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Willkommen zurück in Bayview. Es ist Sommer. Und einer von uns ist wieder da.
Sommerferien in Bayview. Addy und ihre Freunde treffen zusammen, um Zeit miteinander zu verbringen: Bronwyn ist zurück aus Yale, Cooper macht Urlaub von seiner Baseballkarriere, Nate, Maeve, Phoebe und Knox sind ebenfalls vor Ort. Alles könnte so entspannt sein. Doch ein Thema beherrscht die Medien und die Bayview-Crew: Aufgrund eines juristischen Fehlers könnte Jake Riordan bald auf freiem Fuß sein und in Berufung gehen. Jener Jake, der mit Simon gegen die Bayview Four intrigierte und Addy fast umgebracht hätte. Addy und ihre Freunde wollen sich den Sommer dennoch nicht verderben lassen. Doch dann ist Jake auf freiem Fuß. Und eine von ihnen verschwindet …
Rasant, sexy, umwerfend: der neue raffinierte Thriller von der Weltbestsellerautorin von »One of us is lying«! Mit meisterhaft geplotteten Wendungen und einnehmenden, komplexen Figuren garantieren McManus' Bücher eine Suchtgefahr, der man sich nicht entziehen kann.
Weitere Titel der Autorin bei cbj:
One of us is lying
One of us is next
Two can keep a secret
The cousins
You will be the death of me
Nothing more to tell
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Seitenzahl: 511
Karen M. McManus
Aus dem amerikanischen Englisch
von Anja Galić
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Copyright © 2023 by Karen M. McManus, LLC
Published by Arrangement with Karen M. McManus
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »One of us is back« bei Delacorte Press, an imprint of Random House Children’s Books, New York.
© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Galić
Lektorat: Katarina Ganslandt
Covergestaltung: © Suse Kopp, Hamburg,
unter Verwendung mehrerer Motive von Getty Images
(drbimages, imagefruit, Henry Arden); Arcangel (Dianne Gralnick)
he • Herstellung: AJ
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-29372-7V003
www.cbj-verlag.de
Für meine Leser*innen
Addy
Montag,
22. Juni
»Echt jetzt? Das willst du dir angucken?«
Maeve greift nach der Fernbedienung und sieht mich mit hochgezogenen Brauen an. Keine Ahnung, warum sie mir so kommt, sie weiß ganz genau, dass ich das gucken will.
Das ist der einzige Grund, warum sie und ihre Schwester an diesem wunderschönen Sommertag mit mir bei ihnen im Fernsehzimmer vor der Glotze hocken.
»Hättest mich ja nicht zu fragen brauchen, ob ich vorbeikomme.« Ich nehme ihr die Fernbedienung weg, bevor sie sie durch den Raum pfeffern kann, richte sie auf den großen Flatscreen an der Wand und schalte durch die Programme, bis ich den Sender gefunden habe. »Ich lag gemütlich in meinem Zimmer und mir ging’s super.«
»Aber du weißt auch, dass es dir nicht mehr super gegangen wäre, nachdem du dir das angeschaut hast«, meldet sich Bronwyn aus einer Ecke der weich gepolsterten Couch. Im Fernsehzimmer der Rojas ist es viel gemütlicher als bei mir zu Hause, außerdem besteht hier kein Risiko, dass meine Mutter irgendwann den Kopf zur Tür hereinsteckt. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass dieser gesteigerte TV-Komfort mit Leuten einhergehen würde, die sich Sorgen um mich machen. Seit Bronwyn über die Semesterferien aus Yale zurückgekommen ist, versucht sie, mein Leben in die Hand zu nehmen, dabei reicht mir schon meine eigene ältere Schwester, die auch immer alles besser weiß.
Nicht dass ich mich beschweren will. Ich habe Bronwyn in unserer Bayview-Four-Chatgruppe vermisst. Wir sollten uns vielleicht langsam mal einen neuen Namen überlegen, mittlerweile sind wir nämlich zu neunt. Außer mir, Bronwyn, Nate Macauley und Cooper Clay gehören inzwischen auch Bronwyns jüngere Schwester Maeve und deren Freund Luis Santos dazu, Coopers Freund Kris Becker und Phoebe Lawton und Knox Myers aus Maeves Abschlussklasse an der Bayview High. Die Chatgruppe ist ziemlich pärchenlastig, nur Phoebe, Knox und ich sind Single. Wobei ich aber möglicherweise in Wirklichkeit der einzige echte Single bin, weil niemand Phoebe und Knox so wirklich abkauft, dass sie bloß Freunde sind, auch wenn sie es ständig beteuern.
Hm, Bayview Crew vielleicht? Ich greife nach meinem Handy und ändere den Namen. Sieht gar nicht so übel aus.
»Wer ist dieser Typ?«, fragt Maeve, den Blick mit leicht zusammengekniffenen Augen auf den Flatscreen geheftet. »Macht der die Anmoderation?«
Ich schaue zum Fernseher. »Nein. Das ist noch nicht die Übertragung von der Eastland High. Die fängt erst um drei an. Das ist … ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung.«
»Eine Gemeinderatssitzung«, sagt Bronwyn. Es überrascht mich nicht, dass sie das sofort erkennt; wahrscheinlich schaut sie sich solche Sitzungen öfter mal einfach so aus Spaß an. »Klingt, als würden sie gerade über den Haushalt abstimmen.«
»Gähn. Aber wenigstens geht es um ein Thema, das wirklich relevant ist.« Maeve streckt das Bein aus und verzieht kurz das Gesicht, als sie mit dem nackten Fuß gegen die Marmorplatte des Couchtischs stößt. »Ein Thema, das eine Fernsehübertragung verdient hat. Ganz im Gegensatz zu …«
»Das ist ein kleiner lokaler Fernsehsender, Maeve«, unterbreche ich sie. »Die sind bei ihrer Programmgestaltung nicht wählerisch.«
Meine Stimme klingt ruhig, aber mein Herz schlägt unangenehm hart gegen die Rippen. Ich bin hin- und hergerissen – einerseits wäre ich jetzt gern allein, andererseits bin ich froh, es nicht zu sein. Ein paar Minuten später erklärt jemand die Sitzung für beendet, die Kamera zoomt raus und die Sendepause wird mit Musik überbrückt. Bronwyn, Maeve und ich sitzen schweigend da und lauschen einer seltsam funky klingenden Instrumentalversion von »The Girl from Ipanema«.
Irgendwann wird eine zur Hälfte besetzte Schulaula eingeblendet und am unteren Bildschirmrand erscheint der Schriftzug Eastland High School: Die Sommer-Seminar-Reihe. Im selben Moment springt Bronwyn auf, stürzt zu mir rüber und schlingt die Arme so fest um mich, dass ich kaum Luft bekomme.
»Hey, was soll das?«, keuche ich.
»Du bist nicht allein, Addy«, flüstert sie eindringlich. Mir steigt Grüner-Apfel-Duft in die Nase: Bronwyns unverwechselbares Shampoo, das sie schon benutzt, seit ich sie kenne, und wahrscheinlich noch sehr viel länger, weil sie ein Gewohnheitstier ist. Als Nate wegen ihrer Fernbeziehung einmal besonders schlecht drauf war, habe ich ihm das Shampoo gekauft und eine große rote Schleife um die Flasche gebunden. Er fand das nicht witzig – ich schon. Sehr sogar. Es macht mir immer Spaß, seine Cool-King-Fassade aufzubrechen. Behalten hat er das Shampoo trotzdem.
»Stimmt. Das bin ich eindeutig nicht.« Ich schiebe mir mit der Zunge eine Haarsträhne aus dem Mund, bevor ich jeden Widerstand aufgebe und mich an Bronwyn schmiege, weil ich diese Umarmung gerade tatsächlich gut gebrauchen kann.
»Hallo, Schüler und Schülerinnen der Eastland High, und herzlich willkommen zum Auftakt unserer Sommer-Seminar-Reihe!« Der Mann hinter dem Stehpult stellt sich nicht vor, das muss er wahrscheinlich auch nicht, weil er ziemlich sicher Lehrer dort ist oder in der Verwaltung arbeitet. Ein Mann, der dafür verantwortlich ist, den Geist junger Menschen zu formen, die tausend Jahre jünger aussehen, als ich mich heute fühle, und dabei bin ich vor ein paar Monaten gerade mal neunzehn geworden.
»Schaut euch diese ganzen Streber an. Kaum zwei Wochen in Freiheit und schon zieht es sie wieder zurück an die Schule«, sagt Maeve, während der Mann mit Bekanntmachungen fortfährt, die unsere Schuldirektorin Ms Gupta gern »Organisatorisches« genannt hat – öde Mitteilungen, die vor der eigentlichen Veranstaltung noch schnell reingequetscht werden müssen. »Die gute alte Eastland High. Weißt du noch, wie du dort auf dem Parkplatz Sam Barron aufgelauert hast, Bronwyn?«
»Ich habe ihm nicht aufgelauert«, widerspricht Bronwyn, obwohl das Wort exakt das beschreibt, was sie getan hat. Aber es musste sein. Die Auflösung des Rätsels um Simon Kellehers Tod an der Bayview High während unseres Abschlussjahrs hing von Sam ab – dem Typen, den Simon an dem Tag, an dem wir alle zusammen nachsitzen mussten und er starb, für ein Ablenkungsmanöver bezahlt hatte. Sein Tod war die schlimmste Tragödie in der Geschichte Bayviews. Jedenfalls bis vor ein paar Monaten, als ein Nachahmungstäter ein tödliches Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel gestartet hat, das damit endete, dass wir auf dem Hochzeits-Probedinner meiner Schwester fast in die Luft gesprengt worden wären.
Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum wir nicht alle schleunigst aus Bayview weggezogen sind.
»Ich hab ihn damals nur dezent ausgefragt«, behauptet Bronwyn. »Was auch gut war, weil wir sonst …« Sie verstummt, als unsere Handys alle gleichzeitig plingen.
»Die Bayview-Four-Chatgruppe«, sagt Maeve, bevor ich nach meinem Handy greifen kann.
»Ach so, ich habe den Namen übrigens gerade in Bayview Crew geändert«, sage ich.
»Von mir aus«, sagt Maeve achselzuckend. »Kris schreibt, du sollst stark bleiben, Addy. Außerdem will er wissen, ob du immer noch Lust hast, morgen früh Waffeln essen zu gehen. Ich mag Waffeln übrigens auch, falls das für euch beide irgendwie relevant ist. Und Luis schreibt: Scheiß auf den Dreckskerl. Damit meint er natürlich nicht Kris, sondern …«
»Ich weiß, wen er meint«, sage ich, als der Mann hinter dem Stehpult die Hände hebt, um das in der Aula ausgebrochene Stimmengewirr zu dämpfen.
»Uns allen, die wir an der Sommer-Seminar-Reihe der Eastland High mitwirken, ist bewusst, dass es tausend andere Dinge gibt, die ihr an einem wunderschönen Juninachmittag unternehmen könntet«, sagt er. »Dass ihr stattdessen hier seid, beweist, wie besonders wichtig das Thema ist, um das es heute gehen wird.«
»Von wegen besonders.« Maeve schiebt sich eine Strähne hinters Ohr. Sie hat die gleichen kastanienbraunen Haare wie Bronwyn, trägt ihre aber seit Neuestem zu einem coolen Choppy Bob geschnitten. Nachdem sie in ihrer Kindheit lange gegen Leukämie gekämpft hat, musste sie sich in den ersten Jahren an der Highschool erst mal aus Bronwyns Schatten herausarbeiten. Ich finde, seit sie aufgehört hat, ihre Haare wie Bronwyn zum Pferdeschwanz zu tragen, hat ihre ureigene Persönlichkeit endgültig auch äußerlich Gestalt angenommen.
»Schsch«, zischt Bronwyn und gibt mich endlich wieder frei.
»Wir von der Eastland High möchten euch ermutigen, Träume zu haben und sie zu verwirklichen, gleichzeitig wollen wir euch jedoch auch auf die raueren Realitäten des Lebens vorbereiten«, fährt der Sprecher fort. »Die Entscheidungen, die ihr heute als Schüler trefft, werden den Verlauf eurer Zukunft in den kommenden Jahren beeinflussen, und schon eine einzige unbedachte Entscheidung reicht aus, um verheerende Folgen nach sich zu ziehen.«
»So nennen wir das jetzt also, oder was?«, sagt Maeve verächtlich. »Eine unbedachte Entscheidung?«
»Maeve, ich schwöre bei Gott …«, zischt Bronwyn.
»Ruhe!«, rufe ich gereizt, worauf beide erschrocken verstummen. Mir ist klar, dass sich meine Wut gegen die Falschen richtet, und ich würde mich deswegen normalerweise auch total mies fühlen. Aber dafür ist gerade kein Raum. Ich bin unfassbar angespannt, weil es nur noch eine Frage von Sekunden ist, bis …
»Niemand weiß das besser als unser heutiger Gast. Er ist im Rahmen eines Partnerprogramms mit der kalifornischen Strafvollzugsbehörde hier, um ganz offen mit euch darüber zu sprechen, wie er sich mit den von ihm begangenen Verbrechen den Weg in eine Zukunft verbaut hat, die einst leuchtend und vielversprechend vor ihm lag. Begrüßt bitte unseren Gast, einen ehemaligen Schüler der benachbarten Bayview High, der gegenwärtig eine Haftstrafe in der Jugendvollzugsanstalt Crenshaw verbüßt – Jake Riordan.«
Bronwyn drückt meinen Arm und Maeve atmet scharf ein, aber davon abgesehen halten sie zum Glück den Mund. Nicht dass das viel bringen würde; selbst wenn sie etwas sagen würden, würde ich nichts mitbekommen, so laut, wie mir das Blut in den Ohren rauscht.
Jake Riordan.
Mein Ex. Der Typ, den ich zu einer Zeit, in der ich zu naiv und zu unsicher war, um zu begreifen, wer er wirklich war, als Liebe meines Lebens betrachtet habe. Ich wusste, dass er eifersüchtig sein konnte, und hätte damals jemand hartnäckig nachgehakt – was außer meiner Schwester Ashton aber keiner getan hat –, hätte ich mir vielleicht selbst eingestanden, dass er extrem besitzergreifend war. Ich habe ihn in einem schwachen Moment betrogen, das war nicht cool, klar. Aber ich hätte niemals gedacht, dass er aus Rache so weit gehen würde, sich mit Simon zu verbünden, um mir einen Mord anzuhängen. Geschweige denn, dass er sogar versuchen würde, mich umzubringen, als ich dahintergekommen war – was ihm auch fast gelungen wäre.
Ach so, richtig. Jake wollte mich ja gar nicht wirklich umbringen, wie seine sehr kostspielige Anwältin es vor Gericht ausgeführt hat. Sie sprach von mangelndem Vorsatz und packte noch etliche andere juristische Ausdrücke dazu, die ihn am Ende davor bewahrten, nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt zu werden.
Viele Beobachter haben damals von einem Scheinprozess gesprochen, erst recht, als Jake letztendlich nur zu einer Jugendhaftstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt wurde. Mit fünfundzwanzig wird er wieder auf freiem Fuß sein. Und das nach allem, was er nicht nur mir und meinen Freunden, sondern auch Simon angetan hat. Die Medien titelten empört: »Offen zur Schau gestellte Vorzugsbehandlung!«. Es wurden damals mehrere Online-Petitionen gestartet, die den Richter aufforderten, eine härtere Strafe zu verhängen.
Aber die Leute vergessen schnell.
Jake ist ein mustergültiger Häftling und letzten Dezember hat eine True-Crime-Show ein Porträt von ihm gebracht, das unsere Lokalzeitung Bayview Blade als »überraschend wohlwollend« bezeichnete. Jake zeigte Reue. Er betrachtete es als seine Pflicht, anderen jungen Leuten dabei zu helfen, nicht dieselben Fehler zu machen wie er. Und dann, keine zwei Wochen nach der Hochzeit meiner Schwester Ende März, trat Geschworener X auf den Plan.
Oder vielmehr die Ex-Freundin des Mannes, die behauptete, sie hätte während Jakes Prozess Hunderte Nachrichten von ihm bekommen. Wie sich herausstellte, versorgte das in der Presse nur als Geschworener X bezeichnete Mitglied der Jury sie regelmäßig mit vertraulichen Informationen und trieb sich auf News-Seiten herum, von denen er sich hätte fernhalten müssen. Als auf BuzzFeed Screenshots davon auftauchten, geriet Geschworener X in Panik, versuchte seinen Browserverlauf zu löschen, log unter Eid und lieferte dem Anwaltsteam von Jake damit das Schlupfloch, nach dem es gesucht hatte, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen.
Geschworener X heißt im echten Leben Marshall Whitfield, wie die Internetgemeinde innerhalb weniger Wochen nach Veröffentlichung der Story herausfand. Seit er enttarnt wurde, ist er untergetaucht, und hätte er nicht eine Granate in mein Leben geworfen, würde er mir vielleicht leidtun.
Jetzt ist Jakes Verfahren anhängig und er hat die Zeit genutzt, um seine Jake-Riordan-Rehabilitierungs-Tour zu starten, wie Maeve es sarkastisch nennt. Nicht jeder seiner Schulauftritte wird im Fernsehen übertragen, aber immer, wenn das der Fall ist, schaue ich sie mir an. Ich kann nicht anders.
»Er sieht furchtbar aus«, sagt Maeve, die finster auf den Flatscreen starrt.
Leider kann ich ihr da nicht beipflichten. Jake wirkt zwar älter als neunzehn, aber er sieht immer noch gut aus – die braunen Haare ganz kurz geschnitten, die Augen vom durchdringenden Blau eines Sommerhimmels, wodurch sie einen starken Kontrast zu seiner etwas zu blassen Haut bilden. Trotz der formlosen Khakihose, die er anhat, sieht man, dass er durchtrainierter ist denn je. Vereinzelt wird geklatscht, als er sich mit gesenktem Kopf und vor dem Körper verschränkten Händen dem Rednerpult nähert. Natürlich trägt er keine Handschellen. Nicht bei einem Schulbesuch – wobei die drei Officer, die seitlich der Bühne auf Klappstühlen sitzen, bewaffnet sind, um sofort einzugreifen, falls er Schwierigkeiten machen sollte.
Aber Jake gibt ihnen nie einen Grund dazu.
»Ich bin hier, um euch vom schlimmsten Tag in meinem Leben zu erzählen«, beginnt er mit leiser, ernster Stimme zu sprechen, so wie er es immer tut. Und dann, die Finger um die Kanten des Stehpults geschlossen, den Blick auf die Schüler vor sich geheftet, erzählt er ihnen vom schlimmsten Tag in meinem Leben.
Er ist gerissen. Spricht viel von Druck, Beeinflussung durch andere und besonderer Härte, so als wäre er ein ahnungsloses schwaches Opfer gewesen, das nur widerstrebend Simons Anordnungen befolgt hat, statt ein nur allzu williger Komplize. Jake hat während des Prozesses behauptet, er könne sich nicht daran erinnern, mich und Janae Vargas im Wald hinter ihrem Haus angegriffen zu haben. Er habe nur gewollt, dass wir aufhören, ihn zu bedrohen. Wir ihn bedrohen? In der Öffentlichkeit ist seine Lügengeschichte allerdings nicht gut angekommen, weshalb er diesen Teil bei seinen Schulbesuchen weglässt. Wenn irgendjemand ihn konkret auf mich anspricht, redet er davon, dass er Fehler gemacht hat, unter denen jetzt alle leiden müssen. Besonders er.
Nächsten November ist es zwei Jahre her, seit Jake mich im Wald hinter Janae Vargas’ Haus fast erwürgt hätte. Seitdem sind eine Menge guter Dinge passiert: Ich bin mit meiner Schwester zusammengezogen, ich habe neue Freunde gefunden, ich habe meinen Highschool-Abschluss gemacht. Danach habe ich mir eine Auszeit genommen, um herauszufinden, was ich mit meinem Leben anfangen möchte, und bin zu dem Schluss gekommen, dass es etwas mit Unterrichten zu tun haben muss. Ich habe zum ersten Mal einen Reisepass beantragt und ihn letzten Monat abgeholt, um Ende Juli mit Maeve nach Peru reisen zu können, wo ich an einer Grundschule Englisch unterrichten werde. Sobald ich wieder zurück bin, werde ich mich an meine College-Bewerbungen setzen. Dad hat mir angeboten, mich bei den Studiengebühren zu unterstützen, auch wenn er als Vater ansonsten nach wie vor durch Abwesenheit glänzt.
Die Zeit bis zu Jakes Entlassung lag für mich immer so weit in der Zukunft, dass ich daran glauben konnte, bis dahin gewappnet zu sein – älter und erfahrener, mit einem Leben, das mich so sehr ausfüllen würde, dass ich kaum dazu kommen würde, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, dass mein verurteilter Ex wieder auf freiem Fuß ist.
Bis vor Kurzem ist mir nie der Gedanke gekommen, dass sich dieser Zeitrahmen ändern könnte.
»Was sagt Eli eigentlich zu der Sache?«, fragt Maeve, während Jake seinen gut einstudierten Monolog fortsetzt. Der Mann meiner Schwester Ashton leitet eine kostenlose Rechtsberatung und ist damit in allen juristischen Fragen unser verlässlicher Experte. Auch wenn wir uns schon oft so lange über seine Mahnungen hinweggesetzt haben, bis es fast zu spät war, wie er den Mitgliedern der Bayview Crew des Öfteren vorgehalten hat. »Denkt er, dass Jakes Prozess neu aufgenommen wird? Oder dass er freikommt oder …«
»Eli denkt gerade vor allem darüber nach, wer ihn während der Elternzeit vertreten kann«, erinnere ich sie. Ashtons überraschende Schwangerschaft – die Geburt ist für November ausgerechnet – ist der Grund, warum ich wieder zu meiner Mutter zurückgezogen bin. Meine Beziehung zu Mom war immer schwierig, aber durch die gemeinsame Freude auf das Baby sind wir uns nähergekommen. In letzter Zeit überlegen wir uns vor allem Bezeichnungen für sie als Großmutter, die sie nicht alt klingen lassen. Aktueller Favorit: Gigi. Leider hat Mom sich geweigert, meinen Vorschlag »Insta Gram« in Betracht zu ziehen.
»Eli ist durchaus in der Lage, über mehr als zwei Dinge gleichzeitig nachzudenken«, sagt Bronwyn. »Erst recht, wenn du ihm sagst, was für Sorgen du dir machst.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, behaupte ich, ohne den Blick vom Flatscreen abzuwenden. Aber die Tatsache, dass ich mir dabei gleichzeitig wie manisch in die Fingerknöchel beiße, straft mich Lügen.
Jake hat seinen Vortrag mittlerweile beendet und beantwortet Fragen der Schüler. »Wie ist das Essen im Gefängnis?«, will ein Junge aus der vordersten Reihe wissen.
»Ein Wort reicht. Grauenhaft«, antwortet Jake und alle lachen.
»Dürfen deine Eltern dich besuchen?«, ruft ein Mädchen. Die Kamera schwenkt in ihre Richtung, und ich erstarre, als ich einen Blick auf die kupferfarbenen Locken eines anderen Mädchens erhasche, das hinter ihr sitzt. Ist das etwa … aber nein, das kann nicht sein. Ich muss Gespenster sehen. Aber als ich zu Maeve schaue, deren Blick auf den Fernseher gerichtet ist, sehe ich, dass sie die Stirn runzelt und die Augen leicht zusammenkneift.
»Leider nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde«, antwortet Jake. »Aber meine Eltern haben mich nie aufgegeben, und ihre Unterstützung bedeutet mir mehr, als ich in Worte fassen kann. Ich hoffe, sie eines Tages wieder stolz machen zu können.«
»Kotz«, sagt Maeve, aber ihr Tonfall klingt etwas weniger sarkastisch als sonst, was beweist, wie erfolgreich die Jake-Riordan-Rehabilitations-Tour ist.
Ein anderer Junge hebt die Hand und Jack deutet mit dem Kinn in seine Richtung. Diese Geste ist mir so vertraut – früher hat er immer unsere Freunde in der Eingangshalle der Bayview High so begrüßt, während er fest einen Arm um meine Schulter geschlungen hatte –, dass mir ein Schauder über den Rücken läuft. »Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, was würdest du dann anders machen?«, fragt der Junge.
»Alles«, sagt Jake, ohne zu zögern. Er schaut direkt in die Kamera, und ich zucke zurück, als wäre er gerade hier in den Raum getreten.
Das, genau das, ist der Grund, warum ich mir das hier antue. Ich will es nicht sehen, aber gleichzeitig brauche ich immer wieder die Bestätigung, dass ich es mir nicht nur einbilde: dieses Glitzern in Jakes Augen. Das Glitzern, das er während dieser Frage-Antwort-Runden nie ganz verbergen kann, so sehr er es auch versucht. Das Glitzern, in dem die ganze Wut liegt, die er angeblich nicht mehr empfindet. Das Glitzern, das sagt: Ich bereue nichts.
Das sagt: Was ich anders machen würde?
Ich würde mich nicht mehr erwischen lassen.
Phoebe
Montag,
22. Juni
Als die Kamera in meine Richtung gedreht wird, rutsche ich ein Stück im Stuhl zurück, ducke den Kopf und wünschte, ich hätte einen Hoodie angezogen, obwohl es draußen um die siebenundzwanzig Grad hat und die Aula der Eastland High nicht klimatisiert ist. Mir war klar, dass die Veranstaltung möglicherweise aufgezeichnet wird, aber normalerweise gehören die Kids, die wie ich ganz hinten sitzen, nicht zu denen, die Fragen stellen.
Ich weiß, dass Addy sich alle TV-Übertragungen anschaut. Was soll ich sagen, falls sie mich gesehen hat? Wie soll ich ihr das erklären?
Abstreiten, alles abstreiten, Phoebe. Darin bist du doch Meisterin.
»Hat sonst noch jemand eine Frage?« Der Mann, der Jake Riordan vorgestellt hat, kommt zu ihm auf die Bühne. »Zeit für eine hätten wir noch.«
Bereust du es wirklich?
Hältst du es für möglich, dass du so etwas noch mal jemandem antun würdest?
Wie bist du zu einem Menschen geworden, der zu so etwas fähig war?
Das sind die Fragen, auf die ich Antworten brauche. Ich kann mich nicht dazu durchringen, sie selbst zu stellen, hoffe aber jedes Mal, dass es vielleicht jemand anderes tut.
Stattdessen ruft ein Mädchen: »Bekommst du ein neues Verfahren?«
Jake senkt den Kopf. »Darüber will ich nicht nachdenken«, sagt er. »Das liegt nicht in meiner Hand. Ich versuche einfach, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt, und das Beste aus meinem Leben zu machen.«
Ich lasse suchend den Blick über sein Gesicht wandern und denke: Bitte lass das die Wahrheit sein.
Wie die Hälfte der Mädchen an der Schule habe ich damals schwer für Jake Riordan geschwärmt. Er war in der Elften, als ich auf die Highschool wechselte, und er und Addy waren zu dem Zeitpunkt schon das It Couple der Bayview. Wenn ich sie in den Pausen Seite an Seite über die Flure schweben sah, war ich jedes Mal wahnsinnig fasziniert davon, wie glamourös und erwachsen sie wirkten. Ich gebe es nur ungern zu, aber als sie sich nach Simon Kellehers Tod getrennt haben, war mein erster Gedanke, dass ich jetzt vielleicht eine Chance bei ihm hätte. Ich hatte ja keine Ahnung, wie schrecklich unglücklich Addy gewesen oder wozu Jake fähig war. Er hat seine dunkle Seite unglaublich gut verborgen. Und da ist er nicht der Einzige.
Ich weiß, wie sehr das alles Addy zusetzt, und würde so gern mit ihr darüber reden – wirklich darüber reden, statt sie mit leeren Floskeln zu beruhigen. Aber das geht nicht. Diese Möglichkeit habe ich mir letzten April selbst genommen, und der einzige Mensch, dem ich mich jetzt noch anvertrauen kann, ist meine ältere Schwester Emma. Aber die ist direkt nach ihrem Highschool-Abschluss vor zwei Wochen nach North Carolina zu einer unserer Tanten gezogen, und so unregelmäßig, wie sie auf meine Nachrichten antwortet, könnte sie genauso gut auf dem Mond leben.
Wir haben getan, was wir tun mussten, hat sie zum Abschied zu mir gesagt.
• • • •
»Tut mir total leid, dass ich so spät dran bin! Und tausend Dank!«, keuche ich, als ich durch das Café auf Evie zustürze, die erst seit Kurzem als Kellnerin im Contigo arbeitet und gerade eine Bestellung zum Mitnehmen in die Kasse tippt. Ich hatte sie gebeten, ein bisschen länger zu bleiben, weil ich wusste, dass ich es nicht rechtzeitig zu Beginn meiner Schicht von der Eastland High zurückschaffen würde, hatte aber nicht mit so viel Verkehr gerechnet. Ich bin über eine Stunde zu spät, und Evie, die schon seit heute Morgen um zehn hier ist, hätte alles Recht der Welt, sauer zu sein.
Stattdessen lächelt sie mich fröhlich an. Könnte Evie ihre immer positive Einstellung doch nur in Flaschen abfüllen und verkaufen – ich wäre ihre beste Kundin. »Kein Problem, Phoebe«, sagt sie und reicht einem unserer Stammgäste eine vollgepackte Papiertüte. »Ich hab dir doch gesagt, dass du dir ruhig Zeit lassen kannst.«
»Das Wartezimmer beim Arzt war brechend voll.« Ich greife hektisch nach einer Schürze aus dem Fach unter der Arbeitstheke, binde sie mir um und ziehe ein Haargummi aus der Tasche, um mir einen schnellen Knoten zu machen. »Okay, bin startklar. Du kannst gehen.«
»Entspann dich, Phoebe. Trink erst mal was. Und schau vielleicht kurz noch mal in den Spiegel, bevor du loslegst«, sagt Evie grinsend und zupft vielsagend an ihrem blondierten Zopf.
»Wieso?«, frage ich, als Luis Santos, Maeves Freund, aus der Küche kommt, abrupt stehen bleibt und losprustet.
»Hübsches Horn«, sagt er.
»Oh Gott«, stöhne ich leise, als ich mich im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand sehe. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe, aber ich sehe tatsächlich aus wie ein geistig umnachtetes Einhorn. Ich ziehe das Haargummi so schnell ab, dass ich dabei ein kleines Büschel Haare erwische, und lasse mich auf den Stuhl neben der Kasse sinken. »Der Tag heute ist eine einzige Katastrophe. Ist deine Mom sauer, dass ich schon wieder zu spät bin?«
»Sie ist gar nicht da, nur Pa«, sagt Luis, und ich seufze erleichtert. Seine Eltern sind supernett, aber von den beiden ist Mr Santos mit Abstand der nachsichtigere. »Ist sowieso nicht so viel los. Das Wetter ist viel zu schön. Apropos schön …« Sein Lächeln wird breiter, als die Türglocke bimmelt. Maeve kommt rein und winkt uns mit beiden Händen zu. »Okay, für mich ist heute Schluss«, sagt Luis. »Maeve und ich haben große Pläne. Hey, meine Schöne.«
»Hey.« Maeve klingt nicht ganz so überschwänglich wie sonst, als sie sich für einen Kuss an Luis schmiegt. Ich drehe mich weg und wünschte, der Anblick eines glücklichen Paars würde mir nicht so einen Stich versetzen. Ist deine eigene Entscheidung gewesen, rufe ich mir in Erinnerung, aber es hilft nichts. Vor allem, weil es sich nicht so anfühlt, als hätte ich eine Wahl gehabt.
»Du bist mit dem Rad hergefahren, oder?«, sagt Luis erwartungsvoll.
»Mehr oder weniger.« Maeve schabt mit der Spitze ihres Sneakers verlegen über den Fliesenboden und Luis zieht die Brauen hoch. »Den größten Teil des Wegs hab ich es geschoben«, gesteht sie. Als Luis seufzt, fügt sie hinzu: »Tut mir leid, aber ich verstehe nicht, warum ich Radfahren üben soll, wenn du uns beide fahren kannst.«
»Du kannst doch nicht ewig auf meiner Lenkstange mitfahren«, sagt Luis.
»Warum denn nicht?«, gibt Maeve zurück. »Ich sitze da ziemlich gut.«
»Macht ihr wieder eine Radtour?« Evie unterdrückt ein Lächeln. Luis hat Maeve vor ein paar Wochen ein Fahrrad gekauft und ist fest entschlossen, ihr das Radfahren beizubringen. Dadurch, dass sie als Kind eine Krebstherapie nach der anderen durchmachen musste, hatte sie nie Gelegenheit, es zu lernen. Leider hält sich der Lernerfolg bisher in Grenzen. Maeve benutzt es eher als Laufrad, statt in die Pedale zu treten, oder schiebt es mit vorwurfsvoller Miene neben sich her.
»Heute schaffen wir den Durchbruch«, sagt Luis mit einer Zuversicht, die nicht angebracht scheint.
Maeve verdreht die Augen, bevor sie sich, den Arm um seine Taille geschlungen, zu mir wendet. »Weißt du, was total schräg war, Phoebe? Ich hab vorhin die Übertragung von Jakes Vortrag an der Eastland High geschaut und …«
Luis’ Lächeln erlischt. »Dieser miese Dreckskerl«, knurrt er. Es gibt nicht viel, was Luis aus der Fassung bringt, aber sein ehemaliger Freund gehört dazu.
»Ich weiß.« Maeve drückt seinen Arm, bevor sie wieder mich ansieht. »In der Aula saß ein Mädchen, das genau dieselben Haare wie du hatte und …« Mir bricht der Schweiß aus, als ihr Blick über mein glitzerndes Tanktop wandert, das alles andere als unauffällig ist. »… genau das gleiche Oberteil.«
»Echt? Das ist wirklich schräg«, sage ich leichthin und binde mir einen neuen, ordentlichen Haarknoten. »Ich wollte mir die Übertragung auch angucken, hatte aber einen Arzttermin. Wie hält Addy sich?« Ich fühle mich total mies, Maeve anzulügen, würde mich aber noch mieser fühlen, wenn sie den Grund dafür wüsste.
»Wie immer.« Maeve scheint noch etwas sagen zu wollen, als wieder die Türglocke läutet und eine vertraute Gestalt reinkommt.
»Owen! Was geht, Kumpel?«, fragt Luis meinen mittlerweile nicht mehr ganz so kleinen Bruder, der auf die Theke zusteuert. »Spinne ich oder bist du noch mal einen ganzen Kopf gewachsen?«
»Nein«, brummt Owen, dem es in letzter Zeit an Humor fehlt.
»Deine Bestellung ist schon fertig«, sagt Evie und zeigt zur Theke. Das Geht aufs Haus spart sie sich, weil Mr Santos sowieso nie zulässt, dass mein Bruder etwas bezahlt.
»Danke.« Owen greift nach der Papiertüte, ohne auch nur in meine ungefähre Richtung zu schauen. Maeve fängt meinen Blick auf und grinst mitfühlend, als wollte sie sagen: Er ist dreizehn, was will man machen? Ich zwinge mich, zurückzulächeln, aber in mir drin zieht sich alles zusammen, als Owen zur Tür trottet und sie hinter sich zuknallen lässt.
»Danke für das nette Gespräch, Owen«, sagt Luis, und Maeve boxt ihn in die Seite.
Vor etwa drei Monaten haben meine Schwester Emma und ich herausgefunden, dass unser damals zwölfjähriger Bruder im Netz vorgegeben hat, sie zu sein – die vorher wiederum vorgegeben hat, ich zu sein –, um einen Chat mit einem Jungen weiterzuführen, der versucht hatte, Emma in eine Art Rachekomplott hineinzuziehen. Jared Jackson, so hieß der Typ, hatte ihr versprochen, meinen Ex-Freund Brandon Weber dafür büßen zu lassen, dass er vor drei Jahren einen Unfall mit einem Gabelstapler verursacht hat, bei dem unser Vater ums Leben gekommen ist. Im Gegenzug sollte Emma ihm helfen, sich an Addys Schwager Eli zu rächen, der maßgeblich dazu beigetragen hat, Jareds Bruder, einen korrupten Polizisten, ins Gefängnis zu bringen. Emma hatte kalte Füße bekommen und war ausgestiegen – aber Owen hat klammheimlich ihren Platz übernommen und den Pakt aufrechterhalten.
Als Brandon dann bei einem Online-Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel starb, das Jared gestartet hatte, haben alle seinen Tod zunächst für einen Unfall gehalten. Owen brach sofort den Kontakt zu Jared ab, der daraufhin beschloss, seinen Rachefeldzug allein durchzuziehen und auf Elis Probedinner für seine Hochzeit mit Ashton eine selbst gebastelte Bombe hochgehen zu lassen. Wären Knox und Maeve nicht gewesen, hätten an dem Abend alle Gäste in dem Restaurant sterben können. Stattdessen wurde Jared festgenommen und gab an, ich wäre seine Komplizin gewesen. Emma, die mittlerweile im Krankenhaus gelandet war, weil sie wochenlang versucht hatte, ihre Schuldgefühle in Alkohol zu ertränken, räumte ein, dass es in Wirklichkeit sie gewesen war, die unter meinem Namen mit Jared online Kontakt gehabt hatte. Dass Owen nach ihr ebenfalls in die Sache verstrickt war, haben wir erst herausgefunden, als wir zusammen mit unserer Mutter und Emmas Anwalt in unserer Küche den Ausdruck des Chatverlaufs lasen und ein falsch geschriebenes Wort entdeckten, das Owen kurz zuvor, als Emma und ich mit ihm für einen Buchstabierwettbewerb geübt hatten, auch schon falsch buchstabiert hatte: bizzar statt bizarr.
Meine Schwester und ich sahen uns damals über den Küchentisch hinweg an und schlossen einen stummen Pakt, dieses Wissen für uns zu behalten. Ich hatte das Gefühl, nicht anders handeln zu können, weil aus den Nachrichten, die Owen nach Brandons Tod an Jared geschickt hatte, eindeutig hervorging, dass er nicht verstanden hatte, was er da tat. Mein süßer, unschuldiger, immer noch um unseren Vater trauernder kleiner Bruder hätte niemals gewollt, dass Brandon stirbt.
Aber die Zweifel, ob das die richtige Entscheidung gewesen war, ließen nicht lange auf sich warten. Es war klar, dass ich mit niemand anderem darüber reden konnte – ganz besonders nicht mit Maeve und Knox, die ihr Leben riskiert haben, um Jared aufzuhalten. Als Emma dann wegzog, fühlte ich mich mit meinem schrecklichen Geheimnis endgültig total allein. Ein paar Tage später wurde Owen dreizehn, schoss gefühlt über Nacht zwei Köpfe in die Höhe und verwandelte sich in einen mürrischen Teenager. Ich muss seitdem die ganze Zeit daran denken, dass er jetzt im selben Alter ist wie Brandon, als er damals den Tod unseres Vaters verursacht hat. Und daran, dass Brandon, wenn er nach dem Unfall die Verantwortung übernommen hätte, heute vielleicht noch am Leben wäre.
Tja, und jetzt belüge ich meine Freunde, stalke Jake Riordan und schreibe spätabends Nachrichten an meine Schwester, die ich mich nicht abzuschicken traue:
Was ist, wenn aus Owen der nächste Brandon wird?
Oder der nächste Jake?
Haben wir vielleicht einen schrecklichen Fehler gemacht?
Sollten wir mit jemandem darüber reden?
Als meine Schicht kurz vor elf zu Ende ist und ich mit Mr Santos das Restaurant abgeschlossen habe, weiß ich, dass ich eigentlich auf dem schnellstem Weg nach Hause fahren sollte. Ich bin hundemüde und habe morgen Frühschicht. Aber dann springt die Ampel an der nächsten Kreuzung auf Grün und ich fahre nicht geradeaus weiter, sondern setze den Blinker.
Ich kann nicht anders. Unterbewusst habe ich mich schon den ganzen Tag darauf gefreut.
Als ich mein Ziel erreicht habe, stelle ich den Wagen in der Einfahrt ab, laufe aber an der Haustür vorbei und steuere stattdessen auf den Garten zu. Ich klettere auf einen Baum, bis ich auf Höhe des Dachs bin und mit einem vorsichtigen Schritt auf den breiten Vorsprung treten kann. Das Fenster lässt sich mühelos aufschieben, und wie jedes Mal wünsche ich mir, es wäre ein bisschen breiter, damit ich anmutiger hindurchgleiten könnte. Ich lasse mich auf den Dielenboden rutschen, stehe auf, klopfe meine Hände ab, schiebe das Fenster wieder zu und drehe mich um.
»Du weißt schon, dass du auch einfach klingeln könntest, oder?«, sagt Knox.
Er liegt, seinen aufgeklappten Laptop vor sich, an einen Berg Kissen gelehnt im Bett und hat, seinem verschlafenen Blick nach zu urteilen, gerade gedöst. Mein Herz schlägt schneller, während gleichzeitig aber auch etwas von der Anspannung abfällt, die mich den ganzen Tag begleitet hat. Ich stütze mich auf seiner Wäschekommode ab, um meine Sneakers auszuziehen.
»Ich wollte deine Eltern nicht wecken«, sage ich. »Außerdem fühle ich mich immer wie in einem Highschool-Film, wenn ich durchs Fenster klettere. Passt also zum Thema.« Ich gehe zum Bett, schlage die dunkelblaue Steppdecke zur Seite, schlüpfe neben Knox und schmiege mich an ihn. Er trägt eines der weißen T-Shirts, in denen er immer schläft. »Welcher ist heute dran?«
Knox drückt auf ein paar Tasten, bevor er den Laptop in meine Richtung dreht. »Eine wie keine«, sagt er. Seit die Sommerferien angefangen haben, arbeiten wir uns durch Teenie-Film-Klassiker und sind mittlerweile in den Neunzigern angekommen. »Ich glaube, das ist der, in dem das Mädchen ihre Brille ablegt und Prom-Queen wird.«
»Wahrscheinlich fängt sie auch an, ihre Haare offen zu tragen.« Ich lege den Kopf an seine Schulter und atme den zitronigen Duft seines Duschgels ein.
»Wie einfach das Leben im zwanzigsten Jahrhundert noch war«, sagt Knox. Ich warte darauf, dass er auf Play tippt, stattdessen trommelt er so lange mit den Fingern auf den Rand seines Laptops, bis ich den Kopf hebe und ihn fragend anschaue. »Okay … Also …« Er hält den Blick auf den eingefrorenen Bildschirm geheftet. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, weil … Ich meine, nicht, dass ich jemals nicht froh bin, wenn du kommst, natürlich nicht. Es ist immer schön, dich zu sehen, und es ist nicht so, dass ich nicht mit dir gerechnet hätte oder …«
»Knox«, unterbreche ich ihn und zupfe am Rand seiner Steppdecke. »Du schweifst ab.« Das ist nie ein gutes Zeichen.
»Stimmt. Sorry.« Er trommelt weiter auf den Laptop, während ich sein Profil betrachte und mich frage, wie es sein kann, dass es mal eine Zeit gab, in der ich ihn nicht unwiderstehlich fand. Wie habe ich diese hohen Wangenknochen nur übersehen können? »Es ist nur … Ich wollte dir sagen, dass ich irgendwie das Gefühl habe, wir sollten aufhören … das hier zu tun.«
»Was zu tun?« Ich hebe den Kopf und sehe ihn entgeistert ans. »Filme schauen?«
»Nein. Damit sollten wir auf jeden Fall weitermachen. Ich meinte eher …« Er deutet auf den Abstand zwischen uns, der entstanden ist, indem ich mich aufgerichtet habe. »Das hier.« Ich starre ihn an und er schluckt schwer. »Du. In meinem Bett. Das ist irgendwie … zu viel.«
»Inwiefern zu viel?« Ich ziehe seine Steppdecke um mich, als wäre sie ein Schutzschild. »Ich mache doch gar nichts!«
»Eben. Genau das ist das Problem.« Knox reibt sich den Nacken. »Hör zu, Phoebe. Ich respektiere total, dass du willst, dass wir nur Freunde sind. Ich bin auch okay damit, ich schwöre. Ich habe nie etwas anderes erwartet.«
Mein Herz zieht sich zusammen. Knox und ich haben uns einmal geküsst, am Abend von Ashtons und Elis Hochzeit, und ich dachte – hatte die Hoffnung –, dass das vielleicht der Anfang von etwas Großem zwischen uns sein könnte. Aber dann ist das mit Owen passiert. Ich konnte Knox nicht davon erzählen, konnte mich aber auch nicht auf ihn einlassen und ihm gleichzeitig etwas so Wichtiges verschweigen. Deswegen habe ich ihm gesagt, ich fände, wir sollten lieber einfach Freunde bleiben, als er mich gefragt hat, ob ich mit ihm zusammen sein will. So erleichtert ich einerseits war, wie schnell er dazu bereit war, so unglücklich macht mich das auch.
»Nur … wenn du so nah bei mir liegst … Es ist nicht so, als würde ich darunter leiden oder so was«, rammt Knox mir das nächste Messer ins Herz. »Das macht es mir nur schwer, in der Friendzone zu bleiben, das ist alles.«
Dann bleib nicht drin. Die Worte liegen mir auf der Zunge und ich würde am liebsten seinen Laptop zur Seite schieben und meine Lippen auf seine legen, damit ich ihm endlich mal dieses weiße Shirt ausziehen kann. Aber natürlich geht das nicht. Und natürlich hat er recht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine einzige trostspendende Quelle versiegen würde. Es war egoistisch von mir und geradezu übermenschlich von Knox, das Ganze so lange mitzumachen. »Das verstehe ich«, sage ich benommen, richte mich auf und schwinge die Beine über die Bettkante. »Kein Problem.«
»Aber den Film können wir uns trotzdem anschauen«, sagt Knox. »Nur … du weißt schon. Unten. Ich kann uns Popcorn machen, wenn du willst.«
Oh Gott. Mit Knox im Wohnzimmer seiner Eltern auf der Couch zu sitzen – jeder in einer Ecke, mit einer Schüssel Popcorn zwischen uns – und einen Film zu gucken, ist das Letzte, was ich will. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier: um bei ihm zu sein. Aber er ist einfach nur ehrlich, und es wäre total mies, jetzt einfach abzuhauen, also ringe ich mir ein Lächeln ab und sage: »Klar. Klingt super.«
Auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es schließlich nicht an, oder?
Nate
Mittwoch,
24. Juni
Solange ich denken kann, läuft auf der digitalen Plakatwand in der Clarendon Street dieselbe Werbung – eine tanzende Dose, die für einen Energy Drink wirbt –, deshalb sehe ich sofort, dass die Anzeige sich geändert hat, als ich mit meinem Motorrad an der roten Ampel stehe.
ZEITFÜREINNEUESSPIEL, BAYVIEW.
Die roten Buchstaben heben sich scharf vom weißen Hintergrund ab. Als sie langsam verschwinden, ertappe ich mich dabei, dass ich gespannt darauf warte, was als Nächstes kommen wird. Dieselbe Schrift erscheint und wieder heißt es: ZEITFÜREINNEUESSPIEL, BAYVIEW. So viel zum Thema Spannungsaufbau. Oder dass potenzielle Kunden eigentlich sofort erkennen sollten, um was für ein Produkt es hier geht. Muss eine ganz ausgefuchste Werbeagentur sein.
Bei Grün gebe ich wieder Gas und folge der vertrauten Strecke zum Bayview Country Club. Für die einen bedeutet der Sommer hier Strand, Grillpartys und sich gegenseitig auf Social Media mit instatauglichen Urlaubsfotos toppen. Für mich bedeutet er Doppelschichten. Tagsüber arbeite ich auf dem Bau, abends serviere ich der Hautevolee von Bayview Drinks. Danach versuche ich in meiner WG – wo noch fünf andere Leute wohnen, die ständig Party machen und mich zum Mitfeiern bewegen wollen – ein paar Stunden Schlaf zu kriegen.
Yay. Mein Leben könnte nicht schöner sein.
Ich biege auf den Parkplatz, stelle mein Bike zwischen zwei frisch auf den Asphalt gepinselte weiße Markierungslinien, hole mein Handy raus und checke die Uhrzeit. Ich habe eine neue Nachricht – ein Foto, auf dem Bronwyn und meine Echse Stan, eine Bartagame, bei den Rojas im Garten nebeneinander auf einem Felsen sitzen. Nachdem Bronwyn über die Semesterferien aus Yale zurückgekommen ist, hat sie entschieden, dass Stan »mehr Bewegung und mentale Stimulation« braucht. Also holt sie ihn an manchen Tagen nach ihrem Praktikum ab, nimmt ihn mit zu sich und hängt mit ihm im Garten ab. Soweit ich es beurteilen kann, bewegt Stan sich bei diesen Ausflügen auch nicht mehr als sonst, aber es scheint ihm tatsächlich zu gefallen, einen neuen Felsen zum Faulenzen zu haben.
Ich grinse und habe sofort bessere Laune. Meine Freundin ist die nächsten zwei Monate in der Stadt, was bedeutet, dass mein Leben wirklich nicht schöner sein könnte. Bronwyn studiert Jura und hatte die freie Wahl zwischen einem Praktikum in New Haven oder New York, hat sich aber letztlich für eins in der Nähe in San Diego entschieden. Es ist ein super Job in der Rechtsabteilung eines rein von Frauen geführten Start-ups und sie meinte, dass sie sich vorstellen könnte, später mal als Justitiarin dort zu arbeiten. Ich brauche mir also auch keinen Kopf zu machen, dass sie irgendwelche Chancen verpasst, nur um in meiner Nähe sein zu können.
Pass nur auf, dass er nicht von einem Greifvogel verschleppt wird, schreibe ich zurück.
DASWÜRDEICHNIEZULASSEN, antwortet Bronwyn mit entsetzt schauendem Emoji.
Natürlich würde sie das nie zulassen. Bronwyn Rojas ist der verlässlichste Mensch der Welt. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, wie viel Glück ich mit ihr habe, was der Grund dafür ist, warum ich das alles hier mache – meine beiden Jobs, die Kurse am Community College, das billige WG-Zimmer, damit nicht alles, was ich verdiene, für die Miete draufgeht. Eines Tages werde ich der Typ sein, den Bronwyn verdient hat, nicht der Bad Boy, den sie während der Highschool aus dem Gefängnis raushauen musste.
Aber bis dahin muss ich noch ein paar Drinks servieren.
Ich schließe das Motorrad ab, stecke die Schlüssel ein und steuere auf die riesigen Säulen zu, die den Eingang des Country Clubs flankieren. Am Rand des Parkplatzes steht ein Info-Bord, das mit Zetteln vollgepflastert ist, auf denen alle möglichen Dienstleistungen wie Gartenarbeit, Nachhilfe, Putzen oder Dogsitting angeboten werden – alles, was Reiche nicht selbst erledigen können, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, ihre Zeit in Country Clubs totzuschlagen. Einer der Flyer fällt mir ins Auge, weil nur ein einziger Satz draufsteht. In großen roten Buchstaben steht da:
Zeit für ein neues Spiel, Bayview.
Ich bleibe stirnrunzelnd stehen, reiße den Zettel ab und drehe ihn um, aber die Rückseite ist leer. Er scheint zu derselben Kampagne zu gehören wie die Werbung auf der Plakattafel, die ich auf dem Weg hierher gesehen habe, aber ich verstehe immer noch nicht, was hier angepriesen werden soll. Es sei denn …
Wahrscheinlich versucht da ein Unternehmen bloß besonders pfiffig zu sein, trotzdem kommt mir plötzlich der Gedanke, dass vielleicht irgendein Arschloch Bayview an das Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel erinnern will, bei dem Brandon Weber ums Leben gekommen ist. Nach Simons Tod sind an der Schule immer wieder Nachahmungen von Simons Gossip-App About That aufgetaucht. Aber es haben immer Schüler dahintergesteckt, die nicht die Kohle hätten, mal eben eine digitale Werbetafel zu mieten. Andererseits gibt es an der Bayview High vermutlich genügend Kids, die sich das leisten könnten.
»Suchst du eine Nachhilfelehrerin?«, ruft eine Stimme hinter mir.
Als ich mich umdrehe, sehe ich Vanessa Merriman, die ein hauchdünnes, fast durchsichtiges Strandkleid trägt, unter dem ein gestreifter Bikini durchschimmert. Vanessa war in meiner Highschool-Abschlussklasse und eine Freundin von Addy, bevor sie sich nach ihrer Trennung von Jake auf seine Seite geschlagen hat. Selbst nachdem Jake im Gefängnis gelandet ist, kam Vanessa nie der Gedanke, dass sie sich für irgendwas bei Addy entschuldigen müsste. Anscheinend verbringt sie ihre Semesterferien zu Hause. Dass ich nicht weiß, auf welchem College sie studiert, liegt daran, dass Vanessa Merriman mir komplett egal ist.
Sie lehnt sich aufreizend an das Info-Bord. »Vielleicht kann ich dir ja behilflich sein. Gibt einige Fächer, in denen ich ziemlich gut bin. Zum Beispiel in Anatomie.« Als ich sie bloß ungerührt anschaue, lacht sie und sagt: »Komm schon! Entspann dich, das war ein Witz.« Sie hebt die Hand, als wollte sie mir einen Klaps auf den Arm geben, hält aber mitten in der Bewegung inne. »Hey, bist du nicht vor ein paar Monaten praktisch in die Luft geflogen? Wie kommt es, dass noch alles an dir dran ist?«
»In den Medien ist das ziemlich übertrieben worden«, sage ich.
Vanessa lässt ihren Blick an mir herabwandern und ihre Augen weiten sich, als sie meinen linken Arm bemerkt. Ich habe bei dem Bombenanschlag, den Jackson Jared im März verübt hat, das meiste abbekommen. Bronwyn und ich befanden uns zu dem Zeitpunkt auf dem Gelände der Baumschule hinter dem Restaurant, in dem Ashton und Elis Hochzeits-Probedinner stattfand. Knox, der beobachtet hatte, wie Jared den Rucksack mit der Bombe unter der Terrasse des Restaurants deponierte, hatte keine Ahnung, dass wir dort waren, zog ihn hervor und schleuderte ihn auf das Grundstück, weil er glaubte, dort wäre um diese Uhrzeit niemand. Wir mussten um unser Leben rennen und haben es nicht ganz außer Reichweite der Bombe geschafft, als sie explodierte. Ich habe mich schützend über Bronwyn geworfen, wobei mein Unterarm einen Splitterregen abbekam. Die Wunden sind mittlerweile vollständig verheilt, aber die Narben werden wohl nie ganz verschwinden.
»Autsch«, sagt Vanessa, dann tätschelt sie meine Wange. »Na ja, hätte schlimmer kommen können. Wenigstens ist dein hübsches Gesicht verschont geblieben.«
Anscheinend hat sich seit der Highschool nichts an ihren Prioritäten geändert. Sie will nach dem Zettel in meiner Hand greifen, aber ich zerknülle ihn und werfe ihn in den Mülleimer.
»Was stand da denn drauf?«, fragt sie und schleudert ihre lange Mähne über eine Schulter nach hinten. Sieht nach einem kostspieligen Frisörbesuch aus – das Dunkelblond am Ansatz wird zu den Spitzen hin immer heller. Addy wüsste sicher, wie man diese Färbetechnik nennt. »Warum hast du den Zettel abgerissen und weggeworfen?«
»Weil er merkwürdig war«, sage ich und setze meinen Weg zum Eingang fort.
Vanessa folgt mir. »Inwiefern?«
Ich habe nicht das geringste Interesse daran, mit Vanessa Merriman Theorien über mysteriöse Botschaften auf Werbetafeln auszutauschen. »Wirst du nicht an irgendeinem Pool erwartet?«
»Zuerst brauche ich einen Drink.« Vanessa schwingt sich ihre Tasche über die Schulter, fängt ungefragt an, mir von einem Trip nach Ibiza zu erzählen, von dem sie gerade zurückgekehrt ist, und hält diese einseitige Unterhaltung den ganzen Weg vom Parkplatz bis ins Clubrestaurant aufrecht. Sie setzt sich an der U-förmigen Theke auf einen Barhocker und nimmt ihre riesige Sonnenbrille ab. »Ich nehme einen Gin Tonic.«
»Netter Versuch.« Ich gehe hinter die Theke und winke Gavin, dem Barkeeper, zu, der gerade am anderen Ende ein älteres Paar bedient. »Aber wenn man mit dem Aushilfskellner auf der Highschool war, nützt einem selbst der beste gefälschte Ausweis nichts.«
»Ach, komm schon, Nate«, stöhnt Vanessa. »Das interessiert hier doch niemanden. Ist außerdem nicht so, als müsste ich später noch Auto fahren.«
»Und was hast du dann auf dem Parkplatz gemacht?«
»Okay. Ist nicht so, als müsste ich danach noch weit fahren.«
»Hier.« Ich gebe Eiswürfel, Sodawasser und eine Limette in ein Glas. »Lass deine Fantasie spielen.«
Vanessa seufzt und nippt mit vorwurfsvollem Blick an ihrem Wasser. »Weißt du was? Früher hatte man viel mehr Spaß mit dir.«
»Das nehme ich als Kompliment.«
Sie verzieht das Gesicht. »Pfff.«
»Nate, mein Freund.« Gavin kommt rüber und klopft mir auf die Schulter. Er ist eher der blasse Typ, hat vom Wochenende noch einen Sonnenbrand und seine hellbraunen Haare sind am Stirnansatz dunkel verschwitzt. Die Bar ist nach außen hin offen, sodass die Klimaanlage nicht viel ausrichtet. »Stephanie hat gerade von unterwegs angerufen. Sie ist gleich hier, aber ich bin verabredet und muss los, wenn ich es noch halbwegs pünktlich schaffen will. Könntest du … du weißt schon?«
Du weißt schon ist so eine Art Code für: Übernimmst du für mich? Eigentlich darf ich keinen Alkohol ausschenken, weil ich noch nicht einundzwanzig bin, aber die Club-Leitung hat kein allzu wachsames Auge auf die Bar. Die Hälfte der Zeit mache ich hier sowieso den Ersatz-Barkeeper.
Ich bin direkt von meinem Job bei Myers Construction hergekommen und hatte eigentlich gehofft, vor meiner Schicht noch was essen zu können. Es hätte sich nicht gelohnt, vorher nach Hause zu fahren, zumal es dort dank unseres neuesten Mitbewohners noch nerviger ist als sowieso schon. Vor zwei Wochen ist der einzige Typ ausgezogen, mit dem ich halbwegs klarkam, und wer ist stattdessen eingezogen? Reggie Crawley, ein ehemaliger Schüler der Bayview High, der traurige Berühmtheit erlangte, als Simon Kelleher auf seiner App enthüllte, dass er in seinem Zimmer eine versteckte Kamera installiert hat. In diesem Fall hat Simon wirklich das gemacht, was er immer behauptet hat: die Arschlöcher entlarven. Und es ist nicht so, als hätte Reggie mit den Jahren dazugelernt; als der Bayview Blade eine Umfrage zu der True-Crime-Show gemacht hat, in der Jake wie ein anständiger Typ rüberkam, hat Reggie diese Perle von sich gegeben: »Zu mir ist er immer cool gewesen.«
Aber dafür kann Gavin nichts, außerdem teilt er immer total großzügig sein Trinkgeld. »Kein Problem«, sage ich.
»Danke, du hast was gut bei mir«, sagt er und tritt hinter der Theke hervor.
Vanessa, die ein neues Opfer wittert, wird wieder munter. »Hallo, ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Vanessa Merriman«, sagt sie und streckt ihm die Hand hin.
Gavin schüttelt sie. »Freut mich, Vanessa Merriman.« Er wiederholt ihren Namen, um ihn sich einzuprägen. Gavin geht aufs College und ist nicht hier aufgewachsen, trotzdem kennt er in Bayview mehr Leute als ich. Alter Barkeeper-Trick, hat er mal gesagt. Erhöht das Trinkgeld.
»Gib ihr bloß nichts Alkoholisches«, sage ich, während ich ein paar saubere Weingläser unter der Theke hervorhole und sie in das Gestell über mir hänge. »Sie ist erst neunzehn.«
»Okay, das war jetzt echt unnötig«, knurrt Vanessa.
Gavin zieht sich grinsend die Krawatte vom Hals, die er immer trägt, obwohl wir nicht dazu verpflichtet sind. »Sorry, Vanessa. Und dir viel Spaß mit der Happy-Hour-Crowd, Nate.«
Er verschwindet und Vanessa presst finster ihre Limette in meine Richtung aus. »Hier ist nicht jeder happy«, sagt sie. Dann wandert ihr Blick über meine Schulter und plötzlich leuchtet ihr Gesicht auf und sie wirkt fast … hoffnungsvoll? Ich folge ihrem Blick in Richtung einer elegant gekleideten Frau mittleren Alters, die sich jetzt ein paar Meter weiter auf einen Barhocker setzt.
»Ms Riordan«, ruft Vanessa. »Hallo. Wie geht’s Ihnen?«
Jakes Mutter schaut zu uns rüber. Als ich hier im Country Club angefangen habe, war ich überrascht, dass sie und ihr Mann immer noch herkommen. Nicht dass ich viel Zeit damit verbringe, über die Riordans nachzudenken, aber ich hätte eher vermutet, dass sie weggezogen wären, wie Simons Eltern es gemacht haben. Oder sich zumindest bedeckt halten würden, wenn man bedenkt, welche Rolle ihr einziger Sohn im größten Kriminalfall von Bayview gespielt hat. Irgendwann habe ich Mr Riordan kennengelernt und mich nicht mehr gewundert, weil der Typ ein Arschloch erster Güte ist. Er hält sich immer noch für den König von Bayview und erzählt jedem, der es hören will – und auch denen, die es nicht wollen –, dass Jake unfair behandelt wurde. Er verhält sich, als wüsste er nicht, wer ich bin, als hätte sein Sohn nie versucht, mir und meinen Freunden Simons Tod anzuhängen. Außerdem gibt er ums Verrecken kein Trinkgeld.
Aber seine Frau ist anders. Ich hatte nicht vor, überhaupt ein Wort mit Ms Riordan zu wechseln, wenn es sich nicht vermeiden ließe, aber an meinem ersten Abend hier hat sie mich beiseitegenommen und sich für das entschuldigt, was Jake getan hat. »Er versucht wirklich alles, um es irgendwie wiedergutzumachen«, hat sie gesagt. Was ich natürlich nicht eine Sekunde lang glaube, aber sie scheint tatsächlich davon überzeugt zu sein.
»Ach, Vanessa, hallo. Wie schön, dich zu sehen«, sagt Ms Riordan. Stephanie ist immer noch überfällig, aber weil ich weiß, wonach Ms Riordan ist, wenn sie in den Club kommt, gieße ich ihr ein ordentliches Glas von unserem teuersten Chardonnay ein. Sie kann jeden einzelnen Tropfen davon gebrauchen, um es mit dem Arschloch auszuhalten, mit dem sie verheiratet ist. »Vielen Dank, Nate.« Sie nimmt einen tiefen Schluck, bevor sie zwei Zwanzig-Dollar-Scheine auf die Theke legt. »Der Rest ist für dich. Bist du so nett und bringst die Flasche an unseren Tisch?«
»Wird erledigt. Danke«, sage ich und stecke das Geld ein. Es hat einen komischen Beigeschmack, dass ich das meiste Trinkgeld immer von Jakes Mutter bekomme, aber so ist es eben. Ich trage ihr nichts nach; manchmal unterhalten wir uns sogar – immer nur über unverfängliche Themen, das Wetter, das Studium, die Arbeit. Ich weiß, dass sie früher Geschäftsführerin einer Werbeagentur war, und glaube, sie vermisst den Job. Keine Ahnung, wie sie ihre Tage mittlerweile füllt, aber darüber nachzudenken, ist irgendwie deprimierend.
Als Vanessa sich neben Ms Riordan setzt und die beiden anfangen, sich zu unterhalten, hole ich mein Handy raus, um meine Nachrichten zu checken. Bronwyn hat mir noch ein paar Fotos geschickt, und in unserer Chatgruppe, die vor Kurzem in Bayview Crew umgetauft wurde, laufen die Drähte heiß. Seit die National Collegiate Athletic Association ihre Regeln insofern gelockert hat, dass Sportstudenten als Werbeträger fungieren dürfen, wird Cooper mit Angeboten überflutet. Er hat sich für einen Werbevertrag mit einer Fitnessstudiokette entschieden, in der er selbst trainiert. Der Spot kommt nächsten Monat raus. Addy hat das natürlich sofort als Gelegenheit erkannt, eine Party zu feiern.
Public Viewing im Café Contigo, schreibt Luis. Kann es kaum erwarten, dein TV-Debüt zu sehen, Goldjunge. Aber du hättest den Deal mit diesem Mobilfunkanbieter machen sollen. Da wäre viel mehr Kohle drin gewesen.
Das konnte ich nicht, schreibt Cooper zurück. Die Netzabdeckung bei denen war so mies, dass immer wieder die Verbindung abgebrochen ist.
Tja, so ist Cooper Clay. Er würde seinen Namen niemals für etwas hergeben, das er vorher nicht höchstpersönlich getestet und für gut befunden hat. In dem Fall lehnt er dann lieber höflich einen Haufen Geld ab.
Mein Vater hat auch geschrieben. Finde meine Schlüssel nicht. Hast du sie zufällig irgendwo gesehen, als du das letzte Mal hier warst?
Nope, tippe ich und unterdrücke ein Seufzen. Was meinen Dad angeht – er gibt sich Mühe. Mittlerweile ist er seit fast vier Monaten trocken und hat sogar einen Job als Hausmeister an der Bayview High. Ich würde keine Wetten darauf abschließen, wie lange er den Job behält, will ihn aber auch nicht demotivieren, weshalb ich noch eine Nachricht hinterherschicke. Schau mal auf dem kleinen Tischchen neben dem Fernseher nach. Da legt er sie nämlich in neun von zehn Fällen ab, aber obwohl er nicht mehr trinkt, scheint er sich das einfach nicht merken zu können.
Ms Riordans Handy klingelt und sie hebt den Zeigefinger, um Vanessas Ibiza-Monolog zu unterbrechen. »Entschuldige mich kurz, das ist … Hallo?« Sie dreht sich weg und Vanessa streckt mir mit klirrenden Armreifen ihr fast leeres Glas Wasser hin.
»Hey, Spaßbremse, noch mal dasselbe bitte«, sagt sie.
Ich schenke ihr gerade nach, als Ms Riordan geräuschvoll ausatmet. »Sind Sie sicher?«, fragt sie aufgewühlt. »Bitte machen Sie mir keine falschen Hoffnungen … Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich es verkraften könnte, wenn … Wirklich? Sie sind absolut sicher?« Ich schaue zu ihr rüber und sehe, dass sie Tränen in den Augen hat. »Du meine Güte. Ich habe gehofft und gebetet, aber ich hätte nie gedacht … ja. Ja, natürlich, ich weiß, wie beschäftigt Sie sind. Wir werden morgen Punkt neun Uhr bei Ihnen sein. Danke, Carl. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen.« Sie beendet das Gespräch und vergräbt das Gesicht in den Händen.
Ich habe Ms Riordan noch nie so froh und erleichtert gesehen und mir zieht es den Magen zusammen, weil es dafür nur einen einzigen Grund geben kann. Ich tausche einen Blick mit Vanessa, die Ms Riordan vorsichtig am Ärmel berührt. »Alles okay?«, fragt sie.
»Mehr als okay«, sagt Ms Riordan mit erstickter Stimme. »Jake … er …«
Sie scheint nicht weitersprechen zu können und Vanessa sagt: »Wird der Prozess neu aufgerollt?«
Obwohl ich genau denselben Gedanken hatte, treffen mich die Worte wie ein Schlag ins Gesicht. Mr und Ms Riordan zu begegnen … damit kann ich umgehen. Die beiden haben mir persönlich nie irgendetwas getan. Ganz im Gegensatz zu Jake. Der Typ, der mir den absoluten Tiefpunkt meines Lebens beschert hat, der mir einen Mord anhängen wollte und die Verantwortung dafür trägt, dass ich in der Jugendhaftanstalt gelandet bin – zunächst ohne jede Hoffnung, jemals wieder rauszukommen –, kriegt eine zweite Chance. Der Staatsanwalt konnte es gar nicht erwarten, mich wegzusperren, aber Jake? Jake Riordan bekommt einen Passierschein. Wie immer.
Manche Dinge ändern sich nie. Sie ändern sich nie, verfluchte Scheiße.
Ich zerre am Ausschnitt meines T-Shirts, weil ich das Gefühl habe, nicht genug Luft zu bekommen, aber es nützt nichts. Die Happy-Hour-Crowd kann mich mal, ich muss aus dieser Bar raus. Und ich muss Addy anrufen, die das noch härter treffen wird als mich. Das hier ist ein wahr gewordener Albtraum, und es ist besser, sie erfährt es von mir als von irgendjemand anderem.
Ms Riordan, die immer noch zu sehr von ihren eigenen Gefühlen überwältigt ist, um zu realisieren, dass die gute Nachricht, die sie eben bekommen hat, für jeden anderen eine Hiobsbotschaft ist, kramt in ihrer Tasche, bevor sie Vanessas Frage beantwortet. »Nicht nur das«, sagt sie mit zitternder Stimme und presst sich ein Taschentuch auf die Augen. »Er kommt nach Hause.«
ADDY
Montag,
29. Juni
Coopers Jeep gibt ein ungesundes Scheppern von sich, als er vor einem Bürogebäude in San Diego auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz biegt. Seufzend lässt er den Hebel in der Parkposition einrasten und schaltet den Motor aus. »Ich gebe es nicht gern zu, aber ich glaube, seine Tage sind gezählt.«
»Wäre mir gar nicht aufgefallen«, entgegne ich trocken. Auf der Fahrt von Bayview hierher mussten wir uns praktisch anschreien, um uns über den Lärm des Motors hinweg unterhalten zu können.
»Sorry. Gestern war es noch nicht so schlimm, ich schwöre. Sonst hätte ich mir Kris’ Wagen geliehen.« Cooper hält mich am Arm zurück, als ich die Beifahrertür öffnen will. »Warte«, sagt er. »Ich will zuerst die Lage checken.« Er steigt aus, geht um den Jeep herum und lässt dabei seinen Blick über die Straße und die umliegenden Gebäude wandern, bevor er meine Tür aufmacht. »Die Luft ist rein.«
»Du bist bescheuert«, sage ich und muss trotz meiner schlechten Stimmung lächeln. Cooper ist mal wieder inkognito unterwegs – Sonnenbrille, tief ins Gesicht gezogene Baseballkappe und das Oktoberfest-T-Shirt, das Kris ihm mitgebracht hat, als er das letzte Mal seine Familie in Deutschland besucht hat. Er sieht aber trotzdem nicht wie der klassische Touri aus, für den er sich gelegentlich auszugeben versucht. Dafür schreit alles an ihm viel zu sehr Superathlet.
Wobei Cooper sich in diesem Fall nicht um irgendwelche Baseballfans Sorgen macht.
»Wir sind früh dran«, sagt er mit Blick auf sein Handy. »Willst du vorher noch einen Kaffee trinken?«
Ich schüttle den Kopf und schaue zu den Fenstern des Cafés im Erdgeschoss des Bürogebäudes, in dem Eli seine Non-Profit-Rechtsberatung hat. Hier und da sitzen Leute auf den Sitzbänken, die meisten starren auf ihre Laptops oder Handys. Nichts Ungewöhnliches, aber Elis Büro ist so bekannt, dass es mich nicht überraschen würde, wenn sich der eine oder andere Reporter unter die Gäste geschmuggelt hätte. Nachdem die Neuigkeit über Jake an die Öffentlichkeit gelangt ist, haben sich ein paar von ihrer Zunft, deren Gesichter ich noch vom letzten Mal kannte, in der Nähe unseres Hauses herumgetrieben, aber mittlerweile bin ich ziemlich geübt darin, ihnen aus dem Weg zu gehen. »Lass uns lieber gleich hoch.«
»Yes, Ma’am«, sagt Cooper und hakt sich bei mir unter.
Ich lehne mich an ihn und bin erleichtert, dass er da ist, obwohl ich erst gar nicht wollte, dass er mitkommt. Ich halte an meiner normalen Routine fest, habe ich allen gesagt, als letzte Woche die Bombe platzte: Jake bekommt nicht nur ein neues Verfahren, sondern darf auch gegen Kaution nach Hause. Die Tage, in denen Jake praktisch jeden meiner Schritte kontrolliert hat, sind vorbei. Und das habe ich auch so gemeint. Trotzdem ist es schön, Cooper an meiner Seite zu haben. Zumal meine normale Routine