Nochmal drei Fälle für den Commissaire: Drei Frankreich Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Nochmal drei Fälle für den Commissaire: Drei Frankreich Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Commissaire Marquanteur und die Morde in der Metro (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die Schüsse auf Monsieur Marteau (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die Madame ohne Skrupel (Alfred Bekker) Kaltblütig und präzise mordet eine Frau im Auftrag einer der Banden in Marseille. Sie tötet lautlos mit einer Armbrust. Wer ist der Auftraggeber? Sie scheint der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein, und sie hat keine Skrupel, jedes Hindernis auf ihrem Weg zu beseitigen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Alfred Bekker

Nochmal drei Fälle für den Commissaire: Drei Frankreich Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Nochmal drei Fälle für den Commissaire: Drei Frankreich Krimis

Copyright

​Commissaire Marquanteur und die Morde in der Metro

​Commissaire Marquanteur und die Schüsse auf Monsieur Marteau

Commissaire Marquanteur und die Madame ohne Skrupel

Nochmal drei Fälle für den Commissaire: Drei Frankreich Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Commissaire Marquanteur und die Morde in der Metro (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und die Schüsse auf Monsieur Marteau (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und die Madame ohne Skrupel (Alfred Bekker)

Kaltblütig und präzise mordet eine Frau im Auftrag einer der Banden in Marseille. Sie tötet lautlos mit einer Armbrust. Wer ist der Auftraggeber? Sie scheint der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein, und sie hat keine Skrupel, jedes Hindernis auf ihrem Weg zu beseitigen.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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​Commissaire Marquanteur und die Morde in der Metro

Commissaire Marquanteur und die Morde in der Metro: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
Wer tötet Obdachlose, um ihre Organe zu verkaufen? Diese Frage führt Marquanteur und Leroc in den Untergrund von Marseille. Stillgelegte Metroschächte, Kanalisation, regelrechte Siedlungen – eine ganze Stadt unter der Stadt, und noch viel gefährlicher als die oberirdischen Straßen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
1
Jeder kann aus dem Gleis geraten und aus der Spur fliegen. Da sollte niemand sagen, dass ihm das nicht passieren könnte.
Fatal ist es, wenn jemand in so einem Augenblick auf einen skrupellosen Geist trifft, der die momentane Schwäche dann auch noch hemmungslos ausnutzt.
Kommt leider vor.
Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire und Teil einer in Marseille angesiedelten Sonderabteilung, die den etwas umständlichen Namen Force spéciale de la police criminelle, kurz FoPoCri, trägt und sich vor allem mit organisierter Kriminalität, Terrorismus und Serientätern befasst.
Die schweren Fälle eben.
Fälle, die zusätzliche Ressourcen und Fähigkeiten verlangen.
Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc tue ich mein Bestes, um Verbrechen aufzuklären und kriminelle Netzwerke zu zerschlagen. »Man kann nicht immer gewinnen«, pflegt Monsieur Jean-Claude Marteau, Commissaire général de police, oft zu sagen. Er ist der Chef unserer Sonderabteilung. Und leider hat er mit diesem Statement Recht.
*
Der Tod kam lautlos.
Und blitzschnell.
MPis knatterten los. Die Schussgeräusche dröhnten ohrenbetäubend durch den stillgelegten Metrotunnel.
Todesschreie gellten.
Binnen Sekunden lagen zwei blutüberströmte Leichen neben dem Lagerfeuer. Die Projektile fetzten durch die stockigen Matratzen, auf denen die beiden Obdachlosen gelagert hatten.
Blitzartig riss ich die Pistole hervor, feuerte zweimal und warf mich dann zur Seite. Hart kam ich auf den Boden, rollte mich herum, während die Maskierten einen wahren Bleihagel in meine Richtung prasseln ließen. Projektile peitschten neben den Schienenstrang auf den Boden und streiften die Stahlgleise.
Funken sprühten.
Ich riss die SIG Sauer P 226 empor. Dreimal schoss ich kurz hintereinander in die Dunkelheit hinein. Dann rappelte ich mich auf, sprang über die Gleise und feuerte erneut. Sekunden später hatte ich die Tunnelwand erreicht. In einer Nische fand ich Deckung. Ich presste mich gegen den Beton.
Das Feuer verebbte.
Schritte waren zu hören.
Und knappe Befehle.
Ich steckte in der Falle.
Ich tauchte aus meiner Deckung hervor. Im Schein des Lagerfeuers sah ich einige Maskierte. Es waren mindestens ein Dutzend Männer. Sie trugen Sturmhauben und Nachtsichtgeräte.
Ein Schuss zischte an mir vorbei, ritzte den Beton des Tunnels. Ich feuerte zurück, erwischte einen der Kerle am Arm und hechtete hinter eine ausgediente Schrankwand, die von den Obdachlosen hier hinunter geschafft worden war.
Eine MPi-Salve ließ die Spanplatten zersplittern.
Ich schnellte hoch.
Vor mir lag der lange dunkle Metro-Tunnel, zwei, drei Stockwerke unterhalb der Stadt Marseille gelegen. Die Dunkelheit machte meinen Verfolgern nichts aus. Sie waren dafür ausgerüstet. Ich nicht – und das hatte einen ganz einfachen Grund. Ich war im Undercover-Einsatz. Die Männer, mit denen ich am Lagerfeuer gesessen hatte, hatten nicht gewusst, dass ich bei der FoPoCri war. In dem Fall hätten sie auch kaum ein Wort mit mir geredet. Wenn ich ein Nachtsichtgerät getragen hätte, wären sie misstrauisch geworden.
Ich hatte auch keinen Dienstausweis dabei. Nur die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P 226. Aber die war so verbreitet, dass nicht jeder, der das Ding zu Gesicht bekam, gleich auf einen Polizisten schloss. Oder einen Commissaire wie mich.
Ich rannte um mein Leben, denn die Mörder würden kein Erbarmen kennen. Und gleichzeitig arbeitete es in meinem Hirn fieberhaft.
Wer hatte diese Mörder ausgesandt?
Ich lief in geduckter Haltung, dann erreichte ich endlich die Abzweigung. Das war meine Rettung.
Die Kerle folgten mir. Ich hörte ihre Schritte und ihre Stimmen. Sie waren davon überzeugt, mich zur Strecke bringen zu können. Und sie hatten allen Grund für ihre Zuversicht. Sie waren in der Überzahl und hatten die bessere Ausrüstung. Und sie kannten sich hervorragend in dem unterirdischen Labyrinth aus Tunneln und Abwasserkanälen aus, das man im Verlauf der letzten Jahre in den Boden hineingegraben hatte.
Wie die Gänge eines Maulwurfbaus durchzogen diese Katakomben den Erdboden unter der Stadt Marseille. Und ein Teil dieses Maulwurfbaus war mehr oder minder vergessen. Stillgelegte Metro-schächte, Abflusskanäle, deren Funktion längst und lange von anderen Leitungen übernommen worden waren. Manche von ihnen wurden zu reißenden Flüssen, wenn es regnete.
Obdachlose oder auch Maulwurfmenschen – nannte man die Menschen, die in diesen Gewölben zwischen verrußtem Beton, morschen Schwellen von Metrogleisen und Ratten ihr Dasein fristeten.
Auf etwa 500 schätzte die Stadtverwaltung ihre Zahl – was eigentlich nur bedeuten konnte, dass sie weitaus größer sein musste. Ausgestoßene, Obdachlose und Gescheiterte waren hier zu finden. Manchmal auch psychisch Kranke, die die Welt da oben ausgespuckt hatte.
Welche Gründe es im Einzelfall auch immer dafür geben mochte, in diesen unterirdischen Betongewölben zu hausen, nichtsdestotrotz waren sie Menschen.
Und es hatte niemand das Recht, sie einfach über den Haufen zu schießen, so wie es vor wenigen Augenblicken mit Armand und Cédric geschehen war – den beiden Männern, mit denen ich am Feuer gesessen hatte.
Ich holte Atem, drehte mich vorsichtig um. Die Luft war feucht. Von irgendwoher war ein kratzender Laut zu hören.
Ratten.
Ich drehte mich kurz herum. Jeden Augenblick mussten meine Verfolger auftauchen.
Vor mir lag tiefschwarze Dunkelheit, in der man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Ich holte die Taschenlampe aus der Parka-Tasche. Kein Modell, das hier unten irgendjemanden neidisch gemacht hätte. Das konnte nämlich lebensgefährlich sein.
Ich lief weiter und stolperte über die dicken Schwellen zwischen den Gleisen.
An der Betonwand versuchte ich mich zu orientieren, denn ich wusste, dass hier irgendwo das zu finden war, wonach ich suchte. Etwas, das mein Leben retten konnte.
Ich tastete die Wand entlang. Die P 226 hatte ich wieder in die Tasche des fleckigen Parkas gesteckt, den ich für meine Untergrund-Mission trug. Mit der Waffe konnte ich jetzt ohnehin kaum etwas ausrichten.
Und dann hatte ich es gefunden!
In einer Nische befand sich der Zugang zu einem Abflusskanal, der dafür sorgen sollte, dass die Metro nicht unter Wasser stand, wenn es über der Erde schüttete.
Ich rollte den Betondeckel zur Seite, stieg hinunter. Die Röhre, in der ich mich befand, war gerade groß genug für mich. Vorsichtig zog ich den Deckel wieder an seinen Ort. Dann stieg ich an den rostigen Sprossen hinab.
Von oben hörte ich die Schritte der Verfolger.
Einer schien zu glauben, mich gesehen zu haben und ballerte im Tunnel herum.
Ich stieg weiter hinab.
Armand und Cédric hatten mir diesen Fluchtweg gezeigt. Für sie war ich einer der ihren gewesen, und so hatten sie mich und meinen Kollegen François Leroc in dieses Geheimnis eingeweiht.
Oft genug durchstreiften Jugendbanden die Katakomben Marseilles. Die waren dann für gewöhnlich einfach nur auf Konfrontation aus und machten Jagd auf die Obdachlosen. Und da konnte so ein Fluchtweg sehr wichtig sein.
Ich hatte keine Ahnung, wo François jetzt war.
Zusammen mit Tourbe-Jean, einem anderen Bewohner dieser Untergrund-Stadt, war er aufgebrochen, um einen Mann zu finden, den hier alle den Roi-des-Tunnels, den Tunnel-König, nannten und der uns möglicherweise wichtige Informationen liefern konnte. Ich hoffte nur, dass François und Tourbe-Jean der Mörder-Bande nicht geradewegs in die Arme gelaufen waren.
Ich erreichte das Ende des röhrenförmigen Abflusses. Er mündete in einen großen Kanal. Ich stand bis zu den Knien im schlammigem Wasser. Aus der Dunkelheit heraus kam ein heimtückischer Schlag. Ich sah ihn erst im letzten Moment, versuchte noch auszuweichen, aber es war zu spät. Ein Gewehrkolben erwischte mich in der Seite. Hart kam ich gegen die Betonwand. Während der Lichtkegel meiner Taschenlampe herumwirbelte, sah ich schlaglichtartig ein halbes Dutzend Waffenmündungen, die direkt auf mich zeigten.
Und die maskierten Gesichter …
Mit den Nachtsichtgeräten wirkten sie wie Aliens.
Ritsch! Ratsch!
Jemand hatte eine Pumpgun durchgeladen und rammte mir die Mündung in den Bauch.
»Wenn du auch nur zu atmen wagst, du Bastard, bist du nur noch ‘n blutiger Fleck an der Wand!«, zischte mir einer entgegen. Seine Stimme war leise und sehr heiser. Er kicherte und fuhr fort: »DEN Fluchtweg kannten wir auch.«
»Worauf wartest du?«, meinte ein anderer. »Mach das Schwein alle!«
2
Einige Wochen waren François und ich schon im Undercover-Einsatz bei den Obdachlosen. Es dauerte eine Weile, bis man das Vertrauen dieser Leute gewinnen konnte. Sobald einer von ihnen auch nur ahnte, dass wir bei der FoPoCri waren, hätten wir keinen von ihnen je wiedergesehen. Sie misstrauten jedem, auch denen, die ihnen helfen wollten. Und ihre Erfahrungen mit Polizisten und Behörden waren nicht gerade so, dass sie jedem Polizisten oder Sozialarbeiter gleich ihr Herz ausschütteten. Das Problem der Obdachlosen war erst in letzter Zeit etwas stärker ins Bewusstsein der Behörden gerückt.
Wir von der FoPoCri kümmerten uns um die Obdachlosen, seit eine mysteriöse Mordserie unter diesen Menschen die Mordkommissionen mehrerer Marseiller Polizeireviere zum Rotieren gebracht hatte.
Das Leben für sie war außerordentlich hart. Neben der Kälte im Winter sowie unbehandelten und daher meist tödlichen Infektionskrankheiten forderten auch immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen ihre Opfer.
Aber das, womit wir uns hier auseinanderzusetzen hatten, ging weit über alles hinaus, was bisher bekanntgeworden war. Dutzende von Obdachlosen waren im Verlauf von Monaten zunächst verschwunden und später tot aufgefunden worden. Das Besondere war, dass irgendjemand ihnen alle lebenswichtigen Organe entnommen hatte. Den meisten fehlten die Nieren, die Leber, das Herz. Bei manchen auch die Hornhaut der Augen. Die Obduktionen hatten ergeben, dass die Toten nach allen Regeln der Kunst anästhesiert und operiert worden waren. Aus ihrer Betäubung hatte es für die Opfer kein Erwachen mehr gegeben.
Todesursache: Das Fehlen lebenswichtiger Organe.
Andere waren mit Genickschüssen getötet worden, bevor man ihren Leichen einige Organe entnommen hatte.
Die Umstände dieser Morde ließen eigentlich nur einen einzigen Schluss zu. Wer immer auch hier unten auf Menschenjagd ging – die Mörder hatten es auf die Organe abgesehen. Und die Vorgehensweise richtete sich offenbar jeweils danach, welches Organ benötigt wurde und ob es möglich war, die Transplantation auch noch einige Zeit nach dem Ableben durchzuführen oder nicht.
Es war grauenvoll, was diese Unbekannten mit den Obdachlosen taten. Die Mörder schienen zu glauben, dass der Tod eines dieser Obdachlosen an der Oberfläche niemanden interessierte. Auch die Polizei nicht.
Aber da hatten sie ihre Rechnung ohne die Polizei gemacht!
Illegaler Handel mit menschlichen Organen zur Transplantation war längst ein eigenständiger Zweig des organisierten Verbrechens, genauso profitabel wie der Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung. Manche dieser Organe stammten von chinesischen Todeskandidaten, deren Hinrichtungstermine in eigenartigem Zusammenhang mit den Operationstagen gewisser Privatkliniken standen. Anderes Material, wie die Händler das nannten, wurde Verzweifelten in der Dritten Welt für ein paar Dollar oder Euros abgekauft. Und es schien offenbar in diesem dreckigen Gewerbe auch Leute zu geben, die in den Obdachlosen nichts weiter als ein menschliches Ersatzteillager sahen.
Gerüchte über diese grausamen Jäger kursierten in den Katakomben. Aber keiner, der ihnen begegnet war, hatte das überlebt.
Wochenlang hatten wir uns auf die Lauer gelegt. Wir waren dabei auf uns allein gestellt gewesen. Eine groß angelegte Aktion hätte nichts bewirkt. Die Täter hätten sich einfach zurückgezogen – und die möglichen Opfer auch.
Ein risikoreicher Einsatz.
Und jetzt stand ich einigen Männern gegenüber, die mit hoher Wahrscheinlichkeit an diesen bestialischen Menschenjagden beteiligt waren. Und wie es schien, würde es mir nicht sehr viel besser ergehen als all denen, die zuvor schon ihre Wege gekreuzt hatten.
Ich überlegte fieberhaft.
Sinnlos, jetzt die Pistole aus dem Parka herauszureißen.
Mit Glück hätte ich einen oder zwei der Maskierten ausschalten können. Spätestens dann wäre ich von einer Bleigarbe so durchsiebt worden, dass es den Kollegen der Gerichtsmedizin später schwergefallen wäre, mich zu identifizieren.
Sie packten mich, drückten mich gegen Beton. Ihre Hände wanderten durch meine Taschen. Sie nahmen die P 226, meine Taschenlampe und was ich sonst noch so an Kleinigkeiten in den Taschen hatte.
»Hey, ist er nun ein Bulle oder nicht?«, krächzte der Heisere.
Diese Stimme …
Ich schwor mir, sie nicht zu vergessen.
Jemand versetzte mir einen furchtbaren Fausthieb, der mich ächzen ließ. Ich bekam einen Augenblick keine Luft mehr. Einer der Kerle packte mich. Ich wurde zu Boden geschleudert und fiel in die stinkende Brühe.
»Hey, immer vorsichtig!«, zischte der Heisere. »Wenn wir ihn töten, dann machen wir das auf die saubere Weise. So dass nichts beschädigt wird, was man noch verwenden kann.«
»Er hat nichts bei sich«, meldete sich der andere.
»Kein Ausweis, kein Führerschein.«
»Genau wie die beiden, die wir an dem Lagerfeuer erledigt haben.«
»Könnte sein, dass uns da jemand zum Narren halten wollte.«
»Die Pistole ist jedenfalls eine Polizei-Waffe!«
»Die kann jeder im Laden kaufen!«
Der Heisere trat auf mich zu. Er leuchtete mir mit meiner eigenen Taschenlampe direkt ins Gesicht, so dass ich völlig geblendet war.
»Wer bist du?«, zischte er.
»Ich heiße Bernie«, log ich.
»Wie lange lebst du schon hier unten bei den Ratten?«
»Ein halbes Jahr.«
Der Schlag kam ohne Vorwarnung und traf mich mitten im Gesicht. Das Blut schoss mir aus der Nase, während ich zu Boden ging.
»Du bist ein gottverdammter Lügner«, knurrte es mir entgegen.
Ich erhob mich wieder. Mein Parka war tropfnass von dem schlammigen Abwasser.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte ich.
Wieder strahlte mich eine Lampe an.
»Er ist der Richtige«, stellte der Heisere dann fest. »Marquanteur von den Bullen. Der Drei-Tage-Bart täuscht etwas.«
Diese Männer waren von Anfang an davon ausgegangen, einen Polizisten zu fangen, und ich zermarterte mir das Hirn darüber, wie sie überhaupt auf diesen Gedanken kommen konnten. François und ich waren bei dieser Undercover-Mission extrem vorsichtig gewesen.
Die Tatsache, dass sie sogar meinen Namen wussten, machte mich völlig perplex.
In was für eine verdammte Todesfalle war ich hier nur hineingeraten?
Und wer hatte sie aufgestellt?
Einer der Kerle setzte mir den Lauf einer MP an den Kopf.
»Wo ist dein Partner, du Ratte?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Ich dachte, du wärst vernünftig, du Flic!«
»Ihr werdet mich doch so oder so umbringen. Ganz gleich, was ich sage.«
»Man kann auf sehr unterschiedliche Weise sterben.«
3
François hielt die P 226 in beiden Händen, während er durch das kniehohe Wasser watete. Es stank erbärmlich. Die Abwasserkanäle Marseilles waren nichts für Menschen mit empfindlichen Sinnen.
François Leroc hörte die Stimmen in dem dunkle Betongewölbe widerhallen. Im Schein einer Taschenlampe sah er für den Bruchteil eines Augenblicks das Gesicht seines Kollegen Pierre Marquanteur.
Vorsichtig schlich François voran.
Seine eigene Lampe musste er ausgeschaltet lassen, um nicht sofort eine Zielscheibe abzugeben. Das bedeutete, dass er fast wie ein Blinder agierte.
François hatte die Schüsse gehört. Natürlich kannte er den Fluchtweg in die Kanäle, und inzwischen wusste er auch gut genug hier unten Bescheid, um über Schleichwege möglichst schnell dorthin zu gelangen, wo er mich höchstwahrscheinlich treffen würde. Unglücklicherweise kannten sich die Maskierten hier unten mindestens ebenso gut aus.
François hörte die Stimmen der Unbekannten.
Die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen waren zu sehen.
Ganz ohne Licht funktionierten auch Nachtsichtgeräte nicht. Und hier unten herrschte ansonsten das, was man als absolute Finsternis bezeichnen konnte.
François arbeitete sich vorsichtig weiter voran. Er konnte im Augenblick nichts tun, das war ihm klar. Es wäre reiner Selbstmord gewesen, jetzt einzugreifen.
Er musste auf seine Chance warten.
Vorsichtig pirschte er sich näher.
Ein dumpfes Geräusch drang herüber. Und ein unterdrücktes Stöhnen.
»Lassen wir das Theater«, knurrte einer der Männer. »Machen wir den Kerl kalt, ob er nun ein Bulle ist oder nicht!«
»Genickschuss?«
»Ja, aber halt die Waffe gerade, sonst gibt es wieder ‘ne Sauerei, und wir bekommen nichts mehr für die Netzhäute seiner Augen.«
François packte die P 226 mit beiden Händen.
Er war zu allem entschlossen.
Sekunden blieben ihm …
Und dann hallte seine heisere Stimme durch das Kanalgewölbe.
»Hier spricht die FoPoCri! Sie sind umstellt! Waffen fallen lassen!«
4
Durch den Halleffekt klang François‘ Stimme sehr verfremdet. Ich erkannte sie dennoch sofort wieder. François klang so gewaltig, als hätte er durch ein Megafon gesprochen.
Die Lichtkegel der Maskierten wanderten suchend an den Betonwänden entlang. Einen Augenblick lang herrschte komplette Verwirrung. Und zweifellos war das François‘ Absicht gewesen.
Zwei Kerle hielten mich an den Armen. Ich befreite den linken Arm mit einem Ruck und ließ die Faust zur Seite schnellen. Sie landete einen Sekundenbruchteil später mitten in einem Gesicht. Ich hörte den schmerzerfüllten Aufschrei, während ich gleichzeitig mit dem zweiten Bewacher niederstürzte. Ich versetzte ihm dabei einen schnellen Hieb.
Wir fielen zusammen in die schlammige, stinkende Brühe.
Über uns hinweg pfiffen die Kugeln durch die Dunkelheit. Immer wieder blitzte es auf. Die Maskierten waren von Panik erfüllt. Sie schossen wild umher. Irgendwo in der Ferne, von der anderen Seite des Kanals her, blitzte eine einzelne Waffe mehrfach auf. Eine schwache Antwort auf die gebündelte Feuerkraft der Maskierten. Aber immerhin reichte es, um sie durcheinanderzubringen. Und außerdem wurden sie so dazu gezwungen, sich in Deckung zu begeben.
Mein Gegner und ich stürzten in die schlammige Brühe und wälzten uns darin. Ich versuchte, ihm die Waffe zu entreißen – eine kurzläufige Maschinenpistole. Er trug sie an einem Riemen um die Schulter. Seine Rechte hielt den Griff umklammert.
Er war stark. Er packte mich am Hals, hielt mich unter Wasser, bis ich glaubte, nicht mehr atmen zu können. Dann gelang es mir, mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Ich drückte ihn zur Seite, schnellte empor und vollführte einen Hechtsprung, der mich wieder im Wasser landen ließ. Mein Bewacher riss die Waffe hoch, richtete sie dorthin, wo ich im dunklen Wasser untergetaucht war.
Er drückte ab.
Eigentlich hätte im nächsten Moment eine ganze Bleisalve in das Wasser über mir einschlagen müssen. Aber das geschah nicht. Die MP blockierte. Vielleicht, weil zu viel Wasser eingedrungen war. Dann erwischte es den Kerl an der Schulter. Er schrie auf, taumelte zurück.
Ich blieb unter Wasser, bewegte mich kriechend vorwärts.
Das Wasser wurde jetzt tiefer. Für mich bedeutete das zusätzlichen Schutz. Kurz tauchte ich an die Oberfläche. Die Schüsse blitzten noch immer durch den Kanaltunnel. Die Situation war verworren. An mehreren Stellen zuckten die Mündungsfeuer blutrot aus den Läufen heraus. Ich tauchte erneut und als ich dann wieder an die Oberfläche kam, war es stockdunkel. Selbst die Hand vor Augen war nicht zu sehen.
Kein Lichtkegel irgendeiner Lampe mehr. Nicht einmal die Kontrollleuchte einer Digitaluhr.
Ich lauschte.
Das Wasser plätscherte.
Aber ansonsten war sekundenlang nichts zu hören. Kein Schritt, kein Laut, kein Atmen.
Ich bewegte mich vorsichtig weiter. Wenn die Maskierten sich noch hier im Tunnel befanden, dann waren sie genau so blind wie ich. Denn ihre Nachtsichtgeräte funktionierten wie die Augen einer Katze. Das Restlicht wird gebündelt. Aber hier gab es kein Restlicht.
Wie blind ging ich weiter. Irgendwann würde ich die Betonwand erreichen, und an der konnte ich mich dann orientieren. Das Wasser reichte mir nur noch bis zu den Knien. Das bedeutete, dass es bald soweit war. Die Vertiefung in der Mitte des Kanals hatte ich hinter mir.
Ich erreichte die Wand. Meine Hände glitten über den kalten, glitschigen Beton.
Ein Geräusch ließ mich erstarren.
Ratsch!
Ein Laut, so als ob jemand ein Magazin in eine Waffe hineinschob.
Ich hielt den Atem an. In absoluter Dunkelheit kann man selbst auf eine Distanz von wenigen Metern seine Orientierung verlieren, wenn man nicht als Blinder daran gewöhnt ist, nichts zu sehen. Ich hatte geglaubt, mich von den Maskierten wegbewegt zu haben. Dorthin, wo ich François vermutete.
Aber es war auch möglich, dass ich mich irrte.
Ich hielt inne, rührte mich nicht.
Meine Taschenlampe funktionierte vermutlich nicht mehr, weil sie zu feucht geworden war. Und selbst wenn doch, dann hätten mich vermutlich eine Sekunde nach dem Aufleuchten ihres Lichtkegels ein Dutzend Projektile zersiebt.
Ich wusste nicht, ob François überhaupt noch lebte. Und es gab auch keine Möglichkeit, das zu erfahren. Keine Möglichkeit, ohne ihn dabei in Gefahr zu bringen. Denn wenn ich einfach seinen Namen rief, konnte das bedeuten, dass die Jagd auf ihn eröffnet wurde. Und nebenbei hatten die Maskierten dann auch einen akustischen Anhaltspunkt, wo ich mich befand.
Toter Mann spielen, durchfuhr es mich. Das war im Moment alles, was ich tun konnte.
François schien das genauso zu sehen.
Und unsere Gegner ebenso.
Wer sich als Erster bewegte, einen Laut von sich gab oder für Licht sorgte, war geliefert.
Jemand bewegte sich auf mich zu. Ich hörte ganz leise die Bewegungen. Der andere orientierte sich genau wie ich an der Betonwand. Sehr vorsichtig schritt er durch das knietiefe Wasser. Ich spürte die kleinen Wellen, die das verursachte. Der andere hatte sich bis auf wenige Meter genähert.
In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft.
Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Also nahm ich das auch von meinem Gegenüber an. Wenn der Kerl mich erreichte, musste ich seinen Waffenarm zu fassen kriegen – und zwar sehr schnell. Sonst war es vorbei. Ich verhielt mich absolut ruhig. Die Wellen, die gegen meine Knie schlugen, wurden heftiger.
Ich hörte ein Atmen.
Und dann schnellte ich vor.
Ich spürte eine menschliche Gestalt, etwa ebenso groß wie ich selbst. Ich drückte mein Gegenüber gegen die Wand und bekam tatsächlich den rechten Arm zu fassen. Ich bog ihn zur Seite. Grell blitzte es auf, als sich ein Schuss löste.
Eine Sekunde später brach die Hölle los.
Aus mindestens einem Dutzend Rohren wurde geschossen. Mündungsfeuer zuckten gelbrot aus den Mündungen heraus. Der Mann, mit dem ich gerungen hatte, duckte sich, genau wie ich selbst. Und mir war plötzlich klar, wen ich vor mir hatte.
»Runter, Pierre!«, brüllte François.
Er feuerte nicht. Stattdessen schob er mich vor sich her, die glitschige Wand entlang.
Unsere Gegner ballerten einfach drauflos, in der Hoffnung, dass irgendeine ihrer zahlreichen Kugeln uns schon erwischen würde. Sie waren zwar in der Überzahl und hatten eine überlegene Ausrüstung. Trotzdem hatten sie Angst. Sie wussten nicht, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun hatten. Und diese Ungewissheit war unser Verbündeter.
François hatte die Maskierten erfolgreich geblufft. Blieb nur die Frage, wann ihnen das auffiel.
Wir pressten uns in eine Nische hinein. Auf der anderen Seite wurde das Feuer eingestellt. Hier und da waren Stimmen zu hören. Ärgerliche Stimmen. Taschenlampen wurden eingeschaltet. Die Lichtkegel suchten die Kanalwände systematisch ab. Wir verhielten uns ruhig, atmeten kaum.
»Noch ein paar Meter, Pierre«, flüsterte François. »Da muss ein Aufgang sein.«
Die Stimmen der Maskierten wurden lauter. Ihre Angst war gewichen.
Wir bewegten uns vorsichtig weiter.
Ein Lichtkegel erfasste uns. Für den Bruchteil einer Sekunde waren wir deutlich zu sehen. Eine Maschinenpistole knatterte los, eine zweite folgte kurz darauf. Die Kugeln schlugen rechts und links von uns in den Beton, rissen kleine Löcher hinein und brachen hier und da ein ganzes Stück aus dem Mauerwerk.
Geduckt und halb im Schlammwasser kriechend schnellten wir voran. François schoss ein paar Mal in Richtung der Lichter. Dann erreichte ich eine rostige Metallsprosse und umfasste sie.
Darüber waren weitere Sprossen, an denen man hinaufsteigen konnte.
»Hier ist es!«, rief ich heiser.
»Los, rauf, Pierre!«, erwiderte François und feuerte.
Ich zählte in Gedanken immer mit. Sein Magazin musste bald leer sein.
Ich kletterte hinauf, François folgte mir und schoss dabei. Um Haaresbreite verfehlten uns die Kugeln. Immer höher ging es hinauf, bis wir in einen röhrenartigen Aufgang gelangt, der von dem großen Kanal, den wir gerade verlassen hatten, senkrecht nach oben abzweigte.
Das rostige Metall schnitt in die Hände. Die Luft war stickig.
Ich blickte hinauf und sah …
… Licht!
Nur ein paar kleine Punkte. Ich zögerte.
»Weiter!«, drängte François.
»Hast du eine Ahnung, wo wir da rauskommen?«
»Ich weiß, wo wir herkommen«, erwiderte François.
Augenblicke später hob ich einen schweren Gullydeckel aus Beton zur Seite, in dem sich kleine Abflusslöcher befanden.
Wir kletterten an die Oberfläche und befanden uns an dem unterirdischen U-Bahnhof St. Pierre, wie die Anzeigen verrieten. Hunderte von Passanten drängte sich auf dem Bahnsteig, zwängten sich in die Triebwagen oder strebten aus den Zügen heraus.
Nachdem François auch herausgestiegen war, schloss ich den Gully wieder.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diesen Anblick freue«, meinte François.
»Das da unten war ganz schön knapp«, sagte ich. »Die wollten mich umbringen. Du hast mir in letzter Sekunde das Leben gerettet. Armand und Cédric hatten leider nicht so viel Glück.«
»Was ist mit ihnen?«
»Die Maskierten haben sie einfach über den Haufen geschossen.«
»Verdammt!« François ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. »Die beiden waren vielleicht – gemessen an der großen Masse der Marseiller – so etwas wie abgedrehte Freaks, aber sie waren auch nette Kerle. Ich will, das wir diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die so etwas tun. Die in den Menschen da unten nichts anderes als Tiere sehen. Ein Ersatzteillager für menschliche Organe bestenfalls.«
Ich nickte.
»Das werden wir«, sagte ich.
Wir sahen uns kurz an. Wir wussten beide, dass das nicht einfach so dahingesagt war. Es war ein Versprechen.
»He, verschwindet hier!«, fuhr uns ein breitschultriger Beamter der Polizei an, der zusammen mit einem Kollegen gerade hier unten auf Streife war. »Wollt ihr die Fahrgäste erschrecken?«
François und ich sahen wirklich nicht besonders gut aus. Unsere Sachen waren ohnehin abgetragen. Jetzt troffen sie von stinkendem Abwasser. Meine Haare klebten mir im Kopf, und ich starrte vor Dreck.
»Ich bin Pierre Marquanteur, FoPoCri. Dies ist mein Kollege Leroc«, sagte ich meinen Spruch auf und wollte schon reflexartig unter meinen Parka greifen, als mir einfiel, dass ich meinen Dienstausweis ja ausnahmsweise mal nicht dabei hatte.
Die beiden Beamten waren sehr nervös.
Sie griffen zu den Dienstpistolen. Nur eine Sekunde später blickten François und ich in die blanken Mündungen ihrer SIGs.
»Schön ruhig ihr beiden, ja?«, meinte der Breitschultrige.
Sein Kollege war etwas schmächtiger und mindestens zehn Jahre jünger. Er musste noch ziemlich neu bei der Polizei sein. Jedenfalls wirkte er sehr nervös.
»Hören Sie, das ist ein Missverständnis«, sagte ich. »Bitte benachrichtigen Sie umgehend das Polizeipräsidium Marseille. Eine Etage unter uns befindet sich eine Meute gefährlicher und schwerbewaffneter Mörder. Das Gebiet muss weiträumig abgeriegelt werden und …«
»Zeigen Sie erst mal Ihren Ausweis!«, zischte der Dürre.
»Haben wir im Moment nicht dabei«, erwiderte ich kleinlaut.
Die folgende Prozedur konnte ich mir gut genug ausmalen, um zu wissen, wie zeitraubend das Ganze werden würde. Bis dahin waren die Maskierten längst verschwunden. Es blieb ein schwacher Trost, dass sie uns bis hierher nicht verfolgen konnten, geschweige denn an einem belebten U-Bahnhof über den Haufen schießen. Die Polizeibewachung, die wir jetzt genossen, trug dazu natürlich ein Übriges bei.
»An die Wand stellen, Beine auseinander.«
»Sprechen Sie mit Monsieur Marteau, dem Chef unserer Abteilung«, meinte ich. »Sie gefährden eine Undercover-Mission.«
»Ja, und der letzte Freak, der hier den Bahnhof unsicher machte, war Napoleon oder Jesus Christus.«
Es war nichts zu machen.
François und ich waren so überzeugend in unseren Undercover-Rollen, dass die beiden Polizisten uns für Obdachlose hielten. Und als einer der beiden wenig später noch die SIG Sauer P 226 aus François‘ Kleidern herausholte, war die Sache sowieso gelaufen.
5
Es war später Nachmittag, als François und ich im Büro unseres Chefs saßen. Natürlich hatten wir uns in der Zwischenzeit geduscht und umgezogen. Monsieur Jean-Claude Marteau, unser Chef setzte sich uns gegenüber. Auf dem Tisch dampfte der vorzügliche Kaffee seiner Sekretärin Melanie. Ein Kaffee, der im gesamten Präsidium berühmt war und einfach seinesgleichen suchte.
Während wir hier saßen, befanden sich unsere Kollegen Caron und Ndonga mit mehreren Dutzend weiterer Beamten der FoPoCri, Polizei und des Erkennungsdienstes im Einsatz.
Natürlich fahndeten sie nach den Maskierten – ohne dass wir uns in der Hinsicht viel Hoffnung machten. Aber sie suchten auch dort nach Spuren, wo diese Unbekannten Armand und Cédric einfach niedergeschossen hatten.
Die beiden hatten schließlich das Recht darauf, dass man ihren Mord genauso akribisch untersuchte wie den eines reichen Managers. Auch wenn Armand und Cédric davon jetzt nicht mehr allzu viel hatten.
Wir hatten am Tatort nichts zu suchen. Schließlich gab es da immer noch die Legende, die wir uns aufgebaut hatten. Es gab da unter den Obdachlosen Leute, die uns einigermaßen vertrauten, weil sie uns eben nicht für Polizisten hielten. Und das durften wir nicht aufs Spiel setzen. Also mussten andere jetzt da unten an die Arbeit. Obwohl sich nun die Frage stellte, wie löchrig unsere Legende war. Trotz all der Vorsichtsmaßnahmen, die wir getroffen hatten.
Monsieur Marteau hörte sich unseren Bericht an. Seine Stirn zog sich in Falten.
»Diese Leute wussten, dass Sie ein Criminal-Commissaire sind, Pierre?«
»Sie vermuteten es. Da ich keinen Ausweis bei mir hatte, waren sie sich nicht hundertprozentig sicher. Aber wenn ich zwei und zwei zusammenzähle, dann war es der Sinn ihrer Aktion, François und mich auszuschalten.«
»Woher hätten sie wissen können, dass die FoPoCri unter den Obdachlosen mit verdeckten Ermittlern arbeitet?«
»Eine gute Frage, Monsieur Marteau. Tatsache ist aber, dass sie es gewusst haben.«
Monsieur Marteau fragte: »Ist es möglich, dass die Leute, mit denen Sie beide Kontakt hatten, vielleicht doch etwas herausgefunden haben?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Halte ich für ausgeschlossen.«
»Pierre, diese Obdachlosen sind sehr misstrauisch. Die dürften eine Art sechsten Sinn entwickelt haben, um offizielle Vertreter zu erkennen. Vielleicht auf Grund der Fragen, die Sie und François gestellt haben.«
Ich zuckte die Achseln, lehnte mich im Sessel zurück.
»Wir sind wirklich verdammt vorsichtig gewesen«, murmelte ich.
»Es macht Ihnen auch niemand einen Vorwurf, Pierre.«
»Ich mache mir selbst einen«, erklärte ich. »Armand und Cédric sind tot. Sie starben, weil die Mörder es auf François und mich abgesehen hatten. So sehe ich das. Dass die beiden Obdachlosen ums Leben kamen, das war für diese Leute einfach nur eine Begleiterscheinung. Nicht der Rede wert … So denken die!«
Monsieur Marteau nickte mit ernstem Gesicht.
»Trotzdem! Denken Sie an die Möglichkeit, dass die beiden Sie verraten haben! Vielleicht haben sie auch nur einen Verdacht geäußert. Pierre, Sie haben mir selbst gesagt, wie schnell Neuigkeiten da unten die Runde machen.«
»Ich denke die ganze Zeit über nichts anderes nach, als wie das passieren konnte«, sagte ich. »Und natürlich auch darüber, wo wir uns vielleicht eine Blöße gegeben haben – aber ich finde nichts!«
»Glauben Sie, dass es wirklich Sinn hat, wenn Sie noch mal da hinuntergehen – zu den Obdachlosen?«
»Natürlich! Unsere Mission war noch nicht beendet!«
Und François ergänzte: »Ich glaube, dass wir kurz vor einem Erfolg gestanden haben.«
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen. »Sie sprechen von diesem Roi-des-Tunnels?«
François nickte.
»Ja.«
»Haben Sie eine Ahnung, um wen es sich da handelt?«
»Nein, aber Tourbe-Jean meint, dass diese Mörder dort unten niemals operieren könnten, ohne dass der Roi-des-Tunnels davon zumindest weiß. Tourbe-Jean meint sogar, dass er mit den Mördern zusammenarbeitet.«
»Dieser Tourbe-Jean sollte Sie doch mit dem Tunnel-König zusammenbringen«, sagte Monsieur Marteau.
François zuckte die Achseln und nahm einen Schluck Kaffee.
»Der Roi-des-Tunnels hat uns leider versetzt. Auf dem Rückweg zum Lager hörte ich dann die Schüsse.«
»Wo war dieser Tourbe-Jean, als Sie versucht haben, Pierres Leben zu retten?«
»Plötzlich verschwunden.«
»Könnte er der Verräter sein, François?«
François wirkte sehr nachdenklich. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
»Ich traue diesem Kerl alles Mögliche zu – nur wüsste ich einfach nicht, wie er an diese Information gelangt sein sollte.«
Monsieur Marteaus Blick wanderte zwischen mir und François hin und her.
»Sie wissen, dass es lebensgefährlich ist, wenn Sie noch einmal dort hinuntergehen.«
»Wir passen schon auf uns auf«, versprach ich.
»Ich gebe nur sehr ungern meine Zustimmung dazu. Schließlich bin ich dafür verantwortlich, dass meine Beamten nur den Risiken ausgesetzt werden, die nicht zu umgehen sind. Andererseits …«
»… ist dieser Roi-des-Tunnels eine der wenigen Spuren, die es in dem Fall gibt«, vollendete ich.
»Ja.«
»Also haben wir Ihr Okay!«
Monsieur Marteau nickte. »Das haben Sie.«
Wir erhoben uns, tranken unsere Kaffeebecher leer und wandten uns in Richtung Tür. Wir hatten die schlichte Sitzecke gerade hinter uns gelassen, da fiel mein Blick auf Monsieur Marteaus Schreibtisch. Mehrere Telefone gab es dort. Aber mein Blick wurde durch etwas anderes gefesselt. Ein Blatt Papier, das mit Buchstaben vollgeklebt war, die jemand aus einer Zeitschrift herausgeschnitten hatte.
Monsieur Marteau bemerkte meinen Blick. Er ging zum Schreibtisch und drehte das Blatt zu mir herum.
»Dann brauchen Sie nicht auf dem Kopf zu lesen, Pierre.«
JEAN-CLAUDE MARTEAU, DU RATTE!, stand dort. BALD BIST DU TOT!
»Wissen Sie, wer dahintersteckt?«, fragte François besorgt.
Monsieur Marteau machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wir wissen nur, dass es sich um einen Leser des Marseiller Abendblatts handelt. Daraus sind nämlich die Buchstaben, wie unsere Innendienstler meinen. Fingerabdrücke gibt es leider nicht. Und es ist leider nicht der erste Brief dieser Art, den ich erhalte.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Scheint, als hätte ich in letzter Zeit einiges nicht mitgekriegt.«
»Sie waren selten hier, Pierre.« Monsieur Marteaus Lächeln wirkte etwas gezwungen. Er versuchte, die Sache mit dem Brief an sich abprallen zu lassen, aber das gelang ihm nicht völlig.
Ich kannte ihn einfach zu gut, als dass er mir etwas vormachen konnte. Monsieur Marteau nahm die Sache sehr ernst. Und wenn sich Monsieur Marteau über etwas Sorgen machte, dann war das nicht die Lappalie, als die er es darzustellen versuchte. »Kein Grund sich aufzuregen«, meinte Monsieur Marteau leichthin. »Sie kennen das doch! Jeder von uns, der mehr als drei Dienstjahre hat, hat doch schon mal derartige Verehrer-Post von Leuten bekommen, denen er irgendwann mal auf die Füße getreten ist.«
6
François und ich saßen wenig später in unserem Dienstzimmer, das wir uns seit ewigen Zeiten teilten. Der Computerschirm flimmerte, und wir stöberten etwas in den Datenbänken herum, die uns über EDV-Verbund zur Verfügung standen.
»Wir müssen diesen Roi-des-Tunnels sprechen«, meinte François plötzlich, »es führt kein Weg daran vorbei.«
»Warum hat er dich versetzt, François?«
»Er muss auf seine Weise ziemlich eingebildet sein, Pierre.«
»Du meinst, er empfindet sich als eine Art Herr der Marseiller Unterwelt … Trotzdem, Tourbe-Jean hat versprochen, dich zu ihm zu führen.«
»Vielleicht wollte Tourbe-Jean sich einfach nur wichtig machen«, meinte François.
»Wir knöpfen ihn uns morgen vor«, schlug ich vor.
Inzwischen kannten wir uns gut genug dort unten aus, um ihn auftreiben zu können. Wir wussten, wen man fragen musste und wo Tourbe-Jean für gewöhnlich unterkroch. Kein Mensch konnte allein und auf sich gestellt da unten in den Kanälen überleben. Das hatten wir schnell gelernt. Man war auf andere angewiesen. Und wer niemanden hatte, für den war es schnell zu Ende.
Maxime Valois, einer unserer Innendienstler, schneite herein.
»Gibt es schon was von den Ärzten und Krankenhäusern?«, fragte ich. Schließlich war ich mir sicher, dass einer der Gangster eine Schusswunde abbekommen hatte. Und selbst, wenn es nur ein Streifschuss war, so musste sie ärztlich behandelt werden.
»Alle medizinischen Einrichtungen und Privat-Praxen der Stadt sind unterrichtet und gewarnt«, sagte Valois. »Allerdings würde ich mir in dieser Hinsicht kaum Hoffnungen machen, Pierre. Wenn es sich wirklich um Leute handelt, die mit illegalen Organhändlern in irgendeiner Weise zusammenarbeiten, könnte ich mir denken, dass die genügend medizinische Kapazitäten haben, um eine Schusswunde behandeln zu lassen.«
»Ja, das steht leider zu befürchten«, gab ich zu.
»Unsere Ermittlungen, was Krankenhäuser und Arzt-Praxen angeht, die vielleicht dafür infrage kommen könnten, in den Fall verwickelt zu sein, laufen natürlich weiter. Aber wir stehen da vor einem riesigen Datenberg. Transplantationen waren mal was Besonderes. Heute sind sie in manchen Bereichen schon so sehr Routine wie vor dreißig Jahren eine Blinddarmoperation.«
»Mal was anderes, Maxime«, unterbrach ich Valois. »Der Chef bekommt eigenartige Briefe.«
»Ja, ja.« Valois nickte. »Das geht schon eine ganze Weile so. Täglich kommt etwas für ihn.«
»Schon irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Wir arbeiten dran. Und das Labor auch.« Valois zuckte die Achseln. »Der Chef hat schon Schlimmeres durchgemacht. Ich persönlich denke, es spricht einiges dafür, dass sich da nur jemand sehr wichtig machen will.«
»Hoffentlich hast du recht«, sagte ich.
7
Der bärtige Mann mit den wachen blauen Augen saß am Feuer und rieb sich die Hände. Sein Lager befand sich im toten Ende eines stillgelegten U-Bahnhofs, irgendwo unter den tristen Straßen von Marseille.
Die Betonwände waren mit Graffiti übersät. Aber inzwischen interessierten sich nicht einmal mehr die Sprayer für diesen Ort. Hier hielt kein Zug mehr. Sie brausten einfach vorbei und hielten einen halben Kilometer weiter.
Manche der Fahrgäste erblickten dann für Sekunden den Bärtigen, der in sich gekauert dasaß und leicht zitterte.
Er hatte Angst. Jeder Laut ließ ihn zusammenfahren.
Der Bärtige hatte ein paar fette Ratten aufgespießt und drehte sie über dem Feuer. Ratten waren sehr nahrhaft und vor allem gab es hier unten genug davon. Und der Bärtige wusste, wie man sie fing.
Jede Viertelstunde raste ein Triebwagen der Metro am Lager des Bärtigen vorbei. Der Luftzug, der dann entstand, ließ das Feuer hoch auflodern.
Der Bärtige hörte Schritte. Er schreckte auf. Seine Augen suchten nervös die Umgebung ab.
»Hey, Mann! Hier hast du dich also verkrochen, Tourbe-Jean«, sagte eine sonore Stimme. Drei Gestalten traten aus dem Dunkel heraus. Tourbe-Jean fragte sich, wo sie plötzlich herkamen. Vermutlich hatten sie ihn schon länger beobachtet.
Die drei trugen Strickmützen, die bis zum Kinn hinuntergezogen hatten. Für die Augen waren kleine Löcher hineingeschnitten worden. Der Rest ihrer Sachen bestand aus abgetragener Straßenkleidung. Der Mittlere der drei trug einen abgeschabten Wollmantel. In den Händen hielt er eine Pumpgun. Mit einem harten Geräusch lud er das Gewehr durch.
Tourbe-Jean erbleichte.
»Du hast dich ziemlich rar gemacht, Jean«, sagte der Kerl im Mantel. »Der Roi-des-Tunnels ist ziemlich beunruhigt.«
»Hört mal, Leute, ich …«
Tourbe-Jean brach ab. Er wusste, dass jedes weitere Wort verschwendet war.
»Du wirst zum Risiko, Tourbe-Jean.«
»Was soll das heißen?«
»Nimm‘s nicht persönlich! Aber wir haben vom Roi-des-Tunnels einen klaren Auftrag.«
Der Mann mit dem Mantel hob die Pumpgun.
Jean wich ein Stück zurück. Er hatte beinahe die Gleise erreicht, die etwa einen halben Meter tiefer lagen als der ehemalige Bahnsteig. Jeans Hand riss etwas aus der Tasche seiner fleckigen Jacke heraus. Es geschah blitzschnell. Etwas wirbelte durch die Luft.
Ein Messer.
Der Kerl im Mantel ließ die Pumpgun loskrachen. Einen Sekundenbruchteil später griff er sich an den Hals. Er taumelte zurück, ließ die Pumpgun sinken. Eine Hand umfasste den Messergriff, der aus seinem Hals herausragte. Blut schoss unter der Strickmütze hervor. Der Mann im Mantel schlug der Länge nach hin.
Die beiden anderen standen für einen Moment wie erstarrt da. Damit hatten sie nicht gerechnet.
Tourbe-Jean machte einen Satz hinunter zu den Gleisen. Er rannte.
Er rannte in den dunklen Tunnel hinein.
Einer der beiden Maskierten griff zur Pumpgun, hob sie auf und lud sie durch. Dann feuerte er.
Die Kugel erwischte Tourbe-Jean mitten zwischen den Schulterblättern. Er sank zu Boden und lag dann mitten über den Gleisen.
»Wenn der Zug kommt, wird nicht viel von ihm übrig bleiben«, stellte einer der beiden Männer fest.
8
Am nächsten Morgen saßen wir bei Monsieur Marteau im Büro. Außer François und mir waren noch die Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga anwesend. Maxime Valois, ein Innendienstler aus der Fahndungsabteilung, kam etwas später, zusammen mit einem gewissen Leon Pêcheur, den der Erkennungsdienst geschickt hatte.
Die Untersuchungen am Tatort hatten einige interessante Neuigkeiten erbracht. Die Kollegen des Erkennungsdienstes hatten reichlich Projektile eingesammelt, mit denen die unbekannten Mörder ja sehr verschwenderisch gewesen waren. Außerdem gab es dann ja auch noch die Kugeln, die Armand und Cédric getötet hatten.
»Eine der benutzten Waffen ist schon einmal aktenkundig geworden«, erläuterte Leon Pêcheur. »Unsere ballistischen Tests sind da ganz eindeutig.«
»Benutzt?«, hakte Monsieur Marteau nach. »Wann und wo?«
»Bei einer Schießerei in Pointe-Rouge vor zwei Jahren, als dort ein Drogenkrieg zwischen verfeindeten Clans tobte«, erklärte der Kollege Pêcheur. »Vor dem Kaufhaus am Boulevard des Dames haben sich die Mörder-Armeen beider Seiten eine regelrechte Schlacht geliefert. Wem die Waffe gehörte, konnte nie genauer bestimmt werden. Aber da die betreffenden Kugeln in den Körpern einiger Männer steckten, von denen wir wissen, dass sie zum Syndikat der Tschetschenen gehörten, muss es sich um jemanden gehandelt haben, der für die Gegenseite gemordet hat.«
»Da dürfte die Auswahl reichlich sein«, kommentierte unser Kollege Ndonga etwas gallig und lockerte dabei seine Seidenkrawatte ein Stück.
»Es gab damals Dutzende von Verhaftungen«, sagte Maxime Valois. »Ich habe all diejenigen in einem Dossier zusammengestellt, die in irgendeiner Weise mit der Schießerei in Zusammenhang gebracht werden. Viele mussten wieder auf freien Fuß gesetzt werden, einige sitzen noch im Gefängnis.«
»Soweit ich ich das in Erinnerung habe, wurden damals beide Clans zerschlagen«, sagte Monsieur Marteau.
Valois zuckte die Schultern.
»Wäre ein Wunder, wenn sich die Überreste nicht inzwischen neu gruppiert hätten und irgendwie wieder aktiv geworden wären.«
»Glauben Sie an eine Verbindung zwischen der Todesserie in den Tunneln und dem Drogenmilieu?«, fragte ich an Valois gewandt.
Valois schüttelte den Kopf.
»Nein, das eigentlich nicht. Obwohl man es auf der anderen Seite natürlich nicht ausschließen kann, schließlich sind die Drogenbarone immer bestrebt, ihr schmutziges Geld in anderen Branchen anzulegen.«
»Aber das sind doch üblicherweise möglichst legale Branchen, damit aus dem Schmutzgeld blütenweiße Euros werden«, wandte Boubou ein.
»Andererseits ist das Betreiben einer Transplantationsklinik eine Branche, die sich ebenso für die Geldwäsche eignet wie zum Beispiel das Glücksspiel«, wandte François Leroc ein.
»Wie auch immer«, ergriff Maxime Valois wieder das Wort. »Ich glaube eher an eine andere Möglichkeit. Und die besteht einfach darin, dass die Mörder von damals sich einen neuen Arbeitgeber gesucht haben, sofern sie durch die Maschen der Justiz schlüpfen konnten.« Valois legte sein Dossier auf den Tisch. Er wandte sich an unseren Chef. »Ich schlage vor, dass wir uns jeden einzelnen dieser Leute noch einmal vorknöpfen, gleichgültig, ob sie nun in der JVA sitzen oder sonst wo zu finden sind. Vielleicht bekommen wir so entscheidende Hinweise auf die Drahtzieher im Hintergrund.«
»Oder der Roi-des-Tunnels sagt uns, was er weiß«, meinte ich.
»Vorausgesetzt, er will mit Ihnen sprechen, Pierre«, gab Monsieur Marteau zu bedenken.
»Wer da unten über längere Zeit lebt, ist wohl zwangsläufig nicht sehr kommunikativ«, erwiderte ich.
»Ach, Pierre«, wandte sich jetzt der Kollege Valois in meine Richtung. »Ich habe vielleicht etwas über den Mann, der sich dir gegenüber Tourbe-Jean nannte.« Ich hob die Augenbrauen. Valois holte aus einem Aktenkoffer eine Mappe hervor, die mit Computerausdrucken gefüllt war. Er öffnete sie. Ich blickte auf ein Foto, das ein bärtiges Gesicht zeigte.
»Ist er das, Pierre?«
Ich nickte. »Ja.«
»Er heißt Joseph Dormier, wurde in Amiens geboren und mit Mitte dreißig in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er litt unter Verfolgungswahn. Vor fünf Jahren brach er aus einem Sanatorium in Marseille aus. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.« Ich nahm das Dossier an mich, warf einen Blick hinein. »Ich will dir damit nur sagen, dass dieser Roi-des-Tunnels vielleicht nur die Fantasie eines seelisch Kranken ist«, fuhr Valois indessen fort.
Ich mochte an diese Möglichkeit einfach nicht glauben. Schließlich war Tourbe-Jean nicht der einzige, der vom Roi-des-Tunnels erzählt hatte. Andererseits konnte es natürlich gut sein, dass auch diese Berichte nur auf dem basierten, was Jean in den Jahren, die er bereits bei den Obdachlosen lebte, an Geschichten ausgestreut hatte. Geschichten, die sich längst verselbständigt hatten.
Ich hatte keine Gelegenheit, länger darüber nachzudenken. In diesem Augenblick kam Melanie, die Sekretärin unseres Chefs, in den Raum. Auf dem Tablett standen dampfende Kaffeebecher, daneben lagen einige geöffnete Kuverts. Die Post für Monsieur Marteau. Zweifellos hatte sich erst unsere Sicherheitsabteilung damit beschäftigt, um zu verhindern, dass Monsieur Marteau zusammen mit einem dieser Hassbriefe eines Tages auch eine Ladung Sprengstoff auf den Schreibtisch bekam.
»Diesmal war nichts dabei, Monsieur Marteau«, sagte Melanie mit sichtlicher Erleichterung. Sie brauchte das nicht näher zu erläutern. Jedem im Raum war klar, wovon sie sprach.
Monsieur Marteau war das Schweigen, das sich plötzlich im Raum ausgebreitet hatte, offenbar unangenehm.
»Was ist los?«, fragte er. »Unsere Aufgabe ist es, die Schwachen zu schützen – und dabei machen wir uns eben nicht nur Freunde.«
9
Es war Nachmittag. Tourbe-Jean konnten wir nirgends finden. An keinem der Orte, von dem wir wussten, dass der sympathische Sonderling sich dort ab und zu aufhielt. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Wir suchten den sogenannten Professor auf, einen Bücherwurm und ehemaligen Bibliothekar, der nach dem tragischen Krebstod seiner Frau mehr oder weniger durchgedreht war. Er wohnte in einer ehemaligen Rangier-Nische, hatte dort sein Feuer und sogar elektrisches Licht. Einer seiner Freunde hatte eine Leitung abgezweigt und hierher verlegt. Es war relativ trocken hier, trotzdem hatte er seine mindestens 3000 Bücher sorgfältig einzeln in Plastik verpackt.
Der Professor hieß eigentlich Simon Moreau. Er gehörte zu denjenigen Obdachlosen, die ihre Flucht in diese Art der Existenz als eine Art Lebensphilosophie ansahen und die nichts auf der Welt dazu hätte bringen können, sich wieder an ein Leben in der bürgerlichen Welt zu gewöhnen. Hier war der Professor eine bekannte Persönlichkeit. Wir kannten ihn durch eine Sozialarbeiterin.
Und über Moreau hatte wir Tourbe-Jean kennengelernt.
»Toll«, murrte François, als wir die Rangier-Nische erreichten. »Wir sind wieder am Ausgangspunkt, Pierre.«
»Meinst du, mir gefällt das?«
»Was mir noch weniger gefällt, ist mein Gefühl in Bezug auf Tourbe-Jean.«
»Was meinst du damit?«
»Dass wir ihn vielleicht vergeblich suchen, Pierre.«
»Und wenn er sich versteckt hält?«
»Warum sollte er das tun? Niemand würde versuchen, ihn hier unten aufzustöbern, um ihn wieder in eine Anstalt zu bringen.«
»Es muss ja nicht alles vernünftig sein, was er tut«, erinnerte ich ihn.
Der Professor sah uns kommen. Wir gingen den Schienenstrang entlang und mussten dabei auf der Hut sein, um nicht von einer vorbeirasenden Metro erfasst zu werden. Immer wieder kamen Obdachlose durch Züge um.