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Aus den Aufzeichnungen der Notärztin:
Es ist spät, aber die Bilder des Einsatzes lassen mich nicht los. Noch immer sehe ich die Dunkelheit des Bergwerks vor mir, höre die bedrückende Stille, die nur durch das Knacken des Gesteins und unsere lauten Rufe unterbrochen wird. Unsere Rufe nach Florian und Max - zwei jungen Männern, die einfach nur ein Abenteuer suchten und sich so schnell in einem Albtraum wiederfanden. Immer wieder denke ich an ihre Familien, die mit jeder Minute mehr verzweifelten. Ihre Gesichter, dieses stille Hoffen und Bangen - all die Bilder haben sich eingebrannt. Und ich denke an Florian, dessen Leben wir retten konnten, der aber durch das Unglück sein Gehör verloren hat. Ich hoffe sehr, dass die Liebe seiner Freundin ihm die Kraft zum Weiterleben gibt ...
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Seitenzahl: 118
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Die leisen Töne der Liebe
Vorschau
Impressum
Die leisen Töne der Liebe
Es ist spät, aber die Bilder des Einsatzes lassen mich nicht los. Noch immer sehe ich die Dunkelheit des Bergwerks vor mir, höre die bedrückende Stille, die nur durch das Knacken des Gesteins und unsere lauten Rufe unterbrochen wird. Unsere Rufe nach Florian und Max – zwei jungen Männern, die einfach nur ein Abenteuer suchten und sich so schnell in einem Albtraum wiederfanden.
Immer wieder denke ich an ihre Familien, die mit jeder Minute mehr verzweifelten. Ihre Gesichter, dieses stille Hoffen und Bangen – all die Bilder haben sich eingebrannt.
Und ich denke an Florian, dessen Leben wir retten konnten, der aber durch das Unglück sein Gehör verloren hat. Ich hoffe sehr, dass die Liebe seiner Freundin ihm die Kraft zum Weiterleben gibt ...
»Wo bleibst du denn?« Florian stieß prüfend gegen die Haustür seines Freundes. Sie war nur angelehnt und schwang vor ihm ein Stück weiter auf. »Max? Bist du da?«
»Komm rein!«, kam eine dunkle Stimme von drinnen. »Und mach dir Tür hinter dir zu. Bevor wir aufbrechen, muss ich dir noch etwas zeigen.«
»Na, das kann dauern«, murmelte Florian, während er eintrat und die Tür hinter sich zuzog. Kaum hatte er einen Fuß über die Schwelle gesetzt, empfing ihn der warme Duft von frisch gebackenem Kuchen. Er nahm seinen Fahrradhelm ab und streifte die Schuhe ab, die er immer für längere Radtouren anzog. »Wo bist du denn?«
»In der Küche!«
Florian folgte der Stimme seines Freundes. Max und er hatten sich in aller Frühe für eine Radtour verabredet. Sie wollten den Rhein hinunterradeln und in ihrem Lieblingsgasthaus am Flussufer rasten.
Während er selbst in einer Dachgeschosswohnung nicht weit vom Stadtzentrum lebte, wohnte Max ebenso wie seine Schwester noch zu Hause bei seinen Eltern. Ein Umstand, der ihm während des Studiums sehr geholfen hatte, seine Ausgaben gering zu halten.
Vor ihnen lagen noch zwei Wochen Ferien, bevor sie beide ihre erste feste Anstellung antreten würden.
»Da bist du ja.«
Max stand mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Küchentisch. Ebenso wie Florian trug er ein eng anliegendes Fahrrad-Dress. Seine blonden Haare standen nach allen Seiten ab, als wäre er sich mehrmals mit der Hand hindurchgefahren, und seine Wangen glühten unternehmungslustig.
»Willst du auch einen Kaffee?« Ohne Florians Antwort abzuwarten, schenkte er ihm eine Tasse ein. »Bedien dich ruhig.« Er deutete auf eine hübsch bemalte Porzellanschale, in der eine Pyramide aus Muffins auf hungrige Gäste wartete.
»Hast du die selbst gebacken?« Florian beäugte das Backwerk skeptisch. Er kannte die Backkünste seines Freundes aus leidvoller Erfahrung. Einer seiner Kekse hatte ihn während der Schulzeit einen Zahn gekostet.
»Nur selbst gekostet«, erwiderte Max mit dem Anflug eines Schmunzelns. »Die Muffins hat Hannah gebacken, du kannst sie also ohne Bedenken verspeisen.«
»Okay.« Florian bediente sich selbst und biss in eines der süßen Gebäckteilchen. »Mhmm, Blaubeeren.«
»Ja, Hannah hat's drauf.«
»Die sind wirklich super.« Florian verspeiste den Muffin und spülte mit Kaffee nach. »Was genau wolltest du mir denn zeigen?«
»Das hier. Sieh dir das an ...«
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht entrollte sein Freund ein vergilbtes Papier auf dem Küchentisch. Er klemmte zwei Ecken unter Salz- und Pfefferstreuer ein und stellte ihre beiden Kaffeetassen auf die übrigen.
Florian beugte sich über das Dokument. »Was ist das?«
»Einen Bergriss. Mein Großvater hat ihn viele Jahre aufbewahrt. Ich habe ihn in seinen alten Sachen gefunden, als ich neulich den Dachboden aufgeräumt habe.«
»Der muss ja uralt sein.«
»Von 1823, um genau zu sein.«
»Ist das ein Original?«
»Nein, nur eine Kopie, aber die reicht für unsere Zwecke allemal aus.«
»Unsere Zwecke? Was meinst du damit?«
»Sieh mal genau hin.«
Florian beugte sich vor und folgte den Stollen und Schächten mit den Augen. Als ihm dämmerte, was er da vor sich hatte, beschleunigte sich sein Herzschlag.
»Ist das die Grube Herminenzeche?«
Max nickte.
»Sie war eines der wenigen Reviere, in denen Erz aus der Tiefe und nicht im Tagebau gewonnen wurde. Für viele gilt sie heute als verschollen.« Florian besah sich die Zeichnung genauer. »Du, das ist ein großartiger Fund. Mit dieser Karte müsste sich feststellen lassen, wo sich die Zeche genau befunden hat.«
»Absolut. Aber mit dieser Karte kann man noch viel mehr tun.«
»Wie meinst du das?«
»Ich war gestern schon mal vor Ort. Hab mich dort umgesehen. Und ich habe einen Eingang gefunden.«
»Einen Eingang?« Florian runzelte die Stirn.
»Einen Eingang«, bestätigte sein Freund.
»Warte!« Ein unliebsamer Verdacht stieg in Florian auf. »Du willst doch nicht etwa ...«
Sein Freund antwortete nicht, aber sein Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Genauso hatte er früher ausgesehen, wenn er etwas ausgeheckt hatte, das sie beide in Schwierigkeiten brachte.
Florian schüttelte den Kopf.
Sie waren nicht nur zusammen aufgewachsen, sondern hatten auch zusammen studiert. Beide waren sie Lehrer geworden – er für Latein und Chemie, sein Freund hatte sich für Sport und Geschichte entschieden. Max hatte schon immer ein großes Interesse an der Vergangenheit gehabt – und einen gewissen Abenteuersinn, den seine Schwester als »Hang, sich in Schwierigkeiten zu bringen« bezeichnete.
»Nein«, sagte Florian entschieden.
»Aber ja«, entgegnete Max. »Dort unten könnte sich ein kilometerlanges Netz aus Stollen und Querschlägen verbergen und ich weiß, wie man hineinkommt.«
»Schon möglich, aber das wäre ein immenses Risiko.«
»Wann hätte uns das jemals abgehalten?« Sein Freund wackelte mit den Augenbrauen.
»Diesmal ist es was anderes. Wir gehen nicht da runter«, sagte Florian bestimmt.
»Und ob wir das tun.«
»Nein. Auf keinen Fall.«
»Aber ja. Ganz sicher sogar.«
»Bist du verrückt? Dort unten war seit wer weiß wie langer Zeit niemand mehr.«
»Das macht es ja so aufregend. Wir werden die ersten Menschen sein, die die Grube seit über zweihundert Jahren betreten.«
»Das ist zu gefährlich, Max.«
»Was so lange gehalten hat, hält auch noch einen Tag länger.«
Florian stemmte die Hände auf den Tisch. »Niemals mache ich da mit.«
Aber Max gab nicht auf. »Komm schon. Wo bleibt dein Sinn für Abenteuer?«
»Der bleibt lieber über der Erde«, entgegnete Florian trocken.
»Das wird ein unvergessliches Erlebnis«, hielt sein Freund dagegen. »Wir haben monatelang geackert, um unser Zweites Staatsexamen abzulegen – und wir haben es gepackt. In zwei Wochen treten wir jeder eine Stelle als Lehrer an. Dann ist es Essig mit den Abenteuern. Genießen wir unsere Freiheit, solange wir noch können.«
»Wir werden arbeiten, nicht in die Sklaverei verkauft.«
»Im Schuldienst sind die Grenzen fließend«, meinte Max und deutete auf die Zeichnung. »Das hier ist eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt.«
»Wir sollten die Finger davon lassen«, meinte Florian.
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Schwester seines Freundes in die Küche wirbelte.
Hannah war zwei Jahre jünger als sie beide und arbeitete als Physiotherapeutin in einer kleinen Praxis am Stadtrand. Abends jedoch hing sie ihren Kittel an den Nagel und trat in einem Pub in der Innenstadt auf – mit einer Gitarre und selbst geschriebenen Liedern, die vom Leben zwischen grünen Hügeln und einer unglücklichen Liebe erzählten. Mit ihrer samtigen Stimme vermochte sie ihr Publikum zu fesseln und in Gedanken nach Irland zu versetzen – auf die Insel, für die sie schwärmte, seit sie noch klein gewesen war.
An diesem Morgen hatte sie ihre dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er ließ ihr herzförmiges Gesicht mit den grünen Augen frei, denen nie ein Detail zu entgehen schien. Sie trug Shorts und ein grünes T-Shirt, auf dem in gelben Lettern stand:
Nimm dir Zeit zum Träumen, das ist der Weg zu den Sternen.
Ihr Blick schwenkte zwischen ihrem Bruder und Florian hin und her.
»Was brütet ihr nun schon wieder aus?«, fragte sie.
»Nur ein kleines Abenteuer«, erwiderte Max und zog die Tassen von dem Papier, sodass es sich wieder zusammenrollte.
Seine Schwester kniff die Lippen zusammen und sah ihn zweifelnd an, bevor sie sich eine Flasche Hafermilch aus dem Kühlschrank holte und damit wieder in ihr Zimmer verschwand.
Florian merkte zu spät, dass er keinen Ton mit ihr gewechselt hatte. In ihrer Gegenwart war er immer irgendwie ... befangen.
Er wusste selbst nicht, warum. Schließlich kannten sie einander von klein auf. Vielleicht war es das. Sie wusste über alle Dummheiten Bescheid, die ihr Bruder und er früher begangen hatten, und sie kannte ihn so gut wie kaum jemand.
»Halt dich lieber an ihre Muffins«, brummte Max, »statt Hannah mit den Augen zu verschlingen.«
»Hab ich gar nicht«, murmelte er.
»Hm-m.« Max sah ihn vielsagend an.
»Du musst sie nicht beschützen. Das kann sie sehr gut selber.«
»Auch wieder wahr.« Sein Freund griente. »Meinetwegen können wir zu unserer Radtour aufbrechen ...«
»Gut.«
Florian atmete auf. Vielleicht hatte sich Max diesen verrückten Plan aus dem Kopf geschlagen. In eine uralte Mine zu steigen, erschien ihm viel zu gefährlich.
»... und morgen erkunden wir die Herminenzeche«, fuhr sein Freund da fort und seine Hoffnung zerstob in alle Winde.
»Das ist doch nicht dein Ernst?! Du willst wirklich da runter?«
»Aber ja. Diesen Nervenkitzel lasse ich mir nicht entgehen.«
»Das geht mir zu weit.«
»Das ist deine Entscheidung. Ich werde dich nicht zwingen, mich zu begleiten.«
»Soll das heißen, du gehst auf jeden Fall?«
»Na klar!« Max nickte.
»Aber man geht nicht alleine unter Tage! Das ist wie beim Tauchen. Ein zweiter sollte immer dabei sein.«
»Ich komme schon klar. Ich werde mich gut vorbereiten.« Die Augen seines Freundes blitzten unternehmungslustig.
Florian konnte nur mit Mühe einen Fluch zurückhalten. Er presste die Kiefer so fest zusammen, dass es in seinen Ohren knirschte. Er wollte nicht da runtersteigen. Aber seinen Freund allein losschicken? Geradewegs in eine Gefahr hinein? Nein, das kam auch nicht in Frage. Also gab er sich einen Ruck und brummte:
»Na schön. Meinetwegen. Ich komme mit.«
»Echt? Super!« Max hieb ihm so begeistert auf die Schulter, dass er beinahe in die Knie ging. »Zu zweit macht es noch mehr Spaß. Ich bin froh, dass du dich umentschieden hast. Das wirst du nicht bereuen.«
Florian schwieg, denn er hatte das unbestimmte Gefühl, dass er das doch tun würde ...
***
»Das ist keine gute Idee.«
Florian beobachtete, wie sich sein Freund auf den Bauch hinunterließ und in das Erdloch kroch, das in seinen Augen kaum größer als der Eingang eines Dachsbaus war.
Max hatte nicht nur eine Lampe, sondern auch eine Kamera an seinem Helm befestigt, um ihr Abenteuer auf Video aufzunehmen.
»Das wird ein Hit auf TikTok!«, versprach er. Angestrengtes Keuchen mischte sich in seine Stimme, als er in die Tiefe glitt.
Florian tastete nach seinem eigenen Helm und spürte, wie Adrenalin und Sorge in seinem Inneren wühlten. Seine Haut kribbelte, und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das mulmige Gefühl in seinem Magen wollte und wollte nicht weichen.
Sein Freund war inzwischen vollständig in dem Loch verschwunden. Sie hatten vereinbart, dass Max vorauskriechen und ihm ein Signal geben würde, sobald er nachkommen konnte.
Max hatte im Vorfeld den Zugang zu der Herminenzeche nicht nur gefunden, sondern auch freigelegt – und mit Ästen getarnt, sodass kein Wanderer, der zufällig hier vorbeikam, darauf stoßen konnte.
Der Eingang lag mitten im Wald. Eingebettet zwischen sanften Hügeln und einem Bach. Ihre Fahrräder lehnten an einem Baum – zusammen mit zwei Paar Gummistiefeln, die sie mitgebracht hatten, die sich aber als zu klobig für den Abstieg erwiesen hatten.
»Bin unten!« Ein triumphierender Schrei kam gedämpft von unten.
Florian verdrehte die Augen und widerstand nur knapp dem Impuls, seinen Freund zu bitten, nicht solchen Lärm zu verursachen. Er hatte das Gefühl, dass ein einziger Fehler genügen konnte, um alles zum Einsturz zu bringen.
»Kannst kommen!«, drang es zu ihm herauf.
Florian schaute sich noch einmal um. Die Sonne schien warm durch die Baumwipfel, und das muntere Zwitschern der Vögel schien ihn zu fragen, warum um alles in der Welt er dem Tageslicht den Rücken kehren und sich in die Tiefe begeben wollte.
Max hatte ihn gedrängt, niemandem von ihrem Ausflug zu erzählen. Florian war nicht wohl dabei, aber er sagte sich, dass sie zu zweit waren und aufeinander aufpassen würden.
In zwei, drei Stunden sind wir hier raus, und dann wird alles nur noch ein großes, wunderbares Abenteuer sein, das hinter uns liegt, dachte er.
Er holte noch einmal tief Luft und knipste seine Stirnlampe an. Dann ließ er sich auf die Knie nieder und robbte in das Loch hinein. Seinen Rucksack mit der Ausrüstung schob er vor sich her. Kühle umfing ihn. Lose Wurzeln streiften über seine Arme und ließen ihn schaudern.
Stück für Stück kroch er die Schräge tiefer, arbeitete sich die Enge hinunter ... bis er auf einer Sohle ankam und im tanzenden Lichtkegel einen Gang vor sich sah. Hier wartete Max auf ihn. Er grinste.
»Willkommen in der Unterwelt«, sagte Max. »Pass auf, dass du dir nicht den Kopf stößt. Trotz Helm ist das nicht zu empfehlen.«
Die Decke war so niedrig, dass Florian nur geduckt stehen konnte.
Er buckelte seinen Rucksack auf. Dann nahm er seine Taschenlampe zur Hand und ließ das Licht über die grob behauenen Wände schweifen.
Auf einigen losen Steinen lag ein Werkzeug ... eine Keilhaue, deren hölzerner Griff morsch geworden war. Eine Grubenlampe lag ein Stück weiter. Hinterlassenschaften der Bergleute, die vor langer Zeit hier geschuftet hatten. Auf den moosbewachsenen Wänden liefen Insekten, die rasch in Spalten verschwanden, wenn das Licht seiner Lampe sie traf. Irgendwo tropfte Wasser. Schienen führten in das Dunkel der Zeche hinein.
Es war kühl hier unten, und Florian war froh über das langärmelige Shirt, für das er sich entschieden hatte.
Sie machten ein paar Schritte, und nach einigen Metern wurde der Stollen vor ihnen breiter. Metallene Halterungen an den Wänden zeugten von der Arbeit früherer Tage. Ein Berghunt stand auf den Schienen – ein oben offener Kasten mit Rädern, der für den Transport des abgebauten Erzes bestimmt war. Er war zurückgelassen worden, als die Grube erschöpft war und die Arbeiten eingestellt wurden.
Max hielt eine Kamera in den Händen und machte Fotos, zusätzlich zu den Videoaufnahmen seiner Helmkamera.
Ein Stück weiter gabelte sich der Stollen vor ihnen.
Florian leuchtete in einen der Gänge hinein, aber das Licht seiner Lampe reichte nicht weit genug, um ein Ende zu sehen.
»Vor uns erstrecken sich die Stollen vermutlich mehrere Kilometer weit«, raunte Max. »Und all das hat seit zweihundert Jahren niemand mehr gesehen. Ist das nicht überwältigend?«