PANDEMIE (Retreat 1) - Craig DiLouie - E-Book

PANDEMIE (Retreat 1) E-Book

Craig DiLouie

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Beschreibung

RETREAT - aus der Feder der bekannten Horror-Autoren Craig DiLouie, Joe McKinney und Stephen Knight! Der Wahnsinn beginnt … wenn die Welt lachend zugrunde geht! Als eine neuartige Krankheit die Bürger von Boston in sadistische, lachende Killer verwandelt, kämpft ein Infanterie Bataillon darum, die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen. Doch als die Zahl der Infizierten wächst, verliert das Bataillon die Kontrolle. Die Soldaten kämpfen ums nackte Überleben. Dabei sind sie gezwungen, die Menschen zu töten, deren Schutz sie einst unter Eid beschworen haben. Während des aussichtslosen Kampfes empfängt das verlorene Bataillon die hoffnungsvolle Nachricht, Florida sei von den Infizierten gesäubert worden und die Army habe dort Stellung bezogen. Für Kommandant Harry Lee ist klar: Nur, wenn er seine Männer dorthin schaffen kann, besteht Aussicht auf Rettung. Aber dafür müssen die Soldaten Hunderte Meilen zurücklegen. Ein Weg durch ein Land, das von einem furchtlosen, übermächtigen und gnadenlosen Feind in ein Schlachtfeld verwandelt worden ist. ★★★★★ »Die Geschichte besticht durch ein rasantes Tempo. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, nach Atem ringen zu müssen, da ein Ereignis dem anderen ohne größere Pause folgt.« – Geisterspiegel

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PANDEMIE

RETREAT – BAND 1

Craig DiLouie

RETREAT ist eine fiktive Geschichte. Die Geschehnisse um die 10. Gebirgsdivision der US Army und der Nationalgarde von Massachusetts sind frei erfunden, genauso wie die Schilderung der Stadt Boston und deren Umland. Es ist nicht beabsichtigt, reale Personen, Organisationen oder Orte darzustellen.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: PANDEMIC Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Katrin Fahnert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-704-4

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

PANDEMIE
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44

Kapitel 1

Amerika. Boston. Christ Hospital.

Neunundvierzig Tage Quarantäne.

Erst sperrte man die Kranken ein. Später hielt man sie fern.

Die Welt da draußen starb. Sie verreckte – mit einem Lächeln auf den Lippen. Und dann würden die Klowns alles besitzen.

Die Sirenen waren schon vor langer Zeit verstummt, die Luft außerhalb des Krankenhauses Tag und Nacht erfüllt mit dem Donnern schwerer Artillerie. Die Army kämpfte um das, was noch übrig war.

Es war ein aussichtsloser Kampf.

Kapitel 2

Malaria, Cholera, die Schlafkrankheit und Leishmaniose. Das waren die Krankheiten, die Doktor John Braddock damals bekämpfte. In Afrika sah er Leute sterben, während sie aus den Augen bluteten, in Indien starben sie an Durchfall. Doch diese neue Krankheit war anders. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Verärgert blickte er auf das Ziffernblatt seiner Uhr. Oberschwester Robbins war zu spät dran.

Es war Zeit für ihre Berichte, und sie musste eine Runde drehen, um die Krankenblätter zu überprüfen. Dann galt es noch, die immer schlechter werdende Versorgung der Patienten zu besprechen.

Er kannte das Ergebnis bereits. Sie würden einige Patienten tot in ihren Betten finden und die Versorgung in allen Bereichen auf ein Minimum reduzieren müssen. Dennoch musste er alles schriftlich protokollieren. Normalerweise war das die Aufgabe der Chefärztin, aber sie hatte die Krankheit. Also fiel ihm diese Ehre nun zu.

Er schloss seine Augen und horchte. In der Pathologie schrie eine Frau. Schritte waren in einiger Entfernung zu hören und wiesen darauf hin, dass sich jemand von der Belegschaft näherte.

Als junger, idealistischer Arzt war Braddock damals der Organisation Ärzte ohne Grenzen beigetreten. Nach einigen Jahren in Asien und Afrika hatten sich die Schrecken, deren Zeuge er geworden war, immer tiefer in seine Seele gefressen. In Aleppo, einer Stadt in Syrien, waren die Leiber von Kindern bei einem Raketenangriff auseinandergerissen worden, nachdem sie sich für eine Masernimpfung in einer Reihe aufgestellt hatten. Im Südsudan starben Flüchtlinge an Malaria, weil Rebellen ein Krankenhaus geplündert hatten.

Nach der Rückkehr in seine Heimat war es ihm schwergefallen, sich wieder einzugliedern. Amerika lebte in einer Wohlstandsseifenblase. Er musste mit Leuten arbeiten, die er nicht verstand, und hielt seine Kollegen oft für kleinkarierte Egoisten. Die Krankenhausverwaltung und die Versicherungsunternehmen erzählten ihm ständig, was er zu tun oder zu lassen hatte, um Menschenleben zu retten. Damit kam er überhaupt nicht klar.

Braddock wanderte von Job zu Job. Niemand fühlte sich gewogen, ihn zum Bleiben zu bewegen. Er war ein großgewachsener Mann, emotional und kulturfremd. Er schüchterte die Menschen ein. Um den Ärger zu betäuben, fing er an zu trinken; verlor dadurch jede Selbstachtung. Amerika, seine Heimat, fühlte sich wie ein weiteres fremdes Land an.

Ellen White, Chefärztin im Boston Christ Hospital, suchte Braddock in seinem schäbigen Hotelzimmer auf und bot ihm einen Job an. Ich glaube an dich, John. Das waren ihre Worte gewesen. Sie gab ihm einen Ort, den er ein Zuhause nennen konnte.

Er hörte mit dem Trinken auf, und auch gegen das System zu kämpfen. Er verarbeitete sein Trauma, praktizierte wieder als Arzt. Im Laufe der Zeit fühlte er sich sogar wieder nützlich und wusste, dass er White buchstäblich sein Leben verdankte. Sie hatte ihn von den Toten zurückgeholt.

Dann fing sie sich die Krankheit ein. So viele Kollegen waren gegangen, um bei ihren Familien zu bleiben. Sie hatten die Patienten seiner Obhut überlassen. Es war eine unmögliche Aufgabe, aber er wollte White nicht enttäuschen. Er wollte ihnen allen – und nicht zuletzt sich selbst – beweisen, aus welchem Holz er geschnitzt war.

Schuhe hämmerten über den Flur. Er öffnete die Augen. Robbins näherte sich.

»Dr. Braddock«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang Panik mit.

Eine weitere Krise. Adrenalin floss durch seinen Körper. Er begrüßte es wie eine Droge.

»Soldaten«, sagte sie. »Sie sind im Krankenhaus.«

»Die Army? Hier?«

»Sie haben Gewehre.«

»Sie sind die guten Jungs«, versicherte Braddock. »Es wird alles gut werden.«

An den Orten, an denen er gewesen war, bedeuten Soldaten immer Ärger. Guerillas, Freiheitskämpfer, Army, Paramilitärs.

Aber nicht in Amerika. In Amerika plünderten Soldaten keine Krankenhäuser.

Er konnte nicht anders und fühlte Hoffnung in sich aufkeimen. Monatelang waren sie auf sich allein gestellt gewesen. Vielleicht waren die Soldaten hier, um zu helfen. Vielleicht hatten sie Nachschub gebracht, damit das Krankenhaus weiter funktionieren konnte.

Er fragte Robbins, ob sie wüsste, warum sie gekommen waren.

»Nein«, erwiderte sie und kämpfte mit den Tränen. »Ich habe sie gefragt, und …« Sie weinte, ihre Stimme entgleiste. »Sie sagten, dass wir evakuieren müssen. Sie haben mich bedrängt!«

Braddock blickte über ihre Schulter. In einiger Entfernung wartete eine weitere Schwester auf dem Gang. »Sie sind Oberschwester«, flüsterte er energisch. »Reißen Sie sich zusammen!«

Vor sieben Wochen war Robbins noch übergewichtig gewesen, nun hing ihr Krankenhauskittel an einem spindeldürren Körper. Ihre Schwester befand sich in der fünften Etage in Quarantäne, vom Rest der Familie hatte sie seit Tagen nichts mehr gehört. Die Oberschwester stand unter enormem Stress, wie alle hier. Aber er konnte es nicht gebrauchen, dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt. Sie mussten ihr Bestes geben oder sie würden es nicht durchstehen.

Robbins atmete tief ein. »Es tut mir leid.«

»Es muss Ihnen nicht leidtun«, beschwichtigte er in einem sanfteren Ton. »Sagen Sie mir nur, wo die Soldaten sind. Ich werde sicher ein paar Antworten bekommen.«

»Sie sind nach oben gegangen.«

Sein Herz hämmerte. »Hatten sie Schutzkleidung? Masken, Handschuhe …«

»Nein. Ich weiß es nicht. Sie trugen keine, als sie hereinkamen.«

»Herrgott. Wie viele sind es?«

»Eine ganze Menge. Zehn? Fünfzehn?«

Braddock rieb sich die Augen. Er musste die Soldaten schnell finden. Der Gedanke, dass sich zehn schwerbewaffnete Soldaten die Krankheit einfingen, beunruhigte ihn zutiefst.

Es würde ein Massaker geben.

Kapitel 3

Braddock schob die Plastikplanen beiseite und betrat die Quarantänezone. Lächelnde Seuchenopfer schliefen oder starrten zur Decke. Ein Barbiturat Cocktail tropfte in ihre Venen, um sie ruhigzustellen. Glasige Augen folgten ihm, als er vorbeiging.

Er hörte das kontinuierliche Zischen aus hunderten Mündern, während sie atmeten, und schüttelte den Kopf. Sie sollten überhaupt nicht wach sein.

Die abgestandene Luft stank durch die Krankheit, den Schweiß und die vernachlässigten Bettpfannen. Es war Hochsommer und die Klimaanlage sowie die Belüftung waren abgeschaltet worden, um Energie zu sparen. Das Krankenhaus hatte sich in einen Backofen verwandelt.

Sechs Wochen zuvor hatte Braddock in einer warmen Nacht in der Notaufnahme gearbeitet. In der Notaufnahme, einer Achterbahn der Gefühle aus Langeweile und Krisen, blühte er regelrecht auf. Die Aufnahmequote war erstaunlich. Nicht ein einziger Patient hatte eine Erkrankung. Es waren alles Traumafälle – gebrochene Knochen, Risswunden, Schuss- und Stichverletzungen. Ein Mann mit einer zerbrochenen Flasche im Arsch, eine Frau mit einem schleimigen Brei, wo einst ihr Auge gewesen war. Ein armer Schlucker, der teilweise lebendig gehäutet wurde. Die meisten standen unter schwerem Schock. Die, die sprechen konnten, erzählten schreckliche Geschichten darüber, wie Menschen, die sie geliebt hatten, über sie hergefallen waren.

Er hatte noch nie so etwas gesehen. Als der Morgen endlich anbrach, vernähte er seine neunte Stichwunde. Es kamen immer mehr Opfer. Das Heulen der Sirenen erfüllte die Stadt – Polizeifahrzeuge, Rettungswagen, Feuerwehrautos. Rauch hatte den Himmel verdunkelt.

Ein SWAT-Team mit Atemschutzmasken brachte die ersten erkrankten Menschen in gepanzerten Wagen zum Hospital. Mit Spannstangen am Hals wurden sie hineingezogen. Die Ärzte stellten sie ruhig und Pfleger banden sie an den Bahren fest. Die erste Quarantänestation wurde in der vierten Etage eingerichtet. Dann kamen mehr und mehr, bis das Krankenhaus bis auf das letzte Bett voll war. Anschließend hatte die Polizei den gesamten Komplex mit vorgehaltener Waffe unter Quarantäne gestellt.

Die Krankheit tötete die alten und die sehr jungen Menschen, während alle anderen unter frontotemporaler Demenz litten, die mit der Pickschen Krankheit vergleichbar war. Die Demenz resultierte aus einem dysexekutiven Syndrom, das sich durch schwere Aggressionen äußerte.

Dies war ein sehr wissenschaftlicher Weg, um auszudrücken, dass Männer und Frauen sich plötzlich dazu entschieden, mit Heckenscheren auf ihre Lieben loszugehen, um sie mehrere Stunden zu foltern und anschließend umzubringen.

Niemand konnte sich erklären, warum sie dabei lachten.

Krankhaftes Lachen konnte auf einen Tumor, Drogenabhängigkeit, Chromosomenstörungen oder neurologische Störungen zurückzuführen sein. Das Nervensystem wurde zerstört. Von all den Gründen, die man in Erwägung zog, schien die Demenz der naheliegendste.

Aber das Lachen schien nicht auf einer Nervenkrankheit begründet zu sein. Es sah so aus, als würden es die Infizierten genießen, wenn sie anderen Schmerzen zufügten oder selbst welche erlitten. Sie lachten, während sie jemandem ein Staubsaugerrohr in den Rachen rammten, und wenn man ihnen eine Kugel in die Eingeweide schoss, machte sie das vollkommen hysterisch.

Ansonsten behielten die Verrückten ihre höheren Gehirnfunktionen. Sie gingen umher und unterhielten sich. Sie zeigten ein rudimentäres Verständnis, erinnerten sich daran, wie man eine Schrotflinte lädt und wo sie die Harke in der Garage aufbewahrten. Aber sie hatten kein Selbstempfinden. Ein innerer Antrieb zwang sie, andere aufzuspüren und sie zu verletzten, bis sie diese getötet oder infiziert hatten. Sie waren Marionetten der Krankheit; mehr noch, sie waren Partner. Die Krankheit selbst war nicht bösartig, sie wollte nur verbreitet werden. Die Methode der Ausbreitung blieb den Infizierten überlassen – ihren Erinnerungen und ihrer Kreativität. Das war der böse Teil.

Nach einer Weile wurde die Krankheit als Virus eingestuft, aber niemand konnte sagen, wo er seinen Ursprung hatte. Er schien synthetisch zu sein. Wenn die Regierung jedoch wusste, wer ihn geschaffen und verbreitet hatte, so dementierte sie dies überzeugend. Eine Zeitlang berichteten die Medien von einem apokalyptischen Kult, der sich Die Armee der vier Reiter nannte. Dieser hätte die Krankheit erfunden und sie über die Welt gebracht. Braddocks Verstand schreckte davor zurück, dass ein paar verrückte Menschen einen Virus herstellen könnten, der bewirkte, dass sich die ganze Welt in ein Irrenhaus verwandelte.

Übertragung durch Körperflüssigkeiten, die den Virus zum Gehirn führen. Infektionsrate: 100 %. Inkubation und Symptome: zehn Sekunden bis zu zehn Minuten.

Vom medizinischen Standpunkt aus war es faszinierend – aus menschlicher Sicht war es der schlimmste Horror, den man sich vorstellen konnte. Die Menschheit würde davon nicht aussterben, aber sie würde komplett verrückt werden. Wenn die Armee der vier Reiter eine Apokalypse wollte, so war sie auf dem besten Wege.

Der Virus breitete sich auch im Krankenhaus weiter aus. Nach einer Weile brausten die Trucks der Nachrichtensender auf der Suche nach anderen Schrecken davon. Die Polizei wurde mit ihren Barrikaden zurückgelassen. Man hörte auf, Vorräte zu liefern.

Danach überließ Braddock den Mitarbeitern die Wahl: Bleiben und versuchen, die Patienten am Leben zu halten oder zu den Familien nach Hause gehen. Die meisten gingen.

Braddock verschloss die Tür seiner Wohnung und blieb im Krankenhaus. Er vermied es, sich die Nachrichten anzusehen. Aus dem nächstgelegenen Fenster zu schauen, zeigte ihm alles, was er wissen musste. Da draußen war es weit schlimmer als hier drin.

Sie arbeiteten weiter. Sie mussten es tun. Braddock wusste, wie wertlos das Leben war – und wie kostbar. Die Tage verschwammen zu Wochen. Irgendwann würden ihnen die Beruhigungsmittel ausgehen und die Patienten würden hungrig aufwachen und spielen wollen.

Und dann …

So weit hatte er nie gedacht. Vielleicht würde er einen neuen Ort finden, wo er etwas Gutes tun konnte. Vielleicht würde er einfach aufgeben. Robbins würde wegen ihrer Schwester bis zum Schluss bleiben und er würde wahrscheinlich bei ihr bleiben. Das Krankenhaus war sein Zuhause.

Auf der fünften Etage fand Braddock eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten, die seine Patienten aus den Betten zogen und an Händen und Füßen fesselten, wenn sie am Boden lagen. Die Erkrankten öffneten ihre Augen und grinsten.

Kapitel 4

Die Soldaten rissen ihre Waffen hoch und schrien ihm zu, sich auf den Boden zu legen.

»Was tun Sie mit meinen Patienten?«, verlangte Braddock zu wissen.

»Runter auf den verdammten Boden!«

Sie trugen Tarnkleidung. Kampfanzüge, die in braunen Stiefeln steckten. Die Schutzwesten waren steif von der Panzerung und wölbten sich. Die Kevlar-Helme hatten einen leicht verstörenden Wehrmacht-Look.

Auf ihren Schulterklappen stand MOUNTAIN und man konnte ein Zeichen mit zwei gekreuzten Schwertern sehen. Einer von ihnen hatte mit einer Schablone den Schriftzug TEOTWAWKI auf seinen Helm geschrieben.

»Ich bin nicht infiziert!«

Braddock realisierte, dass er mit seinem Bart, dem verfilzten Haar und dem schmuddeligen Arztkittel wahrscheinlich so aussah. Er hob die Hände und schloss vor Angst seine Augen.

Ein stämmiger, muskelbepackter Mann befahl: »Waffen runter. Er hat es nicht.« An Braddock gewandt, fügte er hinzu: »Ich bin Sergeant Ramos von der zehnten Gebirgsdivision. Wir handeln unter Befehl. Sie müssen dieses Krankenhaus sofort verlassen. Lassen Sie uns unseren Job machen, Sir.«

Das Sir hing in der Luft. Es triefte vor Verachtung. Die emotionslosen, knabenhaften Gesichter des Squads sahen ihn an, als würden sie ihn trotzdem erschießen wollen – nur um auf der sicheren Seite zu sein.

Braddock war 1,83 Meter groß. Als junger Mann hatte er geboxt. Er hätte jetzt gern einen von diesen Möchtegernen mit in den Ring genommen. Allerdings sah er ihnen an, dass sie da draußen durch die Hölle gegangen sind. Alle schienen erschöpft und nervös zu sein. Dabei waren sie dafür trainiert, sich zusammenzureißen.

Er versuchte sie patriotisch zu betrachten, als amerikanische Soldaten. Männer, die ihr Leben zur Verteidigung ihres Landes riskierten; egal, ob sie mit dem Einsatz einverstanden waren oder nicht. Doch im Moment waren sie Eindringlinge und machten ihm verdammte Angst.

Braddock zählte fünf Männer. Bei Robbins hatte es sich so angehört, als würde ein ganzes Squad im Gebäude sein, vielleicht auch zwei. Wo also war der Rest?

Er blickte Ellen White besorgt an. Sie lag mit geschlossenen Augen und einem verträumten Lächeln da. Ihr langes, ergrautes Haar war ordentlich gekämmt auf dem Kissen ausgebreitet. Er besuchte sie oft, um sie auf den aktuellen Stand zu bringen, in der Hoffnung, dass sie ihn hören und verstehen konnte. Selbst jetzt suchte er ihre Zustimmung.

Die fünfte Etage war etwas Besonderes. Auf dieser Station hatte Braddock eine experimentelle Behandlung eingeführt, die auf dem Milwaukee-Protokoll basierte. Nach diesem behandelte man die Tollwut. Die Patienten wurden mit Midazolam und Ketaminen vollgepumpt, um sie ins Koma zu versetzen. Dann gab man ihnen Amantandin und Ribavirin, um den Virus zu bekämpfen. Es war einen Versuch wert. Doch nun ruinierten diese Soldaten das Experiment.

»Darf ich fragen, wie Ihre Befehle lauten?«, wollte Braddock wissen und versuchte, höflich zu klingen. Er zitterte noch von dem Schock.

Ramos ignorierte seine Frage.

»Wer ist hier zuständig?«

»Ich. Ich bin der stellvertretende Chefarzt.«

»Dann fangen Sie besser damit an, das Krankenhaus zu evakuieren. Holen Sie Ihre Mitarbeiter so schnell wie möglich hier raus.«

»Und dann was? Wohin sollen wir gehen?«

Der Sergeant zuckte die Achseln. »Wohin immer Sie wollen. Irgendwo, wo es sicher ist. Es gibt Schutzräume.«

»Mit wem kann ich darüber reden? Wer hat das Kommando?«

»Der Lieutenant. Er ist mit einem anderen Fireteam oben.«

Okay, wir reden. Das ist gut. Wir reden darüber. »Dann werde ich gehen und mit ihm sprechen. Bitte tun Sie nichts, bis ich zurück bin. Zehn Minuten.«

»Wir haben unsere Anweisungen, Sie haben Ihre. Schaffen Sie Ihre Mitarbeiter hier raus.«

Die Männer rochen nach Rauch und Angst. Ihre Augen waren wild. Nicht sie überschritten die Grenze, das ganze Land tat es. Dies war eine Entscheidung von ganz oben.

»Sie müssen das nicht tun, Sergeant.«

»Holen Sie einfach Ihre Leute hier raus, Doc«, erwiderte Ramos. Sein Gesichtsausdruck wurde weicher und zeigte den Mann, der sich hinter der Maske des Soldaten verbarg. »Sie wollen das nicht sehen.«

»Wie schlimm ist es da draußen?«

»Schlimm genug, um so etwas zu tun. Verzweifelte Zeiten, verzweifelte Maßnahmen. Verstehen Sie?«

»Sie haben immer noch eine Wahl. Dies sind unschuldige Menschen. Unschuldige, kranke Menschen.«

Die Infizierten draußen in den Straßen zu bekämpfen, war eine Sache; kranke Menschen kaltblütig in ihren Betten zu ermorden, etwas ganz anderes.

»Wir haben unsere Befehle.«

»Beschissene Befehle«, sagte ein großer, drahtiger, dunkelhäutiger Soldat.

Ramos drehte sich um. »Was sagten Sie, Private?«

Der Soldat nickte in Braddocks Richtung. »Er hat recht, Sergeant.« Er sprach es Sarrunt aus, wodurch es gleichzeitig respektvoll und trotzig klang. »Wir müssen es nicht tun.«

Braddock sagte nichts. Er wusste, wann es richtig war, zu reden, und wann man besser den Mund hielt.

»Das ist Schwachsinn«, fügte ein weiterer Soldat hinzu. Er hatte ein attraktives, jungenhaftes Gesicht und sah so aus, als wäre er häufiger in Kalifornien surfen, als das er in einer Kampfuniform schwitzte. »Nur wir sind hier, mit einem Sack voll Munition. Und wir sollen das Krankenhaus in den Arsch treten? Hier sind tausende Leute. Wo ist der Rest der Kompanie?«

»Wir haben unsere Funkgeräte verloren«, erwiderte der dunkelhäutige Soldat. »Vielleicht wurde die Operation abgeblasen.«

»Vielleicht ist der Rest der Kompanie verdammt nochmal tot«, sagte der Surfer.

Ein dritter Soldat, mit einer schmutzigen Bandage an der linken Wange, deutete auf die Körper in den Betten. »Du hast gesehen, wozu diese Leute fähig sind. Sie haben unsere Jungs getötet. Sie sind keine Menschen mehr. Ich sage, töten wir sie alle.«

»Am besten erlöst man sie jetzt von ihrem Elend, bevor sie aufwachen und wir sie auf den Straßen bekämpfen müssen«, stimmte ein vierter Soldat zu. »Wir sollten so viele umlegen, wie wir können.«

Die Gruppe war zwiegespalten.

»Es wird nicht abgestimmt«, sagte Ramos. Er senkte seine Waffe und feuerte eine Ladung auf einen Mann mittleren Alters, der vor ihm lag.

Blut und Gehirnmasse spritzten über den Boden. Etwas flog auch auf Braddocks Arztkittel. Ihm platzte fast das Trommelfell. Seine Ohren klingelten regelrecht durch den Schuss.

Der Soldat mit dem bandagierten Gesicht grinste und enthüllte zwei fehlende Vorderzähne. »Hooah, Sergeant.«

Ramos’ beiläufige Exekution eines Infizierten, die Entschlossenheit demonstrieren sollte, ging nach hinten los. Der Rest der Soldaten war blass geworden.

Braddock wich vor Schreck zurück. Eine Patientin, die am Boden lag, versuchte in sein Bein zu beißen und zwang ihn dadurch noch einen Schritt zurück. Der Kiefer der Frau schloss sich mit einem vernehmbaren Klicken, das ihn erschauern ließ.

Man wachte nicht einfach frisch und munter auf, wenn man aus einem chemisch induzierten Koma gerissen wurde. Aber die Krankheit war zäh. Sie wollte immer spielen.

»Scheiß drauf«, sagte der Surfer-Typ.

»Wir haben es alle getan«, bemerkte der Soldat mit dem bandagierten Gesicht. »Viele Male.«

»Nicht so. Nicht, während sie schliefen. Sie sehen aus wie Menschen.«

Braddock erschrak wieder, als er Schüsse aus einem höheren Stockwerk hörte. Keine Hast – die Schüsse waren methodisch. Exekutionen. Sie würden alle im Krankenhaus umbringen. Die Diskussion war zwecklos. Die Soldaten hatten ihre Befehle. Damit die Army überhaupt funktionierte, mussten Befehle befolgt und eine Befehlskette eingehalten werden. Doch manchmal waren die Befehle Scheiße.

»Der Rest des Platoons ist schon im Einsatz«, sagte Ramos. »Wir tun es. Jetzt.«

Braddock fühlte, wie etwas in ihm platzte. Eine Energie wurde freigesetzt, die drohte, in eine Richtung zu laufen, die er nicht kontrollieren und die ihn sehr wohl umbringen konnte. Er hatte hart dafür gearbeitet, die Leute am Leben zu halten. Er wollte nicht, dass man sie wie Vieh abschlachtete. Es gab noch Hoffnung. Die moderne Medizin würde den Virus heilen, sie brauchten nur etwas mehr Zeit. Die Welt schuldete ihnen einfach etwas mehr Zeit.

Er riss Ellen Whites intravenöse Magensonde ab und auch alles andere, was sie ans Bett fesselte. Er hob sie hoch. Sie schien nichts zu wiegen. Sie lutschte wie ein Kind an ihrem Daumen. Ihr verdankte er sein Leben.

»Vorwärts«, flüsterte er. »Ich habe Sie.«

Der Sergeant rief: »Sir? Sir! Was zur Hölle tun Sie?«

Whites Augen leuchteten auf, strahlend und intelligent. Braddock blickte sie an. Er sah die Chefärztin, nicht die Krankheit. Sie griff nach oben, um mit zitternden Händen sein Gesicht zu berühren. Sie wimmerte.

»Sir!«, brüllte der Sergeant. Er hob seine Waffe, eine monströse Schrotflinte.

»Ellen«, sagte Braddock. »Ich bin es, John. Ich bin hier.«

Sie war immer noch da drin. Flehend.

Die Behandlung. Sie funktionierte.

Ihr ging es besser und der Sergeant war im Begriff, sie beide zu töten.

Nicht schießen. Bitte. Nicht. Schießen.

»Legen Sie die Frau hin und treten Sie zurück! Jetzt!«

Braddock hatte keine Wahl. Er hatte zu tun, was man ihm sagte. Er küsste sie auf die Stirn. »Es tut mir leid, Ellen.«

Sie drückte ihre Daumen in seine Augen.

Er schrie und griff ihre Handgelenke. Seine Sicht verschwamm in dunklen und hellen Schatten. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Schädel. Er schleuderte sie von sich.

Dann hörte es auf.

Er schrie nicht mehr.

Er lachte.

Es war saukomisch.

Kapitel 5

Kämpfen oder flüchten.

Der Gefreite Scott Wade wollte davonlaufen. Dann gewann sein antrainierter Drill die Oberhand: Er hob das M4 Karabiner und feuerte eine einzige Salve ab.

Der Doktor jaulte auf, als die Kugeln seine Brust durchlöcherten und ihn mit einem Schwall Blut an die Wand schleuderten. Der große Mann fiel der Länge nach hin. Er zuckte, sein Körper rauchte. Er atmete rasselnd aus, kicherte und starb.

Die alte Frau kroch lachend auf Ward zu. »Ich schneid dir die Eier ab …«

Wade blies auch sie weg, verzierte die Wand mit ihrem Gehirn.

Er befolgte Befehle, aber es war mehr als das.

Verdammte Monster.

Die aufwachenden Seuchenopfer wanden sich wie gigantische Larven und stemmten sich gegen ihre Fesseln. Gezielte Schüsse dröhnten von den anderen Stockwerken.

Wade sah rot.

Ramos nickte ihm zu. »Gute Arbeit. Nun lasst uns …«

Er hob sein Gewehr und das Mündungsfeuer spiegelte sich in den Gesichtern der Patienten. Der Rest des Squads tat es ihm gleich. Sie rissen die Infizierten in Stücke. Füllungen von Matratzen flogen durch die Luft.

Wade schrie. Als das Magazin leergeschossen war, fiel er würgend auf die Knie. Vor Stress, Hitze, Erschöpfung, Schock … alles zusammen.

Kapitel 6