Nochmal 5 Romantic Thriller Juli 2023 - Alfred Bekker - E-Book

Nochmal 5 Romantic Thriller Juli 2023 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

von Ann Murdoch, Alfred Bekker Das Ebook beinhaltet folgende Romane: Alfred Bekker: Eine Gruft auf Rügen Ann Murdoch: 13 Eichen Ann Murdoch: Dunkle Gebete Ann Murdoch: Blutschwestern Ann Murdoch: Pakt mit dem Bösen Die junge Ägyptologin Allison ist enttäuscht, denn gerade ist ihr ihr Traumjob, die Leitung einer Ausstellung aus Kairo im Londoner Museum, entgangen und ausgerechnet ihrem unsympathischen Kollegen Harvey Fletcher übertragen worden. Zunächst findet sie etwas Trost bei dem Kairoer Begleiter der Ausstellung, Faruk, dem sie schnell näher kommt. Doch bald geraten die beiden viel tiefer in eine gefährliche Sache, die augenscheinlich mit der Ausstellung zu tun haben muss und bei der es nicht nur einen Toten gibt...

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Ann Murdoch, Alfred Bekker

Nochmal 5 Romantic Thriller Juli 2023

UUID: a65cbda1-101f-4a97-9cb5-61f2a466aa74
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Nochmal 5 Romantic Thriller Juli 2023

Copyright

Eine Gruft auf Rügen

13 Eichen

1

2

3

4

5

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Dunkle Gebete

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

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14

15

16

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18

19

20

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27

28

29

30

31

Blutsschwestern

Pakt mit dem Bösen

Nochmal 5 Romantic Thriller Juli 2023

von Ann Murdoch, Alfred Bekker

Das Ebook beinhaltet folgende Romane:

Alfred Bekker: Eine Gruft auf Rügen

Ann Murdoch: 13 Eichen

Ann Murdoch: Dunkle Gebete

Ann Murdoch: Blutschwestern

Ann Murdoch: Pakt mit dem Bösen

Die junge Ägyptologin Allison ist enttäuscht, denn gerade ist ihr ihr Traumjob, die Leitung einer Ausstellung aus Kairo im Londoner Museum, entgangen und ausgerechnet ihrem unsympathischen Kollegen Harvey Fletcher übertragen worden.

Zunächst findet sie etwas Trost bei dem Kairoer Begleiter der Ausstellung, Faruk, dem sie schnell näher kommt. Doch bald geraten die beiden viel tiefer in eine gefährliche Sache, die augenscheinlich mit der Ausstellung zu tun haben muss und bei der es nicht nur einen Toten gibt...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER FIRUZ ASKIN

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Alles rund um Belletristik!

Eine Gruft auf Rügen

von Alfred Bekker

Sandra Jürgens tritt eine Stelle als Verwalterin einer alten Burg auf Rügen an. Sie verliebt sich in Dr. Jonas Herrmann, einen Arzt, der in der Gegend seine Praxis unterhält. Alles scheint sich gut zu entwickeln. Da erfährt Sandra, dass ihr Vorgänger als Burgverwalter unter mysteriösen Umständen zu Tode kam. Den Besitzer der Burg umgibt ein düsteres Geheimnis und sehr bald ist Sandra selbst in Lebensgefahr. Ein schrecklicher Verdacht keimt auf, unerklärliche Dinge geschehen und der Aufenthalt auf der schönen Ostsee-Insel wird für die junge Frau zum mörderischen Albtraum.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

1

Einst eroberten dänische Kreuzritter die Insel Rügen und führten gewaltsam das Christentum ein. Sie errichteten die ersten Burgen. Es gibt zahlreiche uralte Gemäuer auf der Insel. Verwunschene Orte. Manche sagen: Unheimliche Orte. Geister spukten hier.

Jedenfalls sagte man das. Und es gab viele mehr oder weniger glaubhafte Berichte übnr seltsame Vorkommnisse.

Der Wind heulte klagend um die uralten Mauern von Burg Delius auf Rügen. Fensterläden klapperten. Es war bereits weit nach Mitternacht.

Eduard Gehrlich öffnete die schwere Holztür und trat ins Freie.

Der Wind zerrte an seinen Kleidern. Ihn fröstelte. Er schaute hinaus in die sturmdurchtoste Nacht.

Sein Blick glitt suchend umher. Bizarre Schatten tanzten auf den grauen Wänden der Nebengebäude.

Zögernd schritt Gehrlich dann die fünf breiten Steinstufen des Portals hinab.

Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel und schimmerte durch die schnell dahinziehenden Wolken. Düsteren Schatten gleich erhoben sich die knorrigen, auf groteske Weise verwachsenen Bäume. Grauer Nebel war aus der Ostsee emporgestiegen. In dicken Schwaden kroch er über den Boden.

Immer neue geisterhafte Gestalten und Gesichter schienen sich in den wabernden Nebeln zu bilden. Der Schrei eines Raben durchdrang die Geräusche des Windes für einen kurzen Moment.

“Oh, mein Gott!”, flüsterte Eduard Gehrlich.

Er schluckte.

Sein Gesicht wurde bleich.

So bleich, dass man denken konnte, dass er selbst ein Geist war.

Der Puls schlug ihm bis zum Hals.

Das Herz raste.

Die Hand zitterte leicht.

Dann sah Gehrlich die Gestalt.

Sie hob sich als dunkler Schatten gegen den hellgrauen Nebel ab. Der Gang war schleppend. Ein eisiger Schauder überkam Gehrlich, als er die Silhouette eines Dreispitzes erkannte.

Mein Gott!, durchzuckte es ihn. Sein Puls raste.

„Gehrlich!“, donnerte eine Stimme durch die Nacht. „Gehrlich, bleiben Sie stehen, Sie Narr!“

Gehrlich drehte sich halb herum. Jemand war durch das Portal getreten. Durch die offene Tür fiel Licht auf einen hochgewachsenen, hageren Mann, dessen falkenhaftes Gesicht Gehrlich entgeistert anstarrte.

„Ich habe IHN gesehen, Graf Winfried!“, rief Gehrlich. „Ich bin mir sicher. Da hinten.“

„Kommen Sie zurück, Sie Wahnsinniger!“, forderte der Mann, den Eduard Gehrlich als Graf Winfried angesprochen hatte.

„Nein!“, erwiderte Gehrlich mit fester Stimme. „Ich will jetzt wissen, was hier vor sich geht!“

„Gehrlich, nein!“ Graf Winfried streckte die Hand aus. Er trat einen Schritt vor, wagte sich aber nur bis zur ersten Stufe des Portals. Dann blieb er wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Sein Gesicht war aschfahl geworden.

Auch Gehrlich erstarrte.

Die Gestalt mit dem Dreispitz näherte sich. Der Mond beleuchtete ein bleiches Gesicht. Die Augen waren weit aufgerissen und ausdruckslos. Glasig schienen sie ins Nichts zu blicken. Unter dem Dreispitz quollen die Locken einer gepuderten Perücke hervor. Ein dunkler Mantel hing um seine Schultern und reichte beinahe bis zum Boden.

„Der bleiche Graf“, flüsterte Graf Winfried ergriffen.

Das einzig Gute an der Sache war, dass Eduard Gehrlich diesen Geheimnisvollen bocht allein gesehen hatte. Graf Winfried war dabei gewesen! Es konnte also niemand behaupten, dass er sich alles nur eingebildet hatte.

Der bleiche Mann mit dem Dreispitz näherte sich.

Seine Stimme vibrierte. Die knochendürren Finger hielten sich am steinernen Handlauf fest.

„Wer sind Sie?“, fragte Gehrlich an die düstere Gestalt gewandt. „Was wird hier eigentlich gespielt? Ich habe Sie durch das Fenster gesehen.“

Der bleiche Mann antwortete nicht.

Seine leeren blicklosen Augen richteten sich auf Gehrlich.

Dieser erschauerte bis in den tiefsten Grund seiner Seele.

Er wich einen Schritt zurück. Eine eigenartige Schwere fühlte er in den Beinen. Kälte kroch ihm den Rücken hinauf.

Eine Kälte, wie er sie nie zuvor gefühlt hatte.

„Nein“, flüsterte Gehrlich, während ihn das Grauen erfasste.

Im Gesicht des Düsteren veränderte sich etwas. Der dünnlippige Mund öffnete sich. Mit einem fauchenden Laut kam ein leuchtend weißer Nebel aus seinem Mund heraus und schoss in einer Fontäne auf Gehrlich zu.

Gehrlich taumelte einen Schritt zurück. Eine unsagbare Kälte erfasste ihn. Sein schauriger Todesschrei gellte durch die Nacht, während er zu Boden sank. Reglos blieb er am Boden liegen.

Der bleiche Graf senkte den Kopf.

Der Mond tauchte sein hageres Totengesicht in ein fahles Licht.

Graf Winfried wich zurück zur Tür.

„Nein!“, flüsterte er.

Der bleiche Graf hob die Hand.

Das Wiehern eines Pferdes ertönte. Dunkel hob sich die Silhouette des hochbeinigen Reittiers im Nebel ab. Das Pferd galoppierte auf den bleichen Graf zu und blieb dann stehen.

Der bleiche Graf wankte zu dem Reittier hin, schwang sich in den Sattel. Er wandte den Kopf. Einen Augenblick schienen seine leeren Augen Graf Winfried zu musterten. Dieser war wie gelähmt. Angst kroch ihm wie eine grabeskalte, feuchte Hand den Rücken hinauf.

Dann riss der Reiter die Zügel seines Pferdes herum und ließ es direkt in den Nebel hinein galoppieren. Doch noch ehe die Nebelwand ihn wirklich verschluckt hatte, schien er transparent zu werden. Er löste sich auf. Nur das Getrappel der Hufe war noch eine ganze Weile zu hören und ließ Graf Winfried bis ins Mark erschauern.

2

Die Scheibenwischer schafften es einfach nicht, für freie Sicht zu sorgen. Sandra Jürgens saß hinter dem Steuer ihres Coupés und blickte angestrengt durch die Frontscheibe.

Es war ziemlich spät geworden.

Die Dämmerung hatte sich erst wie graue Spinnweben über das Land gelegt und nun war es schon beinahe ganz dunkel.

Ein Blitz zuckte grell aus den tiefhängenden, dunklen Wolken.

Der Regen prasselte nur so hernieder.

Gestehe es dir endlich ein!, dachte Sandra. Du hast dich verfahren!

Die Straße war sehr schmal. Ihr Zustand war schlecht. Ein Schlagloch folgte dem nächsten. Sie zog sich durch ein Waldstück hindurch, wodurch die Sicht noch schlechter wurde.

Sandra Jürgens atmete tief durch.

Eine Verspätung war alles andere als ein gelungener Einstand in ihrer neuen Stellung!

Aber es war nun einmal nicht zu ändern.

Die Straßen waren immer schmaler und unwegsamer geworden und die Hinweisschilder immer spärlicher.

Geschlagene anderthalb Stunden schon fuhr sie in dieser gottverlassenen Gegend herum, seit sie die Autobahn aus Richtung Stralsund verlassen hatte. Und sie war sich nicht sicher, ob sie ihrem Ziel inzwischen ein paar Kilometer näher gekommen war.

Wieder zuckte ein Blitz.

Der Donner peitschte kurz hinterher. Das Gewitter musste ganz in der Nähe sein. Der Regen nahm noch einmal an Heftigkeit zu. Der Wind bog Bäume und Büsche unbarmherzig in seine Richtung. Ein knackendes Geräusch übertönte sogar den Motor. Ein dicker Ast brach aus der Krone eines knorrigen Baumes heraus. Er krachte nieder, viel zu schnell, als dass Sandra noch hätte reagieren können. Der Ast fegte über die Kühlerhaube des Coupés, rutschte ein Stück die Frontscheibe empor und glitt dann zur Seite auf die Straße.

Der Schrecken saß tief.

Sandra fühlte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug.

Mein Gott, das war knapp!, ging es ihr durch den Kopf. Sie war froh, als sie das Waldstück hinter sich gelassen hatte.

Viel hätte sie in diesem Moment dafür gegeben, wenn diese Höllenfahrt zu Ende gewesen wäre!

Ein Schild tauchte auf.

Sandra fuhr langsamer, bremste ab und las die verblassten Buchstaben.

Kluis 3 Kilometer.

Immerhin etwas!, dachte Sandra. Sie hielt an, blickte auf ihre Karte. Kluis war offenbar so klein, dass es gar nicht verzeichnet war. Aber vielleicht gab es dort eine Tankstelle oder ein Gasthaus, wo sie nach dem Weg fragen konnte.

Sie fuhr weiter.

Wenig später tauchte der düstere Turm einer verwitterten Kirche auf. Als drohende Silhouette stand sie da. Verwachsene Bäume erhoben sich über den angrenzenden Friedhof. Um die Kirche herum gruppierte sich eine Handvoll Häuser.

Das war Kluis.

Ein Flecken, kaum ein Dorf zu nennen.

Es gab keine Tankstelle, aber ein Gasthaus mit dem Namen GASTHOF KLUIS. Sandra parkte das Coupé vor dem verwittert wirkenden Haus. Der Regen hatte zwar etwas nachgelassen, aber oben in den Wolken grummelte es nach wie vor.

An einen Schirm hatte Sandra nicht gedacht.

Sie öffnete die Tür ihres Wagens und lief so schnell sie konnte zum Eingang des GASTHOF KLUIS. Das schulterlange, brünette Haar klebte der jungen Frau bereits feucht am Kopf, als sie den Eingang erreichte. Die Tür war durch einen steinernen, moosbewachsenen Bogen geschützt. Die Tür war aus dunklem Holz gefertigt und machte den Eindruck, schon Jahrhunderte alt zu sein.

Sandra wollte die Türklinke herunterdrücken, da zuckte sie zurück.

Sie starrte auf das fratzenhafte, aus Holz geschnitzte Löwengesicht, das sie hasserfüllt anblickte. Mit den Zähnen hielt das Löwengesicht einen dunklen Metallring, der wohl zum Klopfen gedacht war.

Sandra öffnete die Tür. Sie trat in einen halbdunklen Raum.

Der Regen prasselte gegen die kleinen, butzenartigen Scheiben.

Außer dem Wirt befanden sich nur noch zwei Männer im Schankraum. Der eine saß an der Theke, der andere an einem Tisch in der Ecke.

Sandra ging zum Schanktisch. Der Wirt war ein hochgewachsener, hohlwangiger Mann. Er starrte sie an wie einen leibhaftigen Geist.

„Guten Abend“, sagte Sandra.

„Guten Abend“, knurrte der Wirt.

Sandra fühlte sogleich die Blicke aller Anwesenden auf sich gerichtet. Als Fremder fiel man hier wohl sofort auf.

Das war nicht verwunderlich.

„Was wünschen Sie, meine Dame?“, fragte der Wirt. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos dabei. Ein Donner krachte indessen geradezu ohrenbetäubend. Das Licht im Raum flackerte für einen Augenblick. Sandra zuckte unwillkürlich zusammen.

„Ich fürchte, ich habe mich etwas verfahren“, sagte sie dann. Sie strich sich dabei eine feuchte Strähne aus dem Gesicht.

„Wo wollen Sie denn hin?“

„Burg Delius!“

„Oh!“

Die drei Männer wechselten bedeutungsvolle Blicke.

Schließlich fragte der Wirt: „Dann sind Sie die neue Verwalterin?“

„Ja“, erwiderte Sandra erstaunt. Die Welt schien hier sehr klein zu sein, und Neuigkeiten sprachen sich offenbar schnell herum.

„Sie wirken sehr jung für diese Arbeit!“, sagte der Wirt dann. Er schien es gewohnt zu sein, seine Gedanken sehr ungeschminkt zum Ausdruck zu bringen.

Sandra atmete tief durch.

„Nun, ich gebe zu, dass es meine erste Anstellung ist. Aber ich habe meinen Beruf gelernt. Ich bin überzeugt davon, ein Landgut verwalten zu können – und wenn Graf Delius anderer Meinung gewesen wäre, hätte er mich wohl kaum eingestellt!“

Der Wirt zuckte die Achseln. „Geht mich ja nichts an“, knurrte er.

„Wie gesagt, ich habe mich etwas verfahren. Wenn Sie vielleicht so freundlich wären und mir den Weg sagen würden.“

„Sie fahren die Straße entlang bis zu einer Weggabelung. Dort geht es links weiter, dann vorbei an einem See. Ist schon fast verlandet, mehr ein Sumpf als ein See. Jedenfalls können Sie es dann nicht mehr verfehlen. Burg Delius liegt auf einem Hügel, die Straße führt direkt dort hin.“

„Ich danke Ihnen. Kann ich mal telefonieren? Ich habe mich nämlich verspätet und möchte …“

„Das Telefon funktioniert im Moment nicht! Muss am Gewitter liegen.“

„Trotzdem, vielen Dank.“

„Alles Gute!“

Sandra wandte sich wieder in Richtung der Tür.

Sie hatte sie kaum erreicht, da ließ der Klang einer heiseren Stimme sie zusammenzucken.

„Gehen Sie nicht nach Burg Delius“, murmelte die Stimme.

Ein Donner folgte – wie ein gewaltiger Paukenschlag.

Sandra blieb stehen. Sie strich das Haar zurück und blickte zum Tisch in der Ecke. Der Mann, der dort saß, war schon älter, sein Gesicht faltig. In den wässrig blauen Augen flackerte es unruhig. Er stand auf, obwohl sein Bierglas noch halb voll war. Dann fasste er den dunklen Stock, den er gegen die Stuhllehne gestellt hatte. Am Griff befand sich ein geschnitzter Hundekopf. Der Alte wankte auf Sandra zu. Dann blieb er stehen und musterte sie einige Augenblicke lang.

„Wissen Sie, was mit Ihrem Vorgänger geschah?“ Der Alte kicherte.

Sandra schluckte.

Sie spürte plötzlich ein deutliches Unbehagen in der Magengegend.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, sagte sie dann etwas steif.

Der Alte verzog das Gesicht.

„Ein Mann namens Gehrlich war vor Ihnen Verwalter auf Burg Delius. Er ist tot, meine Dame!“

„Was soll das Gerede?“, fragte sie etwas schroffer als sie ursprünglich beabsichtigt hatte. „Und vor allem: Was hat das alles mit mir zu tun?“

„Burg Delius ist ein verfluchter Ort“, sagte der Alte dann in gedämpftem Tonfall. „Ein Ort des Todes und der Verdammnis. Üble Geschichten ranken sich um diesen Herrensitz.“

„Mach der jungen Dame doch keine Angst mit deinen Schauergeschichten!“, mischte sich der Wirt ein.

„Es ist die Wahrheit“, wisperte der Alte. “Außerdem habe ich nie was davon gehalten.”

“Wovon haben Sie nichts gehalten?”, fragte Sandra.

“Davon, dass Adelige nach der Wende ihre alten Besitztümer auf Rügen zurückgekauft haben.”

“So?”

“Ist nur meine Meinung.”

“Sicher.”

“Und wird das ja wohl noch sagen dürfen.”

“Klar.”

“Schließlich leben wir ja jetzt in einem freien Land.”

“Ja.”

Sein Blick bohrte sich förmlich in Sandras Augen. Ein Schauder überkam sie dabei unwillkürlich. Das ist nur das Geschwätz eines wunderlichen Alten!, versuchte sie sich einzureden. Aber ihr Gefühl sagte etwas anders. Das Unbehagen blieb.

„Hör auf, Karl!“, rief der Wirt. „Sei still!“

Der Alte zuckte die Achseln.

„Niemand will etwas von der Wahrheit wissen“, murmelte er. „Niemand.“ Er wandte sich wieder herum und wankte zu seinem Tisch. Der Stock klapperte dabei auf den Parkettbohlen.

3

Etwas irritiert ging Sandra wieder hinaus in die Dunkelheit.

Blitze zuckten in rascher Folge über den Himmel. Ein Donnergrollen folgte dem anderen. Der Regen prasselte mit unverminderter Heftigkeit hernieder. Sandra rannte zu ihrem Wagen, riss die Tür auf und setzte sich so schnell sie konnte ans Steuer. Sie startete den Wagen. Dann setzte sie das Coupé zurück und fuhr los.

Nach einiger Zeit erreichte sie die Weggabelung, von der der Wirt gesprochen hatte.

Sandra fuhr nach links.

Der Wagen erreichte kaum mehr als Schritttempo. Links und rechts war finsterste Nacht. Die Straße wurde immer schmaler und schlechter. Die Asphaltierung wich schließlich einer Pflasterung. Sandra blickte angestrengt in die Nacht hinaus.

Der Beschreibung des Wirtes nach hatte sie eigentlich nicht damit gerechnet, dass sich die Strecke noch so lang hinzog.

Der seltsame Alte namens Karl ging ihr die ganze Zeit über nicht aus dem Sinn. EIN ORT DES TODES UND DER VERDAMMNIS – das hatte er über Burg Delius gesagt. Noch bei der Erinnerung schauderte es ihr.

Sandra beschleunigte etwas, als sie in der Ferne die Lichter auftauchen sah. Dunkel hoben sich einige Gebäude ab.

Das musste Burg Delius sein, deren Mauern jetzt wie düstere Schatten wirkten.

Endlich!, dachte sie.

Schon keimte Erleichterung in ihr auf.

Doch in der nächsten Sekunde musste sie scharf abbremsen.

Der Wagen rutschte über den regennassen Pflasterweg, ehe er schließlich stand.

Sandra atmete tief durch.

Ihr Herz schlug wie wild.

Gebannt blickte sie hinaus in die Finsternis. Mitten auf der schmalen Straße erhob sich die Gestalt eines Reiters.

Es wirkte fast so, als wäre er aus dem Nichts heraus aufgetaucht.

Jetzt wurde er durch die grellen Scheinwerfer des Coupés angestrahlt, was ihn aber in keiner Weise zu beeindrucken schien. Er blieb mitten auf der Straße und machte keinerlei Anstalten, den Weg freizumachen.

Sandra erfasste ein Gefühl des Unbehagens. Eine deutliche Prise Furcht mischte sich hinein. Und Verwunderung.

Mein Gott, was ist das für ein komischer Kauz?, ging es ihr durch den Kopf. Der Reiter sah aus, als ob er einem Kostümfilm entsprungen gewesen wäre. Seine Kleidung entsprach der eines Landedelmannes aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Ein Dreispitz auf dem Kopf, die gepuderte Perücke, deren Haar im Nacken mit einer Schleife zusammengefasst war, der dunkle Mantel um die Schultern, unter dem die blitzenden Knopfreihen seines Rocks ab und zu herschauten.

Von seinem Gesicht sah Sandra nichts. Die Krempe des Dreispitzes warf einen Schatten darauf, so dass es nur wie ein dunkler Fleck aussah.

Was will der nur von mir?, fragte sie sich. Sie fuhr etwas näher an ihn heran, um deutlich zu machen, dass sie passieren wollte.

Der Reiter rührte sich nicht.

Wie ein Standbild wirkte er. Auf einmal wurde es Sandra unwahrscheinlich kalt. Sie begann zu zittern. Der Reiter näherte sich jetzt.

Sandra schluckte.

Was will er?, durchzuckte es sie.

Ein Blitz durchschnitt den wolkenverhangenen Nachthimmel.

Das Pferd wurde unruhig, stellte sich auf die Hinterhand. Und für einen kurzen Moment trat das Gesicht des Reiters aus dem Schatten der Hutkrempe heraus.

Sandra erfasste ein eisiger Schauer.

Es war, als ob eine kalte Hand nach ihrem Herzen griff und es nicht mehr losließ.

Dieses Gesicht.

Wie das Gesicht eines Toten!, durchfuhr es die junge Frau.

Bleich, fahl und mit leerem Blick.

Der Reiter ließ das Pferd voran preschen. Dicht an Sandras Coupé vorbei galoppierte er die Straße entlang. Sandra sah ihm nach. Der dunkle Mantel wehte hinter ihm her wie die schwarzen Schwingen eines geisterhaften, gefiederten Fabelwesens. Und dann war er auf einmal nicht mehr da. So sehr sich Sandra auch anstrengte, sie konnte ihn nicht mehr sehen.

Seltsamer Kauz!, dachte sie.

Doch das Unbehagen in ihrer Magengegend blieb.

4

Kurze Zeit später erreichte sie Burg Delius. Jedenfalls sprach alles dafür, dass sie hier richtig war. Dunkel ragten die Mauern des Haupthauses auf. Es gab noch ein paar Nebengebäude für Stallungen und Personal.

Sandra stellte den Wagen in unmittelbarer Nähe des mächtigen Portals ab. Noch immer regnete es sehr heftig.

Sie stieg aus, beeilte sich die fünf breiten Steinstufen hinaufzulaufen und stand dann einen Augenblick später vor der großen, zweiflügeligen Holztür.

Sie klopfte an die Tür.

Eine Klingel konnte sie nirgends finden.

Sie klopfte ein zweites Mal. In einigen Räumen des Landsitzes hatte sie Licht brennen sehen, daher nahm sie an, dass auch jemand im Haus war.

Außerdem wurde sie ja auch erwartet – wenn auch vielleicht nicht zu dieser späten Stunde.

Sandra lauschte. Es war nichts zu hören.

Während sie geklopft hatte, war ihre Hand über eine seltsame Erhebung auf dem Holz der Tür geglitten. Sie fühlte erneut darüber. Es war zu dunkel, um genau zu erkennen, worum es sich handelte. Wahrscheinlich irgend eine kunstvolle Schnitzarbeit, so vermutete sie.

Jetzt hörte sie schleppende Schritte auf der anderen Seite der Tür.

Jemand löste einen schweren Riegel.

Einen Augenblick später wurde der rechte Flügel einen Spalt geöffnet.

„Guten Abend“, sagte Sandra und blickte in das ausdruckslose Gesicht eines kahlköpfigen Mannes, der seiner äußerst konservativen und korrekten Kleidung nach ein Hausangestellter war. Der Hausangestellte überragte Sandra um anderthalb Köpfe, obwohl er eine leicht gebeugte Haltung hatte.

„Guten Abend“, sagte er.

„Ich bin doch hier richtig – auf Burg Delius?“

„Das sind Sie.“

„Mein Name ist Sandra Jürgens.“

„Sie werden erwartet.“

Der Hausangestellte öffnete die Tür zur Gänze und Sandra trat ein.

Sie ging in einen hohen, fast hallenartigen Empfangsraum. An den Wänden hingen düstere Landschaftsbilder. Das Licht war gedämpft. Manchmal flackerte es nach heftigen Donnerschlägen.

„Bitte folgen Sie mir!“, sagte der Hausangestellte dann.

Seine Stimme klang ausdruckslos, fast automatenhaft.

Er führte Sandra eine breite Treppe hinauf, dann einen spärlich beleuchteten Flur entlang.

Der Hausangestellte öffnete eine Tür.

Sandra trat in einen Raum, dessen Wände fast vollständig von Bücherregalen gefüllt waren. Ein dicker, ledergebundener Foliant stand neben dem anderen. Viele der Buchrücken waren von einer feinen Staubschicht bedeckt. Im Kamin brannte Feuer. Es knisterte.

„Graf Winfried wird Sie gleich begrüßen, Frau Jürgens“, erklärte der Hausangestellte.

„Gut.“

„Haben Sie bis dahin noch einen Wunsch?“

„Ja, meine Haare sind ziemlich nass geworden. Wenn Sie vielleicht ein Handtuch hätten …“

„Natürlich.“

Mit ausdruckslosem Gesicht ging der Hausangestellte aus dem Raum.

Kurze Zeit später kehrte er zurück und reichte Sandra ein weißes Frotteehandtuch. Sie trocknete sich das feuchte Haar und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung. Ein Teil der Bücherwand glitt zur Seite. Erst jetzt wurde sichtbar, dass sich dahinter eine zweite Tür befand, durch die nun ein hagerer, hochgewachsener Mann mit falkenhaftem Gesicht trat.

Sein Alter war schwer zu schätzen, aber die fünfzig hatte er deutlich überschritten. Seine Haltung wirkte sehr würdevoll, fast etwas steif. Seinem ganzen Gebaren haftete etwas Aristokratisches an.

Er reichte Sandra die Hand.

„Guten Abend, Frau Jürgens. Es freut mich, dass Sie doch noch zu uns gefunden haben.“

„Sie sind …“

„Graf Winfried von Delius.“

Die Ahnung eines Lächelns huschte über das blasse Gesicht des Herrn von Burg Delius. Seine Hand fühlte sich eiskalt an. Sandra fröstelte unwillkürlich.

„Es tut mir leid, eigentlich ist es nicht meine Art, zu spät zu kommen“, sagte sie. „Schon gar nicht bei einem so wichtigen Termin. Schließlich tritt man nicht jeden Tag eine neue Stellung an.“

„Schon gut, Frau Jürgens. Es trägt Ihnen niemand etwas nach. Möchten Sie etwas trinken?“

„Nein, danke.“

„Ich schlage vor, Sie geben Walter Ihren Wagenschlüssel. Dann kann er das Gepäck schon mal in Ihr Quartier bringen.“

Sandra drehte sich zu dem Hausangestellten um. Mit reglosem Gesicht stand er da, fast wie eine Wachsfigur. Zunächst gab sie ihm das Handtuch zurück, dann sagte sie: „Der Wagen ist offen.“

Walter erwiderte nichts. Er nickte lediglich. Eine Geste, die schon beinahe an eine Verbeugung heranreichte.

Dann wandte er sich in Richtung der Haupttür und verließ die Bibliothek.

Die Nebentür, durch die Graf Winfried eingetreten war, hatte sich indessen von selbst geschlossen. Mit einem lauten Klacken fiel sie ins Schloss.

Graf Winfried verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

„Einer meiner Vorfahren ließ diese Tür einbauen“, erläuterte er dann. „Wissen Sie, im achtzehnten Jahrhundert waren diese Dinge groß in Mode.“

„Nun, ich muss gestehen, dass ich etwas überrascht war.“

„Es war keinesfalls meine Absicht, Sie zu erschrecken, Frau Jürgens.“

„Natürlich nicht.“

„Sie hatten Schwierigkeiten, hierher zu finden?“

Sandra nickte. „Ja, das kann man wohl sagen. Ich war schon ganz verzweifelt, aber zum Glück konnte man mir in Kluis weiterhelfen.“

Graf Winfried beobachtete sie sehr aufmerksam. Sandra zuckte innerlich zusammen, als sie dies bemerkte. Sein Blick war von geradezu hypnotischer Intensität. In seinen Augen flackerte es unruhig.

„Das sind ziemlich verschlossene und abergläubische Leute dort“, meinte Graf Winfried. Dann zuckte er die Schultern. „Aber vermutlich werden die Bewohner von Kluis dasselbe über mich sagen!“

„Kurz bevor ich Burg Delius erreichte, hatte ich eine ziemlich merkwürdige Begegnung“, sagte Sandra.

„Ach, ja?“

Graf Winfried hob die Augenbrauen.

„Ein Reiter – wie zu einem Kostümball angezogen. Er stand mitten auf der Straße, und zuerst schien es so, als ob er mich nicht weiterfahren lassen wollte.“

Graf Winfrieds Stirn legte sich in Falten.

„Was ist passiert?“

„Nichts. Er ist davongeritten und verschwand in der Nacht. Haben Sie eine Ahnung, wer das war?“

„Es gibt eine Reihe seltsamer Gestalten in dieser Gegend. Exzentriker ist ein freundlicheres Wort dafür.“

Graf Winfried trat zu einem der hohen Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Es wirkte fast so, als suchte er nach etwas.

Schließlich drehte er sich wieder herum. Er schluckte.

„Es ist schon spät“, stellte er fest. „Sie werden müde sein. Wenn Sie wollen dann, zeigt Walter Ihnen gleich Ihr Quartier. Und sollten Sie noch hungrig oder durstig sein, so wird er Ihnen alles zubereiten, was sich in unserer Küche herstellen lässt.“

„Ich danke Ihnen.“

„Morgen werde ich Sie dann in Ihre Aufgabe einweisen. Sie werden sich schnell hineinfinden. Herr Gehrlich – Ihr Vorgänger – hat gute Arbeit geleistet.“

„Ich habe gehört, dass er verstorben ist.“

Graf Winfrieds Gesicht versteinerte. Es war jetzt eine starre Maske.

„Hat man Ihnen das in Kluis erzählt?“, fragte er dann.

Sandra nickte. „Ja.“

„Herr Gehrlich ist tatsächlich verstorben. Was hat man Ihnen noch erzählt?“ Sein Ton war drängend. Sandra irritierte das.

„Das war alles“, berichtete sie. „Da war ein alter Mann. Karl!“

„Ein Schwätzer. Sie sollten keinen Cent auf das geben, was er von sich gibt!“

5

Als der Hausangestellte Sandra wenig später in ihr Zimmer führte, hatte draußen das Gewitter nachgelassen. Nur ab und zu war noch ein leichtes Donnergrollen zu hören. Der Regen verebbte langsam.

Das Zimmer war sehr groß. Die Möbel bestanden überwiegend aus edlen Antiquitäten.

„Wenn Sie etwas wünschen, dann läuten Sie bitte“, sagte Walter, der Hausangestellte.

„Danke.“

Sandra entdeckte ihre Koffer vor dem Bett.

Sie ging zum Fenster. Als dunkle Umrisse hoben sich Bäume und Hügel ab. Der Regen hatte aufgehört, und der Mond schimmerte als ein Oval durch die Wolkendecke hindurch. Aus der Ferne war noch leises Donnergrollen zu hören.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich mich jetzt zurückziehen“, erklärte Walter.

„Natürlich habe ich nichts dagegen.“

Die sehr förmlichen Umgangsformen des Hausangestellten waren für Sandra ziemlich gewöhnungsbedürftig.

Der Hausangestellte hatte die Tür fast erreicht, da hielt ihn Sandras Stimme noch einmal auf.

„Sagen Sie, gab es eigentlich viele Bewerber für die Verwalterstelle auf Burg Delius?“

Walter drehte sich herum. Sein Gesicht verriet nicht einen Hauch dessen, was in ihm vor sich gehen mochte. Seine Lippen waren ein dünner Strich.

„Diese Dinge besprechen Sie am besten mit Graf Winfried“, gab der Hausangestellte dann reserviert zurück.

„Sie möchten diskret sein, das verstehe ich.“

„Es ist eines der wichtigsten Merkmale meines Berufes, Frau Jürgens!“

„Natürlich, Walter! Aber ich glaube nicht, dass das eine Sache ist, die gewissermaßen der Geheimhaltung unterliegt!“

In Sandras Zügen zeigte sich ein gewinnendes, wenn auch etwas mattes Lächeln. Sie war müde.

Walter hielt einen Augenblick lang ihrem Blick stand, dann sagte er: „Soweit ich mich erinnern kann, waren Sie die einzige Bewerberin, Frau Jürgens.“

„Und warum? Dies ist doch eine hervorragende Chance für jeden Berufsanfänger! Und gut bezahlt wird sie auch! Selbst ein Betriebswirt mit mehrjähriger Erfahrung in seinem Job könnte damit vollauf zufrieden sein!“

„Ich kann mich dazu nicht äußern, Frau Jürgens!“

Diesmal blieb er eisern. Er wandte sich herum und verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen, den Raum. Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Tür ins Schloss.

Ein eigenartiger Ort ist dies!, ging es Sandra durch den Kopf. Alles wirkte hier so alt und dem Verfall preisgegeben. Ein feuchter Modergeruch schien dem gesamten Anwesen anzuhaften – ebenso wie jene düstere Stimmung, von der hier alle befallen zu sein schienen. Sandra inzwischen eingeschlossen.

Das macht das schlechte Wetter!, versuchte die junge Frau sich einzureden. Kein Wunder, wenn man bei diesem Wetter trübe Gedanken bekommt!

Aber in ihrem tiefsten Inneren begann sie zu ahnen, dass es nicht so war.

Sie dachte an das, was sie heute schon alles erlebt hatte.

Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge. Der alte Mann namens Karl mit seinen düsteren Andeutungen und den flackernden, wässrig blaue Augen. Immer wieder musste Sandra an dieses Augenpaar denken.

Was hatte aus ihm gesprochen?, ging es ihr durch Kopf.

Furcht? Nein, mehr als das.

Stummes Entsetzen.

Sandra dachte an den düsteren Reiter mit dem Dreispitz, der ihr einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte. Selbst jetzt lief es ihr noch kalt über den Rücken, wenn sie ihn lediglich in ihrer Vorstellung sah.

Mach dir nicht so viele Gedanken, Sandra!, versuchte sie sich zu sagen. Du bist hundemüde und abgespannt – und vielleicht verstehst du die Hinterwäldler dieser Insel einfach noch nicht gut genug. Ein paar Exzentriker gibt es schließlich überall. Auch auf Rügen.

Sandra gähnte.

Sie schlug die Bettdecke zur Seite – und schrie aus Leibeskräften!

6

Es dauerte nur wenige Augenblicke, da waren sowohl der Hausangestellte als auch Graf Winfried ins Zimmer gestürzt.

„Was ist geschehen?“, fragte Graf Winfried mit besorgter Miene.

Sandra starrte entgeistert auf das aufgeschlagene Bett.

Ihre Augen waren schreckgeweitet. Ein dicker Kloß steckte ihr im Hals. Einige Augenblicke lang war sie unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen.

Dann atmete sie tief durch.

„Es tut mir leid“, sagte sie dann. „Ich hätte nicht gleich so hysterisch losschreien dürfen, aber als ich die Decke zur Seite schlug.“

Graf Winfried sah auf das Bett.

Eine Handvoll Knochen waren dort zu sehen, die zu einem Pentagramm zusammengelegt worden waren.

„Das sind Hasenknochen“, stellte Graf Winfried sachlich fest. Er wandte sich an Sandra. „ Ich bin es, der sich entschuldigen muss, Frau Jürgens. Es war keineswegs die Absicht, Sie zu erschrecken.“

„Aber – was soll das?“

„Ich kann nur raten“, erklärte Graf Winfried. „Wissen Sie, unser Zimmermädchen Gabriele ist sehr abergläubisch. Ich nehme an, sie hat es nur gut gemeint – auf ihre Weise.“

„Gut gemeint?“, echote Sandra verständnislos. „Es ist ekelhaft!“

„Selbstverständlich. Walter, sorgen Sie dafür, dass das Zeug wegkommt und bringen Sie ein frisches Laken.“

„Sehr wohl“, erwiderte der Hausangestellte auf seine gewohnt ausdruckslose Weise.

Graf Winfried trat auf Sandra zu. Deren Erschrecken war inzwischen einer guten Portion Ärger gewichen. „Ich werde Gabriele zur Rede stellen, das verspreche ich Ihnen.“

„Was ist das für ein Aberglaube, dem diese Gabriele anhängt?“, fragte Sandra.

„Ich nehme an, sie wollte Sie vor dem Einfluss böser Mächte schützen“, erläuterte Graf Winfried. Sein Lächeln wirkte gekünstelt. „Wissen Sie, ein Fluch soll angeblich über diesem Haus und seinen Bewohnern liegen.“ Seine Stimme wurde etwas leiser, klang jetzt fast brüchig. „Und vielleicht hat sie sogar recht“, setzte er dann düster hinzu. Sein Blick wirkte jetzt nach innen gekehrt. Die Augenbrauen zogen sich sorgenvoll zusammen.

7

Sandra fand trotz ihrer Müdigkeit keinen erholsamen, tiefen Schlaf. Immer wieder wälzte sie sich hin und her, erwachte schweißgebadet aus wirren Träumen und saß dann kerzengerade im Bett.

Der Puls schlug ihr dann bis zum Hals, sie zitterte vor Angst und erinnerte sich jedes Mal dunkel an einen grausigen Reigen phantastischer Fabelwesen, die ihr im Traum erschienen waren. Formlose Ungeheuer, aus denen plötzlich Arme herauswuchsen, weit aufgerissene Mäuler mit scharfen Zähnen, glutäugige Wesen, die aus nichts als reiner Finsternis zu bestehen schienen.

Aber nur an eine dieser Gestalten konnte Sandra sich hinterher noch in allen Einzelheiten erinnern.

An den düsteren Reiter mit dem Dreispitz – jenen Reiter, der ihr auf dem Weg nach Burg Delius begegnet war.

Immer wieder versuchte sie endlich Schlaf zu finden.

Aber ihre Bemühungen waren vergeblich.

Es war bereits weit nach Mitternacht, als das Klappern eines Fensterladens sie hochfahren ließ. Ein Schwall unklarer Traumerinnerungen wogte in ihrem Kopf, als sie die Bettdecke zur Seite schlug und langsam begriff, dass sie jetzt wach war.

Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, strich sich das schulterlange, brünette Haar in den Nacken. Barfuß und in ihrem weißen Nachthemd ging sie zum Fenster.

Einen Moment lang sah sie vor ihrem inneren Auge wieder jenes Gesicht auftauchen, das sie auch in ihren chaotischen Träumen gesehen hatte.

Das bleiche Gesicht des düsteren Reiters!

Der Blick seiner toten Augen ließ sie erschauern.

Sie versuchte den Gedanken an dieses Gesicht abzuschütteln, dessen Anblick sie buchstäblich verfolgte.

Es war wohl alles ein bisschen viel für dich in der letzten Zeit!, ging es ihr durch den Kopf. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste sie. Sie glaubte für einen Moment, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Dann erreichte sie das Fenster.

Sie stützte sich mit der Linken gegen den Rahmen. Draußen regnete es längst nicht mehr. Die Wolkendecke war sogar an einigen Stellen aufgerissen. Hier und da waren Sterne zu sehen. Nebel krochen in dicken Schwaden aus den Niederungen empor. Sie ähnelten in erschreckender Weise den formlosen Geschöpfen, die Sandras Traumwelt bevölkert hatten.

Ein hartes Klappern riss sie endgültig ins Hier und Jetzt, wie sie glaubte. Der Wind schlug den Fensterladen gegen die Wand. Offenbar hatte sich die Halterung gelöst. Sandra öffnete das Fenster. Ein kühler Luftzug wehte herein. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren bloßen Unterarmen.

Sie beugte sich hinaus.

Das Geräusch eines galoppierenden Pferdes ließ Sandra mitten in der Bewegung innehalten.

Noch bevor die düstere Reitergestalt sich durch die Nebelschwaden hindurch abzeichnete, hatte sie geahnt, dass ER es war. Das Mondlicht tauchte den Reiter mit dem Dreispitz in ein fahles Licht und ließ ihn unwirklich und gespenstisch erscheinen.

Vor dem Haupthaus von Burg Delius zügelte er sein Pferd.

Einen kurzen Moment blickte er hinauf zu Sandras Zimmer.

Dieses bleiche Totengesicht!, durchzuckte es die junge Frau.

Namenloses Entsetzen erfasste sie. Ihr Blick begegnete den toten, starren Augen des Reiters.

Er muss eine sehr gute Maske haben!, dachte sie schaudernd. Aber das Unbehagen, das sie empfand, ließ sich damit nicht verscheuchen.

Der Reiter stieg ab, ließ sein Pferd stehen.

Das Tier stand da wie ein Standbild, so starr und tot.

Der bleiche Reiter ging gemessenen Schrittes die fünf Stufen des Portals empor.

Dann klopfte er gegen die Tür.

„Graf Winfried!“, rief er. „Öffnet die Tür! Ihr wisst, dass Ihr Euch vor mir nicht verstecken könnt!“

Ein schauderhaftes Lachen folgte, das schließlich in einem röchelnden Laut ausklang.

Und dann sah Sandra etwas, das ihr schier die Sprache verschlug.

Der Mann mit dem Dreispitz schien transparent zu werden.

Deutlich war der Handlauf der Steintreppe durch ihn hindurch zu sehen. Er trat vor und ging dann einfach durch die Tür, so als wäre sie überhaupt nicht vorhanden.

Im nächsten Augenblick war der Düstere verschwunden.

Nur sein Pferd stand noch da, regungslos wie eine Statue.

Sandra zitterte vor Furcht.

Was geschieht hier?, durchzuckte es sie voller Verzweiflung.

Da war einerseits diese Erscheinung – ein besseres Wort hatte sie dafür im Moment nicht. Eine Erscheinung, die nicht zu erklären war, jedenfalls nicht mit dem, was die Vernunft akzeptierte.

Und andererseits die Furcht davor, vielleicht wahnsinnig zu sein.

Das, was du gesehen hast, KANN es nicht geben!, hämmerte sie sich ein. Es ist unmöglich. Eine Illusion oder.

Der Beginn einer Geisteskrankheit.

Die Antwort, die sie sich selbst gegeben hatte, ließ sie schlucken. Sie war zu plausibel, um sie einfach abtun zu können. Schließlich wäre sie keinesfalls die erste gewesen, bei der sich der drohende Wahnsinn durch eigenartige Erscheinungen angekündigt hatte.

Mein Gott, was soll ich tun?

Für einen Moment erinnerte sie sich an die Worte des alten Karl. Vielleicht war dies tatsächlich ein verfluchter Ort.

Jedenfalls konnte Sandra sich nicht erinnern, jemals zuvor unter Wahnvorstellungen oder etwas ähnlichem gelitten zu haben.

Die junge Frau hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn in diesem Moment gellte ein schauerlicher Schrei durch die düsteren Mauern von Burg Delius! Ein Schrei, so heiser und verzweifelt, dass man glauben konnte, er dringe direkt aus der Hölle ins Reich der Lebenden.

8

Einige Augenblicke lang war Sandra wie gelähmt gewesen. Dann schloss sie das Fenster, verließ das Zimmer und ging hinaus auf den Flur. Lautlos glitten ihre bloßen Füße über den kalten Steinboden.

Schließlich erreichte sie die Eingangshalle.

Als sie oben vom Treppenabsatz aus hinunterblickte, sah sie Graf Winfried am Boden liegen.

Der Hausangestellte beugte sich über ihn.

„Was ist passiert?“, fragte Sandra, während sie die Treppe hinunterging.

Walter drehte sich ruckartig herum.

Sein sonst regungsloses Gesicht drückte Erstaunen aus.

„Sie, Frau Jürgens?“

„Ich habe den Schrei gehört.“

„Graf Winfried hat einen Herzanfall erlitten. Den Arzt habe ich bereits angerufen. Dr. Herrmann ist auf dem Weg hierher.“

Sandra näherte sich dem am Boden liegenden Graf Delius.

Er atmete schwer. Walter hatte ihm den Hemdkragen und die Knöpfe seiner Anzugweste geöffnet. Offenbar war Graf Winfried trotz der späten Stunde noch gar nicht im Bett gewesen.

Graf Winfried stöhnte etwas auf.

Walter versuchte, ihm aufzuhelfen.

Sandra blickte sich um.

„Wo ist der Mann mit dem Dreispitz?“

Sowohl Walter als auch Graf Winfried bedachten Sandra mit einem Blick, den die junge Frau nicht zu deuten wusste.

„Hier ist niemand“, behauptete Walter.

„Ich habe ihn gesehen!“, erwiderte Sandra. „Durch das Fenster meines Zimmers.“

Das Wiehern eines Pferdes schrillte durch die gespenstische Stille.

Dann war das Getrappel galoppierender Hufe zu hören.

Sandra schnellte zur Tür.

Ich muss es wissen!, durchzuckte es sie. Ich muss wissen, ob ich verrückt bin oder meinen Sinnen noch trauen kann!

Sie hatte die Tür noch nicht erreicht, da blieb sie plötzlich stehen. Sie erstarrte, blickte mit weit aufgerissenen Augen auf etwas Dunkles, das auf dem Fußboden lag. Es befand sich im Schatten, deshalb hatte sie es zunächst nicht bemerkt.

Ein Pentagramm!

Es war – genau wie jenes, das sie in ihrem Bett gefunden hatte – aus Knochen gelegt worden.

Sandra hörte, wie das Geräusch des galoppierenden Pferdes schwächer wurde. Sie schnellte vor, schob den schweren Riegel zurück und öffnete die Tür. Kühl und feucht war es draußen.

Der Wind, der ihr dünnes Nachthemd wie nichts durchdrang, war eisig.

Barfuß ging sie über den kalten Stein, bis zur ersten Stufe des Portals.

Eine geradezu geisterhafte Szenerie bot sich ihr da. Die wallenden Nebel wirkten wie eine formlose Masse, aus der sich immer neue Fabelgestalten zu bilden schien. Gestalten, die dem Reich ihrer Alpträume entstiegen zu sein schienen.

Angestrengt starrte sie in die Dunkelheit.

Das Geräusch der Pferdehufen verlor sich.

Einen Augenblick lang glaubte sie noch, einen schwarzen Umriss durch die hellgrauen Nebelschwaden hindurch schimmern zu sehen. Aber sie war sich nicht vollends sicher, ob sie sich das nicht einbildete.

So sehr sie sich auch anstrengte, es war niemand zu sehen.

„Frau Jürgens!“, rief Walter ihr nach.

Sie achtete nicht auf den kahlköpfigen Hausangestellten. Stattdessen ging sie weiter, die eiskalte Treppe hinab. Die Kälte stieg ihr die Beine empor und erfasste schon nach wenigen Augenblicken jede Faser ihres Körpers. Sie presste die Lippen aufeinander.

Dann blickte sie auf den Boden.

Durch die offenstehende Tür fiel genügend Licht nach draußen, um die Hufspuren im aufgeweichten Boden zu sehen.

Sandra ging geradewegs darauf zu, beugte sich dann nieder und fühlte mit der Hand nach den Vertiefungen.

Ich bin nicht verrückt!, dachte sie. An dem, was ihre Hände fühlten, konnte es keinen Zweifel geben! Sie hatte einen Reiter gesehen und dies waren ohne jeden Zweifel Pferdespuren!

„Frau Jürgens!“, rief Walter. Sie hörte seine Schritte die Steinstufen hinuntereilen.

Der Hausangestellte fasste sie am Arm und zog sie empor. „Kommen Sie herein!“

„Was fällt Ihnen ein?“

„Hören Sie.“ Er atmete tief durch und stockte. Zum ersten Mal sah Sandra so etwas wie eine Regung im Gesicht des Hausangestellten.

Er hat Angst!, dachte sie.

Seine Augen wichen ihrem Blick aus. Walter sah hinaus in die Nacht, so als würde er etwas suchen.

Etwas oder jemanden.

Dann blickte er Sandra ernst an. „Sie werden sich den Tod holen, Frau Jürgens!“

9

Walter hatte Graf Winfried in den Salon gebracht. Er lag dort auf einem Diwan, den ein Vorfahre des Grafen von Delius aus Indien mitgebracht hatte. Sandra zog sich schnell etwas an.

Ein Paar Jeans und einen Pullover. An Schlaf war jetzt ohnehin nicht mehr zu denken.

Sandra war gerade fertig, als sie hörte, wie ein Wagen vorfuhr.

Sie blickte aus dem Fenster. Es war ein Geländewagen. Der hochgewachsene, dunkelhaarige Mann, der aus dem Fahrzeug gestiegen war, hatte eine Arzttasche in der Hand. Sandra schätzte ihn auf höchstens dreißig Jahre alt.

Die Haustür öffnete sich. Der Hausangestellte trat hinaus und wechselte ein paar Worte mit ihm.

Sandra ging hinunter in den Empfangsraum.

Das erste, was ihr auffiel war, dass das aus Hasenknochen gebildete Pentagramm verschwunden war. Jemand hatte die Knochen weggeräumt – aus welchem Grund auch immer.

Ein Flur führte zum Salon. Walter wartete dort.

„Was ist mit Graf Winfried?“, fragte Sandra den Hausangestellten.

„Doktor Herrmann untersucht ihn gerade“, berichtete Walter.

Sandra sah den Hausangestellten einige Augenblicke lang prüfend an.

„Haben Sie den Mann mit dem Dreispitz wirklich nicht gesehen?“

„Frau Jürgens, mir ist im Moment nicht nach Scherzen zumute.“

„In der Nähe der Tür lagen Knochen auf dem Boden. Es war genauso wie am Abend, als ich meine Bettdecke aufschlug. Die Knochen bildeten ein Pentagramm.“

„Frau Jürgens, meine Gedanken sind im Moment bei meiner Herrschaft. Nirgendwo sonst. Ich bete dafür, dass Graf Winfried überlebt. Es liegt mir fern, Sie maßregeln zu wollen, aber ich muss schon sagen, dass mich Ihre Fragen sehr befremden!“

Seine Stimme klirrte wie Eis.

Sandra wusste instinktiv, dass sie gegen eine Mauer anzurennen versuchte. Natürlich vergeblich. Aber sie spürte auch sehr deutlich, dass es irgendein düsteres Geheimnis in den uralten Mauern von Burg Delius gab. Ein Geheimnis, über das sie vielleicht besser Bescheid wusste, wollte sie nicht selbst in Gefahr geraten. Ein Kribbeln machte sich in ihrer Bauchgegend bemerkbar. Es war ein unangenehmes Gefühl der Anspannung.

An was für einen Ort bin ich hier nur geraten?, ging es ihr durch den Kopf.

Schließlich öffnete sich die Tür zum Salon.

Der junge Arzt trat heraus. Das weiche Licht, das im Flur herrschte, unterstrich die Ebenmäßigkeit seiner Züge. Seine Augen waren grün. Ihre Farbe erinnerte Sandra unwillkürlich an das Rauschen des Meeres und den Geruch von Seetang.

„Graf Winfried hat Glück gehabt“, sagte Dr. Herrmann. „Ich habe ihm ein Medikament verabreicht. Morgen früh sehe ich nochmal nach ihm. Auf jeden Fall ist es kein Infarkt.“

„Das beruhigt mich sehr“, erklärte Walter.

Dr. Herrmann sah zu Sandra hinüber.

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und schienen Augenblicke lang zu verschmelzen.

Herrmann trat dann auf Sandra zu und reichte ihr die Hand.

„Mein Name ist Jonas Herrmann. Ich habe hier in der Gegend meine Praxis“, erklärte er.

Er lächelte.

Und der Blick, mit dem er Sandra bedachte, ging ihr durch und durch, ebenso, wie der sonore Klang seiner tiefen Stimme.

„Ich bin Sandra Jürgens, die neue Verwalterin von Burg Delius!“

„Das freut mich zu hören“, lächelte Herrmann. „Ich nehme an, dass wir uns dann in Zukunft des öfteren über den Weg laufen. Ich bin nämlich Graf Winfrieds Hausarzt – und leider benötigt er meine Hilfe recht oft.“

Dr. Herrmann hielt Sandras Hand eine Augenblick länger, als es notwendig gewesen wäre. Die junge Frau fühlte, wie ihr ein wohliger Schauer den Arm hinauflief.

„Was ist mit Graf Winfried geschehen?“, fragte Sandra dann.

Jonas Herrmann hob die Augenbrauen.

„Ich nehme an, dass ihn irgendetwas erschreckt hat, Frau Jürgens.“

„Der Reiter!“, stellte Sandra fest.

Und Walter erklärte sofort: „Frau Jürgens glaubt felsenfest, einen Reiter gesehen zu haben, aber ich denke, da haben ihr ihre überreizten Sinne einen Streich gespielt. Sie ist erst heute – unter gewissen Schwierigkeiten! – hier eingetroffen und …“

„Ich weiß, was ich gesehen habe!“, wehrte sich Sandra. „Und vor dem Haus sind Hufspuren zu sehen!“

„Nun“, sagte Herrmann etwas ausweichend. „Es wird Graf Winfried sehr bald besser gehen. Vielleicht fragen Sie ihn einfach selbst, was ihn so erschreckt hat!“

„Es war ein Reiter hier! Er stieg von seinem Pferd und ging zur Tür. Dann klopfte er heftig.“ Sandra brach ab. Alles, was sie nun noch hätte sagen können, wäre ihr selbst absurd vorgekommen, wenn es jemand anderer geäußert hätte. Der Mann mit dem Dreispitz hatte die Tür durchdrungen, war auf geheimnisvolle Weise transparent geworden.

Wie ein Geist!, ging es Sandra durch den Kopf.

„Sie wollten noch etwas sagen, Frau Jürgens?“, fragte Herrmann.

Sandra schüttelte den Kopf. „Schon gut“, murmelte sie.

Herrmann sah auf die Uhr. „Wir werden uns in Kürze ohnehin alle wiedersehen, wie ich annehme. Dann unterhalte ich mich gerne ausführlicher mit Ihnen, Frau Jürgens – falls es Ihre Zeit zulässt. Schließlich werden Sie sich ja auch in Ihre neue Stellung einarbeiten müssen.“

Der Hausangestellte brachte Herrmann zur Tür.

Sandra folgte ihnen. Gemeinsam gingen sie die steinernen Stufen hinab, die vom Portal hinunterführten.

Sandra blieb plötzlich wie erstarrt stehen.

Ihr Blick war suchend auf den Boden gerichtet.

Die tiefen Hufspuren, in die sie vor Kurzem noch ihre Finger gelegt hatte, waren verschwunden. So, als hätte es sie nie gegeben.

„Was ist los, Frau Jürgens?“, fragte Herrmann, der die Veränderung bemerkt hatte, die mit Sandra geschehen war.

Er ging zu ihr, sah die Verzweiflung im Gesicht der jungen Frau, verstand sie aber nicht.

„Nichts“, murmelte Sandra. „Es ist nichts.“

Sie zwang sich zu einem matten Lächeln.

Jonas Herrmann erwiderte es.

Einen Moment lang versank ihr Blick in seinen sympathischen grünen Augen. Sie atmete tief durch.

„Bis morgen“, sagte Herrmann mit einem dunklen Timbre, das auf sie eine geradezu elektrisierende Wirkung hatte.

„Bis morgen“, flüsterte sie.

10

Sonnenstrahlen und das Motorengeräusch von Jonas Herrmanns Geländewagen weckten Sandra am nächsten Morgen. Ihr erster Gedanke war, dass sie zu spät dran war. Aus irgendeinem Grund hatte der Wecker nicht geklingelt, den sie sich gestellt hatte.

Hastig begann sie sich anzuziehen. Einen Moment lang verweilte sie dann am Fenster und blickte hinaus.

Die grauen Nebelschwaden, die in der Nacht aus den Niederungen und dem nahen See emporgestiegen waren, hatten sich verflüchtigt.

Ein freundlicher Herbsttag hatte begonnen.

Aber trotz des Sonnenscheins lag eine eigenartige Düsternis über der Umgebung von Burg Delius. Die Bäume waren verwachsen und wirkten wie bizarre Skulpturen. Das Grün der ausgedehnten Rasenflächen wirkte matt, das Wasser des kleinen Sees grau und modrig.

Jenseits des Sees lag ein Hügel, auf dem sich eine Baumgruppe befand. Selbst auf die Entfernung hin war zu erkennen, das in einige der dicken, verwachsenen Stämme der Blitz hineingefahren sein musste. Sandras Augen wurden schmal. Eine graues Gemäuer glaubte sie auf der Anhöhe zu erkennen.

Sandra ging wenig später in den Salon.

Der Hausangestellte hatte dort bereits für das Frühstück gedeckt.

„Guten Morgen, Frau Jürgens“, sagte er. „Bitte setzen Sie sich. Nehmen Sie Zucker in den Tee?“

„Nein, danke. Wie geht es Graf Winfried?“

„Er braucht noch etwas Ruhe, aber ich denke, dass er Sie im Laufe des Tages in Ihre Aufgabe einweisen wird, Frau Jürgens.“

„Das freut mich zu hören.“

„Darf ich den Tee jetzt einschenken?“

„Gerne.“

Sandras Blick wurde durch die Reihe von großformatigen Porträtbildern gefangengenommen, die die hohen Wände des Salons zierten. Sie näherte sich den Porträts. Eine lange Reihe von Männern und Frauen, deren Ähnlichkeit mit Graf Winfried von Delius nicht zu leugnen war. Eine Art Ahnengalerie seiner Vorfahren.

Das Bild eines bleichen, hageren Mannes ließ Sandra vor Schreck erstarren.

Nein, dachte sie. Das kann nicht wahr sein!

Sie musste unwillkürlich schlucken.

Der Mann auf dem Bild war in einen geckenhaften, bunten Anzug aus der Zeit des Rokoko gekleidet. Den Dreispitz hielt er mit eleganter Lässigkeit in der Linken, während die Rechte auf einen Stock mit goldenen Verzierungen gestützt war.

Das Gesicht war es, das Sandra so fesselte.

Bleich gepuderte Züge, fast so blass wie das Gesicht eines Toten. Die Haut wirkte wie Pergament. Die blutleeren Lippen waren ein dünner Strich.

„Frau Jürgens“, sagte Walter.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte sie.

„Das ist das Portrait von Graf Michael von Delius. Er lebte vor über zweihundertfünfzig Jahren.“

Das ist er!, durchzuckte es sie. Jener Reiter, der ihr gestern zweimal begegnet war. Sie war sich absolut sicher.

Die Gesichtszüge waren die gleichen.

Das ist unmöglich!, meldete sich eine mahnende Stimme in ihr. Du bewegst dich auf einem schmalen Grat, Sandra. Du stehst direkt vor einem dunklen Abgrund.

Ein Schauder erfasste sie.

Was geschieht mit mir?, ging es ihr durch den Kopf. Warum sehe ich Dinge, die es nicht geben kann?

Sandra drehte sich herum und setzte sich an den Frühstückstisch. Walter rückte ihr dabei den Stuhl zurecht.

Jonas Herrmann betrat jetzt den Raum.

„Möchten Sie auch ein Gedeck, Herr Herrmann?“, erkundigte sich Walter.

„Nein danke“, erwiderte der Arzt. „Aber zu einer Tasse Tee sage ich nicht Nein.“

„Sehr wohl.“

Herrmann näherte sich dem Tisch, an dem Sandra saß.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Natürlich.“

Er setzte sich in einen der zierlichen Polsterstühle, bei denen es sich zweifellos um Antiquitäten handelte. Wenig später kam Walter mit einer Tasse Tee. Anschließend zog er sich diskret zurück.

„Was veranlasst eine junge, lebenslustige Frau dazu, in diese Einöde zu ziehen?“, fragte Herrmann.

„Der Job“, erwiderte Sandra. „Wenn man frisch von der Uni kommt, wird einem in der Regel nicht gleich angeboten, ein Landgut selbstverantwortlich zu verwalten. Eine solche Chance darf man sich nicht entgehen lassen.“

„Das ist ein Argument. Naja, vielleicht bringen Sie ja etwas Leben in dieses graue Gemäuer.“

„Und Sie, Herr Dr. Herrmann?“

„Nennen Sie mich Jonas.“

Sie lächelte. „Wenn Sie mich Sandra nennen.“

„Ich bestehe darauf!“

Ihrer beider Blicke trafen sich und Sandra genoss diesen Augenblick. Vorsicht, dachte sie. Du verlierst gerade deinen Kopf. Der junge Arzt gefiel ihr. Seine Ausstrahlung war sympathisch, und der Klang seiner Stimme schien eine fast magische Wirkung auf sie zu haben. Sandra war etwas verwirrt. In ihrem Inneren herrschte ein ziemlich großes Durcheinander unterschiedlicher Empfindungen. Aber eins stand für sie schon jetzt fest: In Jonas Herrmanns Gegenwart fühlte sie sich sehr wohl.

„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet“, stellte sie fest. „Ich nehme an, Landarzt auf einer Insel zu sein, die Sie selbst als Einöde bezeichnet haben, ist nicht gerade das, wovon man träumt, wenn man beginnt, Medizin zu studieren!“

Jonas lächelte.

„Das mag sein. Ich habe zunächst in einer Hamburger Klinik gearbeitet. Dann starb mein Vater, und ich kehrte hierher zurück – dorthin, wo ich aufgewachsen bin. Ich übernahm die Praxis meines Vaters in Kluis. Im Grunde ging es mir wie Ihnen, Sandra.“

„Inwiefern?“

„Es war eine Chance für mich, die ein Arzt in meinem Alter normalerweise nicht so schnell bekommt. Eine eigene Praxis.“

„Ich verstehe.“

„Natürlich übernahm ich auch die Patienten meines Vaters.“

„Wie Graf Winfried!“

„Sie sagen es.“

Das Gespräch plätscherte so dahin. Aber Sandra genoss Jonas‘ Anwesenheit und den Klang seiner Stimme. Der Blick seiner meergrünen Augen faszinierte sie. Sie fühlte sich in diesem Moment rundum wohl. Vielleicht zum ersten Mal, seit sie Burg Delius betreten hatte. Für einige Augenblicke konnte sie die düstere Aura vergessen, die über diesem Ort zu hängen schien.

Schließlich sah Jonas Herrmann auf die Uhr und erhob sich.

„Es tut mir leid, Sandra. Aber ich muss jetzt los. Die Patienten warten.“

„Natürlich.“

„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

„Gerne, Jonas!“

Er nahm ihre Hand. Und wieder hielt er sie einen Augenblick länger, als notwendig.

11

Der Vormittag verlief mehr oder weniger ereignislos. Graf Winfried war noch nicht so weit, dass er sich um seine neue Verwalterin kümmern konnte, und so erkundete Sandra auf eigene Faust das Anwesen.

Immer wieder blickte sie dabei zu jenem Gemäuer, das sich auf der Anhöhe jenseits des Sees befand. Sie fragte Walter, worum es sich dabei handelte.

„Dort ist die Familiengruft derer von Delius“, erläuterte der Hausangestellte mit ausdruckslosem Gesicht. „Seit Jahrhunderten werden dort die Gebeine der Herren von Burg Delius zu Grabe getragen. Nur in der DDR-Zeit war das nicht der Fall. Aber nachdem die Familie derer von Delius ihren Besitz seinerzeit zurück erwarb…“ Nach einer kurzen Pause fügte er dann noch hinzu: „Ich hoffe, Sie sind ein wenig beeindruckt, Frau Jürgens! So weit Sie jetzt schauen können, gehören die Ländereien zum Besitz von Graf Winfried. Aber Sie werden sich über all das sicherlich noch einen Überblick verschaffen.“

„Hat Graf Winfried Kinder?“, fragte Sandra.

„Nein, Frau Jürgens. Er ist tatsächlich der Letzte derer von Delius‘.“

Am Nachmittag empfing Graf Winfried Sandra dann in der Bibliothek. Er war gerade in die Lektüre eines dicken Folianten vertieft. Vorsichtig blätterte er die brüchig gewordenen Seiten um.

Als Sandra eintrat, blickte er auf.

„Es tut mir leid, dass ich mich nicht eher um Sie kümmern konnte, Frau Jürgens. Aber manchmal treten Dinge ein, die niemand von uns vorherzusagen vermag.“ Sein Blick bekam etwas in sich gekehrtes. Er wirkte fast verstört.

Was ist es, das ihn dermaßen erschreckte?, ging es Sandra durch den Kopf.

Sandras Blick blieb an dem aufgeschlagenen Lederfolianten hängen, den Graf Winfried auf den Knien liegen hatte. Sandra fielen einige eigenartige Zeichen auf. Pentagramme, Sechsecke, Tierköpfe.

Graf Winfried klappte das Buch zu. Er erhob sich und stellte es an seinen Platz im Regal. Auf dem Buchrücken las Sandra den Titel. MAGISCHE RITUALE stand dort in goldgedeckten Lettern zu lesen. Sandras Blick glitt die Reihe der in Leder eingefassten Buchrücken entlang. Sie versuchte die Titel zu lesen. Gestern, als sie zum ersten Mal diesen Raum betreten hatte, hatte sie nicht darauf geachtet. Doch nun wuchs ihr Interesse von Augenblick zu Augenblick.

Zahllose Bände über Okkultismus und übersinnliche Phänomene befanden sich in den Regalen. Dazu Bücher über die Praxis der schwarzen Magie, Geisterbeschwörung und Totenerweckung.

„Sie interessieren sich für Okkultismus?“, fragte Sandra.

Sie dachte an die Knochenpentagramme.

„Wenn man das Interesse für das Ungewöhnliche so nennen will – ja!“ Ein Lächeln spielte plötzlich um Graf Winfrieds dünne Lippen. „Und Sie?“, fragte er dann. „Wie stehen Sie zu jenen Dingen, für die unsere Wissenschaft noch keine Erklärung hat, weil sie sich im Grunde seit Jahrhunderten in eingefahrenen Bahnen bewegt und eine ganze Ebene der Existenz einfach ignoriert?“

Sandra wich aus. „Sie wissen, dass ich Betriebswirtschaft studiert habe“, sagte sie.

„Gewiss.“

„Und Betriebswirten sagt man doch nach, dass sie überaus nüchtern sind.“

„Wie schade, Frau Jürgens. Wie schade. Allerdings glaube ich Ihnen nicht so recht.“

„Ach nein?“

„Vielleicht kenne ich Sie besser als Sie sich selbst, Frau Jürgens.“

„Wohl kaum.“

„Wir wollen uns nicht streiten. Dafür bin ich noch nicht kräftig genug. Außerdem liegt mir nichts daran, Sie in irgendeiner Weise zu verärgern.“ Ein leicht spöttischer Zug erschien nun auf seinem Gesicht. „Schließlich müsste ich mir dann wieder einen neuen Verwalter suchen.“

Sandra nutzte die Gelegenheit, um auf ihren Vorgänger zu sprechen zu kommen, über dessen Schicksal sie nach wie vor nichts weiter wusste als düstere Andeutungen und Gerüchte.

Aber nichts Konkretes.

„Ich habe gehört, Herr Gehrlich ist sehr plötzlich verstorben.“

Graf Winfrieds Gesicht veränderte sich. „Ja, das ist wahr“, gab er zu.

„War er krank?“

„Mancher trägt den Keim seines Untergangs bereits in sich, ohne es zu ahnen.“

Graf Winfried blickte ins Nichts, während diese düsteren Worte mit heiserer Stimme über seine Lippen kamen. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Er wandte den Kopf. „Herr Gehrlich starb an Herzversagen“, murmelte er dann. „Aber sprechen wir nicht mehr über diese Dinge.“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Wenden wir uns der Gegenwart zu. Ich zeige Ihnen Gehrlichs Arbeitszimmer, in dem von nun an Sie residieren werden. Dann mache ich Sie mit den Mitarbeitern bekannt.“

Graf Winfried erhob sich.

Sie folgte Graf Winfried, der sie einen langen Flur entlangführte, der in den Westflügel des Haupthauses von Burg Delius führte.

Das Büro, das er ihr dann zeigte, wirkte sehr repräsentativ. Der Schreibtisch war kunstvoll verziert und ohne Zweifel ein Vermögen wert.

„Dies war Gehrlichs Büro“, erläuterte Graf Winfried. „Er war ein sehr akribischer Mann. Sie werden sicher keinerlei Schwierigkeiten haben, sich in den Unterlagen zurechtzufinden.“

„Das denke ich auch. – Graf Winfried, darf ich Sie etwas fragen?“ Sandra sah den Letzten der Delius‘ sehr ernst an. Graf Winfried erwiderte ihren Blick. Seine Augenbrauen zogen sich zwischen den Augen zusammen, so dass sein Gesicht etwas Falkenhaftes bekam.

„Fragen Sie!“, forderte er dann.

„Was war es, das Sie gestern Nacht gesehen haben?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, stellte Graf Winfried fest. Das Vibrieren seiner Stimme verriet die Unsicherheit.

Er wandte den Blick.

„Was hat Sie so erschreckt, dass Sie …“

„Fragen Sie mich das nie wieder, Frau Jürgens“, erwiderte Graf Winfried schroff. „Tun Sie einfach nur Ihre Arbeit und kümmern Sie sich um sonst nichts. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Sandra nickte.

„Ja“, murmelte sie. „Das war deutlich.“

12

Für den Rest des Tages bekam Sandra Graf Winfried nicht mehr zu Gesicht. Sein Versprechen, sie den Mitarbeitern vorzustellen, hielt er nicht ein. Stattdessen war Sandra gezwungen, auf eigene Faust die verschiedenen Betriebe zu besuchen, die zum Landgut derer von Delius gehörten. Da war insbesondere eine Brauerei, aus der der Großteil der Einnahmen stammte.

Nach und nach lernte Sandra auch, sich besser in der Gegend zurechtzufinden. Bei Tag war das auch um einiges leichter als bei Dunkelheit.

Es war bereits früher Abend, als Sandra nach Burg Delius zurückkehrte. Die Dämmerung hatte sich bereits wie ein graues Leichentuch über die Umgebung gelegt. Die ersten Nebelschwaden krochen vom See empor.

Angst stieg in Sandra auf. Immer wieder blickte sie sich angestrengt um. Aber von dem geheimnisvollen bleichen Reiter war an diesem Abend nichts zu sehen.

Sandra stellte ihren Wagen in der Nähe des Portals ab und stieg aus.

Vor einem der erleuchteten Fenster im Obergeschoss sah sie die Silhouette von Graf Winfrieds hochgewachsener Gestalt. Er hatte die Arme gehoben. Seine heisere Stimme murmelte eigenartige Worte. Er sprach so laut, dass Bruchstücke davon auch draußen noch zu hören waren.

Ein seltsamer Mann!, ging es Sandra durch den Kopf. Sie hatte während des Studiums mit Freunden an einer Séance teilgenommen. Aber das war mehr oder weniger ein Partygag gewesen. Keiner der Teilnehmer hatte das ernst genommen oder wirklich an die Anwesenheit übernatürlicher Mächte geglaubt.

Aber bei Graf Winfried war das etwas anderes.

Für ihn schien die Beschäftigung mit dem Okkultismus eine Art Besessenheit zu sein.

Einen Moment noch schaute Sandra der gestikulierenden Schattengestalt zu.

Dann ging sie die Steinstufen des Portals empor.

Eine junge Frau mit kinnlangem Pagenschnitt kam durch die Tür. Sandra hatte sie bis dahin noch nie gesehen. Unter dem dünnen Regenmantel schaute die schwarze Uniform eines Zimmermädchens hervor.

Das muss Gabriele sein!, dachte Sandra. Jene Gabriele, die verdächtigt worden war, das Knochenpentagramm in Sandras Bett gelegt zu haben.

„Guten Abend“, sagte Sandra.

Die junge Frau sagte nichts. Sie starrte Sandra nur an, drückte sich dann an ihr vorbei und lief eilig die Stufen hinunter.

Die eigenartigen Worte, die Graf Winfried ausstieß, vermischten sich mit den Geräuschen des Windes.

Die junge Frau blieb stehen, drehte sich herum und rief dann: „Frau Jürgens …“

„Ja?“

Das Zimmermädchen atmete heftig.

„Dies ist ein Ort des Unglücks. Verlassen Sie ihn, solange Sie noch können!“

„Sie sind Gabriele, nicht wahr?“

„Ja.“

Sie zögerte etwas mit der Antwort. Wie angewurzelt stand sie da. Sandra stieg die Stufen zu ihr hinunter.

„Haben Sie das Knochenpentagramm in mein Bett gelegt?“

Sie blickte Sandra mit weit aufgerissenen Augen an, gab aber keine Antwort.

Sandra wertete das als Geständnis. „Erklären Sie mir die Bedeutung.“

Gabriele drehte sich herum, lief mit schnellen Schritten auf eines der Nebengebäude zu, hinter dem sie dann verschwand.

„Gabriele!“, rief Sandra ihr nach. Sie reagierte nicht.

Einen Augenblick später war das Motorengeräusch eines Wagens zu hören.

„Gabriele ist etwas wunderlich“, erklärte der Hausangestellte später gegenüber Sandra, als er ihr das Diner in den Salon servierte. „Sie wohnt in Kluis und gilt als etwas wunderlich. Wahrscheinlich würde ihr sonst niemand eine Stellung geben. Aber Graf Winfried ist ein gutherziger Mann.“

Sandra begann sich zu fragen, ob Graf Winfried das wirklich nur aus Nächstenliebe tat – oder ob er vielleicht schlicht und ergreifend niemanden sonst gefunden hatte, der bereit war, auf Burg Delius zu arbeiten.

13

Es war schon sehr spät, als Dr. Jonas Herrmann noch einmal auf Burg Delius auftauchte, um nach seinem Patienten zu sehen.

Sandra saß in ihrem Zimmer und war in die Bilanzen des letzten Jahres vertieft.

Sandra legte die Bilanzen zur Seite und lief hinunter in den großzügigen Empfangsraum. Jonas konnte sie hier nicht verfehlen. Sie fühlte freudige Erwartung in sich. Ein kribbelndes, aufgekratztes Gefühl, das sie den arbeitsreichen Tag, den sie hinter sich hatte, beinahe völlig vergessen ließ.

Ein Gefühl, das zweifellos durch Jonas verursacht wurde.

Der Besuch des Arztes bei Graf Winfried dauerte nicht lange.

In Begleitung von Walter, dem kahlköpfigen Hausangestellten mit den reglosen Zügen, kam er die Treppe hinunter.

Jonas Herrmann lächelte, als er Sandra sah.

Der Blick seiner meergrünen Augen ließ ihr Herz schneller schlagen.

„Hallo, Jonas“, sagte sie.

Jonas ging auf sie zu, fasste ihre Hand und erwiderte: „Ich fürchtete schon, Ihnen heute Abend gar nicht mehr zu begegnen.“

„Wenn das alles ist, was Sie so an Ängsten plagt, Jonas!“

Sie lachten beide. Sandra fiel auf, dass er noch immer ihre Hand hielt.

Und dann spürte sie, dass irgend etwas nicht stimmte. Eine Sekunde später wusste sie, was es war.

Sein Lachen!, durchzuckte es sie. Es ist nicht so unbeschwert, wie es sein sollte.

Sein Blick musterte sie einen Augenblick.

Dann drehte sich Jonas kurz zu dem wie eine Statue dastehenden Hausangestellten herum und sagte dann: „Dem Patienten geht es den Umständen entsprechend gut, Walter. Ich denke, ich werde morgen nochmal nach ihm schauen.“

„Graf Winfried sagte doch, dass das nicht nötig sei“, erwiderte Walter schroff.

„Ich kann mich nicht entsinnen, dass Graf Winfried ein Medizinstudium absolviert hat!“, erwiderte Jonas augenzwinkernd.

Dann fügte er scherzend hinzu: „Walter, seien Sie nicht so herzlos und nehmen mir meinen einzigen Vorwand, mich mit dieser bezaubernden jungen Dame zu treffen!“

Scherze dieser Art schienen irgendwie nicht auf Walters Wellenlänge zu liegen. Nicht eine einzige Regung zeigte sich in seinem Gesicht.

Sandra sagte: „Ich werde Dr. Herrmann zur Tür begleiten.“

„Wie Sie wünschen, Frau Jürgens“, war die kühle Erwiderung.

14

Gemeinsam stiegen Sandra und Jonas einen Augenblick später die steinernen Stufen des Portals von Burg Delius hinab.

Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Der Mond tauchte alles in ein bleiches Licht.

Ein kalter Wind fegte über das Land und ließ Sandra unwillkürlich frösteln. Suchend glitt ihr aufmerksamer Blick umher.

Nicht den Verstand verlieren!, versuchte sie sich selbst zu sagen. Da ist niemand.

Sie gingen auf den Geländewagen des Arztes zu.

Plötzlich blieb Jonas stehen.

Das Mondlicht spiegelte sich seinen Augen.

Seine Hand strich leicht und mit unglaublicher Zärtlichkeit über ihr Kinn.

„Ich mag Sie, Sandra“, sagte er. „Sie sind eine faszinierende Frau.“

Ein Kloß steckte ihr im Hals. Sie war unfähig, auch nur einen einzigen Laut hervorzubringen.

Jonas fuhr dann in gedämpfter und sehr ernst klingender Tonlage fort: „Ich möchte Ihnen dringend einen Rat geben, was Graf Winfried angeht. Graf Winfried und alles, was mit diesem modrigen Gemäuer in Zusammenhang steht.“

Er hob den Blick empor zu jenen Fenstern im Obergeschoss, hinter denen auch jetzt Graf Winfrieds schattenhafte Gestalt zu sehen war. Jetzt rief er keine eigenartigen Beschwörungsformeln in längst vergessenen Sprachen. Und er hob auch nicht die Arme wie der Schamane eines abergläubischen Steinzeitvolkes. Er stand einfach am Fenster und schien hinaus in die Dunkelheit zu blicken.

Er beobachtet uns!, durchfuhr es Sandra, während sie fühlte, wie die Gänsehaut sich auf ihrem Körper ausbreitete.

„Glauben Sie an Flüche, Jonas?“, fragte Sandra dann.

„Nein. Aber Wahnsinn – das ist eine Realität.“

„Sie meinen …“

„Seien Sie vorsichtig, passen Sie auf sich auf und achten Sie auf jedes Detail, das Ihnen merkwürdig vorkommt.“ Dann sah er sie einen Augenblick an. „Gute Nacht“, fügte er dann hinzu.

„Gute Nacht, Jonas.“

„Wir unterhalten uns ein anderes Mal. Mit weniger Ohren, die uns zuhören.“

„In Ordnung.“

Sandra sah Jonas‘ Geländewagen noch lange nach, bis er schließlich von der Dunkelheit völlig verschluckt wurde.

15

Am nächsten Tag arbeitete Sandra den Vormittag über in ihrem Büro. Am Nachmittag besuchte sie noch einmal die zu Burg Delius gehörende Brauerei.

Als sie am Spätnachmittag auf dem Weg zurück nach Burg Delius war, kam ihr auf der Straße nach Kluis ein Geländewagen entgegen, den sie nur zu gut kannte.

Es war der Wagen von Dr. Jonas Herrmann.

Jonas hielt den Wagen direkt neben ihrem Coupé. Auch Sandra hielt an. Die Seitenscheiben wurden heruntergelassen.

„Es freut mich, Sie zu sehen, Sandra!“, sagte er mit dem umwerfenden Lächeln und dem unvergleichlichen Blick seiner meergrünen Augen.

„Hallo, Jonas!“, erwiderte Sandra.

„Sie haben ein bisschen die Gegend erkundet?“

„Das gehört zu meinen neuen Aufgaben. Ich muss mir schließlich einen Überblick verschaffen.“

„Verstehe. Ich wohne übrigens ganz in der Nähe. Wenn Sie wollen, dann können Sie eine Tasse Tee bei mir bekommen. Wenn Sie mich fragen, es ist höchste Zeit dafür.“

„Nun …“

„Bitte! Ich muss mit Ihnen sprechen, Sandra.“

Seine Stimme hatte plötzlich etwas Ernstes, Drängendes.

Sandra fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Sie nickte schließlich. „In Ordnung, Jonas.“

„Drehen Sie und fahren Sie hinter mir her! Wie gesagt, es ist nicht weit!“

16