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Der SV Darmstadt 98 in der Fußball-Bundesliga – das sei, wie mit einem Holland-Rad bei der Tour de France anzutreten, hat Vereinspräsident Rüdiger Fritsch einmal gesagt. Nach 34 Etappen hat dieses Holland-Rad zur Überraschung aller jedoch nicht nur das Ziel erreicht, sondern auch noch ein paar Tagessiege eingefahren. Von dieser unglaublichen Geschichte handelt dieses Buch. Spieltag für Spieltag, Tor für Tor und Punkt für Punkt wird die Geschichte eines der größten Außenseiter der Bundesliga-Geschichte erzählt – emotional und fachkundig aufgeschrieben und packend fotografiert.
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Seitenzahl: 102
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Liebe Lilien-Fans,
was war das für eine unglaubliche Saison. Gestartet sind wir als „krasser Außenseiter“, um „die Großen ein wenig zu ärgern“ (Trainer Dirk Schuster). Doch dann haben wir gemerkt, dass da mehr drin ist. Oft sind wir „mit einem Grinsen im Gesicht nach Hause“ gekommen (Schuster).
Wir sind gereist, zu Tausenden nach Dortmund, aber auch nach München, Hamburg und zum Schluss nach Berlin. Wir haben gezittert und geschimpft, aber auch gelacht und gejubelt. Wir haben um das Leben von Wuschel gebangt, jenem Fan, der beim Spiel gegen Schalke im Stadion wiederbelebt werden musste. Wir haben geweint, als Johnny gestorben ist, und gemerkt, dass Fußball nicht das Wichtigste auf der Welt ist.
Wir sind am Boden gewesen, als wir gegen Frankfurt verloren haben. Wir haben uns gewundert, als der Trainer danach mit der Mannschaft zum Bowling gegangen ist. Wir haben gezweifelt, als wir im vorletzten Spiel in Berlin hinten gelegen sind. Wir haben die Stirn gerunzelt, als Schuster beim Stand von 1:1 alles auf eine Karte gesetzt hat. Wir haben vor Freude geschrien und gebrüllt, als Sandro Wagner den Siegtreffer erzielt hat. Wir haben gefeiert, erst in Berlin, dann am Abend am Stadion und eine Woche später auf dem Karolinenplatz. Über all das ist unser Buch.
Wir maßen uns nicht an, das Phänomen Darmstadt erklären zu können. Das überlassen wir gerne dem Fußball-Feuilleton. Wir haben fotografiert und aufgeschrieben, was in dieser unglaublichen Saison passiert ist. Der Reihe nach, mal eher nachrichtlich, mal pointiert – ein Erinnerungsbuch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann, wenn man sich fragt, wie das noch mal war im ersten Bundesliga-Jahr der Lilien nach 33 Jahren.
Und ja: Dieses Buch gibt es in zwei Versionen. Zum einen als Sonderedition für einen Sponsor mit seinen Aktionen um den Verein. Und zum anderen als die Version, die Ihr gerade in der Hand haltet: konzentriert auf die Saison, den Verein, die Spieler und die Fans. Denn es zählt, was als Sprechchor immer wieder durch das Bölle hallt: Nur der Sportverein!
Arthur Schönbein und Stephan Köhnlein
VORWORT:
DER PRÄSIDENT: RÜDIGER FRITSCH
DER TRAINER: TRAINER DIRK SCHUSTER
Steckbrief
Best of Dirk Schuster
DIE SPIELER
Christian Mathenia
Lukasz Zaluska
Slobodan Rajkovic
Junior Diaz
Benjamin Gorka
Fabian Holland
Sandro Sirigu
György Garics
Aytac Sulu
Luca Caldirola
Jérôme Gondorf
Marcel Heller
Peter Niemeyer
Konstantin Rausch
Milan Ivana
Florian Jungwirth
Tobias Kempe
Jan Rosenthal
Mario Vrancic
Sandro Wagner
Felix Platte
Marco Sailer
Dominik Stroh-Engel
DIE SAISON
Runde DFB Pokal: Pflichtaufgabe erfüllt
1. Spieltag: Heller auf Kurs zum Torschützenkönig
2. Spieltag: Die Lilien als „ekliger Gegner”
3. Spieltag: Caldirolas Torlinien-Akrobatik
4. Spieltag: Sulu macht's mit Köpfchen
5. Spieltag: Aufwischen für Pep
6. Spieltag: Wagner trifft doppelt gegen den Ex
7. Spieltag: Ein schmeichelhafter Punkt
8. Spieltag: Niemeyers Maske und Wagners Fehlschuss
9. Spieltag: Rauschs Standards als Schlüssel zum Sieg
10. Spieltag: Jogis Besuch und Mathenias Selbstkritik
Runde DFB Pokal: Turbulente fünf Minuten
11. Spieltag: Erste Auswärtsniederlage
12. Spieltag: Brunos Rückkehr
13. Spieltag: Ein Sonntagsschuss dreht die Partie
14. Spieltag: Eine Tennisspielerin als Wurstverkäuferin
15. Spieltag: Lilien lassen Adler schlecht aussehen
16. Spieltag: Ohne jede Chance
Runde DFB Pokal: Alonsos Sonntagsschuss
17. Spieltag: Niederlage in Überzahl
18. Spieltag: Wagners Doppelpack dreht die Partie
19. Spieltag: Es gibt Wichtigeres als Fußball
20. Spieltag: Innenverteidiger auf Torjagd
21. Spieltag: Spionage-Affäre und plötzliche Gelbsucht
22. Spieltag: Achtungserfolg mit Rumpftruppe
23. Spieltag: Gerechte Punkteteilung im Kellerduell
24. Spieltag: Hätte, hätte, Fahrradkette
25. Spieltag: Kein Sieg in Überzahl
26. Spieltag: Fragwürdige Entscheidungen
27. Spieltag: Bitterer Ausgleich in der Nachspielzeit
28. Spieltag: Tiefschlaf vor der Pause
29. Spieltag: Gondorf als Balldieb
30. Spieltag: Rausch trifft, Mathenia hält
31. Spieltag: Klatsche in Köln
32. Spieltag: Matchball vergeben
33. Spieltag: Klassenerhalt! Wagner trifft
34. Spieltag: Sechs Abschiede und ein Heiratsantrag
DAS VORBILD: JONATHAN HEIMES
Ohne Johnny wär'n wir gar nicht hier
DIE REISEN: UNTERWEGS MIT DEN LILIEN
DAS STADION: BÖLLENFALLTOR
Zwischen Kulttempel und Millionengrab
Heimat der Lilien – Daten zum Stadion
DER KLASSENERHALT
DIE STATISTIK
Die Spiele im Stenogramm
Der Kader
Tabellen, Tabellen, Tabellen
Abschlusstabelle
Heim- und Auswärtstabelle
Hin- und Rückrundentabelle
DAS NACHWORT
DIE MACHER
Wenn es darum geht, die Rolle des SV Darmstadt 98 im Millionengeschäft Bundesliga zu beschreiben, ist Rüdiger Fritsch nie um einen knackigen Vergleich verlegen. Der Verein sei „die kleinste Trompete im Konzert der Großen“; im Fußball-Oberhaus zu spielen, sei für die Lilien, als würde man „mit dem Holland-Rad bei der Tour de France“ antreten, und überhaupt habe der Verein eines der „größten Märchen der Fußballgeschichte“ geschrieben.
Das Zitat vom „größten Märchen der Fußballgeschichte" stammt übrigens aus einem Interview vor Beginn der Bundesliga-Saison 2015/16, die die Lilien dann mit dem Klassenerhalt krönen und das Märchen somit fortschreiben.
An der unglaublichen Entwicklung des Vereins hat der 1961 geborene Wirtschaftsjurist großen Anteil. 2008 kommt er zu den Lilien, die zu diesem Zeitpunkt insolvent sind. Der damalige Präsident Hans Kessler holt mit Fritsch die geballte Finanzkompetenz. Dabei ist das Credo von Fritsch ganz einfach: „Auf Dauer wird man auf Pump nicht arbeiten können – weder im Fußball noch im normalen Leben.“
Im Gegensatz zu vielen anderen Vereinsfunktionären kann Fritsch sogar solide Fähigkeiten als Spieler vorweisen, war in der 4. Liga beim TSV Heusenstamm aktiv und ging dort durch die Schule von Trainer Werner „Beinhart“ Lorant . Als sich Kessler 2012 von der Spitze der Lilien zurückzieht, rückt der gebürtige Dietzenbacher folgerichtig nach.
Obwohl Fritsch nach eigener Aussage als Kind im Besitz einer Fahne von Erzrivale Kickers Offenbach gewesen ist, bestehen heute keinerlei Zweifel, dass er für die Lilien lebt. Den Verein im Profibereich zu halten, sieht Fritsch als die Hauptaufgabe für die Verantwortlichen bei den Lilien. Als er 2008 in der Regionalliga Verantwortung übernahm, war der Etat sechsstellig, in der Bundesliga liegt er bei etwa 35 Millionen. Solche Summen kennt Fritsch sonst nur aus seiner Arbeit als Wirtschaftsanwalt von mittelgroßen Unternehmen.
Seine Tätigkeit als Präsident übt er jedoch – wie auch die anderen Präsidiumsmitglieder – ehrenamtlich aus. Seine Amtszeit endet im September 2016, Fortsetzung ungewiss. Es hängt auch davon ab, wie sich bestimmte Dinge entwickeln, sagt er. Seinen Ärger über den Stadionumbau, der allenfalls schleppend vorangeht, hat er mehr als einmal deutlich gemacht. Dass ein Amt im Profifußball auf Dauer das Ehrenamt überfordert, lässt er ebenfalls immer wieder durchblicken. Und auch dafür hat er einen knackigen Vergleich: „Herzblut ist eine begrenzte Ressource.“
Hart, aber fair, ehrgeizig, humorvoll, mit einem feinen psychologischen Gespür und viel Gelassenheit, vor allem aber ein absoluter Fußball-Fachmann, der seinen Sport liebt, für ihn lebt und von sich selbst sagt: „Ich habe relativ schnell erkannt, dass ich zunächst mal nichts anderes als Fußball kann.“ Wer jenseits dieser Etiketten genauer wissen will, wie der Trainer und Mensch Dirk Schuster tickt, sollte sich den Bundesliga-Endspurt ansehen.
Drei Spieltage vor Schluss, die Partie zwischen Darmstadt und Frankfurt steht auf Messers Schneide. Schuster und Frankfurts Coach Niko Kovac diskutieren an der Seitenlinie, dann gibt Schuster seinem Kontrahenten im Kampf um den Klassenerhalt die Hand, beide lachen und umarmen sich. Darmstadt verliert das Spiel, die Chancen auf den Klassenerhalt sind bei dem schweren Restprogramm mit Spielen gegen die Champions-League-Aspiranten Berlin und Gladbach schlecht.
Doch Schuster bleibt cool. „Ich bin optimistisch, was die kommende Aufgabe betrifft“, sagt er nach dem Spiel. In der Woche darauf streicht er eine Trainingseinheit, geht mit der Mannschaft stattdessen auf die Bowling-Bahn – um „Reize zu setzen“, wie er sagt. Beim Konkurrenten in Frankfurt sorgt das für Belustigung. „Mit Bowling gewinnt man keinen Abstiegskampf“, erklärt Eintracht-Boss Heribert Bruchhagen. Darauf angesprochen, reagiert Schuster gelassen, würdigt Bruchhagens Verdienste und stellt klar: „Wir haben die Mannschaft natürlich nicht auf der Bowling-Bahn für Berlin vorbereitet, sondern auf dem Platz.“
In Berlin läuft es jedoch zunächst schlecht. Nach einer Viertelstunde liegen die Lilien zurück, rutschen damit auf den Relegationsplatz. Später gelingt der Ausgleich. Der Punkt könnte den Darmstädtern reichen, eine Niederlage würde sie jedoch in größte Not bringen. Die Schlussphase bricht an. Nahezu die gesamte Saison über hat Schuster in solchen Situationen auf Ergebnissicherung gesetzt. Nicht so in Berlin: In der 77. Minute bringt er in Felix Platte einen zweiten Stürmer, setzt alles auf eine Karte – und wird belohnt. Sandro Wagner erzielt wenige Minuten später den Siegtreffer, der den Lilien den Klassenerhalt beschert.
Geboren: 29. Dezember 1967
in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz)
Stationen als Spieler:
FC Karl-Marx-Stadt, Sachsenring Zwickau,
1. FC Magdeburg, Eintracht Braunschweig, Karlsruher SC,
1. FC Köln, Antalyaspor, VfB Admira Wacker Mödling,
LR Ahlen, SV Wilhelmshaven, SV Waldhof Mannheim,
ASV Durlach, FC Alemannia Wilferdingen
Größte Erfolge:
1986 U18 Europameister mit der DDR in Jugoslawien
1987 U20 WM-Dritter mit der DDR in Chile
1996 DFB-Pokal-Finale mit dem Karlsruher SC
4 A-Länderspiele für die DDR, 3 A-Länderspiele für den DFB,
200 Bundesliga-Spiele, 6 Tore,
Stationen als Trainer:
ASV Durlach, FC Alemannia Wilferdingen,
Stuttgarter Kickers,
seit 28.12.2012 SV Darmstadt 98 (Vertrag bis 30.06.2018)
Größte Erfolge als Trainer:
2012 Aufstieg 3. Liga mit den Stuttgarter Kickers
2014 Aufstieg 2. Liga mit dem SV Darmstadt 98
2015 Aufstieg Bundesliga mit dem SV Darmstadt 98
2016 Bundesliga-Klassenerhalt mit dem SV Darmstadt 98
Beim Jubeln und Feiern ist Schuster mit vollem Einsatz dabei. Doch das bedeutungslos gewordene letzte Spiel gegen Borussia Mönchengladbach will er trotzdem nicht herschenken, wie er vorher ankündigt. Die Lilien treten mit dem bestmöglichen Team an, spielen aber nicht gut, Schuster gestikuliert wild an der Seitenlinie. Doch als Gladbach 2:0 führt, steckt er zurück. Er schenkt Toni Sailer und Milan Ivana, die sich in den Vorjahren mit ihren Leistungen um den Verein verdient gemacht haben, doch noch einige Minuten Einsatzzeit, damit sie noch einmal das Bad in der Menge am Böllenfalltor genießen können.
Am Ende gewährt er seiner Mannschaft trotz der Niederlage sogar fünf Tage zusätzlichen Urlaub – obwohl dieser eigentlich auch an ein gutes Ergebnis im letzten Spiel geknüpft war. Auch das ist taktisch und psychologisch geschickt: Die Lilien werden nämlich trotzdem wie schon in den Jahren zuvor als eine der ersten Mannschaften im deutschen Profifußball in die Vorbereitung starten.
Seit seinem Amtsantritt Ende Dezember 2012 hat Schuster Unglaubliches geschafft und mit minimalen Mitteln aus einem Drittliga-Absteiger einen Bundesligisten gemacht. Er ist das Gesicht des Erfolgs, das hat man auch außerhalb von Darmstadt gemerkt. Was Begehrlichkeiten anderer Vereine angeht, hält sich der Coach stets bedeckt. Bis 2018 hat er in Darmstadt unterschrieben. Er ist keiner, für den Verträge nur wertloses Papier sind. Doch er ist auch kein Fußball-Romantiker. Bereits mehrfach hat er die Situation im Stadion und die Trainingsbedingungen scharf kritisiert. Und immer wieder betont er, dass sich eine Trainertätigkeit schlecht planen lasse – in beide Richtungen. „Fußball“, sagt er, „ist ein brutal schnelllebiges Geschäft.“
„Ich habe Jérôme Gondorf lieber auf dem grünen Rasen als im grünen Kittel im Kreißsaal."
(Über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf)
„Die Spieler fahren nicht nach Dortmund, um Trikots zu tauschen oder im Fan-Shop Bettwäsche zu holen.”
(Vor dem 2:2 bei Borussia Dortmund)
„Wir bleiben eklig.“
(Unangenehme Kampfansage)
„Sandro Wagner ist ein wuchtiger Wandstürmer, der weiß, wo das Tor steht.”'
(Mit dem Stabreim auf den Punkt gebracht)
„Christian Mathenia ist in Berlin zum Mann geworden."
(Über wichtige Erfahrungen seines jüngsten Stammspielers)
„Wir nehmen Abstand von Spielern, die kein Funkeln in den Augen haben.”
(Zu den Auswahlkriterien für Neuzugänge)
„Wenn ich mich jeden Tag mit Problemen rumschlagen muss, weil zum Beispiel der Platz nicht gemäht ist, keine Linien drauf sind oder die Löcher nicht zugemacht wurden, wenn die Duschen teilweise kalt sind, wenn man das Gefühl hat, dass es keinen interessiert, was mit der Mannschaft passiert, dann krieg ich Kotzreiz.“
(Über die zeitweise widrigen Arbeitsbedingungen)
„Übergewicht gab's nur im Trainerstab.“