Northanger Abbey - Jane Austen - E-Book

Northanger Abbey E-Book

Jane Austen.

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Beschreibung

Die Meisterin der spritzigen Dialoge auf der Höhe ihrer Kunst

Die junge Catherine Morland würde gern so sein wie ihre Romanheldinnen. Doch sie ist weder auffallend hübsch noch besonders vermögend, sie verwechselt Höflichkeit mit Freundschaft und die Liebe kennt sie nur aus ihren Büchern. Bis sie eines Tages auf einem rauschenden Ball dem lebensfrohen Henry Tilney begegnet und sich Hals über Kopf verliebt. Doch dessen Familie ist von der Wahl der Verehrerin gar nicht angetan …

Jane Austens Werke begeistern bis heute Millionen von Lesern. »Northanger Abbey« ist eine glänzende Satire auf die Schauerromane der damaligen Zeit.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

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Seitenzahl: 396

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Jane Austen (1775–1817) wurde in Steventon, Hampshire, geboren und wuchs als siebtes von acht Kindern im elterlichen Pfarrhaus auf. Ihre literarische Welt war die des englischen Landadels, deren sorgsam kaschierte Abgründe sie mit feiner Ironie entlarvte. Die Popularität von Jane Austen ist bis heute ungebrochen, ihre Romane begeistern Leser und Leserinnen auf der ganzen Welt.

«Jane Austen vollbringt Wunder.» Süddeutsche Zeitung

«Immer wieder lesen, so lange man lebt: alle Romane von Jane Austen.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Ein außerordentlich unterhaltsamer und intelligenter Roman.» Deutschlandradio Kultur

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Jane Austen

NORTHANGER ABBEY

Roman

Aus dem Englischen von Andrea Ott

Mit einem Nachwort von Hans Pleschinski

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Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-26859-6V001

www.penguin-verlag.de

VORBEMERKUNG DER AUTORIN ZU NORTHANGER ABBEY

Dieser kleine Roman wurde im Jahre 1803 beendet und sollte eigentlich sofort veröffentlicht werden. Er wurde an einen Verleger verkauft, ja sogar in der Zeitung angekündigt, und warum die Sache nicht weiterbetrieben wurde, hat die Autorin nie in Erfahrung bringen können. Dass ein Verleger etwas des Kaufs für wert erachtet, nicht aber der Veröffentlichung, erscheint mir doch seltsam. Doch das betrifft Autorin und Publikum nur insofern, als nun bei manchen Textpassagen, die nach dreizehn Jahren ein wenig veraltet sind, eine gewisse Vorsicht geboten ist. Die Leser werden ersucht zu bedenken, dass dreizehn Jahre vergangen sind, seit das Buch fertiggestellt, und noch viel mehr, seit es begonnen wurde, und dass sich in dieser Zeit Orte, Umgangsformen, Bücher und Ansichten beträchtlich verändert haben.1

1

Niemand, der Catherine Morland als Kind gekannt hatte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt sei. Die familiären Verhältnisse, die Eigenschaften der Eltern, Catherines Aussehen und Veranlagung sprachen sämtlich gegen sie. Der Vater war Geistlicher, weder verkannt noch verarmt, ein hochanständiger Mann, obwohl er Richard hieß,2 und hatte niemals gut ausgesehen. Er besaß ein ansehnliches Einkommen, zudem zwei gute Pfründe und neigte nicht im Geringsten dazu, seine Töchter einzusperren.3 Die Mutter war eine praktisch veranlagte, vernünftige Frau von ausgeglichener Wesensart und, was noch bemerkenswerter ist, robuster Konstitution. Sie hatte bereits drei Söhne, als Catherine geboren wurde, und anstatt zu sterben, als sie Letztere in die Welt setzte – wie man füglich hätte erwarten dürfen –, lebte sie weiter, bekam noch sechs Kinder, sah diese heranwachsen und erfreute sich bester Gesundheit.4 Eine Familie mit zehn Kindern gilt immer als prächtig, solange es für alle genügend Köpfe, Arme und Beine gibt, aber recht viel mehr Anspruch auf diese Bezeichnung hatten die Morlands nicht, denn sie waren samt und sonders unscheinbar, und Catherine war jahrelang so unscheinbar wie die anderen. Sie wirkte dünn und linkisch, hatte eine fahle, farblose Haut, dunkles, strähniges Haar und ausgeprägte Gesichtszüge – so viel zu ihrer äußeren Erscheinung. Dem Wesen nach schien sie nicht minder untauglich zur Heldin. Sie liebte Knabenspiele und zog Kricket nicht nur den Puppen vor, sondern auch den edleren Freuden der Kindheit wie der Aufzucht einer Haselmaus, dem Füttern eines Kanarienvogels oder dem Wässern eines Rosenstrauchs. Nein, nach dem Garten stand ihr der Sinn ganz und gar nicht, und wenn sie überhaupt Blumen pflückte, so nur aus Lust am Unfug – zumindest schloss man das aus ihrer Vorliebe, immer jene Blumen zu nehmen, die sie nicht nehmen durfte. – Dies also waren ihre Neigungen, und ihre Fähigkeiten waren ebenso außergewöhnlich. Sie lernte oder begriff etwas erst dann, wenn man es ihr beibrachte, und mitunter nicht einmal dann, denn oft war sie unaufmerksam und gelegentlich auch begriffsstutzig. Ihre Mutter brauchte drei Monate, um ihr «Des Bettlers Bitte»5 einzutrichtern, und am Ende konnte Sally, die nächstjüngere Schwester, es besser aufsagen als sie. Nicht dass Catherine durchweg begriffsstutzig war, keineswegs – die Fabel vom Hasen und seinen vielen Freunden6 konnte sie so schnell wie jedes andere Mädchen in England auswendig. Die Mutter wollte sie ein Instrument erlernen lassen, und Catherine war fest davon überzeugt, sie werde Freude daran haben, denn sie klimperte gern auf den Tasten des alten, verstaubten Spinetts herum. Also fing sie mit acht Jahren an. Sie nahm ein Jahr lang Unterricht, dann hielt sie es nicht mehr aus, und Mrs. Morland, die sich nicht darauf versteifte, dass ihre Töchter sich entgegen ihren Fähigkeiten oder Neigungen Bildung und Können aneigneten, erlaubte ihr aufzuhören. Der Tag, an dem der Musiklehrer entlassen wurde, war einer der glücklichsten in Catherines Leben. Sie zeichnete nicht übermäßig gern, doch wenn sie von ihrer Mutter das Umschlagblatt eines Briefes7 bekam oder sonst eines Stückchens Papier habhaft wurde, tat sie, was ihr möglich war, und zeichnete Häuser und Bäume, Hühner und Küken, und alles sah ziemlich gleich aus. Schreiben und Rechnen lernte sie bei ihrem Vater, Französisch bei ihrer Mutter; in beiden Fächern erbrachte sie keine bemerkenswerten Leistungen, und sie drückte sich vor den Unterrichtsstunden, wann immer sie konnte. Welch ein ungewöhnlicher, seltsamer Charakter! Denn trotz dieser Anzeichen von Widerspenstigkeit im Alter von zehn Jahren war sie weder hartherzig noch übellaunig, nur selten eigensinnig, fast nie streitsüchtig und sehr lieb zu den Kleinen – mit geringfügigen tyrannischen Ausfällen. Außerdem war sie laut und wild, hasste Zwang und Reinlichkeit und tat nichts lieber auf Erden, als den grünen Abhang hinterm Haus hinunterzukullern.

Das also war Catherine Morland mit zehn. Mit fünfzehn besserte sich ihr Aussehen; sie fing an, sich das Haar einzudrehen, und wartete ungeduldig auf ihren ersten Ball; ihre Haut wurde glatter, die Züge weicher, runder und rosiger, der Blick lebhafter und die Figur ausgeprägter. Ihre Liebe zum Schmutz wich einer Neigung zum Putz, und sie wurde sowohl reinlicher als auch klüger; manchmal schnappte sie zu ihrer Freude Bemerkungen von Vater und Mutter über ihre körperliche Vervollkommnung auf. «Catherine wächst sich zu einem recht ansehnlichen Mädchen aus – heute sieht sie regelrecht hübsch aus», solche Worte drangen hin und wieder an ihr Ohr, und wie willkommen waren diese Töne! «Regelrecht hübsch» auszusehen ist für ein Mädchen, das die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens unscheinbar war, eine so hocherfreuliche Verbesserung, wie sie ein von Geburt an schönes weibliches Wesen niemals erlangen kann.

Mrs. Morland war eine herzensgute Frau und hätte sich liebend gern darum gekümmert, dass ihre Kinder so wurden, wie sie werden sollten, aber sie war von Wochenbett und Unterricht für die Kleinen so stark in Anspruch genommen, dass die älteren Töchter unweigerlich auf sich selbst gestellt blieben. So war es nicht verwunderlich, dass Catherine, von Natur aus keine Romanheldin, bis zum Alter von fünfzehn Jahren lieber Kricket und Schlagball spielte, ritt und über die Wiesen lief, als Bücher zu lesen – zumindest soweit es sich um Lehr- und Erbauungsbücher handelte, denn solange sie nicht so etwas wie «nützliches Wissen» enthielten, solange es sich nur um Geschichten und nicht um Betrachtungen handelte, hatte sie nichts gegen Bücher. Doch zwischen fünfzehn und siebzehn bereitete sie sich auf ihren Auftritt als Romanheldin vor und las alle Bücher, die Heldinnen lesen müssen, um ihr Gedächtnis mit jenen für die Wechselfälle ihres ereignisreichen Lebens so zweckdienlichen und erbaulichen Zitaten zu versorgen.

Von Pope lernte sie, jene zu verurteilen,

«… die spötteln über andrer Menschen Leid».8

Von Gray, dass

«… so manche Blume blühet ungesehn,

verschwendet ihren Duft in leere Luft».9

Von Thompson, dass

«… es ein köstlich Amt ist, junges Denken zu lehren, wie es wachsen soll».10

Und Shakespeare verdankte sie eine Fülle von Erkenntnissen, unter anderem, dass

«… Dinge, leicht wie Luft, sind für die Eifersucht Beweis, so stark wie Bibelsprüche».11

Dass

«… der arme Käfer, den dein Fuß zertritt, fühlt körperlich ein Leiden, ganz so groß, als wenn ein Riese stirbt».12

Ferner, dass eine verliebte junge Frau immer aussieht

«… wie die Geduld auf einer Gruft, dem Grame lächelnd».13

In dieser Hinsicht machte sie also durchaus befriedigende Fortschritte – und auch auf vielen anderen Gebieten kam sie bestens voran; sie selbst verfasste zwar keine Sonette, aber sie rang sich dazu durch, welche zu lesen, und wiewohl keine Aussicht darauf bestand, dass sie eine Gästeschar durch ein selbst komponiertes Präludium für Pianoforte hinriss, vermochte sie immerhin den Darbietungen anderer ohne allzu große Ermüdung zu lauschen. Ihre größte Schwäche war der Bleistift – sie verstand nichts vom Zeichnen, nicht einmal so viel, dass sie es wagen konnte, eine Profilskizze von ihrem Liebsten anzufertigen, um durch die Zeichnung entlarvt zu werden.14 Hierin blieb sie erbärmlich weit hinter den hohen Ansprüchen einer Heldin zurück. Zurzeit jedoch ahnte sie noch nichts von ihrer Armseligkeit, denn sie hatte gar keinen Liebsten, den sie hätte porträtieren können. Sie hatte das Alter von siebzehn Jahren erreicht, ohne einem einzigen edlen Jüngling begegnet zu sein, der ihre empfindsame Seele erweckt hätte, und ohne ihrerseits jemandem echte Leidenschaft eingeflößt oder auch nur eine mehr als mäßige und flüchtige Bewunderung erregt zu haben. Das war in der Tat höchst merkwürdig! Aber Merkwürdiges lässt sich im Allgemeinen erklären, wenn man der Ursache sorgsam auf den Grund geht. Es gab nicht einen Lord in der Nachbarschaft, ja nicht einmal einen Baronet. Es gab nicht eine Familie in ihrer Bekanntschaft, die einen Knaben aufgezogen und gefördert hatte, der einst zufällig auf ihrer Schwelle gefunden worden war, nicht einen jungen Mann unbekannter Herkunft. Ihr Vater hatte kein Mündel und der Gutsherr keine Kinder.

Aber wenn eine junge Dame zur Romanheldin werden soll, können auch hundert widernatürliche Nachbarsfamilien sie nicht daran hindern. Irgendetwas muss und wird geschehen, damit ein Held ihren Weg kreuzt.

Mr. Allen, dem in der Gegend von Fullerton, jenem Dorf in Wiltshire, in dem die Morlands wohnten, der meiste Grund gehörte, sollte seiner Gicht wegen nach Bath zur Kur reisen, und seine Gattin, eine gutmütige Frau, die Miss Morland gernhatte und wahrscheinlich wusste, dass eine junge Dame, der im eigenen Dorf keine Abenteuer widerfahren, diese in der Fremde suchen muss, lud sie ein mitzukommen.

Mr. und Mrs. Morland willigten nur zu gern ein, und Catherine war überglücklich.

2

Zusätzlich zu dem, was wir über Catherine Morlands körperliche und geistige Gaben zu dem Zeitpunkt, da sie den Fährnissen und Fallstricken eines sechswöchigen Aufenthalts in Bath ausgesetzt werden sollte, bereits gesagt haben, wollen wir – falls die folgenden Seiten womöglich kein hinreichendes Bild von Catherines Charakter vermitteln – zur Aufklärung des Lesers vielleicht noch festhalten, dass sie ein liebevolles Herz besaß, ein fröhliches und offenes Wesen ohne Dünkel oder Geziertheit (sie hatte gerade die Unbeholfenheit und Schüchternheit des kleinen Mädchens abgelegt), ein angenehmes und, wenn sie sich schön machte, sogar hübsches Äußeres sowie einen Verstand, der so naiv und ungebildet war, wie es der weibliche Verstand mit siebzehn eben zu sein pflegt.

Als die Stunde der Abreise näher rückte, wird Mrs. Morland, die Mutter, natürlich tief besorgt gewesen sein. Tausend bange Vorahnungen all des Unheils, das ihre geliebte Catherine infolge dieser schrecklichen Trennung ereilen mochte, werden ihr das Herz abgedrückt und sie in den letzten Tagen ihres Zusammenseins in Tränen ertränkt haben, und beim letzten Zwiegespräch in ihrem Privatgemach werden allerlei nützliche Lehren und gute Ratschläge von ihren weisen Lippen geflossen sein. Gewiss wird sie in diesem Augenblick durch Warnungen vor den gewalttätigen Männern des hohen und niederen Adels, die sich ein Vergnügen daraus machen, junge Damen in entlegene Bauernhäuser zu entführen, ihr übervolles Herz erleichtert haben. Wer dächte nicht so? Doch Mrs. Morland wusste so wenig über Lords und Baronets, dass sie von deren klassischer Ruchlosigkeit und üblen Ränken keine Ahnung hatte und nicht die geringste Gefahr für ihre Tochter witterte. Ihre Ermahnungen beschränkten sich auf folgende Punkte: «Bitte, Catherine, wickle dir abends, wenn du aus dem Ballsaal kommst, immer ein warmes Tuch um den Hals, und es wäre schön, wenn du über deine Ausgaben Buch führen würdest; ich gebe dir dafür dieses Heft mit.»

Sally oder vielmehr Sarah (denn welche junge Dame aus einigermaßen guter Familie hätte im Alter von sechzehn Jahren noch nicht ihren Namen nach Kräften verändert?) war umständehalber zu diesem Zeitpunkt die engste Freundin und Vertraute ihrer Schwester. Doch bemerkenswerterweise bestand sie weder darauf, dass Catherine ihr mit jeder Post schrieb, noch nahm sie ihr das Versprechen ab, ihr jeden neuen Bekannten oder sämtliche fesselnden Unterhaltungen, die Bath mit sich brachte, eingehend zu schildern. Alles, was diese wichtige Reise betraf, wurde seitens der Morlands mit einer Nüchternheit und Gelassenheit erledigt, die eher den gewöhnlichen Gefühlen des Alltagslebens entsprachen als der Überempfindlichkeit und labilen Gemütsverfassung, welche die erste Trennung einer Heldin von ihrer Familie eigentlich hätte hervorrufen müssen. Der Vater händigte ihr weder eine unbeschränkte Zahlungsanweisung an seinen Bankier aus, noch drückte er ihr eine Hundertpfundnote in die Hand; er gab ihr nur zehn Guineen und versprach ihr mehr, wenn sie Bedarf haben sollte.

Unter diesen wenig verheißungsvollen Vorzeichen vollzog sich der Abschied, und die Reise begann. Sie verlief in schicklicher Ruhe, sicher und ohne Zwischenfälle. Weder Räuber noch Unwetter zeigten sich erbötig, und kein glücklicher Unfall15 verhalf ihnen zur Bekanntschaft mit dem Helden. Es geschah nichts Beunruhigenderes, als dass Mrs. Allen einmal befürchtete, sie habe ihre hölzernen Überschuhe im letzten Gasthof vergessen, und diese Befürchtung erwies sich zum Glück als unbegründet.

Sie kamen in Bath an. Catherine war voll gespannter Freude; sie hatte die Augen hier und da und überall, als sie die vornehmen, beeindruckenden Randbezirke erreichten und später durch die Straßen fuhren, die sie ins Hotel führten. Sie war gekommen, um glücklich zu sein, und sie war bereits glücklich.

Bald hatten sie in der Pulteney Street eine behagliche Wohnung gefunden.

Es wird nun Zeit, Mrs. Allen zu beschreiben, damit der Leser abschätzen kann, auf welche Weise ihr Tun und Treiben dereinst der in Romanen üblichen Notlage Vorschub leisten und was sie vermutlich dazu beitragen wird, dass die arme Catherine in all das verzweifelte Elend stürzt, das ein dritter Band zu bieten vermag – sei es durch Unverschämtheit, ordinäres Benehmen oder Eifersucht, sei es dadurch, dass sie ihre Briefe abfängt, ihren Ruf schädigt oder sie aus dem Haus wirft.16

Mrs. Allen gehörte zu jener großen Schar weiblicher Wesen, deren Gegenwart keine andere Regung auslöst als Verwunderung darüber, dass es auf Erden überhaupt Männer gibt, die sie gern genug haben, um sie zu heiraten. Sie besaß weder Schönheit noch Intelligenz, weder Talente noch gutes Benehmen. Nur ihre vornehme Erscheinung, eine stets gelassene, träge Gutmütigkeit und ihre Oberflächlichkeit konnten erklären, dass die Wahl eines klugen, vernünftigen Mannes wie Mr. Allen auf sie gefallen war. In einer Hinsicht jedoch war sie wunderbar geeignet, eine junge Dame in die Gesellschaft einzuführen – sie wollte nämlich genauso dringend überall hin gehen und alles selbst sehen wie jede beliebige junge Dame. Mode war ihre Leidenschaft. Sie hatte eine harmlose Freude daran, sich elegant zu kleiden, und erst nachdem drei oder vier Tage lang ausgekundschaftet worden war, was man zur Zeit gerade trug, und die Anstandsdame nach der neuesten Mode gekleidet war, konnte unsere Heldin den ersten Schritt ins Leben tun. Auch Catherine machte einige Einkäufe, und als dies alles geregelt war, nahte der entscheidende Abend, der sie in die Upper Rooms17, die Festsäle für die bessere Gesellschaft, führen sollte. Der beste Friseur am Platze schnitt und legte ihr das Haar, sie wurde sorgfältig angekleidet, und Mrs. Allen und ihre Zofe erklärten, sie sehe genau so aus, wie es sich gehöre. Dergestalt ermutigt, hoffte Catherine, sich zumindest ohne Missbilligung in der Menge bewegen zu können. Was Bewunderung anlangte, so war sie ihr zwar immer willkommen, aber sie war nicht unbedingt darauf angewiesen.

Mrs. Allen brauchte so lange zum Anziehen, dass sie den Ballsaal erst spät betraten. Es war Hochsaison, der Saal überfüllt, und die beiden Damen zwängten sich hinein, so gut es ging. Was Mr. Allen betraf, so begab sich dieser geradewegs in den Spielsaal und ließ sie den Pöbel allein genießen. Mehr um die Unversehrtheit ihres neuen Kleides besorgt als um das Wohlergehen ihres Schützlings, bahnte sich Mrs. Allen ihren Weg durch die Menschenmenge an der Tür, so zügig es die erforderliche Umsicht gestattete; doch Catherine hielt sich dicht neben ihr und hatte sich viel zu fest im Arm ihrer Freundin eingehängt, um von den widerstreitenden Strömungen einer Abendgesellschaft fortgerissen zu werden. Zu ihrem großen Erstaunen stellte sie fest, dass der Weg durch den Saal nicht das geeignete Mittel war, um das Gedränge hinter sich zu lassen; es schien vielmehr immer dichter zu werden, je weiter sie vorankamen. Sie hatte angenommen, wenn sie erst einmal mit heiler Haut die Tür passiert hätten, würden sie leicht Plätze finden, von denen sie den anderen bequem beim Tanzen zusehen könnten. Dies traf mitnichten zu, und selbst als sie sich mit unermüdlichem Eifer bis ans Ende des Saales durchgekämpft hatten, waren sie noch immer in der gleichen Lage. Von den Tanzenden sahen sie nichts als die hoch aufragenden Federbüsche einiger Damen. Sie schoben sich weiter – schon kam etwas Besseres in Sicht, und durch fortgesetzte Mühe und Geschicklichkeit gelangten sie schließlich in den Gang hinter der obersten Sitzreihe. Hier standen etwas weniger Leute als unten, und von hier hatte Miss Morland einen verhältnismäßig guten Blick auf die Gesellschaft unter ihr und die Gefahren der soeben überstandenen Durchquerung. Es war ein herrlicher Anblick, und zum ersten Mal an diesem Abend hatte sie das Gefühl, auf einem Ball zu sein. Sie sehnte sich danach zu tanzen, doch sie kannte niemanden im Saal. Mrs. Allen tat, was in einem solchen Fall in ihrer Macht stand, sie äußerte ab und zu in aller Seelenruhe: «Ich wollte, Sie könnten tanzen, meine Liebe – ich wollte, Sie hätten einen Tanzpartner.» Eine Weile fühlte sich ihre junge Freundin deshalb zu Dank verpflichtet, aber diese Wünsche wiederholten sich so oft und erwiesen sich als so völlig wirkungslos, dass Catherine es schließlich müde wurde und sich nicht mehr bedankte.

Doch war ihnen auf der Anhöhe, die sie so mühsam erklommen hatten, keine lange Ruhepause vergönnt. Schon bald setzte sich alles in Richtung Tee in Bewegung, und sie mussten sich wie die anderen wieder hinauszwängen. Catherine verspürte allmählich so etwas wie Enttäuschung – sie war es leid, ständig von irgendwelchen Leuten herumgestoßen zu werden, deren Allerweltsgesichter nichts Interessantes an sich hatten und von denen sie keinen kannte, sodass ihr im Verdruss des Eingesperrtseins nicht einmal der Trost blieb, mit einem Mitgefangenen eine Silbe zu wechseln; als sie endlich im Tea Room anlangten, empfand sie es als noch peinlicher, dass es keine Gruppe gab, zu der sie gehörten, keine Bekannten, die sie in Anspruch nehmen konnten, und keinen Herrn, der ihnen beistand. Von Mr. Allen war nichts zu sehen, und nachdem sie vergebens nach einem vorteilhafteren Platz Ausschau gehalten hatten, mussten sie sich am Ende eines Tisches niederlassen, an dem schon eine größere Gesellschaft saß, mit der sie nichts zu tun hatten, und dort konnten sie sich mit niemandem sonst unterhalten als miteinander.

Kaum hatten sie Platz genommen, beglückwünschte sich Mrs. Allen, dass sie ihr Kleid vor Schaden bewahrt hatte. «Wie schrecklich, wenn es zerrissen wäre, nicht wahr?», sagte sie. «Ein so feiner Musselin! Ich habe im ganzen Saal nichts gesehen, was mir so gut gefallen hätte, das sage ich Ihnen.»

«Wie unangenehm», flüsterte Catherine, «dass wir hier gar keine Bekannten haben!»

«Ja, meine Liebe», erwiderte Mrs. Allen in heiterster Gemütsruhe, «das ist wirklich überaus unangenehm!»

«Was sollen wir nur tun? Die Herren und Damen hier am Tisch machen ein Gesicht, als fragten sie sich, was wir hier zu suchen haben – sie scheinen uns als aufdringlich zu empfinden.»

«Ja, tatsächlich. Das ist überaus unangenehm. Ich wollte, wir hätten hier einen großen Bekanntenkreis.»

«Ich wäre schon froh, wenn wir überhaupt irgendeinen Bekannten hätten, jemanden, zu dem wir gehen könnten.»

«Das ist wahr, meine Liebe, wenn wir Bekannte hätten, würden wir uns sofort zu ihnen setzen. Letztes Jahr waren die Skinners hier – ich wollte, sie wären jetzt auch in Bath.»

«Sollen wir unter diesen Umständen nicht lieber gehen? Es gibt ja nicht einmal Teetassen für uns.»

«Nein, es sind keine mehr da, in der Tat. Wie ärgerlich! Aber es ist besser, wir bleiben ruhig sitzen, denn von all den Leuten wird man nur zerdrückt! Wie sieht mein Kopfputz aus, meine Liebe? Ich fürchte, er hat Schaden genommen; vorhin hat mich jemand angerempelt.»

«Nein, nein, alles sieht sehr hübsch aus. Aber sind Sie sicher, liebe Mrs. Allen, dass Sie in dieser riesigen Menschenmenge niemanden kennen? Irgendwen müssen Sie doch kennen!»

«Nein, auf mein Wort – ich wollte, es wäre so. Ich wünschte von ganzem Herzen, ich hätte hier einen großen Bekanntenkreis, dann würde ich Ihnen einen Tanzpartner besorgen. Ich wäre so froh, wenn Sie tanzen könnten. – Da drüben geht ja eine seltsame Frau! Was die für ein komisches Kleid anhat! So altmodisch! Schauen Sie sich nur die Rückenpartie an!»

Nach einer Weile wurde ihnen von einem Nachbarn Tee angeboten; sie nahmen dankend an, und es entspann sich eine unverbindliche Unterhaltung mit dem Herrn. Dies war das einzige Mal, dass jemand sie an diesem Abend ansprach, bis schließlich, als der Tanz vorüber war, Mr. Allen sie fand und sich zu ihnen gesellte.

«Na, Miss Morland», sagte er sofort, «ich hoffe, Sie fanden den Ball amüsant?»

«Ja, sehr amüsant», antwortete sie und bemühte sich vergebens, ein ausgiebiges Gähnen zu unterdrücken.

«Ich wünschte, sie hätte tanzen können», sagte seine Frau, «ich wünschte, wir hätten ihr einen Partner verschaffen können. Ich sagte schon, wie froh ich wäre, wenn die Skinners diesen Winter hier wären statt im letzten oder wenn die Parrys gekommen wären, wie sie einmal angedeutet hatten. Dann hätte sie mit George Parry tanzen können. Es tat mir so leid, dass sie keinen Partner hatte.»

«An einem anderen Abend haben wir bestimmt mehr Glück», tröstete sie Mr. Allen.

Da der Tanz vorüber war, begannen sich die Gäste zu zerstreuen – es gingen so viele, dass die noch Bleibenden genug Platz hatten, um einigermaßen bequem herumzuspazieren; nun war der Zeitpunkt gekommen, da unsere Heldin, die in den Ereignissen des Abends noch keine herausragende Rolle gespielt hatte, bemerkt und bewundert werden musste. Mit jeder Minute entfernte sich jemand von der Menge und schaffte mehr Raum für ihre Reize. Nun wurde sie von vielen jungen Männern gesehen, die ihr vorher nicht nahe gekommen waren. Doch keiner hielt verzückt und verwundert inne, als er ihrer gewahr wurde, keine neugierig geflüsterte Frage machte die Runde im Saal, und sie wurde nicht ein einziges Mal als Göttin bezeichnet.18 Dabei sah Catherine wirklich gut aus, und hätten die anderen Gäste sie schon vor drei Jahren gekannt, hätten sie sie jetzt außerordentlich hübsch gefunden.

Dennoch wurde sie wahrgenommen und auch ein wenig bewundert. Wie sie selbst hörte, bezeichneten zwei Herren sie als hübsches Mädchen. Diese Worte taten ihre Wirkung. Sofort fand sie den Abend amüsanter, ihre bescheidene Eitelkeit war schon zufriedengestellt, sie war den beiden jungen Männern für dieses schlichte Lob dankbarer als eine durch und durch hochkarätige Heldin, gut für fünfzehn Sonette, die ihre Reize feierten, und ging, mit allen versöhnt und völlig zufrieden mit ihrem Anteil an der öffentlichen Aufmerksamkeit, zu ihrer Chaise19 hinaus.

3

Jeder Tag brachte nunmehr seine regelmäßigen Pflichten mit sich: Geschäfte mussten aufgesucht, ein neuer Stadtteil musste besichtigt werden, und sie mussten in die Brunnenhalle gehen, wo sie eine Stunde lang auf und ab stolzierten, alle Leute beobachteten und mit niemandem sprachen. Der Wunsch nach einem großen Bekanntenkreis in Bath kam für Mrs. Allen noch immer an erster Stelle, und sie wiederholte ihn jedes Mal, wenn sich erneut zeigte, dass sie überhaupt niemanden kannte – wozu sich an jedem Vormittag Gelegenheit ergab.

Sie ließen sich auch in den Lower Rooms20 sehen, und hier war das Glück unserer Heldin gewogener. Der Zeremonienmeister21 führte ihr einen vornehmen jungen Herrn als Tanzpartner zu – er hieß Tilney. Er war etwa vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt, ziemlich groß, hatte eine angenehme Ausstrahlung, kluge, lebhafte Augen und sah zwar nicht wirklich gut aus, aber doch beinahe. Er besaß vollendete Manieren, und Catherine schätzte sich überaus glücklich. Während des Tanzens blieb ihnen wenig Zeit zum Plaudern, doch als sie sich zum Tee gesetzt hatten, fand sie ihn genauso liebenswürdig, wie sie es bereits vermutet hatte. Er sprach flüssig und temperamentvoll und hatte etwas reizvoll Schalkhaftes, Witziges an sich, auch wenn Catherine ihn nicht immer verstand.22 Nachdem sie sich eine Weile über Themen unterhalten hatten, die ihnen die Umgebung lieferte, sagte er plötzlich: «Ich habe bisher sträflich vernachlässigt, Madam, was sich hier an Artigkeiten einer Tanzpartnerin gegenüber gehört; weder habe ich Sie gefragt, wie lange Sie schon in Bath sind, noch, ob Sie früher schon einmal hier waren, ob Sie bereits in den Upper Rooms, im Theater und im Konzert waren und wie Ihnen überhaupt die Stadt gefällt. Ich war sehr unachtsam – aber haben Sie nun Zeit, meine Neugier nach näheren Einzelheiten zu stillen? Wenn ja, hole ich das Versäumte sofort nach.»

«Sie brauchen sich diese Mühe nicht zu machen, Sir.»

«Es ist wirklich keine Mühe, Madam.» Dabei verzog er das Gesicht zu einem starren Lächeln, dämpfte künstlich seine Stimme und fragte geziert: «Sind Sie schon lange in Bath, Madam?»

«Etwa eine Woche, Sir», antwortete Catherine und gab sich Mühe, nicht zu lachen.

«Wahrhaftig!», rief er mit gespieltem Erstaunen.

«Warum verwundert Sie das, Sir?»

«Ja, in der Tat, warum eigentlich», sagte er in seinem normalen Tonfall, «aber irgendeine Gefühlsregung muss Ihre Antwort ja auslösen, und Erstaunen ist leichter vorzutäuschen und nicht weniger einleuchtend als jede andere. Also machen wir weiter. – Waren Sie zuvor noch nie hier, Madam?»

«Noch nie, Sir.»

«Tatsächlich! Haben Sie schon den Upper Rooms die Ehre Ihres Besuches erwiesen?»

«Ja, Sir, ich war letzten Montag dort.»

«Waren Sie schon im Theater?»

«Ja, Sir, am Dienstag habe ich mir ein Stück angesehen.»

«Und im Konzert?»

«Ja, Sir, am Mittwoch.»

«Fühlen Sie sich denn wohl in Bath?»

«O ja, es gefällt mir sehr gut.»

«Jetzt muss ich noch einmal affektiert lächeln, dann können wir uns wieder vernünftig benehmen.»

Catherine wandte den Kopf zur Seite; sie wusste nicht, ob sie sich ein Lachen erlauben durfte.

«Ich sehe schon, was Sie von mir halten», sagte er ernst, «ich werde in Ihrem morgigen Tagebucheintrag nur eine traurige Figur abgeben.»

«In meinem Tagebuch?»

«Ja, ich weiß genau, was Sie schreiben werden: ‹Freitag. Ging in die Lower Rooms, trug mein geblümtes Musselinkleid mit den blauen Borten und schlichte schwarze Schuhe, wirkte sehr vorteilhaft, wurde aber seltsamerweise von einem komischen, schwachsinnigen Mann inkommodiert, der mit mir tanzen wollte und mich mit seinen Albernheiten behelligte.›»

«Niemals würde ich so etwas schreiben.»

«Soll ich Ihnen sagen, was Sie schreiben sollen?»

«Ja, bitte.»

«‹Ich habe mit einem sehr netten jungen Mann getanzt, der mir von Mr. King23 vorgestellt worden ist. Habe mich lange mit ihm unterhalten, scheint ein außergewöhnlicher Kopf zu sein – hoffe, ihn noch näher kennenzulernen.› Das, Madam, wünsche ich mir.»

«Aber vielleicht führe ich ja gar kein Tagebuch?»

«Vielleicht sitzen Sie auch nicht hier im Saal, und ich sitze gar nicht neben Ihnen? Genauso gut könnte man diese Tatsachen anzweifeln. – Kein Tagebuch! Wie sollen Ihre Cousinen in der Ferne ohne ein Tagebuch erfahren, wie Ihr Leben in Bath verläuft? Wie soll man von den täglichen Artigkeiten und Komplimenten berichten, so wie es sich gehört, wenn man sie nicht jeden Abend im Tagebuch vermerkt? Wie wollen Sie sich an Ihre verschiedenen Kleider erinnern, wie Ihren jeweiligen Teint und Ihre Locken in all ihrer Mannigfaltigkeit beschreiben, wenn Sie nicht ständig Zuflucht zu einem Tagebuch nehmen können? – Meine liebe Madam, ich bin nicht so ahnungslos, was das Verhalten junger Damen anbelangt, wie Sie gern glauben möchten; eben diese reizende Angewohnheit des Tagebuchschreibens trägt doch viel dazu bei, dass sich jener flüssige Schreibstil herausbildet, für den die Damen weithin bekannt sind. Jeder weiß, dass liebenswürdige Briefe zu schreiben ein typisch weibliches Talent ist. Die Natur mag das ihre dazu beigesteuert haben, aber sie wird kräftig unterstützt von der Angewohnheit, ein Tagebuch zu führen.»

«Ich habe mich schon manchmal gefragt», antwortete Catherine zögernd, «ob Damen wirklich so viel bessere Briefe schreiben als Herren. Ich meine – ich glaube nicht, dass die Überlegenheit immer auf unserer Seite war.»

«Soweit ich Gelegenheit hatte, mir ein Urteil zu bilden, erscheint mir der gängige Briefstil von Frauen makellos – bis auf drei Kleinigkeiten.»

«Und welche sind das?»

«Das Fehlen eines Themas, keinerlei Rücksicht auf Punkt und Komma und häufig keine Ahnung von Grammatik.»

«Meine Güte! Solch ein Kompliment brauche ich freilich nicht in aller Bescheidenheit zurückzuweisen. Auf diesem Gebiet halten Sie wohl nicht allzu viel von uns.»

«Ich würde es ebenso wenig als allgemein gültige Regel anerkennen, dass Frauen bessere Briefe schreiben, wie ich behaupten würde, dass sie besser im Duett singen oder Landschaften zeichnen können. Bei all den Fertigkeiten, die mit gutem Geschmack zu tun haben, sind die herausragenden Leistungen ziemlich gerecht auf beide Geschlechter verteilt.»

Sie wurden von Mrs. Allen unterbrochen. «Meine liebe Catherine», sagte sie, «ziehen Sie mir doch bitte diese Nadel aus dem Ärmel; ich fürchte, sie hat mir schon ein Loch hineingerissen. Es täte mir sehr leid, das ist nämlich eins meiner Lieblingskleider, obwohl die Elle Stoff nur neun Shilling gekostet hat.»

«Genau so viel hätte ich geschätzt, Madam», sagte Mr. Tilney mit einem Blick auf den Musselin.

«Verstehen Sie etwas von Musselin, Sir?»

«Sehr viel, ich kaufe mir meine Halstücher immer selbst und gelte als Kenner. Meine Schwester hat mich schon oft mit der Kleiderauswahl betraut. Erst neulich habe ich ein Kleid für sie gekauft, und alle Damen, die es gesehen haben, fanden es überaus preisgünstig. Ich habe nur fünf Shilling die Elle bezahlt, echter indischer Musselin.»

Mrs. Allen war hingerissen von seiner Urteilskraft. «Die meisten Männer achten kaum auf solche Sachen», sagte sie. «Ich bringe Mr. Allen nie so weit, dass er ein Kleid vom anderen unterscheiden kann. Sie müssen Ihrer Schwester eine große Hilfe sein, Sir.»

«Ich hoffe es, Madam.»

«Und was halten Sie von Miss Morlands Kleid, Sir?»

«Es ist sehr hübsch, Madam», sagte er und musterte es gedankenvoll, «aber ich glaube, es lässt sich nicht gut waschen, ich fürchte, es wird sich durchscheuern.»

«Wie können Sie nur …», lachte Catherine – fast hätte sie gesagt: «so seltsam sein.»

«Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir», erwiderte Mrs. Allen, «und das habe ich Miss Morland auch gesagt, als sie es kaufte.»

«Andererseits, Madam, lässt sich Musselin immer irgendwie verwenden; Miss Morland wird noch genug für ein Halstuch, eine Haube oder einen Umhang herausbekommen. Musselin kann man nie zu viel haben. Das habe ich aus dem Mund meiner Schwester schon hundertmal gehört, wenn sie in ihrer Verschwendungssucht mehr gekauft hat, als sie brauchte, oder es leichtsinnig verschnitten hat.»

«Bath ist eine hinreißende Stadt, Sir; es gibt so viele gute Geschäfte hier. – Wir leben leider recht abgelegen auf dem Lande. Nicht dass es in Salisbury keine guten Geschäfte gäbe, aber es ist so weit weg – acht Meilen sind ein weiter Weg. Mr. Allen behauptet ja, es seien neun, amtlich gemessene neun Meilen, aber es sind sicher nicht mehr als acht, und es ist so eine Schinderei – ich komme immer todmüde heim. Hier dagegen tritt man aus dem Haus und hat seinen Einkauf in fünf Minuten erledigt.»

Mr. Tilney war höflich genug, Interesse für ihre Worte vorzutäuschen, und sie nagelte ihn mit ihrem Musselinthema fest, bis der nächste Tanz begann.

Während Catherine dem Gespräch zuhörte, kamen ihr Bedenken, ob er sich nicht ein wenig zu sehr an den Schwächen anderer weide.

«Sie sind so ernst – woran denken Sie?», fragte er, als sie in den Ballsaal zurückkehrten. «Hoffentlich nicht an Ihren Tanzpartner, denn nach diesem Kopfschütteln zu urteilen, sind Ihre Gedanken nicht besonders erfreulich.»

Catherine errötete und sagte: «Ich habe an gar nichts gedacht.»

«Das ist zwar eine raffinierte und tiefsinnige Antwort, aber mir wäre lieber, ich bekäme gleich zu hören, dass Sie es mir nicht sagen wollen.»

«Na gut, ich will es nicht sagen.»

«Danke; nun werden wir bald gute Freunde sein, denn ab jetzt habe ich das Recht, Sie jedes Mal, wenn wir uns sehen, mit diesem Thema zu necken, und nichts auf Erden fördert so sehr die Vertrautheit.»

Sie tanzten wieder, und als der Abend zu Ende ging, trennten sie sich zumindest seitens der Dame mit dem lebhaften Wunsch, die Bekanntschaft zu vertiefen. Ob Catherine, während sie ihren warmen Wein mit Wasser trank und sich anschickte, zu Bett zu gehen, so viel an ihn dachte, dass sie anschließend auch von ihm träumte, ist nicht in Erfahrung zu bringen, aber ich hoffe, sie träumte nur im Halbschlaf oder höchstens im morgendlichen Dösen, denn wenn es stimmt, was ein berühmter Schriftsteller behauptet hat, dass nämlich eine junge Dame kein Recht habe, sich zu verlieben, bevor ihr der Herr seine Liebe erklärt hat,24 muss es sehr ungehörig sein, wenn eine junge Dame von einem Herrn träumt, bevor dieser Herr nachweislich von ihr geträumt hat.

Wie tauglich Mr. Tilney als Träumer oder Verehrer sein mochte, hatte Mr. Allen vielleicht noch nicht bedacht, aber dass es gegen ihn als unverbindlichen Bekannten seines jungen Schützlings nichts einzuwenden gab, dessen hatte er sich bereits durch Erkundigungen vergewissert. Schon früh am Abend hatte er sich die Mühe gemacht, nachzufragen, wer denn ihr Tanzpartner sei, und erfahren, Mr. Tilney sei Geistlicher und stamme aus einer höchst ehrbaren Familie in Gloucestershire.

4

Eifriger als sonst eilte Catherine am nächsten Tag in die Brunnenhalle, in der Gewissheit, Mr. Tilney dort zu sehen, noch ehe der Vormittag verstrichen war, und bereit, ihm mit einem Lächeln entgegenzugehen. Aber es wurde ihr kein Lächeln abverlangt, Mr. Tilney erschien nicht. Alle anderen Geschöpfe von Bath ließen sich während der Stunden, da sich die elegante Welt trifft, in der Halle blicken, Menschenmassen gingen ein und aus, treppauf und treppab, Menschen, an denen niemandem etwas lag und die niemand sehen wollte; nur er war nicht da. «Was für ein herrlicher Ort ist doch dieses Bath», sagte Mrs. Allen, als sie sich neben der großen Uhr niederließen, nachdem sie bis zur Erschöpfung durch den Raum gelustwandelt waren, «und wie erfreulich wäre es, wenn wir hier Bekannte hätten.»

Dieser Wunsch war so oft vergeblich geäußert worden, dass Mrs. Allen eigentlich keinen Grund mehr zu der Hoffnung hatte, er könnte sich ausgerechnet jetzt erfüllen, aber es heißt ja: «Verzaget nicht, erstrebt ihr noch so viel, denn nimmermüder Fleiß bringt euch ans Ziel.»25 Der nimmermüde Fleiß, mit dem sie sich Tag für Tag dasselbe gewünscht hatte, sollte nun endlich seinen gerechten Lohn erhalten, denn kaum zehn Minuten nachdem sie Platz genommen hatte, sprach sie eine Dame etwa ihres Alters, die neben ihr saß und sie bereits eine Weile aufmerksam betrachtet hatte, mit folgenden Worten höflich an: «Ich glaube, ich irre mich nicht, Madam; es ist eine Weile her, seit ich das Vergnügen hatte, Ihnen zu begegnen, aber heißen Sie nicht Allen?» Die Frage wurde bereitwillig bejaht, und nun nannte die Sprecherin ihren eigenen Namen, Thorpe, und Mrs. Allen erkannte nun sogleich die Gesichtszüge einer früheren Klassenkameradin und engen Freundin, die sie seit ihrer beider Verheiratung nur noch ein einziges Mal gesehen hatte, und das vor etlichen Jahren. Die Freude über diese Begegnung war groß. Hatten sie in den letzten fünfzehn Jahren, als sie nichts voneinander wussten, schon glücklich und zufrieden gelebt, mussten sie jetzt erst recht glücklich sein. Sie machten sich gegenseitig Komplimente bezüglich ihres guten Aussehens, beklagten, wie schnell die Zeit seit ihrem letzten Treffen vergangen sei, verrieten, dass sie nie vermutet hätten, der anderen in Bath zu begegnen, gaben ihrer Freude Ausdruck, eine alte Freundin wiederzusehen, und gingen dann zu den Fragen und Neuigkeiten rund um die Familien, Schwestern und Cousinen über, wobei beide gleichzeitig sprachen und jede viel lieber erzählte als zuhörte und nur wenig aufnahm von dem, was die andere sagte. Was den Gesprächsstoff betraf, war Mrs. Thorpe jedoch Mrs. Allen gegenüber im Vorteil, da sie eine kinderreiche Familie besaß, und während sie sich weitläufig über die Begabung ihrer Söhne und die Schönheit ihrer Töchter ausließ und von deren verschiedenen Berufen und Zukunftsaussichten berichtete – John war in Oxford, Edward an der Handelsschule in London, und William fuhr zur See, alle drei auf ihrem jeweiligen Posten beliebter und geachteter, als es jemals drei menschliche Wesen gewesen waren –, hatte Mrs. Allen nichts Vergleichbares zu bieten, keine triumphalen Berichte, die sie der Freundin ins widerstrebende, ungläubige Ohr flüstern konnte, und musste so wohl oder übel dasitzen und vorgeblich diesen mütterlichen Ergüssen lauschen. Sie tröstete sich jedoch mit einer Entdeckung, die ihr scharfes Auge sehr bald gemacht hatte, dass nämlich die Spitze an Mrs. Thorpes Pelisse26 nicht halb so schön war wie die an ihrer eigenen.

«Hier sind meine lieben Mädchen», rief Mrs. Thorpe und zeigte auf drei schmucke weibliche Wesen, die Arm in Arm auf sie zukamen. «Meine liebe Mrs. Allen, ich möchte sie Ihnen gern vorstellen, sie werden sich freuen, Sie kennenzulernen. Die Größte ist Isabella, meine Älteste; ist sie nicht eine wunderschöne junge Frau? Auch die anderen werden oft bewundert, aber ich glaube, Isabella ist die Hübscheste.»

Die drei Miss Thorpe wurden vorgestellt, ebenso Miss Morland, die vorübergehend in Vergessenheit geraten war. Der Name schien ihnen etwas zu sagen, sie wechselten ein paar höfliche Worte mit ihr, dann sagte die Älteste der jungen Damen laut zu den anderen: «Wie sehr Miss Morland ihrem Bruder gleicht!»

«Wahrhaftig, sie ist ganz sein Ebenbild», rief die Mutter, und die anderen wiederholten mehrmals: «Ich hätte sie an jedem beliebigen Ort als seine Schwester erkannt.» Einen Augenblick lang war Catherine verblüfft, aber kaum begannen Mrs. Thorpe und ihre Töchter die Geschichte ihrer Bekanntschaft mit Mr. James Morland zu erzählen, als Catherine einfiel, dass ihr ältester Bruder sich vor Kurzem in seinem College mit einem jungen Mann namens Thorpe angefreundet und die letzte Woche der Weihnachtsferien bei dessen Familie in der Nähe von London verbracht hatte.

Als dies geklärt war, äußerten die Misses Thorpe allerlei Verbindliches, wie zum Beispiel den Wunsch, Catherine näher kennenzulernen, von ihr als Freundinnen betrachtet zu werden, da ihre Brüder ja bereits befreundet seien, und dergleichen mehr, was Catherine voller Freude vernahm und mit sämtlichen ihr zur Verfügung stehenden höflichen Redensarten erwiderte. Zur Beglaubigung der neuen Freundschaft wurde sie gleich eingeladen, am Arm der ältesten Miss Thorpe durch die Halle zu schlendern. Catherine war entzückt über diese Ausweitung ihres Bekanntenkreises in Bath und vergaß über dem Geplauder mit Miss Thorpe beinahe Mr. Tilney. Freundschaft ist eben der süßeste Balsam für die Wunden enttäuschter Liebe.

Das Gespräch wandte sich jenen Themen zu, deren ungezwungene Erörterung eine rasch geschlossene Freundschaft zwischen zwei jungen Damen gewöhnlich schnell festigt, nämlich Kleider, Bälle, Flirts und lächerliche Personen. Da Miss Thorpe jedoch vier Jahre älter war als Miss Morland und mindestens vier Jahre erfahrener, war sie bei der Erörterung solcher Fragen entschieden im Vorteil; sie konnte die Bälle von Bath mit denen von Tunbridge27 vergleichen und die Moden hier mit den Moden von London, sie konnte die Ansichten ihrer neuen Freundin darüber, was eine geschmackvolle Garderobe ausmache, zurechtrücken, witterte einen Flirt, wenn ein Herr und eine Dame sich nur anlächelten, und vermochte mitten im dichtesten Gewühl eine komische Gestalt auszumachen. Diese Fähigkeiten wurden von Catherine, der sie gänzlich neu waren, gebührend bewundert, und die gewaltige Achtung, die sie naturgemäß hervorriefen, wäre einem vertraulichen Umgang vielleicht hinderlich gewesen, wenn nicht Miss Thorpes unbefangene Munterkeit und wiederholte Beteuerungen, wie sehr sie sich über die Bekanntschaft mit Catherine freue, jede Ehrfurcht hinweggewischt und nur zärtliche Zuneigung übrig gelassen hätten. Ihrer wachsenden Verbundenheit war mit einem halben Dutzend Runden durch die Brunnenhalle noch nicht Genüge getan, vielmehr musste Miss Thorpe, als alle aufbrachen, Miss Morland unbedingt noch bis vor Mrs. Allens Tür begleiten und schied dort mit einem liebevollen, langen Händedruck von ihr – nachdem sie zu ihrer beider Erleichterung erfahren hatten, dass sie sich heute Abend im Theater sehen und morgen in derselben Kapelle beten würden. Anschließend lief Catherine sofort nach oben und beobachtete vom Salonfenster aus, wie Miss Thorpe die Straße entlangschritt, bewunderte den anmutigen Schwung ihres Ganges, ihre elegante Figur und Kleidung und dankte dem Schicksal – mit gutem Grund –, dass es ihr eine solche Freundin beschert hatte.

Miss Thorpe war Witwe und nicht besonders vermögend; sie war eine heitere, gütige Frau und eine äußerst nachsichtige Mutter. Ihre älteste Tochter war sehr schön, und die jüngeren taten, als seien sie ebenso hübsch wie ihre Schwester, imitierten ihr Auftreten, kleideten sich wie sie und fuhren gut damit.

Diese kurze Schilderung der Familie soll Mrs. Thorpes eigene, unweigerlich lange, peinlich genaue Beschreibung all ihrer Abenteuer und Leiden ersetzen, die sonst wohl die folgenden drei oder vier Kapitel in Anspruch genommen hätte und woselbst die Niedertracht von Gutsherren und Anwälten dargelegt sowie Gespräche, die schon zwanzig Jahre zurücklagen, wortgetreu wiedergegeben worden wären.

5

Abends im Theater verbrachte Catherine zwar viel Zeit damit, quer über den Zuschauerraum hinweg Miss Thorpes Nicken und Lächeln zu erwidern, vergaß darüber aber nicht, neugierig in jeder Loge, die ihr Blick erreichen konnte, nach Mr. Tilney Ausschau zu halten. Doch sie suchte vergebens. Mr. Tilney mochte das Theater ebenso wenig wie die Brunnenhalle. Sie hoffte, am nächsten Tag mehr Glück zu haben, und als ihre Gebete um gutes Wetter mit einem strahlenden Morgen erhört wurden, zweifelte sie kaum noch daran, denn an einem Schönwettersonntag in Bath leert sich jedes Haus, und alle Welt zeigt sich bei dieser Gelegenheit, um spazieren zu gehen und den Bekannten zu verkünden, was für ein hinreißender Tag es sei.

Kaum war der Gottesdienst vorüber, taten sich die Thorpes und die Allens freudig zusammen, und nachdem sie sich lange genug in der Brunnenhalle aufgehalten hatten, um festzustellen, dass die Menschenmenge unerträglich und kein vornehmes Gesicht zu sehen sei – was jedweder Gast jeden Sonntag die ganze Saison über feststellte –, eilten sie weiter zum Crescent28, um die frische Luft besserer Gesellschaft zu atmen. Hier kosteten Catherine und Isabella erneut Arm in Arm und in freimütigem Gespräch die Freuden der Freundschaft aus; sie unterhielten sich lange und mit großem Genuss; aber einmal mehr wurde Catherine in der Hoffnung, ihren Tanzpartner wiederzusehen, enttäuscht. Er war nirgendwo anzutreffen, alles Suchen blieb erfolglos; er ließ sich weder auf den Morgenspaziergängen noch in den Ballsälen blicken, weder in den Upper Rooms noch in den Lower Rooms, weder auf den Galabällen noch auf den gewöhnlichen Tanzabenden, weder unter den Spaziergängern noch unter den Reitern oder Wagenlenkern. Sein Name stand nicht im Gästebuch der Brunnenhalle, und weiter konnte Catherine ihre Neugier nicht treiben. Er musste abgereist sein. Dabei hatte er gar nicht erwähnt, dass er nur so kurz hier sein würde. Dieses Mysterium, das einem Helden so gut ansteht, verlieh seinem Aussehen und Gebaren in Catherines Vorstellung noch mehr Reiz und verstärkte ihren Wunsch, mehr über ihn zu wissen. Von den Thorpes war nichts zu erfahren, die waren erst zwei Tage vor der Begegnung mir Mrs. Allen hier eingetroffen. Doch erörterte sie das Thema häufig und ausgiebig mit ihrer schönen Freundin, die sie nach Kräften anspornte, fleißig an ihn zu denken, und nicht duldete, dass der Eindruck, den er auf ihre Fantasie gemacht hatte, sich abschwächte. Isabella war überzeugt, dass er ein reizender junger Mann sein müsse; desgleichen wisse sie mit Bestimmtheit, dass er von ihrer lieben Catherine entzückt gewesen sei und deshalb bald zurückkehren werde. Sie schätze ihn umso mehr, als er Geistlicher sei, denn sie müsse gestehen, sie habe eine Schwäche für diese Berufsgruppe – und hier entschlüpfte ihr so etwas wie ein Seufzer. Es mochte ein Fehler gewesen sein, dass Catherine sich nicht nach der Ursache für diese zarte Gefühlsregung erkundigte, aber sie war in den Finessen der Liebe oder den Pflichten der Freundschaft noch nicht bewandert genug, um zu wissen, wann sanfte Neckerei am Platze war und wann auf Vertraulichkeit gepocht werden musste.

Mrs. Allen war nun restlos glücklich, restlos zufrieden mit Bath. Sie hatte Bekannte gefunden, die sich auch noch als die Familie einer hochgeschätzten alten Freundin entpuppten, und hatte, um das Glück vollzumachen, feststellen dürfen, dass diese Freunde keineswegs so kostspielig gekleidet waren wie sie selbst. Nun hieß es nicht mehr täglich: «Ich wollte, wir hätten Bekannte in Bath!» Ihre Ausrufe lauteten jetzt: «Wie froh bin ich, dass wir Mrs. Thorpe getroffen haben!», und sie förderte den Verkehr der beiden Familien miteinander nicht weniger eifrig, als dies ihre junge Schutzbefohlene und Isabella taten. Sie war nicht zufrieden, wenn sie den Tag nicht überwiegend an der Seite von Mrs. Thorpe verbracht hatte, mit sogenannten Gesprächen, bei denen es allerdings selten zu einem Meinungsaustausch kam und sie kaum jemals dasselbe Thema hatten, denn Mrs. Thorpe sprach hauptsächlich von ihren Kindern und Mrs. Allen von ihren Kleidern.

Die Freundschaft zwischen Catherine und Isabella, die so inniglich begonnen hatte, machte rasche Fortschritte und durchlief die verschiedenen Stufen wachsender Zärtlichkeit so schnell, dass es für ihre Angehörigen oder sie selbst bald keiner weiteren Freundschaftsbeweise mehr bedurfte. Sie nannten einander beim Vornamen,29 gingen immerzu Arm in Arm spazieren, steckten einander beim Tanzen die Schleppe hoch und waren in Gesellschaft unzertrennlich; und wenn ein verregneter Tag ihnen alle anderen Vergnügungen nahm, besuchten sie einander tapfer trotz Nässe und Schmutz, schlossen sich ein und lasen sich gegenseitig Romane vor. Ja, Romane! – Ich will nämlich die kleinliche, unkluge Angewohnheit so vieler Romanautoren nicht übernehmen, die verächtlich und missbilligend eben die Kunstform herabsetzen, in der sie sich selbst betätigen,30 und die sich mit ihren ärgsten Feinden zusammentun, indem sie diese Literatur mit den gröbsten Schimpfnamen belegen und kaum zulassen, dass ihre eigene Heldin sie liest, welche, so sie wirklich einmal nach einem Roman greifen sollte, die geistlosen Seiten garantiert angeekelt umblättern würde. Ach, wenn die Heldin eines Romans nicht einmal von der Heldin eines anderen Romans Unterstützung erfährt, von wem soll sie dann Beistand und Achtung erwarten? Ich kann das nicht gutheißen. Überlassen wir es doch den Rezensenten, nach Lust und Laune über solch fantasievolle Ergüsse zu zetern und bei jedem neuen Roman in abgedroschenen Sätzen den Schund zu beklagen, unter dem die Presse derzeit zu leiden hat. Wir wollen einander nicht im Stich lassen, wir Leidensgenossen. Obwohl sich die Leser über unsere Erzeugnisse häufiger und aufrichtiger freuen als über die jeder anderen aus der schreibenden Zunft hienieden, wird keine Literaturgattung dermaßen schlechtgeredet. Sei es nun aus Dünkel, aus Ahnungslosigkeit oder weil es gerade Mode ist – unsere Feinde sind fast so zahlreich wie unsere Leser. Und während der Verfasser des neunhundertsten Abrisses über die Geschichte Englands31 oder der Mann, der ein paar Dutzend Verse von Milton, Pope und Prior zusammen mit einem Aufsatz aus dem «Spectator» und einem Kapitel Laurence Sterne in einem Band zusammenwürfelt und veröffentlicht, von tausend Federn für seine Befähigung gerühmt wird, herrscht landläufig die Tendenz, die Leistung des Romanautors herabzusetzen, seine Mühe unterzubewerten und eine Kunstform, die nur durch Verstand, Witz und Geschmack anziehend wirkt, zu ignorieren.32 «Ich bin kein Romanleser – ich schaue nur selten in Romane hinein – glauben Sie ja nicht, dass ich oft Romane lese – für einen Roman ist das wirklich ganz gut», so hört sich dieses Gefasel meist an. «Und was lesen Sie gerade, Miss N.?» – «Oh, es ist nur ein Roman!», antwortet die junge Dame und legt das Buch gespielt gleichgültig oder auch vorübergehend beschämt zur Seite. «Es ist nur ‹Cecilia› oder ‹Camilla› oder ‹Belinda›»33