OSTWIND - Lea Schmidbauer - E-Book

OSTWIND E-Book

Lea Schmidbauer

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

2in1 Bundle: Zwei Abenteuer mit Mika und Ostwind in einem Band!

Mika scheint endlich angekommen zu sein: seit einem Jahr wohnt sie nun auf Kaltenbach, kann Ostwind sehen, wann immer sie möchte und auch Milan, der jetzt auf dem Hof arbeitet, ist an ihrer Seite. Außerdem ist Mika eine kleine Berühmtheit. Pferdebesitzer aus ganz Deutschland legen weite Strecken zurück, um das Therapiezentrum Kaltenbach zu besuchen. Alles könnte perfekt sein. Doch dann gibt es ein schreckliches Gewitter ausgerechnet in der Nacht, in der 33 ihr Fohlen zur Welt bringt – und am Morgen danach ist nichts mehr, wie es war...

Der Frühling kommt nach Kaltenbach und Ostwinds Fohlen erobert alle Herzen im Sturm. Mika und Ora sind unzertrennlich. Doch in Maria Kaltenbach, die sich im Therapiebetrieb des Gestüts nicht gebraucht fühlt, erwacht der alte Ehrgeiz. Sie sieht das große Potenzial der jungen Stute und präsentiert sie auf einer Zuchtschau. Dort passiert etwas Schreckliches: Ora verschwindet spurlos! Als die Suche nach ihr im Sand verläuft, ist Mika am Boden zerstört und kurz davor, die Hoffnung aufzugeben. Bis Tausende Kilometer entfernt, in der Wildnis Andalusiens, ein schwarzer Hengst seine Herde verlässt und auf Petros Hacienda auftaucht. Wird Ostwind nach Kaltenbach zurückkehren – und wird es Mika und ihren Freunden gelingen, Ora zu finden?

Preisgünstiger Doppelband, enthält die Bände: »Ostwind – Aufbruch nach Ora« und »Ostwind – Auf der Suche nach Morgen«.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 498

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Ostwind-E-Books erscheinen im Vertrieb der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 86173 München Erstmals als Doppelband März 2021 © und TM 2021 Alias Entertainment GmbH © Ostwind-Filme: SamFilm GmbH Alle Rechte vorbehalten Dieser Doppelband besteht aus: Ostwind – Aufbruch nach Ora Geschrieben von Lea Schmidbauer und Kristina Magdalena Henn Erstmals erschienen 2015 Ostwind – Auf der Suche nach Morgen Geschrieben von Lea Schmidbauer Erstmals erschienen 2016 Lektorat: Heike Hauf Covergestaltung: tatendrang Fotos Cover: Tom Trambow eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-28402-2V001

Aufbruch nach Ora

1. Kapitel

Endlose Weite. Blauer Himmel bis zum Horizont. Warmer Wind bewegte das lange Gras einer dürren Landschaft, in der sonst nur ein paar Silberdisteln und Aloepflanzen überlebt hatten. Am Horizont eine felsige Anhöhe, auf die sie in rasender Geschwindigkeit zujagte. Sie spürte die Sonne auf ihrer Haut und die pure Energie, die sie durchflutete wie Wasser eine Stromschnelle. Sie hob den Kopf und da, im gleißenden Gegenlicht, erkannte sie auf dem Kamm der Anhöhe ein silbergraues Pferd mit schwarzer Mähne. Es stand ganz ruhig da, als würde es auf sie warten. Und sie wollte zu ihm! Schneller, schneller! Ein rufendes Wiehern hallte wie ein Echo durch die Luft. Dann wurde es still. Hinter dem silbergrauen Pferd tauchte ein weiteres Pferd auf und dann noch eines neben ihm. Füchse, Schimmel, Schecken – am Ende stand eine ganze Herde auf der Kuppe des Hügels. Sie hatte den Fuß der Anhöhe fast erreicht, als das silbergraue Pferd sich freudig auf die Hinterbeine stemmte. Das war das Signal. In einer mächtigen Staubwolke galoppierten die Wildpferde den Abhang hinab auf sie zu. Staunend blieb sie stehen, als sich die Herde wie eine Welle um sie herum teilte. Trotz der Pferde, die sie umtanzten, überkam sie plötzlich eine tiefe Ruhe. Die silberne Stute stand jetzt direkt vor ihr. Sie senkte den Kopf und legte ihr weiches Maul mit einem leisen Schnauben …

»… und dann dieses Schnauben! Das macht Madame Butterfly dann immer und ich weiß nicht, was sie mir sagen will!« Eine schrille Stimme holte Mika aus ihrem Tagtraum und beförderte sie unsanft zurück in die Realität. Und in der stand sie mit einer dürren Frau mit Nickelbrille und Besserwisserblick vor einer Box, aus der sie ein großes braunes Pferd mit leeren Augen ansah. Madame Butterfly hatte offenbar genauso wie Mika auf Durchzug geschaltet – nur schon lange vor ihr.

»Vielleicht sollten sie mehr Dinge mit ihr tun, die ihr Spaß machen?«, begann Mika. Die Frau sah sie verständnislos an.

»Aber ich lese ihr täglich aus der Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen vor und räuchere ihren Stall mit ayurvedischem Weihrauch aus«, plapperte sie ungebremst weiter und Mika wusste plötzlich, warum sie sich in einen Tagtraum gerettet hatte.

Seit sie das Therapiezentrum auf Kaltenbach eröffnet hatten, kamen täglich Dutzende von Pferdebesitzern, die ihren Rat suchten. Mikas außergewöhnliche Gabe hatte sich mittlerweile herumgesprochen und das Gestüt ihrer Großmutter, das im letzten Jahr noch kurz vor der Zwangsversteigerung gestanden hatte, war wieder voller Leben und Hoffnung. Nur für Mika galt das nicht. Immer häufiger ertappte sie sich dabei, wie sie sich nach der Zeit zurücksehnte, in der sie noch frei war und machen konnte, was sie wollte. Anstatt neurotischen Pferdebesitzern zuzuhören, hätte sie lieber lange Ausritte durch den Wald gemacht und wäre mit Ostwind auf der Koppel herumgetollt. Denn das, dachte Mika, war ihre eigentliche Bestimmung. Außerdem fehlten ihr einfach die Geduld und die nötige Diplomatie für manche nervigen Kunden. Und das Schlimmste: die Pferde taten ihr leid. Denn in neunzig Prozent der Fälle waren es nicht die »Problempferde«, die das Problem hatten – sondern ihre Besitzer. Aber sie konnte der anstrengenden Plappertante ja schlecht sagen, dass ihr armes Pferd sich einfach nur schrecklich mit ihr langweilte.

»Madame Butterfly ist einfach sterbenslangweilig mit Ihnen«, hörte Mika sich im selben Moment sagen. Oops! Ihre Gedanken rutschten in letzter Zeit immer öfter unkontrolliert auf ihre Zunge.

Immerhin hatte sie damit den Redefluss der Frau gestoppt, die sie nun empört ansah und sich nervös ihre kleine Brille zurechtschob. Doch noch, bevor die Schnappatmung einsetzte, eilte Herr Kaan Mika zu Hilfe.

»Was Mika sagen will ist, dass Sie vielleicht etwas gemeinsam unternehmen sollten. Dass Sie etwas machen, was Ihnen UND Ihrem Pferd Spaß machen könnte«, sagte er mit besonders milder Stimme, um Mikas schroffe Diagnose wieder wettzumachen.

Die Frau runzelte fragend die Stirn. »Sie meinen ein anderes Buch? Oder soll ich ihr lieber eine Oper vorspielen?«

Mika wollte gerade den Mund aufmachen, um der begriffsstutzigen Frau noch ein paar weitere Wahrheiten mitzuteilen, als Herr Kaan sie sanft am Arm fasste.

»Mika braucht eine kurze Pause. Ich bin aber gleich wieder für Sie da«, entschied er bestimmt und führte Mika mit raschen Schritten aus der Boxengasse.

»Ich habe aber das volle Paket bezahlt!«, nölte es hinter ihnen her, als sie um die Ecke bogen. Erst vor der Tür ließ Herr Kaan Mikas Arm los und sah sie ernst an.

»Tut mir leid. Wirklich. Ich wollte mir ja Mühe geben, aber diese Leute sind einfach so …«, sie suchte nach einem passenden Wort, »… schwerhörig!«

»Ich weiß, was du denkst. Und du hast ja auch recht. Aber das ist nun mal ein Teil unserer Arbeit. Du musst Geduld haben mit den Menschen. Dann lernen sie vielleicht auch das Zuhören.«

»Aber das arme Pferd langweilt sich ganz schrecklich, das muss sie doch merken, dass das an ihr liegt und nicht an ihrem Pferd!«, brach es frustriert aus Mika heraus. Trotzig trat sie gegen einen unschuldigen Futtereimer, der im hohen Bogen durch die Stallgasse flog.

»Du musst deine Gefühle in den Griff bekommen«, sagte Herr Kaan und es klang ungewohnt streng. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass er Mikas Ausbrüche vor den Kunden abmildern musste. Mika sah zu Boden und nickte stumm.

»Wir unterhalten uns ein andermal. Jetzt geh erst mal ein bisschen an die frische Luft. Ich kümmere mich um die Dame«, sagte Herr Kaan und fügte mit einem leisen Seufzer hinzu, »vielleicht kann sie dem armen Tier ja wenigstens Bücher von Karl May vorlesen.« Und damit verschwand er wieder im Stall.

Mika atmete tief durch und trat auf den verschneiten Hof hinaus. In der Zwischenzeit war es Winter geworden auf Kaltenbach und der Hof lag unter einer dicken weißen Schneedecke. Sie schloss ihre Daunenjacke bis unter das Kinn und ließ ihren Blick über das ehrwürdige Gestüt wandern, das im Schnee glitzerte wie ein verwunschenes Märchenschloss. Eigentlich war doch alles gut. Kaltenbach hatte keine finanziellen Sorgen mehr und auch Ostwind war glücklicher, seit er mit 34, seiner angebeteten Schimmelstute, gemeinsam auf der Koppel lebte. Mika wusste auch nicht so recht, was mit ihr nicht stimmte. Vielleicht musste sie einfach mal wieder mit jemandem reden.

Schnee rieselte gerade vom Wellblechdach des Unterstands, als Mika Ostwinds Koppel erreichte. Nachdem es im Herbst kühler geworden war, hatte sie zusammen mit Milan, Sam und Herrn Kaan einen offenen Stall für die beiden Pferde gebaut und jetzt im Winter sah die etwas schief zusammengenagelte Konstruktion aus wie eine weihnachtliche Krippe. Nur dass Josef und Maria Ostwind und 34 hießen und zwei Pferde waren. Doch auch sie bekamen Nachwuchs und der mächtige Bauch der Schimmelstute verriet, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Es würde ein Winterfohlen werden, was deutlich mehr Aufwand bedeutete als ein Frühlingsfohlen, das einfach ins Gras fallen konnte. Aber auf Kaltenbach waren alle gut vorbereitet und besonders Milan war Tag und Nacht mit der bevorstehenden Geburt beschäftigt. Mika stand am Gatter und betrachtete die beiden Pferde, die in stiller Eintracht dicht nebeneinander standen. Ostwind schien sie nicht gleich zu bemerken, da seine ganze Aufmerksamkeit der trächtigen Stute galt. Erst als Mika leise durch die Zähne pfiff, hob der schwarze Hengst den Kopf und kam in gemächlichem Schritt auf sie zu. In der kalten Luft stieg sein Atem in kleinen Wolken aus seinen Nüstern, als er seinen Kopf über das Gatter schob. Mika rieb ihm die Stirn.

»Du kannst es kaum erwarten, endlich Vater zu werden, was?«, fragte sie sanft und strich ihm eine schwarze Strähne aus dem Auge. Sein leises Wiehern bedeutete wohl Zustimmung. Mika verkroch sich tiefer in ihre Jacke, doch die Kälte schien eher aus ihrem Inneren zu kommen. »Kennst du das, wenn dir etwas fehlt, aber du nicht genau weißt, was?« Ostwind stand still vor ihr, doch sein Ohr zuckte dabei immer wieder in die Richtung von 34, die im Unterstand geblieben war. Mika seufzte.

»Na ja, egal. Wie wär’s denn mit einem kleinen Ausflug in den Schnee, nur du und ich?«, fragte Mika und spürte, wie es ihr bei dem Gedanken gleich wieder besser ging.

»Mika? Kann ich dich um einen Gefallen bitten«, ertönte in diesem Moment eine Stimme hinter ihr. »Oder wolltest du gerade einen Ausritt machen?« Mika drehte sich um und hinter ihr stand Milan. Seine blauen Augen lugten unter einer blau-rot gestreiften Wollmütze hervor, die er sich gegen die Kälte über seine Locken gezogen hatte.

»Sam wollte noch eine Box vorbereiten, die große mit der Wärmelampe, aber ich glaube, er hat es wieder vergessen und ich wäre viel ruhiger, wenn das schon gemacht wäre.« Mika musste unwillkürlich lächeln. Genau wie Ostwind litt Milan an einem ernsten Fall von Vaterfreude. Tagsüber war er als Pferdehebamme unterwegs und nachts büffelte er für seine Prüfung. Seit er vor einem halben Jahr auf Kaltenbach angefangen hatte, war es mit seinem Vagabundenleben vorbei. Er holte seinen Realschulabschluss nach und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er etwas wie ein Zuhause gefunden. Und eine Freundin. Er sah Mika mit so strahlenden Augen an, dass sie trotz ihrer gedrückten Stimmung nicht anders konnte als zurückzugrinsen.

»Nee, ich wollte nur mal nach den beiden Verliebten schauen.«

»Und wen meinst du damit genau?«, sagte Milan, legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an sich.

Für eine Weile standen sie einfach so da, nah beieinander, und schauten den beiden Pferden zu, die das Gleiche taten.

»Wie steht’s denn an der Namensfront?«, fragte Mika schließlich. »Was Besseres als 35 muss uns diesmal schon einfallen. Fanny hat Pferdinand vorgeschlagen, falls es ein Hengst wird.«

Milan lachte. »Wenn du ein paar Stunden Zeit hast, lese ich dir gerne meine Liste vor. Es gibt da echt viel, woran man denken muss: Der Name muss ja zur Fellfarbe passen, zum Körperbau, zum Temperament, zu den beiden Eltern …« Mika nickte ernst.

»Zur Jahreszeit, zum Wochentag, unbedingt auch zum Sternzeichen …« Milan knuffte sie in die Seite.

»Hey! Ich finde Namen wichtig. Ein Name sagt was darüber aus, wer man ist und woher man kommt. Ostwind zum Beispiel. Wer hat ihn eigentlich so genannt?«

Mika wurde nachdenklich. Das hatte sie sich tatsächlich noch nie gefragt. Er war einfach immer Ostwind gewesen.

»Keine Ahnung«, sagte sie ehrlich. Überrascht sah Milan sie an. »Du weißt nicht, wo er herkommt?«, fragte er staunend.

»Doch. Oma hat ihn von Friedrich Fink gekauft.«

»Nein, ich meine: Wo er herkommt. Wo er geboren wurde?«

Mika zuckte mit den Schultern. »Nein.«

»Na dann, komm mal mit.« Milan kletterte über das Gatter und ging auf die beiden Pferde zu. Mika folgte ihm, unsicher, was er jetzt vorhatte. Milan strich erst 34 liebevoll über den Rücken, dann drückte er sie behutsam zur Seite und trat neben Ostwind. Suchend tastete er über die Flanke des Hengstes bis seine Finger fanden, was sie gesucht hatten. »Hier! Rate mal was das ist?«

Mika beugte sich vor und strich ebenfalls über die Stelle an Ostwinds Fell. Sie kannte jeden Zentimeter ihres Pferdes und wusste sofort, was Milan meinte. Eine kreisförmige Erhebung mit sternförmig gefächerten Ausläufern.

»Das hat er schon immer, ’ne Art Narbe. Er muss da mal an irgendwas hängen geblieben sein oder so.«

Milan sah sie belustigt an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie kann man so viel über Pferde wissen wie du und gleichzeitig so wenig? Das ist ein Brandzeichen. Damit werden die Pferde als Fohlen gekennzeichnet, je nachdem zu welcher Rasse oder welchem Gestüt sie gehören. 34 zum Beispiel …«, er drehte sich zu seiner Stute um und strich über einen länglichen Fellwirbel, der sich etwa an derselben Stelle befand wie Ostwinds seltsame Narbe. »Das ist ein Pfeil mit einem Stern an der Spitze. 34 ist also ein Warmblut aus Österreich. Von einem Gestüt namens Donnersmark.« Mika kniff die Augen zusammen. Beim besten Willen konnte sie da weder einen Pfeil noch einen Stern erkennen.

»Das kannst du alles daraus lesen?«, fragte sie, ehrlich beeindruckt. Milan lachte.

»Nein, aber es gibt Bücher, in denen man die verschiedenen Brandzeichen nachschlagen kann.« Und damit drückte er Mika einen Kuss auf die Wange, ging zum Unterstand und begann Heuballen auf eine Schubkarre zu wuchten. Mikas Finger strichen nachdenklich über die vertrauten Knubbel in Ostwinds dunklem Fell. Es war ein seltsames Gefühl, sich plötzlich eine Frage zu stellen, die so nahelag und auf die sie trotzdem keine Antwort wusste. »Wo kommst du her, hm?«, murmelte sie leise. Und als hätte Ostwind sie verstanden, drehte er sich zu ihr und sah sie fragend an.

Gedankenverloren fegte Mika den Boden der großen Box. Von links nach rechts, von rechts nach links. Und wieder zurück.

»Wenn du so weitermachst, können wir ja nachher hier drinnen essen. Picknick im Stall«, bemerkte Sam, der mit einer Schubkarre voll frischem Stroh vor der Box stand und sie aus seinen warmen braunen Augen belustigt ansah. »Oder was soll das werden?« Erst jetzt sah Mika auf den blitzeblanken Steinboden zu ihren Füßen. Was machte sie hier nochmal?

»Ich … äh … bereite eine Box vor für 34. Milan meint, dass es jetzt jeden Moment soweit ist«, nun fiel es ihr wieder ein.

Sam verdrehte die Augen. »Das hat er vor drei Wochen schon gesagt. Und vor zwei. Und letzte Woche. Und seither jeden Tag. Das arme Pferd kann ja nicht mal Piep machen, ohne dass er sofort Dr. Anders aus dem Bett klingelt«, sagte er, doch es klang nicht spöttisch, sondern wohlwollend. Aus den anfänglichen Rivalen waren nämlich inzwischen gute Freunde geworden. Mika lächelte.

»Stimmt. Ich glaube, 34 fühlt sich ein bisschen zu sehr beobachtet.« Sie lehnte den Besen an die Wand und wurde wieder ernst. »Kommst du mit auf einen Spaziergang? Ich muss mal hier raus.«

Sam zögerte einen Moment. Und nicht nur, weil er Mikas »Spaziergänge« fürchtete, die regelmäßig tief in den Wald führten und mehrere Stunden dauern konnten. Meist so lange, bis sie zugab, sich verirrt zu haben.

»An sich, theoretisch, gerne – ich muss nur noch mit Frau Kaltenbach die Futterbestellung durchgehen. Und wir holen morgen drei neue Pferde, dafür muss ich noch alles klarmachen und mein Großvater wollte …«

Mika nickte resigniert. »Schon gut. Ich wollte eh noch mit Fanny skypen und …« erschrocken biss sie sich auf die Unterlippe. Mist! Zu spät. Denn wie immer wenn in letzter Zeit Fannys Name fiel, zogen dunkle Wolken über Sams sonniges Gesicht.

»Ach ja, wie geht’s ihr denn?«, fragte er betont beiläufig und bevor Mika antworten konnte: »Nein, sag nichts. Ist mir auch völlig egal!« Mika machte den Mund wieder zu – sie wusste, das war gefährliches Gelände. »Aber geht’s ihr gut? Jetzt, wo sie endlich am Ziel ihrer Träume ist? Pa-ris. Pah!«, aus Sams Mund klang der Name von Fannys Lieblingsstadt wie der einer fauligen Tomate. »Hat sie was über mich gesagt?« Er sah Mika mit einer Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung an.

»Ich hab ja noch nicht mit …«, versuchte Mika es vorsichtig, aber Sam kniff schon wieder die Augen zusammen und hob abwehrend die Hand.

»Ist auch egal. Ich will’s nicht wissen. Sag ihr … ach, sag ihr nichts. Also, vielleicht … nein.« Er hob die Schubkarre auf und machte sich daran, die Box einzustreuen.

»Ja gut, also ich geh dann mal …«, versuchte Mika sich aus der Affäre zu ziehen, während sie langsam zurückwich.

»Alles klar! Ist mir auch wirklich egal. Ich bin total drüber weg«, sagte Sam und gabelte dabei das Stroh so schwungvoll aus der Schubkarre, dass es staubte. Mit einem letzten beschwichtigenden Lächeln eilte Mika aus dem Stall, nur weg, bevor es wieder losging. Ein verzweifeltes »Grüß sie von mir!« war das Letzte, das sie hörte, als sie durch den Schnee auf das Gutshaus zustapfte. Mit den Eiszapfen an der Dachrinne und einer dicken Schneehaube auf dem Dach wirkte Kaltenbach wie ein riesiges Lebkuchenhaus.

Mika schob die schwere Holztür auf und sofort umfing sie das warme Gefühl, dass immer in ihr aufstieg, wenn sie das alte Haus betrat. So roch ihr Zuhause: ein bisschen nach Holzfeuer, ein bisschen nach Pferden, ein bisschen nach nassen Klamotten, die über der Heizung zum Trocknen hingen und ein bisschen angebrannt, je nachdem ob Marianne gerade in der Küche war. Für einen Moment stand Mika im Windfang und atmete tief ein. Warum konnte sie dieses Gefühl nicht immer haben? Warum war sie nicht einfach nur glücklich und zufrieden, dass sie endlich hier angekommen war? Sie zog ihre klammen Schuhe aus und tappte zu dem großen Bücherregal in der Eingangshalle, das sie zuvor noch nie eines Blickes gewürdigt hatte. Die staubigen Bücher mit der altdeutschen Schrift auf den Lederrücken versprachen alles andere als unterhaltsame Lektüre. Mika legte den Kopf schief und versuchte die Titel zu entziffern: »Kandaren im Wandel der Zeit« – »Körperbau und Behaarung des Belgischen Kaltbluts« – »Preußische Gestütsgeschichte 1830–1912«. Puh. Mika hörte förmlich die Stimme ihrer Großmutter, die zu jedem dieser Themen problemlos einen zwei- bis dreistündigen Monolog halten konnte. Sie wollte gerade aufgeben, als ihr Blick auf ein dickes aber handliches Buch mit einem fleckigen roten Leineneinband fiel: »Die Kennzeichen der Pferde – Rasse- und Gestütsbrände Europas«. Mika zog das Buch schnell aus dem Regal und verbarg es unter ihrem Pulli. Auf keinen Fall durfte ihre Großmutter sie damit sehen, denn das hätte unweigerlich einen ihrer gefürchteten Vorträge zur Folge.

Just in diesem Moment drang Maria Kaltenbachs klare Stimme an ihr Ohr. Sie stand im Flur und telefonierte. Mika musste unwillkürlich grinsen, denn wie immer schrie ihre Großmutter in den Hörer, als wäre die Person am anderen Ende entweder sehr schwerhörig oder sehr begriffsstutzig oder beides.

»Das freut mich natürlich, aber leider kann ich Ihnen erst im Juni wieder einen Termin anbieten. Nein, leider, da ist wirklich nichts zu machen. Ich nehme Sie gerne auf die Warteliste …«, brüllte Maria gerade und blätterte dabei in einem großen ledergebundenen Terminplaner. Als Mika auf leisen Socken an ihr vorbeihuschte lächelte sie ihr zu, zeigte begeistert auf den vollen Kalender und gab ihr ein Daumen-hoch-Zeichen. Mika lächelte matt zurück. Im Gegensatz zu allen anderen auf Kaltenbach bekam sie beim Anblick des ausgebuchten Kalenders unerklärliche Atemnot. Ihre Kehle schnürte sich zusammen, doch sie kämpfte das unangenehme Gefühl nieder und sprang schnell die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie musste jetzt wirklich mit jemandem reden. mit jemandem, dem sie ehrlich sagen konnte, was sie fühlte und der sie nicht falsch verstehen und für undankbar und verantwortungslos halten würde. Sie holte ihren Laptop von dem Sekretär unterm Fenster, lehnte sich in die dicken Kissen ihres knarzenden Himmelbetts und klickte auf Fannys lachendes Gesicht. Es surrte und ächzte minutenlang, als hätte das Signal Schwierigkeiten, den weiten Weg von Kaltenbach nach Paris zu finden. Als Mika gerade aufgeben wollte, erschien Fannys verwackeltes Gesicht auf dem Bildschirm. Unwillkürlich musste Mika grinsen und merkte einmal mehr, wie sehr sie ihre Freundin vermisste.

»Bonschur, altes Maison!«, sagte sie und winkte in die Kamera.

»Seit wann kannst du Französisch?«, grinste Fanny zurück. »Na, wie läuft’s? Immer noch der Popstar unter den Pferdeflüsterern?«

Mikas Miene verdüsterte sich und Fanny, die wusste, wie ungern Mika diese Bezeichnung hörte, setzte schnell nach. »Hey, du weißt, was ich meine.«

»Schon gut. Aber wenn du wüsstest, wie die Leute mich manchmal anschauen. Als hätte ich so was wie ein drittes Auge auf der Stirn.«

Fanny nickte todernst. »Dabei ist das nur deine schlimme Akne – aber das ist zum Glück ganz normal in unserem Alter.« Mika legte den Kopf schief. Sie mochte Fannys Humor, aber manchmal war der auch etwas anstrengend – vor allem, wenn Mika etwas auf dem Herzen hatte.

»Sam lässt dich übrigens grüßen«, sagte sie deshalb schnell und tatsächlich wurde Fannys Gesicht ein bisschen ernster.

»Echt? Meinst du, er ist darüber hinweg?«, fragte Fanny hoffnungsvoll.

»So gut wie. Na ja, fast.« Mika zögerte. »Okay, nein. Überhaupt nicht«, gab sie schließlich seufzend zu. Denn egal was Sam sagte, es war ziemlich klar, dass er Fanny noch nicht verziehen hatte. Wie konnte sie einfach einen Schüleraustausch machen – ein ganzes Jahr lang und dann noch 712 Kilometer von ihm entfernt!? Sam verlor sein Herz nicht so schnell, aber mit Mikas Freundin Fanny war ihm das im letzten Sommer passiert. Sie war zwar alles, was er nicht war, aber genau das mochte er an ihr. Und auch Fanny mochte den Stallburschen mit den treuen Augen, aber sie mochte eben auch noch viele andere Dinge: Reisen, Paris, Kultur, Essen! Seit Jahren war ihr klar, dass sie ein Austauschjahr in Paris machen würde, und daran konnte auch Sam nichts ändern.

»Na dann. Grüß ihn auch von mir«, kam es vorsichtig aus Paris zurück. Mika nickte vage, beschloss aber insgeheim, kein Wort zu Sam zu sagen. Unter einer Stunde voll von Sams abwechselnden Beteuerungen von Gleichgültigkeit, Vorwürfen und Liebeskummer würde sie dann nämlich nicht davonkommen. Mika seufzte. Und gegenüber auf dem Bildschirm seufzte Fanny im selben Moment ebenfalls. Die Freundinnen mussten lachen.

»Du zuerst«, sagte Fanny schließlich.

»Ach, ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass niemand mir zuhört«, begann Mika. »Alle sind so beschäftigt mit dem Hof und –« Sie hielt inne, denn aus den Lautsprechern ihres Laptops kamen plötzlich seltsame Geräusche. Es klang als würde Fanny … knurren?

»Weg! Hau ab! Gehst-du-weg!« Mika stutzte und sah jetzt, wie Fanny auf dem krisseligen Videobild nach etwas trat.

»Alles okay bei dir?«

»Nein!«, kam es keuchend zurück. »Meine Gastschwester hier hat diesen schrecklichen kleinen Hund, eine fiese, kleine Ratte … AUA! Gehst du weg von dem Kabel! AUS!«

Und das war das Letzte, was Mika von ihrer Freundin hörte. Dann wurde das Bild schwarz. Sie starrte noch einige Sekunden verwirrt auf den dunklen Bildschirm, bis ihr klar wurde, dass ihr Gespräch zu Ende war. Wenige Augenblicke später piepte auch schon ihr Handy mit einer SMS von Fanny. »Töle hat sich in Kabel verbissen und im Gegensatz zum Kabel leider überlebt. Sorry. Melde mich bald. Umarmung, Fanny.«

Seufzend klappte Mika ihren Laptop zu, sah aus dem Fenster, vor dem dicke Flocken vom grauen Himmel fielen und fühlte sich mit einem Mal sehr einsam. Heute war einfach nicht ihr Tag.

2. Kapitel

Im Salon des Gutshauses prasselte unterdessen ein gemütliches Kaminfeuer. Maria Kaltenbach, Sam, Herr Kaan und Milan saßen schon um den festlich gedeckten Tisch und waren in ein angeregtes Gespräch über solargespeiste Elektrozäune vertieft, als Mika den Raum betrat. Überrascht hielt sie im Türrahmen inne, als sie sah, dass Marianne das gute Silber und die Kristallgläser gedeckt hatte. Sogar Milan hatte den Versuch unternommen, seine unzähmbaren Locken zu einer ordentlichen Frisur zu bewegen. Tinka und Dr. Anders waren da und der Tierarzt hatte sogar einen Schlips umgebunden. Hatte jemand Geburtstag? Alarmiert sah sie an sich herab und bemerkte im selben Moment den missbilligenden Blick ihrer Großmutter auf ihre gestreifte Schlafanzughose, die sie in dicke rote Wollsocken gestopft hatte.

»Mika, schön dass du es einrichten konntest, so vornehm gekleidet zum Essen zu erscheinen«, sagte Maria trocken, als Mika schnell zu ihrem Platz schlich. Sie sah Sam fragend an, doch der war mit seiner Aufmerksamkeit schon ganz bei seiner Chefin, die jetzt feierlich ihr Glas erhob. »Ich wollte auf diesen besonderen Tag mit euch gemeinsam anstoßen. Nach knapp einem halben Jahrhundert …«, sie machte eine Kunstpause und sah jeden Einzelnen am Tisch der Reihe nach an. Als sie bei Mika angelangte, glänzten die Augen der sonst strengen Großmutter feucht. »… ist das Gestüt Kaltenbach seit heute wieder schuldenfrei und damit im alleinigen Besitz der Familie.«

»Yeah!«, jubelte Sam und gab Milan neben sich high-five.

»Gestüt und Therapiezentrum Kaltenbach«, korrigierte Herr Kaan sie sanft und Maria lächelte ihn warm an.

»Natürlich!« Sie hob ihr Glas und alle anderen taten es ihr nach. Doch gerade als sie es an die Lippen setzen wollten, fuhr Maria fort. »Und ich wollte mich für eure hervorragende Arbeit und euren nimmermüden Einsatz bedanken. Wir sind ausgebucht bis zum Sommer – und das habe ich euch zu verdanken!« Wieder hoben alle ihre Gläser an die Lippen, doch es ging noch weiter: »Mein ganz besonderer Dank gilt allerdings einem Menschen.« Sie wandte sich an Mika, während die anderen immer noch unsicher ihre Gläser hochhielten, die langsam schwer wurden. »Meiner wunderbaren Enkelin, ohne deren außerordentliche Gabe, wir alle nicht hier wären. Danke dir, Mika!« Alle Augen waren nun auf Mika gerichtet, und auch Maria sah sie erwartungsvoll mit erhobenem Glas an. Mika hatte im Gegensatz zu ihrer Großmutter keine Ahnung, was die Etikette in einem solchen Fall vorsah. Wie immer fühlte sie sich eher unwohl, wenn alles so festlich und förmlich wurde. Deshalb stieß sie ihr Glas an Marias.

»Na dann, prost Oma!«, sagte sie einfach und der ganze Tisch brach erlöst in schallendes Gelächter aus.

»Auf Kaltenbach!« – »Auf die Zukunft!« kam es fröhlich von allen Seiten als die Tischgesellschaft sich zuprostete. »Auf unsere Pferdeflüsterin!«

Keiner am Tisch schien zu bemerken, wie still Mika geworden war und schon bald war um sie herum ein eifriges Gespräch über die Planung des nächsten Tages im Gange. Herr Kaan, Sam und Maria hatten einen Termin in der Stadt, um zwei neue Pferde zu begutachten, und Milan hatte morgen seinen ersten Prüfungstag.

»Wir müssen ja nicht allzu früh aufbrechen«, sagte Maria gerade zu ihm. »Halb sechs reicht völlig. Also Frühstück um fünf, ja, Mika?« Mika, die nachdenklich aus dem Fenster gestarrt hatte, sah Maria erschrocken an. »Wer frühstückt zu fünft?«

Herr Kaan schmunzelte. »Wir. Zu viert.« Er legte Maria beschwichtigend eine Hand auf den Arm. »Ich finde, Mika hat sich morgen einen freien Tag verdient. Es ist Samstag, wir haben keine Aufnahme und die Pferde anzuschauen, schaffen wir auch ohne sie. Es sei denn, Milan braucht seelischen Beistand?« Er sah Milan fragend an, der lächelnd den Kopf schüttelte.

»Ich komm schon klar. Und wie ich Mika kenne, ist sie eh nicht scharf drauf, den Tag ausgerechnet in einem Schulgebäude zu verbringen.« Mika sah ihn dankbar an. Ein freier Tag! Sie fühlte förmlich, wie ihr die Vorfreude das Herz öffnete.

»Na gut«, grummelte Maria Kaltenbach. »Wenn du wenigstens ans Telefon gehst und die Elektropost-Anfragen beantwortest. Dazu bin ich heute nicht mehr gekommen. Marianne hat sich böse in den Finger geschnitten und musste verarztet werden.« Marianne, die gerade den Tisch abräumte, sah überrascht auf ihre völlig intakten Finger.

»Natürlich!«, beeilte Mika sich, die nur zu genau wusste, dass ihre Großmutter ihren neuen Computer nicht mit einer zwei Meter langen Mistgabel anfassen würde. Doch die Ausreden, die die alte Dame dafür jeden Tag aufs Neue fand, waren immerhin kreativ.

Als Mika später in ihrem Zimmer im Bett lag, konnte sie kaum noch verstehen, warum sie heute so missmutig gewesen war. Der Wetterbericht auf dem Display ihres Handys zeigte für Morgen eine strahlende Sonne. Sie konnte ausschlafen und es warteten auch keine neurotischen Pferdebesitzer, die ihr das Ohr abkauten, warum ihre Pferde nicht zuhörten, während es in Wirklichkeit immer andersherum war. Gerade als sie das Licht ausmachen wollte, fiel ihr Blick auf das rote Buch, das immer noch auf dem Stuhl unter ihren Klamotten lag. Durch das Gespräch mit Fanny hatte sie das Buch völlig vergessen.

Sie stand auf, setzte sich an den Tisch und knipste die Schreibtischlampe an. Sie nahm einen Bleistift und fischte einen alten Briefumschlag aus dem Papierkorb. Auf dem Absender erkannte sie die geschwungene Handschrift ihrer Mutter und musste kurz lächeln. In diesem Punkt war Elisabeth ihrer Mutter Maria ähnlich: Auch sie hatte nur wenig übrig für moderne Kommunikationsformen. Auch wenn der Rest der Welt sich per Facebook und E-Mail austauschte, schrieb sie Mika zuverlässig jede Woche einen richtigen Brief. Auf Papier und mit Füllfederhalter. Nachdenklich sah Mika aus dem Fenster auf den dunklen, schneebedeckten Hof und versuchte, sich Ostwinds Brandzeichen vor ihr inneres Auge zu holen. Aus Ostwinds Narbe wurde plötzlich eine Form. Sorgfältig übertrug sie das Zeichen aus ihrer Erinnerung auf die Rückseite des Umschlags. Ein Kreis, von dem strahlenförmig dünne, geschwungene Linien ausgingen. Und darunter zwei gewellte Linien, die parallel zueinander verliefen. Mika betrachtete stirnrunzelnd die fertige Zeichnung. War das … eine Sonne? Mit Wellen darunter? Mika zog das Buch zu sich heran, schlug es auf und musste erst einmal herzhaft niesen, als ihr der staubige Geruch in die Nase stieg.

Zwei Stunden später war sie auf Seite 296 angekommen. In ihrem Kopf schwirrten so viele Zeichen und Symbole, als hätte sie ein Ägyptologie-Studium im Schnelldurchlauf absolviert. Doch sie hatte nichts gefunden, was der Sonne auf Ostwinds Flanke auch nur ähnelte. Wahrscheinlich war der modrige Wälzer einfach zu alt. Mika gähnte. Sie knipste die Schreibtischlampe aus und wollte das Buch gerade zuklappen, als ihr etwas einfiel. Milan hatte gesagt, dass 34 aus Österreich stammte. Sie hatte die letzten Stunden alle Brandzeichen deutscher Gestüte studiert, aber was, wenn Ostwind gar nicht aus Deutschland kam? Sie knipste die Lampe wieder an und blätterte weiter. Österreich. Schweiz. Italien. Nichts. Spanien. Schon fast im Halbschlaf blätterte Mika eine vergilbte Seite nach der anderen um und hätte es beinahe übersehen. Doch plötzlich war sie mit einem Schlag hellwach. Und spürte, wie ihr eine Gänsehaut über die Arme kroch. Da war es. Am unteren Ende der Seite in einem unscheinbaren grauen Kästchen. Mika beugte sich vor und schob den zerknitterten Briefumschlag mit ihrer Bleistiftzeichnung neben die Abbildung. Das war Ostwinds Brandzeichen. Und es war keine Sonne, wie sie jetzt feststellte, sondern eine Blume. Mika musste mehrmals blinzeln, um ihre müden Augen auf die winzige Bildunterschrift scharfzustellen. »Die Silberdistel von Ora«, las sie leise. »Brandzeichen des gleichnamigen Gestüts. Cádiz, Andalusien.« Mika blätterte um. Außer dem verblichenen Schwarz-Weiß-Foto eines alten herrschaftlichen Hauses war das alles, was an Information zu finden war. Sie lehnte sich zurück. Andalusien. Wie konnte das sein? Gleich in der Früh musste sie ihre Großmutter fragen. Und Herrn Kaan! Mika sah auf die Uhr. Viertel nach vier – es war praktisch schon Morgen. Sie knipste die Schreibtischlampe aus und kroch ins Bett. »Ora. Andalusien«, murmelte sie schlaftrunken, bevor sie zum ersten Mal seit Langem mit einem Lächeln auf dem Gesicht einschlief.

Als Mika am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah sie in die strahlende Sonne. Nach dem wochenlangen frostigen Dauergrau wirkte dieser Anblick aufmunternder als ein dreifacher Espresso! Mika kletterte aus dem Bett und öffnete das Fenster sperrangelweit. Sie spürte die klare, kalte Luft auf ihrer Haut und blinzelte in das helle Licht der Wintersonne, das die Eiskristalle der dicken Schneedecke magisch glitzern ließ. Der Himmel darüber war tiefblau und wolkenlos und Mika wusste genau, wie und mit wem sie ihren freien Tag heute verbringen würde!

Als sie eine halbe Stunde später nach unten kam, musste sie enttäuscht feststellen, dass die anderen schon aufgebrochen waren. Sie hätte Milan für seine Prüfung gerne noch Glück gewünscht und ihre Großmutter zu Ostwinds rätselhaftem Brandzeichen befragt, aber die Küche war leer und auf dem Tisch stand nur ein einsamer Teller. Mika ließ sich auf ihren Platz neben dem großen Kachelofen fallen und sah erst jetzt den Zettel, der auf dem Teller lag. »Wollte dich nicht wecken. Weiß, dass du mir Glück wünschst. Danke! Milan.« Mika grinste. Er kannte sie wirklich schon ziemlich gut. Sie las weiter. »P. S. Bitte bring 34 gleich nach dem Frühstück in die Box. Ich hab das Gefühl, dass es heute passiert. P. P. S. Pass gut auf sie auf. P. P. P. S Danke!« Immer noch grinsend schob Mika den Zettel in die Tasche und griff ein Hörnchen aus dem Brotkorb. Sie biss so herzhaft in hinein, dass die Erdbeerfüllung an allen Seiten herausquoll. Aber das war egal. Sie war ganz allein hier und heute war ihr wundervoller, freier Tag!

Wie ein Schneefloh hüpfte Mika wenig später in ausgelassenem Zickzack den verschneiten Feldweg zu Ostwinds Koppel entlang. Als sie bei der Koppel ankam bot sich ihr dasselbe Bild wie die Tage zuvor: Im Unterstand stand Ostwind schützend neben 34. Er blickte auf, als Mika mit dem Halfter der Stute über das Gatter kletterte, kam ihr aber nicht wie sonst entgegen. Als Mika bei den Pferden ankam, spürte sie die Unruhe, die von 34 ausging. Sie tänzelte neben Ostwind auf und ab, der neben ihr stand wie ein Fels in der Brandung, ihr aber jedes Mal folgte, wenn sie zur Seite trat. Mika strich ihr sanft über den warmen Rücken und den prallen Bauch. »Hey 34! Ich bring dich jetzt hoch, okay?« Mika wollte ihr das Halfter anlegen, doch die Stute wich ihr energisch aus. Auf der anderen Seite schnaubte Ostwind und drückte sich dichter an das weiße Pferd und wieder wich 34 zurück. Es war, als fühlte sie sich gefangen zwischen Mika und Ostwind, während sie einfach ihre Ruhe wollte. Mika trat zurück und beobachtete die beiden Pferde noch eine Weile. Jetzt spürte sie es ganz deutlich: Die Stute wollte allein sein. Und wenn jemand dieses Gefühl verstand, dann Mika.

»So viel Fürsorge, das packt nicht mal ein schwangeres Pferd, was?«, sagte sie leise und die Stute sah sie aus ihren hellen Augen hilfesuchend an. Liebevoll kraulte Mika Ostwinds Ohren, die immer noch wie zwei Antennen auf 34 gerichtet waren. »Vielleicht braucht 34 heute auch mal einen freien Tag?«, schlug sie sanft vor. Ostwind scharrte trotzig mit den Hufen. Auf seine Art verstand er, was Mika meinte – auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren. Mika stellte sich wieder zwischen die Pferde und als 34 kurz darauf in das warme Sonnenlicht hinaustrat, hielt sie Ostwind mit sanftem Druck davon ab, ihr zu folgen. Mit einem erleichterten Schnauben streckte die Stute ihren schlanken Kopf in die Sonne und trabte dann mit erhobenem Schweif durch den pudrigen Tiefschnee ans andere Ende der Koppel. Ostwind wieherte fast empört, aber er blieb stehen. Er schaute zu 34, die jetzt zufrieden unter der alten Eiche stand, einen langen Grashalm aus dem Schnee zog und genüsslich darauf herumkaute. Fragend sah er Mika an. Mika legte den Kopf schief. »Na komm. Wir geben ihr eine Stunde Ruhe. Ich weiß die perfekte Ablenkung für dich … und mich«, sagte sie vergnügt und hängte das Halfter entschieden an einen Haken.

Als Mika kurze Zeit später auf Ostwinds Rücken durch den knirschenden Schnee ritt, hatte sich der Stein, der sich seit einigen Wochen auf ihrem Herzen häuslich eingerichtet hatte, in ein Sandkorn verwandelt. Endlich saß sie auf ihrem Pferd und strich gemeinsam mit ihm durch den verschneiten Wald. Sie spürte den warmen Pferderücken unter sich, spürte ihre Energie, die sich schon nach wenigen Schritten mit Ostwinds synchronisiert hatte. Sie sog die kalte Waldluft ein und genoss jeden Sonnenstrahl, der schräg durch die Bäume fiel und ihre Nase kitzelte. Dieses Gefühl der grenzenlosen Freiheit hatte sie so lange vermisst und es ließ Mika alles vergessen. Auch die Zeit. Waren sie eine halbe Stunde unterwegs – oder waren es schon drei? Wie immer hatte sie nicht auf den Weg geachtet, denn das war Ostwinds Aufgabe, dessen Orientierungssinn besser war als jedes Navigationsgerät. Als sie nach einiger Zeit bemerkte, dass der Hengst unruhig wurde, war das wie immer das Signal, umzukehren. Gerade wollte sie ihm das mit einem leichten Druck ihres Beins mitteilen, als sie durch die Bäume etwas blitzen sah. Ostwind hatte es im selben Moment gesehen und seine Nüstern blähten sich erwartungsvoll.

»Hier sind wir also. Wenn das so ist, dann könnten wir ja noch eine Runde …? Was meinst du?« Ostwinds Antwort kam prompt. Er beschleunigte seinen Schritt, denn da vorn war der Wald zu Ende und nun lag eine weite Ebene vor ihnen. Eine perfekte Galoppstrecke, mindestens fünf Kilometer ununterbrochen nur Wiese, die jetzt unter einer jungfräulichen Schneedecke vor ihnen lag. Ja, sie waren schon lange unterwegs – aber diesem Anblick konnten sie nicht widerstehen. Mika spürte, wie Ostwind sich unter ihr spannte und mit seinem ersten Galoppsprung schoss ihr das Adrenalin ins Blut, und sie vergaß alles um sich herum. Sie flog. Sie bemerkte nicht, wie dunkle Wolken sich vor die Sonne türmten. Spürte nicht den Wind, der um einiges heftiger wurde und hörte nicht das unheilvolle Grollen eines nahen Donners. Aber beide sahen den Blitz. In einer fließenden Bewegung grub Ostwind seine Hinterbeine in den Schnee und drehte sich um. Zusammen blickten sie zurück über die weite Ebene und jetzt sah Mika den schwarzen Himmel. Mit einem Mal war es fast so dunkel um sie, als wäre es Abend, dabei konnte es kaum später sein als Mittag. Mika überkam ein ungutes Gefühl. Sie waren fast zwei Stunden von Kaltenbach entfernt und so einen Himmel hatte sie noch nie gesehen. Plötzlich kam ein eisiger Wind auf. Er riss an ihren Haaren und fuhr in Ostwinds Mähne. Der nächste Donner war ihr Startsignal. Ostwind stieg auf die Hinterbeine und galoppierte dann wie vom Teufel gejagt zurück über die leere schneebedeckte Weite. Mikas klamme Finger krallten sich in seine vertraute Mähne, doch diesmal hatte der wilde Ritt nichts Rauschhaftes. Mika spürte Ostwinds Angst. Oder war das ihre eigene?

Endlich erreichten sie den schützenden Wald – doch der Sturm war schon da. Ein ohrenbetäubendes Krachen zerriss die Luft und gleichzeitig zuckte ein Blitz über den düsteren Himmel. Hart prasselte der Regen auf sie nieder und durchnässte sie in Sekundenschnelle bis auf die Knochen. Mit all seiner Kraft stemmte sich Ostwind in den Gegenwind, doch in dem unwegsamen Gelände kamen sie nur quälend langsam voran. Mika duckte sich tief über seinen Hals, als er immer wieder schwankenden Bäumen auswich. Ihre Beine klammerten sich erschrocken an Ostwinds nassen Brustkorb und sie schrie laut auf, als eine dürre Birke durchs Unterholz krachte und knapp hinter ihnen aufschlug. Wie ein tollwütiges Ungeheuer tobte der Sturm durch den Wald und brach den Bäumen das Genick.

Es war fast ein Wunder als Mika und Ostwind völlig erschöpft und durchnässt Stunden später die Koppel erreichten. Die Wut des Gewitters hatte nun etwas nachgelassen und es war weiter Richtung Norden gezogen. Kraftlos ließ Mika sich von Ostwinds Rücken gleiten. Sie hob den Kopf um zu sehen, ob der Sturm den Unterstand der Pferde zugesetzt hatte und war erleichtert als sie sah, dass die stabile Holzkonstruktion unversehrt geblieben war.

»Na, hoffentlich ist 34 nicht allzu nass geworden«, sagte sie und stützte sich müde an Ostwinds Seite. Zu ihrer Überraschung war der Hengst noch immer voller Anspannung. Sie fühlte wie sein Herz hart gegen seine Rippen schlug. Und plötzlich überfiel auch sie ein schreckliches Gefühl der Vorahnung. Mika riss den Kopf herum.

»34?«, schrie sie über die Koppel, doch die Stute antwortete nicht wie sonst mit ihrem hellen, ein bisschen heiserem Wiehern. Es blieb absolut still. Erst jetzt registrierte sie den Jeep, der quer über dem Feldweg stand und sah sich verwirrt um.

»Was …?«, begann sie, doch im selben Augenblick stieß Ostwind neben ihr ein herzzerreißendes Wiehern aus und sie fuhr herum. Und sah 34. Sie lag leblos im Schnee, begraben unter einer Hälfte der alten Eiche, die der Blitz sauber in der Mitte gespalten hatte. Und neben ihr kauerte Milan. Er hatte ihren weißen Kopf auf seinem Schoß. Ein eiserner Ring schloss sich um Mikas Herz. Das konnte nicht wahr sein. Es durfte nicht wahr sein. Mit jedem Schritt, den sie auf Milan und die Stute zuging, hoffte sie, aufzuwachen aus diesem Albtraum.

»34?«, stammelte Mika als sie neben Milan auf die Knie fiel, dessen Gesicht fast weißer war als der Schnee. Er streichelte den reglosen Kopf der Stute. Mika sah die Tränen, die ihm über das Gesicht liefen und wusste in dem Moment: Das hier war kein Traum. Sie würde nicht aufwachen. Es war zu spät. 34 war tot.

Mika rang nach Luft. Sie sah zu Ostwind, der jetzt wie ein Wahnsinniger über die Koppel buckelte. Sie wollte etwas tun, aber sie wusste nicht was. Sie wollte etwas zu Milan sagen, doch sie wusste nicht was. Reglos saß sie neben ihm und seinem toten Pferd im Schnee. Alles was sie fühlte war ein dumpfer, lähmender Schmerz, der sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete.

Wie durch Watte drang von irgendwoher eine Stimme an ihr Ohr.

»Ich brauche eine Decke! Schnell, Mika, deine Jacke. MIKA!«

Es dauerte einen Moment bis sie begriff, woher die Stimme kam. Von Herrn Kaan, der neben dem Stamm der geborstenen Eiche am Boden kniete. Sein sonst so gleichmütiges Gesicht war rot vor Kälte und Anstrengung. Mika verstand nicht, was er von ihr wollte. Schließlich sprang der alte Mann auf, ging zu Mika und zog ihr mit ruhigen Griffen ihre dicke Daunenjacke aus. Mika ließ es willenlos geschehen. Sie sah ihm nach, als er mit drei schnellen Schritten zurück am Fuß der Eiche war und ihre Jacke sorgfältig über etwas ausbreitete. Einem dunklen Bündel, das da in einer geschützten Kuhle aus großen Wurzeln lag. Mika richtete sich auf und sah jetzt, wie sich ihre Jacke über dem Bündel schnell hob und senkte. Es war kein Bündel. Es war ein Fohlen. Und es atmete.

3. Kapitel

Ein einsamer Donnerschlag bebte in weiter Ferne, längst war das Gewitter weitergezogen. In der winterlichen Dämmerung des Gutshofs kletterte Doktor Anders gerade aus einem Pferdehänger, in dem das Fohlen unter einer goldenen Rettungsdecke zitternd im Stroh lag. Es sah sehr klein aus auf der großen Ladefläche. Sorgenfalten standen auf der Stirn des sonst so fröhlichen Tierarztes, als er behutsam die Tür verriegelte und sich umdrehte, wo ihn fünf Augenpaare hoffnungsvoll ansahen. Im Halbkreis um den Anhänger standen benommen: Maria Kaltenbach, Herr Kaan, Sam, Milan und etwas abseits Mika. Noch konnte keiner so richtig glauben, was für ein entsetzliches Drama sich am Nachmittag ereignet hatte. Besonders Milan saß der Schock sichtbar in den Gliedern. Dr. Anders sah sie ernst an.

»Das Fohlen ist stark unterkühlt und sehr schwach auf den Beinen. Ich denke nicht, dass es die Nacht überleben wird«, sagte er leise. »Ich werde natürlich tun was ich kann, aber es ist besser, ihr macht euch nicht zu viel Hoffnung.« Keiner sagte ein Wort. Herr Anders, das wussten sie alle, war ein optimistischer Mann, der immer alles positiv sah. Wenn er keine Hoffnung hatte, dann gab es wenig. Maria fand als Erste die Worte wieder.

»Danke, Andreas«, sagte sie schwer und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Herr Anders nickte knapp, als wisse er nicht recht wofür, und stieg dann in seinen Wagen. Stumm sahen alle dem Anhänger nach, wie er durch das schummrig beleuchtete Tor holperte und dann in der Dunkelheit verschwand.

»Ich fasse es nicht. Heute Morgen war noch alles … und jetzt?«, stammelte Sam, der die Schreckensnachricht gerade erst erhalten hatte. Und dann stellte er die Frage, die die ganze Zeit wie eine düstere Wolke über ihnen gehangen hatte.

»Wieso war 34 überhaupt noch auf der Koppel?«

Milan, der apathisch auf den Boden gestarrt hatte, hob langsam den Kopf. Seine dunklen Augen funkelten gefährlich: »Frag Mika.« Es klang, als würde er die Worte ausspucken. Dann drehte er sich um und stapfte, ohne Mika eines Blickes zu würdigen, über den Hof davon. Alle Augen richteten sich nun auf Mika, die kreidebleich war und alles um sie herum nur verzögert wahrnahm.

»Was?«, fragte sie schwach, als sie die Blicke der anderen spürte. Doch Sam stellte die Frage nicht noch einmal. Mikas Gesicht war Antwort genug. Sie sah Milan nach, dann rannte sie unvermittelt los und stieß Sam dabei fast um. »Warte!«

Herr Kaan und Frau Kaltenbach sahen den beiden sorgenvoll nach.

»Es tut mir leid«, stieß Mika atemlos hervor, kurz bevor sie Milan auf dem Hof eingeholt hatte. »Ich hätte da sein sollen.« Doch er ging einfach weiter. »Milan! Bitte!« Mikas Stimme zitterte. Sie blieb stehen und biss sich auf die Lippe, um den Schmerz nicht hinauszuschreien. Milan war jetzt stehen geblieben. Er drehte sich nicht um und schien auf etwas zu warten. Eine Erklärung. Aber plötzlich war Mika klar, dass alles was sie sagen konnte, lächerlich klang. Es würde ihn nicht trösten, dass 34 allein sein wollte. Es würde ihn nicht trösten, dass der Wetterbericht nichts von einem Sturm gesagt hatte. Und es würde ihn sicher nicht trösten, dass Mika alles getan hätte, um es ungeschehen zu machen. Und deshalb sagte sie nichts. Stattdessen ging sie auf ihn zu und berührte seine Schulter. Milan zuckte zusammen, als hätte er sich verbrannt. Er drehte sich um und sah sie aus leeren Augen an. Eine ungewohnte Härte lag in seiner Stimme, doch für einen Augenblick war Mika einfach froh, dass er mit ihr redete.

»Ich kann dich gerade nicht mal anschauen. Lass mich einfach in Ruhe«, presste er hervor, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ließ sie stehen. Und Mika wusste, dass sie heute nicht nur 34 verloren hatte.

Als Mika zurück zu den Stallungen kam, war niemand mehr da. Herr Kaan war auf dem Nachhauseweg und die hell erleuchteten Fenster des Gutshauses verrieten, dass Maria versuchte, das Dunkle des Tages mit Festbeleuchtung zu verdrängen. Die vertrauten Geräusche aus dem Stall sagten Mika, dass Sam bereits mit der Abendfütterung begonnen hatte. Die anderen zeigten es zwar nicht so offen wie Milan, doch Mika spürte, dass auch sie sich schwer taten, ihr in die Augen zu schauen. Herr Kaan und ihre Großmutter hatten zwar immer wieder versichert, dass Mika keine Schuld traf und dass solche Unfälle einfach passierten, aber nicht einmal Mika selbst glaubte das. Sie war vielleicht nicht schuld, aber sie war verantwortlich.

Trauer hatte viele Gesichter. Milan war wütend, Frau Kaltenbach ignorierte den Schmerz, Herr Kaan zog sich zum Meditieren zurück und Sam rumorte seit Stunden in der Sattelkammer, wo er schon 23 Sättel und 29 Trensen auf Hochglanz poliert hatte. Und Mika? Wenn es ihr schlecht ging, war ihr erster Instinkt immer gewesen: Flucht. In dieser Nacht war sie einsamer und trauriger als je zuvor in ihrem Leben. Am liebsten wäre sie mit Ostwind ganz weit weggerannt. Sie hatten den Hengst mit Mühe und Not in eine Box gebracht, da er auf der Koppel völlig durchgedreht war und Dr. Anders Angst hatte, dass er sich verletzten würde. Mika hatte ausnahmsweise nicht protestiert. Ihre Meinung interessierte im Moment ohnehin niemanden. Sie hörte sein wütendes Wiehern, noch ehe sie die Stalltür ganz aufgeschoben hatte. Es kam aus der letzten Box im Stall. Derselben Box, in der Mika Ostwind vor über zwei Jahren gefunden – und damit ihre beiden Leben für immer verändert hatte. Wie in dieser Nacht vor zwei Jahren tobte der Hengst in seinem vergitterten Gefängnis. Immer wieder krachten seine Hufe gegen das Holz, wenn er ausschlug, immer wieder drehte er sich schnaubend um die eignen Achse, stieg verzweifelt auf die Hinterbeine. Der Anblick zerriss ihr fast das Herz. Langsam ging Mika auf die Box zu. Und tatsächlich wurde Ostwind ruhiger, als er ihre Anwesenheit spürte.

»Hey, ich bin’s doch nur«, flüsterte sie und hielt ihre Finger durch die Gitterstäbe. Doch anstatt wie immer seine weiche Pferdenase in ihre Hände zu legen, stand er einfach nur da und sah sie aus weit aufgerissenen Augen an. Seine Nüstern bebten. »Es tut mir so leid«, stammelte Mika hilflos. Sie schob den Riegel der Box auf und ging auf ihn zu. Zwar spürte sie seinen Widerstand wie eine unsichtbare Wand, doch sie brauchte jetzt den Trost seines warmen, vertrauten Fells unter ihren Fingern. Langsam streckte sie die Hand nach ihm aus, aber dann geschah etwas, das Mika noch vor sechs Stunden für unmöglich gehalten hatte: Ostwind wandte sich von ihr ab. Er drehte sich weg und sein kräftiges Hinterteil versetzte ihr dabei einen so heftigen Stoß, dass sie unsanft gegen die Wand der Box stolperte.

Als Sam drei Stunden und 61 Sättel später weit nach Mitternacht aus der Sattelkammer kam, erschrak er heftig, als er die Gestalt sah, die zusammengekauert in der Dunkelheit vor der Sicherheitsbox saß. Langsam schlich er näher und erkannte Mika, die vor Ostwinds Box auf dem harten Stallboden lag und unruhig schlief. Sie hatte eine hässliche Schürfwunde auf der Wange und Sam konnte sehen, dass sie geweint hatte. Er spähte durch die Gitterstäbe in die völlig verwüstete Box und sah, dass Ostwind wie früher ganze Arbeit geleistet hatte. Auch er erinnerte sich noch gut an die Zeit, in der dieses sanftmütige Pferd mit den goldenen Augen ihm eine Heidenangst eingejagt hatte. Jetzt war der Hengst zwar immer noch unruhig, aber auch in ihm hatte der Gewittersturm allmählich an Kraft verloren. In diesem Moment seufzte Mika traumtrunken und Sam schlich hastig davon, damit sie nicht aufwachte.

Noch bevor die Sonne aufgegangen war, schlug Mika ihre Augen auf. Sie hatte zwar geschlafen, aber sie spürte jeden Knochen in ihrem Körper. Es war mucksmäuschenstill im Stall und für einen kurzen Moment hoffte sie wieder, dass der gestrige Tag nur einer ihrer lebhaften Träume gewesen war. Doch die brennende Schramme auf ihrer Wange war immer noch da. Sie zog sich an der Gitterbox hoch und sah Ostwind, der von ihr abgewandt mit gesenktem Kopf in der hintersten Ecke stand. Mika rieb sich den Schlaf aus den Augen und öffnete vorsichtig die Box. Sie spürte, dass ihr diesmal keine Gefahr drohte.

»Besser?«, fragte sie sanft, doch Ostwind regte sich nicht. Mika strich mit ihrer Hand leicht über seinen Rücken vor zu seinem Kopf. Der Hengst stand ganz still da. Für einen Moment dachte sie, er würde vielleicht schlafen, doch als sie seine Augen sah, erschrak sie. Seine lebendigen goldbraunen Augen waren matt und leblos geworden und starrten apathisch ins Leere. »Ostwind?« Mika hielt ihm einen kleinen Apfel hin, den sie in ihrer Tasche fand. Doch er reagierte nicht. Behutsam als wäre er ein rohes Ei, legte Mika den Apfel auf einen Holzvorsprung. Sie spürte, wie ihr schon wieder die Tränen kamen.

»Dann vielleicht für später«, sagte sie mit brechender Stimme.

Es war ein wolkenverhangener Morgen. Die Sonne kämpfte sich durch das dicke, eintönige Wintergrau des Himmels. Der Sturm hatte die Schneeschicht, die gestern noch alles glitzernd bedeckte, über Nacht in Matsch verwandelt. Immerhin sah der Hof, über den Mika jetzt ging, nun genauso trüb aus, wie sie sich fühlte. Sie hoffte, dass auch Milan sich über Nacht ein bisschen beruhigt hatte und war auf dem Weg zu ihm, um ihm all das zu sagen, wofür ihr gestern die Worte gefehlt hatten. Sie hatte sich bereits bei ihrer viel beschäftigen Großmutter nach dem Zustand des Fohlens erkundigt, doch noch immer gab es keine Neuigkeiten. Voller Anspannung überquerte sie den Hof und bog um die Ecke zu dem kleinen, aus einfachen roten Backsteinen gemauerten Austragshaus, wo Milan seit dem Sommer ein Zimmer bewohnte und wo sie viele Nachmittage zusammen verbracht hatten. Das schlichte Nebengebäude lag unmittelbar hinter den Stallungen. Es gab dort neben einer kleinen Wohnküche und einem winzigen Duschbad fünf Zimmer: drei davon waren für Gäste, in dem anderen Zimmer wohnte Sam und nun war auch Milan eingezogen. Die beiden Jungs verstanden sich gut als Nachbarn – auch wenn Sam Milan manchmal mit seinem ausgeprägten Ordnungssinn auf die Nerven fiel, weshalb der ihn liebevoll »Mutti« nannte.

Leise öffnete Mika die Tür des Austragshauses, um Sam nicht zu wecken. Unwillkürlich musste sie lächeln als sie sah, dass der enge Flur vor Milans Tür nicht wie sonst immer voller Schuhe, Jacken und Pferdezubehör lag. Offenbar hatte Samuel alias »Mutti« mit seinen dauernden Ermahnungen endlich Erfolg gehabt. Mika holte noch einmal tief Luft, dann klopfte sie dreimal schnell hintereinander leise an Milans Tür. Das war ihr Signal. Sie lauschte, wartete auf Milans vertraute Schritte. Aber es rührte sich nichts. Sie klopfte noch einmal. Diesmal etwas fester. Doch wieder hörte sie kein Geräusch hinter der verschlossenen Tür. Sie drückte die Klinke herunter und schob die Tür langsam auf. »Milan?«, fragte sie leise – und sah im selben Moment, dass sie keine Antwort bekommen würde. Denn Milan war nicht da. Und auch nichts, was ihm gehörte.

Reglos stand Mika inmitten des holzvertäfelten Zimmers, das jetzt so ordentlich aufgeräumt war, als würde es schon auf den nächsten Bewohner warten. Alles war weg: seine Bücher, das kleine Holzpferd, das Herr Kaan ihm geschenkt hatte, und Sams alte Lederjacke, die dieser ihm vor ein paar Monaten offiziell vermacht hatte. Und dann sah Mika den Fichtenzapfen, der einsam auf dem Nachttisch stand. Sie sank auf das Bett und drehte den Zapfen traurig in ihren Händen. Als sie sich im Sommer kennengelernt hatten, hatte Mika dem damals noch wildfremden Jungen den Zapfen an den Kopf geworfen. Milan hatte ihn aufgehoben, weil er ihm, wie er sagte, trotzdem Glück gebracht hatte. Und jetzt hatte er ihn hier gelassen und war ohne ein Wort verschwunden.

Auch auf Herrn Kaans bescheidenem Anwesen hatte der Sturm sein Unwesen getrieben. Gebrochene Äste lagen überall um den schneebedeckten Wohnwagen verstreut und das massive Eisenregal, in dem er seine Schnitzereien aufbewahrte, war umgekippt. Kaan war dennoch froh, dass nicht mehr zu Bruch gegangen war. Er liebte sein Zuhause sehr und der alte Bauwagen hatte schon vielen Stürmen getrotzt. Er räumte gerade die Sturmschäden auf, als er Schritte hörte.

»Mika«, stellte er ruhig fest, ohne sich umzudrehen. Statt einer Antwort seufzte es schwer hinter seinem Rücken. Doch noch bevor Mika etwas sagen konnte, sprach er weiter.

»Du kannst mir mit dem Totholz helfen. Ich werde es trocknen und zum Heizen verwenden.« Er drehte sich um und lud die Äste, die er bereits aufgesammelt hatte, auf ihren Arm. Mika sah ihn verwirrt an. »Stapel es am besten da in der Ecke«, sagte er und deutete auf eine Stelle neben der Holzhütte die sein improvisiertes Badezimmer beherbergte. Kaan wusste, dass eine klare Aufgabe gerade das beste Mittel war, um Mika aus ihrer Ohnmacht herauszuhelfen. Und wie immer hatte er recht. Ohne ein weiteres Wort tat Mika, was ihr Meister ihr aufgetragen hatte und für eine Weile stapelten sie schweigend Seite an Seite das Holz vor dem kleinen Schober. Mika fühlte, wie die Taubheit langsam aus ihrem Kopf wich und etwas anderem Platz machte. Zorn. Ohne dass sie es merkte, ließ sie plötzlich einen Ast auf den anderen krachen. »Mika! Mach langsam!«, ermahnte Herr Kaan sie, doch in Mika brodelte es immer heftiger. Ostwind. Milan. 34. Das Fohlen. Und wie war es überhaupt soweit gekommen? Der Ast, den sie gerade aufgehoben hatte, zerbrach in ihrer Hand.

»Ich wünschte, ich hätte diese Scheißgabe nie entdeckt. Dann wäre das alles nie passiert«, brach es unvermittelt aus ihr heraus. Kaan kniete sich zu ihr in den Schnee, nahm ihr behutsam den Ast aus der Hand und sah sie ruhig an. Was raus musste, musste raus – das war immer schon seine Devise.

»Ich hab mich so gefreut. Endlich hier zu sein. Hier zu bleiben. Mit Ihnen zu arbeiten. Aber ich kann das nicht. Ich wollte gestern einfach weg, nur für ein paar Stunden. Die ganzen Leute vergessen, die mich anschauen, als wäre ich … ein seltsames Tier mit drei Köpfen!« Mikas Stimme versagte für einen Moment. Sie griff in den Schnee und ließ ihn durch ihre geröteten Finger rieseln. »Und jetzt ist 34 tot, ihr Fohlen auch, Milan ist weg und Ostwind ist … es ist alles meine Schuld.« Sie gab einen gequälten Seufzer von sich und vergrub ihre Hände in ihrem Gesicht. Herr Kaan strich ihr sanft über die Haare.

»Mika, es ist nicht deine Schuld. Niemand hat dieses Unwetter vorhergesehen. Selbst die Meteorologen haben sich getäuscht. Die Natur ist gnädig und grausam zugleich. Sie gibt Leben und sie nimmt es. Je früher wir das akzeptieren, umso besser.«

Hilflos sah Mika ihn an. »Aber was sollen wir denn jetzt machen? Was soll aus Ostwind werden? Er kann doch nicht mehr zurück auf seine Koppel! Nicht nach dem, was passiert ist. Er steht jetzt in dieser Box, als wäre er gar nicht da. Seine Augen sind ganz stumpf und … und …«, wieder überkam Mika eine Welle der Verzweiflung. Ihre Lippen bebten und Herr Kaan nickte mitfühlend. Dann packte er sie fest an den Schultern und half ihr aufzustehen. »Na komm. Lass uns einen Tee trinken, bevor du dich erkältest.«

Kurz darauf saß Mika mit einer dampfenden Tasse vor dem kleinen bullernden Holzofen in Herrn Kaans Wohnwagen. Der alte Mann hatte ihr eine Decke um die Schultern gelegt und Mika fühlte sich schon ein kleines bisschen besser. Sie schnäuzte laut in ein Taschentuch und Herr Kaan schmunzelte bei dem undamenhaften Geräusch. »Gut so. Raus damit. Alles raus«, sagte er und war froh über das kleine Lächeln, das nun über Mikas Lippen huschte.

Er saß im Schneidersitz neben ihr auf dem Boden auf einem Fell und schürte mit geübtem Griff den kleinen Ofen ein.

»Weißt du, vor … ach, ewigen Zeiten war ich auch mal an so einem Punkt wie du jetzt. Ich war völlig verzweifelt damals und hatte das Gefühl, einen Riesenfehler gemacht zu haben. Das war, als wäre meine Welt über mir eingestürzt.« Mika sah ihren alten Meister überrascht an. Er redete eigentlich nie über sich und seine Vergangenheit und er kam ihr immer so ausgeglichen und weise vor. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er verzweifelt war oder Fehler machte. Sie wartete einen Moment, ob er weiterreden würde, aber die Erinnerung hatte ihn für einen Moment weit weg geholt.

»Und was haben Sie dann gemacht?«, hakte sie schließlich behutsam nach. Herr Kaan schüttelte den Kopf und schloss dann energisch die Ofentür. »Ich bin weggegangen. Wenn man zu nah an den Dingen ist, sieht man manchmal nicht mehr klar. Du kennst doch das Sprichwort vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sehen kann? Ich hatte mich tief im Wald verirrt und bin dahin gegangen, wo es keine Bäume gab. Das war eine lange und großartige Reise. «

»Und dann?« Mika sah ihn gespannt an und vergaß für einen Moment tatsächlich ihr Unglück.

Doch Herr Kaan lächelte nur leise. »Irgendwann habe ich den Wald vermisst, in dem ich nun mal zu Hause bin.«

Dann stand er auf und auch wenn sie gerne noch mehr gehört hätte, kannte Mika ihn gut genug, um zu wissen, dass die Geschichte damit zu Ende war.

»Willst du noch einen Tee?«, fragte er und Mika streckte ihm dankbar ihre leere Tasse hin.

Als Mika eine Stunde später durch den Schnee nach Kaltenbach zurückstapfte, fühlte sie sich schon viel besser. Und wärmer. Das hatte sicher mit dem Holzofen und den zwei Litern heißen Melissen-Tee zutun, die Herr Kaan in sie hineingefüllt hatte, aber auch die Geschichte, die er ihr erzählt hatte, hatte sie auf seltsame Art getröstet.

Sams Arbeitseifer hatte sich unterdessen kaum gelegt. Das eisige Kopfsteinpflaster glich einer Schlittschuhbahn und es erforderte all seine Konzentration mit der Sackkarre voller Heuballen, das Gleichgewicht auf dem Eis zu halten. Er blickte kurz auf, als er Mika durch das Tor kommen sah und lenkte den widerspenstigen Heuballenturm schwungvoll in die Gegenrichtung. Weg von Mika. Er wusste, dass sie unter dem, was passiert war, wahrscheinlich am meisten litt und er verstand auch, dass sie nichts dafür konnte, dass 34 jetzt tot war. Trotzdem war er wütend. Milan war weg. Und das Fohlen … Es war besser, erst wieder mit Mika zu reden, wenn er nicht mehr so schrecklich sauer auf sie war. Er beschleunigte deshalb, als er ihre Schritte hinter sich hörte. Der Heuturm vor ihm schwankte bedrohlich.

»Sam? Hast du was von dem Fohlen gehört?«

Mika war gerannt, um ihn einzuholen. Sam erhöhte sein Tempo erneut, doch Mika hielt eisern mit ihm Schritt, was ihr keine große Mühe bereitete.

»Dr. Anders hat gesagt er meldet sich, wenn sich was ändert. Hat er aber nicht«, keuchte er knapp, ohne sie dabei anzusehen.

»Aber …«, wollte Mika gerade ansetzen, doch er fiel ihr ins Wort.

»Ich hab’s eilig, ja? Wir reden später.«

»Okay.«