One Perfect Couple - Ruth Ware - E-Book

One Perfect Couple E-Book

Ruth Ware

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Beschreibung

Eine einsame Insel, eine spektakuläre Realityshow, ein wahr gewordener Albtraum Der mitreißende New York Times-Bestseller! Lyla steckt in einer Krise: Ihre berufliche Zukunft an der Universität ist ungewiss und die Beziehung zu ihrem Freund Nico – einem aufstrebenden Schauspieler – läuft alles andere als gut. Als Nico das Angebot bekommt, bei einer Realityshow dabei zu sein, willigt Lyla ein, das Abenteuer mit ihm einzugehen. Nach einem turbulenten Vorsprechen werden die beiden in ein tropisches Paradies entführt – die Insel Ever After mitten im Indischen Ozean wirkt wie ein Traum. Sie sollen dort gegen vier andere Paare antreten. Doch plötzlich wird aus dem wunderschönen Paradies ein Albtraum. Ein Sturm schneidet die Gruppe von jeglicher Zivilisation und allen Kommunikationsmöglichkeiten ab und schon bald beginnt ein erbitterter Kampf ums Überleben … »Ein rasanter Ritt, der die größten Thriller-Süchtigen da draußen befriedigen wird.« DAVID BALDACCI »Köstlich düster und absolut fesselnd.« LUCY FOLEY

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Seitenzahl: 493

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Über das Buch

Lyla Santiago steckt in einer Krise: Ihre berufliche Zukunft ist ungewiss und die Beziehung zu ihrem Freund Nico – einem aufstrebenden Schauspieler – läuft alles andere als gut. Als Nico zu einer brandneuen Reality-Show in ein tropisches Paradies eingeladen wird, willigt Lyla ein, das Abenteuer mit ihm einzugehen. Die Insel Ever After mitten im Indischen Ozean könnte schöner nicht sein. Dort sollen Lyla und Nico gegen vier andere Paare antreten. Doch als ein Sturm die Gruppe von jeglicher Zivilisation und allen Kommunikationsmöglichkeiten abschneidet, gerät alles aus den Fugen. Und ein erbitterter Kampf ums Überleben beginnt …

Ruth Ware

One Perfect Couple

Thriller

 

 

 

Für Ian, meinen absoluten Lieblingswissenschaftler.

Danke, dass du du bist.

PROLOG

Er kämpft. Er kämpft um sein Leben – aber das tut sie auch. Sie ist bis zum Hals im Wasser, hat Salz in den Augen und Wasser in der Lunge und keucht, würgt, kann nicht atmen.

Sein Körper ist hart und muskulös und stärker, als sie es je für möglich gehalten hätte. Sie strampelt im Wasser wie ein gefesseltes Tier.

Und während sie sich wehrt, weiß sie zwei Dinge mit durchdringender, verzweifelter Klarheit. Erstens: sie oder er. Wenn sie loslässt, wird sie es sein, die in den Wellen ertrinkt.

Zweitens: Um jemanden auf diese Weise zu töten, muss man dessen Tod mit jeder Faser seines Wesens wollen.

Die Frage ist: Will sie es? Will sie, dass er stirbt?

TEIL EINSDie Stille

15.02./02:13 Uhr

Hallo. Hallo?

1

Ich kann nicht, ich wiederhole, kann jetzt nicht auf eine einsame Insel fahren«, sagte ich. Ich schaute nicht Nico an, der hinter meinem Stuhl stand, sondern starrte weiter auf den Monitor und versuchte, die Tabelle vor mir zu durchdringen. Eines stand fest: Die Daten zeigten definitiv nicht die Art von Korrelation, die sich Professor Bianchi erhofft hatte, als er mich einstellte. Dies war mein dritter Versuch, und ich konnte das flaue Gefühl im Magen nicht länger ignorieren. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht.

»Lyla, ich sag dir, das ist die Chance deines Lebens. Reality-TV.«

»Es könnte die Chance des Jahrtausends sein, Nic. Ich kann nicht mitfahren. Wie soll ich dafür freibekommen?« War da ein Muster, das mir entgangen war? Vielleicht, wenn ich die vorherigen Ergebnisse einbezog? »Aber lass dich nicht aufhalten, mach ruhig mit. Ich feuere dich von hier aus an.«

»Hast du nicht zugehört?«, fragte Nico halb flehend, halb gereizt. »Ich kann nicht allein mitmachen. Es ist eine TV-Show für Paare. Lyla, ich verlange selten was von dir, aber Ari meint, die Sache könnte entscheidend für meine Karriere sein. So eine Chance krieg ich nie wieder. Du weißt doch, wie lange ich schon mit dem Kopf gegen die Wand renne und für jeden Scheiß vorspreche – das hier könnte der große Durchbruch für mich sein.«

Ich rief die Kalkulationstabelle der letzten Proben auf, klickte, um die Daten erneut grafisch darzustellen. Während sich das Diagramm aufbaute, explodierte Nico.

»Lyla! Verdammt noch mal, hörst du mir überhaupt zu? Das ist der Wendepunkt meiner Karriere. Kannst du den Laptop nicht mal für dreißig Sekunden zumachen?«

Ich holte tief Luft, hatte die Stimme meiner Mutter im Ohr: Tu doch mal das Handy weg, Lyla …

Ich speicherte die Datei und drehte mich mit dem Stuhl zu meinem Freund um. »Es tut mir leid. Du hast recht. Ich hab nicht zugehört. Erzähl es mir jetzt richtig.«

»Es ist eine neue Reality-Show. Es gibt nicht viel zu gewinnen, sie wird mit einem Mini-Budget für einen brandneuen Streamingkanal produziert. Aber sie wird das Aushängeschild des Senders, und wenn sie gut ankommt, könnte die Sache durch die Decke gehen. Und Ari kennt Baz, den Produzenten, noch von der Uni. Er sagt, er kann mich durch die Hintertür reinschleusen. Das heißt uns.«

»Sorry, worum geht’s dabei noch mal?«

»Fünf Paare auf einer einsamen Insel. Ausscheidungsformat, läuft über zehn Wochen. Ich bin mir nicht sicher, wo, Ari sagte was von Indonesien. Eine Mischung aus Love Island und Survivor – nur Paare bleiben drin und können weiterkommen. Sonne, Sand, Meer … Komm schon, Lil! Das können wir doch beide gebrauchen. Einen richtigen Urlaub.«

»Aber es ist kein Urlaub. Und wie lange, sagst du, würde das dauern? Zehn Wochen? Ab wann?«

Nico zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber es klang, als hätten sie es eilig. Ari fragt nach meinem Terminplan für die nächsten Monate. Ich habe gesagt, es gäbe nichts, was ich nicht verschieben könnte.«

Ich seufzte. »Es tut mir wirklich leid, Nico. Dein Terminplan mag leer sein, meiner ist es nicht. Ich kann mich nicht einfach für den Rest meines Vertrags verdrücken, das weißt du. Professor Bianchi würde mich entlassen, und wovon sollen wir dann die Miete bezahlen?«

Nicht von Nicos spärlichen Einkünften als angehender Schauspieler und Teilzeit-Barista, was ich jedoch nicht aussprach.

Er schüttelte den Kopf. »Aber, Lyla, genau das ist der Punkt. Wenn ich da reinkäme, könnte ich wirklich berühmt werden. Das hieße Fernsehrollen, Film, Werbung, was auch immer. Ich könnte gutes Geld verdienen – und zwar regelmäßig. Wir könnten ein Haus kaufen. Es würde den Druck von dir nehmen. Komm schon, Lil, denk drüber nach. Bitte?«

Er schob den Laptop beiseite, setzte sich vor mir auf den Schreibtisch und streckte die Arme aus. Ich lehnte mich hinein, legte die Stirn an seine Brust und spürte die vertraute Mischung aus Genervtheit und Liebe.

Ich liebte Nico wirklich. Und nicht nur, weil er witzig, charmant und extrem heiß war – jedenfalls eine Acht oder Neun auf der Hot-Skala, während ich es nur auf eine Sechs brachte. Aber er war auch ein unverbesserlicher Optimist, während ich durch und durch rational war. Er redete sich gerne ein, dass am Ende jedes Regenbogens ein Topf voll Gold auf ihn wartete. Anfangs war mir diese Angewohnheit liebenswert erschienen, doch nach zwei Jahren ging sie mir ziemlich auf den Wecker. Zwei Jahre, in denen ich die Rechnungen bezahlt, den Papierkram erledigt und allgemein die Erwachsene gespielt hatte, während Nico Chancen hinterherjagte, die sich irgendwie nie erfüllten.

Das hier klang nach einer weiteren Seifenblase, genau wie das West-End-Musical von Twilight, bei dem niemand die Rechtefrage geklärt hatte, oder sein Plan, auf YouTube Schauspielunterricht zu geben. So viele Pläne hatten sich in Luft aufgelöst, so viele Serien waren vor der ersten Folge gecancelt, so viele Pilotfilme nie gezeigt worden. Aber hätte ich das erwähnt, wäre ich die Böse gewesen, die Nico seine Chance verwehrte.

»Kann ich Ari wenigstens sagen, dass du zu dem Treffen mit den Produzenten mitkommst?«, fragte Nico, und sein Atem strich warm über meinen Kopf. Ich schloss die Augen, denn wenn ich ihn ansah, seine braunen Hundeaugen und den flehenden Gesichtsausdruck, war ich verloren. Ich hätte gern gesagt, dass die Produzenten ohnehin kein zweites Treffen vereinbaren würden, sobald sie festgestellt hatten, dass ich nicht das Hottie mit Superbusen war, das sie suchten. Reality-TV war nicht mein Ding, aber ich hatte genug davon gesehen, um zu wissen, dass es gewisse Anforderungen an den Körpertypus der Kandidatinnen gab, die ich nicht erfüllte. Bei Nico mit seinem durchtrainierten Körper und der sonnenstudiogebräunten Haut war es anders. Er hätte gut zu Bachelorette oder Perfect Match gepasst. Aber ich? Würden sie wirklich bei einer Wissenschaftlerin über dreißig, deren Finger von Protein-Gel lila verfärbt waren und die eine permanente Stirnfalte vom Spähen ins Mikroskop hatte, denken: Genau die wollen wir in einem knappen Bikini am Strand joggen sehen? Wohl kaum.

Andererseits … wenn es sowieso nicht klappte … wäre es auch nicht so schlimm, wenn ich fürs Erste mitspielte. Wenn die Sache dann ins Wasser fiel, wäre dieser Baz der Bösewicht und ich die loyale Freundin. Jedenfalls bis Nico mit dem nächsten hoffnungslos naiven Plan ankam.

Ich öffnete die Augen und überlegte, was ich sagen sollte, wobei mein Blick zum leuchtenden Monitor meines Laptops wanderte. Ich konnte die Zahlen nicht lesen, weil Nico ihn auf die andere Seite des Schreibtisches geschoben hatte. Aber das spielte keine Rolle. Sie waren da, und ich wusste es. Unbequem. Unumstößlich. Unignorierbar.

»Bitte«, sagte Nico in meine Gedanken hinein, und mir wurde klar, dass er immer noch auf eine Antwort wartete. Ich sah zu ihm auf. In seine großen braunen Augen, die von unglaublich langen Wimpern umrahmt waren, wie beim jungen George Michael. Ich spürte, wie etwas in mir nachgab … schmolz. Oh Himmel, ich würde Ja sagen, das wussten wir beide.

»Okay«, sagte ich schließlich und spürte, wie sich mein Gesicht zu einem zögernden Lächeln verzog. Einen Moment lang starrte Nico mich nur an, dann stieß er einen lauten Schrei aus, riss mich von den Füßen und umarmte mich heftig.

»Danke, danke, oh Gott, ich danke dir. Ich liebe dich, Lyla Santiago!«

»Ich liebe dich auch«, sagte ich und lachte auf ihn hinunter. »Aber du musst es erst noch in die Show schaffen. Also freu dich nicht zu früh! Ich will nicht, dass du enttäuscht bist, wenn es nicht klappt.«

»Es wird klappen«, sagte Nico, setzte mich ab und küsste mich fest auf die Lippen. Er grinste so breit, dass sich seine gebräunten Wangen kräuselten. »Mach dir keine Sorgen, Lil. Ich schaffe es da rein. Wir beide schaffen es. Wie könnten sie uns widerstehen?«

Ich sah sein Lächeln, seine weißen Zähne, seine strahlenden dunklen Augen und dachte, ja, wie könnten sie dir widerstehen? Niemand konnte Nico etwas abschlagen. Ich konnte nur hoffen, dass es Professor Bianchi genauso ging.

15.02./02:13 Uhr

Hallo? Ich bin mir nicht sicher, wie dieses Ding funktioniert, aber hier ist Lyla an die Over Easy.

 

15.02./02:14 Uhr

Hallo, ist da jemand? Hier ist Lyla an die Over Easy, bitte melden. Over.

2

Du liebe Zeit.« Professor Bianchis Gesichtsausdruck hatte von fröhlich zu deprimiert gewechselt, während ich mit ihm die neuesten Daten durchging. Die Ergebnisse, die mein Vorgänger Tony hinterlassen hatte, waren – nun ja, aufregend wäre eine Untertreibung gewesen. Hätten sie sich als reproduzierbar erwiesen, wäre dies ein großer Durchbruch auf meinem Spezialgebiet, dem Chikungunya-Fieber, gewesen. Aber sie waren nicht reproduzierbar, und das war ein Problem.

Das Ärgerliche war, dass Tony längst nicht mehr hier arbeitete. Seine Dissertation hatte großes Aufsehen erregt, und er war prompt von einem privaten Labor eingestellt worden. Mir hatte die Universität lediglich einen Einjahresvertrag gegeben, um das Projekt abzuschließen. Die Aufgabe war im Grunde einfach: Tonys Experimente mit einer breiteren Palette von Proben wiederholen und die Ergebnisse bestätigen. Das Problem war nur, dass es nicht ging. Ich hatte die Versuche wiederholt, bis ich blau anlief, doch nach dem dritten Durchgang musste ich es mir eingestehen. Der Effekt, den Tony entdeckt hatte, war nicht nur schwächer als gedacht, sondern nicht vorhanden.

Theoretisch hatte ich meine Arbeit erledigt. Konnte mir ein Schulterklopfen abholen. Gut gemacht, Lyla. Und theoretisch war es ebenso wertvoll und wichtig, eine falsche Theorie zu widerlegen, wie etwas Neues zu entdecken. Nur funktionierte das in der Praxis leider anders. Forschungsgelder gingen nicht an Wissenschaftler, die herausfanden, dass etwas nicht funktionierte, sondern an Gruppen mit heißen neuen Entdeckungen und Ergebnissen, über die alle redeten. Niemand wollte einen Aufsatz veröffentlichen, in dem die Anatomie eines Reinfalls beschrieben wurde, egal wie gut die Forschungsarbeit dahinter war.

In meinen dunklen Momenten, wenn ich um drei Uhr morgens wachlag, gab ich Tony die Schuld. Vielleicht hatte er die Methode nicht richtig beschrieben – oder sogar die Ergebnisse gefälscht. Aber tief im Herzen und als Wissenschaftlerin wusste ich, dass es nicht Tonys Schuld war. Er hatte ein Dutzend mal gewürfelt und immer eine Sechs bekommen. Und als ich es noch einmal in einem viel größeren Maßstab versuchte, hatte sich das Muster nicht bestätigt. Aber ich war diejenige, die die schlechte Nachricht überbringen und mit den Folgen leben musste.

Bis vor ein paar Wochen hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, dass mein Vertrag an der Universität demnächst auslief – Professor Bianchi hatte mir mehr oder weniger zugesichert, dass der Erhalt weiterer Mittel eine bloße Formalität sei. Nun aber verriet mir sein Gesichtsausdruck, dass ich besser schleunigst meinen Lebenslauf aufpolieren sollte. Und ich war ganz und gar nicht scharf darauf, in Vorstellungsgesprächen zu erklären, warum ich zwölf Monate an einem hochinteressanten Projekt gearbeitet und dennoch absolut nichts vorzuweisen hatte.

»Sie sollten es schriftlich niederlegen«, sagte Professor Bianchi etwas müde. »Dann müssen wir sehen, ob sich noch irgendwas daraus machen lässt. Vielleicht kommt bei Gregor im Tiermodell etwas heraus.«

Ich biss mir auf die Lippe und nickte.

»Es tut mir leid«, sagte ich noch einmal.

Professor Bianchi zuckte gelassen mit den Achseln – ein Mann mit Festanstellung, der sich ein erfolgreiches Projekt gewünscht hatte, dessen Karriere aber nicht davon abhing.

»Nicht Ihre Schuld, Lyla.«

»Was bedeutet das wohl für die Verlängerung der Mittel?«

»Ah. Gute Frage. Ihr Vertrag läuft nächsten Monat aus, oder?«

»Im März, um genau zu sein. In zehn Wochen.«

Professor Bianchi nickte. »Ich rede mit dem Förderausschuss. Aber …«

Er verstummte. Machen Sie bis dahin lieber keine großen Anschaffungen, schien da mitzuschwingen.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ja. Danke. Ich wollte Sie fragen …« Ich schluckte. Jetzt war nicht der ideale Zeitpunkt, um eine Auszeit zu bitten, aber irgendwie war es auch egal. Ich konnte ebenso gut meinen Resturlaub nehmen und den Aufsatz auf Nicos einsamer Insel schreiben. »Wäre es möglich, dass ich etwas Urlaub nehme? Mein Freund ist eingeladen worden …« Ich hielt inne. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, ob Professor Bianchi wusste, was eine Reality-TV-Show war. Als ich mal Big Brother erwähnte, hatte er angenommen, ich spräche von George Orwell. Und die Sache passte auch nicht so ganz zu dem Bild der verantwortungsbewussten, gefragten Wissenschaftlerin, das ich zu vermitteln suchte. »Zu einer Geschäftsreise«, beendete ich den Satz. »Er hat mich gebeten, mitzukommen. Ich kann den Aufsatz dort schreiben; das ist wahrscheinlich einfacher, als es neben der Laborarbeit zu machen.«

»Natürlich«, sagte Professor Bianchi. Bemerkte ich da ein Aufflackern von Erleichterung? »Ja, tun Sie das. Und wenn Sie zurückkommen, habe ich hoffentlich vom Förderausschuss gehört. Nochmals vielen Dank, Lyla, für Ihre Arbeit. Ich weiß, es ist nicht einfach, mit enttäuschenden Ergebnissen klarzukommen.«

»Gern«, sagte ich und verließ, da das Gespräch ganz offensichtlich vorbei war, sein Büro.

 

Im Bus nach East London sah ich zu, wie der Winterregen an den beschlagenen Fenstern hinunterrann, und überlegte, was ich machen sollte. Ich war zweiunddreißig. Die Freunde von der Uni wurden sesshaft, kauften Häuser, bekamen Kinder. Die Witze meiner Mutter über Enkelkinder wurden langsam etwas spitz. Und ich steckte in einer Abfolge von befristeten Stellen fest. Früher hatte ich davon geträumt, mein eigenes Team zu leiten, sogar ein eigenes Labor zu haben. Das Gerede vom Frauenmangel in der MINT-Forschung ließ das sogar möglich erscheinen. Es hieß, Fördermittelausschüsse suchten händeringend nach ehrgeizigen Wissenschaftlerinnen.

In Wahrheit aber gab es in meiner Alterskohorte einen durchaus gesunden Frauenanteil. Meine ersten beiden Vorgesetzten bei der Laborarbeit waren Frauen gewesen. Die Fördermittelausschüsse gingen mit uns nicht sanfter um als mit den Männern, und im Laufe der Jahre waren die Kolleginnen zunehmend von der Realität der akademischen Forschung verdrängt worden. Elternzeit ließ sich nicht gut mit Finanzierungsfristen und Ergebnisdruck vereinbaren. Babys vertrugen sich nicht mit Gewebekulturen, die ständig überwacht werden mussten, oder mit Zelllinien, die abends um zehn und morgens um fünf geteilt werden mussten, weil sie sonst verkümmerten und eingingen. Und den Hypothekenbanken gefiel die Ungewissheit befristeter Arbeitsverträge auch nicht. Bei jeder neuen Stelle gab es ein kleines Zeitfenster der Sicherheit zwischen Ende der Probezeit und Beginn der gesetzlichen Kündigungsfrist.

Doch es reichte nie, um den Fuß in die Tür zu bekommen. In Verbindung mit Nicos Ganz-oder-gar-nicht-Job (und in den zweieinhalb Jahren, in denen wir zusammen waren, hatte es viel mehr gar nicht als ganz gegeben) bedeutete es eine stressige Existenz. Und je länger ich dabei war, desto klarer wurde mir, dass die Uhr tickte, und zwar nicht nur, was Kinder anging. Die Karrierepyramide in der Wissenschaft war flach – viele Forschende, sehr wenige Laborleiter – und der Wettbewerb erstaunlich hart. Erfüllte man mit dreißig nicht gewisse Kriterien, schaffte man es nie.

Vielleicht war es an der Zeit, das Handtuch zu werfen und mir ein für alle Mal einzugestehen, dass die Träume, mit denen ich die Uni verlassen hatte, niemals in Erfüllung gehen würden. Dass ich niemals mein eigenes Labor finanzieren könnte. Dass es niemals eine Professorin Lyla Santiago geben würde, dass ich niemals die Grundsatzrede bei einer angesehenen Tagung halten oder für This Week in Virology interviewt würde. Mit jedem Jahr, das verging, wurde es wahrscheinlicher, dass ich auf ewig eine einfache Postdoktorandin bleiben würde, die auf den nächsten Kurzzeitvertrag hoffte. Vielleicht wurde es Zeit, dem ins Auge zu sehen und zu überlegen, was nun werden sollte.

Es half auch nicht, dass Nico erst achtundzwanzig und definitiv nicht bereit war, in irgendeiner Weise sesshaft zu werden. Er war im Grunde immer noch der süße Möchtegern-Schauspieler, den ich vor fast drei Jahren auf einer ›Bloody Valentine‹-Party für genervte Singles kennengelernt hatte. Er war ein verstörend sexy wirkender Freddie Krueger gewesen; ich hatte geschummelt und trug einen Laborkittel von der Arbeit, den ich mit Kunstblut bespritzt hatte. Wir hatten in der Küche Bloody Marys gemixt, auf der Couch Freitag der 13. geschaut, uns während der Schockmomente kreischend aneinandergeklammert und am Ende im Bad geknutscht. Am nächsten Tag hatte mich meine Freundin, die Gastgeberin, damit aufgezogen, Nico sei wohl nicht ganz meine Liga.

Sechs Monate lang hatte ich seine Existenz fast vergessen, nur gelegentlich erinnerten mich die Fotos, die er auf Instagram postete, an ihn. Sie waren … zugegebenermaßen hübsch anzuschauen und eine nette Ablenkung von meinem Arbeitstag. In der Kaffeepause scrollte ich manchmal durchs Handy, und da war Nico, verschwitzt und zerzaust im Fitnessstudio, mit knackigen Bauchmuskeln und verwuscheltem dunklem Haar. Auf dem Heimweg im Bus war er wieder da, an einem Strand an der Algarve, und grinste in knappen Badeshorts durch eine verspiegelte Sonnenbrille in die Kamera.

Ein halbes Jahr lang blieb es dabei – ich war Single, gelangweilt, auf die Arbeit konzentriert und verschwendete kaum einen Gedanken an den gut aussehenden Schauspieler, den ich im Bad meiner Freundin befummelt hatte. Und dann, eines Tages, postete ich aus heiterem Himmel auf Instagram ein Foto. Das war ungewöhnlich für mich. Mein Feed bestand normalerweise aus selbst gekochtem Essen und lustigen Memes über die Hölle des Wissenschaftsbetriebs. Aber ich hatte online ein Kleid bestellt, das fast komisch unterdimensioniert war, der Rock reichte mir gerade bis zu den Oberschenkeln, meine Brüste quollen oben heraus. Ich hatte es als lustiges »Was ich bestellt hatte/was ich bekam«-Bild gepostet, wohl wissend, dass ich das Kleid nicht behalten würde, es aber auch ein bisschen schmeichelhaft war. Es hätte nicht untypischer für mich sein können, quetschte mich aber an den richtigen Stellen ein, und mein Busen sah ziemlich fantastisch aus.

Der erste Kommentar kam von Nico – eine Reihe Chilischoten, die mich zum Lachen brachte.

Gleich darauf schickte er eine Antwort auf seinen eigenen Kommentar. Da stand nur: »Drink?«

Aus einem Drink wurden Drinks, daraus wurden Tanzen, Tequila-Slammer und betrunkenes Knutschen und schließlich ein gemeinsames Uber (an dem sich Nico beteiligen wollte, was nie passierte). Wie sich herausstellte, wohnte er in einer WG in Dalston, praktisch bei mir um die Ecke, doch in dieser Nacht landeten wir bei mir – und, na ja, irgendwie zog er dann nicht mehr aus.

Zweieinhalb Jahre später war ich älter, klüger und wesentlich abgebrühter – so ist das, wenn man in einer der teuersten Städte der Welt vom Gehalt einer Forscherin leben muss. Meine Miete war gestiegen. Mein Gehalt nicht. Ich musste mir einen Plan B oder sogar C überlegen. Aber Nico träumte immer noch von Hollywood, weigerte sich immer noch, seinen Smoking zu verkaufen, weil er ihn eines Tages vielleicht doch für die BAFTAs oder Grammys brauchte. Er kämpfte immer noch für seine Träume, und meist gefiel mir gerade das an ihm – sein unerschütterlicher Optimismus, der feste Glaube daran, dass er irgendwann seine Chance bekäme.

Aber an einem Tag wie heute, dem grauesten aller grauen Londoner Tage, an dem selbst die Sonne aufgegeben hatte und wieder ins Bett gegangen war, konnte ich diesen Optimismus nur schwer ertragen.

Als ich in Hackney Wick aus dem Bus stieg, hatte sich der Regen in heftigen Hagel verwandelt, und ich stellte fest, dass ich meinen Regenschirm im Labor vergessen hatte. Ich joggte die zwanzig Minuten von der Bushaltestelle und versuchte, meinen Laptop vor dem Schlimmsten zu schützen. Dann stieg ich müde die drei Treppen hinauf zu unserer kleinen Dachwohnung in einem viktorianischen Reihenhaus. Als ich Nico zum ersten Mal mitgenommen hatte, waren wir lachend hinaufgestürmt und hatten uns auf den Treppenabsätzen geküsst. Jetzt war ich völlig durchgefroren, und jede Treppe schien steiler als die davor. Die letzten Stufen musste ich mich hinaufzwingen, und als ich endlich oben war, brauchte ich drei Versuche, bis meine kältestarren Finger den Schlüssel ins Schloss bekamen.

»Ich bin zu Hause!«, rief ich, als ich den nassen Mantel auszog. Eigentlich war die Wohnung so klein – Schlafzimmer, Bad und ein Zimmer für alles andere –, dass ich die Stimme gar nicht erheben musste.

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, erschien Nico mit dem Handy am Ohr und legte den Finger an die Lippen.

»Natürlich«, sagte er mit dem, was ich seine Schauspielerstimme nannte – tiefer, samtiger und selbstsicherer, als er sich am Telefon mit seiner Mutter oder einem Kumpel anhörte. »Klar. Auf jeden Fall.« Eine längere Pause, in der die Person am anderen Ende offenbar etwas sagte. Nico nickte dabei mit einem aufmerksamen Ausdruck auf seinem hübschen Gesicht, der an die Person am anderen Ende natürlich völlig verschwendet war. Nach einer kurzen Verabschiedung legte er auf, kam durch den Flur auf mich zugetanzt, umarmte mich, hob mich hoch und wirbelte mich im Kreis herum.

»Nico!«, stieß ich hervor. Er erdrückte mich fast. Ich blieb in dem engen Flur mit dem Fuß am Spiegel hängen, der gefährlich gegen die Wand knallte. »Nico, Herrgott noch mal, lass mich runter!«

Er stellte mich auf die Beine, doch seiner guten Stimmung tat es keinen Abbruch. Er grinste übers ganze Gesicht, seine dunklen Augen funkelten förmlich vor Erregung. Ich hatte diesen Ausdruck immer als dämliches Klischee betrachtet – aus wissenschaftlicher Sicht können Augen ihre Reflexionseigenschaften nicht ändern, nur weil etwas Aufregendes passiert. Doch ich musste zugeben, dass es in diesem Moment die einzig passende Beschreibung für Nico war.

»Das war Baz«, sagte er. »Der Produzent von One Perfect Couple.«

»Der Produzent von was?«

»So heißt sie.« Nico strich sich die Haare aus den Augen. »Die Show. Hab ich dir doch erzählt.«

»Hast du nicht, aber gut.«

»Doch, hab ich. Aber darum geht es nicht. Der Punkt ist, ich habe ihm ein paar Fotos geschickt, und er ist total begeistert von uns beiden –«

»Moment, du hast ihm Fotos von mir geschickt?« Ich war etwas bestürzt, doch Nico hörte kaum zu.

»– und er will unbedingt ein Treffen vereinbaren. Er sagt, wir sind genau die Art Paar, die sie suchen. Sie wollen Authentizität, nicht die üblichen Love Island-Typen.«

»Authentizität?« Ich sah an mir herunter – zerknittertes T-Shirt, nasse Jeans, alte Turnschuhe für die Arbeit im Labor. »Ist das ein Codewort für Braucht dringend eine Wachsenthaarung und müsste fünf Pfund abnehmen, vor allem am Hintern?«

»Nein, er hat gesagt, du erinnerst ihn an Zooey Deschanel«, erwiderte Nico. »Und dein Hintern ist im Übrigen perfekt.«

»Wie ich merke, äußerst du dich nicht zur Enthaarung.«

»Hör auf, mich zu verarschen. Du bist perfekt, okay? Ich finde das, und Baz auch. Er findet es toll, dass du Wissenschaftlerin bist. Eine Intelligenzlerin in der Show zu haben, ist gut für die Quoten, sagt er, und was deinen Hintern angeht, sagt er, du wärst …« Er stolperte über was auch immer er sagen wollte und endete mit: »Sehr gut aussehend.«

»Okay, das hat er offensichtlich nicht gesagt, Nico. Raus damit.«

»Ich, ähm … Ich erinnere mich nicht an den genauen Wortlaut.« Er bekam rote Ohren, was bedeutete, dass er log. Ich begann ihn zu kitzeln, drückte die Finger in seine Rippen und in die weiche Haut unter seinem Kragen.

»Nico, was hat er gesagt?«

»Lass das!«, rief er, duckte sich weg, wollte nicht lachen. »Lyla! Ich warne dich …«

»Dann sag mir, was er gesagt hat! Falls ich bei dieser Show mitmache …«

»Falls?«

»Falls. Dann habe ich das Recht, zu erfahren, was der Produzent von mir hält. Oder soll ich ihn selbst fragen?«

»Hör auf, mich zu kitzeln!«

»Ich höre auf, wenn du mir sagst, was er gesagt hat!«

»Na gut, na gut! Er sagte, du wärst … ›das fuckable girl von nebenan‹.«

Er sprach die Worte leicht beschämt aus und erahnte meine Reaktion, noch bevor ich angeekelt das Gesicht verzog.

»Was? Das ist widerlich!«

»Er hat es nicht so gemeint«, fügte Nico hastig hinzu. Er wusste, dass er einen Fauxpas begangen hatte, und fürchtete, ich könnte mich gegen die Show wenden. »Er hat gesagt, ich wäre ›der perfekte first-boyfriend-Traum‹, falls dich das tröstet.«

»Was? Nein! Das tröstet mich überhaupt nicht! Und es ist genauso widerlich, du bist achtundzwanzig. Du solltest nicht der erste Freund von irgendwem sein!«

»Traum, Lil! Darum geht’s doch. Du weißt schon, wenn du dreizehn bist und ein Poster zum Küssen an der Wand haben willst – jemanden, der sexy, aber nicht zu bedrohlich ist. Zac Efron. Jacob Elordi. Persönlich finde ich mich auch ein bisschen zu alt dafür.« Er schaute über meine Schulter auf sein Spiegelbild und begutachtete die ersten Lachfältchen in seinen Augenwinkeln. »Aber er redet ja nur von Typen. Es heißt nicht, dass er so über uns denkt.«

»Trotzdem.« Ich war nicht besänftigt. Das fuckable girl von nebenan? Sollte das ein Kompliment sein? Welchen Teil dieses bescheuerten Ausdrucks ich auch betonte, es hörte sich nicht so an. »Was hat er sonst noch gesagt? Konkrete Daten?«

Nico nickte. »Es soll schnell gehen. Es ist für einen neuen Reality-TV-Sender, der noch in diesem Jahr startet. Daher ist die Frist für Dreh und Postproduction wirklich knapp.«

»Das heißt?« Ich folgte ihm in den Raum, der als Wohnzimmer und Küche diente, und sah zu, wie er den Wasserkocher einschaltete.

»Ich weiß nicht mehr als du, aber es klang, als wollten sie in ein paar Wochen mit den Dreharbeiten beginnen. Er sagte immer wieder asap. ›Meine Assistentin wird euch asap kontaktieren‹, ›die Rechercheleute melden sich asap bei euch‹ und so.«

»Oh.« Ich rechnete im Kopf. »Hm … aus meiner Sicht wäre das gar nicht schlecht. Jetzt kann ich freibekommen, aber in ein paar Monaten sieht es womöglich anders aus. Wo wird denn gedreht?«

»Das ist das Beste daran – sie zielen auf das Love Island-Publikum. Darum drehen sie in einem exklusiven Boutique Resort im Indischen Ozean, was ziemlich toll klingt.«

»Wow.« Ich war unfreiwillig beeindruckt. »Hat Ari nicht gesagt, sie hätten ein kleines Budget?«

»Haben sie wohl auch. Baz ist rausgerutscht, dass das Resort einem alten Schulfreund von ihm gehört. Klang so, als wäre es ganz neu – kann sein, dass es noch gar nicht offiziell eröffnet ist. Mir schien, dass Baz es umsonst bekommt … als PR. Wenn die Leute die Show sehen, wollen sie auf die Insel, so in der Art.«

»Womöglich landen wir auf einer Baustelle.«

»Baz’ Assistentin hat mir ein paar Bilder von der Insel geschickt«, sagte Nico. Es war nicht direkt eine Antwort. Er schaltete den Wasserkocher ab und reichte mir sein Handy. Während er Teebeutel in Tassen gab und Wasser darübergoss, klickte ich auf einen WhatsApp-Link, der zu einer Website mit dem zweifelhaften Namen »Effing Productions« führte. Dann öffnete sich eine Bildergalerie. Der Bildschirm färbte sich in einem unglaublichen Blauton, der in unserer kleinen, dunklen Mansardenwohnung völlig unwirklich aussah.

Ich blinzelte. »Wow! Sorry, aber das muss ein Filter sein.«

»Meinst du? Warte, bis du die Korallen siehst.«

Als ich durch die Bilder scrollte, wurde mir klar, dass die Idylle nicht von einem Filter herrührte. Weißer Sand. Palmen. Wasser, so klar, dass man die Fische darin erkennen konnte. Einige strohgedeckte Häuschen … vier oder fünf, vielleicht auch sechs. Sie sahen alle gleich aus und waren geschickt zwischen den Palmen platziert, sodass jedes völlig für sich zu stehen schien. Nur ein Gebäude stach hervor – eine Villa, die auf hölzernen Pfählen über dem schimmernden Wasser stand. So etwas hatte ich auf Fotos von den Malediven gesehen. Hängematten schwangen auf Veranden, drinnen gab es weiße, mit Rosenblättern bestreute Betten und funkelnagelneue, mit Kieselsteinen geflieste Bäder und Regenduschen. Es war ein krasser Gegensatz zum trostlosen, verregneten East London.

»Nico, das sieht ja unglaublich aus.«

»Ja, oder?« Er grinste, weil er wusste, dass er mit den Fotos einen Treffer gelandet hatte. »Es ist ein Ausscheidungsformat, darum müssen wir uns für mindestens zwei, maximal zehn Wochen verpflichten. Wer gewinnt, muss nach der Rückkehr in Großbritannien für PR zur Verfügung stehen. Ich hab das Format noch nicht ganz kapiert, aber nach allem, was ich weiß, gibt es jede Woche eine Art Challenge. Wer verliert, ist raus, und wer gewinnt, sucht sich aus, mit wem er ein Paar bildet, sodass sich die Paare jede Woche neu zusammensetzen.«

Hätte es einen Soundtrack zu unserem Gespräch gegeben, wäre die Nadel an dieser Stelle kreischend über die Platte gekratzt.

»Wie bitte, was? Den Teil mit der Paarbildung hast du aber bisher nicht erwähnt.«

»Echt?« Nico wirkte leicht verlegen und ziemlich schuldbewusst. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte Baz es definitiv erwähnt, und er hatte es mir absichtlich verschwiegen. »Ich meine, das ist doch keine große Sache. Es ist nur für die Kameras.«

»Willst du damit sagen, das ist wie Love Island mit Frauentausch als Twist?«

»Also technisch gesehen –«, begann Nico, doch mein Gesicht verriet wohl, dass technische Argumente mich nicht überzeugen würden. Er wechselte hastig die Taktik. »Es geht doch nur darum, Bewegung reinzubringen. Man muss mit der Person, mit der man ein Paar bildet, nicht wirklich ins Bett gehen. Es bedeutet nur, dass man innerhalb der Show ein Paar ist. Du kannst auch mit der Person zusammenbleiben, mit der du in die Show kommst, aber sie wollen natürlich nicht, dass alle das tun. Ich vermute, dass Paare, die zu eng miteinander bleiben, bald rausfliegen.«

»Du meinst, sie manipulieren das Ergebnis, um treue Paare loszuwerden?« Ich klang geschockt und ein bisschen prüde, konnte mich aber nicht bremsen.

Nico verdrehte die Augen. »Lil, diese Geschichten sind immer manipuliert. Das ist nicht Jeopardy! – niemand schaut das, weil du ein tolles Allgemeinwissen hast. Die Zuschauer wollen Drama. Schillernde Persönlichkeiten. Gebrüll und Auseinandersetzungen und Leute, die vor der Kamera im Whirlpool vögeln. Wer langweilt, fliegt raus.«

»Das machst du also, wenn ich raus bin? Im Whirlpool vögeln?«

»Was? Nein! Hör auf, mir die Worte im Mund umzudrehen. Das hab ich nicht gesagt. Ich meinte nur, es muss so aussehen. Ich werde niemanden vögeln. Aber vielleicht vergieße ich ein paar Tränen, wenn du raus bist, erzähle, dass du meine Seelenverwandte bist, und weine mich an der Schulter eines Mädchens aus, während sie mir übers Haar streicht. Ich bin der first boyfriend-Traum, falls du dich erinnerst.«

»Und ich bin das fuckable girl von nebenan«, sagte ich mit einem Hauch von Bitterkeit. »Was wird dann von mir erwartet? Den Typen in der Villa nebenan zu ficken?«

»Nur über meine Leiche«, sagte Nico, umschlang meine Taille und küsste mich auf den Hals. »Im Ernst, Lil, das ist ein Schauspieljob. Darum kontaktieren sie Agenten. Du bist keine Schauspielerin, das wissen sie. Die werden es völlig in Ordnung finden, wenn du bei der ersten oder zweiten Aufgabe versagst. Dann sitzt du nach zwei Wochen im Flieger nach Hause. Und ich schmelze alle Herzen mit meinem Kummer, weil du weg bist, schmiede ein strategisches Freundschaftsbündnis mit einer Influencerin mit goldenem Herzen und verliere mit Anstand das Finale. Dann komme ich nach Hause als Sixpack, das auf TikTok viral gegangen ist.«

»Igitt.« Ich löste mich aus seinem Griff, nahm meinen Tee und ging damit ans Fenster, um mir Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. »Nico, ich weiß nicht. Ich wünschte wirklich, du hättest mir das alles erzählt, bevor ich mit Professor Bianchi gesprochen habe.«

»Moment, du hast mit ihm gesprochen?« Nicos Gesicht hellte sich auf.

Ich nickte widerstrebend. »Ja, hab ich.«

»Und was hat er gesagt?«

»Ich könnte zwei Wochen freibekommen, wenn ich in der Zeit das Chikungunya-Paper schreibe.«

»Im Ernst?« Nicos Gesicht hatte sich zu einem übermütigen Grinsen verzogen. Er kam mit ausgebreiteten Armen so schnell auf mich zu, dass ich ihm hastig die randvolle Tasse entgegenstreckte.

»Bloß keine Umarmung. Ich will keine Verbrennungen dritten Grades!«

»Aber du kriegst frei? Wir machen das wirklich?«

»Frauentausch?«

»Die Reise unseres Lebens, Dummi!«, sagte Nico. Ich versuchte, nicht zu lächeln, aber es war unmöglich – seine Begeisterung war so offensichtlich und ansteckend, dass meine Mundwinkel unwillkürlich zuckten.

»Lyla?«

»Ich weiß nicht. Ich muss drüber nachdenken.«

»Über einen All-inclusive-Trip ins Paradies?« Er zog das Handy aus der Hosentasche und hielt es mir vor die Nase: Die winzige Insel leuchtete weiß und grün wie ein von Perlen umkränzter Smaragd in einem Meer aus Blau. »Kannst du dazu wirklich Nein sagen, Lil?«

Ich wandte mich vom Display ab, von Nicos flehendem Gesicht. Doch das war ein Fehler – denn stattdessen blickte ich auf das rußverschmierte Dachfenster, auf das der Regen prasselte.

Warum zögerte ich? Was hielt mich hier außer einem beschissenen Job und einem beschissenen Weg zur Arbeit und absolut nichts, worauf ich mich freute? Ich konnte mir nicht mal Weihnachten als Zuckerbrot vor die Nase halten – es war Januar, und der graue Londoner Winter erstreckte sich vor mir wie eine Gefängnisstrafe. An deren Ende die Arbeitslosigkeit wartete.

Sollte dies wirklich die Lösung für alles sein? Falls es tatsächlich klappte – woran ich zweifelte; Nico hatte schon viele »sichere Chancen« gehabt, und ich wusste, wie unzuverlässig diese Versprechungen waren –, könnte es Nicos berufliche Aussichten wirklich verändern. Und falls nicht … hätten wir zwei Wochen in einem dieser bezaubernden Häuschen.

»Lass Ari wenigstens ein Treffen mit Baz arrangieren«, bat Nico. Ich wandte mich vom Dachfenster ab und schaute ihn zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit richtig an. Ich hatte mit seinem Markenzeichen, dem unwiderstehlichen Lächeln, gerechnet, sah aber etwas ganz anderes. Er wirkte … besorgt. Und dann begriff ich, dass Nicos ewiger Optimismus nicht so leicht und mühelos war, wie er aussah. Womöglich stand auch er an einem Wendepunkt, vor der Erkenntnis, dass er, wenn der nächste Wurf nicht gelang, aus dem Spiel wäre. Vielleicht war es für uns beide die letzte Chance.

Ich spürte, wie ich nachgab.

»Okay. Ich rede mit Baz.«

»Ja!« Nico boxte in die Luft. »Ich liebe dich verdammt noch mal, Lyla!«

»Es ist ja nur ein Gespräch. Vielleicht wollen sie mich gar nicht.«

»Natürlich wollen sie dich. Wie könnte jemand dich nicht wollen? Du bist ein verdammtes Wissenschaftsgenie, und du bist heiß. Was kann man sich mehr wünschen?«

Ein Wissenschaftsgenie würde nicht in einer Forschungssackgasse feststecken, mit einer Publikationsliste voller Löcher von der Größe des Grand Canyon, dachte ich müde. Aber Nico redete weiter.

»… und weißt du was – klar, du kannst dir nur zwei Wochen freinehmen, aber das ist mir egal. Wir sind das perfekte Paar, egal, wer den Preis gewinnt.«

»Das sind wir«, sagte ich. Ich stellte die Tasse ab, hob mich auf die Zehenspitzen und küsste Nico auf den Mund. Ich spürte sein Lächeln unter meinen Lippen, als er meinen Kuss erwiderte.

»Dadurch verändert sich alles.« Er sagte es dicht an meinem Ohr und zog mich fest an sich. »Das spüre ich.«

Ich konnte nur hoffen, dass er recht hatte.

15.02./02:14 Uhr

Over Easy, hört ihr mich? Der Wind wird immer stärker, ich mache mir ernsthaft Sorgen. Gibt es irgendeinen Schutzraum auf der Insel?

 

15.02./02:16 Uhr

Over Easy, falls ihr das hört, bitte melden. Es ist dringend. Der Sturm wird immer schlimmer, ich glaube, wir müssen hier weg. Gerade eben – oh Gott!

3

Es ist immer schwierig, Außenstehenden zu erklären, was man als Wissenschaftlerin tut – Spike-Proteine und virale Eintrittswege sind nicht jedermanns Sache, nicht mal nach Covid, als sich jeder Hinz und Kunz für einen Virologen hielt. Es ist doppelt schwierig bei einem Zoom-Gespräch mit einer Gruppe Produzenten, die ständig untereinander reden. Als Baz mich zum zweiten Mal eine »Intelligenzlerin« nannte, riss mir der Geduldsfaden.

»Wir bevorzugen den Begriff Wissenschaftlerin«, sagte ich knapp.

»Bitte?« Baz beugte sich zur Kamera. »Das habe ich nicht verstanden, Schätzchen.« Er hatte einen starken australischen Akzent. Unten auf dem Monitor stand Baz – Effing Productions.

»Intelligenzlerin«, sagte ich. »So pflege ich mich nicht zu bezeichnen. Ich bin Wissenschaftlerin. Oder Virologin, falls du mal ganz exakt sein willst.«

»Ha«, sagte Baz und grinste breit. Sein Zungenpiercing schien direkt aus den Neunzigern zu kommen und war extrem irritierend. Wenn er lachte, war es nur zu deutlich zu sehen. Er spielte ständig damit herum, wenn andere redeten, und ließ es gegen seine Zähne klappern. »Du bist witzig. Das gefällt mir.«

Witzig? Bevor ich erklären konnte, dass ich keine Witze machte (und auch gar nicht kapierte, was hier witzig gewesen sein sollte), wechselte das Gespräch zu Fragen über meine und Nicos Beziehung – wie lange wir zusammen waren, wo wir uns in fünf Jahren sahen.

»Wir sind seit drei Jahren zusammen«, sagte Nico und drückte meine Hand. Ich wollte ihn korrigieren – wir hatten uns vor drei Jahren kennengelernt, waren aber eigentlich erst seit gut zwei Jahren zusammen. Dann fiel mir ein, dass ich nicht bei der Arbeit war, und ich machte den Mund wieder zu. Niemand hier würde eine exakte Dokumentation und Berechnungsmethoden von uns verlangen.

Nico redete immer noch und war vom ersten Date zu seinem Fünfjahresplan übergegangen.

»Ich meine … es ist schwer zu beantworten, ohne entweder jämmerlich bescheiden oder wahnhaft ambitioniert zu klingen. Aber ich bin Schauspieler – und möchte spielen. Wenn ich an die Karriere von Leuten denke, die ich bewundere, sehe ich mich in der Kategorie von James McAvoy oder Adam Driver: Mundpropaganda im Indie-Bereich, Kritikerlob, dann Mainstream-Erfolg, ohne auf künstlerische Integrität zu verzichten. Ein bisschen Theater hin und wieder, um mich künstlerisch zu erden. Der Erfolg wird meine Hingabe an die Kunst nicht verändern …«

In der Ecke des Bildschirms sah ich, wie Ari auf dem Stuhl herumrutschte.

»… Ich will damit sagen, wo ist das Skins – Hautnah für meine Generation? Wo sind die harten, authentischen Darstellungen von Menschen in den Dreißigern?«

»Ähm … ja.« Baz hatte eindeutig abgeschaltet und sah sich etwas an, das seine Assistentin ihm zeigte. »Und, äh, Leela, Schätzchen, wie sieht’s mit dir aus?«

»Mit mir?«, fragte ich verblüfft. Ich hätte mit der Frage rechnen müssen, war aber so mit Nicos Antwort beschäftigt, dass ich mich nicht darauf vorbereitet hatte. »Ähm, ich heiße Lyla«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. Nicos Antwort war nicht nur völlig verblendet – glaubte er wirklich an eine Karriere wie die eines Adam Driver? Da könnte ich mich ebenso gut mit Rosalind Franklin vergleichen. Aber er hatte mich oder sein Privatleben mit keinem Wort erwähnt. »Fünf Jahre. Na ja, ich –« Ich hielt inne. Ja, wo sah ich mich? In fünf Jahren wäre ich siebenunddreißig. Vor ein paar Wochen hätte ich zwar nicht selbstsicher, aber verhalten optimistisch gehofft, fest angestellt zu sein und ein Forschungsteam in einem aufregenden Bereich zu leiten – Dengue-Fieber vielleicht. Aus den USA kamen gerade spannende Arbeiten zu IgA-Antikörpern. Ich hätte mir irgendwo in East London eine Wohnung gekauft, in der mich meine Mutter besuchen könnte. Möglicherweise sogar ein kleines Haus, wenn ich mich aufs Pendeln einlassen würde. Es könnten Kinder in Sicht sein – vielleicht noch nicht wirklich da, doch ein Plan für eine nicht allzu ferne Zukunft.

Nach dem Gespräch mit Professor Bianchi sah das alles anders aus. Ich hatte das Gefühl, meine Chancen mit diesem Projekt vermasselt zu haben, dabei brauchte ich dringend einige Veröffentlichungen für meinen Lebenslauf. Die lange Veröffentlichungspause wurde zunehmend bedrohlich. Wie lange würde ich brauchen, um ein vielversprechenderes Projekt zu finden, den Job zu bekommen, den Postdoc abzuschließen, einige Aufsätze zu schreiben und über die Publikationshürden zu bringen? Drei Jahre? Das war eine optimistische Schätzung. Die Chikungunya-Forschung sollte eigentlich die nächste Sprosse auf der Karriereleiter sein. Leider war die Sprosse gerade durchgebrochen.

Mir wurde klar, dass mich alle ansahen und auf meine Antwort warteten. Alle plus Nico.

Verdammt. Nico. Wo war er in all dem? Lebte er auch in meinem Vorort-Reihenhaus?

»Fünf Jahre«, wiederholte ich und spürte ihre Blicke. »Gott. Ich … weiß es nicht genau. Ehrlich gesagt bin ich gerade an einem Scheideweg. Ich muss einige Entscheidungen treffen.«

»Wirklich.« Baz sah mich interessiert an und dehnte die beiden Silben in die Länge. »Ist das so? Was für Entscheidungen, Schätzchen?«

Fuck. Das war ein Gespräch, das ich mit Nico führen sollte, zu zweit, nach einer Menge Wein, nicht bei einem nüchternen Zoom-Termin in Anwesenheit von Baz, Ari und einem Haufen wildfremder Leute.

»Ich habe gerade …« Ich schluckte und versuchte, nicht nervös zur Seite zu schauen, wie Nico es aufnahm. »Man könnte sagen, dass mein letztes Projekt nicht so gut gelaufen ist. Ich muss mich entscheiden, ob die Wissenschaft noch das Richtige für mich ist, meine ich. Ist eine schwierige Branche. Das eigene Profil bedeutet alles.«

»Also, genau da kommen wir ins Spiel«, sagte Baz und beugte sich vor. »Seien wir ehrlich, nicht jeder kann den Jackpot gewinnen, aber ihr werdet nach der Sache alle deutlich prominenter sein als vorher. Falls die Show der Hit wird, mit dem wir rechnen.«

Ich presste die Lippen aufeinander und zwang mich zu einem Lächeln, das mein Gesicht verzerrte, ohne sich auch nur im Geringsten echt anzufühlen. Das Profil, das ich bei One Perfect Couple bekäme, würde in der akademischen Welt absolut gar nichts gelten. Ganz im Gegenteil. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand meinen Förderantrag ernst nehmen würde, nachdem ich im Fernsehen im Bikini an einem tropischen Strand herumgetollt war. Glücklicherweise gehörten die Mitglieder von Fördermittelausschüssen wohl kaum zur Zielgruppe eines brandneuen Streamingkanals, der sich ausschließlich auf Reality-TV konzentrierte.

Doch die Erwähnung des »Jackpots« bot mir die Möglichkeit, einige der bisher schwer fassbaren Variablen des Projekts zu benennen.

»Der Jackpot, den du erwähnt hast – wie viel ist das genau? Und da wir schon beim Thema sind, könntest du uns etwas mehr über die Struktur der Show erzählen? Mir ist nicht klar, wie das alles laufen soll.«

»Sicher«, sagte einer der anderen Produzenten mit öliger Stimme und beugte sich in Richtung Kamera. Baz schien kein Mann fürs Detail zu sein. »Also, der Jackpot ist nicht festgelegt, sondern errechnet sich auch danach, wie die verschiedenen Leute bei den Challenges abschneiden. Die Idee ist, dass ihr alle dazu beitragt. Und am Ende … hm, ich kann nicht viel darüber sagen, aber es wird einen Mechanismus geben, nach dem er zwischen den Finalisten aufgeteilt wird. Oder auch nicht. Es kann auch sein, dass nur eine Person ihn gewinnt. Die Details sind noch vertraulich.«

»Okay«, sagte ich, »aber angenommen, alle erreichen ihr Ziel und damit die maximal mögliche Summe, über wie viel reden wir dann?«

Es entstand eine kurze, unangenehme Stille. Der Produzent warf Baz einen Blick zu, doch bevor jemand etwas sagen konnte, beugte sich Ari, Nicos Agent, vor und schaltete sein Mikro ein.

»Lyla, ich glaube, wie Baz schon sagte, geht es hier jedenfalls für jemanden wie Nico nicht in erster Linie um Geld. Wie hoch der Preis auch sein mag, es wird wenig sein verglichen mit den beruflichen Chancen, die einem die Show eröffnet.«

»Klar«, sagte ich, »aber –«

Ich spürte, wie Nico meine Hand drückte. Ich sah ihn an. Er lächelte, doch dahinter verbarg sich ein unmissverständliches Lass es gut sein.

Ich holte tief Luft. »Okay. Das verstehe ich. Und was ist mit dem Format und dem Ablauf?«

»Es ist ein Eliminierungsformat«, erklärte der namenlose Produzent. »Zehn Kandidaten, die über neun Wochen hinweg nacheinander ausscheiden. Es gibt einen strategischen Vorteil, wenn man als Paar Aufgaben angeht. Daher gibt es jede Woche die Möglichkeit, neue Paare zu bilden. Natürlich haben wir diverse Drehs und Wendungen, die Bewegung in die Sache bringen, aber auch hier sind die Details noch streng geheim. Ihr müsst nur wissen, dass fünf Paare reingehen und ein Paar wieder rauskommt. Und das könntet ihr sein!«

»Aber –«, setzte ich an, doch Baz sprach über mich hinweg, als wollte er demonstrieren, dass er hier die Fragen stellte.

»Von Ari wissen wir einiges über Nico, aber erzähl uns ein bisschen mehr über dich, Leela. Würdest du dich als Feministin bezeichnen?«

»Feministin?«, fragte ich verblüfft. Ich war mir nicht sicher, was ich von diesem Zoom-Gespräch erwartet hatte. Fragen über meine Beziehung zu Nico, klar, aber das hier war eine Überraschung. Was in aller Welt bezweckte Baz damit? »Ich meine … ich denke schon. Ich glaube an die Gleichberechtigung der Geschlechter. Tun das nicht alle?«

»Wie definierst du Gleichberechtigung?«

»Gleicher Lohn für gleiche Arbeit … gleiche berufliche Chancen … gleiche körperliche Autonomie …« Ich war zunehmend verwirrt.

»Würdest du nicht sagen, dass du all das schon hast?« Baz beugte sich stirnrunzelnd in Richtung Kamera, aber nicht verärgert, eher ermuntert.

»Äh …« Ich war jetzt völlig ratlos. »Also … ich bin Wissenschaftlerin. Im Zweifelsfall sehe ich mir die Daten an, und denen zufolge sind wir definitiv noch nicht am Ziel. In Großbritannien ist weniger als ein Viertel der Professuren in den Naturwissenschaften von Frauen besetzt, obwohl Frauen fast die Hälfte der Arbeitskräfte ausmachen.«

»Ah, gleich mit Quellenangabe, das gefällt mir«, sagte Baz grinsend, obwohl ich überhaupt keine Quellen genannt hatte. Im Grunde stammten meine Statistiken aus einem Artikel, den ich vor einigen Jahren in Nature gelesen hatte, doch das konnte Baz nicht wissen. Wovon um Himmels willen redete er? Ich erinnerte mich an meine scherzhafte Bemerkung zu Nico, dass ich eine Enthaarung und eine Diät brauchte, und ein Bild tauchte in meinem Kopf auf: Baz, der sich besorgt an seine Assistentin wendet: Wir müssen rausfinden, ob unter dem Laborkittel eine unrasierte Emanze steckt! Ich unterdrückte ein Kichern und setzte hastig eine neutrale Miene auf. Zum Glück redete Baz immer noch. »Und deine politischen Ansichten. Würdest du sagen, du stehst links von der Mitte … in der Mitte … rechts …?«

»Ich schätze … Mitte links? Entschuldigung, ist das relevant?«

»Sorry, sorry, du hast recht, ich schweife ab«, sagte Baz mit einer Handbewegung. »Aber herauszufinden, wie du tickst, was dich anders macht … klar ist das wichtig. Wir wollen ja nicht mit fünf genau gleichen Paaren auf der Insel enden, sondern ein breites Spektrum an Charakteren dabeihaben. Darum geht es uns bei dieser Show – damit können wir sie an Real TV verkaufen. Wir wollen echte Paare – echte Authentizität, verstehst du? Nicht diesen vorfabrizierten Love Island-Scheiß. Wir wollen echte Partnerschaften, die in der Hitze des Wettbewerbs auf die härteste Probe gestellt werden.«

»Wenn du Authentizität suchst, bist du bei uns genau richtig«, sagte Nico und legte den Arm um mich. »Lyla und ich haben jede Menge, und wir wollen gewinnen. Stimmt’s, Lil?«

»Stimmt«, sagte ich und verzog den Mund erneut zu einem aufgesetzten Lächeln. Es sah so aus, als würde das Treffen enden, ohne dass sie auch nur eine meiner Fragen beantwortet hatten. Nichts war geklärt. Es gab keinerlei echte Informationen, nur Schall und Rauch, der vollkommene Gegensatz zu meiner Arbeitsweise. Ich wollte mit jeder Faser meines Wesens Baz festnageln und klare Aussagen bekommen. Aber ich spürte, wie Nico mich stumm anflehte, es nicht zu vermasseln. So funktionierte Fernsehen wohl. Durch Schein zum Sein, sagte man das nicht über Hollywood? Oder war es Silicon Valley? Egal, es war sehr weit von meiner vertrauten Welt entfernt – etwas vorzutäuschen, war das Gegenteil von guter Wissenschaft.

»Nun –« Baz schaute seine Kollegin neben sich an und hob eine Augenbraue, und als sie nickte, schaute er wieder in die Kamera. »Dann kann ich euch sagen, dass wir uns in ein paar Wochen auf der Insel sehen.«

Seine Worte trafen mich wie ein Stromschlag. Erstens hatte ich noch gar nicht zugestimmt. Es sollte nur ein Vorgespräch sein. Und zweitens: in ein paar Wochen? Ich schaute panisch zu Ari und dann zu Nico, doch er war ganz auf Baz fixiert, der immer noch redete.

»Meine Assistentin Camille« – er deutete auf eine blonde Frau weiter hinten, die sich vorbeugte und schüchtern winkte – »meldet sich per Mail wegen der Flüge und so weiter, also haltet die Augen offen. Wir fliegen nach Jakarta und nehmen dann ein Boot zur Insel. Ari hat euch sicher die Bilder gezeigt? Das Resort meines Freundes ist nagelneu, ihr seid die ersten Gäste. Mit Worten lässt es sich kaum beschreiben.«

»Es sieht unglaublich aus«, sagte Nico aufrichtig.

»Ari, Camille schickt die Verträge und Verschwiegenheitserklärungen«, sagte Baz. »Bist du einverstanden, dass sie Leela und Nico direkt wegen der Flüge kontaktiert? Wir müssen dringend buchen, und sie braucht die Passnummern und den ganzen Scheiß.«

»Sicher, sicher«, sagte Ari großspurig. »Camille, schick mir eine kurze Mail, dann stelle ich die Verbindung her.«

»Super. Und Leela, Nico, sucht bis dahin eure Lieblingsbadeoutfits aus. Bis bald im Paradies!«

»Bis bald im Paradies!«, antwortete Nico, übers ganze Gesicht grinsend, und ich hörte meine eigene Stimme, ein blasses Echo, das den Satz wiederholte, wenn auch weitaus weniger überzeugt.

»Bis bald im Paradies.«

Der Monitor wurde dunkel.

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann drehte sich Nico um. Er strahlte vor Begeisterung.

»Und? Was sagst du?«

»Es ging alles unglaublich schnell«, antwortete ich ein wenig nervös. »Es sollte doch nur ein erstes Gespräch sein, aber für alle inklusive Ari schien es beschlossene Sache zu sein.«

»Hey.« Nico wirkte ein bisschen verwirrt. »Ich meine … wir haben nichts unterschrieben. Aber willst du das wirklich ablehnen? Ich meine, Herrgott, das ist eine große Sache! Wir werden berühmt – richtig berühmt! Denk nur, was das für meine Karriere bedeutet!«

»Ich denke an nichts anderes. Nur darum habe ich überhaupt bei dem Videocall mitgemacht. Aber kam Baz für dich nicht irgendwie seltsam rüber?«

»Baz?«, fragte Nico erstaunt. »Wie meinst du das? Ich fand ihn toll.«

»Ehrlich? Auf mich wirkte ein bisschen wie ein …« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »Keine Ahnung. Wie ein Blender?«

Ich würde es Nico nicht sagen, aber Baz hatte mich an Ari erinnert, der sehr beeindruckend daherredete, aber immer eine Ausrede fand, warum eine Zahlung nicht eingegangen war oder eine simple Aufgabe nicht erledigt wurde, um die Nico ihn gebeten hatte. Nico hatte direkt nach der Schauspielschule bei Ari unterschrieben, weil der ihm Fernsehen, Reichtum und Ruhm versprochen hatte. Sieben Jahre später hatte Ari nicht mehr geliefert als ein paar Nebenrollen und eine kleine Sprechrolle in Holby City, die Nico wohl auch allein bekommen hätte. Aris viel gepriesene, aber höchst vage »Kontakte« hatten nichts gebracht – bis heute.

Auf dem Papier schien One Perfect Couple tatsächlich ein Riesending. Es war ein großes Projekt, es war fürs Fernsehen, und es war durch einen von Aris Kontakten zustande gekommen. Gut, vermutlich würde es kein Geld bringen – es sei denn, Nico gewann, was statistisch gesehen unwahrscheinlich war. Setzte sich die Show jedoch durch, könnte seine Bekanntheit dadurch beträchtlich steigen. Das wäre dann Aris Verdienst. Aber irgendwas an der Sache kam mir komisch vor.

»Ein Blender?« Nico sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Inwiefern?«

»Na ja …« Ich versuchte mich zu erinnern, wann bei mir die Alarmglocken geschrillt hatten. Der Name: Effing Productions. Dass er mich Leela nannte. Aber Nico würde nichts dabei finden, und ich konnte ihm auf gar keinen Fall sagen, dass Baz mich an Ari erinnerte. »Okay … zum Beispiel … was glaubst du, hat Baz damit gemeint, dass er es an Real TV verkaufen will?«

»Was meinst du?«

»Als es darum ging, dass wir ein authentisches Paar sind, hat er gesagt: damit können wir sie an Real TV verkaufen. Ich dachte, die Show wäre bereits verkauft. Bei Ari klang es so, als wäre schon alles unter Dach und Fach. Ihr Vorzeigeformat und so.«

Nico winkte ab. »Du interpretierst da zu viel hinein. Das war nur eine Redewendung. Wahrscheinlich meinte er einfach, dass Real es wegen uns mögen wird.«

»Kann sein. Ich habe nur … ach, keine Ahnung. Ich war überrascht, dass niemand von Real bei dem Gespräch dabei war.«

»Das sind viel beschäftigte Leute, Lyla. Überleg mal, die bauen gerade einen ganz neuen Fernsehsender auf! Ist doch klar, dass sie keine Zeit für Meetings über Flugbuchungen haben.«

»Hm.« Ich ging ans Fenster und starrte auf die schmutzigen Dächer. In der Dachrinne gegenüber lag eine tote Taube. Ich wandte mich ab. »Ich meine nur … ich will dich unterstützen, Nico, wirklich, aber ich wünschte, sie hätten einige meiner Fragen beantwortet.«

»Sieh mal.« Nico umarmte mich und drückte meine Wange an seine Brust. Ich konnte spüren, wie hart er in der Hoffnung auf One Perfect Couple trainiert hatte. »Du fühlst dich unbehaglich, Lyla, das verstehe ich. Fernsehen ist seltsam. Das sind keine Wissenschaftlertypen, die alles ganz genau nehmen. Da wird ständig improvisiert und umgedacht. Aber es ist nicht so planlos, wie es von außen scheint. Es gibt Prozesse, um alle Beteiligten zu schützen. Es gibt Verträge, juristische Formulierungen und lauter so Dinge, dafür ist Ari zuständig. Dafür bezahle ich ihn doch – er hat jahrelange Erfahrung und haufenweise Anwälte. Er wird nicht zulassen, dass man uns in etwas hineinzieht, das nicht koscher ist.«

Aber du bezahlst ihn doch gar nicht, dachte ich. Du verdienst kein Geld, und ein paar Prozente von nichts ist nichts. Aussprechen konnte ich es nicht. So grausam war ich nicht.

»Also … wir machen das wirklich?«, fragte ich mehr an mich selbst als an Nico gerichtet.

Aber er antwortete und sah mich dabei ungläubig an. »Verdammt, ja, wir machen das. Soll das ein Witz sein? So eine Gelegenheit kann man sich nicht entgehen lassen.«

Ich nickte. Mir war ein bisschen schlecht – aber Nico hatte recht. Es war der entscheidende Punkt seiner Karriere. Wenn One Perfect Couple der erhoffte Hit würde, könnte es sein ganzes Leben verändern – und vielleicht auch meins. Und nur weil meine eigene Karriere den Bach runterzugehen schien, hieß das nicht, dass ich Nico seine Chance verwehren konnte.

»Lyla?«, sagte Nico und drehte mein Gesicht so, dass ich ihn ansehen musste. »Lyla? Bitte sag mir, dass du dazu bereit bist.«

»Ja«, sagte ich schwach. »Ja, ich bin bereit.« Und um mich selbst zu überzeugen: »Ich bin wirklich bereit.« Und dann, als mich die Realität des Ganzen traf: »Scheiße, ich muss mir einen Bikini kaufen. Mein Speedo-Badeanzug ist wohl nicht das Richtige dafür.«

»Einen Bikini?« Nico hob eine Augenbraue. »Ich glaube, du meinst Bikinis, Plural. Oder vielmehr eine komplett neue Garderobe. Geh mit meiner Kreditkarte zu H&M.«

»Was ist mit dir?« Ich ignorierte die Tatsache, dass Nicos Kreditkarte bis zum Anschlag ausgereizt war, sodass ich von Glück sagen konnte, wenn ich damit zwei Paar Socken kriegte. »Was trägt der first-boyfriend-Traum am Strand? Ein blütenweißes T-Shirt?«

Nico grinste. »Kann sein. Aber ich habe vor, die meiste Zeit obenrum gar nichts zu tragen.« Er hob den Saum seines Hemdes und zeigte mir seinen Waschbrettbauch. »Dieses Sixpack war nicht billig, weißt du.«

»Wohl wahr«, sagte ich. Nun, da es beschlossene Sache war und ich die Worte Ja, ich bin bereit ausgesprochen hatte, ließ meine Nervosität ein wenig nach. Nico hatte recht. Ari würde nicht zulassen, dass wir uns auf etwas Fragwürdiges einließen. Und ich musste mal weg, wir beide mussten weg. »Die vielen Stunden im Fitnessstudio müssen ja für was gut sein. Und außerdem bist du das deiner dreizehnjährigen Fangemeinde schuldig.«

»Eben«, sagte Nico, strich über meinen Rücken bis zum Hintern und drückte ihn mit beiden Händen. »Wir können nicht alle das fuckable girl von nebenan sein.«

Ich ärgerte mich schon wieder über den dämlichen Begriff. »Ich geb dir gleich ein fuckable girl von nebenan.«

»Nicht nötig, ich habe schon ein fuckable girl«, sagte Nico grinsend. »Sie steht hier und wartet darauf, ihren Namen in die Tat umzusetzen.« Er hievte mich mit seinen starken Armen hoch, und ich schlang die Beine um seine Taille und lachte auf ihn hinunter.

»Ist das so? Sie stellen ja gewagte Hypothesen auf, Mister.«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Hypothese zu testen, Dr. Santiago«, sagte Nico und trug mich Richtung Schlafzimmer. »Ich glaube, das schaffe ich gerade noch vor dem Fitnessstudio.«

15.02./06:34 Uhr

Hallo? Hallo? Ist da jemand? Dies ist ein Mayday-Notruf.

Wir sitzen nach dem Sturm letzte Nacht auf einer Insel im Indischen Ozean fest. Ich habe keine Koordinaten, aber wir sind nach Jakarta geflogen und dann mit einer Jacht namens Over Easy nach Südwesten gefahren. Die Jacht ist weg, wir haben keine Ahnung, was aus ihr geworden ist. Einige aus unserer Gruppe sind schwer verletzt und brauchen medizinische Hilfe. Ich weiß nicht, wie lange die Batterie des Funkgeräts noch hält. Falls mich jemand hört, schickt bitte Hilfe. Ich wiederhole, dies ist ein Mayday-Notruf, wir brauchen medizinische Hilfe. Hört mich jemand? Kann uns jemand helfen? Over?

4

Die nächsten Tage waren wie ein Wirbelwind. Es sah aus, als würden wir das tatsächlich machen. Binnen Stun-den schickte Ari Vertragsentwürfe mit beängstigenden Verschwiegenheitsklauseln, und Camille fragte, ob wir lieber von Gatwick oder Heathrow abfliegen wollten.

Am seltsamsten aber war, dass alle außer mir so taten, als wäre an der Sache gar nichts Besonderes. Professor Bianchi schien es als ganz gewöhnlichen Last-Minute-Winterurlaub anzusehen. Allerdings hatte ich wohlweislich auch nicht versucht, es ihm genauer zu erklären. Ari fand es offenbar ganz normal, alles stehen und liegen zu lassen und mit nur zwei Wochen Vorankündigung nach Indonesien zu fliegen. Vielleicht war es das in seiner Branche auch.

Nicos Freunde schickten aufrichtig klingende Glückwünsche, die ihre berufliche Eifersucht nur unzureichend verbargen. Meine machten neidische Kommentare über kostenlose Ferien und Winterbräune.

Tatsächlich war der einzige Mensch, der Zweifel äußerte, meine Mutter. Sie klang ziemlich erstaunt, als ich ihr das Ganze am Wochenende vor Reisebeginn am Telefon schilderte.

»Eine Reality-TV-Show? Aber, Lyla, Liebes, warum? Du schaust so was doch gar nicht.«

»Ich mache es für Nico«, sagte ich und wusste, noch während ich es aussprach, wie wenig überzeugend das klang. »Er wünscht es sich so sehr.«

»Hat er etwa eine Midlife-Crisis?«

Ich lachte. »Ich weiß ja nicht, ob es Nico gefallen würde, dass du glaubst, er könnte reif für eine Midlife-Crisis sein. Aber nein, es ist ein Karriereschritt. Wenn sie groß rauskommen, können diese Reality-TV-Shows eine tolle Werbung sein.«

»Aber warum musst du dabei sein?«

»Weil …« Ich hielt inne. Weil es eine Fernsehshow für Paare ist, hätte die einfache Antwort gelautet, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich das überhaupt sagen durfte. Das ganze Format sollte laut Verschwiegenheitserklärung vertraulich bleiben. Aber es wäre nicht die Wahrheit gewesen und war auch nicht das, was meine Mutter gemeint hatte. Man hatte mich eingeladen, weil es ein Format für Paare war. Aber ich hatte nicht deswegen zugesagt.

Über meine wahren Gründe wollte ich lieber nicht zu genau nachdenken. Nico und ich standen an einem kritischen Punkt. Keine Midlife-Crisis, aber so konnten wir nicht weitermachen. Er hämmerte gegen verschlossene Türen, und ich nahm es ihm zunehmend übel, dass ich seine Träume unterstützte, während meine eigenen in immer weitere Ferne rückten. Wir beide brauchten eine Pause, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

»Ich glaube nur«, sagte meine Mutter in die Stille hinein, »dass das nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas ist. Du bist zweiunddreißig, Liebes, ihr solltet sesshaft werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Chef sehr erfreut ist.«

»Mum, für Nico ist es wichtig, und ich liebe ihn«, sagte ich. »So was tut man für Menschen, die man liebt. Man unterstützt sie.«

»Na ja, wir haben die Kälte wohl alle satt. Und es springt zumindest ein kostenloser Urlaub dabei heraus«, sagte meine Mutter resigniert, und ich musste lachen.

 

Ihre Bemerkung über die Kälte fiel mir wieder ein, als die Maschine in Jakarta aufsetzte. Natürlich hatte ich gewusst, dass im Februar in Indonesien ein völlig anderes Klima herrschte als in London, doch dieses theoretische Wissen milderte den Schock der schwülheißen Luft nicht. Wir waren mit Regenmänteln, Stiefeln und Schals ins Flugzeug gestiegen. Als ich ausstieg, war mein BH schweißnass, noch bevor ich einen Fuß auf den Asphalt gesetzt hatte.