Oliven, Oleander und Ouzo - Clarissa Straßmayr - E-Book

Oliven, Oleander und Ouzo E-Book

Clarissa Straßmayr

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Beschreibung

In "Oliven, Oleander und Ouzo" lässt uns Clarissa Straßmayr an den Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen von Maria und Mia - besten Freundinnen - während ihrer 18-tägigen Griechenlandreise teilhaben. Sie vermittelt uns in diesem Roman aber auch vieles über die Kultur, die Landschaft, das Essen und die Menschen Griechenlands, erzählt von lustigen Begegnungen mit anderen Reisenden oder Einheimischen, und reflektiert über Touristen, Vorurteile und Umweltsünden, aber auch über Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dieser Roman soll aber auch ein kleiner Wachrüttler und Muntermacher für Touristen sein, Griechenland - ja überhaupt Urlaubsländer - mit allen Sinnen zu genießen und nicht nur 14 Tage am Hotelstrand bei mitteleuropäischer Kost zu verbringen.

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Inhaltsverzeichnis

Logbuch von Mia und Maria!

Mittwoch, 3. September 1986

Donnerstag, 4. September 1986

5. September 1986

6. September 1986

6. September 1986

7. September

8. September

Sonntag, 9.9.1986

10.9.

12.9.

13.9.1986

14.9.1986

15.9.

17.9.1986

18.9.1986

19.9.1986

Einige wichtige griechische Wörter/Redewendungen

Logbuch von Mia und Maria!

Wir schreiben das Jahr 1986. Sternzeit 21 Uhr 45 Minuten und ein paar Sekunden. Es ist der 2. September. (Sollte ein bisschen wie bei Raumschiff Enterprise klingen. Ja, ich weiß, es fehlen die passende Stimme und die charakteristische Musik).

Wir verbringen bereits über 21 Stunden im Zug Richtung Athen. Wir, das sind meine Freundin Mia und meine Wenigkeit, Maria.

„Meine Wenigkeit“ ist gut, denn im Vergleich zu Mia mit ihrer Größe von 1 Meter 95 Zentimeter bin ich wirklich klein. Ich reiche an der Messlatte nur bis 1 Meter und 56 Zentimeter. Mia und ich sind dicke Freundinnen. Schon seit der 5. Klasse des Bundesoberstufenrealgymnasiums. Vorher waren wir uns auch keine Unbekannten. Mia besuchte die A-Klasse der Hauptschule und war im Erdgeschoß des Neubaus untergebracht, während ich in der B-Klasse immer im Altbau untergebracht war, meist im 2. Stock. Diese räumliche Trennung begründete natürlich, dass unsere beiden Klassen kaum Kontakt hatten. Doch als jede von uns zu Beginn des neuen Jahres in der 5. Klasse des Bundesoberstufenrealgymnasiums ein wenigstens vom Sehen bekanntes Gesicht sah, schloss man sich aus Zweckoptimismus zusammen und daraus sollte eine dicke Freundschaft entstehen, die durch nichts und niemanden getrennt werden konnte. Getrennt wurden wir zwar nach der 6. Klasse wieder, da Mia in Mathematik große Schwierigkeiten bekam und sie es vorzog, die Klasse zu wiederholen. Aber wir trafen uns in den Pausen, verbrachten viel Freizeit miteinander und gingen gemeinsam auf die ersten Bälle. Außerdem sahen wir uns fast jeden Tag im Schulbus, da ihr Heimatort auch auf meiner Busstrecke lag. Das war nur ungefähr fünf Rad-Kilometer von meinem Elternhaus entfernt und somit konnten wir auch nach der Schulzeit schnell beisammen sein. Diese Freundschaft hielt auch den weiteren Trennungen - bedingt durch unser beider Universitätsstudium - stand. 1983 begann ich in Salzburg Paläontologie zu studieren und Mia startete ein Jahr später in Wien mit ihrem Veterinärmedizinstudium.

Schon nach meiner Matura-Reise, die meine Klasse und mich nach Griechenland geführt hatte, brachte ich Mia auf den Geschmack, dieses Land gemeinsam zu besuchen. Und nachdem wir in diesem Sommer fleißig gearbeitet hatten, um uns das nötige Geld für diese Reise zu verdienen, konnten wir vor 21 Stunden endlich starten.

Unsere Eltern waren nicht sehr erfreut gewesen, dass wir Mädels allein nach Griechenland fahren wollten. Wir zwei wohlbehüteten, gut umsorgten, braven Zwanzigjährigen planten ganz mutterseelenallein, viel hunderte Kilometer von den Eltern entfernt durch die Welt zu trampen?! Waren doch Salzburg und Wien schon so weit weg, musste es jetzt auch noch Griechenland sein?

Zwei Mädels, zwei junge Frauen – ganz allein – nur mit Schlafsack und Tramper-Rucksack bewaffnet. Was denen nur alles zustoßen konnte?

Allerlei Gefahren spukten in den Köpfen unserer Eltern herum. Allerlei Einwendungen machten sie zu Beginn unserer Planungen. Allerlei Sorgen wurden uns kundgetan. Allerlei Ängste und Befürchtungen geäußert. Aber nach vielem Hin und Her gelang es uns schließlich doch, unsere Eltern zu überzeugen, dass wir schon gut aufeinander aufpassen würden. Wir waren schließlich keine kleinen Mädels mehr, sondern selbstbewusste, zwanzigjährige, junge Frauen, die schon auf sich aufzupassen wussten.

Unsere lieben besorgten Eltern hatten uns gestern noch zum Hauptbahnhof nach Linz gebracht und uns schweren Herzens verabschiedet. Von dort starteten wir nach Salzburg, wo wir drei Stunden auf den Hellas-Express warten mussten. Wir hatten uns Plätze vorreservieren lassen. Hatten Glück gehabt, diese auch wirklich zu bekommen und im richtigen Teil des Hellas-Express zu sein.

Einer Freundin, die bereits vor vier Jahren maturiert hatte, beziehungsweise ihrer ganzen Klasse, war diesbezüglich nämlich etwas ganz Blödes passiert: ihre Sitzplätze waren im „falschen“ Zug reserviert worden. Der Hellas-Express rollt zur Hauptreisezeit immer aus drei Teilzügen bestehend nach Griechenland. Was aber keine der jungen Damen wusste und scheinbar auch das Reisebüro nicht, wo die Maturareise gebucht worden war. Eine Mitarbeiterin dieser Reiseagentur hatte ihnen die Abfahrtszeit des letzten Teilzuges genannt. Ihre reservierten Plätze befanden sich allerdings im ersten Teil, der eine Stunde vorher Salzburgs Hauptbahnhof passiert hatte. Karin, eine aus der Reisegruppe, die dessen Abfahrtsankündigung mitbekommen hatte, wurde ausgelacht, als sie ihnen aufgeregt verkündete, dass die Abfahrt des Hellas-Expresses schon zu diesem verfrühten Zeitpunkt und auf einem anderen Bahnsteig über die Lautsprecher ausgerufen worden sei. Alle vertrauten den Verlautbarungen, die ihnen vom Reisebüro auf die Reise mitgegeben worden waren. Keine schaute nach, was es mit dieser Ansage auf sich hatte. So warteten die Mädels brav über eine weitere Stunde in der Abfahrtshalle. Wie eine Schar aufgeregter Gänse flatterten sie damals mit ihren Koffern auf dem Bahnsteig umher, ein klein wenig hysterisch kreischend, nirgends am langen Zug, die auf den Reservierungsunterlagen angegebenen Waggonnummern findend. Irgendjemand aus der Gruppe bemerkte, dass drei Bahnsteige weiter gleich auch ein Zug nach Griechenland gleich abfahren würde. Also alle hinüber. Aber auch dort kein Ende der Suche. Die Schaffner dieses Zuges klärten die Reisenden aber endlich auf, dass es eben im Sommer zur Hauptreisezeit drei Teil-Züge des Hellas-Express gäbe. Trotzdem hatten sie keine Ahnung, wo sie nun einsteigen sollten. Schließlich konnte Silvie, die die ganze Planung der Maturareise übernommen hatte, von einem der Schaffner erfahren, dass es am besten wäre, in den Hellas-Express einzusteigen und ihre Reisegruppe einfach die freien Sitzplätze nehmen sollte. Reservierung hin oder her. Hauptsache im Zug. Das Ticket für den Hellas-Express würde auf alle Fälle gelten. Was allerdings später die Folge hatte, dass die meisten von ihnen von ihren Sitzen vertrieben wurden, als die rechtmäßigen Besitzer dieser reservierten Plätze Stationen später den Zug bestiegen, bzw. die Schaffner in Jugoslawien dafür gerne zusätzliches Geld kassiert hätten.

Diese Aufregung konnte ich hier – selbst ganz schön nervös vor der Abfahrt und dieser ersten großen Reise – nur alleine mit meiner Freundin – gut nachvollziehen. Aber wir waren ja durch die negativen Erfahrungen unserer älteren Mitschülerinnen vorgewarnt. Und auch bei meiner eigenen Maturareise, stiegen wir von der 8 C daher schon vor zwei Jahren in den richtigen Zug ein, auch wenn wir damals mit dem Athen-Express unterwegs gewesen waren. Also nicht nur aus eigenem Schaden wird man klug. Auch aus den Fehlern, die andere begangen haben, kann man lernen und selbst diese schon im Vorhinein vermeiden

Wir konnten an diesem Tag nur einfach alles richtig machen. Außerdem waren diese drei Teil-Züge sehr genau auf dem Fahrplan ausgewiesen, wie ich selbstverständlich als eines Eisenbahners Schwester sofort nachkontrollieren musste. Unverständlich, dass keine der jungen Fräuleins damals wenigstens ein Mal auf die Fahrplantafel geschaut hatte, sondern sich alle - fast alle - blindlings auf den Zettel vom Reisebüro verlassen hatten.

Ich bin da viel misstrauischer. Maria ebenfalls, wie sie mir berichtete. Unser erster Weg am Bahnhof ist zu diesen Tafeln, die einem genau über ankommende und abfahrende Züge informieren. Dann kommt noch ein Blick auf die übergroßen aktuellen Abfahrts- und Ankunftszeiten-Tafeln in der Bahnhofshalle, aus denen man die aktuellen Verspätungen und Änderungen der Gleise und Bahnsteige, auf denen die Züge abfahren oder einrollen, ersehen kann. Und natürlich musste man mit einem Ohr immer bei den Durchsagen sein, da sich ja auch manchmal Verspätungen, Änderungen der Bahnsteige usw. ergeben konnten.

Aber lassen wir dies. Irren ist menschlich. Auch wenn schon verwunderlich, dass sich 20 Menschen gleichzeitig so verwirren ließen. Da sieht man wieder einmal wie gutgläubig der Mensch ist.

Hauptsache - Mia und ich befanden uns jetzt im richtigen Zug!

Die erste Nacht nach Mitternacht war ziemlich schlaflos gewesen. Besonders arg vor allem für Mia, die sich wegen ihrer Mannequin-Größe um die Ecke legen musste (Zitat von Mia Z., 1986).

Motto der Nacht „ Es sind schon viele erfroren, aber erstunken (= durch Gestank gestorben= eigene Wortkreation von uns beiden) ist noch niemand, darum Fenster und Türen ganz fest zu.“

Man stelle sich ein kleines Zugabteil vor: da drinnen fünf ausgewachsene Menschlein mit all ihren Ausdünstungen und keinerlei Lüftung. Kaum hatten wir uns – Mia und ich saßen bei der Abteiltür – über die Füße und Leiber der Mitreisenden zum Fenster gequält und dieses geöffnet, wurde es auch schon wieder von einem der anderen Abteilgenossen geschlossen. Von Sauerstoffzufuhr hielten die Drei wahrlich nicht viel. Wir beide waren hier drinnen scheinbar die einzigen Frischluftfanatiker.

Unsere Abteilgenossen waren: zwei Engländer (Mann und Frau), vielleicht ein bis drei Jahre älter als wir – im Alter schätzen war ich allerdings noch nie sehr gut – ein Pärchen, ziemliche Schlafhauben und nicht besonders gesprächig. Vielleicht lag es ja auch an den Sprachschwierigkeiten. Unser Englisch hatte durch die Nicht-Benutzung in den letzten Jahren seit der Matura wirklich sehr gelitten, manche Phrasen waren einfach nicht mehr präsent und wir erlitten quasi eine Art Kulturschock, als wir plötzlich Englisch sprechen mussten.

Der dritte Reisegesell war ein Kölscher Bursche – also ein junger Mann aus der deutschen Stadt Köln - namens Udo. Ziemlich alternativ, aber nicht unsympathisch. Er sollte einmal - in vielen Jahren - seinen eigenen Angaben nach Lehrer werden.

Unsere Meinung dazu, nachdem wir ihn einige Stunden über Gott und die Welt reden gehört hatten: „Gott, bitte beschütze die Kinder und mach, dass er niemals mit seinem Studium fertig wird!“

Wir befinden uns nun zirka eine Stunde vor Skopje. Gehört zur Landschaft Makedonien und war vor vielen Jahrhunderten Heimat von Alexander dem Großen, einem der größten Feldherren aller Zeiten. Auch diese Nacht wird vorübergehen, und dann werden wir im sonnigen Griechenland und vor allem endlich an der frischen Luft stehen.

Eindrücke von Jugoslawien: abschreckend, grau in grau Bahnhöfe und Städte, Massen von Soldaten auf allen Bahnhöfen, die wir passierten, Müllhalden entlang der Bahnstrecke.

Ad Soldaten: es ist einfach unheimlich, wenn du an allen Ecken und Enden eines Bahnhofes Uniformierte mit Pistole im Gürtel und Gewehr im Anschlag stehen siehst.

War ein Zug mit Schwerverbrechern unterwegs? Hatten die Jugoslawen Angst, ein paar Zugreisende würden ihre Bahnhöfe stürmen? Sahen sie uns als Bedrohung? Oder waren sie nur um unsere Sicherheit besorgt?

Dazu marschierten regelmäßig nicht nur die Schaffner und die Zöllner durch den Zug, sondern auch bewaffnete, immer finster dreinschauende Soldaten. Auf der anderen Seite musste man sagen, war dies auch ganz gut, bot das doch einigen Schutz, falls z.B. Randalierer im Zug gewesen wären.

Dazu erschienen mir die Bahnhöfe grau, kalt, öde, unfreundlich. Ich war froh, nur auf der Durchfahrt zu sein. Konnte mir gar nicht vorstellen, in einem derart unwirtlichen Land Urlaub zu machen. An der Küste sollte es aber laut Berichten anderer Reisender sehr schön sein. Und ich erinnerte mich daran, dass auch mein Vater von der Insel Mali Losinj geschwärmt hatte.

Stunden später: händeringend und mit Stoßgebeten zum Himmel können wir nur sagen: „Hoffentlich werden wir diesen Tag überleben.“

Udo hat zu unserem Entsetzen gerade auf dem kleinen Abstelltischchen unter dem Abteilfenster seinen Gaskocher angeworfen, um sich sein Mittagessen zu kochen.

Uns erschien dies ein bisschen zu gefährlich, aber er blieb ganz ruhig und lässig. Meinte, alles bewege sich im grünen Bereich und sei total ungefährlich, er mache dies immer so.

Welch ein Trost!

So saßen wir nicht nur ob der Hitze, sondern auch wegen des Unterfangens unseres Abteilbewohners, mit Schweißperlen auf der Stirn, auf unseren Türplätzen und guckten mit argwöhnischen Blicken auf Udo und seinen Gaskocher.

Also ich wäre nie auf die Idee gekommen, in einem überfüllten Zug einen Campingkocher zu starten.

Welche Einfälle manche Leute haben, ist einfach sagenhaft. Eigentlich hätte ich hier im wackelnden Zug keine einzige Zeile schreiben wollen, aber unter diesen Umständen muss ich mich einfach ablenken und meine Nerven zu beruhigen versuchen, denn was dieser Typ hier macht, habe ich noch nie erlebt. Auf einem Campingplatz JA, in einem Zugabteil NEIN. Dieser Kölsche Bursche denkt absolut nicht an die Gefahren seines Unterfangens. Aber eigentlich wollte ich mich ja ablenken. Nun ertappe ich mich dabei, dass sich meine Gedanken schon wieder um Udo und seinen Gaskocher drehen. Vielleicht sollte ich die Landschaft beschreiben. Aber die ist ziemlich öde und gibt nichts her. Ziemlich eintönig eben, braun, gelb, alles versengt durch die Sonne und hunderte Kilometer weit nichts als abgeerntete Felder. Kaum Bäume. Kaum Häuser. Vereinzelt ein Bauernhof. Keine Orte und Dörfer. Zugfahrt kann echt langweilig sein. Noch dazu wo wir keinen Fensterplatz ergattern konnten. Gott sei Dank hat Maria gerade die Idee geäußert, auch unser Essen auszufassen. Also dann Mahlzeit!!!

Wie gesagt, so getan. Etwas umständlich, um ja niemandem die Rucksäcke auf den Kopf zu werfen, hievten wir diese aus dem Gepäcksnetz und holten unsere Proviantdosen heraus. Ein paar Knabbernossi, Brot und Tomaten. Eine gute Ablenkung!

Plötzlich geschah etwas für mich sehr Peinliches: ich hatte mir aus unserem Garten eigene, leckere Tomaten mitgenommen. Als ich in eine dieser knackigen, roten, sehr süßen und aromatischen Früchte biss, platzte plötzlich die Rückseite der Frucht auf und ein starker Schwall roter Sauce mit Kernen schoss heraus und genau auf Udos T-Shirt. Dieser wandte mir gerade den Rücken zu und starrte mit Heißhunger auf seinen Gaskocher am Fenster. Keine Reaktion auf die Tomaten-Dusche. Ich blickte hingegen total nervös und peinlichst berührt auf die roten Flecken auf seinem T-Shirt und dann ganz schockiert Mia an. Diese sah mich mit großen Augen und einem ebenfalls entsetzten, hilflosen Blick an. Sie kam mir irgendwie erstarrt vor. War ihr genauso peinlich wie mir. Das ist wahre Freundschaft! Leidet in allen Situationen mit mir mit!

Für einige Sekunden wusste ich wirklich nicht, was ich tun und sagen sollte. Einerseits war es ja so furchtbar komisch und ich hätte in großes Gelächter ausbrechen können. Andererseits war mir so etwas Peinliches schon lange nicht passiert. Ich bin vor lauter Scham wahrscheinlich genau so rot angelaufen wie meine Tomaten.

Hatte Udo überhaupt irgendetwas von dieser Sache mitbekommen? Hatte er gar nicht gespürt, wie sich dieses flüssige Etwas von Tomatensaft auf seinem Rücken breit machte? Sollte ich einfach so tun, als sei Nichts geschehen? Nach einigen Schrecksekunden überwand ich meinen hypnotisierten Zustand und meine Sprache wiederfindend sagte ich: „Udo, mir ist etwas sehr Unangenehmes passiert. Etwas von meiner Tomate ist auf dein T-Shirt gespritzt. Wenn du es ausziehst, dann wasche ich es dir“.

Aber nun geschah das Unglaubliche, worauf sich wir Freundinnen NUR noch intensiver anguckten.

Mit einer Seelenruhe erwiderte Udo – sich nicht einmal zu uns umdrehend: „Aber das macht doch nichts, Maria. Waschen brauchst du die Klamotten schon gar nicht. Als ich voriges Jahr in Spanien war, habe ich meine Kleidung zwei Monate nicht gewaschen!“

Das war sein Kommentar zu dieser Angelegenheit. Und damit war auch schon die ganze Sache für ihn erledigt. Er fixierte weiter seinen Gaskocher und seine geöffnete Alu-Dose - in großer Vorfreude auf sein leckeres Menü. Und wir? Wir waren so perplex, dass uns nichts, aber auch wirklich nichts, einfiel, was wir hätten antworten können.

Er erinnerte mich dabei an die Burschen aus der Buchserie „Burg Schreckenstein“. Die Jungs wohnten im gleichnamigen Internat und machten viele lustige Streiche. Einmal hielten sie einen Wettbewerb ab, wer sein Hemd am längsten, ohne es zur Reinigung zu bringen, tragen könne und wie hoch es nach dem Ausziehen stünde. Vor Schmutz und Schweiß usw.. Die Jungs hielten diesen Gestank aus. Die Schülerinnen des benachbarten Mädcheninternats, die zu dieser Zeit aufgrund eines Umbaus in ihrem Heim gerade auf der Burg bei den Jungs untergebracht waren, waren darüber aber nicht sehr amüsiert gewesen. Udo hätte bei diesem Wettbewerb teilnehmen können und wäre sicherlich an der Spitze gelandet. Der war ja scheinbar auch noch stolz darauf, dass nun auch noch Tomatenspritzer und ein paar Kerne seine Kleidung verzierten. Wollte damit am Ende seines Urlaubes gar mit dieser Geschichte vor seinen Freunden prahlen: „Und diese Flecken sind von Maria, einer kleinen Österreicherin, die mir auf der Fahrt von Salzburg nach Athen mein Shirt mit feinen roten Tomatenspritzern bereicherte.

Ja! Genialer Einfall: Jetzt weiß ich genau, warum er seine T-Shirts nicht wäscht. Er kommt im Urlaub mit vielen interessanten Leuten zusammen. Und wenn aus denen einmal etwas Berühmtes wird, kann er seine alten T-Shirts, die mit diesen Persönlichkeiten irgendwann einmal in Berührung gekommen sind, teuer versteigern lassen.

Und wenn ich einmal berühmt sein werde, weil ich irgendwelche Dinosaurier-Knochen von einer bisher unbekannten Art entdeckt haben werde, oder aufgrund meiner Funde, die Erdgeschichte etwas umgeschrieben werden muss, dann kann Udo sein T-Shirt um teures Geld verkaufen.

(verrückte Idee! Aber bei so einer langen Fahrt fällt einem eben auch viel Blödsinn ein).

Unsere Jause war vertilgt.

Udo hatte ohne Zwischenfälle, ohne unser Abteil in die Luft zu jagen und es zu verqualmen, ohne die Speise anbrennen zu lassen oder umzuschütten, seinen Proviant erwärmt, sein Dosenfutter verdrückt und den Kocher wieder im Rucksack verstaut. Nicht einmal der Schaffner, der draußen vorbeigegangen war und herein geguckt hatte, hatte sich an seiner Aktion gestört. Dabei hatte ich ganz fest gedacht, der Schaffner würde ausflippen, wenn er Udo sieht und ihm eine furchtbare Szene machen von wegen unverantwortlich, gefährlich, unvernünftig.

Er hatte nur lächelnd den Kopf geschüttelt.

Worauf ich meinerseits mit Kopfschütteln reagieren musste. Hatten wir etwas übervorsichtig reagiert? Dies war unsere erste Interrail-Fahrt. War es vielleicht so üblich unter Trampern?

„Also, in einem österreichischen Zug würde man dies ganz sicher nicht tun dürfen.“ Und diese Feststellung stammte von Mia. Die musste es schließlich wissen, denn ihr Bruder arbeitet bei den Bundesbahnen. Und auch ich bin viel mit der Bahn unterwegs. Aber jemanden, der sich sein Essen auf einem Gaskocher im Zug wärmt, habe ich bisher noch nicht erlebt.

Wir hatten nun ganz schön viel gegessen. Mia meinte, dass wir eigentlich zu viel von unseren Vorräten verspeist hätten. Aber wahrscheinlich war es der Duft aus Udos Alu-Dose, der unseren Speichelfluss anregte, unser Hungergefühl steigerte und uns somit mehr essen ließ, als wir geplant hatten und unsere Vorräte vertrugen. Es blieben ein paar Äpfel, etwas Schokolade, eigentlich nicht zu wenig Brot, ein paar Stück Käse und viele Kekse. Der Inhalt der alten Alu-Proviantdose wurde erstaunlich schnell immer weniger. Doch in Athen würden wir unsere Vorräte auffüllen können.

Hin und wieder ein Stück Schokolade naschen – Milka-Schokolade mit Trauben und Nüssen - tat gut. Vor allem der Seele. Denn diese litt schon sehr an der Enge dieses kleinen, heißen Zugabteils. Etwas Lesen, etwas Stricken, etwas Essen, eine kleine Unterhaltung mit der Freundin oder den anderen Abteilgenossen, ein kleiner Spaziergang den Gang entlang, der obligatorische Weg zur Toilette, den man am liebsten noch länger oder ganz aufgeschoben hätte, gelegentliche Blicke aus dem Zugfenster. Nicht sehr erbauend, da wir keine Fensterplätze hatten und so relativ wenig von der Landschaft mitbekamen. Was wir dann sahen, wurde gelegentlich von schönen Köpfen oder Rücken verstellt. Auf der Gangseite konnte man zwar die Leute draußen am Gang beobachten. Dies war auf Dauer aber auch uninteressant. Ein Bild, dass sich mir sehr negativ einprägte: die Verschmutzung entlang der Bahnroute. Es war nicht die Bevölkerung Schuld, nein es waren die durchfahrenden Reisenden (na gut, darunter befanden sich auch zahlreiche Jugoslawen), die einfach ihren Mist aus dem Fenster warfen. Gelegentlich, wenn man raus sah, besonders in größeren Kurven, konnte man aus anderen Abteilen sogar deren gerade hinausgeworfenen Müll durch die Luft segeln sehen. Viele der Zugreisenden schienen zu denken: „Aus dem Auge, aus dem Sinn.“ Dies war und ist für mich einfach unverständlich.

Wie konnten die Bahnfahrenden einfach alles rausschmeißen? Dachte niemand an die Folgen? War es den Reisenden einfach egal, wie es entlang der Strecke aussah? Erstens gab es in jedem Zugabteil einen Mistkübel. Gut, ich gebe zu, diese waren relativ klein, und wenn 6 Menschen ihr Jausen-Papier, Zigarettenschachteln, Flaschen und ihre Sunkist-Packerl entsorgten, war dieser Behälter schnell voll. Aber in größeren Bahnhöfen kamen immer wieder brave Reinigungsdamen und -männer, die die Abfalleimer entleerten. Zweitens hatten die meisten Reisenden Plastiktüten bei sich. Wir hatten ja viele mit Jausen-Sackerln einsteigen sehen. Diese konnte man doch mit den eigenen Essens-Resten befüllen, wenn der Proviant aufgegessen worden war. Aber die Mitnahme oder fachgerechte Entsorgung des eigenen Mülls schien scheinbar für die wenigsten Menschen löblich, sinnvoll und nötig. Also raus damit aus dem Zugfenster!

So nach dem Motto:

„Die anderen kümmern sich auch um die Umwelt nicht, da fällt mein Mist ebenfalls gar nicht ins Gewicht.“

Und so wurde die Landschaft entlang der Gleise mit Dutzenden Plastiktüten, Plastikflaschen, Tetrapacks, Bananenschalen – diese verrotteten wenigstens nach einiger Zeit und stellten im Sinne der Natur kein Übel dar – und anderem Unrat verunziert. Die Plastiktüten und jede Menge Papier hingen in den Sträuchern, den Grasbüscheln und den Disteln. Es sah irgendwie gespenstisch aus und einfach hässlich. Zu Hause wollen die Menschen sicher immer alles picobello haben, aber auf Reisen ist es ihnen scheinbar scheißegal, wohin sie ihren Mist entsorgen. Hauptsache weg.

Mia und ich gehörten wohl zu den Wenigen, die ihre Reste nicht in der freien Natur entsorgten und auf einen größeren Mülleimer in Athen warteten. Obwohl sich unsere Reisekameraden diesbezüglich auch vorbildlich verhielten. Bis auf einen Apfelputz von Udo gaben sie ihre Abfälle brav in den kleinen Müllbehälter. So alternativ wie Udo war, hatte ich allerdings auch nichts anderes von ihm erwartet.

Aber ehrlich: diese gewaltige Verschmutzung der Bahnstrecke durch die Zuginsassen hat mich schon sehr erschreckt. Können sich erwachsene Menschen wirklich so schweinisch, unvernünftig, umweltschädigend benehmen?

Ja, leider! Sie können es, wie wir mit eigenen Augen gesehen haben.

Egal, ob wir und unsere Familie oder Freunde am Berg unterwegs waren oder auf einem Badeplatz, unsere Abfälle wurden eingepackt. So gehörte es sich doch! So hatten wir es schon als kleine Kinder gelernt. Aber scheinbar hatten nicht alle Menschen eine solche Erziehung genossen und teilten diese Einstellung der Umwelt oder dem Müll gegenüber leider nicht alle Zeitgenossen mit uns. Entweder lernten sie es nicht oder der Umweltschutz war ihnen egal. Und manche entwickelten sich da zu regelrechten Schweinen. Oder sie dachten, wenn da eh schon genug Müll herumliegt, dann könnten sie ihren ebenso dazu werfen.

Jetzt war´s gerade sehr lustig: Udo hat ein paar Graffiti-Sprüche zum Besten gegeben. Wir haben uns zerkugelt vor Lachen.

Einige Sätze habe ich mir gemerkt:

+ Wozu noch recht-schreiben, wenn man links denkt?

oder

+ Zwei im Büro, und einer arbeitet. Ein Beamter und ein Ventilator.

+ Hast du Zahnpasta im Ohr, kommt dir alles leiser vor.

+“Jetzt geht es rund“, sprach die Schwalbe und flog in den Ventilator.

Und sehr passend für Udo – ich denke dabei an seine Aktion mit dem Gaskocher zurück: „Hülsenfrucht zu Abendbrot, morgens sind die Fliegen tot.“

„Latein ist die späte Rache der Römer an den Germanen“

Dann wusste dieser Kölsche Bursche noch viele Sprüche über Bauern. Wo hat der in Köln nur so viele Bauern kennengelernt? Mia hilft mir nun bei der Rekonstruktion dieser Aussagen über Landwirte. Konnte mir nicht alle merken. Aber gemeinsam schaffen wir es, sie so ungefähr wortgetreu aufzuschreiben. Und Udo dürfen wir auch fragen, wenn uns einer nicht ganz einfällt. Er ist nicht sauer, dass wir seine Ideen klauen. Es sind nicht seine Sprüche. Die gehören ganz Deutschland, meint er. Und jetzt gehören sie auch ganz Österreich!!! (HIHI!)

„Klebt der Bauer an der Mauer, war der Stier ein bisschen sauer.“

Inhaltlich gesehen, gar nicht lustig, vor allem wenn man bedenkt, dass bei uns auf den Bauernhöfen immer wieder Verletzungen der Bauern verursacht durch das Rindvieh passieren. Aber es reimt sich, und was sich reimt ist gut. Das sagte schon Asterix in einem dieser tollen Heftchen und auch der Pumuckl.

„Fällt der Bauer von der Tenne, erwischt es auch die Legehenne“

Ich hab Tränen gelacht bei diesem Ausspruch!

„Fällt der Bauer von der Leiter, find der Ochs dies ziemlich heiter“

„Fliegt der Bauer übers Dach, ist der Wind, weiß Gott, nicht schwach“

„Fährt der Bauer raus zum Jauchen, wird er nachts ein Deo brauchen“

„Wenn sich das Jahr zu Ende neigt, der Bauer in die Wanne steigt“

Letzteres ist sehr böse. Aber gelacht haben wir alle. Irgendwann mussten wir die jugoslawisch-griechische Grenze passiert haben und plötzlich waren wir in Thessaloniki. Eine lange, endlos lange Zugfahrt bis zum Bahnhof. Diese Stadt musste echt riesig sein. Häuser, Häuser, Häuser, und wieder Häuser. Nach einem kurzen Aufenthalt fuhren wir viele Kilometer die gleiche Strecke retour. Dachten schon an einen schlechten Scherz, weil es sehr, sehr lange wieder rückwärtsging, von wo wir doch gerade vor einer halben Stunde hergekommen waren. Meinten anfangs der Zug würde verschoben werden. Aber so weit einen Zug verschieben? Das kam eines Bundesbahners Schwester schon komisch vor. Endlich gab es dann doch eine Richtungsänderung nach Süden und wir fuhren durch eine neue Gegend. Immer wieder sahen wir auf unsere Karte. Wollten etwas Großartiges von Griechenland entdecken. Die Fahrtroute führte am Olymp vorbei.

Der Olymp, der Sitz der Götter. Mit 2917 Meter der höchste Berg Griechenlands. Eigentlich lag er so nah am Meer und so nah an unserer Reisestrecke, doch konnten wir beim besten Willen keinen Blick auf ihn erhaschen. War wohl auch schwierig, wo viele andere kleinere Hügel- und Bergketten, den Blick auf diesen Berg verstellten. Und alleine anhand der Karte fanden wir uns im ratternden, zwischen den griechischen Hügel- und Bergketten durchsausenden Zug in der schnell vorbeihuschenden Umgebung auch nicht zurecht. Ist so wie bei uns in den Bergen: wenn du in eine eher unbekannte Gegend kommst, muss der Berg schon sehr markant sein. Und erst wenn du drinnen im Täler-Gewirr des Lungaus oder mitten in den Hohen Tauern steckst. Dann kann dir sowieso nur ein Eingeweihter, ein Einheimischer alle diese vielen Gipfel erklären. Aber nur über eine Karte? Und noch dazu aus der Fahrt heraus, da wird es wohl ziemlich schwierig einen bestimmten, entfernten Gipfel ausfindig zu machen.

Und so sahen wir ihn eben nicht, den Sitz der Götter.

Der Sage nach soll hier die Schlacht zwischen den Titanen, die bei den Griechen die Naturgewalten verkörperten, und zwölf Göttern, die von Zeus angeführt wurden, stattgefunden haben. Die Götter siegten und so wurden die Naturgewalten gezähmt. Aber Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überflutungen und Stürme sind trotzdem geblieben. Viel hat dieser Kampf dann scheinbar nicht gebracht. Oder waren die „Zornesausbrüche und Racheakte“ dieser Naturgewalten früher noch viel stärker, gröber, zerstörender als heute?

Udo hat schon wieder Hunger. Er gräbt Brot aus seinem Rucksack aus und eine Tube Tomatenmark.

Und nun bin ich schon wieder sprachlos! Ich fasse es nicht! Jetzt streicht sich dieser Typ wirklich Tomatenmark auf sein Roggenbrot. Kann man noch Abartiger sein? Weiß gerade nicht, was ich als schlimmer empfingen sollte: diese Nahrungsmittel-Kombination von Udo oder was meine Mitschülerin Lydia einst in unserer Oberstufen-Zeit oft in den Pausen gegessen hatte, nämlich Laugen- oder Roggenweckerl – wohl gemerkt mit viel körnigem Salz auf der Kruste - mit Nutella.

Muss auf der anderen Seite beim Fenster rausschauen, sonst wird mir schlecht. Mia verdreht auch die Augen. Also dürfte diese Mahlzeit auch nichts Passendes für ihre Geschmacksnerven sein. Aber wir können nun gerade nicht darüber reden. Ich platze bald.

Viel Zeit verging. Eine unendlich lange Zeit. Dann passierten wir die Stadt Larissa. Laut Karte sollten wir bald in der Nähe der Stadt Marathon vorbeikommen.

Dies laut Richtung Mia erwähnend ereiferte sich der gescheite Udo sogleich uns erklären zu müssen, dass Marathon „Fenchelfeld“ bedeute. Fenchel – eine Gewürzpflanze, die hier, ja überhaupt im Mittelmeergebiet, sehr häufig vorkommt. Udo meinte auch, dass nach dieser Stadt eben die olympische Disziplin des Marathons benannt war.

Ne, wirklich???

Bei den Kriegen mit den Persern hatte hier im Gebiet von Marathon 490 vor Christus eine entscheidende Schlacht stattgefunden. Und als der Sieg gewiss, lief ein Soldat in voller Montur bis nach Athen - ungefähr 42 Kilometer - um den Herrschern die freudige Nachricht zu überbringen.

Als ob wir diese Fakten in Österreich nicht auch im Geschichte-Unterricht gelernt hätten?

Aber das mit dem Fenchelfeld, das war mir schon neu.

Man lernt eben nie aus!

Udo erzählte auch, dass damals Kränze aus Fenchel die Köpfe der Sieger bei der Olympiade oder anderen Wettkämpfen zierten.

Hallooo?!

War das eine Bildungslücke von uns?

Hatten wir immer falsche Fakten im Geschichte-Unterricht lernen müssen?

Oder: eine Verdrehung der Tatsachen durch einen deutschen Langzeit-Lehramtsstudenten, der österreichische Studentinnen zu verunsichern trachtete oder deren Geschichte-Wissen aufzupolieren versuchte?

Oder wollte er einfach nur gescheit daher reden, um uns zu imponieren?

Er konnte doch nicht wissen, dass ich noch dazu in Geschichte maturiert hatte. Von dem her war das mit Marathon um 490 vor Christus und den Perserkriegen nichts Neues für mich gewesen. Klar gehört das in den Geschichteunterricht aller Schüler schon in der Unterstufe. Und wer, wenn nicht so ein Geschichte-Freak wie ich, würde sich nicht merken, dass ein Soldat namens Phedippides in voller Rüstung die frohe Botschaft des Sieges im schnellen Lauf über 42,195 Kilometer – eben die Marathon-Distanz – nach Athen überbrachte und dann vor Erschöpfung tot zu Boden fiel. Seit damals wird diesem Soldaten zu Ehren übrigens jedes Jahr im Oktober der Internationale Marathon von Athen abgehalten. Allerdings in sportlicher Kleidung und nicht wie damals in schwerer Rüstung.

Ein Wahnsinn was dieser Phedippides geleistet hat!

Aber: wir hatten immer gelernt, dass die Gewinner mit Oliven- oder Lorbeerkränzen geehrt wurden. Von Fenchel hatte man uns nichts berichtet. Der wird bei uns als Tee stillenden Müttern sowie Babys und Kleinkindern zum Trinken verabreicht, wenn sie Blähungen haben. Also eher ein sehr trivialer Gebrauch dieser Gewürzpflanze, der weit entfernt war von Festen und Siegerehrungen.

Lösung dieser historischen Misere: vielleicht gab es einfach zu unterschiedlichen Zeiten oder auch an verschiedenen Orten voneinander abweichende Gepflogenheiten bei den Siegerehrungen, und es wurde damals sowohl Fenchel als auch Lorbeer als auch Oliven verwendet. Oder es beschränkte sich eben gerade im Zusammenhang mit dem Marathon-Lauf der Fenchel als Siegeszeichen – wenn Marathon schon Fenchelfeld hieß.

Oder: auf den Fenchel hatten halt unsere Geschichtelehrer immer vergessen, weil er in unseren Breiten keine so große Bedeutung wie bei den Griechen hatte. Lorbeeren und Oliven klangen ja auch viel exotischer.

Oder: Udo wollte uns ein Bären – einen großen dicken, Griechischen sogar – aufbinden.

Oder: Udo hatte es selbst nicht anders gelernt.

Und noch eine Möglichkeit gab es: er hatte dies gerade einfach frisch von der Leber weg frei erfunden.

Mittwoch, 3. September 1986

Sind nun im Olympos in Athen.

600 Drachmen pro Nacht werden dafür verlangt.

Nach Vielerlei - ach so schwierigem, kopfzerbrechendem Rechnen – haben wir herausgefunden, dass das Zimmer für uns beide zusammen nur 70 Schilling und nicht wie anfänglich angenommen 120-. Schilling kostet.

Na ja rechnen müsste man können!

Gott sei Dank hat das unser ehemaliger Mathe-Professor Erblinger nicht mitbekommen. Der hätte sich wieder seine spärlichen Haare gerauft und sich dann beklagt, dass wir mit unserem Nicht-Rechnen-Können an seiner abnehmenden Haarpracht schuld seien. Aber eigentlich war diese Aufregung seinerseits nur immer gespielt, denn die Ergebnisse unserer Schularbeiten waren immer äußerst zufriedenstellend gewesen. Also keine Spur von „nicht rechnen können“. Und zwischendurch wird man wohl als Schüler mal nachfragen dürfen, wenn etwas unklar ist oder schwer erscheint. Gelegentliche Ausrutscher bei dem einen oder anderen Schularbeiten-Beispiel mit eingerechnet. Und hin und wieder spielte auch das Gehirn nicht so mit, wie es sollte.

Doch zurück nach Athen, wo wir nach unserer Ankunft um 15 Uhr sogleich das nahe zum Hauptbahnhof gelegene Olympos aufsuchten, eine günstige Jugendherberge, und dort ein Zweibettzimmer im obersten Stockwerk bezogen.

Da liegen wir nun in unseren Betten.

Das Altstadthaus erschien uns ein wenig desolat. Der Putz bröckelte an vielen Stellen von der Wand, Fliesen waren zersprungen und die zweiflügelige, hohe Tür zu unserem Zimmer hing ziemlich windschief in den Angeln, mit vielen Spalten oben und unten, sowie seitlich. Wer wollte, hätte sie wohl schnell aus den Angeln gehoben! Nicht einmal das Absperren hätte einem Einbrecher standgehalten. Jedes Wort war durch sie hindurch zuhören. Und wenn der Wind ging - und der blies zur Zeit unseres Besuches zeitweise ordentlich - rauschte es laut durch die Spalten und erzeugte ein schönes Windgeheul.

Aber wir wollten ja auch keine Luxusherberge. Endlich eine eigene Rückzugsmöglichkeit nur für uns allein. Von seiner Geräumigkeit waren wir positiv überrascht. Nicht dicht gedrängt wie die Sardinen im Zugabteil. Es war wirklich ein schön großes Zimmer - mit einer Decke weit oben, mindestens 3 Meter, da konnte man eine mögliche vorhandene Gelse wirklich nicht so leicht erwischen wie in unseren niedrigen Räumen zuhause – Altstadtbau eben, wie Mia bemerkte. Der einzige Tisch mit zwei Stühlen stand in der Mitte des Hotelzimmers. An den gegenüberliegenden Seiten war je ein Bett. Und vom Bett zum Tisch waren es jeweils mindestens 2,5 bis 3 Meter. Auch von der Tür zu den Fenstern maß der Raum mindestens 5 Meter. Das war ja gegenüber unserem Zugabteil fast ein Tanzsaal.

Und außerdem - dieser Luxus! - mit einer feudalen Waschgelegenheit, wenn auch am Gang und mit anderen Hotelgästen zu teilen. Und das Wasser roch frisch. Nicht abgestanden, fast etwas nach Öl stinkend wie im Zug. Dazu war dort das Waschen eine nervende Angelegenheit gewesen, weil alles so eng war, nach einigen Stunden und vielen hunderten Fahrgästen pro Stunde extrem verschmutzt, und man in jeder Kurve hin- und hergeworfen wurde.

Und nun endlich Fenster zum Öffnen, die keiner sofort wieder schloss, und viel, ganz viel, frische Luft. Wenn auch Athener Großstadtluft mit Autoabgasen.