durchgemacht hat, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das wollen. Sie beide nicht.«

Mrs. Appleford hält meinem Blick stand. Es ist nicht exakt Schachmatt, aber ich will es ihr verdammt schwer machen, mir eine Absage zu erteilen.

»Ich nehme an, dass Faith im Augenblick hier ist?«

»Ja«, sagt sie schließlich. »Draußen im Garten.« Um frische Luft zu schnappen? Eine zu rauchen? Diesem ganzen Lila zu entkommen? Ehrlich gesagt würde ich alles drei verstehen.

Mrs. Appleford atmet tief durch. »Na schön, ich frage sie, ob sie mit Ihnen reden will, aber wenn sie Nein sagt, werde ich sie nicht zwingen. Wenn sie nicht will, ist das ihre Entscheidung.«

Besser als nichts.

»Also gut. Wir warten hier.«

Als die Tür zufällt, schaue ich mich genauer im Raum um. An den Wänden Bilder von Impressionisten, hauptsächlich Monet. Teiche, Seerosen und so weiter. Vielleicht bin ich zynisch, aber ich vermute, sie hängen nur hier, weil es die einzigen waren, die in das lila Ensemble passten.

»Da würde ich gerne mal hin.« Ev deutet auf die Brücke über dem Seerosenteich in Giverny. »Steht auf meiner Bucketlist, falls ich mal im Lotto gewinne. Und jemanden finde, der mitkommt.« Sie zieht ein Gesicht. »Neben Bora Bora und dem Taj Mahal, versteht sich.«

Somer blickt auf und lächelt. Sie steht am Kamin und begutachtet die Familienfotos. »Auf meiner auch. Jedenfalls das mit Bora Bora.«

Ev wirft Somer einen bedeutungsvollen Blick zu, woraufhin sie erneut lächelt und wegsieht, als sie merkt, dass es mir aufgefallen ist.

Dann wendet sich Ev mir zu. »Ich denke, dass es eine gute Idee sein könnte, wenn ich mal die Toilette aufsuche. Falls Sie verstehen, worauf ich hinauswill.«

Ich nicke, und sie huscht aus dem Wohnzimmer. Fast gleichzeitig erklingen Schritte im Flur, und Diane Appleford kehrt zurück.

»Sie ist bereit, zu reden …«

»Danke.«

»… aber nur mit einer Frau«, fährt sie fort. »Nicht mit Ihnen.«

Ich werfe Somer einen Blick zu, und sie nickt. »Geht in Ordnung, Sir.«

Ich wende mich wieder der Frau zu und setze mein charmantestes »Zu-Ihren-Diensten«-Lächeln auf. »Das kann ich verstehen, Mrs. Appleford. Ich warte im Wagen auf meine Kolleginnen.«

***

Ev hält oben an der Treppe inne. Die Badezimmertür zu ihrer Linken steht offen. Weiße Kacheln, ein schwerer Duschvorhang aus Plastik und der beißende Geruch von Chlorbleiche. Die Handtücher (die ganz im Gegensatz zu ihren zu Hause ordentlich gefaltet sind), haben den gleichen Lilaton wie alles unten. Das wird ja langsam zu einer Manie.

Vor ihr befinden sich drei weitere Türen, zwei stehen offen. Ein Elternschlafzimmer mit einer Satintagesdecke (Welche Farbe mag die wohl haben?) und das, was Ev für das Zimmer der jüngeren Tochter hält. Überall fliegen Klamotten und Turnschuhe herum, die Bettdecke hängt halb auf dem Boden, ein paar Stofftiere, ein Make-up-Täschchen. Ev geht so leise wie möglich zur geschlossenen Tür und spricht ein stummes Dankgebet für den dicken Teppich. So einen könnte sie in ihrer Wohnung niemals haben – der Kater würde ihn zum Frühstück verspeisen. Er liebt Fetzen.

Das dritte Zimmer steht im diametralen Gegensatz zu dem der kleinen Schwester. Geschlossene Schränke, nichts quillt aus den Schubladen. Selbst die Hochglanzmagazine sind säuberlich gestapelt. Aber das ist es nicht, was Evs Aufmerksamkeit fesselt – wohl niemand würde in diesem Zimmer auf solche Kleinigkeiten achten. Denn der Raum wird beherrscht von einer Pinnwand, die sich über die gesamte Längsseite erstreckt und von oben bis unten bestückt ist mit Ausschnitten aus Modezeitschriften, kleinen Tütchen mit bunten Perlen und Knöpfen, Garnsträhnen, Stoffmustern, Spitzenborten und Kunstfellstreifen, Post-its mit Notizen in dicker roter Schrift und überall dazwischen Skizzen, die von Faith selbst stammen müssen. Everett ist kaum jemand, der Ahnung von Klamotten hat, aber selbst sie kann das Gespür für Mode auf den Zeichnungen erkennen. Faith versteht es, ein ganzes Outfit mit einem kleinen Detail besonders zu machen: hier die Form eines Absatzes, da der Fall des Stoffs oder der Schnitt des Ärmels.

»Mit einer Sache hat ihre Mutter wahrhaftig recht gehabt«, murmelt sie in die Stille. »Das Mädchen hat wirklich Talent.«

»Und wer zum Teufel sind Sie?«, erklingt eine Stimme hinter ihr.

***

»Das ist Faith.«

Die junge Frau tritt an ihrer Mutter vorbei ins Licht. Sie ist sehr hübsch, wie Somer augenblicklich erkennt. Nicht einmal der wirre Pferdeschwanz und die verschmierte Wimperntusche können überdecken, wie fein die Gesichtszüge sind. Außerdem ist sie dünn wie eine Bohnenstange; der riesige Pulli, in den sie sich wie in eine Rettungsdecke gehüllt hat, betont die schmale Gestalt nur. Das gute Stück scheint schon ziemlich alt zu sein: Die Wolle ist löchrig, die Bündchen sind ausgefranst.

Somer tritt einen Schritt auf sie zu. »Setz dich doch. Möchtest du vielleicht etwas – Tee oder Wasser?«

Faith zögert, dann schüttelt sie den Kopf. Langsam bewegt sie sich aufs Sofa zu und ertastet sich den Weg wie eine alte Frau mit einer Hand.

Somer runzelt die Stirn. »Hast du Schmerzen?«

Faith schüttelt wieder den Kopf. Sie hat noch kein Wort gesagt. Ihre Mutter setzt sich neben sie und nimmt ihre Hand.

»Ich bin Erica«, sagt Somer und lässt sich auf dem Sessel gegenüber nieder. »Ich weiß, dass das hier schwierig ist, aber wir wollen wirklich nur helfen.«

Die junge Frau blickt kurz auf. Tränen hängen in den verklebten Wimpern.

»Kannst du uns erzählen, was dir zugestoßen ist?«, fragt Somer behutsam. »Der Mann, der dich mitgenommen hat, Mr. Mullins … Er sagt, du seist extrem aufgewühlt gewesen.«

Faith atmet bebend ein. Die Tränen beginnen zu laufen, und sie macht sich keine Mühe, sie abzuwischen. Ihre Mutter umfasst ihre Hand mit ihren beiden. »Alles gut, Schätzchen. Lass dir Zeit.«

Die junge Frau wirft ihr einen Blick zu, senkt dann aber wieder den Kopf und zieht die Hände in die Pulloverärmel, doch nicht ehe Somer die Abschürfungen und Spuren an den Fingerknöcheln und Handgelenken gesehen hat. Und obwohl Faiths Nägel wunderschön manikürt sind, ist einer abgebrochen, ein schartiger Zacken, an dem sie sich selbst leicht verletzen könnte. Sie ist schon seit geraumer Zeit wieder zu Hause und hat ihn noch immer nicht wieder glatt gefeilt. Und bei einer jungen Frau, die so sehr auf ihr Aussehen achtet, kann das nur bedeuten, dass es wirklich schlimm um sie steht.

»Deine Mutter hat erzählt, dass du Modedesign studierst«, fährt Somer fort. »Ist es das, was du später einmal machen willst? Kleidung entwerfen?«

Faith sieht zu ihr auf. »Schuhe«, sagt sie mit brüchiger Stimme. »Ich will Schuhe entwerfen.«

Somer grinst. »Auch meine Schwäche.« Sie deutet auf ihre Stiefel. »Wie du wahrscheinlich schon erraten hast.«

Das Mädchen lächelt zwar nicht, aber Somer spürt, wie die Anspannung nachlässt, wenn auch nur wenig. Und dann schaudert Faith plötzlich, obwohl es sehr warm im Wohnzimmer ist – zu warm.

Somer wendet sich an Mrs. Appleford. »Ich glaube, ein Tee wäre doch eine ziemlich gute Idee.«

Die Frau zieht die Brauen zusammen. »Aber sie hat doch gesagt, dass sie nichts will.«

»Ich habe ziemlich viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, die unter Schock stehen, Mrs. Appleford. Was immer Ihrer Tochter zugestoßen ist – was sie jetzt braucht, ist ein heißer Tee mit viel Zucker.«

Diane Appleford zögert, dann wendet sie sich an das Mädchen. »Ist das okay, wenn du für fünf Minuten allein hierbleibst?«, fragt sie leise. »Du kannst sie jederzeit wegschicken.«

Faith nickt knapp. »Schon okay, Mum. Ein Tee wäre wirklich gut.«

Somer wartet, bis die Mutter aus dem Zimmer gegangen ist, ehe sie wieder das Wort ergreift. Das Mädchen sitzt steif auf der Sofakante, die verschränkten Hände zwischen die Knie geklemmt.

»Du hast Glück, eine Mutter zu haben, die sich so um dich kümmert«, sagt Somer. »Ich wünschte, meine hätte das auch getan.«

Das Mädchen blickt mit einem schwachen Lächeln zu ihr auf. »Sie macht sich Sorgen um mich, das ist alles.«

»Dazu sind Mütter da.«

Faith zuckt die Achseln. »Wahrscheinlich.«

»Aber manchmal fällt es dadurch schwer, über bestimmte Dinge zu sprechen. Dinge, von denen wir wissen, dass sie den Menschen, die uns lieben, noch mehr zusetzen werden.«

Zwei rote Flecken erscheinen auf den blassen Wangen der jungen Frau.

Somer beugt sich vor. »Also, Faith. Solange wir unter uns sind – kannst du vielleicht jetzt erzählen, was passiert ist?«

***

Ev fährt herum und sieht sich einem Mädchen mit fettigem Haar und einer an den Knien aufgerissenen Jeans gegenüber. Es ist etwas kleiner als Ev, auch etwas schwerer. Und ohne dass sie es verhindern kann, taucht in ihrem Kopf der Ausdruck »kein Ölgemälde« auf. Everetts Mutter hat das einmal über sie gesagt, als sie dachte, dass ihre Tochter es nicht hören würde. Ev kann damals nicht älter als zehn gewesen sein. Sie hatte sich zuvor niemals Gedanken über ihr Aussehen gemacht, aber als der Schaden erst einmal angerichtet war, ließ er sich nicht mehr rückgängig machen. Plötzlich nahm sie wahr, wie ihr Umfeld auf Mädchen reagierte, die hübscher waren als sie, und begann sich den Kopf zu zerbrechen, was sie anziehen sollte. Immer öfter hatte sie das Gefühl, dass sie weniger wert sei, weil sie weniger gut aussah. Und nun steht sie hier und denkt dasselbe über eine andere junge Frau. Sie spürt, wie ihr das Blut in die Wangen steigt, als hätte sie es laut ausgesprochen. Hat sie das Mädchen genauso abgewertet, ohne sich dessen bewusst zu sein?

Ihr Gegenüber mustert sie immer noch missgelaunt.

»Entschuldigung«, sagt Everett. »Du bist Nadine, nicht wahr?«

Das Mädchen macht sich nicht erst die Mühe, zu antworten. »Hat Faith Ihnen erlaubt, in ihr Zimmer zu gehen? Brauchen Sie nicht einen Durchsuchungsbeschluss oder so was, um in den Sachen anderer Leute rumzuschnüffeln?«

»Ich habe nicht herumgeschnüffelt. Ich habe die Toilette gesucht, und die Tür war offen, und da habe ich –«

»Nein, war sie nicht. Sie lässt die Tür niemals offen. Und ich meine niemals.«

Darauf lässt sich nichts antworten.

Nadine tritt zur Seite, und Everett geht, peinlich berührt, an ihr vorbei. Sie hat noch nie gut lügen können.

***

Unten im Wohnzimmer steht Somer gerade auf und steckt ihr Notizbuch in die Jacke zurück. Als sie Ev sieht, schüttelt sie kaum merklich den Kopf. Wie es scheint, ist die Befragung vorbei.

Diane Appleford hat einen Arm um ihre ältere Tochter gelegt. »Ich habe sie nur fünf Minuten mit Ihnen allein gelassen, und prompt nehmen Sie sie ins Kreuzverhör.«

»Das habe ich nicht«, erwidert Somer. »Glauben Sie mir, ich –«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt«, unterbricht Mrs. Appleford sie. »Faith sagt, sie sei nicht vergewaltigt worden. Und das hat sie Ihnen bestätigt, nicht wahr?«

»Ja, aber –«

Faiths Wangen sind gerötet. Sie blickt zu Boden.

»Dann sollten Sie jetzt gehen. Sie alle. Sie haben bestimmt Dringenderes zu tun. Zum Beispiel echte Verbrechen aufklären.«

Nadine taucht im Türrahmen auf.

»Schätzchen, könntest du die Polizistinnen zur Tür bringen?«, sagt Diane. »Sie wollen gehen.«

Als Somer an Faith vorbeigeht, fängt sie ihren Blick ein. »Du weißt, wo du mich findest. Falls du reden möchtest.«

Das Mädchen beißt sich auf die Lippe und nickt leicht.

***

Fawley wartet draußen im Wagen und betrachtet ein Stück Papier, das etwa die Größe eines Fotos hat. Doch als er sie beide kommen sieht, steckt er es hastig weg.

»Ich schließe aus Ihren Mienen, dass wir nicht viel weitergekommen sind.«

Somer schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, Sir. Ich wollte gerade loslegen, als die Mutter mit dem Tee zurückkam und entschied, dass ich klar ›Grenzen überschritten‹ hätte. Keine Ahnung, wie ich sie hätte befragen sollen, ohne wenigstens ansatzweise ›Grenzen zu überschreiten‹, aber nun ist es so.« Sie zuckt die Achseln.

»Da war noch was, Sir«, sagt Everett. »Somer ist etwas aufgefallen.«

Fawley zieht eine Augenbraue hoch und wendet sich an Somer. »Aha?«

»Als wir rausgegangen sind«, erklärt sie. »Ihre Haare. Faith sieht so zerzaust aus, dass ich es vorher nicht bemerkt habe, doch als wir allein waren, fiel mir auf, dass sie immer wieder daran gezogen hat. An der rechten Seite. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube, da fehlt etwas.«

Adam Fawley, 1. April 2018, 14.15 Uhr

»Also – was sollen wir tun?«, fragt Baxter.

Es ist gerade zwei Uhr durch, und Everett hat das Team über den Appleford-Fall ins Bild gesetzt. Oder vielmehr über den Appleford-Vorfall, und etwas anderes wird daraus auch nicht werden, falls und bis wir nicht eine ganze Menge mehr an die Hand bekommen. Was so ziemlich das ist, was ich sage.

»Es gibt nicht viel, was wir tun können. Faith behauptet, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt hat. Um einen Aprilscherz, der ein bisschen ›außer Kontrolle geraten ist‹.«

»Ziemlich mieser Aprilscherz«, sagt Quinn finster und verschränkt die Arme. »Und fällt es heutzutage nicht in die Kategorie Körperverletzung, jemandem ohne seine Zustimmung die Haare auszureißen?«

»Es kann auch abgeschnitten worden sein«, erwidert Somer. »Das konnte ich nicht genau sehen.«

Ich schreite ein. »Quinn hat dennoch recht: Es handelt sich um Körperverletzung. Aber bislang vermuten wir nur. Faith hat nicht gesagt, dass es passiert ist. Und da sie sich außerdem weigert, uns zu verraten, welcher ihrer Freunde dafür verantwortlich ist …«

»Auch ziemlich miese Freunde, wenn Sie mich fragen. Wer tut denn so was?« Wieder Quinn. Und ich bin gewiss nicht der Einzige, der über seinen plötzlichen Anfall von Mitgefühl leicht irritiert ist. Ev zieht die Augenbrauen hoch, aber zum Glück macht keiner eine Bemerkung dazu. Ich will nicht, dass dieser vielversprechende Ansatz direkt im Keim erstickt wird.

»Obwohl es sich ja um einen Freund handeln muss, oder?«, meldet sich ein anderer DC zu Wort. »Ich meine, man wird doch nicht aus heiterem Himmel von einem Fremden in den April geschickt.«

»Aber durchaus vergewaltigt«, bemerkt Asante ruhig.

Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann wiederholt Baxter seine Frage. Durch und durch beharrlich wie immer. »Und was sollen wir jetzt tun?«

Er runzelt die Stirn, und ehrlich gesagt verstehe ich ihn. Das hier könnte sich durchaus als kolossale Zeitverschwendung erweisen. Andererseits: Was, wenn es wieder geschieht?

»Falls uns morgen ein Riesenfall vor die Füße fällt, ist diese Sache hier vom Tisch, doch bis dahin könnte es sinnvoll sein, ein bisschen nachzuforschen. Diskret nachzuforschen. Nur damit wir uns nicht missverstehen: Faith hat nichts falsch gemacht, und ich will ganz sicher nicht den Eindruck erwecken, als würden wir gegen das Opfer ermitteln, aber hier ist möglicherweise ein Verbrechen begangen worden, und ich sehe nicht ein, dass der Täter ungestraft davonkommt, nur weil Faith aus Angst nicht mit uns spricht, okay? Reden wir am besten als Erstes noch einmal mit dem Taxifahrer, diesem Mullins. Ist seine Aussage offiziell aufgenommen worden?«

»Nein, Sir«, antwortet Somer. »Aber wir haben seine Kontaktdaten, wir können ihn anrufen.«

»Gut. Und überprüfen Sie die Verkehrskameras an der Marston Ferry Road – vielleicht finden wir heraus, von wo Faith kam und ob jemand bei ihr war, ehe Mullins sie aufgelesen hat. Bitten Sie außerdem um die Sicherheitsvideos der Tankstelle am Kreisverkehr.«

»Vielleicht hat jemand sie an der Straße rausgelassen«, sagt Somer. »Mullins meinte, einer ihrer Absätze sei abgebrochen gewesen. Weit wird sie damit nicht gegangen sein. Oder schnell.«

Einer der DCs deutet auf ihre Stiefel. »Spricht da jemand aus Erfahrung?«, fragt er grinsend.

Ich warte einen Moment, bis das Gelächter abebbt. »Und wir sollten uns im FE College erkundigen. Vielleicht machen wir Freunde ausfindig oder kriegen heraus, ob sie mit jemandem Probleme hat.«

»So hübsche Mädchen sind nicht immer beliebt«, bemerkt Everett.

»Vielleicht geht es eigentlich um einen Kerl«, stimmt Quinn zu. »Auch wenn sie keinen Freund hat, könnte vielleicht der Typ einer anderen zu viel Interesse bekundet haben. Jedenfalls wenn sie wirklich so toll aussieht, wie ihr behauptet.« Er fährt sich mit der Hand durchs Haar, was ihm vermutlich selbst gar nicht auffällt, aber natürlich bleibt es nicht unbemerkt. Quinn hält sich gemeinhin für unwiderstehlich. Ev macht den Mund auf, um etwas zu sagen, schafft es aber mit schier übermenschlicher Kraft, es dann doch nicht zu tun. Somer allerdings kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Baxters Verstand ist derweil ausschließlich beim Job geblieben. »Ich kann mir auch ihre Online-Aktivität ansehen. Sollte nicht so schwer sein, herauszufinden, mit wem sie sich so herumtreibt.«

»Gut – machen Sie das. Asante, Sie sprechen mit Mullins, und Somer, Sie übernehmen mit Quinn das College.«

Somer wirkt besorgt. »Aber wir müssen vorsichtig vorgehen. Sie wissen, wie es in solchen Instituten läuft. Gerüchte verbreiten sich schnell.«

»Ihnen fällt schon etwas ein. Sicherheit im Straßenverkehr, wenn nichts anderes geht. Und Somer – ziehen Sie sich dafür nicht um.«

Ihre Augen weiten sich. »Okay. Wenn Sie meinen, dass uns das hilft.«

Ich lächele trocken. »Ja, meine ich. Denn wir können wohl davon ausgehen, dass Faiths Freundinnen ebenfalls Modedesign studieren.«

Und wenn alle Stricke reißen, haben wir ja immer noch den nicht ganz so subtilen Charme eines Detective Constable Gareth Quinn.

***

Das FE College erinnert Somer an die Schule, an der sie ein paar Monate unterrichtet hatte, ehe sie zur Polizei gegangen ist. Der gleiche Betonklotz mit den abgenutzten Rasenflächen und struppigen Büschen, die gleichen müden, alten Autos, zwischen denen Quinns blitzender Audi wirkt wie ein Vollblut bei einem Eselsrennen. Als sie beide noch zusammen waren, hat Somer einmal, um ihn aufzuziehen, den Shania-Twain-Song gespielt, in dem sie von einem Typen singt, der seinem Auto einen Gutenachtkuss gibt, war allerdings nicht wirklich überrascht, dass der Witz völlig an ihm vorüberging. Im Augenblick macht er ein großes Gewese darum, neben einem klapprigen, alten Saab einzuparken, und lässt sich anschließend ungebührlich viel Zeit, um abzuschließen. Somer bemerkt die Blicke der Schüler, die sich etwa hälftig auf das Auto (Jungs) und den Fahrer (hauptsächlich Mädchen, aber nicht nur) aufteilen. Und auch das wundert nicht. Quinn ist groß, athletisch gebaut und sehr gut aussehend, und er strahlt Zuversicht und Selbstvertrauen aus. Selbst jetzt noch und obwohl er sich nach der Trennung wie ein Arsch benommen hat, spürt Somer seine Wirkung auf sie. Fairerweise muss man sagen, dass er sich letztendlich dann doch eine Art Entschuldigung abgerungen hat – zumindest soweit er dazu überhaupt in der Lage ist. Seit Kurzem kursieren auch Gerüchte über eine neue Freundin.

Quinn hört endlich auf, mit dem Autoschlüssel zu hantieren, und kommt zu ihr herum. »Also? Wie willst du es angehen?«

»Ich habe gerade darüber nachgedacht. Wie wäre es, wenn wir bei der Rektorin anfangen, um uns Hintergrundinformationen zu verschaffen, und dann, wenn sie damit einverstanden ist, den Schülern sagen, dass wir hier sind, um über Verkehrssicherheit zu sprechen, wie Fawley vorgeschlagen hat?«

Quinn schneidet eine Grimasse. Er mag Fawley, das weiß sie, und der DI hat ihn schon mehr als einmal rausgehauen, aber Quinn ist nun einmal ehrgeizig und möchte lieber eine eigene Idee umsetzen – eine bessere, versteht sich.

»Wie wäre es denn«, beginnt er, »wenn wir sie fragen, ob in letzter Zeit irgendwas gewesen ist, das eine spontane Untersuchung durch die Kripo rechtfertigen könnte? So was wie Drogen zum Beispiel.«

Und Somer muss zugeben, dass diese Idee wirklich besser ist.

Sie schaut sich nach einem Schild zur Verwaltung um, doch Quinn wehrt ab.

»Lass mal«, sagt er. »Ich frage jemanden.«

Fünf Minuten später folgt sie Quinn und einer Schülerin die Treppe hinauf zum Büro der Schulleitung. Sie nehmen die Treppe, weil es länger dauert und die Schülerin, die Quinn gefragt hat, zufällig langes blondes Haar, einen sehr kurzen Rock und eine scheinbar grenzenlose Bereitschaft hat, von allem, was Quinn sagt, ungeheuer beeindruckt zu sein. Er hat ihr schon von zwei Mordfällen erzählt, an denen er, wie Somer genau weiß, kaum beteiligt war, aber sie hat nicht die Absicht, ihm in die Parade zu fahren. Sie hofft bloß, dass diese neue Freundin, von der sie gehört hat, weiß, worauf sie sich eingelassen hat.

***

Befragung von Neil Mullins, St. Aldate’s Police Station, Oxford, 1. April 2018, 16.15 Uhr

Anwesend: DC A. Asante

AA: Danke für Ihr Kommen, Mr. Mullins. Ich hoffe, dass wir schnell fertig sind.

NM: Kein Problem. Ich war ohnehin auf dem Weg nach Hause. Wie geht’s ihr – dem Mädchen, meine ich?

AA: Die Sache hat sie sehr mitgenommen. Aber wir versuchen noch immer herauszufinden, was genau passiert ist. Deswegen wollten wir noch einmal mit Ihnen sprechen. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, was Sie bei unserer ersten Befragung nicht erwähnt haben.

NM: Nicht, dass ich wüsste. Es war genau so, wie ich Ihnen schon am Telefon gesagt habe: Ich habe sie vor mir am Straßenrand gehen sehen. Na ja, eigentlich weniger gehen als stolpern. Deswegen dachte ich zuerst auch, dass sie betrunken war.

AA: Sie kamen also hinter ihr heran?

NM: Genau. Ich bin in Richtung Marston gefahren, und sie war fast auf der Höhe des Abzweigs zu diesem Pub – das Victoria Arms.

AA: Ganz schön weit weg von jeder Wohngegend, nicht wahr? Kam Ihnen das nicht komisch vor?

NM: Doch. Klar. Deswegen habe ich ja auch abgebremst. Und da ist es mir aufgefallen.

AA: Was denn aufgefallen?

NM: In welchem Zustand sie war. Tränenüberströmt, die ganze Schminke verschmiert, die Kleidung zerrissen. Zuerst dachte ich auch, dass sie geblutet hat, aber später habe ich dann bemerkt, dass es nur Schlamm war. Der ganze Wagen war voll davon.

AA: Was hatte sie an?

NM: Nehmen Sie die Sachen der Leute nach so einer Geschichte nicht mit? Im Fernsehen wird das immer so gemacht.

AA: Das ist nur fürs Protokoll, Mr. Mullins. Sie wissen ja, wie das läuft.

NM: Eigentlich nicht – wie läuft das denn? Ich habe mein halbes Leben am Schreibtisch gesessen, deswegen bin ich ja auch irgendwann aufs Taxifahren umgestiegen …

AA: Was hatte sie denn jetzt an?

NM: Stimmt, Entschuldigung. So eine blaue Jacke. Jeans, glaube ich. Und darunter ein weißes Top, aber viel habe ich davon nicht gesehen. Dann diese sandalenartigen Schuhe, wie ich schon gesagt habe. Und einen kurzen, schwarzen Rock.

AA: Hatte sie eine Handtasche bei sich – oder irgendwas anderes in der Art?

NM: Nein. Da war keine Tasche.

AA: Was ist passiert, als Sie anhielten?

NM: Ich habe mich zu ihr rübergebeugt und gefragt, ob sie okay ist – ob sie Hilfe braucht. Eigentlich ziemlich blöde Frage. Ich meine, natürlich war sie nicht okay.

AA: Was hat sie gesagt?

NM: Sie ist auf mich zugetaumelt und hat gefragt, ob ich sie nach Hause bringen kann.

AA: Es hat ihr nichts ausgemacht, in Ihren Wagen zu steigen? Sie hatte keine Angst vor Ihnen?

NM: Na ja, ich denke, da ich Taxi fahre, hat sie wohl gedacht, dass es halbwegs sicher ist. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie vor allem da wegwollte. Sie ist auch nicht vorne eingestiegen, sondern hinten. Und die ganze Fahrt über hat sie trotz der Kälte das Fenster unten gehabt.

AA: Damit sie im Notfall Hilfe rufen konnte?

NM: Kann sein. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.

AA: Hat sie irgendwas davon gesagt, was passiert ist?

NM: Nein. Ich meine, ich wollte sie auch nicht drängen, verstehen Sie? Ich sagte ihr, ich würde sie direkt zur Polizei fahren, aber da ist sie ausgerastet und meinte, da wolle sie auf gar keinen Fall hin. »Okay, dann ins Krankenhaus«, hab ich gesagt, aber das wollte sie auch nicht. Also habe ich sie dorthin gefahren, wo sie hinwollte.

AA: Nach Hause in den Rydal Way?

NM: Genau. Nachher ist mir eingefallen, dass sie wohl auch dorthin zu Fuß unterwegs gewesen war. Sie hat versucht, nach Hause zu kommen.

AA: Und war jemand da, als Sie sie abgesetzt haben? Jemand im Haus?

NM: Keine Ahnung. Sie ist hintenrum gegangen.

AA: Das haben Sie uns noch nicht gesagt.

NM: Sorry. Ich dachte nicht, dass es wichtig ist.

AA: Sie meinten eben, dass sie keine Tasche dabeihatte. Könnte sie einen Schlüssel in der Jacke gehabt haben?

NM: Bestimmt. Ich habe nicht drüber nachgedacht.

AA: Aber Sie denken definitiv, dass sie ins Haus kommen konnte?

NM: Doch, ja. Sie meinte, sie könnte mir eben Geld holen, wenn ich warten würde, aber ich sagte, dass sie nichts zu bezahlen bräuchte. Sie hat geweint, als sie ausstieg. Das arme Ding.

***

Sasha Blake legt den Stift weg und klappt ihr Notizbuch zu. Sie sitzt im Schneidersitz auf dem Bett; leise Musik läuft. Der Stift ist am Ende mit einer Feder versehen, das hellblaue Buch mit weißen Blumen verziert. Sascha mag den matten Glanz der Seiten und das kompakte Gefühl in ihrer Hand, aber sie hat es hauptsächlich deswegen ausgesucht, weil es klein genug ist, um in ihre Tasche zu passen. Sie wird es bestimmt nicht einfach herumliegen lassen, so viel steht fest. Sie liebt ihre Mum wirklich, und sie weiß, dass sie niemals bewusst herumschnüffeln würde, aber keine Mutter hat die Willenskraft, ein solches Buch zu ignorieren und nicht darin zu lesen, wenn sie zufällig darauf stößt. Isabel umgeht das, indem sie ihre Einträge kodiert, und Patsie nutzt ihr Handy, aber Sasha schreibt am liebsten alles auf. Es hilft ihr, ihre Gedanken zu entwirren und sich darüber klar zu werden, was zu tun ist. Aber ihre Mutter würde das nicht verstehen. Sie würde alles, was sie liest, für wahr halten. Und das ist es in gewisser Hinsicht auch. Nur nicht so, wie ihre Mutter es interpretieren würde.

Von unten kommen Geräusche, und Sasha beugt sich rasch vor und schiebt das Buch in ihre rosafarbene Schultertasche, dann lehnt sie sich wieder ans Kopfende ihres Betts und greift nach der Keats-Ausgabe.

»Alles okay, Sash?«, fragt ihre Mum, als sie mit dem Arm voller Bügelwäsche die Tür aufdrückt.

Sasha blickt auf. »Alles gut. Ich chille nur ein bisschen mit meinem besten Kumpel.«

Fiona Blake lächelt. »Mach nicht zu viel. Man darf auch mal was für sich tun, weißt du?«

Sie legt den Wäschestapel auf der Kommode ab und zieht die Tür hinter sich zu, als sie wieder hinausgeht. Sasha klappt das Buch auf. »Für immer wach, bereit zu süßer Unruh, um noch und noch ihr zärtliches Atmen zu hören.« Sie seufzt. Wie schön es wäre, wenn jemand so mit einem sprechen würde!

***

»Sie werden also verstehen, dass wir besorgt sind.«