1,99 €
Es sollte das Fest ihres Lebens werden. Bei einer stimmungsvollen Schifffahrt auf dem Rhein wollten Sophie und Leo mit ihren Gästen ihre Verlobung feiern. Doch die Party auf der glamourösen MS Rheinkristall wird zum Albtraum.
Ein Feuer bricht aus, dichter Rauch und Flammen überziehen das Schiff, die Gäste geraten in Panik. Rettungskräfte eilen herbei, doch die Angst, dass nicht alle überleben, wächst mit jeder Minute. Inmitten der Katastrophe bangt Sophie um das Leben ihres schwer verletzten Vaters.
Und während das Chaos tobt, wird ihr eines klar: Selbst wenn ihr Vater gerettet wird, selbst wenn alle Gäste überleben, wird Leo vielleicht nicht mehr Teil ihrer Zukunft sein. Denn die Ereignisse dieses Abends haben große Zweifel an ihrer Liebe gesät ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Notfall auf der MS Rheinkristall
Vorschau
Impressum
Notfall auf der MS Rheinkristall
Schon von Weitem sehe ich den roten Feuerschein über dem Rhein – die MS Rheinkristall steht lichterloh in Flammen! An Bord: die Gesellschaft einer Verlobungsfeier, die durch den Brand ein jähes Ende gefunden hat. Als wir Rettungskräfte das Ufer erreichen, bietet sich uns ein Bild des Grauens. Unzählige Menschen sind in Panik ins Wasser gesprungen und kämpfen sich mit letzter Kraft ans rettende Rheinufer! Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks versuchen verzweifelt, sie aus der Strömung zu retten. Schreie von Deck hallen durch die Nacht ...
Nach Stunden des verzweifelten Kampfes um Menschenleben begegne ich der jungen Braut Sophie. Sie ist völlig aufgelöst! Ihr kranker Vater befindet sich noch auf dem brennenden Schiff! Etwas Schreckliches muss zwischen ihm und dem jungen Bräutigam Leo geschehen sein. Sophie will zurück an Bord – sie ist nicht mehr aufzuhalten! Und ich rechne mit dem Schlimmsten ...
»Wagen Zweiundachtzig-vier, Einsatzbereitschaft herstellen«, kam es über Funk. »Wagen Zweiundachtzig-vier, bitte.«
»Hier Wagen Zweiundachtzig-vier«, gab Mandy zurück und warf einen Blick zu Dr. Andrea Bergen, die sich soeben auf den Beifahrersitz des Notarzteinsatzfahrzeugs sinken ließ, den Gurt anlegte und ihr mit einem erhobenen Daumen Bereitschaft signalisierte. »Einsatzbereitschaft ist hergestellt. Wo geht es hin?«
»Ich leite die Zieladresse an euch weiter. Fahrt vorsichtig. Die Straßenverhältnisse sind zum Fürchten.«
»Verstanden.« Die junge Fahrerin, die ebenso wie die Notärztin Einsatzkleidung mit Leuchtreflektoren trug, warf einen kurzen Blick auf das Navigationssystem. »Adresse ist angekommen. Wir machen uns auf den Weg.« Sie startete den Motor, steuerte das Noteinsatzfahrzeug, kurz NEF, hinunter zur Straße und gab Gas.
Bald blieb das hell erleuchtete Elisabeth-Krankenhaus hinter ihnen zurück, und sie tauchten ein in ein weißes Wirbeln aus Schneeflocken. Seit Weihnachten schneite es immer wieder kräftig. Der Räumdienst war seit dem frühen Morgen unterwegs, schaffte es aber kaum, der weißen Massen Herr zu werden. Die Straßen waren weiß. Der Schnee knirschte unter den Reifen, und immer wieder sprang das ABS an und verhinderte, dass die Räder blockierten.
Mandy steuerte das Fahrzeug mit ruhiger Hand durch die Straßen der Stadt am Rhein. Zwischendurch warf sie einen Blick zur Notärztin. »Alles gut bei dir? Du bist ein bisschen blass um die Nase.«
»Alles gut. Ich hatte nur noch kein Mittagessen.«
»Wem sagst du das? Zurzeit geht es wirklich Schlag auf Schlag. Bei dem Wetter kommt ein Unfall nach dem anderen.« Mandy seufzte.
»Wenn wir zurück sind, brauche ich dringend einen Kaffee und ein Stück von dem Himbeer-Nuss-Kuchen in der Cafeteria, von dem alle schwärmen.«
»Der war vor ein paar Stunden schon alle, fürchte ich.« Mandy setzte den Blinker und bog in die Uferstraße ein. Das NEF schlitterte kurz. Mandy zog den Atem ein. »Eigentlich hatte ich nicht vor, eine Schneewehe als Parkplatz anzusteuern.« Sie brachte den Wagen wieder unter Kontrolle und gab Gas. »Die winterlichen Straßen sind nichts für Nervenschwache.«
Andrea Bergen murmelte etwas Zustimmendes.
Mandy drehte den Kopf und warf ihr ein Lächeln zu, bevor sie den Blick wieder auf die Straße richtete. »Ich wette, du lädst mich auf einen heißen Kaffee ein, wenn wir's heil schaffen.«
»Abgemacht. Ein Kaffee, wenn wir ohne einen Stunt ankommen«, sagte Andrea Bergen.
»Dann mach dich mal bereit, den Kaffee zu spendieren.« Ein Lächeln schwang in der Stimme der Fahrerin mit. Mandy saß nicht nur hinter dem Steuer, sie hatte auch eine Ausbildung zur Rettungsassistentin absolviert. Mit ihrer unverblümten Art, den kurzen Haaren, die auf einer Seite abrasiert waren, und den Tattoos, die sich über ihre Hand schlängelten, wirkte sie auf den ersten Blick ein wenig ruppig, aber unter ihrer rauen Schale verbarg sich ein Herz aus Gold. Sie war immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde.
»Wenigstens haben wir in diesem Jahr an Silvester frei«, sagte Mandy. »Die schlimmste Nacht von allen.«
»Beschrei es nur nicht.«
»Wieso? Glaubst du, es klappt nicht mit dem Freimachen?«
»Das weiß man nie genau.« Andrea Bergen freute sich auf den Silvesterabend mit ihrer Familie, aber sie war realistisch genug, um zu wissen, dass immer noch etwas dazwischenkommen konnte. »Gehst du mit guten Vorsätzen ins neue Jahr?«
»Nur mit einem.« Mandy bog in eine Gasse ab, an deren Ende eine weiße Kirche stand. »Ich habe den Vorsatz, keine guten Vorsätze mehr zu haben.«
Andrea lächelte. »Also bist du zufrieden mit deinem Leben?«
»Das auch, aber vor allem brauchen Veränderungen Zeit, um zu wachsen. An Silvester sollte man es krachen lassen und sich amüsieren. Für alles andere ist später immer noch Zeit.« Mandy zuckte mit den Schultern. »Was ist mit dir? Irgendwelche Vorhaben für das neue Jahr?«
»Jede Menge.« Andrea Bergen lachte. »Meine Familie bestürmt mich seit Wochen mit Ideen für Ausflüge und Urlaubsziele für das neue Jahr. Wie es aussieht, werde ich mir allerhand Zeit für meine Lieben frei schaufeln müssen, wenn wir auch nur einen Bruchteil davon schaffen wollen.«
»Kann ich mir vorstellen.« Mandy kicherte leise. Dann bremste sie das Einsatzfahrzeug sacht ab. »Wir sind da.« Sie waren vor einem hübschen gelben Mietshaus zum Stehen gekommen. Das Dach war tief verschneit, und auch der Vorgarten schlummerte unter einer weißen Decke dem Sommer entgegen.
Eine weißhaarige Frau stand am Gartentor und winkte ihnen.
Andrea Bergen stieg aus und biss unwillkürlich die Zähne zusammen, als ihr der bitterkalte Wind unter Jacke und Pullover kroch und ihr einen Schauer über den Rücken sandte. Der Winter zeigte sich in diesem Jahr von seiner frostigen Seite. Seit Tagen schneite es beinahe unablässig, und die Temperaturen blieben weit unter null.
Das kalte Winterwetter brachte nicht nur zahlreiche Einsätze für das Rettungsteam des Elisabeth-Krankenhauses, sondern auch einen hohen Krankenstand unter den Kollegen. Andrea Bergen hatte in den vergangenen Wochen viele Überstunden angesammelt – und von einem freien Tag konnte sie momentan nur träumen.
»Da sind Sie ja endlich!« Ein leiser Vorwurf schwang in der Stimme der Seniorin mit, als sie heftig winkte. »Kommen Sie! Bitte! Er ist hier!«
»Er« war ein graubärtiger Mann, der sich im Schnee unter einem zerbrochenen Fenster krümmte. Sein Gesicht hob sich kaum von dem weißen Flockenwirbel ab, so bleich war er. Scherben glitzerten um ihn herum im Schnee. Und unter ihm zeichnete sich eine tiefrote Lache im Weiß ab ...
Die Notärztin registrierte mit Bestürzung die Menge des Blutes. »Ich bin Dr. Andrea Bergen«, stellte sie sich vor und setzte ihre Einsatztasche ab. »Ich werde mich um Sie kümmern. Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
»Carl Hofer«, ächzte der Verletzte. »Bin ... Hausmeister hier.«
»Ich habe Herrn Hofer gebeten, meine Jalousie zu reparieren«, warf die Seniorin ein. »Die klemmt immer. Während er gearbeitet hat, habe ich uns Kaffee gekocht. Da höre ich es plötzlich klirren und seinen Schrei. Mein Leben lang werde ich den nicht mehr vergessen. Ich dachte wirklich, er würde ermordet.«
»Ich hab das Gleichgewicht verloren und bin von der Leiter gefallen«, murmelte der Hausmeister. »Geradewegs durch das Fenster ...« Er presste einen Lappen auf seine Seite. Der Stoff mochte früher einmal blau gewesen sein, aber jetzt war er dunkel vor Blut. Die Lache unter ihm wurde größer und größer.
Er würde verbluten, wenn er nicht schleunigst Hilfe bekam!
»Wir brauchen einen Rettungswagen für den Transport in die Klinik«, wandte sich Andrea Bergen an ihre Begleiterin.
»Ich hänge mich gleich ans Funkgerät.« Mandy nickte und strebte zurück zum NEF.
Derweil vergewisserte sich Andrea Bergen, dass von dem zerbrochenen Fenster keine weitere Gefahr mehr ausging. Dann machte sie sich daran, sich einen Überblick über die Verletzungen des Mannes zu verschaffen.
Er hatte mehrere tiefe Schnittwunden. Teilweise steckten noch Scherben in seinem Fleisch, aber darum konnten sich später die Chirurgen kümmern. Jetzt galt es, seine Blutungen zu stillen und den Kreislauf zu stabilisieren.
Andrea legte einen Druckverband an seiner Seite und ein Tourniquet an seinem rechten Bein oberhalb des Schnittes, um die Blutung zu stoppen. Carl Hofers Atmung war schnell und flach, seine Haut kaltschweißig, sein Herz raste. Er stand kurz vor einem Schock!
Mandy kehrte mit einer Rettungsdecke zurück, die sie über seinen Beinen ausbreiteten, um ihn halbwegs warm zu halten. »Der Rettungswagen wird in vier Minuten hier sein.«
»Danke dir.« Andrea Bergen bereitete eine Infusion vor und versorgte ihren Patienten mit Kochsalzlösung. Anschließend entschied sie, ihm zusätzlichen Sauerstoff zuzuführen, um seine Sauerstoffversorgung zu optimieren. »Wir bringen Sie ins Elisabeth-Krankenhaus, Herr Hofer.«
»Kein Krankenhaus«, ächzte er. »Mag den Geruch dort nicht.«
»Um ein paar Tage da werden Sie wohl nicht herumkommen.«
»Auch das noch.« Bebend strich er über sein Gesicht.
Andrea Bergen entging sein Zittern nicht. »Sie frieren.«
»Ja, das auch, aber das kommt nicht nur von der verflixten Kälte.« Er brummte kurz. »Ich habe Parkinson.«
»Ich verstehe.« Andrea Bergen nickte. Das erklärte seinen Sturz. Schüttellähmung machte den Körper im Lauf der Zeit steif und ungelenk. »Soll ich jemanden für Sie anrufen? Sie werden einige Sachen für die Klinik brauchen.«
»Da gibt es niemanden.« Er schüttelte bedächtig den Kopf, und Bedauern grub sich in sein faltiges Gesicht ein. »Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Meine Beziehungen ... haben nie lange gehalten. Ich war unstet, bin von Frau zu Frau und von Job zu Job getingelt. Bin auf mich allein gestellt.«
»Haben Sie Kinder, Herr Hofer?«
»Eine Tochter, aber ich will sie nicht mit meinen Sorgen behelligen. Das hat sie nicht verdient. Ich war ... kein guter Vater. Hab mich nur sporadisch um sie gekümmert. Wenn ich gerade Zeit und Geld hatte.«
Sie hörte die Reue in seiner Stimme. »Vielleicht wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, wieder Kontakt zu ihr zu suchen.«
»Besser nicht.« Die Lider ihres Patienten flatterten. Er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Undeutlich fuhr er fort: »Sophie ist ohne mich besser dran.«
»Ich glaube nicht, dass sie das auch so sehen würde.« Andrea Bergen spitzte die Ohren und lauschte auf ein sich näherndes Martinshorn. Wo blieb denn nur der Rettungswagen?
***
Wow! Sophie blieb vor dem Schaufenster des Brautmodengeschäfts stehen und riss die Augen auf. Hinter dem Glas war das schönste Hochzeitskleid ausgestellt, das sie jemals gesehen hatte, und es schien nur auf sie zu warten.
Es war im Ballkleid-Stil. Das Oberteil war mit einem tiefen, herzförmigen Ausschnitt gestaltet und mit feinen, handgestickten Perlen verziert, die in einem kunstvollen Wellenmuster schimmerten. Ein transparentes Overlay aus Spitze erstreckte sich über die Schultern und umrahmte sanft das Dekolleté.
Die langen Ärmel aus hauchzarter Spitze reichten bis zu den Handgelenken und waren ebenfalls mit winzigen Perlen besetzt. Die schmale Taille ging in einen voluminösen Rock über, der aus mehreren Lagen feinstem Tüll und Seide bestand. Die oberste Lage des Rocks war mit zarten Stickereien und weiteren Kristallen versehen, die wie ein funkelnder Wasserfall daran hinabglitten.
An der Rückseite verlief eine Knopfleiste aus schimmernden Perlen entlang der Wirbelsäule bis hinunter zur Taille, wo eine Schleppe aus Tüll und Organza ansetzte, die bei jedem Schritt sanft über den Boden glitt. Diese Schleppe verlieh dem Kleid eine märchenhafte Note.
Sophie vergaß zu atmen, während sie das Kleid bewunderte. Sie stellte sich selbst darin vor, wie sie an Leos Arm aus der Kirche schritt ... und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Darin würde sie ihm Ehre machen. Das war gewiss.
Sie wagte nicht, das Geschäft zu betreten und sich das Kleid näher anzusehen, denn sie ahnte, dass es mehr kostete, als sie sich als Lehrerin leisten konnte.
Doch vielleicht könnte sie es nachschneidern?
Dank Großmutter Ella besaß sie nicht nur einige Übung, sondern auch eine Nähmaschine. Es wäre ein ambitioniertes Unterfangen, aber keineswegs unmöglich.
Sophie hob ihr Handy, um Fotos des Traums in Weiß zu machen ... als es plötzlich klingelte. Automatisch warf sie einen Blick auf das Display und las: Lissy.
»Ja?« Als sie sich meldete, wehte ihr eine atemlose Stimme entgegen.
»Hey, Schwesterherz, kannst du mich bitte vom Training abholen?«
»Sicher, aber wollte Mama das nicht machen?«
»Wollte sie, aber sie ist nicht aufgekreuzt.«
»Das sieht ihr gar nicht ähnlich.« Sophie schüttelte alarmiert den Kopf. »Hast du versucht, sie anzurufen?«
»Na klar, aber sie geht nicht ran.« Lissy schnaufte leise. »Was ist, kommst du mich holen? Ich friere mir hier draußen nämlich bald die Zehen ab.«
»Warum bist du denn nicht mehr in der Ballettschule?«, fragte Sophie.
»Weil die Trainerin gleich nach dem Unterricht abschließt. Dann kommt niemand mehr rein oder raus.«
Sophie hörte, wie ihre jüngere Schwester mit den Zähnen klapperte. »Ich mache mich sofort auf den Weg. Bin in zehn Minuten da.«
»Danke dir. Ich bin nicht schwer zu finden. Such einfach nach dem lebendigen Eis am Stiel.« Lissy klang dabei nicht witzig wie sonst, sondern eher kläglich.
»Verstanden. Ich beeile mich.« Sophie schob das Handy zurück in ihre Manteltasche, wirbelte herum und strebte dem Parkplatz zu, auf dem ihr Auto stand.
In der Ladenstraße herrschte der übliche nachweihnachtliche Trubel. Viele wollten ungeliebte Geschenke umtauschen, andere waren bei den letzten Besorgungen für den Silvesterabend. Sophie konnte kaum fassen, dass Weihnachten schon wieder vorbei war. Wie schnell das ging! Manchmal schien es, als würde die Zeit immer schneller vergehen.
Ihr roter Kleinwagen stand unter einer Laterne, die mit Schnee bedeckt war. Sophie kratzte rasch die Windschutzscheibe frei, auf der sich in der letzten Stunde eine dicke weiße Schneedecke gebildet hatte.
Dann stieg sie ein und sandte ein leises Gebet zum Himmel, dass die Batterie sie nicht schon wieder im Stich lassen würde. Und sie wurde erhört: Der Motor sprang sogleich an, und sie gab Gas.
Ihre Schwester besuchte zweimal in der Woche den Ballett-Unterricht. Lissy liebte das Tanzen und gab neben der Schule Nachhilfe, um sich das Geld für die Stunden bei Madame Florence zu verdienen.
Als Sophie in die Nebenstraße einbog, die links und rechts von mehrgeschossigen, kunstvoll verzierten Altbauten gesäumt war und an deren Rändern sich der Schnee häufte, trat ihre Schwester vor dem roten Backsteingebäude, in dessen Erdgeschoss die Ballettschule untergebracht war, von einem Fuß auf den anderen.
Lissy trug Leggins, warme Stulpen und eine wattierte Weste über einem silberfarbenen Glitzershirt. Dazu plüschig-weiße Ohrenschützer. Ihre blonden Haare waren zu einem straffen Knoten am Hinterkopf zusammengefasst, der ihren langen schlanken Hals frei ließ.
»Danke, danke, danke!«, prustete sie, während sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ, einen Schwall bitterkalter Winterluft mitbringend. »Noch fünf Minuten länger und ich wäre wirklich erfroren.«
»Von einem Eiszapfen kaum zu unterscheiden«, neckte Sophie sie.
»Genau.« Lissy grinste. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte. »Inzwischen habe ich Mama übrigens ans Telefon bekommen. Sie hat sich tausend Mal entschuldigt. Und sie bittet dich, sie zur Arbeit zu fahren, sobald du mich zu Hause abgesetzt hast.«
»Was ist denn mit ihrem Wagen? Hat Herr Eckstein sie wieder zugeparkt?«
»Schön wär´s! Nein, ihr Auto wurde gestohlen.«
»Nicht dein Ernst?!«
»Von Mister ›Unglaublich‹.« Lissy blies die Wangen auf und ließ die Luft entweichen.
»Der neue Bekannte, von dem sie uns vorgeschwärmt hat?«
»Genau der. Ich hatte gleich ein mieses Gefühl, aber Mama meinte, er wäre wahnsinnig nett, wahnsinnig klug und wahnsinnig gut aussehend. Stattdessen hat sich gezeigt, dass er nur wahnsinnig skrupellos ist.«
»Du liebe Zeit.« Sophie musste sich anstrengen, die Hände ruhig am Lenkrad zu lassen und nicht in die Luft zu werfen. »Wie konnte das denn passieren?«
»Er hat sie mit Blumen und Komplimenten eingewickelt, und ehe sie sich's versah, war ihr Autoschlüssel weg – und der Typ gleich noch mit. Sie beteuert, dass er trotzdem wahnsinnig reizend war.«
Sophie seufzte leise. »Sie ist einfach eine hoffnungslose Romantikerin.«
»Man sollte meinen, sie wäre inzwischen oft genug auf die Nase gefallen, um es besser zu wissen.« Lissy hob die Hände und klang mit einem Mal wesentlich älter als siebzehn.
Wer sie besser kannte, wunderte sich manchmal, dass sie drei alle verschiedene Nachnamen hatten: Sophie Keller, Lissy Schneider und Birgit Wunderlich. Ihre Mutter glaubte an die eine große Liebe und ließ sich nicht beirren, auch wenn ihre Partner stets auf und davon spazierten – mit ihrem Fernseher, ihren Ersparnissen oder ihrer besten Freundin ...
Lissy rieb die Hände aneinander, um sie aufzuwärmen. »Du warst shoppen, oder? Hast du etwas Schönes gekauft?«
»Nein, ich wollte nur ein bisschen schauen.«
»Nach Brautkleidern?«