Operation Rainbow - Tom Clancy - E-Book

Operation Rainbow E-Book

Tom Clancy

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Beschreibung

Die Welt am Abgrund

Der ehemalige Elite-Marine John Clark und seine multinationale Spezialtruppe haben es mit einem Gegner zu tun, der skrupellos und weltweit agiert. Sollte er Erfolg haben, würde es das Ende für den Großteil der Menschheit bedeuten.

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Seitenzahl: 1472

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Das Buch

Kaum hat John Clark sein internationales Team beisammen, als es auch schon zum Einsatz kommt: Eine Terrorgruppe überfällt in der Schweiz eine Bank, in Österreich wird ein Multimillionär auf seinem Schloß als Geisel genommen, in einem spanischen Vergnügungspark werden französische Kinder gekidnappt, um den berüchtigten Terroristen Carlos freizupressen. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten all diese Anschläge nichts miteinander zu tun, doch John Clark ahnt bereits, daß da mehr dahinterstecken muß. Aber nicht einmal er ist in der Lage, das ganze Ausmaß dieses ungeheuerlichen Komplotts zu ermessen: Eine Gruppe von fanatischen Männern und Frauen hat sich zum Ziel gesetzt, die Erde nach ihrem Plan zu verändern – und der würde die Vernichtung eines Großteils der Menschheit bedeuten.

Tom Clancys schockierender Thriller ist näher an der Realität, als die Supermächte sich einzugestehen bereit sind.

Der Autor

Tom Clancy, geboren 1947, hatte mit seinem ersten Thriller Jagd auf Roter Oktober auf Anhieb internationalen Erfolg. Clancy gilt als Begründer des modernen Techno-Thrillers und zählt neben John Grisham zu den erfolgreichsten amerikanischen Spannungsautoren. All seine Romane standen an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten. Er starb im Oktober 2013.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorWidmungProlog - VORBEREITUNGEN1 - HAUSMITTEILUNG2 - AUFSATTELN3 - WAFFEN UND GNOME4 - NACHBEREITUNG5 - VERZWEIGUNGEN6 - GLÄUBIGE JÜNGER7 - FINANZIERUNG8 - BERICHTERSTATTUNG9 - LOCKVOGEL10 - GOLDGRÄBER11 - INFRASTRUKTUR12 - QUERSCHLÄGER13 - FREIZEITSPASS14 - SCHWERT DER LEGION15 - WEISSE HÜTE16 - ENTDECKUNGEN17 - IM BUSCH18 - EINBLICKE19 - ERMITTLUNGEN20 - KONTAKTAUFNAHME21 - SCHAUPLÄTZE22 - GEGENMASSNAHMEN23 - ÜBERWACHEN24 - GEWOHNHEITEN25 - SONNENAUFGANG26 - FOLGERUNGEN27 - GEHEIMKURIERE28 - BEI HELLEM TAGESLICHT29 - ATEMPAUSE30 - DURCHBLICK31 - BEWEGUNG32 - BLUTWERTE33 - BEGINN DER SPIELE34 - DIE SPIELE GEHEN WEITER35 - MARATHON36 - EILFLÜGE37 - VERLÖSCHEN DER FLAMME38 - LUFTKURORT39 - HARMONIEEpilog - NACHRICHTENCopyright

Für Alexandra Maria Lux mea mundi

Wie kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet, auch nicht Wölfe und Lämmer in Eintracht je sich gesellen; sondern bitterer Haß sie ewig trennt voneinander: so gibt’s nimmer für uns Vereinigung oder ein Bündnis.

 

Homer

Prolog

VORBEREITUNGEN

John Clark hatte schon mehr Flüge hinter sich als mancher Berufspilot. Er kannte die Statistiken so gut wie jeder andere. Trotzdem mochte er sich nicht damit abfinden, den Atlantikflug in einer zweistrahligen Maschine anzutreten. Vier Triebwerke hielt er für richtig – falls eines schlappmachte, verlor man nur 25 Prozent der Antriebskraft, auf dieser United 777 dagegen die Hälfte. Daß seine Frau, eine der Töchter und ein Schwiegersohn dabei waren, machte ihn wohl ein wenig nervös. Nein, das stimmte nicht ganz. Angst hatte er keine, jedenfalls nicht vorm Fliegen, nur so ein schwaches, ungewisses  – was wohl? Er vermochte es selbst nicht zu sagen. Neben ihm am Fensterplatz saß Sandy und blätterte in einem Krimi, den sie gestern zu lesen begonnen hatte, während er sich auf den Economist konzentrieren wollte und sich über das klamme Gefühl in der Magengrube wunderte. Schon hielt er nach Alarmzeichen in der Pilotenkanzel Ausschau. Aber dann rief er sich zur Ordnung. Da gab’s nichts zu sehen; die Crew sollte ihn nicht für einen nervösen Passagier mit Flugangst halten. Statt dessen nahm er einen Schluck von seinem Weißwein, schüttelte den Kopf und vertiefte sich wieder in den Bericht über unsere schöne, neue, ach-so-friedliche Weltordnung.

Stimmte das denn nicht? Er verzog das Gesicht. Immerhin mußte er zugeben, daß die Weltlage entspannter war als jemals, seit er zurückdenken konnte. Kein nächtliches Auftauchen im U-Boot an der russischen Küste, um jemanden unbemerkt abzuholen, keine Spionageflüge nach Teheran, mit denen man sich bei Iranern unbeliebt machte, kein Schwimmen in nordvietnamesischen Schlammflüssen, um abgeschossene Fallschirmjäger rauszupauken. Eines Tages würde ihn Bob Holtzman noch überreden, seine Erlebnisse niederzuschreiben, bloß – wer würde ihm glauben? Die CIA erlaubte ihm gewiß erst auszupacken, wenn er auf dem Sterbebett lag. Und damit hatte er keine Eile, solange sein Enkel erst unterwegs war … Verdammt, daran wollte er schon gar nicht denken. Patsy hatte sich gleich in der Hochzeitsnacht schwängern lassen, und Ding strahlte mehr noch als sie selbst vor Stolz. John warf einen Blick zurück in die Business Class – der Vorhang war noch nicht geschlossen. Da saßen sie und lauschten händchenhaltend der Stewardeß, die ihnen ihre Lektion über Flugsicherheit erteilte. Sollte im Notfall eine Wasserlandung notwendig werden, holen Sie die Schwimmwesten unter dem Sitz hervor und blasen Sie sie auf, indem sie an der Strippe ziehen … Das konnte er schon auswendig nachbeten. Die knallgelben Schwimmwesten machten es den Suchtrupps leichter, den Unfallort zu finden – für mehr waren sie doch nicht gut.

Erneut spähte Clark nach der Pilotenkanzel hin. Noch immer verspürte er dieses Prickeln im Nacken. Die Flugbegleiterin machte ihre Runde, sammelte sein Weinglas ein, während das Flugzeug auf das Rollfeld schwenkte. Zuletzt blieb sie bei Alistair stehen, auf der linken Seite des First-Class-Abteils. Der Engländer warf Clark einen sonderbaren Blick zu, als er seinen Sitz aufrecht stellte. Er auch? War da was? Beide galten ja nicht gerade als Angsthasen.

Alistair Stanley war Offizier im Special Air Service der Luftwaffe gewesen, bevor er auf Dauer zum Geheimdienst versetzt wurde. Seine Stellung war der von John nicht unähnlich. Sie mußten eingreifen, wenn sich die Kommandos vor Ort einen Ausrutscher geleistet hatten. Al und John hatten sich bei einem Einsatz in Rumänien kennengelernt, das war acht Jahre her, und er als Amerikaner freute sich, nun wieder regelmäßig mit ihm zu arbeiten, auch wenn er für den Spaß allmählich zu alt wurde. Verwaltung war nicht gerade das, was John beruflich vorschwebte, aber zugegeben, er war schließlich auch keine Zwanzig mehr – oder Dreißig – nicht mal mehr Vierzig! Ein bißchen zu alt, um durch Hinterhöfe zu rennen und über Mauern zu springen. Ganz ähnlich, aber vornehmer, hatte sich Ding vor kurzem ausgedrückt, als sie in Johns Büro in Langley saßen. An Respekt ließ er’s auch sonst nicht fehlen – schließlich war John der künftige Großvater seines Erstgeborenen. Teufel auch, schimpfte Clark – daß er sich nichts vormachte, war doch auch schon was. Er fühlte sich wirklich alt – nein, alt war nicht ganz richtig, vielmehr älter geworden. Nicht zu vergessen, daß er als Respektsperson gelten mußte, seit sie ihn zum Direktor des neuen Dienstes ernannt hatten. Direktor. Eine höfliche Umschreibung für Frühpensionär. Aber wenn einen der Präsident selbst um einen Gefallen bittet, sagt man nicht »nein« – erst recht nicht, wenn man zufällig persönlich mit ihm befreundet ist.

Der Lärm der Triebwerke schwoll an, als der Flieger in Fahrt kam. Das übliche Gefühl, als werde man in den Sitz gedrückt, während der Sportwagen bei Grün losrast, doch mit größerem Druck. Sandy, die kaum gewohnt war zu reisen, blickte nicht von ihrem Roman auf. Mußte ja maßlos spannend sein. Aber John las keine Krimis. Nie konnte er ausknobeln, wer nun der Täter war, und blöd kam er sich dabei vor, obwohl ihn sein Beruf mehr als einmal in echte Kriminalfälle verwickelt hatte. Leinen los, hörte er sich sagen, und dann spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. Steil hob der Flieger ab, schon waren sie in der Luft, während noch das Fahrwerk eingeholt wurde. Unmittelbar danach wurden ringsum die Sitze nach hinten geklappt. Ein paar Stunden Schlaf konnten nicht schaden, bevor sie in London Heathrow waren. Aber allzu tief wollte John den Sitz nicht klappen. Erst noch mal etwas essen.

»Endlich unterwegs, Liebling«, murmelte Sandy und blickte auf.

»Hoffentlich gefällt’s dir drüben!«

»Ich habe drei Kochbücher mit. Und wenn ich ausgelesen habe…«

John lächelte. »Wer war’s denn?«

»Weiß noch nicht. Vermutlich die Gattin.«

»Klar. Scheidungsanwälte kommen teurer!«

Kopfschüttelnd kehrte Sandy zu ihrem Krimi zurück, während die Stewardessen mit dem Servierwagen anrückten. Clark legte den Economist weg und nahm sich die Sportzeitschrift. Es ärgerte ihn, das Ende der Football-Saison zu verpassen. Selbst wenn er im Einsatz war, gab er sich Mühe, auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Die Bears waren wieder im Aufstieg, und in seiner Jugend, als der Bears-Papa George Halas und die Monsters of the Midway Triumphe feierten, hatte er selbst manchmal von einer Karriere als Profi-Footballer geträumt. In der Schulmannschaft war er als Linebacker nicht übel gewesen, und die Universität von Indiana hatte sich für ihn interessiert (auch für seine Schwimmkünste). Doch dann hatte er sich vom College-Studium verabschiedet und war zur Marine gegangen, wie schon sein Vater, bloß daß aus Clark ein SEAL wurde, kein Leichtmatrose auf einer Blechschale …

»Mr. Clark?« Die Stewardeß brachte die Tabletts. »Mrs. Clark?«

Dafür lohnte sich die Luxusklasse. Hier tat das Bordpersonal wenigstens so, als hätten sie einen Namen. Bei seinem riesigen Flugkilometer-Bonus war John automatisch aufgerückt; und von jetzt an würde er vorwiegend British Airways fliegen, die ausgezeichnet mit der englischen Regierung kooperierte.

Das Menü war nicht zu verachten, stellte er fest, wie immer auf Auslandsflügen, auch die Weinkarte … Trotzdem zog er vor, ein Mineralwasser zu bestellen. »Dankeschön.« Hmm … Murrend rutschte er auf dem Sitz vor, rollte sich die Ärmel hoch. Immer war ihm zu heiß, wenn er im Flugzeug saß.

Als nächstes meldete sich der Pilot, und die Filme auf ihren Minifernsehschirmen wurden kurz unterbrochen. Sie folgten der südlichen Route, um den Windvorteil auszunutzen. Auf diese Weise, erklärte Flugkapitän Will Garnet, konnten sie vierzig Minuten einsparen bis Heathrow. Daß er sein Gehalt damit aufbesserte, verschwieg er. Alle Fluglinien sparten am Benzin, und eine Dreiviertelstunde würde ihm einen goldenen Fleißpunkt ins Schulheft bringen – naja, vielleicht auch nur einen silbernen …

Das übliche Gefühl. Der Flieger kippte leicht ab und schoß hoch über Seal Isle City in New Jersey hinaus auf den Ozean, um erst 5000 Kilometer weiter wieder Land zu erreichen. In fünfeinhalb Stunden, vermutete John, irgendwo an der irischen Küste. Einen Teil dieser Zeit wollte er zumindest verschlafen. Gottseidank nervte der Pilot nicht mit dem üblichen Reiseführergequatsche – unsere Flughöhe beträgt zwölftausendfünfhundert Meter, das wären bei einem Absturz über zwölf Kilometer freier Fall, ha ha, und … Man begann, das Essen zu servieren, gleich kamen sie in der Touristenklasse an, blockierten den Korridor mit Servierwagen und rollenden Getränkebars.

Es fing auf der linken Seite an. Der Mann war überkorrekt gekleidet, hatte ein Jackett an, das Johns Argwohn weckte. Die meisten zogen es aus, sobald sie sich setzten, er aber – es war eine Browning-Automatik, mit schwarzglänzender Oberfläche, die auf Militär schließen ließ. Clark bemerkte es gleich, eine Sekunde später auch Alistair Stanley. Im nächsten Moment tauchten rechts zwei weitere Männer auf, gingen direkt an Clarks Sitz vorbei.

»Verdammter Mist!« hauchte er so leise, daß nur Sandy ihn hörte. Sie fuhr herum und sah es, doch bevor sie etwas sagen konnte, griff er nach ihrer Hand. Es genügte, um sie verstummen zu lassen. Trotzdem schrie die Dame von gegenüber auf – wenigstens fast. Die Frau vom Nebensitz hielt ihr den Mund zu und erstickte den Schrei halb. Ungläubig starrte die Stewardeß auf die beiden Männer vor sich. Das war doch seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Wieso passierte es jetzt?

Clark stellte sich dieselbe Frage, und gleich darauf eine weitere: Wieso hatte er seine Dienstwaffe in der Reisetasche, über ihm in der Gepäckablage? Welchen Sinn macht es, dein Schießeisen mit ins Flugzeug zu nehmen, wenn du im entscheidenden Moment nicht drankommst, blöder Idiot? Ein hirnverbrannter Anfängerfehler! Ein Seitenblick genügte, um denselben Gesichtsausdruck bei Alistair festzustellen. Zwei der erfahrensten Profis im Geschäft, ihre Knarren kaum einen Meter weit weg, doch ebensogut hätten sie tief im Gepäckraum verstaut sein können …

»John …«

»Ruhe bewahren, Sandy«, gab ihr Mann zurück. Leichter gesagt als getan. Das wußte er selbst nur zu gut.

John straffte sich, hielt den Kopf bewegungslos, wandte sich aber vom Fenster ab und blickte nach vorn zur Pilotenkanzel. Er ließ die Augen schweifen. Drei waren es. Einer, der mutmaßliche Anführer, nahm eine Stewardeß mit nach vorn, wo sie ihm die Zwischentür aufschloß. John sah sie die Kanzel betreten und die Tür hinter sich verriegeln. Na schön, gleich würde Kapitän William Garnet merken, was gespielt wurde. Hoffen wir, daß er Profi ist, der in einer solchen Situation die Nerven behält. Der nichts anderes sagt als »ja, Sir« – »nein, Sir« – »drei Koffer voll, Sir«, wenn er in eine Revolvermündung schaut. Im Idealfall hatte er seine Ausbildung bei der Luftwaffe oder Marine absolviert und vermied es, Dummheiten zu machen und den gottverdammten Helden zu spielen. Seine Mission war es, das Flugzeug zu landen, irgendwo, denn es war viel schwerer, dreihundert Leute zu massakrieren, solange das Flugzeug noch mit blockiertem Fahrwerk auf dem Rollfeld stand.

Drei waren es, einer vorn in der Kanzel. Er mußte drinbleiben, um die Piloten in Schach zu halten und über Funk mit wem auch immer zu verhandeln und die Forderungen zu stellen. Zwei standen vorne, weitere in der ersten Klasse, von wo sie beide Abteile des Fliegers überwachen konnten.

»Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Bitte bleiben Sie angeschnallt, solange das Warnlicht an ist. Wir haben Luftlöcher vor uns. Bewahren Sie die Ruhe, in wenigen Minuten melde ich mich wieder. Danke.«

Gut so, dachte John, und erwiderte einen Blick von Alistair. Der Kapitän hörte sich gelassen an, und die Kerle drehten nicht durch – noch nicht. Hinten ahnten die Passagiere vermutlich noch gar nichts von dem Geschehen. Auch gut. Menschen geraten schnell in Panik – nicht zwangsläufig, aber besser noch, wenn niemand auch nur mit einem Anlaß für Panik rechnete.

Drei. Nur drei? Womöglich noch ein Helfershelfer, als Passagier getarnt? Der mußte die Bombe im Griff haben, wenn’s eine Bombe gab. Eine Bombe war so ziemlich das Schlimmste, das ihnen blühen konnte. Eine abgefeuerte Kugel konnte ein Loch in die Flugzeugwand reißen; dann ging es im Sturzflug abwärts, einige würden zur Kotztüte greifen, andere sich in die Hosen machen, aber davon starb man nicht. Die Explosion einer Bombe dagegen tötete vermutlich alle Insassen des Fliegers … Reine Glücksache, dachte Clark, aber wer’s drauf ankommen läßt, riskiert sein Leben. Besser, der Flieger nahm Kurs auf das Ziel, wohin die drei hier wollten, und wo man in aller Ruhe verhandeln konnte. Bis dahin wußte man draußen, daß es drei ganz spezielle Passagiere an Bord gab. Wahrscheinlich ging es schon jetzt rund. Die Gangster hatten sich gewiß über Funk bei der Fluggesellschaft gemeldet und für die schlechte Nachricht des Tages gesorgt, und der Sicherheitschef von United – Clark kannte ihn, Peter Fleming, Ex-Assistent des Vizepräsidenten im FBI – würde seinen ehemaligen Arbeitgeber verständigen. Und wenn dieser Stein erst ins Rollen kam, waren CIA und Staatssicherheit, das FBI-Geiselrettungsteam in Quantico und Delta Force, Little Willie Byrons Eingreiftruppe in Fort Bragg, auch nicht weit. Pete würde ihnen die Passagierliste geben, drei Namen rot einkreisen. Das würde Willie ein bißchen nervös machen. Ob man in Langley und Foggy Bottom schon nach der undichten Stelle suchte? John verwarf den Gedanken. Sie waren ganz zufällig hier hereingeraten, vermutlich, auch wenn es die Leute in der Kommandozentrale von Langleys altem Hauptquartier ins Schwitzen brachte.

Allmählich wurde es Zeit, sich zu rühren. Clark drehte sich ganz langsam um zu Domingo »Ding« Chavez, der nur wenige Meter weiter saß. Als sie Blickkontakt aufnahmen, faßte er sich an die Nase, als ob es ihn juckte. Chavez tat es ihm gleich – und Ding hatte noch immer das Jackett an. Er war ans heiße Klima gewöhnt, dachte John, ihm war sogar in der Flugzeugkabine kalt. Gut so. Dann hatte er noch immer seine .45er-Beretta – hoffentlich. Allerdings trug er sie an der Seite, was im Sitzen und angeschnallt recht unbequem sein dürfte. Wenigstens wußte Chavez, was los war, und tat gut daran, sich nicht von der Stelle zu rühren. Wie mochte sich Ding fühlen mit seiner schwangeren Ehefrau auf dem Nebensitz? Clark schätzte Domingo, der auch unter Streß umsichtig und gelassen blieb, aber er war Südamerikaner und voller Temperament  – selbst John Clark erkannte, bei aller Erfahrung, Schwächen bei anderen nur, wenn sie ihm selbst nicht fremd waren. Seine Frau saß ebenfalls neben ihm, und Sandy hatte Angst, und Sandy sollte nicht um ihre Sicherheit bangen … Das war es schließlich, wofür er sich als Ehemann verantwortlich fühlte …

Einer der Halunken studierte die Passagierliste. Jetzt würde sich zeigen, ob es ein Sicherheitsleck gab. Doch wenn es sich so verhielt, war nichts zu machen. Noch nicht. Nicht, bevor er wußte, was los war. Manchmal mußte man einfach stumm dasitzen und abwarten, um …

Der Kerl am Ende des linken Flügels setzte sich in Bewegung. Wenige Schritte nur, und er starrte auf die Frau am Fensterplatz neben Alistair hinunter.

»Wer sind Sie?« erkundigte er sich auf Spanisch.

Die Dame nannte einen Namen, den John nicht mitbekam – ein spanischer Name, doch nicht deutlich genug, um auf die Entfernung verständlich zu sein, vor allem, weil die Antwort sehr höflich ausfiel. Irgendwie kultiviert, dachte er. Diplomatengattin womöglich? Alistair lehnte sich zurück, starrte den Kerl mit der Waffe aus großen blauen Augen an und gab sich fast ein wenig zu viel Mühe, seine Angst zu verbergen.

Ein Schrei erscholl vom Heck des Flugzeugs. »Eine Pistole! Das ist doch eine Pistole!« ließ sich ein Mann vernehmen.

Mist, dachte John. Jetzt wußten alle Bescheid. Der Kerl vom rechten Flügel stieß die Tür zum Cockpit auf, um die Nachricht gleich weiterzugeben.

»Meine Damen und Herren, hier spricht Captain Garnet. Man, äh, hat mich aufgefordert, Ihnen mitzuteilen, daß wir den Kurs ändern müssen … Wir haben einige – hm – Gäste an Bord, die nach Lajes auf den Azoren geflogen werden wollen. Sie möchten keine Gewalt anwenden, sagen sie, aber sie sind bewaffnet, und der Erste Pilot Renford und ich werden allen ihren Anweisungen Folge leisten. Ich möchte Sie bitten, ruhig sitzenzubleiben und die Nerven zu bewahren. Später melde ich mich wieder.« Gut zu wissen. Der hatte garantiert seine Ausbildung beim Militär absolviert; die Stimme blieb kühl wie ein Frosthauch am Gletscher. Ausgezeichnet.

Lajes auf den Azoren, dachte Clark. Einst eine Basis der US-Marine. Noch immer in Betrieb? Wohl nur als Zwischenhalt für Langstreckenflüge – eben mal auftanken und gleich weiterfliegen, wohin auch immer. Wenigstens sprach der Typ vom linken Flügel Spanisch und konnte Spanisch verstehen. Aus dem Nahen Osten kamen sie schon mal nicht. Basken? Mit denen gab’s immer noch Ärger in Spanien. Die Frau, wer mochte sie sein? Clark wandte den Kopf. Alle bewegten sich jetzt, und er fiel nicht weiter auf. Anfang fünfzig, sehr gepflegt. Der Vertreter der spanischen Regierung in Washington war ein Mann. War sie mit ihm verheiratet?

Der Mann ließ argwöhnische Blicke schweifen. »Wie heißen Sie?«

»Alistair Stanley«, lautete die Antwort. Leugnen war natürlich zwecklos. Sie waren ja nicht inkognito unterwegs. Von ihrer Agentur wußte man nichts, sie hatte noch gar nicht angefangen. Clark fluchte innerlich. »Ich bin Engländer«, setzte Alistair kläglich hinzu. »Mein Paß steckt noch in der…« Er langte nach oben, aber der Kerl schlug ihm den Arm weg.

Nicht übel, die Idee, auch wenn’s nicht geklappt hatte. Er hätte die Reisetasche herunternehmen und den Paß vorzeigen können, dann lag ihm die Waffe direkt auf dem Schoß. Schade, daß ihm der Bewaffnete auch so glaubte. Mußte am Akzent liegen. Aber Alistair blieb auf der Hut. Noch wußten die drei Wölfe nicht, daß die gekidnappte Herde drei Schäferhunde barg. Große Schäferhunde.

Willie hing jetzt am Telefon. Bei Delta Force war eine erstklassige Bereitschaft rund um die Uhr verfügbar, die bestimmt schon den Befreiungsschlag durchspielte. Oberst Byron selbst war mit von der Partie. Little Willie war durch und durch Soldat. Er hatte den XO und einen Führungsstab, den er vom Einsatzort aus dirigierte. Die Maschinerie geriet in Bewegung; John und seine Freunde brauchten nur abzuwarten – vorausgesetzt, die Kerle drehten nicht durch.

Von links erklang noch mehr Spanisch. »Wo ist Ihr Mann?« wollte er wissen. Er wirkte wütend. Kein Wunder, dachte John. Botschafter sind ideale Opfer. Ihre Gattinnen erst recht. Sie sah ein paar Klassen besser aus als die Frau eines einfachen Diplomaten, und Washington war ein Vorzugsposten. Wurde meist von Aristokraten bekleidet, in Spanien war das noch üblich. Je höher der Rang des Opfers, desto leichter ließ sich die spanische Regierung erpressen.

Ziel verfehlt, war sein nächster Gedanke. Sie hatten ihn gewollt, nicht sie, und das stimmte sie unzufrieden. Schlecht informiert, Jungs. Clark musterte sie und bemerkte den Ärger. Passiert selbst mir ab und zu. Klar, dachte er, so ungefähr bei jedem zweiten Einsatz, wenn’s gut lief. Die beiden, die er von seinem Platz aus sehen konnte, tuschelten miteinander – leise, aber die Körpersprache verriet alles. Es hatte sie kalt erwischt. Na schön, drei (oder mehr?) bewaffnete, stocksaure Terroristen an Bord eines zweistrahligen Fliegers, nachts über dem Atlantik. Hätte schlimmer kommen können, sagte sich John. Immerhin, sie könnten den Sprengstoff am Leib tragen, mit Strippe zum Selbstauslösen.

Auf Ende Zwanzig schätzte sie Clark. Alt genug, die Methoden zu kennen, aber noch zu grün hinter den Ohren, um ohne Anleitung von Erwachsenen auszukommen. Wenig praktische Erfahrung und noch kein Urteilsvermögen. Denken noch, sie wissen alles besser, halten sich für oberschlau. Dasselbe Problem mit dem Sterben. Guttrainierte Soldaten verstehen mehr davon als Terroristen. Die hier wollten ihren Triumph, was anderes zogen sie gar nicht in Betracht. Einzelgänger vielleicht. Mit dem Ausland legten sich baskische Separatisten normalerweise nicht an, oder? Jedenfalls nicht mit den USA, und dies hier war eine amerikanische Fluggesellschaft, eine rot markierte Grenze war damit überschritten. Einzelkämpfer? Vielleicht. Schlecht für uns.

In solchen Situationen will man wenigstens ansatzweise wissen, woran man ist. Auch beim Terrorismus gibt es Spielregeln, eine regelrechte Liturgie. Man durchläuft gewisse Stadien, bevor es zum Schlimmsten kommt; die Guten kriegen ihre Chance, mit den Halunken zu reden. Ein Unterhändler wird vorgelassen, nimmt erste Kontakte auf, um die Nebensachen zu klären – also schön, laßt Kinder und ihre Mütter raus, okay? Kostet nicht viel, alles andere sähe in der Tagesschau nicht gut aus für euer Grüppchen, oder? Man bringt sie als erstes dazu, ein bißchen nachzugeben. Dann die Alten – ihr wollt doch Opi und Omi nicht über den Haufen schießen, wie? Dann Lebensmittel, mit Valium versetzt vielleicht, währenddessen spickt das Späherteam der Abwehr das Flugzeug mit Wanzen und Miniaturkameras, die ihre Bilder an die Basis funken.

Idioten, dachte Clark. Hier stimmte das Drehbuch nicht. Das hier war fast so schlimm wie Geld durch Kindesraub zu erpressen. Der Teufel sollte Little Willie holen, wenn er nicht längst an der Pope-Luftwaffenbasis den Air-Force-Transporter bestiegen hatte. Wollten sie wirklich nach Lajes, kämen sie desto schneller ins Endspiel, und es stellte sich nur noch die Frage, wie schnell man den Anführer erledigt hatte, bevor die Kerle reagierten. Mit den Jungs und Mädels von Oberst Byron hatte Clark schon gearbeitet. Falls sie ins Flugzeug vordrangen, würden es wenigstens diese drei hier auf keinen Fall lebend verlassen. Wieviele sie von den Passagieren mitnahmen, war allerdings noch offen. Ein Flugzeug stürmen war nicht viel anders als ein Showdown auf dem Pausenhof, bloß enger und übervölkerter.

Sie redeten weiter da hinten, ohne sich viel darum zu scheren, was ringsum im Flugzeug vorging. Das war gewissermaßen logisch. Vorn in der Kanzel spielte die Musik. Trotzdem mußte man den Rest doch im Auge behalten. Man wußte ja nicht, wer an Bord war. Begleiter vom Sicherheitsdienst gab es zwar nicht mehr, aber auch Polizisten gingen mal auf Reisen, und manche waren bewaffnet … Naja, vielleicht nicht im internationalen Flugverkehr, aber in der Terrorismusbranche erreicht man nicht das Pensionsalter, wenn man nicht sehr gewieft ist. Amateure. Einzelkämpfer. Schlecht informiert. Enttäuscht und wütend. Es wurde immer schlimmer. Einer hatte schon die Hand zur Faust geballt und schüttelte sie, dem widrigen Schicksal trotzend, das sie an Bord gebracht hatte.

Ist ja großartig, dachte John erschöpft. Er rutschte im Sitz zurück, warf Ding einen weiteren Blick zu und kippte ganz sachte den Kopf von einer Seite zur anderen. Die Antwort war das Heben einer Braue. Domingo beherrschte, wenn es sein mußte, ein ausgezeichnetes Englisch.

Mit einem Mal schien sich ein Wetterumschwung anzubahnen, aber nicht zum Besseren. Nummer Zwo stürmte wieder ins Cockpit und blieb mehrere Minuten weg. Unterdessen beobachteten John und Alistair den Kerl, der links im Korridor lauerte. Nach zwei Minuten angestrengter Wachsamkeit fuhr er herum wie der Blitz und spähte nach achtern, reckte den Hals, wie um die Entfernung zu verkürzen, während sein Gesichtsausdruck autoritäres Gehabe und Unentschlossenheit widerspiegelte. Ebenso schnell machte er wieder kehrt, wandte sich backbord und streifte die Cockpittür mit wütenden Blicken.

Sie sind nur zu dritt, schloß John in diesem Augenblick, als Nummer Zwei gerade von der Pilotenkanzel zurückkam. Nummer Drei wirkte viel zu nervös. Alle drei vielleicht? fragte er sich. Überleg nochmal! befahl sich Clark. Verhielt es sich so, dann waren sie wirklich Amateure. Dreiecksgeschichten mochten im Kino amüsant sein, aber nicht bei einem Tempo von 500 Knoten, elftausend Meter über dem Atlantik. Wenn sie’s bloß auf die leichte Schulter nahmen, den Piloten die Maschine erst einmal landen ließen, kämen sie vielleicht noch zu Verstand. Aber ganz so cool wirkten sie nicht, oder?

Anstatt seinen Posten im rechten Zwischengang zu beziehen, trat Nummer Zwei auf Nummer Drei zu. Was sie einander in heiserem Ton zuflüsterten, konnte Clark dem Kontext, wenn auch nicht dem Inhalt nach verstehen. Als Nummer Zwei auch noch zum Cockpit deutete, war klar, daß es nicht gut aussah – und keiner weiß, was zu tun ist, erkannte John. Fabelhaft. Mit drei waffenschwingenden Autonomen im Flugzeug. Allmählich durfte man sich Sorgen machen. Nicht, daß es Clark mit der Angst bekam, dafür hatte er schon zu oft in der Klemme gesteckt. Doch in allen anderen Fällen hatte er eine gewisse Kontrolle über das Geschehen, und wenn nicht, so doch über sein eigenes Tun und Lassen, konnte sich notfalls aus dem Staub machen – welch ein Trost das war, merkte er jetzt erst. Er schloß die Augen und holte tief Luft.

Nummer Zwei trottete wieder nach hinten und nahm Alistairs Sitznachbarin in Augenschein. Sekundenlang stand er da und musterte sie, dann glotzte er Alistair an, der seinen Blick pflichtschuldig erwiderte.

»Ja bitte?« erkundigte sich der Engländer schließlich mit höchst kultivierter Aussprache.

»Wer bist du?« wollte Nummer Zwei wissen.

»Das habe ich doch bereits Ihrem Freund gesagt, Mister. Alistair Stanley. Ich habe meinen Paß im Handgepäck, wenn Sie Ihn sehen möchten …« Die Stimme war gerade zittrig genug, um einen Angsthasen zu simulieren, der sich noch zusammenreißt.

»Ja, zeig her!«

»Selbstverständlich, Sir.« Mit elegantem, sachten Schwung glitt der ehemalige SAS-Major aus seinem Sicherheitsgurt, stand auf, öffnete die Gepäckablage über dem Sitz und holte seine schwarze Reisetasche heraus. »Darf ich?« fragte er. Nummer Zwei nickte zur Antwort.

Alistair zog den Reißverschluß am Seitenfach auf und zog den Reisepaß hervor, händigte ihn aus und setzte sich, die Tasche mit zitternden Händen auf dem Schoß haltend.

John sah zu, wie Nummer Zwei den Paß studierte und dem Engländer zurück in den Schoß warf. Auf Spanisch schnauzte er die Dame in Vier-A an. Es hörte sich an wie: »Wo ist Ihr Mann?« Die Frau gab ebenso ruhig und beherrscht Antwort wie ein paar Minuten zuvor, und Nummer Zwei stapfte nach vorn, um sich erneut mit Nummer Drei auszutauschen. Alistair atmete durch und blickte sich im Passagierraum um, als wolle er sich absichern, und John kam in sein Blickfeld. Sie ließen sich nichts anmerken, aber John konnte sich denken, was in ihm vorging. Auch Al war angesichts dieser Situation unbehaglich zumute, und mehr noch, er hatte Nummer Zwei und Drei aus nächster Nähe erlebt, ihnen ins Auge gesehen. Das mußte John in seine Überlegungen einbeziehen. Alistair Stanley machte sich also ebenfalls Sorgen. Der Jüngere faßte sich an den Kopf, als wolle er den Scheitel ordnen, und klopfte mit dem Zeigefinger zweimal unmerklich an die eigene Schläfe. War alles noch schlimmer, als er befürchtet hatte?

Vorsichtig und außer Sichtweite von den beiden Kerlen streckte Clark die Hand aus und spreizte drei Finger. Al nickte einen halben Zentimeter und wandte sich sekundenlang ab, bis beide die Nachricht verarbeitet hatten. Demnach waren sie sich einig, daß es nur drei waren. John nickte ebenfalls ausdruckslos.

Wieviel besser wären sie mit cleveren Terroristen dran! Doch die Profis ließen sich auf derartige Abenteuer nicht mehr ein. Auf Dauer gesehen war das Risiko zu groß, wie die Israelis in Uganda und die Deutschen in Somalia bewiesen hatten. Man konnte sich nur sicher fühlen, solange die Maschine in der Luft war, und ewig konnte man nicht fliegen. Sobald man zur Landung ansetzte, fiel die gesamte Zivilisation über einen her, blitzschnell und mit der Gewalt eines Tornados. Das eigentliche Hindernis war, daß die wenigsten Leute vor ihrem dreißigsten Lebensjahr sterben möchten. Und wen das nicht schreckt, der nimmt eine Bombe mit. Kein Wunder also, daß sich die Cleveren anderswo engagierten. Als Feinde waren sie deshalb nicht harmloser, aber immerhin berechenbar. Sie töteten niemanden, um sich Mut zu machen, und gaben ihre Sache nicht vorzeitig verloren, weil sie bereits die ersten Schritte haarklein durchgeplant hatten.

Diese drei hier waren dümmer, als die Polizei erlaubt. Sie waren schlecht informiert, hatten keine Kundschafter vorgeschickt, die noch einmal alles abgecheckt und festgestellt hätten, daß ihr Opfer gar nicht in der Maschine saß, und jetzt, nach dem Fehlschlag ihrer Mission, standen sie mit leeren Händen da, mußten mit dem Erschossenwerden rechnen oder lebenslänglich Knast – für nichts und wieder nichts! Der einzige Trost – wenn man das so nennen durfte – in ihrer Lage war, daß sie ihre Haftstrafe in Amerika absitzen durften.

Die Aussicht, den Rest des Lebens hinter schwedischen Gardinen zu verbringen, war ebenso wenig reizvoll für sie, wie in ein oder zwei Tagen zu sterben – doch bald würden sie merken, daß es keinen dritten Ausweg gab. Daß ihnen nur noch die Waffen einen letzten Rest Macht sicherten, von dem sie letztlich nach Herzenslust Gebrauch machen konnten …

Und John Clark stand vor der Frage, ob er warten wollte, bis es dazu kam.

Nein. Er konnte nicht einfach dasitzen und abwarten, bis sie die Passagiere nacheinander abknallten.

Na schön. Er ließ noch zwei oder drei Minuten verstreichen, merkte sich, wie sie einander anblickten, während sie die Korridore links und rechts überwachten, und entwarf einen Plan. So simpel wie möglich: Das war, bei den Cleversten ebenso wie bei den Dümmsten, zumeist das Beste.

Es sollte weitere fünf Minuten dauern, bis Nummer Zwei wieder mit Nummer Drei plaudern wollte. Als es soweit war, drehte sich John halb um, blinzelte Chavez zu und strich sich mit einem Finger über die Oberlippe, wie um sich den nichtvorhandenen Schnurrbart zu streichen. Chavez legte den Kopf schräg, als wolle er sagen: Bist du sicher?, aber er hatte begriffen. Er löste den Sicherheitsgurt und faßte links hinter sich ins Jackett, um unter dem ängstlichen Blick seiner jungen Braut die Pistole hervorzuholen. Domingo berührte ihre rechte Hand, um sie zu beruhigen, deckte die Beretta im Schoß mit einer Serviette zu, setzte eine undurchdringliche Miene auf und überließ seinem Vorgesetzten den ersten Schritt.

»Du da!« rief Nummer Zwei von vorn herüber.

»Ja?« Clark blickte beflissen auf.

»Stillsitzen!« Der Mann sprach kein schlechtes Englisch. Jedenfalls hatten die Schulen Europas gute Sprachkurse.

»Äh – ich – hm – hab vorhin etwas getrunken, und müßte wohl mal … Tja, äh … Wie steht’s denn damit? – Por favor«, setzte John gutmütig hinzu.

»Nein, du bleibst auf dem Platz.«

»Na hört mal, ihr wollt doch keinen abknallen, bloß weil er mal pinkeln muß? Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber es ist echt dringend, wissen Sie! Okay? Bitte!«

Nummer Zwei und Nummer Drei tauschten einen Auchdas-noch-Blick, der ihren Amateurstatus endgültig unter Beweis stellte. Die Stewardessen saßen ganz vorn angeschnallt und wirkten völlig verstört, sagten aber nichts. John ließ nicht locker und machte Anstalten, sich zu erheben.

Mit wenigen Schritten eilte Nummer Zwei herbei, mit vorgehaltener Pistole, die er John ganz dicht vor die Brust preßte. Sandys Augen weiteten sich vor Schreck. Nie hatte sie erlebt, daß ihr Ehemann etwas tat, das sie auch nur im Geringsten gefährden konnte, und sie merkte, dies war nicht der, mit dem sie seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet war – und wenn doch, mußte es ein anderer Clark sein, einer, von dem sie zwar wußte, dem sie aber nie begegnet war.

»Paßt auf, ich geh nur mal ganz kurz aufs Klo zum Pinkeln und komme sofort wieder, okay? – Verdammt, wenn ihr zusehen wollt«, fuhr er fort, mit leicht belegter Stimme, als sei er beschwipst von dem halben Glas Wein vorhin, »geht in Ordnung, klar. Aber laßt mich doch nicht in die Hose machen, hm? Bitte!«

Daß sich das Blatt wendete, war Clarks Körpergröße zu verdanken; er war knapp unter einsneunzig, mit kräftigen, unter den aufgerollten Ärmeln sichtbaren Ellbogen. Nummer Zwei war vier Zentimeter kleiner und dreißig Pfund leichter, aber bewaffnet, und kleinwüchsigen Leuten macht es einen Heidenspaß, den Muskelprotz nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Deshalb packte Nummer Zwei Johns linken Arm, stieß ihn herum und drängte ihn mit dem Pistolenlauf zum Waschraum auf der rechten Seite. John duckte sich und stolperte vorwärts, die Hände über dem Kopf.

»Ein Segen. Gracias, amigo, ja?« Clark öffnete die Tür. Dummkopf, der er war, ließ ihn Nummer Zwei auch noch abschließen. John erledigte, was ihm gestattet worden war, wusch sich seelenruhig die Hände und blickte flüchtig in den Spiegel.

Na, Snake, packst du’s noch? fragte er sich für einen atemlosen Moment lang.

Gut, schau’n wir mal.

John schob den Riegel zurück und öffnete die Falttür mit einstudiert dankbarer, schafsdämlicher Miene.

»Öh – ähem, schönen Dank auch, Leute.«

»Hinsetzen und Maul halten.«

»Warten Sie, ich gebe Ihnen einen Kaffee aus, ja? Ich…« John trat einen Schritt backbord, und Nummer Zwei war so töricht, ihm argwöhnisch zu folgen, bevor er Clarks Schulter packte und ihn zum Umdrehen zwang.

»Buenas noches«, murmelte Ding drei Meter weiter leise, hob die Pistole und zielte genau auf Nummer Zwei. Der Terrorist sah den blauen Stahl glänzen, der eine Waffe sein mußte, und ließ sich sekundenlang ablenken. John holte mit der Rechten aus, der Ellbogen knickte ein und traf mit dem Faustknöchel die rechte Schläfe. Der Schlag ließ ihn leblos zusammensacken.

»Wie hast du geladen?«

»Mit Unterdruck«, wisperte Ding zurück. »Wir sind doch in einem Flugzeug, Commander«, erinnerte er seinen Vorgesetzten.

»Bleib weg«, befahl John leise. Der andere nickte.

»Miguel!« rief Nummer Drei laut.

Clark begab sich zur linken Sitzreihe, nahm sich Zeit, um eine Tasse Kaffee am Automaten zu zapfen, einschließlich Untertasse und Löffel. Dann tauchte er wieder im Korridor auf und machte sich auf den Weg.

»Er hat mich gebeten, Ihnen einen mitzubringen. – Danke, daß Sie mir erlaubt haben, aufs Klo zu gehen«, versetzte John mit zittriger, ergebener Stimme. »Ein Kaffee gefällig, Sir?«

»Miguel!« brüllte Nummer Drei unbeirrt.

»Er ist nach hinten gegangen. Hier, ein Kaffee wird Ihnen guttun. Wahrscheinlich soll ich mich dann wieder hinsetzen, okay?« John näherte sich ein paar Schritte und blieb stehen. Hoffentlich reagierte dieser Amateur nach wie vor wie ein solcher.

Tatsächlich! Er kam ihm entgegen. John duckte sich und klirrte mit dem Kaffeegeschirr. Nummer Drei stand gerade vor ihm und hielt rechts nach seinem Spießgesellen Ausschau, als Clark Löffel und Untertasse fallen ließ und sich sofort danach bückte, weniger als einen Schritt hinter Alistairs Sitz. Nummer Drei bückte sich automatisch mit. Es sollte sein letzter Fehler für heute abend sein.

John griff sich die Pistole und drehte ihm gewaltsam den Arm herum, bis die Mündung auf die Brust des Terroristen zeigte. Sie wäre im nächsten Moment losgegangen, hätte Alistair ihm nicht seine Browning über den Nacken gezogen, knapp unter dem Schädelansatz. Nummer Drei glitt zu Boden wie ein nasser Sack.

»Konntest es wohl nicht abwarten, Nervensäge«, keuchte Stanley. »Glückwunsch für die bühnenreife Darbietung!« Dann wandte er sich um, deutete auf die am nächsten sitzende Stewardeß und schnipste mit den Fingern. Sie sprang aus dem Sitz und kam angerannt. »Schnüre, Seil, irgendwas, um sie zu fesseln, rasch!«

John hob die Pistole auf und leerte sofort das Magazin, legte auch den Sicherungshebel um und entfernte die verbleibende Kugel. Zwei Sekunden später hatte er die Knarre auseinandergenommen und die Einzelteile weggeworfen. Alistairs Reisegefährtin sah ihm, noch ganz benommen, aus großen braunen Augen dabei zu.

»Flugpolizei, Ma’am. Bitte Ruhe bewahren!« erklärte Clark.

Sekunden später tauchte Ding auf und schleppte Nummer Zwei mit sich. Die Stewardeß kehrte mit einer Rolle Draht zurück.

»Eingang überwachen, Ding!« befahl John

»Geht klar, Mr. C.« Die Beretta in beiden Händen, rückte Chavez vor und blieb neben der Cockpittür stehen. Am Boden schnürte Clark die beiden zu einem handlichen Bündel. Seine Hände hatten die Seemannsknoten von vor dreißig Jahren noch nicht verlernt. Äußerst merkwürdig, dachte er, als er sie so fest wie möglich zurrte. Mochten ihnen die Handgelenke blau anlaufen – sollte ihm doch egal sein!

»Einer wäre noch übrig«, keuchte Stanley.

»Du leistest unseren beiden Freunden Gesellschaft.«

»Nichts lieber als das. Paß aber auf – ’ne Menge empfindlicher Elektronik hier oben.«

»Wem sagst du das.«

John lief nach vorn, noch immer unbewaffnet. Sein Assistent stand mit hocherhobener Waffe da und ließ die Tür nicht aus den Augen.

»Wie hättest du’s denn gern, Domingo?«

»Tja, mir wär ein Salatteller recht und das Kalbsschnitzel; auch die Weinkarte ist nicht übel. Kein guter Ort für eine Schießerei, John. Laden wir ihn lieber backbord ein.«

Strategisch war es sinnvoller. Nummer Eins würde sehen, was los war, und falls er feuerte, würde die Kugel im Flugzeug keinen Schaden anrichten. Wäre allerdings kein Spaß für die Passagiere in der ersten Reihe. John lief zurück und hob Tasse und Untertasse auf.

»Sie da!« Clark deutete auf die andere Stewardeß. »Melden Sie dem Piloten im Cockpit, er soll dem Kerl sagen, sein Freund Miguel will was von ihm. Dann bleiben Sie hier stehen. Wenn er kommt und wissen will, was los ist, zeigen Sie einfach zu mir herüber. Verstanden?«

Hübsch war sie, um die vierzig, und sie hatte Nerven wie Drahtseile. Sie tat, wie ihr geheißen, hob den Hörer der Gegensprechanlage ab und gab die Botschaft durch.

Sekunden später ging die Tür auf, und Nummer Eins steckte den Kopf herein. Zuerst konnte er nur die Stewardeß sehen. Sie zeigte auf John.

»Kaffee?«

Der Riesenkerl mit der winzigen Tasse in der Hand machte ihn nervös, und er trat einen Schritt näher. Seine Pistole zielte nach unten.

»Hallo«, meldete sich Ding von links und setzte ihm den Lauf an die Schläfe.

Er war noch immer verwirrt. Es traf ihn vollkommen unvorbereitet. Nummer Eins wußte nicht mehr weiter, doch die Hand mit der Waffe blieb reglos.

»Laß das Schießeisen fallen«, befahl Chavez.

»Tun Sie, was mein Freund sagt«, fügte John in perfektem Spanisch hinzu, »sonst knallt er Sie ab.«

Sein Blick wanderte unruhig durch die Reihen, aber seine Helfershelfer waren nirgends zu sehen. Verblüfft runzelte er die Stirn. Mit zwei Schritten war John bei ihm, langte nach der Waffe und entwand sie seinem kraftlosen Griff. Er steckte sie in den Gürtel und warf den Mann zu Boden. Er wurde durchsucht, während ihm Dings Pistole im Nacken saß. Hinten filzte Stanley die beiden anderen.

»Zwei Magazine – sonst nichts.« John winkte nach der ersten Stewardeß, die mit dem Draht kam.

»Idioten«, schimpfte Chavez auf Spanisch. Er blickte seinen Chef an. »Meinst du nicht, das war ein bißchen übereilt, John?«

»Nein.« Er erhob sich und betrat das Cockpit. »Kapitän?«

»Wer zum Teufel sind Sie?« Die Besatzung hatte noch nichts mitbekommen von dem, was sich hinten abspielte.

»Welcher Militärflughafen liegt uns am nächsten?«

»Gander. Eine Basis der Royal Canadian Air Force«, entgegnete der Copilot – hieß er nicht Renford? –, ohne zu zögern.

»Dann gehen wir da runter. Die Maschine steht wieder unter Ihrem Kommando, Käpt’n. Wir haben die drei aus dem Verkehr gezogen.«

»Wer sind Sie?« fragte Will Garnet erneut ziemlich ruppig, und offenbar noch immer unter Druck.

»Einer, der Ihnen aus der Patsche hilft«, gab John ungerührt zurück. Schnell klärte sich alles auf. Garnet war bei der Luftwaffe gewesen. »Kann ich Ihr Funkgerät benutzen, Sir?« Der Kapitän deutete auf den eingeklappten Sitz neben ihm und half ihm mit dem Kopfhörer.

»Hier ist United-Flug Neun-zwo-null«, gab Clark durch. »Mit wem spreche ich – over?«

»Special Agent Carney vom FBI. Wer sind Sie?«

»Rufen Sie den Chef an, Carney, und sagen Sie, Rainbow Six ist am Apparat. Wir haben alles im Griff. Verluste null. Sind jetzt nach Gander unterwegs, er soll uns die Berittenen schicken. Over.«

»Rainbow?«

»Ganz recht, Agent Carney. Ich wiederhole, die Situation ist unter Kontrolle. Wir haben drei Entführer verhaftet. Ich bleibe dran, falls der Chef mich sprechen will.«

»Jawohl, Sir«, tönte es ziemlich überrascht zurück.

Clark schlug die Augen nieder und sah, wie seine Hände ein wenig zitterten – jetzt, wo alles vorbei war. Das war ihm schon ein paarmal passiert. Das Flugzeug machte eine Wendung nach links, während der Pilot über Funk sprach, vielleicht mit dem Kontrollturm.

»Neun-zwo-null, Neun-zwo-null, Agent Carney meldet sich zurück.«

»Hier Rainbow, Carney.« Clark zögerte. »Ist diese Welle abhörsicher, Käpt’n?«

»Alles wird verschlüsselt, ja.«

John verfluchte sich innerlich, weil er die Funkdisziplin verletzt hatte. »Was ist jetzt, Carney?«

»Bleiben Sie dran. Der Chef kommt.« Es knackte einmal, dann rauschte es im Hörer. »John?« meldete sich eine neue Stimme.

»Ja, Dan.«

»Wer war ’s?«

»Drei Kerle. Sprechen spanisch und gingen ziemlich ahnungslos vor. Haben sie unschädlich gemacht.«

»Lebend?«

»Aber sicher«, bestätigte Clark. »Ich lasse die Maschine auf der RCAF-Basis Gander zwischenlanden. Erwarten Sie uns in…«

»Neunzig Minuten«, warf der Copilot dazwischen.

»… in anderthalb Stunden dort«, beendete John den Satz. »Wenn Sie uns bitte die Berittenen schicken wollen, damit sie die Kerle abtransportieren. Und rufen Sie Andrews an. Wir brauchen einen Flieger nach London.«

Mehr brauchte er nicht zu erklären. Als harmlose Dienstreise dreier Beamter mit zwei Ehefrauen hatte es begonnen, und nun war ihre Tarnung aufgeflogen. Besser, sie mischten sich nicht länger unter die Leute, schon damit sich die Gesichter nicht einprägten. Einige würden ihnen wohl einen ausgeben wollen, aber das kam nicht in Frage. Damit wären alle Bemühungen, Operation Rainbow heimlich und rasch durchzuführen, vereitelt gewesen – von drei dämlichen Nachwuchs-Terroristen aus Spanien oder sonstwoher. Wer sie waren, würde die Königlich-kanadische berittene Polizei schon herausfinden, bevor sie dem amerikanischen FBI übergeben wurden.

»Na schön, John, dann woll’n wir mal. Ich rufe René an und gebe ihm Anweisungen. Braucht ihr sonst noch was?«

»Ja, bringt mir ein paar Stündchen Schlaf mit, ja?«

»Wird gemacht, Kumpel«, gab der FBI-Chef zurück und schnalzte mit der Zunge. Dann verstummte das Funkgerät. Clark streifte sich die Kopfhörer ab und hängte sie an den Haken zurück.

»Wer sind Sie denn nun, in drei Teufels Namen?« wollte der Flugkapitän wissen. Die Erklärung von vorhin stellte ihn wohl nicht zufrieden.

»Sir, meine Freunde und ich sind von der Flughafenpolizei und waren zufällig an Bord. Reicht das, Sir?«

»Muß wohl«, gab Garnet zurück. »Bin froh, daß Sie’s geschafft haben. Der Typ hier drin war ein bißchen überkandidelt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Hat uns eine Zeitlang ganz schön Angst eingejagt.«

Clark nickte und lächelte wissend. »Ja, mir auch.«

 

Es ging schon eine ganze Weile so. Die kalkblauen Lastwagen – insgesamt waren es vier – kreisten durch New York City, nahmen Obdachlose mit und brachten sie zu Ausnüchterungskliniken, die von der Firma betrieben wurden. Vor rund einem Jahr war über die diskreten, wohltätigen Helfer im Privatfernsehen berichtet worden. Der Firma brachte das einen Waschkorb voll dankbarer Zuschauerpost ein; dann war sie wieder in den Hintergrund des Interesses getreten. Jetzt ging es auf Mitternacht zu, und bei den einsetzenden Herbstfrösten waren die LKWs wieder unterwegs im Zentrum und in den Außenbezirken Manhattans, um die Obdachlosen einzusammeln. Nicht so, wie es die Polizei früher tat. Niemand wurde zum Einsteigen gezwungen. Die Ehrenamtlichen von der Firma fragten höflich, ob sie eine reinliche Unterkunft für die Nacht wünschten, kostenlos, versteht sich, und ohne die bei der Heilsarmee – mit der sie meist verwechselt wurden – üblichen religiösen Bekehrungsversuche. Wer das Angebot ablehnte, bekam wenigstens eine Schlafdecke: gebrauchte Decken wurden von Firmenangehörigen gespendet, die jetzt ihren Feierabend im Bett oder vor dem Fernseher verbrachten – die Mitwirkung an dieser Hilfsaktion war ebenfalls freiwillig. Aber wasserdicht und warm waren die Decken. Manche der Obdachlosen zogen es vor, draußen zu schlafen, hielten die Straße wohl für den Hort der Freiheit. Die überwiegende Mehrheit dachte anders. Selbst schwere Alkoholiker wollen mal unter die Dusche und in einem Bett schlafen. Im Moment waren zehn im Laderaum, und mehr konnten nicht mitgenommen werden. Man half ihnen hinein, setzte sie auf die Fläche und gurtete sie fest, aus Sicherheitsgründen.

Aber sie ahnten nicht, daß dies der fünfte Laster war, der in Manhattan patrouillierte. Obwohl sich schon bei Beginn der Fahrt herausstellte, daß es hier ein wenig anders zuging. Der Helfer drehte sich im Beifahrersitz um und reichte ein paar Flaschen Gallo nach hinten durch, billigen kalifonischen Rotwein, aber besseren, als sie gewohnt waren, zusätzlich mit Beruhigungsmittelchen angereichert.

Als sie am Ziel waren, schliefen alle fest oder waren wie gelähmt. Die sich noch bewegten, wurden von der Ladefläche gezerrt und in einen anderen Wagen gelegt, auf Feldbetten festgeschnallt, wo sie weiterschlafen durften. Der Rest mußte von jeweils zwei Männern herübergetragen und festgeschnallt werden. Wenn das erledigt war, mußte die Ladefläche gründlich gereinigt werden, mit heißem Dampf, um jeden Geruch und jede Spur im Innern zu tilgen. Der andere Wagen machte sich auf den Weg zum West Side Highway, nahm die Auffahrt zur George-Washington-Brücke und überquerte den Hudson. Von dort ging die Fahrt nach Norden, in die nordöstlichste Ecke von New Jersey, bis man wieder nach New York State gelangte.

 

Glücklicherweise war Oberst William Lytle Byron schon unterwegs in seiner KC-10-Militärmaschine, fast auf demselben Kurs wie die 777er-United, mit nur einer Stunde Rückstand. Auch er nahm nordwärts Kurs auf Gander. Auf der ehemaligen P-3-Basis mußten die Fluglotsen geweckt werden, um die Landung vorzubereiten, aber das war kein Beinbruch.

In der Ersten Klasse des Passagierflugzeugs lagen die Unglücksraben mit verbundenen Augen und angewinkelten Knien gefesselt am Boden, genau vor den Sitzen, die John, Ding und Alistair inzwischen eingenommen hatten. Man servierte Kaffee und hielt die übrigen Passagiere fern von diesem Teil des Fliegers.

»Mir gefällt es besser, wie die Äthiopier in solcher Lage verfahren«, bemerkte Stanley und schlürfte seinen Tee.

»Und was machen die?« fragte Chavez matt.

»Vor ein paar Jahren wurde mal versucht, eine Maschine unter ihrer Nationalflagge zu kidnappen. Zufällig waren ein paar Jungs vom Sicherheitsdienst an Bord, die Erpresser wurden überwältigt. Man setzte sie gefesselt in die Erste Klasse, legte überall Handtücher aus, um die Polster zu schonen, und schnitt ihnen an Ort und Stelle die Kehlen durch. Und rat mal, was …«

»Schon kapiert«, winkte Ding ab. Niemand hatte je wieder gewagt, einen äthiopischen Flieger zu kidnappen. »Einfach, aber wirksam!«

»Genau.« Er setzte die Tasse ab. »Wollen hoffen, daß sowas nicht allzu oft vorkommt.«

Die drei Beamten blickten aus dem Fenster, wo blinkende Lichter die Landebahn andeuteten. Dann setzte das Fahrwerk der 777 auf. Von hinten vernahm man gedämpften Jubel und Applaus. Das Tempo wurde gedrosselt, dann steuerte die Maschine die Kasernengebäude an und blieb stehen. Vorn rechts öffnete sich die Luke, und eine Behelfstreppe rollte langsam heran.

John, Ding und Alistair lösten ihre Sicherheitsgurte und traten an die Tür, ohne die Entführer aus den Augen zu lassen. Der erste, der an Bord kam, war ein Offizier der kanadischen Luftwaffe, mit Pistolengürtel und Seil, sowie drei Zivilisten, bei denen es sich um Kriminalbeamte handeln mußte.

»Sind Sie Mr. Clark?« erkundigte sich der Offizier.

»Ganz recht.« John deutete auf die Gefesselten. »Da sind die drei – Tatverdächtigen, wie man wohl sagen muß.« Er grinste matt. Die Beamten nahmen sich ihrer an.

»Eine zweite Maschine ist unterwegs. Wird aber noch ein Stündchen dauern«, erklärte der kanadische Offizier.

»Danke!« Die drei holten ihre Reisetaschen, zwei von ihnen ihre Ehefrauen ab. Patsy war eingeschlafen und mußte geweckt werden. Sandy las noch immer ihr Buch. Zwei Minuten später spürten sie wieder festen Boden unter den Füßen und stiegen in einen Militärlastwagen. Sie waren kaum fort, als sich das Flugzeug wieder in Bewegung setzte und den nahegelegenen Zivilflughafen ansteuerte, wo sich die Passagiere die Beine vertreten durften, während die 777 aufgetankt und versorgt wurde.

»Wie kommen wir jetzt nach England?« fragte Ding, nachdem er seine Frau auf die Couch eines menschenleeren Warteraums gebettet hatte.

»Eure Luftwaffe schickt eine VC-20«, erklärte der Einsatzleiter. »Vertrauensleute sorgen dafür, daß euer Gepäck von Heathrow weitertransportiert wird. Und ein Oberst Byron wurde abgeordnet, um die Gefangenen in Empfang zu nehmen.«

»Hier sind ihre Schießeisen.« Stanley hatte die Einzelteile der auseinandergenommenen Pistolen in drei Kotztüten gesammelt. »Browning M-1935er. Militärgerät. Keinen Sprengstoff. Das waren blutige Anfänger, vermutlich Basken. Anscheinend waren sie hinter dem spanischen Gesandten in Washington her. Seine Ehefrau hatte den Platz neben mir gebucht. Señora Constanza de Monterosa – die Familie mit den Weingütern. Sie keltern die besten Clarets und Madeiras weit und breit. Wird sich noch herausstellen, ob es Einzeltäter waren, die auf eigene Faust handelten.«

»Und wer genau sind Sie?« wollte der Offizier wissen. Clark mischte sich ein.

»Das dürfen wir nicht beantworten. Werden die Entführer gleich ausgeliefert?«

»Ottawa will es so, wegen des Flugsicherheits-Abkommens. Hören Sie, ich muß der Presse auch was erzählen.«

»Sagen Sie, daß drei amerikanische Sonderermittler zufällig an Bord waren und die Idioten überwältigen konnten«, riet John.

»Tja, das käme der Wahrheit am nächsten«, nickte Chavez grinsend. »Das erste Mal, daß ich jemanden verhafte. Also sowas  – hab ganz vergessen, ihnen ihre Rechte vorzulesen!« fügte er hinzu. Er war erschöpft genug, seinen eigenen Witz wahnsinnig komisch zu finden.

 

Daß sie vor Dreck starrten, war nicht zu übersehen. Für das Empfangskomitee war das nichts Neues. Auch nicht ihr bestialischer Gestank. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Erst mußte das Lumpengesindel vom Wagen in das Anwesen geschafft werden, das mitten im Hügelland von New York State lag, fünfzehn Kilometer westlich von Binghampton. Im Waschraum spritzte man ihnen etwas ins Gesicht, die Sprühflasche erinnerte an Fensterreiniger, einmal für jeden der zehn, danach wurde die Hälfte von ihnen geimpft. Beide Gruppen mußten stählerne Armreifen mit der Numerierung 1 bis 10 anlegen. Die mit geraden Nummern bekamen eine Injektion. Die mit ungeraden Zahlen nicht. Als das vorbei war, brachte man die zehn Obdachlosen in Feldbetten, wo sie ihren Schnaps- und Drogenrausch ausschliefen. Der LKW, der sie hergebracht hatte, war längst über alle Berge, nach Illinois, wo er für andere Aufgaben gebraucht wurde. Der Fahrer ahnte gar nicht, was er tat. Er saß nur am Steuer.

1

HAUSMITTEILUNG

Die VC-20B war nicht ganz so luxuriös – der Imbiß bestand aus Sandwiches und einem billigen Rachenputzer –, doch die Sitze waren bequem genug, so daß sie den Flug verschliefen, bis die Maschine auf der britischen Airforce-Basis Northholt landete, einem Militärflughafen westlich von London. Während die USAF G-IV an die Rampe steuerte, warf John einen Blick auf die altmodischen Ziegelbaracken.

»Spitfire-Basis aus der Schlacht um London«, erläuterte Stanley und lehnte sich im Sitz zurück. »Wir lassen auch private Firmenjets hier landen.«

»Dann werden wir wohl noch öfter hier aus- und einfliegen«, gab Ding zurück, rieb sich die Augen und wünschte sich Kaffee. »Wieviel Uhr ist es?«

»Kurz nach acht, Ortszeit – wie die Eingeborenen hier sie messen, oder?«

»So ungefähr«, brummte Alistair schläfrig.

In diesem Moment begann es zu regnen, als wollte England sie mit landestypischem Wetter begrüßen. Vor ihnen lagen noch hundert Meter Fußweg zum Empfangsgebäude, wo ein britischer Offizier ihre Pässe stempelte und sie offiziell willkommen hieß, bevor er sich wieder seiner Zeitung und dem Frühstück zuwandte.

Draußen warteten drei Wagen, allesamt schwarze Mercedes-Limousinen, die sie aus der Kaserne brachten, dann nach Westen und schließlich südwärts nach Hereford. Ein Beweis mehr, daß er als harmloser Zivilbeamter herkam, dachte Clark, dessen Wagen vorausfuhr. Sonst hätten sie den Hubschrauber genommen. Doch England war nicht ganz fern von jeder Zivilisation. Sie hielten bei einem McDonald’s-Imbiß am Straßenrand, um Egg McMuffins und Kaffee zu bestellen. Sandy runzelte die Stirn angesichts der Cholesterinmenge. Seit Monaten schon lag sie John in den Ohren deswegen. Dann fielen ihr die Ereignisse von gestern nacht ein.

»John?«

»Ja, mein Liebling?«

»Wer waren sie?«

»Die Kerle im Flieger meinst du?« Er blickte auf. »Weiß nicht genau. Baskische Separatisten vielleicht. Anscheinend waren sie hinter dem spanischen Botschafter her, aber sie haben eine Niete gezogen. Er war gar nicht an Bord, nur seine Frau.«

»Wollten sie das Flugzeug entführen?«

»Davon würd ich mal ausgehen, ja.«

»Ist das nicht schrecklich genug?«

John dachte nach und nickte. »Doch, es ist schrecklich. Aber wären sie Profis gewesen, hätte es schlimmer ausgehen können. Waren sie aber nicht.« Er grinste innerlich. Die haben doch echt den falschen Flieger genommen, Mensch! Doch darüber konnte er jetzt nicht lachen, nicht in Gegenwart seiner Frau, während der Wagen auf der falschen Straßenseite fuhr. Es kam ihm irgendwie grundfalsch vor, dieses Vertauschen der Fahrspur bei – na – 130 Stundenkilometer? Verdammt, gab es hier überhaupt ein Tempolimit?

»Und was geschieht jetzt mit ihnen?« bohrte Sandy nach.

»Was das internationale Recht für solche Fälle vorsieht. Die Kanadier schicken sie in die Staaten zurück, wo sie vor den Federal Court gestellt werden. Sie werden angeklagt, verurteilt und wegen Luftpiraterie eingelocht. Man zieht sie für eine geraume Weile aus dem Verkehr.« Und damit hatten sie noch Glück, was Clark nicht laut aussprach. Spanien wäre weit weniger nachsichtig mit ihnen.

»Es ist das erste Mal seit langer Zeit, daß so etwas passiert.«

»Stimmt.« Ihr Mann war der gleichen Meinung. Nur Dummköpfe versuchten noch, Flugzeuge zu entführen. Andererseits waren die Dummen noch keineswegs ausgestorben. Deshalb war er Nummer Six in einer Organisation namens Rainbow.

 

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, mit diesen Worten hatte er seine Hausmitteilung begonnen. Wie üblich war sie nicht in bürokratisches Kauderwelsch gekleidet; diesen Jargon hatte Clark nie recht erlernt, trotz seiner dreißig Dienstjahre bei der CIA.

Seit dem Ende der Sowjetunion und anderer Nationalstaaten, die eine gegen die USA und die westlichen Industrienationen gerichtete Politik verfolgten, ist das Risiko eines großen internationalen Konflikts so gering wie noch nie. Das ist eine Nachricht, wie sie besser nicht sein könnte.

Doch zugleich müssen wir uns der Tatsache stellen, daß sich noch immer zahlreiche kampferfahrene, gut ausgebildete Terrorkommandos weltweit frei bewegen. Einige von ihnen unterhalten nach wie vor Kontakte zu diversen Geheimdiensten. Hinzu kommt, daß manche Staaten, gerade weil sie die direkte Auseinandersetzung mit Amerika oder dem Westen scheuen, zur Erreichung weniger weitgesteckter politischer Ziele jederzeit auf verbliebene »freischaffende Söldner« unter den Terroristen zurückgreifen können.

Mit einiger Sicherheit wird sich dieses Problem noch verschärfen. In jüngster Vergangenheit haben die Großmächte den Terrorismus unter Kontrolle zu halten versucht – durch streng kontrollierten Zugang zu Waffen, Finanzierung, Ausbildung und das Unterhalten von Stützpunkten.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die gegenwärtige Weltlage das »Einvernehmen« der Großmächte ins Gegenteil verkehren. Unterstützung, Waf fenlieferungen, Ausbildung und Stützpunkte werden nicht länger mit der – bislang von den Unterstützernationen geforderten  – ideologischen Gefolgschaft, sondern mit zunehmenden terroristischen Aktivitäten vergolten.

Die naheliegendste Abwehr dieser – vermutlich – immer größeren Bedrohung dürfte in der Bildung einer neuen Antiterrorismus-Einheit liegen. Ich schlage den Codenamen Rainbow vor. Ferner bin ich dafür, daß die Organisation in Großbritannien angesiedelt wird. Argumente, die dafür sprechen:

– die britische Regierung verfügt über und betreibt den Special Air Service, die weltweit beste – das heißt, erfahrenste – Eingreiftruppe;– im internationalen Flugverkehr ist London die Stadt mit der verkehrsgünstigsten Lage; außerdem unterhält der SAS ausgezeichnete Verbindungen zu British Airways;– die gesetzlichen Bestimmungen sind hier besonders günstig; beispielsweise sind Restriktionen für die Medienberichterstattung nach britischem Recht möglich, nach amerikanischem nicht;– die langfristigen »besonderen Beziehungen« zwischen den Regierungen Amerikas und Großbritanniens.

Aus all diesen Gründen wäre die im folgenden skizzierte AntiTerror-Einheit aus Engländern, Amerikanern sowie ausgewählten NATO-Militärs zu bilden, die ihr Hauptquartier, mit weitestgehender Unterstützung der Geheimdienste, in …

 

Und er hatte sie überzeugt, dachte Clark und lächelte flüchtig. Sicher hatte ihm geholfen, daß Ed und Mary Pat Foley im Oval Office hinter ihm standen, neben General Mickey Moore und gewissen anderen Entscheidungsträgern. Der neue Dienst, Rainbow, war nicht nur geheim, sondern praktisch unsichtbar. In Amerika erfolgte die Finanzierung durch Gelder, die erst über das Innenministerium im Capitol, dann durch das Büro für Sonderaufgaben im Pentagon geschleust wurden, ohne daß Geheimdienststellen Wind davon bekamen. Höchstens hundert Leute in Washington wußten, daß Rainbow existierte. Weit weniger wären ihm lieber gewesen, aber er konnte mit dem Ergebnis schon zufrieden sein.

Die Befehlshierarchie war allerdings ganz schön kompliziert. Das war nicht zu vermeiden. Den britischen Einfluß würden sie kaum abschütteln können; England stellte über die Hälfte der Einsatzkräfte, und fast noch einmal so viele waren in der Aufklärung tätig. Immerhin stand Clark an der Spitze. Schon deshalb mußte man dem Gastland einige Konzessionen zubilligen. Alistair Stanley würde geschäftsführender Direktor sein – doch damit war John völlig einverstanden. Er kannte Stanley als beinharten Verhandlungsführer, und mehr noch, als raffinierten Einsatzleiter, der genau wußte, wann man seine Trümpfe zurückhält, aufdeckt oder ausspielt. Der einzige Schönheitsfehler war, daß er, Clark, jetzt als graue Eminenz galt – schlimmer noch, als Frühstücksdirektor. Er würde ein Büro leiten, mit zwei Sekretärinnen, anstatt mit den Hunden auf die Pirsch zu gehen. Zugegeben, früher oder später erwischte es jeden, oder?

Mist. Wenn er schon nicht mehr hinauskam, wollte er wenigstens mit den Jagdhunden spielen. Das mußte er auch. Den Kerls zeigen, daß er den Oberbefehl verdient hatte. Er würde Oberst sein, nicht General, entschied Clark. Er würde so viel wie möglich bei der Truppe sein, beim Exerzieren mittun, bei den Schießübungen, und ihnen die Strategie erklären.

Jetzt bin ich Hauptmann, überlegte Ding, der im Wagen hinten saß und sich an der Landschaft ringsum weidete. Er war immer nur für Zwischenstopps in Heathrow oder Gatwick gewesen und hatte England nie kennengelernt, das ihm grün erschien wie eine irische Ansichtskarte. Er würde eine Eingreiftruppe leiten, die John – Mr. C – direkt unterstellt war, und im Dienstgrad entsprach das wohl einem Hauptmann. Das war die beste Position bei der Armee: hoch genug angesiedelt, daß die Unteroffiziere einen respektierten, aber man galt nicht gleich als Kotzbrocken, nach dessen Pfeife alles tanzen muß. Er warf Patsy einen Blick zu, die neben ihm döste. Die Schwangerschaft machte ihr ganz schön zu schaffen, in unvorhersehbarer Weise. Mal sprudelte sie über vor Aktivität, dann wieder brütete sie dumpf vor sich hin. Immerhin trug sie einen kleinen Chavez im Bauch spazieren, und das machte alles wieder gut – mehr als gut. Ein Wunder. Fast so groß wie das Wunder, daß er jetzt wieder Soldat wurde, wozu man ihn ursprünglich ausgebildet hatte. Besser noch, so etwas wie freier Söldner. Schlecht war nur, daß er mehr als einem Staat diente, unter mehreren Fahnen zugleich. Aber das ging nun mal nicht anders. Er hatte sich freiwillig entschieden, bei Mr. C zu bleiben. Jemand mußte dem Chef zur Seite stehen.

Die Sache im Flugzeug hatte ihn einigermaßen verblüfft. Mr. C hatte das Schießeisen nicht parat – verdammt noch mal, dachte Ding, da hat man eine Sondererlaubnis, im Zivilflieger eine Waffe mitzuführen (so ungefähr das Schwierigste, was man sich wünschen kann), und verstaut sie im Handgepäck, wo man nicht drankommt? Santa Maria! – selbst John Clark war nicht mehr der Jüngste. Mußte der erste taktische Fehler sein, der ihm seit langem unterlaufen war, und dann versuchte er ihn zu bemänteln, indem er den Westernhelden beim Showdown spielt. Naja, das war ihm ja auch geglückt. Cool und gelassen. Aber überstürzt, wie Ding fand, geradezu unbedacht. Er drückte Patsy die Hand. Sie brauchte jetzt viel Schlaf. Der Kleine zehrte an ihren Kräften. Ding beugte sich vor und küßte ihr sacht die Wange, so behutsam, daß sie nicht wach wurde. Im Rückspiegel sah er den Blick des Fahrers und starrte ausdruckslos zurück. War der Typ eigentlich Fahrer oder gehörte er zur Truppe? Na, das würde er schon früh genug herausfinden.

 

Ding hätte nicht gedacht, daß die Sicherheitsvorkehrungen so streng waren. Fürs erste hatte man Rainbow in Hereford untergebracht, dem Hauptquartier des 22. Special-Air-Service-Regiments der britischen Armee. Die Vorkehrungen waren sogar strenger als auf den ersten Blick sichtbar, denn ein Mann mit Gewehr sieht immer aus wie ein Mann mit Gewehr. Von außen war der Unterschied zwischen Wach-und-Schließ-Gesellschaft und trainierter Anti-Terror-Einheit kaum auszumachen. Hier traf das letztere zu, stellte Ding bei näherer Betrachtung fest. Man konnte es an den Augen ablesen. Er nickte dem Mann, der einen Blick durchs Seitenfenster warf, pflichtbewußt zu, und dieser nickte zurück, als er den Wagen durchwinkte. Die Kaserne sah aus wie jede andere; manche Verkehrszeichen waren ungewohnt, auch die Abkürzungen, aber vor den Gebäuden lagen kurzgeschnittene Rasenflächen; alles wirkte gepflegter als im Zivilgelände. Man brachte ihn ins Offiziersviertel zu einem bescheidenen, schmucken Bungalow, mit Parkplatz für einen Wagen, den Ding und Patsy noch gar nicht besaßen. Er sah zu, wie John ein paar Blocks weiter kutschiert wurde, zu einem stattlicheren Anwesen – naja, der Oberst wird besser untergebracht als der Hauptmann, dachte er, und die Miete hätte er sowieso nicht bestreiten können. Ding öffnete die Tür, stieg aus und schlenderte um den Wagen, zum Kofferraum. Dann kam der erste Schreck in der Morgenstunde.

»Major Chavez?« hörte er jemanden fragen.

»Äh – ja?« Ding fuhr herum. Major? wunderte er sich.