Otto von Bismarck - GEO EPOCHE - E-Book

Otto von Bismarck E-Book

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Kein deutscher Staatsmann der vergangenen zwei Jahrhunderte wurde (und wird) von den Historikern so gegensätzlich beurteilt wie Otto von Bismarck, Preußens Ministerpräsident zwischen 1862 und 1890 und treibende Kraft im deutschen Einigungsprozess. Das Spektrum der Urteile reicht von fast hasserfüllter Verachtung bis zu höchster Wertschätzung. Und tatsächlich war Otto von Bismarck, dieser konservative Gutsherr und Raufbold aus der preußischen Provinz, ein hochkomplexer, von inneren Widersprüchen zerrissener Mann: Ein Zivilist, der versucht hatte, sich vor dem Militärdienst zu drücken, aber als Reichskanzler fast immer Generalsuniform trug. Ein vermeintlich "eiserner" Politiker, der zu kindischen Wutausbrüchen und Heulkrämpfen neigte sowie zu hysterischen Anfällen von Hypochondrie. Ein Erzreaktionär, der 1866 ein für jene Zeit ungemein freiheitliches Wahlrecht entwarf und durchsetzte. Ein Kriegstreiber, der nach militärischen Siegen oft seine Feinde schonte. Doch wie auch immer man nun Bismarck beurteilt - ob als "politisches Genie" (so sein Biograf Steinberg) oder als "modernen Berufspolitiker von skrupelloser Flexibilität" (so der Historiker Hans-Ulrich Wehler): In einem zumindest sind sich seine Verehrer wie Gegner einig: Otto von Bismarck hat die Geschichte Preußens, Deutschlands, ja ganz Europas im 19. Jahrhundert entscheidend geprägt. Inhalt 1. Reichsgründung: Der Lotse des neuen Deutschland Von Heinrich Jaenecke 2. Bismarck im Urteil der Forscher: Diplomat, Kriegstreiber, Reichsgründer Interview mit Prof. Dr. Bernd Jürgen Wendt 3. Zeitleiste: Die Ära des Otto von Bismarck

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Otto von Bismarck

Der Reichsgründer

Herausgeber:

Michael Schaper

GEOEPOCHE

Das Magazin für Geschichte

Gruner + Jahr GmbH & Co KG, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg

www.geo-epoche.de

Titelbild: Loescher und Peitsch, 1874, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Liebe Leserin, lieber Leser,

kein deutscher Staatsmann der vergangenen zwei Jahrhunderte wurde (und wird) von den Historikern so gegensätzlich beurteilt wie Otto von Bismarck, Preußens Ministerpräsident zwischen 1862 und 1890 und treibende Kraft im deutschen Einigungsprozess.

Das Spektrum der Urteile reicht von fast hasserfüllter Verachtung bis zu höchster Wertschätzung. So nannte der Bismarck-Biograf und Geschichtswissenschaftler Johannes Willms den Mann aus dem Sachsenwald vor einigen Jahren einen „prinzipienlosen Politiker“ von „machthungriger Skrupellosigkeit“ und „egomanischer Machtgier“, einen „Dämon der Deutschen“, den die deutsche Einheit in Wirklichkeit „nie interessiert“ habe und der sie am Ende auch nur „höchst plump“ und mit „bisweilen primitiver Brutalität“ umgesetzt habe.

Weitaus differenzierter, aber kaum weniger vernichtend war die Kritik des angesehenen Soziologen Max Weber, der 1918 über Bismarcks politisches Erbe urteilte: „Er hinterließ eine Nation ohne jede politische Erziehung. Und vor allem eine Nation ohne jeden politischen Willen, gewohnt, dass der große Staatsmann an ihrer Spitze für sie die Politik schon besorgen werde.“

Dagegen urteilte vor Kurzem der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg in einer neuen, durchaus kritischen Biografie, der preußische Premier habe mit der Einigung Deutschlands und der Etablierung des Deutschen Reichs in der Machtbalance Europas „die bedeutendste diplomatische und politische Leistung eines Staatsmanns in den vergangenen 200 Jahren“ vollbracht.

Tatsächlich war Otto von Bismarck, dieser konservative Gutsherr und Raufbold aus der preußischen Provinz, ein hochkomplexer, von inneren Widersprüchen zerrissener Mann:

Ein Zivilist, der versucht hatte, sich vor dem Militärdienst zu drücken, aber als Reichskanzler fast immer Generalsuniform trug.

Ein vermeintlich „eiserner“ Politiker, der zu kindischen Wutausbrüchen und Heulkrämpfen neigte sowie zu hysterischen Anfällen von Hypochondrie.

Ein Erzreaktionär, der 1866 ein für jene Zeit ungemein freiheitliches Wahlrecht entwarf und durchsetzte.

Ein Kriegstreiber, der nach militärischen Siegen oft seine Feinde schonte.

Doch wie auch immer man nun Bismarck beurteilt – ob als „politisches Genie“ (so sein Biograf Steinberg) oder als „modernen Berufspolitiker von skrupelloser Flexibilität“ (so der Historiker Hans-Ulrich Wehler): In einem zumindest sind sich seine Verehrer wie Gegner einig: Otto von Bismarck hat die Geschichte Preußens, Deutschlands, ja ganz Europas im 19. Jahrhundert entscheidend geprägt.

Michael Schaper

Chefredakteur GEOEPOCHE

Inhalt

Reichsgründung

Der Lotse des neuen Deutschland

Von Heinrich Jaenecke

Bismarck im Urteil der Forscher

Diplomat, Kriegstreiber, Reichsgründer

Interview mit Prof. Dr. Bernd Jürgen Wendt

Zeitleiste

Die Ära des Otto von Bismarck

Von Andreas Sedlmair

Reichsgründung

Der Lotse des neuen Deutschland

Im Herzen Frankreichs, im Spiegelsaal von Versailles, wird der Preußenkönig Wilhelm I. am 18. Januar 1871 zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Dieser Akt ist das Werk eines Mannes: des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Mit Intrigen und Kriegen – zuletzt gegen Frankreich – hat der skrupellose Politiker sein Ziel erreicht und aus 25 Einzelstaaten eine geeinte Nation geformt. Für Jahrzehnte bestimmt vor allem er die Geschicke der Deutschen

Von Heinrich Jaenecke

Er war ein Gewaltmensch. In der hünenhaften Gestalt mit dem massigen Schädel brannte eine vulkanische Energie, die aus seinem Leben eine Kette unaufhörlicher Kämpfe machte. Blut schreckte ihn nicht. Als Student schlug er in drei Semestern 28 scharfe Mensuren und kam bei allen glimpflich davon. Als Staatsmann brach er in sechs Jahren drei Kriege vom Zaun, die er alle gewann. Er stapfte mit seinen Kürassierstiefeln durch das Jahrhundert und ließ ganz Europa erbeben in Schrecken und Bewunderung.

Er war kein Gewaltmensch. In der hünenhaften Gestalt mit dem massigen Schädel hauste eine empfindsame, harmoniebedürftige Seele. Er litt unter schweren Depressionen und wurde in Lebenskrisen von Weinkrämpfen geschüttelt. Seiner Frau schrieb er von jeder Reise, jedem Feldzug, jeder Konferenz die zärtlichsten Briefe, über 40 Jahre hinweg. Er konnte kaltblütig über Schlachtfelder reiten, aber er geriet in Panik, wenn er drei Tage lang keine Post von ihr bekam.

Er hasste seine Mutter, eine schöne, gebildete, ehrgeizige Frau, die ihn mit sechs Jahren aus seinem Kinderparadies, dem väterlichen Gut, riss und nach Berlin in ein Internat steckte. „Meine Kindheit hat man mir in der Plamannschen Anstalt verdorben, die mir wie ein Zuchthaus vorkam.“

Die Frauen seiner Dienstherren, Kaiserin Augusta und ihre englische Schwiegertochter Victoria, verabscheuten ihn. „Fürst Bismarck hat so viel Brutales und Zynisches, so wenig Anständiges und Ehrliches in seiner Natur; er ist ein Mensch aus einem ganz anderen Jahrhundert“ – so Victoria, die Gemahlin Kaiser Friedrichs III.

Er polarisierte und hatte ein Vergnügen daran. Er machte Bewunderer zu Feinden und Feinde zu Bewunderern. Theodor Fontane, anfangs ein Bewunderer, nannte ihn eine „Mischung von Übermensch und Schlauberger, von Heros und Heulhuber“.

Die preußische Kardinaltugend, der Gehorsam, war Bismarcks Sache nicht. „Ich habe nie Vorgesetzte vertragen können“, bekannte er. „Nicht zu gehorchen, sondern zu befehlen“ sei sein Ehrgeiz. Als Behördenchef war er gefürchtet. „Die Zitrone ausdrücken und wegwerfen, das ist seine Politik“, sagte ein Diplomat, der unter ihm arbeitete.

Er war der erfolgreichste Machtmensch der deutschen Geschichte, aber er verlor nie den Boden unter den Füßen. „Das lernt sich in diesem Gewerbe“, schrieb er seiner Frau, „dass man so klug sein kann wie die Klugen dieser Welt und doch jederzeit in die nächste Minute geht wie ein Kind ins Dunkle.“

Er hatte nichts übrig für einen deutschen Nationalstaat. Doch als dieser nicht zu verhindern war, setzte er sich an die Spitze der Bewegung und zimmerte ihn nach seinem Gusto zusammen. „An Grundsätzen hält man nur fest, solange sie nicht auf die Probe gestellt werden.“

Lange Zeit wusste er nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. „Ich habe manche Stunde trostloser Niedergeschlagenheit mit dem Gedanken zugebracht, dass mein und anderer Menschen Dasein zwecklos und unersprießlich sei“, sagte er mit 31 Jahren.

Er musste sich nicht nach oben durchboxen. Er gehörte der Kaste an, die die tragende Säule des preußischen Staates war, und als er entdeckte, wozu er auf der Welt war – nämlich einzugreifen in den Lauf der Dinge, Schicksal zu sein statt zu erleiden –, brauchte er nur die Bühne zu betreten. Das Stück, das auf dem Spielplan des Jahrhunderts stand, hieß „Was soll aus Deutschland werden?“.

Die Welt ist im Umbruch, als Otto von Bismarck 1815 im väterlichen Schloss Schönhausen in der Altmark, 100 Kilometer westlich von Berlin, geboren wird. Napoleon ist geschlagen, Europa atmet auf nach einem Vierteljahrhundert Krieg und Tyrannei. Eine Welle der Hoffnung geht durch Deutschland. Das alte „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, ein amorphes Gebilde, das sich wie ein Gespenst durch die Jahrhunderte schleppte, ist für immer untergegangen. Die Befreiungskriege haben das Tor zu einem neuen Zeitalter aufgestoßen. „Einheit und Freiheit“ heißt die Losung – Nationalstaat und Demokratie.

Die deutschen Fürsten haben ihren Untertanen während der Erhebung gegen Napoleon freiheitliche Verfassungen versprochen. Doch nur wenige halten Wort. Österreich und Preußen, die beiden deutschen Großmächte, denken nicht daran, dem Volk Mitbestimmung einzuräumen. Klemens Fürst von Metternich, der österreichische Staatskanzler, dreht das Rad der Geschichte zurück und etabliert im Bündnis mit Preußen ein rigoroses Unterdrückungssystem.

Auch von „Einheit“ ist keine Rede mehr. An die Stelle des alten Reiches tritt der „Deutsche Bund“, ein loser Zusammenschluss der 39 Einzelstaaten (35 Erbmonarchien und vier Freie Städte), die ihre volle Souveränität behalten. Einzige gesamtdeutsche Institution ist der „Bundestag“ in Frankfurt – kein Parlament, sondern ein Delegierten-Club der Regierungen.

Der preußische Landjunker Otto von Bismarck wächst auf in der Zeit der „Demagogenverfolgung“, der Unterdrückung der national-demokratischen Bewegung. Er hat nichts übrig für die Idealisten und Schwärmer, die von einem geeinten und freien Deutschland träumen. Sie stellen eine Bedrohung seiner Welt dar – der fest gefügten preußischen Ordnung, die auf dem Prinzip von Dienen und Herrschen beruht und KRONE und KÖNIG verpflichtet ist. Eine Ordnung, in der die Armee das Fundament des Staates ist und der Zweck des Staates die Aufrechterhaltung seiner selbst.

Der junge Herr hat gerade sein Jurastudium in Göttingen begonnen, als im April 1832 die erste Massendemonstration für „Einheit und Freiheit“ in Deutschland stattfindet – das Hambacher Fest: Mehr als 20.000 Menschen protestieren unter schwarz-rot-goldenen Fahnen gegen das System Metternich. Ein Jahr später stürmen Studenten die Frankfurter Hauptwache in einer putschartigen Erhebung.

„Diese Erscheinungen stießen mich ab“, schreibt Bismarck später. Er schließt sich nicht den demokratischen Burschenschaften an, sondern einer konservativen schlagenden Verbindung. Er fordert sechs Kommilitonen auf einmal, weil „sie so auf unseren König geschimpft haben“.

Stets begleitet von einer schwarz-gelben Dogge, ist der preußische Junker bald eine markante Erscheinung an der Georgia-Augusta-Universität, trinkfest und großmäulig. „Ich werde entweder der größte Lump oder der erste Mann in Preußen sein“, verkündet er.

Vorerst gibt er sich jedoch dem Rausch des Lebens hin. Den größten Teil seiner Referendarzeit absolviert er bei der Provinzialverwaltung in Aachen. Die Stadt ist damals ein mondäner Kurort, der bevorzugt vom englischen Hochadel besucht wird. Bismarck, den die Aktenarbeit anödet, findet reichlich Gesellschaft.

„Ich bin fortwährend exzessiv verliebt“, berichtet er in einem Brief. Mal ist es die Nichte eines englischen Herzogs, mal eine verheiratete „gemme de qualité“, dann die 17-jährige Tochter eines Geistlichen. Ohne Urlaub reist er ihr quer durch Deutschland nach, das Geld mit vollen Händen bei Champagner-Diners und am Spieltisch ausgebend. Als er nach Wochen an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, wirft ihn der Regierungspräsident kurzerhand hinaus – Bismarcks Beamtenlaufbahn ist beendet.

„Arm im Beutel und krank am Herzen“ kehrt er auf die heimatliche Scholle zurück. Nach dem Tod seines Vaters übernimmt er die ausgedehnten Familiengüter in Brandenburg und Pommern und ist damit einer der Großen unter den ostelbischen Agrarmagnaten.