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Drei Cousins. Eine Familie. Ein tödliches Geheimnis.
Milly, Aubrey und Jonah Story haben ihre legendäre Großmutter Mildred Margaret Story nie kennengelernt. Ihre Eltern sind schon vor langer Zeit von der High-Society-Matriarchin enterbt worden. Da erhalten die Cousins einen Brief: Sie sollen den Sommer auf dem Story-Anwesen auf Gull Cove Island bei ihrer Großmutter verbringen. Obwohl sich Milly, Aubrey und Jonah seit Kindesbeinen nicht gesehen haben, sind sich ihre Eltern einig – das ist die Chance, sich wieder auszusöhnen. Doch als die Cousins auf der Insel eintreffen, wird schnell klar, dass Mildred Margaret Story andere Pläne verfolgt – und dass die Story-Familiengeschichte dunkle Abgründe birgt. Diesen Sommer werden Milly, Aubrey und Jonah alle Geheimnisse aufdecken. Auch das letzte und tödlichste.
Atemlos und raffiniert sind die Thriller von Karen M. McManus, die weltweit die Fans begeistern. Mit meisterhaft geplotteten Wendungen und einnehmenden, komplexen Figuren garantieren ihre Bücher eine Suchtgefahr, der man sich nicht entziehen kann.
Karen M. McManus bei cbj & cbt:
One Of Us Is Lying
Two Can Keep A Secret
One Of Us Is Next
The Cousins
You Will Be The Death Of Me
Nothing More To Tell
One of us is back
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Seitenzahl: 516
Karen M. McManus
THE
COUSINS
Aus dem Amerikanischen
von Anja Galić
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Copyright © 2020 by Karen M. McManus, LLC
Published by Arrangement with Karen M. McManus
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020
unter dem Titel »The Cousins« bei Delacorte Press,
an imprint of Random House Children’s Books, New York.
© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem Amerikanischen von Anja Galić
Lektorat: Katarina Ganslandt
Umschlaggestaltung: © Suse Kopp, Hamburg,
unter Verwendung mehrerer Motive von Pixabay (Quang Nguyen vinh, Erik Lucatero, beegaia, Victor Torres); Stocksy (Victor Torres)
he • Herstellung: AJ
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-24632-7V007
www.cbj-verlag.de
Für Lynne
Stammbaum der Familie Story
1
MILLY
Ich werde wieder mal zu spät zum Abendessen kommen, aber diesmal kann ich nichts dafür. Mir funkt einer von diesen Typen dazwischen, die meinen, Frauen die Welt erklären zu müssen.
»Mildred? So heißen doch nur Großmütter. Und zwar solche, die noch nicht mal cool sind.« Er sagt es, als fände er sich selbst dafür umso cooler. Als wäre in den siebzehn Jahren, die ich jetzt schon auf dieser Erde lebe, noch nie jemand anderem aufgefallen, dass mein Name nicht zu der Art von altmodischen Vornamen gehört, die mittlerweile wieder angesagt sind. Nein, es brauchte einen Wall-Street-Banker mit zurückgegelten Haaren und Siegelring am kleinen Finger, um mir diese wichtige Information zuteilwerden zu lassen.
Ich trinke mein Wasser aus. »Ich bin tatsächlich nach meiner Großmutter benannt worden«, sage ich.
Es ist sechs Uhr abends an einem verregneten Apriltag. Ich sitze in einem Steakhouse im Zentrum Manhattans und tue mein Bestes, um mit der Happy-Hour-Crowd zu verschmelzen. Das ist so ein kleines Hobby, dem meine Freundinnen und ich ab und zu nachgehen; wir setzen uns in einem Restaurant an die Bar, weil man in Restaurants nicht nach dem Ausweis gefragt wird. Um älter zu wirken, schminken wir uns ein bisschen mehr als sonst, achten aber darauf, uns eher dezent und erwachsen zu kleiden. Wir bestellen ein Wasser mit Zitrone – »Ein kleines reicht, danke« – und trinken es in einem Zug fast leer. Dann warten wir ab, ob sich irgendjemand findet, der anbietet, uns auf einen Drink einzuladen.
Es findet sich immer jemand.
Der Siegelring-Träger lächelt. Seine Zähne sind in dem gedämpften Licht fast fluoreszierend. Er verpasst sicher nie einen Bleaching-Termin bei seinem Zahnarzt. »Mir gefällt der Name. Ein ziemlicher Kontrast zu einer so schönen jungen Frau.« Er rückt ein Stück näher und ich atme eine Kopfschmerzen auslösende Duftwolke seines aggressiven Aftershaves ein. »Sie sehen … interessant aus. Wo kommen Sie her?«
Gott. Das ist zwar nicht ganz so schlimm wie die Frage »Was sind Sie?«, die ich mir manchmal anhören muss, aber trotzdem total daneben. »New York«, sage ich mit Nachdruck. »Und Sie?«
»Ich meinte eher, wo kommen Sie ursprünglich her«, präzisiert er, und das war’s. Ich bin raus.
»New York«, wiederhole ich und gleite von meinem Barhocker. Gut, dass er mich erst angesprochen hat, als ich gerade vorhatte zu gehen. War sowieso keine so schlaue Idee von mir, vor dem Abendessen noch einen Cocktail zu wollen. Ich suche den Blick meiner Freundin Chloe, die am anderen Ende der Bar sitzt, und winke ihr zum Abschied zu, aber bevor ich mich verziehen kann, deutet der Siegelring-Träger mit seinem Glas auf meines und fragt: »Kann ich Sie vielleicht noch auf einen Drink einladen?«
»Nein danke. Ich bin verabredet.«
Er lehnt sich zurück und legt die Stirn in Falten. In sehr tiefe Falten. Sieht aus, als müsste er sein Botox-Depot auffrischen. Außerdem hat er tiefe Furchen in den Wangen und etliche kleine Fältchen um die Augen. Er ist viel zu alt, um mich anzumachen, selbst wenn ich tatsächlich schon Studentin wäre, wie ich es hin und wieder behaupte. »Wozu verschwendest du dann meine Zeit?«, knurrt er und schaut sich über meine Schulter hinweg bereits nach dem nächsten Opfer um.
Chloe mag das Happy-Hour-Spiel. Sie findet die Jungs auf der Highschool unreif. Womit sie recht hat. Aber manchmal glaube ich, dass es vielleicht gesünder wäre, wenn wir nicht wüssten, wie viel schlimmer sie mit zunehmendem Alter werden können.
Ich fische die Zitronenscheibe aus meinem Glas und zerdrücke sie zwischen den Fingerspitzen. Nicht dass ich dabei absichtlich auf sein Auge zielen würde, aber ich bin trotzdem ein bisschen enttäuscht, als der Saft nur bis zu seinem Hemdkragen spritzt.
»Ups, sorry«, sage ich zuckersüß, lasse die Zitronenscheibe ins Glas fallen und stelle es auf der Theke ab. »Normalerweise hätte ich mich gar nicht mit Ihnen abgegeben. Aber es ist so dunkel hier drin, dass ich Sie im ersten Moment für meinen Vater gehalten habe.«
Von wegen. Mein Dad sieht um Längen besser aus. Und vor allem ist er kein widerlicher Sugardaddy. Dem Siegelring-Träger klappt die Kinnlade runter, aber ich rausche an ihm vorbei und bin aus der Tür, bevor ihm eine Antwort einfällt.
Das Restaurant, in dem ich verabredet bin, liegt gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt die Platzanweiserin am Empfang mit professionellem Lächeln.
»Es müsste ein Tisch reserviert sein. Auf den Namen Allison?«
Sie senkt den Blick auf das dicke Buch, das aufgeschlagen vor ihr liegt, und zwischen ihren Brauen entsteht eine kleine Falte. »Ich kann hier nirgends …«
»Vielleicht unter Story-Takahashi?«, sage ich. Die Scheidung meiner Eltern ist ungewöhnlich einvernehmlich verlaufen. Der beste Beweis dafür ist, dass meine Mom immer noch beide Nachnamen benutzt. »Du heißt schließlich auch weiterhin so«, hat sie vor vier Jahren gesagt, als die Scheidung rechtskräftig war. »Außerdem habe ich mich daran gewöhnt.«
Die Falte zwischen den Brauen der Frau wird tiefer. »Den Namen kann ich leider auch nicht finden.«
»Und nur Story?«, sage ich.
Die Falte zwischen ihren Brauen glättet sich. »Ah! Jetzt habe ich Sie. Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Sie greift nach zwei Speisekarten und bahnt sich einen Weg zwischen den weiß eingedeckten Tischen hindurch bis zu einer Nische. Die Rückwand ist verspiegelt, und die Frau, die dort sitzt, nippt an einem Glas Weißwein, während sie ihrem Spiegelbild verstohlen einen prüfenden Blick zuwirft und in ihrem dunklen Knoten störrische Härchen glatt streicht, die nur sie sehen kann.
Ich lasse mich ihr gegenüber auf die Sitzbank fallen, worauf die Empfangsdame die überdimensionierten roten Speisekarten vor uns auf den Tisch legt. »Heute Abend also nur Story?«, sage ich.
Meine Mutter antwortet erst, als die Frau weg ist. »Ich hatte keine Lust, ihr den Namen zu buchstabieren«, seufzt sie. Ich sehe sie mit fragend hochgezogener Braue an. Normalerweise leistet Mom prinzipiell Widerstand, wenn jemand so tut, als wüsste er nicht, wie man den japanischen Nachnamen meines Vaters schreibt oder ausspricht.
»Warum nicht?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass sie es mir nicht sagen wird. Zuerst muss erörtert werden, was an mir mal wieder alles nicht stimmt.
Knapp ein Dutzend goldene Armreifen klirren, als sie ihr Glas abstellt. Meine Mutter ist stellvertretende Leiterin der PR-Abteilung eines Schmuck-Unternehmens. Es ist einer der Vorteile ihres Jobs, stets die Must-haves der aktuellen Kollektion zu tragen. Sie mustert mich mit zusammengekniffenen Augen und nimmt zweifellos wahr, dass ich stärker als sonst geschminkt bin und mein dunkelblaues Futteralkleid trage. »Wo kommst du her, dass du dich so rausgeputzt hast?«
Aus der Bar des Restaurants auf der anderen Straßenseite. »Ich war mit Chloe auf einer Vernissage«, lüge ich. Chloes Mutter gehört eine Kunstgalerie im Norden Manhattans, wo wir öfter mit unseren Freunden hingehen. Angeblich.
Mom greift wieder nach ihrem Glas. Nippt daran, lässt den Blick kurz zum Spiegel wandern, streicht wieder ihre Haare glatt. Wenn sie sie offen trägt, fallen sie ihr in dunklen Wellen über die Schultern, aber nachdem sie mit mir schwanger gewesen ist, haben sie angeblich ihren früheren Glanz und ihre Seidigkeit verloren und sind stumpf und störrisch geworden. Jedenfalls wird sie nicht müde, mir das immer wieder vorzuhalten, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es mir nie verzeihen wird. »Ich dachte, du wolltest für die Prüfung lernen.«
»Habe ich auch. Davor.«
Die Fingerknöchel der Hand, in der sie das Glas hält, treten weiß hervor, und ich wappne mich innerlich. Milly, du musst alles dafür tun, dass du die Elfte keinesfalls schlechter als mit einem B im Notendurchschnitt abschließt. Du stehst jetzt schon an der Schwelle zum Mittelmaß, und dein Vater und ich haben viel zu viel in dich investiert, als dass du deine Möglichkeiten einfach so vergeuden darfst.
Wäre ich auch nur ansatzweise musikalisch, würde ich Mom zu Ehren eine Band gründen, die ich »Cusp of Mediocracy« nennen würde. Seit drei Jahren höre ich mir verschiedene Versionen dieses immer gleichen Vortrags an. Die Prescott Academy bringt Jahr für Jahr zuverlässig einen neuen Schwung Studierende an die bekannten Eliteuniversitäten des Landes, als wäre sie eine Menschenfabrik zur Sicherung des Fortbestands der Oberschicht. Für meine Mutter ist es das größte Unglück ihres Lebens, dass ich von Anfang an immer zur notenmäßig weniger erfolgreichen Hälfte meines Jahrgangs gehört habe.
Aber diesmal bleibt der Vortrag aus. Stattdessen legt Mom ihre Hand auf meine und tätschelt sie so steif wie eine Marionette, die von einem Puppenspieleranfänger bewegt wird. »Hübsch siehst du heute aus.«
Sofort leuchten alle Alarmlämpchen in meinem Kopf rot auf. Ungewöhnlich genug, dass meine Mutter sich mit mir zum Abendessen verabredet hat, Komplimente macht sie mir nie. Genauso wenig wie sie mich berührt. Plötzlich habe ich das Gefühl, als wäre das alles Teil einer abgekarteten Sache, von der ich lieber nichts wissen will. »Bist du krank?«, platze ich heraus. »Ist Dad krank?«
Sie zieht blinzelnd ihre Hand zurück. »Was? Nein! Wie kommst du darauf?«
»Dann verstehe ich nicht, weshalb …« Ich verstumme, als ein lächelnder Kellner an unseren Tisch tritt und uns aus einem silbernen Krug Wasser einschenkt.
»Guten Abend, die Damen. Darf ich Ihnen vielleicht etwas von unserer heutigen Abendkarte empfehlen?«
Ich betrachte Mom verstohlen über den Rand meiner Speisekarte hinweg, während der Kellner die Empfehlungen aufzählt. So wie sie ihr fast leeres Weinglas umklammert, ist sie definitiv angespannt, aber jetzt wird mir klar, dass ich mit meiner Vermutung, es könnte irgendwas Schlimmes passiert sein, falschlag. Ihre tiefblauen Augen strahlen und ihre Mundwinkel zeigen beinahe nach oben. Es handelt sich offensichtlich um etwas, das sie in erwartungsvolle Aufregung versetzt, nicht um etwas, vor dem ihr graut. Ich frage mich, was meine Mutter glücklich machen könnte, aber nichts damit zu tun hat, dass ich die Prescott Academy auf wundersame Weise als Jahrgangsbeste abschließe.
Geld. Es kann nichts anderes sein. Alles im Leben meiner Mutter dreht sich darum – oder genauer gesagt darum, möglicherweise nicht genug davon zu haben. Meine Eltern arbeiten beide in gut bezahlten Jobs, und mein Dad hat immer großzügig Unterhalt gezahlt, obwohl er ein zweites Mal geheiratet hat. Seine neue Frau Surya ist das komplette Gegenteil einer bösen Stiefmutter, und zwar in jeder Hinsicht – auch was finanzielle Dinge angeht. Sie hat Mom die dicken Schecks, die er jeden Monat schickt, nie missgönnt.
Aber gut zu verdienen reicht nicht, wenn man mit Manhattans Jetset mithalten will. Hinzu kommt, dass meine Mutter in anderen – besseren – Verhältnissen aufgewachsen ist.
Ist sie befördert worden? Das muss es sein. Und ich würde mich sehr für sie freuen, auch wenn sie es sich mit Sicherheit nicht verkneifen können wird, mich daran zu erinnern, dass sie sich das durch harte Arbeit verdient hat, und … ach ja, wo wir gerade dabei sind. Warum kannst du dir nicht endlich auch mal deutlich mehr Mühe geben, und zwar in jeder Beziehung.
»Ich nehme den Caesar Salad mit Hühnerbrust. Keine Anchovis, das Dressing extra.« Mom reicht dem Kellner die Karte, ohne ihn anzusehen. »Und noch ein Glas von dem Langlois-Château bitte.«
»Sehr gern. Und die junge Dame?«
»Das Entrecote, englisch, und die Ofenkartoffel.« Wenn ich schon nicht weiß, was gleich auf mich zukommt, kann ich die Situation wenigstens nutzen, um ein leckeres Abendessen herauszuschlagen.
Als der Kellner gegangen ist, trinkt Mom ihren Wein aus, und ich nehme einen tiefen Schluck von meinem Wasser, merke aber im selben Moment, dass ich nach dem Glas, das ich eben schon in der Bar getrunken habe, dringend pinkeln muss. Ich will mich gerade auf die Toilette entschuldigen, da sagt Mom: »Ich habe heute einen äußerst interessanten Brief erhalten.«
Aha. Es geht los. »Einen Brief?« Ich warte einen Moment. Als sie keine Anstalten macht, weiterzusprechen, schiebe ich hinterher: »Von wem?«
Sie streicht mit einem Finger über den Fuß ihres Weinglases und ihre Mundwinkel biegen sich noch einen Millimeter weiter nach oben. »Von deiner Großmutter.«
Ich stutze. »Von Baba?« Ich habe keine Ahnung, was daran so außergewöhnlich sein soll, dass sie dafür diesen ganzen Aufwand betreiben muss. Okay, meine Großmutter nimmt nicht oft Kontakt zu Mom auf, aber es ist auch nicht so, als würde sie es nie tun. Baba gehört zu den Menschen, die Artikel, die sie gelesen haben, gern an alle weiterleiten, von denen sie denken, sie könnten auch Interesse daran haben. Sie hat Mom auch nach der Scheidung nie aus ihrem Verteiler genommen.
»Nicht von Baba. Von deiner anderen Großmutter.«
»Was?« Jetzt bin ich wirklich verwirrt. »Du hast einen Brief von … Mildred bekommen?«
Ich habe keinen Kosenamen für die Mutter meiner Mutter. Sie ist weder Grandma noch Mimi noch Nana oder sonst irgendetwas für mich, weil ich sie nie kennengelernt habe.
»Ganz genau.« Der Kellner kehrt mit Moms Wein zurück und sie nimmt erleichtert einen tiefen Schluck davon. Ich sitze schweigend da und weiß nicht, was ich mit dem, was sie mir gerade gesagt hat, anfangen soll. Meine Großmutter mütterlicherseits ist in meiner Kindheit zwar allgegenwärtig gewesen, aber eher so wie eine Figur aus einem Märchen statt wie ein realer Mensch: Mildred, die vermögende Witwe von Abraham Story, dessen Ur-ur-ur-was-weiß-ich-Großvater im siebzehnten Jahrhundert als einer der ersten Siedler auf der Mayflower nach Amerika gekommen war. Die Vita meiner Vorfahren ist interessanter als jedes Geschichtsbuch: Die Familie machte ein Vermögen im Walfang, verlor denGroßteil davon in Eisenbahn-Wertpapieren und steckte den Rest in den Kauf eines Grundstücks auf einer unscheinbaren kleinen Insel vor der Küste von Massachusetts.
Gull Cove Island war ein kaum bekanntes Paradies für Künstler und Hippies, bis Abraham Story es in das verwandelte, was es heute ist: ein Ort, an dem sehr reiche und semiberühmte Leute lächerlich viel Geld dafür ausgeben, so zu tun, als würden sie an den Busen der Natur zurückkehren.
Meine Mutter und ihre drei Brüder sind auf einem riesigen, direkt am Meer gelegenen Anwesen namens Catmint House aufgewachsen, sie ritten auf ihren eigenen Pferden aus und bewegten sich mit einer Selbstverständlichkeit auf mondänen Dinner-Partys, als wären sie die Prinzessin und die Prinzen von Gull Cove Island. Bei uns zu Hause steht ein Foto auf dem Kaminsims, das Mom mit achtzehn zeigt, wie sie gerade aus einer Limousine steigt, mit der ein Chauffeur sie zu der Sommer-Gala gefahren hat, die ihre Eltern alljährlich in ihrem Urlaubsresort veranstaltet haben. Ihre Haare sind kunstvoll hochgesteckt, sie trägt ein weißes Ballkleid, und um ihren Hals liegt eine Kette mit einem wunderschönen, tropfenförmigen Diamanten, den sie von Mildred zu ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Früher habe ich immer geglaubt, sie würde ihn an meinem Siebzehnten an mich weitergeben.
Ist nicht passiert. Obwohl Mom ihn selbst nie trägt.
Mein Großvater starb, kurz bevor Mom ihren Highschool-Abschluss machte. Zwei Jahre später hat Mildred ihre Kinder enterbt. Sie hat von jetzt auf gleich den Kontakt zu ihnen abgebrochen und ihnen den Geldhahn zugedreht. Als Erklärung ließ sie ihnen zwei Wochen vor Weihnachten durch ihren Anwalt, einen Mann namens Donald Camden, der meine Mutter und ihre Brüder schon seit ihrer Geburt kannte, einen Brief zukommen, in dem nur ein einziger Satz stand:
Ihr wisst, was ihr getan habt.
Mom hat immer darauf beharrt, keine Ahnung zu haben, was Mildred damit gemeint haben könnte. »Wahrscheinlich fand sie, dass wir … selbstsüchtig geworden waren«, erzählte sie mir. »Wir waren damals alle schon auf dem College und haben angefangen, unser eigenes Leben zu führen. Mutter ist nach Vaters Tod einsam gewesen und lag uns ständig damit in den Ohren, dass wir sie besuchen kommen sollten. Aber wir hatten dazu natürlich keine große Lust.« Sie nennt ihre Eltern Mutter und Vater, wie die Heldin eines viktorianischen Romans. »In dem Jahr hat keiner von uns Thanksgiving zu Hause verbracht. Wir hatten alle etwas anderes vor. Das hat sie uns sehr übel genommen, aber …« An diesem Punkt verstummte Mom dann immer kurz und bekam einen nachdenklichen Ausdruck. »Dabei ist das doch keine wirklich große Sache gewesen. Nichts, was man seinen Kindern nicht verzeihen könnte.«
Hätte Abraham Story nicht noch zu seinen Lebzeiten für seine drei Söhne und die Tochter Studienversicherungen abgeschlossen, sodass die Finanzierung gesichert war, hätten sie wohl kaum ihren College-Abschluss machen können. Aber danach waren sie auf sich allein gestellt. Anfangs haben sie noch regelmäßig versucht, wieder Kontakt zu Mildred aufzunehmen. Sie haben sie und Donald Camden mit Nachrichten bombardiert, aber er reagierte nur selten darauf und schickte höchstens mal eine kurze E-Mail, in der er wiederholte, dass Mildreds Entscheidung unumstößlich feststand. Die vier schickten ihrer Mutter Einladungen zu ihren Hochzeiten und die Geburtsanzeigen ihrer Kinder. Sie fuhren sogar nacheinander alle nach Gull Cove Island, wo meine Großmutter auch heute noch lebt, aber sie weigerte sich, sie zu sehen oder mit ihnen zu sprechen. Früher habe ich mir gern vorgestellt, dass sie eines Tages in einen Pelzmantel gehüllt und mit Diamanten behängt bei uns zu Hause auftauchen und verkünden würde, sie wäre hier, um mich, ihre Namensvetterin, abzuholen. Dass sie mit mir in ein Spielwarengeschäft gehen würde, wo ich mir alles aussuchen dürfte, was immer ich wollte, und mich anschließend mit einem Sack voll Geld zu meinen Eltern zurückschicken würde.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Mutter dieselbe Fantasie hatte. Warum sollte man einem Mädchen aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert sonst einen Namen wie Mildred aufbürden? Aber mit Donald Camdens Hilfe blockte meine Großmutter alle Versuche ihrer Kinder ab, sich ihr wieder anzunähern. Bis sie es irgendwann aufgaben.
Mom sieht mich erwartungsvoll an, und mir wird klar, dass sie auf eine Reaktion wartet. »Du hast einen Brief von deiner Mutter bekommen?«, sage ich.
Sie nickt und räuspert sich. »Um genau zu sein, hast du einen Brief von ihr bekommen.«
»Ich?« Mein Vokabular scheint sich in den letzten paar Minuten drastisch reduziert zu haben.
»Der Umschlag war an mich adressiert, aber der Brief ist an dich gerichtet.«
Vor meinem inneren Auge ploppt die Wunschvorstellung meines siebenjährigen Ichs auf: wie ich mit meiner verloren geglaubten Großmutter einen Einkaufswagen bis oben hin mit Stofftieren vollpacke, fein angezogen und mit Diademen im Haar, als würden wir in die Oper gehen. Ich schiebe das Bild beiseite und suche weiter nach Worten. »Ist sie … Hat sie … Warum?«
Meine Mutter greift in ihre Tasche, nimmt einen Umschlag heraus und schiebt ihn mir über den Tisch zu. »Vielleicht liest du ihn einfach selbst.«
Ich hebe die Lasche an und ziehe ein gefaltetes Blatt Papier heraus, dick und cremefarben und zart nach Flieder duftend. In den Briefkopf sind die Initialen MMS eingeprägt – Mildred Margaret Story. Wir haben exakt den gleichen Namen, außer dass an meinem noch Takahashi dranhängt. Die kurzen Absätze sind maschinengeschrieben und schließen mit einer engen, spinnenbeinartigen Unterschrift ab.
Liebe Milly,
wir haben uns nie kennengelernt. Die Gründe dafür sind vielschichtig, mit den Jahren aber immer weniger wichtig geworden. Du bist mittlerweile eine fast erwachsene junge Frau, und ich muss gestehen, ich bin neugierig auf dich und würde dich gern kennenlernen.
Wie du vermutlich weißt, besitze ich eine Ferienanlage namens Gull Cove Resort, ein beliebtes Urlaubsziel auf Gull Cove Island. Ich möchte dich, deine Cousine Aubrey und deinen Cousin Jonah gern einladen, die Sommerferien hier zu verbringen und im Resort zu arbeiten. Eure Eltern haben als Jugendliche ebenfalls hier gearbeitet, und ich glaube, ich kann sagen, dass es sowohl eine inspirierende als auch bereichernde Erfahrung für sie gewesen ist.
Ich bin sicher, du, deine Cousine und dein Cousin würden auf ähnliche Weise von einem Sommer im Gull Cove Resort profitieren. Und da es mir mein gesundheitlicher Zustand nicht erlaubt, für längere Zeit Gäste zu Hause zu beherbergen, würde sich mir so die Gelegenheit bieten, euch kennenzulernen.
Ich hoffe, ihr nehmt meine Einladung an. Edward Franklin, der Leiter der Personalabteilung, wird alles Notwendige bezüglich eurer Reise und Unterbringung in die Wege leiten. Ihr könnt ihn unter der unten stehenden E-Mail-Adresse kontaktieren.
Herzlich,
Mildred Story
Ich lese den Brief ein zweites Mal, dann falte ich ihn wieder zusammen und lege ihn auf den Tisch. Ich schaue nicht auf, spüre aber den Blick meiner Mutter, die darauf wartet, dass ich etwas sage. Obwohl ich inzwischen noch dringender pinkeln muss, brauche ich erst mal einen Schluck Wasser, um meine Kehle zu befeuchten, bevor ich ausstoßen kann: »Ist dieser Blödsinn etwa ernst gemeint?«
Mit welcher Antwort meine Mutter auch immer gerechnet hat, die war es nicht. »Wie bitte?«
»Nur damit ich das richtig verstehe …« Meine Wangen fangen an zu brennen, während ich den Brief in den Umschlag zurückstecke. »Diese Frau, die ich nie kennengelernt habe … die dich einfach so aus ihrem Leben ausgeschlossen hat, die weder zu deiner Hochzeit noch zu meiner Taufe gekommen ist oder Anteil an irgendetwas genommen hat, was in den letzten vierundzwanzig Jahren mit dieser Familie zu tun hatte, die nie angerufen oder geschrieben hat … diese Frau möchte, dass ich in ihrem Hotel arbeite?«
»Ich glaube, du betrachtest das Ganze aus einem falschen Blickwinkel, Milly.«
Meine Stimme überschlägt sich fast. »Aus welchem Blickwinkel sollte ich es denn betrachten?«
»Schscht«, zischt Mom und lässt hektisch den Blick durch das Restaurant wandern. Sie hasst es, wenn man eine Szene macht. »Als Chance.«
»Für was?«, frage ich. Sie zögert und dreht ihren schmalen Brillantring hin und her – kein Vergleich mit dem fünfkarätigen Smaragdklunker, den ich auf alten Fotos an der Hand meiner Großmutter gesehen habe – und plötzlich kapiere ich es. »Nein, warte – sag nichts. Ich habe die Frage falsch gestellt. Sie hätte lauten sollen: Für wen? Du glaubst, dass das eine Chance ist, dich wieder gut mit ihr zu stellen, hab ich recht? Wieder … ent-enterbt zu werden.«
»Das Wort gibt es nicht.«
»Gott, Mom. Hier geht es nicht um korrektes Vokabular!«
»Tut mir leid«, sagt Mom, was mich so überrascht, dass ich die Schimpftirade, zu der ich angesetzt habe, nicht beende. Ihre Augen leuchten immer noch, aber jetzt schimmern auch Tränen darin. »Es ist nur … sie ist meine Mutter, Milly. Ich warte seit Jahren auf ein Zeichen von ihr. Ich weiß nicht, warum es ausgerechnet jetzt kommt und warum an dich gerichtet und warum in dieser Form, aber sie reicht uns endlich eine Hand. Wenn wir ihr Angebot jetzt nicht annehmen, bekommen wir vielleicht keine zweite Chance.«
»Chance worauf?«
»Sie neu kennenzulernen.«
Mir liegt ein Wozu? auf der Zunge, aber ich schlucke es hinunter. Genau wie das, was ich im Anschluss gesagt hätte – Wir sind die ganze Zeit auch sehr gut ohne sie klargekommen. Weil es nicht stimmt. Sind wir nicht.
Meine Mutter lebt am Rand einer riesigen Leerstelle, die die Umrisse von Mildred Story hat, und das tut sie schon, seit ich auf der Welt bin. Das hat sie zu einem Menschen gemacht, der alle auf Abstand hält – selbst meinen Dad, dabei weiß ich, dass sie ihn so sehr geliebt hat, wie sie jemanden nur lieben kann. Als Kind habe ich mir immer gewünscht, später auch mal eine so perfekte Beziehung zu haben. Aber als ich älter wurde, fing ich an, all die kleinen Dinge wahrzunehmen, die Mom tat, um Dad wegzustoßen. Wie sie sich bei Umarmungen versteifte, Arbeit vorschob, um erst nach Hause zu kommen, wenn wir schon im Bett lagen, Familienausflüge absagte wegen Migräneanfällen, die sie im Büro nie heimsuchten. Irgendwann blieb es nicht nur bei ihrer kühlen Art und ihrer Verschlossenheit, und sie begann alles zu kritisieren, was Dad gesagt oder getan hat. Bis sie ihn schließlich bat, zu gehen.
Jetzt, wo er weg ist, macht sie dasselbe mit mir.
Ich zeichne ein Fragezeichen auf mein eiskalt beschlagenes Wasserglas. »Du willst, dass ich die kompletten Sommerferien woanders verbringe?«, frage ich.
»Du würdest dort eine wunderschöne Zeit haben, Milly.« Als ich schnaube, fügt sie hinzu: »Davon bin ich wirklich überzeugt. Die Hotelanlage ist ein Traum. Junge Leute von überallher reißen sich förmlich darum, dort einen Sommerjob zu ergattern. Die Unterkünfte für die Mitarbeiter sind sauber und gepflegt, man hat Zugang zu allen Einrichtungen – es ist wie Urlaub.«
»Ein Urlaub, den ich als Angestellte meiner Großmutter verbringe.«
»Du wärst mit deiner Cousine und deinem Cousin zusammen.«
»Ich kenne meine Cousine und meinen Cousin nicht.« Aubrey habe ich nicht mehr gesehen, seit Onkel Adam mit seiner Familie nach Oregon gezogen ist, als wir beide fünf waren. Jonah lebt auf Rhode Island, das ist zwar nicht wirklich weit weg, aber meine Mutter und sein Vater reden kaum miteinander. Das letzte Mal habe ich ihn auf einem Geburtstag von Onkel Anders gesehen, da war ich acht. Ich habe nur zwei Erinnerungen an Jonah: Erstens, dass er mir mit einer Plastikfledermaus auf den Kopf geschlagen hat und enttäuscht wirkte, als ich nicht weinte. Und zweitens, dass er wie ein Ballon anschwoll, nachdem er irgendwas gegessen hatte, wogegen er allergisch war, obwohl seine Mutter ihn gewarnt hatte.
»Das wäre eine Gelegenheit, sie kennenzulernen. Ihr seid alle im selben Alter und keiner von euch hat Geschwister. Es wäre doch schön, wenn ihr in Zukunft mehr miteinander zu tun hättet.«
»So viel wie du und Onkel Adam, Onkel Anders und Onkel Archer? Ihr redet praktisch nicht miteinander! Es gibt nichts, was meine Cousine, meinen Cousin und mich miteinander verbindet.« Ich schiebe ihr den Umschlag rüber. »Sorry. Ich mache da nicht mit. Ich bin kein Hündchen, das hechelnd angerannt kommt, nur weil sie pfeift. Und ich habe keine Lust, den ganzen Sommer woanders zu arbeiten.«
Mom dreht wieder an ihrem Ring. »Ich habe damit gerechnet, dass du so reagieren wirst. Und mir ist bewusst, dass es viel verlangt ist. Deswegen würde ich dir gern etwas geben, sozusagen als Gegenleistung.« Ihre Hand wandert zu der dicken Goldkette, die auf ihrem schwarzen Kleid glänzt. »Ich weiß, wie sehr du meine Kette mit dem tropfenförmigen Diamanten liebst. Was hältst du davon, wenn ich sie dir als Dankeschön schenke?«
Ich setze mich aufrechter hin und sehe sofort vor mir, wie der Diamant auf meinem Dekolleté funkeln würde. Ich träume seit Jahren davon. Aber ich hatte mir gewünscht, sie würde mir die Kette aus freien Stücken schenken – nicht versuchen, mich damit zu bestechen.
»Warum hast du sie mir nie einfach deswegen geschenkt, weil ich deine Tochter bin?« Das habe ich mich immer gefragt, es aber nie gewagt, sie darauf anzusprechen. Vielleicht hatte ich Angst, die Antwort könnte dieselbe sein wie die, die sie meinem Dad gab – nicht in Worten, aber durch ihr Verhalten: Weil du nicht genügst.
»Es ist ein Familienerbstück«, sagt Mom, als würde sie mit diesem Argument nicht genau das untermauern, was ich gerade gefragt habe. Ich starre sie stirnrunzelnd an, als sie ihre gepflegte Hand auf den Umschlag legt. Sie schiebt ihn nicht unbedingt in meine Richtung, eher gibt sie ihm einen fast unmerklichen Schubs. »Ich dachte immer, ich würde sie dir zum Einundzwanzigsten schenken, aber wenn du den Sommer an dem Ort verbringst, an dem ich aufgewachsen bin … erscheint es mir nun mal richtig, wenn du sie früher bekommst.«
Seufzend greife ich nach dem Umschlag und drehe ihn hin und her, während Mom an ihrem Wein nippt und wartet. Ich weiß nicht, was mich mehr frustriert: dass meine Mutter versucht, mich durch Erpressung dazu zu bringen, in den Sommerferien für eine Großmutter zu arbeiten, die ich nie kennengelernt habe, oder dass ihre Rechnung komplett aufgeht.
2
AUBREY
Ich strecke mich nach der gekachelten Beckenwand. Sobald ich sie mit den Fingerspitzen berühre, mache ich die Kippwende und stoße mich für die letzte Bahn ab. Das ist mein Lieblingsmoment bei Wettkämpfen: wenn das Wasser an meinem gedehnten Körper entlangrauscht, während ich von Schwungkraft und Adrenalin angetrieben hindurchgleite. Manchmal tauche ich deswegen nicht schnell genug wieder auf. Coach Matson nennt das eine Entgleisung: ein winziger technischer Fehler, der den Unterschied zwischen einer guten und einer herausragenden Schwimmerin bedeuten kann. Normalerweise versuche ich, es nicht dazu kommen zu lassen. Heute ist es anders. Wenn ich könnte, würde ich für immer hier unten bleiben.
Schließlich durchbreche ich doch die Oberfläche, schnappe nach Luft und bewege mich mit gleichmäßigen Schwimmzügen vorwärts. In meinen Schultern und Beinen breitet sich ein angenehmes Brennen aus, da ist kein Gedanke in mir, nur physische Anstrengung, bis meine Finger erneut gegen die gekachelte Wand stoßen. Keuchend ziehe ich meine Schwimmbrille ab und wische mir über die Augen, bevor ich zur Anzeigetafel schaue.
Siebte von acht. Mein schlechtestes Finish auf zweihundert Metern. Noch vor zwei Tagen hätte mich dieses Ergebnis in tiefe Verzweiflung gestürzt. Aber als ich Coach Matson entdecke, die mit in die Hüften gestemmten Händen auf die Anzeigetafel starrt, spüre ich bloß einen kurzen Anflug von wütendem Triumph.
Geschieht dir recht.
Egal. Es spielt sowieso keine Rolle. Ich werde nie wieder für die Ashland High schwimmen. Ich bin heute nur hier, weil das Team sonst nicht hätte antreten dürfen.
Ich hieve mich aus dem Becken und greife nach dem Handtuch auf der Bank. In diesem finalen Wettkampf der Saison waren die Zweihundertmeter für heute meine letzte Disziplin. Normalerweise würde meine Mutter auf den Rängen sitzen und viel zu lange Videos von mir auf Facebook posten, und ich würde mich an den Beckenrand stellen und meine Mannschaftskolleginnen bei der Staffel anfeuern. Aber Mom ist nicht hier und ich werde nicht bleiben.
Auf dem Weg in die leere Umkleidekabine klatschen meine nassen Füße über die Fliesen. Ich hole meine Tasche aus dem Schließfach mit der Nummer 74, lasse meine Schwimmkappe und die Brille hineinfallen und ziehe T-Shirt und Shorts über den nassen Schwimmanzug. Dann schlüpfe ich in meine Flipflops und tippe schnell eine Nachricht: Fühle mich nicht gut. Treffen wir uns am Ausgang?
Der Staffelwettkampf ist in vollem Gang, als ich wieder in die Schwimmhalle trete. Diejenigen von meinen Teamkolleginnen, die nicht daran teilnehmen, stehen am Beckenrand und sind zu sehr mit Anfeuern beschäftigt, um mitzubekommen, wie ich mich davonschleiche. Ich spüre einen Stich in der Brust, und meine Augen fangen an zu brennen, bis mein Blick auf Coach Matson fällt, die an ihrem Stammplatz neben dem Sprungbrett steht. Ihr blonder Pferdeschwanz rutscht über eine Schulter nach vorn, als sie sich vorbeugt und Chelsea Reynolds zubrüllt, gefälligst Tempo zuzulegen, und mich überkommt ein plötzliches, beinahe übermächtiges Verlangen, auf sie zuzustürmen und sie ins Becken zu stoßen.
Eine köstliche Sekunde lang stelle ich mir vor, wie sich das anfühlen würde. Die Leute, die sich wie jeden Samstag im Ashland Memorial Recreation Center auf den Zuschauerrängen eingefunden haben, würden geschockt zusammenzucken und die Hälse recken. Ist das nicht Aubrey Story? Was ist bloß in sie gefahren? Niemand würde seinen Augen trauen, weil ich das Mädchen bin, das immer ruhig und zurückhaltend ist.
Außerdem bin ich ein Riesenfeigling. Also gehe ich einfach weiter.
Eine vertraute schlaksige Gestalt wartet neben dem Ausgang. Mein Freund Thomas trägt das Trail-Blazers-Trikot, das ich ihm geschenkt habe, und seine dunklen Haare sind wie immer im Sommer millimeterkurz geschoren. Während ich auf ihn zugehe, beginnt der Knoten in meinem Bauch sich zu lösen. Thomas und ich sind seit der achten Klasse zusammen – letztes Jahr haben wir unser Vierjähriges gefeiert. Mich in seine Arme fallen zu lassen, fühlt sich an, als würde ich in ein warmes Bad eintauchen.
Vielleicht ein bisschen zu sehr. »Du bist ja klatschnass«, sagt Thomas und löst sich aus meiner feuchten Umarmung. Er mustert mich besorgt. »Was ist los? Du hast geschrieben, dass du dich nicht so gut fühlst?«
Seit Thomas mich kennt, hatte ich vielleicht ein einziges Mal eine Erkältung. Ich bin seltsam resistent gegen Krankheitserreger. »Du kommst nicht nach den Storys«, seufzt mein Vater gern. »Allein die Andeutung eines Virus schafft es, uns tagelang außer Gefecht zu setzen.« Bei ihm klingt das fast so, als wäre er stolz darauf. Als gehörte sein Familienzweig einer zarten und seltenen Blumengattung an, die nur im Gewächshaus blüht, wohingegen Mom und ich wie robustes Unkraut sind, das überall gedeihen kann.
Beim Gedanken an meinen Vater zieht sich in mir wieder alles zusammen. »Ich fühle mich nur einfach ein bisschen schlapp«, sage ich zu Thomas.
»Wahrscheinlich hast du dich bei deiner Mom angesteckt.«
Als ich Thomas gestern Abend gefragt habe, ob er mich heute zur Schwimmhalle fahren kann, habe ich behauptet, meine Mutter würde sich ein bisschen kränklich fühlen. Den wahren Grund habe ich ihm auch heute Morgen auf der Fahrt hierher nicht gesagt. Ich habe keine Worte dafür gefunden. Aber als wir jetzt vor seinem Honda stehen, drängt alles in mir danach, es ihm endlich zu erzählen, und ich bin erleichtert, als er sich mit gerunzelter Stirn zu mir umdreht. Jetzt muss er nur noch Was macht dir wirklich zu schaffen? fragen, dann kann ich es loswerden.
»Du musst dich aber nicht übergeben, oder?«, sagt er. »Ich hab den Wagen nämlich gerade erst von innen grundgereinigt.«
Ernüchtert öffne ich die Beifahrertür. »Nein. Ich hab bloß Kopfschmerzen. Ich lege mich gleich einfach ein bisschen hin, danach sind sie bestimmt weg.«
Er nickt, ohne die Zwischentöne mitzukriegen. »Okay, dann fahre ich dich direkt nach Hause.«
Toll. Nach Hause. Der zweitletzte Ort, an dem ich jetzt sein will. Aber bis ich in ein paar Wochen nach Gull Cove Island fahre, hänge ich dort erst mal noch fest. Schon komisch, wie sich etwas, das mir am Anfang völlig absurd vorgekommen ist und worauf ich keine Lust hatte, plötzlich nach süßer Erlösung anfühlt.
Thomas startet den Wagen, und ich hole mein Handy heraus, um zu schauen, ob meine Cousine oder mein Cousin seit heute Morgen irgendetwas Neues in unsere Gruppe geschrieben haben. Eine Nachricht von Milly; sie hat ihre Reisedaten geschickt und fragt: Sollen wir versuchen, alle dieselbe Fähre zu nehmen?
Als ich den Brief meiner Großmutter bekommen habe – mein Dad ist natürlich automatisch davon ausgegangen, dass ich ihr Angebot ohne Wenn und Aber annehme –, habe ich als Erstes meine Cousine und meinen Cousin gegoogelt. Milly war in den sozialen Netzwerken leicht zu finden. Ich habe ihr auf Instagram eine Follower-Anfrage geschickt, die sie praktisch noch in derselben Minute angenommen hat, sodass ich ihr Profil mit etlichen Fotos von sich und ihren Freunden sehen konnte. Allesamt wunderschöne Menschen, besonders meine Cousine. Sie ist Halbjapanerin und sieht viel mehr nach einer echten Story aus als ich – dunkle Haare, feingliedrig, große, ausdrucksstarke Augen und Wangenknochen, für die andere sterben würden. Ich dagegen komme nach meiner Mutter – blond, Sommersprossen, athletisch. Das einzige Merkmal, das ich mit meiner mondänen Großmutter gemeinsam habe, ist das portweinrote Muttermal auf meinem rechten Unterarm; Gran hat fast das gleiche auf ihrem rechten Handrücken.
Ich habe keine Ahnung, wie Jonah aussieht. Er ist nirgendwo zu finden gewesen, außer auf Facebook – aber da hat er eine DNA-Doppelhelix als Profilbild. Insgesamt hat er sieben Freunde, mich nicht eingeschlossen, weil er meine Anfrage nicht angenommen hat.
Jonah hat sich bis jetzt auch so gut wie gar nicht an unserem Gruppenchat beteiligt, außer um sich zu beschweren. Ihn kotzt es noch mehr an, in den Sommerferien nach Gull Cove Island geschickt zu werden, als Milly und mich. Als Thomas vom Parkplatz des Recreation Centers fährt, lenke ich mich damit ab, noch mal durch unsere gestrige Unterhaltung zu scrollen.
Jonah: Das ist doch Kacke. Es ist geplant gewesen, dass ich die Sommerferien im Camp verbringe.
Milly: Als Betreuer?
Jonah: Das ist kein blödes Ferienlager, sondern ein Science-Camp. Superbegehrt. Ist fast unmöglich, einen Platz zu bekommen, und jetzt soll ich darauf verzichten?
Jonah: Und wofür? Um für eine Frau, die unsere Eltern und höchstwahrscheinlich auch uns hasst, Klos zu putzen. Und das auch noch zum Mindestlohn.
Aubrey: Wir putzen keine Klos. Hast du Edwards Mail nicht gelesen?
Jonah: Wer soll das sein?
Aubrey: Edward Franklin. Der Leiter der Personalabteilung vom Resort. Es gibt eine Menge unterschiedliche Jobs, aus denen wir uns einen auswählen können. Ich hab schon gesagt, dass ich am liebsten als Rettungsschwimmerin arbeiten würde.
Jonah: Ist ja echt 1a.
Milly: Deswegen brauchst du nicht gleich so arschig zu werden.
Milly: Außerdem, wer sagt heutzutage noch »1a«? Wie alt bist du? 80?
Die beiden haben sich noch zehn Minuten lang weiter gestritten, während ich die Unterhaltung geghostet habe, weil … Konfrontation? Nicht mein Ding.
Meine letzte Begegnung mit einem Mitglied der Story-Familie war kurz nach unserem Umzug nach Oregon, als der jüngste Bruder meines Vaters uns für ein Wochenende besuchen kam. Onkel Archer hat keine Kinder, aber er hat sich als Allererstes wie ein Lego-Experte neben mich auf den Boden gehockt und mir geholfen, die Stadt aufzubauen, mit der ich gerade angefangen hatte. Ein paar Stunden später hat er in meine Spielzeugkiste gekotzt. Mir ist erst vor Kurzem klar geworden, dass er die ganze Zeit betrunken war.
Früher – als Dad noch über seine Brüder und seine Schwester gesprochen hat – nannte er sich und seine Geschwister immer die Vier A’s: Adam, Anders, Allison und Archer, mit jeweils einem Jahr Abstand auf die Welt gekommen. Jeder hatte seine ganz eigene Rolle in der Familie: Adam war der sportliche Goldjunge, Anders der brillante Exzentriker, Allison die distanzierte Schönheit und Archer der charmante Spaßvogel.
Onkel Anders, Jonahs Vater, ist der Einzige, der das gute Aussehen der Familie nicht geerbt hatte. Auf alten Fotos ist er klein und dürr, seine Gesichtszüge sind scharf, die Augenbrauen wie Schrägstriche und die Lippen zu einem schmalen Dauergrinsen verzogen. Genauso stelle ich mir Jonah vor, wenn ich seine Nachrichten lese.
Ich will mein Handy gerade wieder wegstecken, als eine neue Nachricht von Milly an mich kommt. Es ist das erste Mal, dass sie mir außerhalb unserer Gruppe schreibt. Ich hab da eine wichtige Frage an dich, Aubrey: Liegt es bloß an mir oder ist Jonah tatsächlich ein totales Arschloch?
Ich muss kurz grinsen und antworte: Liegt nicht bloß an dir. Dann klappe ich Thomas’ Handschuhfach auf, wo er immer ein paar Süßigkeiten gebunkert hat, und nehme mir ein Pop-Tart mit braunem Zucker und Zimt aus der Schachtel. Nicht meine Lieblingssorte, aber nach dem Wettkampf hängt mir mein Magen in den Kniekehlen.
Milly: Ich meine, keiner von uns ist scharf drauf. Ich hab mich vielleicht nicht für das Genie-Camp angemeldet, aber es gibt trotzdem ein paar Dinge, die ich lieber machen würde.
Bevor ich zurückschreiben kann, geht eine weitere Nachricht ein, diesmal von Jonah in unserem Gruppen-Chat. Wenn ich die Fähre nehmen würde, die du vorgeschlagen hast, müsste ich mich total abhetzen. Ich verstehe sowieso nicht, warum wir unbedingt alle zusammen dort ankommen sollen.
Milly: OMG dieser Typ ist so was von überflüssig!!!
Jonah: Entschuldigung?
Milly: …
Milly: Sorry, falscher Chat.
Milly, in unserem Privat-Chat: Fuck.
Ich lache, den Mund voller Pop-Tart, und Thomas wirft mir einen Blick von der Seite zu. »Was ist so lustig?«, fragt er.
Ich kaue zu Ende und schlucke, bevor ich antworte. »Meine Cousine Milly. Ich glaube, ich mag sie jetzt schon.«
»Umso besser. Dann werden deine Sommerferien wenigstens nicht komplett scheiße.«
Thomas trommelt mit den Fingern einer Hand auf dem Lenkrad, während er in meine Straße biegt. Sie ist schmal und gewunden und von einfachen Bungalows und Reihenhäusern gesäumt. Gekauft nach der Veröffentlichung des ersten Romans meines Vaters vor fast zehn Jahren, sollte unser Haus das erste bescheidene Eigenheim werden, dem im Laufe seiner Karriere weitere, größere Häuser folgen würden. Das Buch war kein Bestseller, aber es ist damals so gut besprochen worden, dass er einen Vertrag für einen zweiten Roman angeboten bekam. Den er immer noch nicht geschrieben hat, obwohl er noch nie einer anderen Arbeit nachgegangen ist, seit ich in der Grundschule war. Eine ganze Weile lang dachte ich, er würde Geld damit verdienen, Bücher zu lesen, nicht sie zu schreiben, weil das das Einzige war, was er je gemacht hat. Wie sich herausstellte, verdient er überhaupt kein Geld.
Thomas fährt in unsere Einfahrt, stoppt, lässt den Motor aber weiterlaufen. »Willst du nicht mit reinkommen?«, frage ich.
»Ähm.« Thomas atmet tief durch und trommelt weiter mit den Fingern auf das Lenkrad. »Ich glaube …«
Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen, die nach Zimt und Chlor schmecken, während ich darauf warte, dass er weiterspricht. Als er es nicht tut, frage ich: »Was glaubst du?«
Seine Schultern spannen sich an, dann hebt er sie kurz und lässt sie wieder fallen. »Nichts weiter. Heute ist einfach schlecht. Ich muss noch ein paar Sachen erledigen.«
Ich habe keine Energie, ihn zu fragen, was das für Sachen sind. Als ich mich zu einem Kuss zu ihm beuge, weicht er zurück. »Lieber nicht. Ich will mich nicht auch noch anstecken.«
Ich lehne mich verletzt zurück. Das ist wohl meine Strafe dafür, dass ich gelogen habe. »Okay. Schreiben wir uns später noch?«
»Klar«, sagt Thomas. Kaum bin ich ausgestiegen und habe die Tür zugeworfen, setzt er rückwärts aus der Einfahrt. Ich schaue ihm mit einem unbehaglichen Flattern im Bauch nach, als er davonfährt. Nicht dass Thomas sonst immer wartet, bis ich drinnen bin, aber normalerweise hat er es nicht ganz so eilig, wegzukommen.
Es ist still im Haus, als ich in die Diele trete. Wenn Mom da ist, läuft immer Musik, meistens Neunzigerjahre-Grunge, den sie im College gern gehört hat. Eine hoffnungsvolle Sekunde lang glaube ich, das Haus für mich zu haben, aber kaum habe ich einen Fuß ins Wohnzimmer gesetzt, lässt die Stimme meines Vaters mich innehalten.
»Schon so früh zurück?«
Mein Magen verkrampft sich, als ich mich umdrehe und ihn in einem Ledersessel sitzen sehe, der viel zu groß für unser kleines Wohnzimmer ist. Sein Schriftsteller-Sessel, den Mom ihm zur Veröffentlichung seines Buchs geschenkt hat. Er würde definitiv besser in eines dieser Arbeitszimmer mit Bücherregalen bis unter die Decke, einem imposanten Mahagoni-Schreibtisch und Kamin passen. Eloise, unsere getigerte Katze, rekelt sich auf seinem Schoß. Als ich nicht antworte, fragt er: »Wie ist der Wettkampf gelaufen?«
Ich sehe ihn blinzelnd an. Er kann nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich darauf antworte. Nicht nach der Bombe, die er gestern Abend über mir hat platzen lassen. Aber er erwidert meinen Blick seelenruhig und legt einen Finger in das aufgeschlagene Buch in seiner Hand, um die Seite zu markieren. Ich erkenne das Cover; die dicken schwarzen Buchstaben auf einem dezenten, beinahe aquarellartigen Hintergrund. Eine kurze Unterbrechung der Stille von Adam Story. Sein Roman über einen ehemaligen College-Sportler, der literarische Berühmtheit erlangt und dann erkennt, dass das, was er wirklich möchte, ein einfaches Leben unterhalb des Radars ist – nur dass ihn seine fanatischen Fans nicht in Ruhe lassen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Vater gehofft hat, das Buch würde sich am Ende als Autobiografie erweisen. Hat es nicht, aber er liest es immer noch mindestens einmal im Jahr.
Warum auch nicht, denke ich mit aufsteigender Wut. Macht ja sonst keiner.
Aber das sage ich nicht laut. »Wo ist Mom?«
»Deine Mutter …« Dad zögert und blinzelt gegen das Sonnenlicht an, das durch das Panoramafenster auf sein Gesicht fällt. Das Licht lässt einige Strähnen seiner dunklen Haare funkeln und verleiht ihm einen goldenen Schein, den er nicht verdient. Mir tut es in der Brust weh, wenn ich daran denke, wie sehr ich meinen Vater immer bewundert habe, ohne je etwas an ihm infrage zu stellen. Wie sehr ich daran geglaubt habe, dass er brillant und außergewöhnlich ist, dazu bestimmt, Großes zu vollbringen. Ich fühlte mich geehrt, dass er mir einen Namen gegeben hat, der mit A beginnt. Ich habe mir immer gesagt, dass ich das fünfte A bin und eines Tages genau wie er und seine Geschwister sein werde. Glamourös, geheimnisvoll und mit einem Hauch von Tragik umgeben. »Deine Mutter nimmt sich eine kleine Auszeit.«
»Eine Auszeit? Was heißt das? Ist sie … ausgezogen?« Aber in dem Moment, in dem ich es ausspreche, weiß ich, dass das nicht sein kann. Meine Mutter würde nie von zu Hause fortgehen, ohne mir Bescheid zu geben.
Eloise schreckt aus dem Schlaf, springt von Dads Schoß und stolziert mit diesem gereizten Blick durchs Wohnzimmer, den sie immer hat, wenn ihr Nickerchen gestört wird. »Sie verbringt den Nachmittag bei Tante Jenny«, sagt Dad. »Wie es danach weitergeht, werden wir sehen.« Sein Tonfall verändert sich, wird ungehalten und unterschwellig feindselig. »Das ist für uns alle nicht einfach.«
Ich starre ihn fassungslos an. Das Blut rauscht in meinen Ohren, und ich stelle mir vor, auf diese Bemerkung so zu reagieren, wie ich es gern tun würde: mit einem lauten, ungläubigen Lachen. Ich würde lachend durchs Wohnzimmer auf ihn zugehen, bis ich nah genug wäre, um ihm das Buch aus der Hand zu reißen und es ihm an den Kopf zu knallen. Und dann würde ich ihm die Wahrheit sagen: Es gibt kein uns mehr. Weil du es zerstört hast.
Aber ich sage und tue nichts davon. Genauso wenig wie ich Coach Matson ins Becken gestoßen habe. Ich nicke bloß steif, als wäre das, was er gesagt hat, nicht kompletter Blödsinn. Dann trotte ich schweigend die Treppe hoch, bis ich vor der Tür zu meinem Zimmer stehe, und presse die Stirn gegen das kühle weiße Holz.
Ihr wisst, was ihr getan habt. Das stand in dem Brief, den meine Großmutter meinem Vater vor Jahren geschickt hat, und er hat immer hartnäckig behauptet, nicht die leiseste Ahnung zu haben, was sie damit gemeint haben könnte. »Es gibt absolut nichts, was ich, meine Brüder oder meine Schwester jemals getan haben, das ihr Verhalten uns gegenüber auch nur im Mindesten rechtfertigen würde«, sagte er immer, und ich habe ihm geglaubt. Ich habe geglaubt, dass er unschuldig ist und ungerecht behandelt wurde und dass meine Großmutter kalt, unberechenbar und vielleicht sogar verrückt sein muss.
Aber seit gestern weiß ich, wie leicht ihm das Lügen fällt.
Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich noch glauben soll.
3
JONAH
Ich werde zu spät kommen.
Seit fast drei Stunden sitze ich schon in diesem Wagen, um im Stop-and-go die fünfundsiebzig Meilen von Providence nach Hyannis zurückzulegen. Das ist die längste und teuerste Uber-Fahrt meines Lebens.
»Typisch für das letzte Juni-Wochenende«, sagt Frederico, mein Fahrer, während wir durch den Samstagmorgenstau auf Cape Cod kriechen. Er bremst, als die Ampel vor uns gelb wird. »Was soll man machen?«
Ich presse kurz die Zähne aufeinander. »Sie hätten zum Beispiel diese gelbe Ampel hier noch mitnehmen können.«
Frederico winkt ab. »Ist es nicht wert. Die Cops lauern heutzutage überall.«
Laut Google Maps sind wir nur noch ein gute Meile von der Fähre entfernt, die mich nach Gull Cove Island bringen wird. Aber auch nachdem wir die rote Ampel hinter uns gelassen haben, rückt die Autoschlange vor uns kaum vorwärts. »Ich muss in zehn Minuten da sein«, sage ich und beuge mich vor, bis meine Knie an den Sitz vor mir stoßen. Wer auch immer zuletzt auf der Beifahrerseite von Fredericos Wagen gesessen hat, hatte gern viel Beinfreiheit. »Schaffen wir das?«
»Tjaaaa«, sagt er gedehnt. »Ich bin mir zumindest nicht sicher, dass wir es nicht schaffen werden.«
Ich hole frustriert Luft und mache mich daran, die Unterlagen in die Mappe zurückzustecken, die auf meinem Schoß liegt. Sie enthält diverse Zeitungsausschnitte und Ausdrucke von Informationen, die ich im Netz über Gull Cove und Mildred Story gefunden habe – aber hauptsächlich über die Insel. Mildred ist nämlich eine Art Einsiedlerin. Das einzige gesellschaftliche Ereignis, auf dem sie sich je blicken lässt, ist die alljährliche Sommer-Gala im Gull Cove Resort. Aus dem letzten Jahr gibt es ein Foto von ihr in der Gull Cove Gazette, auf dem sie Handschuhe und einen gigantischen, dramatischen Hut trägt, als wäre sie die englische Queen. Donald Camden, ihr Anwalt und Absender des berüchtigten »Ihr wisst, was ihr getan habt«-Briefs, steht neben ihr. Er sieht wie ein selbstgefälliges Arschloch aus, dem diese Aufgabe damals Spaß gemacht hat.
Mittlerweile ist Mildred vor allem als Kunstmäzenin bekannt. Sie soll eine umfangreiche Privatsammlung von Gemälden und Skulpturen besitzen und Unmengen von Geld dafür ausgeben, Künstler aus der Umgebung zu unterstützen. Wahrscheinlich ist sie der einzige Grund dafür, dass es immer noch eine Künstler-Community auf diesem überteuerten Felshaufen gibt, der Insel genannt wird. Wenigstens etwas, das für sie spricht.
Die übrigen Ausdrucke in der Mappe enthalten alles, was ich über Aubrey, Milly und ihre Eltern zusammentragen konnte. Alte Rezensionen zu Adam Storys Buch, Artikel über Aubreys Schwimmwettkämpfe, ein Artikel, der erschienen ist, als Toshi Takahashi zum Partner einer der größten Anwaltskanzleien von New York aufgestiegen ist. Ich habe sogar einen alten Artikel aus der New York Times über seine Hochzeit mit Allison Story vor fast zwanzig Jahren ausgegraben. Allerdings nichts über ihre Scheidung.
Vielleicht kommt es ein bisschen schräg rüber, dass ich diese Mappe mit mir herumtrage, aber ich kenne diese Leute nicht. Und wenn ich etwas nicht kenne, mache ich mir gern ein genaues Bild davon.
Ich packe die Mappe wieder in meine Reisetasche und ziehe den Reißverschluss zu. Es ist eine dieser riesigen Sporttaschen, die dazu gedacht sind, alles zu fassen, was ein Jugendlicher für einen zweiwöchigen Aufenthalt im Ferienlager braucht. Jetzt muss ihr Inhalt für zwei Monate reichen, aber für meine paar Klamotten ist sie groß genug. »Kennen Sie keine Schleichwege?«, frage ich Frederico. Mittlerweile ist das Zeitfenster auf acht Minuten geschrumpft.
»Das sind Schleichwege.« Frederico wirft mir einen Blick im Rückspiegel zu. »Wie schnell bist du?«
»Was?«
»Schaffst du eine Meile in fünf Minuten?«
»Shit.« Ich atme aus, als mir klar wird, was er meint. »Das ist jetzt nicht Ihr Ernst.«
»Wir stecken fest, mein Junge. Wenn ich du wäre, würde ich aussteigen und die Beine in die Hand nehmen.«
Nackte Verzweiflung verwandelt meine Stimme in ein Fauchen. »Ich habe Gepäck!«
Frederico zuckt mit den Schultern. »Du bist doch gut in Form, oder? Entweder so oder du verpasst die Fähre. Wann geht die nächste?«
»In zweieinhalb Stunden.« Ich schaue auf sein Armaturenbrett – noch sieben Minuten – und komme zu einer Entscheidung. »Okay, scheiß drauf.« Eine Meile ist nicht so furchtbar viel, oder? Wie schlimm kann es schon werden? Besser, als fast drei Stunden allein am Hafen festzusitzen. Frederico hält den Wagen an, um mich rauszulassen, und ich hänge mir meine Tasche an den Trageriemen wie einen überdimensionierten Rucksack über die Schultern.
Er deutet aus dem Fenster. »Laut GPS liegt der Hafen auf der rechten Seite. Also immer die Straße hier geradeaus. Viel Glück.«
Mit zusammengebissenen Zähnen trete ich auf den grünen Seitenstreifen und laufe los. Ungefähr dreißig Sekunden lang ist alles in bester Ordnung, dann geht es plötzlich rapide bergab: Die Tasche klatscht viel zu hart gegen meinen Rücken, ich kann die Steinchen unter den dünnen Sohlen meiner billigen Sneakers spüren, und meine Lunge fängt an zu brennen. Frederico hat sich geirrt; ich bin nicht in Form. Das sieht bloß so aus, weil ich jeden Tag stundenlang Getränkekisten schleppe, aber ich habe schon seit ewigen Zeiten keinen Spurt mehr hingelegt. Meine Lungenkapazität ist ein Witz und das Brennen wird von Sekunde zu Sekunde schlimmer.
Aber ich laufe weiter und versuche größere Schritte zu machen, weil ich das Gefühl habe, als würde ich noch nicht mal annähernd schnell genug vorwärts kommen. Meine Kehle ist so trocken, dass sie schmerzt, und meine Lunge ist kurz davor zu kollabieren. Ich renne an einem abgeranzten Hotel, einem Fischrestaurant und einer Minigolfanlage vorbei. Die Luft ist heiß und stickig, die Sorte Luft, die sich einem sogar dann als öliger Film auf die Haut legt, wenn man völlig reglos dasteht. Meine Haare sind schweißnass und mein T-Shirt klebt an meiner Brust.
Das ist keine gute Idee gewesen. Es ist sogar eine beschissene Idee gewesen. Wie soll ich meinen Eltern erklären, dass ich auf dem Grünstreifen am Rand einer Straße in Cape Cod zusammengebrochen bin?
Aber noch setze ich weiter einen Fuß vor den anderen, während mein Rucksack bei jedem Schritt schmerzhafter gegen meinen Rücken knallt. Mir läuft Schweiß in die Augen, und ich muss immer wieder blinzeln, bis ich schließlich die Umrisse eines gedrungenen weißen Gebäudes ausmachen kann. Kurz darauf entdecke ich einen gepflasterten Zugangsweg und ein Schild, auf dem FÄHRÜBERFAHRTEN steht. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber ich habe das Ziel erreicht.
Hechelnd trabe ich auf den Ticketschalter zu. Die Frau hinter der Glasscheibe, blond mit hochtoupiertem Pony, sieht mich amüsiert lächelnd an. »Tief durchatmen, mein Hübscher. Kommt zwar öfter vor, dass ich diese Wirkung auf Männer habe, aber du bist leider viel zu jung für mich.«
»Ticket«, keuche ich und krame in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie. »Für … die Fähre … um … ein Uhr … zwanzig.«
Sie schüttelt den Kopf und mein hämmerndes Herz rutscht mir bis in die Kniekehlen. Dann sagt sie: »Du kommst gern sofort zur Sache, was? Fast hättest du sie verpasst. Macht achtzehn Dollar.«
Ich habe nicht mehr genügend Atem übrig, um mich bei ihr zu bedanken. Ich zahle, schnappe mir mein Ticket und schiebe mich durch die Tür in die Wartehalle. Sie ist größer, als ich dachte, also lege ich auf dem Weg zum Ausgang noch einen Zahn zu und presse mir dabei eine Hand in meine stechende Seite.
Es besteht eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass ich, noch bevor ich einen Fuß auf diese Fähre gesetzt habe, kotzen werde.
Als ich die Anlegestelle erreicht habe, sind dort nur noch eine Handvoll Leute, die in Richtung der Fähre winken. Ein Typ in einem weißen Hemd und dunkler Hose steht am Eingang der Gangway, die die Anlegestelle mit der Fähre verbindet. Er schaut auf seine Uhr, greift nach einer auf dem Boden liegenden Kette und befestigt sie an den beiden Pfosten, die die Gangway flankieren. Als er anschließend den Blick hebt, sieht er, wie ich auf ihn zustürze und ihm mein Ticket entgegenstrecke.
Tu’s nicht, denke ich. Sei kein Arschloch.
Er nimmt mein Ticket und hakt die Kette an einer Seite wieder auf. »In letzter Sekunde. Gute Überfahrt, mein Junge.«
Kein Arschloch. Gott sei Dank.
Ich schwanke die Gangway hinauf, betrete das Innere der Fähre und stöhne fast vor Erleichterung auf, als mich klimaanlagengekühlte Luft empfängt. Nachdem ich mich auf einen hellblauen Sitz fallen gelassen habe, suche ich in meiner Tasche nach meiner Wasserflasche, drehe den Deckel ab und trinke sie in drei langen Schlucken fast leer. Den Rest schütte ich mir über den Kopf.
Währenddessen mache ich mir im Geist eine Notiz: diesen Sommer dringend mit Joggen anfangen, weil das eben ein wirklich absolut erbärmlicher Auftritt war.
Die anderen Passagiere ignorieren mich. Sie sehen startklar für die Ferien aus, tragen Baseballkappen, Flipflops und T-Shirts mit einem Aufdruck, von dem mir einen Moment später klar wird, dass es eine Art inoffizielles Logo von Gull Cove Island sein muss: ein Kreis mit der Silhouette einer Möwe im Inneren und darüber die Buchstaben GCI.
Einen Moment lang bleibe ich reglos sitzen, bis meine Atmung sich wieder normalisiert hat, dann hole ich eine Broschüre über Gull Cove Island aus meiner Tasche und blättere bis zu dem Abschnitt, in dem die Informationen zur Anreise aufgeführt sind. Die Überfahrt dauert zwei Stunden und zwanzig Minuten und führt an den Inseln Martha’s Vineyard und Nantucket vorbei. Gull Cove Island ist kleiner als die beiden – was etwas heißen will, Nantucket ist nämlich gerade mal dreizehn Meilen lang – und wird in der Broschüre als »abgelegener und felsiger« beschrieben.
Im Klartext: weniger Hotels und weniger schöne Strände.
Ich stecke die Broschüre wieder ein und lasse den Blick über die anderen Passagiere wandern. Scheint, als hätten alle ihr Gepäck einfach irgendwo abgestellt, also mache ich es genauso und stopfe meine Tasche unter meinen Sitz. Nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe, stehe ich auf, um mich ein bisschen umzuschauen. Als ich auf eine Treppe zusteuere, neben der sich eine Snack-Bar befindet, fängt mein Magen prompt an zu knurren. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen, und das ist mittlerweile fünf Stunden her.
Im Stockwerk drüber sieht es fast genauso aus wie unten. Von dort führt eine weitere Treppe auf das Oberdeck, das nicht überdacht ist. Alles drängt sich an der Reling, um aufs Meer hinauszuschauen. Der Himmel ist wolkenverhangen, als könnte es jeden Moment zu regnen anfangen, aber die Luft, die mir an Land so zugesetzt hat, ist hier frisch und salzig. Möwen ziehen kreischend ihre Kreise über der Fähre, das Wasser erstreckt sich ruhig zu beiden Seiten von uns, und zum ersten Mal seit einem Monat kommt mir diese ganze Sache nicht wie die mieseste Idee vor, die ich jemals hatte.
Mein Durst ist größer als mein Hunger, weshalb ich beschließe, wieder nach unten zu gehen und mir an der Snack-Bar was zu trinken zu holen. Auf der Treppe ziehe ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche und schaue gerade nach, wie viel Geld ich bei mir habe, als ich fast mit jemandem zusammenstoße, der gerade auf dem Weg nach oben ist.
»Achtung, Gegenverkehr!«, sagt die Stimme eines Mädchens.
»Sorry«, murmle ich, bevor ich aufschaue und schlucke.
Im ersten Moment nehme ich nichts anderes wahr, als dass dieses Mädchen unfassbar schön ist. Dunkle Haare, dunkle Augen und volle Lippen, auf denen ein spöttisches Grinsen liegt, das seltsamerweise keine Gereiztheit in mir auslöst. Sie trägt ein leuchtend rotes Sommerkleid und Sandalen, ihre Haare werden von einer Sonnenbrille zurückgehalten, um ihr Handgelenk liegt eine schwere Männeruhr und … oh.
»Ich meine, hey. Hi.« Oh Shit. Keine Ahnung, wie ich ein paar Sekunden lang so ein Blackout haben konnte. Ich weiß genau, wer dieses Mädchen ist.
»Hi?«, wiederholt sie fragend. Das Grinsen wird breiter. Könnte sein, dass sie mit mir flirtet. »Bist du sicher?«
Ich trete einen Schritt zurück, vergesse dabei, dass ich auf einer Treppe stehe, und verliere fast das Gleichgewicht. Während ich mich am Treppengeländer abfange, wäge ich fieberhaft meine Möglichkeiten ab. Ich hatte gehofft, ihr aus dem Weg gehen zu können, zumindest bis wir auf Gull Cove Island angekommen wären. Aber nachdem ich jetzt mehr oder weniger in sie hineingerannt bin, gibt es wohl kein Zurück mehr.
»Ganz sicher«, sage ich. »Hallo, Milly.«
Sie blinzelt überrascht. Hinter uns räuspert sich jemand. »Entschuldigung«, sagt eine leicht genervte Stimme, »aber ich würde gern nach unten.« Ich drehe mich zu einem älteren Typen in karierten Shorts und einer Baseballkappe der Red Sox um, der mit einem Fuß auf der obersten Stufe steht.
»Sorry.« Ich ändere meinen Kurs, laufe die Treppe wieder hoch, an dem Typen vorbei, der einen Schritt zur Seite tritt, um mich durchzulassen, und lehne mich in einer Nische neben der Treppe an die Wand.
Milly folgt mir, die Hände in die Hüften gestemmt. »Kennen wir uns?«
Oh Mann. Ich kann nicht fassen, dass ich sie gerade mehr oder weniger abgecheckt habe. Wobei ich nicht das Gefühl hatte, dass es sie gestört hat. Peinlich. »Tja, na ja, irgendwie schon, ja. Ich bin Jonah.« Ich strecke ihr die Hand hin, aber sie nimmt sie nicht, sondern starrt mich nur mit großen Augen an. »Jonah Story.«
»Jonah Story«, wiederholt sie.
»Dein Cousin«, füge ich für alle Fälle hinzu.
Nachdem Milly mich noch einen Moment länger angestarrt hat, greift sie so zögerlich nach meiner Hand, dass ihre Finger kaum meine berühren. »Du bist Jonah?«
»Ja.«
»Im Ernst?«
Ich lege einen gereizten Unterton in meine Stimme. Schließlich ist das mein Markenzeichen. »Hast du’s an den Ohren? Das hab ich dir doch jetzt schon mehrmals bestätigt.«
Sie verengt die Augen. »Oh, alles klar. Natürlich bist du Jonah. Mein Fehler. Ich hab mich kurz von deinem …«, sie wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht, »… J.-Crew-Model-Look ablenken lassen. Damit habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich dachte, du würdest so aussehen, wie du schreibst.« Ich werde den Köder nicht schlucken und sie fragen, was sie damit meint, aber sie liefert mir die Antwort von sich aus hinterher: »Also wie ein an Verstopfung leidender Gnom.«