Oberbayerischer Treibsand (Ruhrpottler auf Urlaub in Oberbayern) - Lothar Schenk - E-Book

Oberbayerischer Treibsand (Ruhrpottler auf Urlaub in Oberbayern) E-Book

Lothar Schenk

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Beschreibung

...und das musst du wissen, sogar hier gibt es Mordopfer und Mörder. Und jetzt pass auf. Eigentlich wäre der sechsundzwanzigste August ja ein Tag wie jeder andere gewesen. Die Dicke von nebenan sitzt vorm Fernseher. Zweistündlich hält der Zug. Entweder er fährt Richtung Salzburg. Oder er fährt Richtung Mühldorf. Seit gestern zwitschern immer mehr Vögel. Und immer lauter. Vielleicht auch nur Einbildung. Und die Post kommt erst nachmittags. Dauernd neue Postboten. Da fehlt es gleich überall. Und das ist schon eine Last, das Urlaubmachen. Immer neue Situationen. Immer neue Sinnestäuschungen. Immer neue Eindrücke, obwohl du doch alles schon kennst, und dann noch das Bier, und der Obstler, und der Schweinsbraten und und und, und da denkst du leicht einmal, wäre ich doch besser Daheim geblieben. Wie gesagt, eigentlich wäre der sechsundzwanzigste August ein Tag wie jeder andere gewesen, wenn nicht der Notarztwagen und die beiden Polizeiautos vorm Nachbarhaus gestanden wären…

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Lothar Schenk

Oberbayerischer

Treibsand

(Ruhrpottler auf

Urlaub in Oberbayern)

Oberbayern Krimi

Books on Demand

BoD

Frühstart ist wichtig! Die wahren Abenteuer sind im Kopf, sagen die Kenner, und ob du es glaubst oder nicht, genau so ist es, und gleich die Frage: Warum?

Pass auf. Wenn du als Kind einen Wasserkopf hast punktieren dir die Ärzte so lange bis der Gardasee volläuft, oder sie geben auf, und dann sagen sie: Bringt nichts. Dann kannst du selber schauen.

Depression ist anders. Du schläfst als Säugling beim Saugen ein. Du schläfst mit Vierzig Fieber ein. Du schläfst in der Schule ein, sogar beim Sport. Und du hast die phantastischsten Ideen und Wünsche im Kopf. Und dann ist das doch kein Wunder, wenn du eines guten Tages als Frührentner gedankenversunken vor dem barocken oberbayerischen Dorfkirchenaltar stehst, und jetzt kann´ s losgehen…

Lothar Schenk wurde 1954 in Borken geboren und lebt in Kirchanschöring.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

„St. Coloman bei Tengling

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15: Erinnerungen an eine frühere Bibione Party:

Epilog

Prolog

„Dat die Bayern alle voll einn anne Klatsche hamm, dat weiß doch jeder, manchmal sogga no mehr als die Östareicher, abba dat wolln die alle nich wahr ham…“.

„Gets lass mal gut sein Hubbert. Hauptsache dat wa bald da sind, un nich sonn Stau wie ann Ierschenberg, fast vier Stunden. Siehse eigendlich die Anderen noch inn Rückspiegel, oda ham wa die verloren?“

„Also ich seh niemand Daisy, aba die kommen schon, wiersse sehn, der Emil kennt sich hier ja super aus, und der Willi war ja auch schon öfters hier.“

Es ist das Martyrium, auf das wir starren, weil der Mensch das Martyrium so sehr braucht, und da hängt der INRI am Kreuz und schaut, so als wolle er uns einladen, ihn vielleicht kurz mal am Kreuz zu vertreten.

Keine Frage. In oberbayerischen Kirchen ist das Martyrium irgendwie anders. Barocke Sinnenfreude betört den Betrachter, und noch mehr gesteigert wird sie im Rokoko, und da grenzt es ja wohl kaum an ein Wunder, wenn dem beeindruckten Besucher so profane Dinge wie Goldstück oder Goldbarren einfallen, denn warum eigentlich nicht.

Frühstart ist wichtig! Die wahren Abenteuer sind im Kopf, sagen die Kenner, und ob du es glaubst oder nicht, genau so ist es, und gleich die Frage: Warum?

Pass auf. Wenn du als Kind einen Wasserkopf hast punktieren dir die Ärzte so lange bis der Gardasee volläuft, oder sie geben auf, und dann sagen sie: Bringt nichts. Dann kannst du selber schauen.

Depression ist da anders. Du schläfst als Säugling beim Saugen ein. Du schläfst mit Vierzig Fieber ein. Du schläfst in der Schule ein, sogar beim Sport. Und du hast die phantastischsten Ideen und Wünsche im Kopf. Und dann ist das doch kein Wunder, wenn du eines guten Tages als Frührentner gedankenversunken vor dem barocken oberbayerischen Dorfkirchenaltar stehst, und jetzt kann´ s losgehen…

Im blauweißen Spätsommer, wenn die Schatten nachmittags schon länger und alle Gerüche intensiver werden, wenn du auf der Autobahn den Irschenberg abwärts Richtung Inntal rast, weil dir und deinem Automobil gerade hier das Rasen wie die Erlösung vorkommt, weil sich der stundenlange Irschenbergstau endlich aufgelöst hat, und dann kriecht dir wieder das Bayerngefühl im ganzen Körper und rundummedum, und das musst du wissen, es gibt verdammt viele Antworten, warum gerade Oberbayern von den meisten Menschen so stark mit Bayern gleichempfunden wird, quasi die Jodler die Trachtler die Fremden die Saupreußen die CSU das Miasanmia das Bier und und und, und die Landschaftsbilder verstärken dieses Gefühl natürlich noch, aber nicht nur die, das wird klar, wenn du die Autobahn bei Bernau verlässt und Richtung Prien fährst, dann kurz vor der Feuerwache Prien links abbiegst, auf dem schmalen Asphaltsträßchen erreichst du oben auf dem Hügel Urschalling, du parkst beim Mesnerwirt, besichtigst zuerst die romanische Kirche mit ihren einzigartigen Fresken, danach kehrst du beim Simmerl, also beim Mesnerwirt ein, und spätestens beim Schweinsbraten, dazu ein dunkles würziges Bier, später noch ein großes Stück seines selbst gebackenen Kuchens, dazu ein Haferl Kaffee, glänzen deine Augen, und jetzt spürst du die wohlige Wärme im Bauch, und dann schaust du dir den Wirt und seine Gäste an und denkst „mei schee“, und der Ruhrpottler, und davon sitzen auch einige beim Simmerl, würde lustvoll ausrufen: „Kummal Marianne, dat is Bayern!“

Dein Reiseziel ist die Region um den Waginger See, genauer gesagt die südöstliche Seite, eine beschauliche, vom Massentourismus noch weitgehend verschont gebliebene Gegend, der liebliche Rupertiwinkel, dazu gehören Ortschaften wie Kirchanschöring, Fridolfing, die alte Stadt Laufen und und und, und dann erzählt dir am zweiten Tag, abends beim Wirt, einer diese schauerliche Geschichte, und das musst du wissen, sogar hier gibt es Mordopfer und Mörder.

Und jetzt pass auf. Eigentlich wäre der sechsundzwanzigste August ja ein Tag wie jeder andere gewesen. Die Dicke von Nebenan sitzt vorm Fernseher. Zweistündlich hält der Zug. Entweder er fährt Richtung Salzburg. Oder er fährt Richtung Mühldorf. Seit gestern zwitschern immer mehr Vögel. Und immer lauter. Vielleicht auch nur Einbildung. Und die Post kommt erst nachmittags. Dauernd neue Postboten. Da fehlt es gleich überall. Und das ist schon eine Last, das Urlaubmachen. Immer neue Situationen. Immer neue Sinnestäuschungen. Immer neue Eindrücke, obwohl du doch alles schon kennst, und dann noch das Bier, und der Obstler, und der Schweinsbraten und und und, und da denkst du leicht einmal, wäre ich doch besser Daheim geblieben.

Wie gesagt, eigentlich wäre der sechsundzwanzigste August ein Tag wie jeder andere gewesen, wenn nicht der Notarztwagen und die beiden Polizeiautos vorm Nachbarhaus gestanden wären…

1

Die kleine Steffi steht schon seit zehn Minuten am Gartenzaun, und dass ihre Puppe Herr Meier heißt ist auch kein Zufall, denn Herr Meier ist der kleine dicke Mann, also der, der direkt neben der Kirche wohnt, und der hat ihr nämlich schon oft einen roten Lutscher geschenkt, und so einen roten Lutscher mag sie besonders gern.

Sie starrt Richtung Einfahrt des Nachbarhauses. Polizeiautos. Der Notarztwagen. Und dann kommt auch noch der Leichenwagen.

Die fünfundachtzigjährige Elisabeth liegt leblos im Flur ihrer Wohnung. Es gibt keine Anzeichen auf Gewalteinwirkung von Außen. Der Notarzt kann nur noch Elisabeths Tod feststellen. „Die verrutschte Zahnprothese hat die Luftröhre blockiert. Natürlicher Tod durch Ersticken.“ Doch Kommissar Zauner ist skeptisch und beschlagnahmt die Leiche. Sie wird in die Gerichtsmedizin gebracht und obduziert.

„Da vorne im Wald hängt ein Mann am Baum.“

„Woher weißt du denn das, Steffi?“

„Das hat mir Herr Meier gesagt.“

„Etwa der Mann, der neben der Kirche wohnt?“

„Nein Mama, Herr Meier, meine Puppe. Herr Meier hat auch gesagt, dass der Mann keine Arme und keine Beine mehr hat, und ein Auge fehlt auch.“

„Komm Steffi, wir gehen rein. Das hat sich Herr Meier doch bestimmt nur eingebildet.“

„Nein Mama, ganz bestimmt nicht. Du kannst Herrn Meier ja selber fragen.“

Im Wohnzimmer läuft noch der Fernseher. Regionalfernsehen Oberbayern. Und kaum sitzen die kleine Steffi, Herr Meier und die Agnes, so heißt die Mutter der kleinen Steffi, alleinerziehend, weil sich nämlich der Herr Baumgärtl, also der Vater der kleinen Steffi, Hans hieß er mit Vornamen, vor drei Jahren im Wald aufgehängt hat, die Schwiegereltern wohnen auch mit im Haus, also kaum sitzen sie auf dem großen Sofa vor dem Fernseher, da berichtet das Regionalfernsehen Oberbayern in seinen Nachrichten von den beiden Toten, einer Frau, die erstickt im Flur ihrer Wohnung lag, ihr Sohn hat sie dort gefunden als er mit den frischen Frühstückssemmeln vorbeikam, und der hat sofort den Notarzt und die Polizei gerufen, er wohnt nur wenige Hundert Meter weiter in der Ortsmitte, und einer Joggerin die einen verstümmelten jungen Mann gefunden hat, der mit einem langen Seil an einer hohen Buche hing, aus den Stümpfen seiner abgetrennten Arme und Beine und der leeren Augenhöhle tropfte dunkelrotes Blut, er konnte also noch nicht all zu lange tot gewesen sein. Sie rief mit ihrem Handy sofort die Polizei, und die war sehr schnell zur Stelle, denn sie waren ja kurz zuvor bei der erstickten Elisabeth und gerade erst losgefahren, also noch im Ortsgebiet.

Und jetzt pass auf, der Waldboden unterm Baum ist blutgetränkt und hat Scharen von Fliegen angelockt, und beim Baum steht die Joggerin, und dass ihr plötzlich der geschnitzte Holzjosef aus der Weihnachtskrippe eingefallen ist, darüber hat sie später noch oft nachdenken müssen, weil normal ist das ja nicht, denn wer denkt schon in so einer Situation an den Weihnachtskrippenholzjosef, wenn da oben über dir einer am Baum hängt, und dem Zauner ist natürlich auch einiges eingefallen als er mit seinen Kolleginnen in den Wald ist, zum Beispiel wie er nach der Weihnachtsfeier mit der jungen Polizistin und und und, und dann ruft die Christiane „Kuck mal, da hängt er!“, und der Himmel über den Baumwipfeln ist so schön blau, und die Sonne strahlt.

„Hast du schon gehört was heute Morgen der Maria passiert ist, als sie im Wald joggen war?“

„Nee, was denn?“

„Das haben sie ja auch in den Nachrichten gebracht.“

„Was denn? Jetzt erzähl schon.“