Otto von Bismarck - Politisches Denken - Otto von Bismarck - E-Book

Otto von Bismarck - Politisches Denken E-Book

Otto von Bismarck

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Beschreibung

Otto von Bismarck gilt heute als einer der wichtigsten, aber auch streitbarsten Staatsmänner der deutschen Geschichte. Wie kein zweiter hat er die deutsche Politik im späteren 19. Jahrhundert gestaltet. Die wesentlichen Grundlagen seines Handelns wurden jedoch schon deutlich früher, in den 1830/40er Jahren gelegt. Diesen Anfängen geht der vorliegende Band nach. Er zeigt auf, wie das politische Denken Bismarcks entstand und geprägt wurde und macht somit auch dessen spätere Politik begreifbar. Anhand einer Auswahl der aussagekräftigsten Texte aus Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" erhält der Leser die Möglichkeit, sich ein eigenständiges Bild von Bismarcks politischer Ideenwelt zu machen.

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OTTO VON BISMARCK (1815–1898) ist angesichts aktueller politischer Problemsituationen gefragter denn je – nicht nur im Gedenkjahr 2015 anlässlich seines 200. Geburtstages. Seine politische Karriere beginnt 1847 mit einer Mitgliedschaft im Vereinigten Landtag. Im Mai 1851 wird er zum Legationsrat und Gesandten am Frankfurter Bundestag berufen. Nach kurzen Stationen als Gesandter in St. Petersburg und Paris erfolgt 1862 die Ernennung zum Preußischen Ministerpräsidenten, mit der Reichsgründung am 18. Januar 1871 schließlich bekleidet er das Amt des Reichskanzlers. Bis zu seiner Entlassung durch Wilhelm II. im Jahre 1890 wird er maßgeblich die Innen- und Außenpolitik des Kaiserreichs gestalten.

DR. KLAUS KREMB, geb. 1950, studierte Geschichte, Wissenschaftliche Politik sowie Geographie an der TU Darmstadt. Seinen Schuldienst begann er 1978 im Gymnasium Weierhof. 1993 wurde er zum Oberstudiendirektor am Wilhelm-Erb-Gymnasium Winnweiler ernannt, das er bis 2011 leitete. Im Hochschuldienst ist er seit 2004 als Lehrbeauftragter im Fachgebiet Politikwissenschaft der TU Kaiserslautern tätig.

Zum Buch

»Es ist schwer, unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.«

Wilhelm I.

Otto von Bismarck (1815–1898) hat bis heute nichts von seiner Strahlkraft und Bedeutung verloren. Noch immer gilt er als einer der wichtigsten, aber auch konfliktbereitesten Staatsmänner der deutschen Geschichte. Wie kein zweiter hat er die deutsche Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestaltet.

Die wesentlichen Grundlagen seines politischen Handelns wurden jedoch schon deutlich früher, in den 1830/40er Jahren gelegt. Hier setzt der vorliegende Band an. Er zeigt auf, wie das politische Denken Bismarcks geprägt wurde und sich entfaltete. Die Kanzlerjahre von 1871 bis 1890 gewinnen so ihr Profil. Anhand einer Auswahl zentraler Texte aus Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« erhält der Leser die Möglichkeit, sich ein eigenständiges Bild von Bismarcks politischer Ideenwelt zu machen.

Otto von Bismarck

Politisches Denken

Otto von BismarckPolitisches Denken

Ausgewählt und kommentiert vonKlaus Kremb

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttps://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015 Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015 Covergestaltung: network! Werbeagentur GmbH, München Bildnachweis: Anton von Werner, »Fürst Bismarck am Bundesratstisch«. Gemälde 1888, Berlin © akg-images GmbH, Berlin eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0509-4

www.verlagshaus-roemerweg.de

»Bismarck, das ist der Mensch mit seinem Widerspruch; und jene, die meinen, diesen Widerspruch zur Einheit auflösen zu können, werden sich immer über ihn streiten.«

Golo Mann

INHALT

VORWORT

1. POLITISCHES DENKEN IM 19. JAHRHUNDERT

2. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN

2.1. Politische Prägungen

2.2. Politische Professionalisierung

2.3. Deutsche Frage

2.4. Politisches System des Kaiserreiches

2.5. Internationale Beziehungen

2.6. Konstanten in Bismarcks politischem Denken

3. OTTO VON BISMARCK IN SEINENGEDANKEN UND ERINNERUNGEN

3.1. Politische Prägung

3.1.1. Politische Sozialisation im »Vormärz«

3.1.2. Politische Ausformung in der Revolution von 1848/49

3.2. Politische Professionalisierung

3.2.1. Parlamentarische Stationen

3.2.2. Diplomatische Stationen

3.2.3. Preußischer Verfassungskonflikt von 1862

3.3. Deutsche Frage

3.3.1. Nationale Idee von 1864

3.3.2. Nationale Weichenstellung von 1866

3.3.3. Reichsgründung von 1871

3.4. Politisches System des Kaiserreiches

3.4.1. Kanzlerregime und Volksvertretung

3.4.2. Kirche und Staat

3.4.3. Kapital und Arbeit

3.4.4. Nationalgedanke und Partikularinteressen

3.5. Internationale Beziehungen

3.5.1. Österreich

3.5.2. Russland

3.5.3. Frankreich

3.5.4. Großbritannien

3.5.5. Vereinigte Staaten von Amerika

3.5.6. Afrika

4. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN IM URTEIL DER NACHWELT

5. ANHANG

5.1. Anmerkungen

5.2. Glossar

5.3. Literatur

5.4. Abbildungen

5.5. Editorische Notiz

Abb. 1: Bismarck-Denkmal in Berlin (1901–1938/39 vor dem Deutschen Reichstag, seither am »Großen Stern« platziert)

VORWORT

»Wir stehen vor einer neuen Welt.« Als Premierminister Benjamin Disraeli dies am 9. Februar 1871 im britischen Unterhaus äußerte, bezog er sich auf die Deutsche Reichsgründung vom 18. Januar 1871; denn: »Was hat sich jetzt ereignet?« – seine Antwort: »Das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört.«1

Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches war also nicht nur ein nationales Ereignis, sondern in gleicher Weise auch ein internationales. Für Otto von Bismarck, den deutschen Reichskanzler, verschoben sich damit die Gewichte: von der militärisch grundgelegten Staatsbildung zur bündnispolitisch abgesicherten Konsolidierung und Bewahrung unter der Maxime »Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine Sicherheitspolitik.«2

Das war jedoch eine Kehrtwende ohne großen Entscheidungsspielraum, denn sie resultierte aus einem Sicherheitsdilemma, dem potenziellen Mehrfrontenrisiko des neuen Staates. In einem Tischgespräch Anfang Dezember 1870 brachte Bismarck es auf den Punkt: »Wir balancieren auf der Spitze eines Blitzableiters.«3

Vor einem ähnlichen Balanceakt stand er innenpolitisch. Denn das Deutsche Kaiserreich war nicht nur eine »verspätete Nation«4, sondern genau dadurch auch als zukunftsfähiger Wirtschaftsraum ein Nachzügler. »Nachholende Entwicklung« wurde so zum Leitziel. Für Bismarck gab es dafür nur einen politischen Rahmen: ein kaisergebundenes charismatisches Kanzlerregime.

Einblicke in sein politisches Selbstverständnis ermöglichen damit Einsichten in politisches Denken allgemein.

Zentrale Quelle dafür sind seine Gedanken und Erinnerungen, deren zwei Hauptbände ein halbes Jahr nach seinem Tod erschienen und zahlreiche Auflagen erlebten. Ein dritter Band folgte 1919.

Bismarcks Gedanken und Erinnerungen trugen zusammen mit zahlreichen Denkmälern (Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine, Obelisken etc.), die ihm im Kaiserreich gesetzt wurden, zu einem folgenreichen Mythos bei, der nicht erst in heutiger Distanz höchst ambivalent erscheint.

So notierte der damals junge Theaterkritiker Alfred Kerr auf die Nachricht vom Tod Bismarcks am 30. Juli 1898: »In dieser Sekunde fühlt man, mag [auch] eine Art Haß die Grundempfindung gegen ihn gewesen sein, wie tief man ihn immer grollend verehrt hat.«5

1. POLITISCHES DENKEN IM 19. JAHRHUNDERT

Das politische Denken im Europa des 19. Jahrhunderts war hauptsächlich von drei Grundrichtungen bestimmt: Konservativismus, Liberalismus und Sozialismus.1 Entsprechend standen sich drei politische Grundpositionen gegenüber: die Überzeugung, dass »Veränderungen notwendig bleiben, aber langsam und mit Augenmaß erfolgen müssen«2; die Forderung »persönlicher Freiheit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Repräsentation«3; die Idee einer »Nivellierung der gesellschaftlichen Unterschiede«, um eine »gerechtere Wirtschafts- und Sozialordnung« zu erreichen4.

Entsprechend weit gespannt waren die daraus abgeleiteten politischen Programme. Eine Ausdifferenzierung erfuhren sie in Deutschland insbesondere im Kontext der Revolution von 1848/49 und in den vorausgehenden »vormärzlichen« Diskussionen. Dabei standen v.a. zwei Schlüsselbegriffe – und damit politische Hauptziele – im Mittelpunkt: Einheit und Freiheit. Sollte nämlich eines der Ziele vorrangig sein? Und wenn ja, dann welches? Oder sollten beide gemeinsam angestrebt werden? Daraus folgte eine breite Antwortpalette: »Freiheit für alle, aber des Vaterlandes Kraft und Wohlfahrt über alles«5; »Durch Einheit zur Freiheit«6; »Der deutsche Staat und die deutsche Einheit müssen gleichzeitig mit denselben Mitteln erreicht werden.«7

Für Johann Gustav Droysen, einen der wichtigsten deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts, war dabei entscheidend, dass es »so sehr […] auf Macht und nur auf Macht an[kommt], daß selbst die Freiheit wertlos ist ohne sie.«8 Pointierter lässt sich der Gedanke der Realpolitik – im Innen- wie Außenpolitischen – kaum formulieren.

Richtungsweisend entfaltet wurde der Gedanke der Realpolitik 1853 durch den Publizisten Ludwig August von Rochau. Dessen »Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands« waren der Versuch, Folgerungen aus der Revolution von 1848/49 zu ziehen. Rochau ging darin vom Gedanken aus, dass »das Gesetz der Stärke über das Staatsleben eine ähnliche Herrschaft ausübt wie das Gesetz der Schwere über die Körperwelt«, woraus er gefolgert hat: »Nur als Macht ist das Recht zur Herrschaft berufen [… und je vollständiger dies gelingt,] desto gesunder ist der politische Körper.«9

Somit sind es weniger Ideen, die wirksam werden, als vielmehr das »reale« Handeln von Staaten bzw. »Staatsmännern«, deren Denken und Handeln von Machtinteressen und Machtrivalität bestimmt ist. Internationalpolitisch wird durch die sich aus dem zwischenstaatlichen Sicherheitsdilemma ergebende Sicherheitskonkurrenz zu einem entscheidenden Faktor. Denn Maßnahmen eines Staates, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, werden von anderen Staaten als Sicherheitsgefährdung wahrgenommen. Zweckmäßig lösbar ist dieses Problem nur durch ein international vereinbartes Machtgleichgewicht mit dem Ziel der kollektiven Sicherheit.

Für das 19. Jahrhundert war dieses Konzept mit den Verträgen des Wiener Kongresses 1814/15 grundgelegt worden und fand in Formulierungen wie »concert européen, concert diplomatique, système européen« seinen sprachbildlichen Ausdruck.10 Dieses europäische Konzert umfasste zunächst als Hauptakteure die Großmächte Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen. Als fünfte Großmacht kam 1818 Frankreich dazu. Damit war ein System konzipiert, das als »Pentarchie« firmierte. 1856 wurde zusätzlich die Türkei aufgenommen. Formalisiert in zwei Kongressen (1856 in Paris, 1878 in Berlin) und insgesamt 24 Konferenzen (letztmals 1912/13 in London),11 erwies sich dieses System durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch als insgesamt stabilisierendes Instrument der kollektiven Sicherheit.

Zentrales Thema politischer Theorie im 19. Jahrhundert war jedoch weniger das internationale Beziehungssystem, sondern ganz allgemein der Staatsgedanke. Hervorzuheben sind dabei besonders Georg Friedrich Hegel und Alexis de Tocqueville.

Hegels Staatslehre zielt darauf ab, dass der einzelne Bürger sich in seinem Staat heimisch und geborgen fühlt und dass er den Institutionen vertraut. Damit wird die Gesinnung zum entscheidenden Faktor für die normative Integration der Gesellschaft. Als Sinnstifter gegenüber den Bürgern, »die selbst nur wenig partizipieren«, fungiert dabei der Monarch »durch die symbolische Darstellung des Gemeinwesens«.12

Ganz andere Akzente hat Tocqueville gesetzt. In seiner 1835–40 veröffentlichten Analyse der amerikanischen Verfassung geht er von der konstitutionell »gesicherten und in den Gewohnheiten stabilisierten Volkssouveränität« aus.13

Hegel und Tocqueville haben damit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Staatskonzepte vorgelegt, die für das politische Denken in der Folgezeit eine ganz wesentliche Folie darstellten.

Beider Themen war die Suche nach konstruktiven Ideen eines »bürgerlichen« Staates. Das betraf bei Hegel – im Bewusstsein der Amerikanischen und Französischen wie der Industriellen Revolution – aber nicht allein die politische, sondern auch die ökonomische Ebene. Denn in seinen 1820 erschienenen »Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse« sah er die »bürgerliche Gesellschaft, […] in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen«, von einer Kollision zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen der »Anhäufung der Reichtümer« und einem »Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise« bestimmt.14 Damit war zugleich der Sozialismus Marx’scher Prägung vorbereitet.

Otto von Bismarck, der wie kein zweiter das politische Denken im Deutschland der 1860er bis 80er Jahren prägte und dafür Zustimmung wie Widerspruch erfuhr, hatte es demzufolge mit einem vielschichtigen Reservoir politischer Denkmuster zu tun, die im »Schachbrett der Politik«15 Faktoren darstellten. Sein Aktionsfeld sah er auf dem »europäischen Schachbrett«.16 Denn Politik verstand er als Spiel, als Schach- und »europäisches Kartenspiel«.17Wohlüberlegte Spielzüge waren also ebenso gefragt wie der ergebnisorientierte Umgang mit »Veto-Spielern«.18

Im 19. Jahrhundert erfolgte dabei – so der amerikanische Politikwissenschaftler und Weltpolitiker Henry Kissinger – eine grundlegende Gewichtsverlagerung »in der europäischen internationalen Ordnung«. Als deren Protagonisten stellt er Bismarck und Klemens von Metternich heraus.

Die Leitlinie gab Metternich vor: »Wo alles wankt, ist vor allem nötig, daß irgendetwas beharre, wo das Suchende sich anschließen, das Verirrte seine Zuflucht finden kann.«19 Als österreichischer Staatskanzler von 1821 bis 1848 resultierte für ihn daraus die Bewahrung der bestehenden Ordnung.

Bismarck interpretierte denselben gedanklichen Ausgangspunkt dagegen ganz anders. Für ihn war eine zukunftsfähige staatliche Ordnung in Deutschland vor ihrer Bewahrung erst noch zu schaffen.

Kritisch begleitet wurde Bismarck in seiner hierauf ausgerichteten Ordnungsstrategie vom Kladderadatsch, dem in Berlin herausgegebenen politisch-satirischen, national ausgerichteten Wochenblatt. Eine der insgesamt rund 300 Karikaturen, die Bismarcks politischer Arbeit galten,20 personifizierte ihn 1887 als »Europas Central-Weichensteller«.

Abb. 2: Otto von Bismarck als »Europas Central-Weichensteller«

2. OTTO VON BISMARCKS POLITISCHES DENKEN

Das politische Denken Bismarcks, aus dem er ab 1862 als preußischer Ministerpräsident und ab 1871 als deutscher Reichskanzler seine Entscheidungen ableitete und das ihn auch noch nach seinem 1890 erfolgten Abschied aus beiden Ämtern bis zu seinem Tod 1898 bestimmte, hat seine wesentlichen Prägungen in den 1830/40er Jahren erfahren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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