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Der Band stellt neue Konzepte vor, wie Organisationen Hierarchien abbauen können. Es ist der dritte Teil einer Serie "Die Alternative zur Menschiene".
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Seitenzahl: 72
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Günther Mohr
Organisationsrevolution
Die Alternative zur Menschine III
© 2021 Günther Mohr
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7469-1309-4
Hardcover:
978-3-7469-1310-0
e-Book:
978-3-7469-1311-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Günther Mohr
Organisationsrevolution
Die Alternative zur Menschine III
Inhalt:
1. Das System verändern – Organisationsrevolution
2. Frédéric Laloux: Reinventing Organizations
Komplexität und Hierarchie
Die Stufen der Entwicklung
Das leidige Geld
Bewertung der neuen Unternehmensorganisation
Hierarchie als kulturelles Skript
Schlussfolgerung: Was ist neu an Laloux?
3. Holacracy, Sociocracy und Dynamic Governance – neue Ansätze in der Organisationstheorie
Rollen
Kreise (Circles)
Meetings
Wie läuft ein Governance Meeting ab?
Tensions
Rolle und Person
4. Auf dem Hintergrund von VUCA
Die Konsequenzen für Unternehmen
Entscheidungen und Macht
Agile Organisation braucht den grundlegenden Paradigmenwechsel
5. Systemdynamiken und organisationale Resilienz
Resilienz in den Systemdynamiken
Systemstruktur – Aufmerksamkeit, Rollen, Beziehungen
• Die Dynamik der Aufmerksamkeit
• Die Dynamik der Rollen
• Die Dynamik der Beziehungen
Systemprozesse – Kommunikation, Problemlösung, Erfolg
• Die Dynamik der Kommunikation
• Die Dynamik der Problemlösung
• Die Dynamik des Erfolges
Systembalancen – Gleichgewicht, Rekursivität
• Die Dynamik des Gleichgewichts
• Die Dynamik der Rekursivität
Systempulsation – Äußere, innere Pulsation
• Die Dynamik der äußeren Pulsation
• Die Dynamik der inneren Pulsation
6. Neuere Formen von Zusammenarbeiten und Zusammenlernen: Working Out Loud
Menschenbild
Persönlichkeit und Unterschiedlichkeit
Beziehung und Kommunikation
Entwicklung und Veränderung
Wirklichkeit und Systembezug
Professionsmethoden
7. Agile Bücher besprochen
8. Resümee „Organisationsrevolution“
Literatur
1. Das System verändern – Organisationsrevolution
In Band I und II der „Alternative zur Menschine“ ging es darum, wie sich der Einzelne für sich und in Beziehung zu Anderen in der Welt des 21. Jahrhunderts orientieren kann. Menschen bilden seit alters her Gemeinschaften, Organisationen, die über den Familienverband hinausgehen. Vermutlich machten die Winterlager, die unsere Vorfahren bildeten und die etwa 100 bis 120 Personen umfassten, gerade den Unterschied zu unserem frühen Menschenkollegen, dem Neandertaler. Nach unserem heutigen Wissen lebte dieser eher in kleinen Einheiten und brachte so die Vorteile der Arbeitsteilung und des Zusammenkommens von mehreren Potenzialen nicht so stark zur Geltung. Möglicherweise hat gerade die körperliche Unterlegenheit gegenüber den Widrigkeiten der Natur den Homo sapiens zu effizienzversprechenden Organisationsformen geführt.
Die Vereinzelung und Individualisierung des Menschen hängt – von der westlichen Welt ausgehend – einerseits sicher mit der kapitalistischen Wirtschaftsform zusammen. Adam Smith, den man als theoretischen Doyen des Kapitalismus bezeichnen kann, hatte das Individuum sehr in den Vordergrund gestellt. Seiner Auffassung nach führe die Verfolgung des Eigeninteresses jedes Einzelnen wirtschaftlich zum Besten für Alle, weil der wirtschaftliche Wettbewerb wie eine unsichtbare Hand eine gute Ordnung schaffe. Dies war auf dem Hintergrund von Adam Smiths Herkunft als Moralphilosoph eine interessante Idee. Heute ist klar, dass die Menschen eher ihre systemische Vernetzung betrachten müssen und gemeinwohlökonomisches Denken benötigen (Felber, 2009; Mohr, 2015, „Systemische Wirtschaftsanalyse“). Hier hat nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft durch die Finanzkrise im Jahr 2008 – die eine wesentliche Ursache in den als neoliberal wieder aufgetünchten Ideen von Smith seit den 1980ern hatte – mittlerweile tatsächlich ein Umdenken stattgefunden. Unternehmensziele beginnen sich mehr in Richtung Resilienz, also zum Erhalt und auskömmlichen Überleben von Systemen, zu verändern (Mohr, 2017, „Resilienzcoaching“). Die Vereinzelungsidee tritt auch aufgrund der teilweisen Eigenbezüglichkeit des Menschen auf. Wegen seiner physischen Körpergrenzen und auch weil er nicht in andere hineinschauen kann, erlebt sich der Mensch psychologisch als ein von anderen getrenntes Wesen. Das kann man aus anderer Perspektive sehr in Frage stellen, denn kaum ein Mensch kann autark leben. Wir kommen in einer Symbiose auf die Welt, sind auf andere angewiesen. Diese Angewiesenheit auf andere bleibt lebenslang bestehen. Alle profitieren von der Zuarbeit anderer. Die Arbeitsteilung ist eine stetiges Zusammenwirken zwischen Menschen.
Hier soll nun der Frage nachgegangen werden: Wie müssen heute wesentliche Gemeinschaften, die wir zum Überleben bilden, die Organisationen und Unternehmen, gestaltet werden, damit sie „menschenartgerecht“ sind, ohne gleichzeitig überkommenen archaischen Mustern aus früheren Zeiten zu entsprechen. Mittlerweile gehen Soziologen wie Andreas Reckwitz (2017) sogar von einer Singularisierung des Menschen aus, was noch weiter geht als Individualisierung, weil es zusätzlich noch das Herausstellen der eigenen Person und ihrer Sichtbarkeit beinhaltet, die heute durch die so genannten sozialen Medien ganz andere Möglichkeiten besitzt. Organisationen sind allerdings gerade das Zusammenwirken von Einzelnen, die eine größere – nicht unbedingt eine höhere – Aufgabe durch Spezialisierung und Arbeitsteilung zu erreichen versuchen. Wie schon der Ökonomieprofessor John Roberts (2003) in seinem Buch „The modern firm“ zeigt, haben Organisationen große Vorteile insbesondere in der Reduzierung von Unsicherheit, so dass über zwei Drittel der Wirtschaftstransaktionen gar nicht über Märkte sondern innerhalb von Organisationen vollzogen werden. Aber wie verändern sich Organisationen heute?
Im Folgenden werden zunächst zwei neuere Konzeptionen für Organisationen vorgestellt, „Reinventing Organizations“ von Frédéric Laloux und „Sociocracy/Holacracy“, beides Ansätze, die Organisationen insbesondere überkommener hierarchischer Strukturen entkleiden wollen. Anschließend folgt für das praktische Vorgehen der Systemdynamikenansatz, den ich im Jahr 2006 entwickelt habe.
Im ersten Band meiner Trilogie „Alternative zur Menschine“ hatte ich die Gedanken des israelischen Historikers Yuval Harari dargestellt (Mohr, 2018a). Harari entwirft das Bild eines technisch und chemisch umgestalteten Menschen, einer „Menschine“. Dem stelle ich in drei Teilen Alternativen gegenüber: zum Individuum, zur Beziehung zwischen Menschen und zu Organisationen. Im zweiten Band der Trilogie ging es um den Beziehungsaspekt (Mohr, 2018b). Im dritten Band geht es nun um den Aspekt der Organisation. Ähnlich dem Beziehungsaspekt spielt auch der Organisationsaspekt von Menschen bei Harari eine geringere Rolle, obwohl er von der Hebrew Universität stammt, die einer der wesentlichen Beziehungstheoretiker, Martin Buber, mitbegründet hat. Der Beziehungsaspekt ist aber meines Erachtens ein für die Entwicklung des Menschen wesentliches, wenn nicht das zentrale Element.
2. Frédéric Laloux: Reinventing Organizations
Frederik Laloux ist einer der Stars der internationalen Managementszene. Der ehemalige McKinsey-Berater hat es mit seiner Art und seinem Ansatz geschafft, zu einer der meist zitierten Personen in der Organisationsentwicklung zu werden. Es stellt sich allerdings die Frage: Handelt es sich bei seinem Ansatz um alten Wein in neuen Schläuchen oder um einen wirklichen Paradigmenwechsel? Im Folgenden zunächst eine Darstellung seiner Argumentation und Vorgehensweise, danach eine kritische Würdigung seiner Anwendbarkeit.
Laloux geht von der Grundthese einer Unzufriedenheit der Menschen mit den bestehenden Organisationsformen aus. Dies belege die Gallup-Studie, die seit Jahren mit großer Konstanz ergebe, dass maximal 17 Prozent der Mitarbeiter in Unternehmen hoch engagiert sind. Und zahlreiche engagierte und vor allem an ganzheitlichem Sich-Einbringen in den Beruf interessierte Leute verlassen die Organisationen. Laloux beklagt dies nicht, sondern sieht darin ein gutes Zeichen, das etwas Neues ankündige. Gesellschaftliche und organisationale Entwicklung zeige sich in Sprüngen.
Komplexität und Hierarchie
Der Hauptpunkt, dass das Alte nicht mehr funktioniere, liege in der Unfähigkeit von Hierarchien, Komplexität zu bewältigen. Alle komplexen Systeme in der Natur würden nicht mit Hierarchie gesteuert, sondern per Selbststeuerung. „Kein komplexes System funktioniert mit Hierarchie“, schreibt er. Als Beispiel wird das menschliche Gehirn angeführt. Im Gehirn mit seinen 85 Milliarden Nervenzellen sage keiner: „Ich bin jetzt mal Geschäftsführer. Wenn Ihr eine Idee habt, schickt sie mal vorbei!“ Das Gehirn steuert sich selbst. Andere Beispiele für komplexe, selbststeuernde Systeme seien Zellen, Pflanzen, Bäume, der ganze Wald. Alle würden sich durch Selbstorganisation steuern. Sein Schluss: Für niedrige Komplexität könnten hierarchische Lösungen funktionieren, aber nicht für hohe Komplexität.
Bei der These, dass Hierarchie nicht in der Lage ist, hohe Komplexität zu bewältigen, fallen einem sofort Beispiele aus der jüngeren Unternehmensgeschichte ein. Etwa VW oder die Deutsche Bank, bei der die obersten Hierarchiestufen entweder ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben oder klare Anweisungen gegeben haben: „Ihr habt gefälligst genau die von uns vorgegebenen Ziele zu erreichen, aber wir wollen nicht wissen wie ihr das tut!“ Zusammen mit lockenden Boni war damit illegalen Praktiken der Weg bereitet. Für die Unternehmen wurde diese Praxis durch Strafen in Milliardenhöhe ein Kampf um die Existenz.
Die Stufen der Entwicklung
Laloux hat zu Organisationen und Unternehmen eine Stufentheorie entwickelt, die an die Theorien von Ken Wilber, Robert Kegan oder Jane Loevinger anknüpfen. Dabei hatte Wilber eine Stufentheorie der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, Kegan und Loevinger psychologische Reifestufen beschrieben. Dieses Prinzip überträgt Laloux auf Organisations- und Unternehmenssysteme und erhält fünf Stufen, die er auch mit Farben kennzeichnet und jeweils einem Beispiel versieht:
• Rot – Wolfsrudel – Mafia, Street Gang, Terror-Organisation
• Bernstein (Amber) – Armee – Katholische Kirche, Militär, Behörden, Öffentliches Schulsystem
• Orange – Maschine – Konzerne, multinationale Unternehmen
• Grün – Family – NGOs, Southwest Airlines, Ben & Jerrys
• Blau-grün (Teal) – Netzwerk – Buurtzorg, Gore, Morning Star
Klar, das Ideal ist die sogenannten Teal-Organisation, die letztlich einem selbstorganisierten Netzwerk ähnelt. Die Kennzeichen sind: Selbstorganisation, Hierarchiefreiheit und evolutionäre Orientierung.