Paradox - Josef Peters - E-Book

Paradox E-Book

Josef Peters

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Beschreibung

Susanne Schlömer und Sebastian Wimmer arbeiten in der Grundlagenforschung zusammen mit Dr. Andres. Aber erst nach dem Mord an Dr. Andres wird ihnen die Bedeutung ihrer Forschung bewusst und wie brisant diese Forschung ist... Naturwissenschaft, Paradoxa und Spannung begleiten den Leser auf dem Weg zum Mörder.

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Seitenzahl: 153

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Haben Sie Interesse an ein wenig Naturwissenschaft? Interessieren Sie sich ein wenig für Philosophie? Haben Sie Spaß an Paradoxa? Haben Sie einfach nur Lust auf Spannung? Dann ist „Paradox“ genau der richtige Lesestoff.

Der Autor

Josef Peters, Jahrgang 1963, lebt in Aachen. Er ist Diplom-Kaufmann und Studiendirektor an einem Berufskolleg. Sein erstes Buch, ein Schulbuch zur DV-gestützten Finanzbuchhaltung, veröffentlichte er im Jahr 2003. „Paradox“ ist sein erster Roman, erstveröffentlicht 2009, dem 2014 und 2022 die weiteren Romane „I’m dreaming“ und „Pulsar“ folgten.

Für Vera, Sara, Jana

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 1

Freitag, 17. Juli

Sebastian Wimmer war froh, das Laborgebäude heute Morgen ohne den fast schon obligatorischen Stau erreicht zu haben. Er stieg gerade aus seinem alten VW Golf III aus, als er am gegenüberliegenden Ende des Parkplatzes Susanne Schlömer aus ihrem Cabrio, einen Peugeot 207 CC, aussteigen sah.

Sein Wagen war schon über fünfzehn Jahre alt. Bei diesem Alter war es nicht verwunderlich, dass ihn das Auto hin und wieder mit dem einen oder anderen Defekt überraschte. Doch heute verlief die Fahrt zum Glück völlig problemlos. Er hing an diesem Fahrzeug. Es war sein erstes Auto, und er war nicht der Typ, der sich sonderlich für Autos interessierte oder immer das neueste Modell fahren musste. Solange sein Golf noch fuhr, würde er ihm wohl treu bleiben.

Susanne Schlömer war da schon ein wenig anders. Für sie war wichtig, dass ihr Fahrzeug immer recht neu war. Dazu musste das dann auch noch unheimlich chic sein. Technische Daten waren ihr dabei letztlich ziemlich egal. Typisch Frau, dachte Wimmer. Das erinnerte ihn an eine alte Bekannte. Die war in dieser Beziehung ähnlich gestrickt wie Susanne Schlömer. Eines Tages sagte sie nämlich zu Sebastian:

„Du, ich habe mir ein neues Auto gekauft.“

„Oh, schön. Was denn für eins?“

„Ein rotes!“

„Hi Susanne!“, rief Wimmer seiner Kollegin schon von weitem zu.

Es war Freitagmorgen und sie waren beide recht früh dran. Gewöhnlich trudelten sie gegen acht Uhr dreißig ein. Heute trafen sie sich bereits um sieben Uhr fünfundvierzig vor dem Gebäude.

Das Wetter war an diesem Julitag eher schlecht. Nachdem es am Tag zuvor ein kräftiges Hitzegewitter gegeben hatte, welches die Schwüle des Tages vertrieben und für ein wenig Kühlung gesorgt hatte, hatte sich der Himmel nicht wieder richtig aufgetan. Es war heute Morgen stark bewölkt und recht frisch.

„Was ist denn mit dir los? So früh schon unterwegs?“, entgegnete Schlömer ihrem Kollegen scherzhaft.

„Bei dem Wetter macht alles andere als früh arbeiten zu gehen keinen Sinn“, erwiderte er.

Eine Bemerkung darüber, dass heute auch kein Cabrio Wetter sei, verkniff er sich. Er wusste, dass sich Schlömer über solche Bemerkungen unheimlich aufregen konnte. Eigentlich war das ja gerade der Reiz, es doch zu sagen, aber früh am Morgen wäre Schlömer vermutlich noch nicht schlagfertig genug gewesen, um sich zu wehren und ihm eine passende Antwort zu geben. Und wenn sie sich nicht wehrte, machte es deutlich weniger Spaß, sie zu ärgern.

Sebastian Wimmer war Anfang dreißig, mittelgroß und schlank. Seine Haare trug er immer ziemlich kurz geschnitten, vermutlich um den immer weiter zurückweichenden Haaransatz nicht zu sehr zu betonen. Eitel war er nicht, doch recht selbstbewusst und mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattet. Wimmer hatte auch die Eigenschaft, über sich selbst lachen zu können, wenn ihm einmal ein Missgeschick passierte. Das fand Schlömer recht sympathisch.

Bis gestern Abend hatten sie mit Dr. Andres im Büro gesessen und die Daten und Messwerte ihres Experiments zusammengefasst und dokumentiert. Er liebte es, Experimente theoretisch vorzubereiten, zu durchdenken und durchzuführen. Das war es, was Wimmer interessierte und immer wieder motivierte, sich in neue Projekte einzuarbeiten. Der anschließende Schriftkram war nicht sein Ding.

Da war Schlömer ganz anders als Wimmer. Wenn es darum ging, Forschungsanträge zu stellen, geschickte Formulierungen zu wählen oder Dokumentationen, die sich an Experimente anschlossen zu verfassen, dann war Schlömer in ihrem Element.

Dr. Andres, ihr Vorgesetzter, war aber in jedem Fall immer die treibende Kraft. Er brannte nur so vor Energie, Einfallsreichtum und Tatkraft. Leerlauf, Langeweile oder Freizeit waren Begriffe, die es in seinem Vokabular scheinbar nicht gab. Seine gesamte Lebensenergie schien er in den Beruf zu stecken.

Sie überquerten den Parkplatz und gingen den gepflasterten Fußweg, der über den Rasen zum Laborgebäude führte. Der Weg war von Blumenbeeten gesäumt und von dichtem Blätterwerk der Baumkronen überdacht. Der Weg wirkte dadurch wie eine kleine Allee.

Sie betraten das Laborgebäude, hielten ihre Ausweise vor das Lesegerät für die Zeiterfassung und gingen weiter über den Flur im Parterre. Sie waren in der glücklichen Lage, das gesamte Gebäude mit einigen Laborräumen und Büros für sich alleine zu haben. Andere Forschungs- und Arbeitsgruppen verteilten sich auf angrenzende Gebäude.

Sie erreichten das Labor. Es überraschte sie nicht, dass die Tür offen stand und alle Räume beleuchtet waren. Dr. Andres war sicherlich auch heute wieder vor ihnen im Labor angekommen und schon fleißig. Oder er war vielleicht wie vorgestern Abend gar nicht erst nach Hause gegangen und war wieder im Labor eingeschlafen.

„Auf Dauer ist sein Lebenswandel nicht sehr gesund“, meinte Schlömer, „der kennt nur seine Arbeit und gönnt sich nie Entspannung oder Abwechslung“.

Wimmer meinte: „Irgendwann bricht er einmal zusammen. Der macht, glaube ich, nie eine Pause.“

„Guten Morgen Dr. Andres!“, rief Schlömer, erhielt aber keine Antwort. Sie hingen ihre Jacken an die Garderobe, durchquerten das Labor und erreichten das Büro.

Schlömer öffnete die Tür, die nur angelehnt war.

„Guten Morgen, Dr. Andres“, rief sie noch einmal.

Auch diesmal erhielt sie keine Antwort.

„Er wird wohl beim Kopierer sein“, meinte Wimmer.

Sie betraten den Raum und was sie dann sahen, füllte sie mit Entsetzen. Sämtliche Aktenschränke, die an der linken Seite des Raumes standen, waren geöffnet. Aus den meisten waren die Schubladen herausgerissen, die auf dem Boden verteilt lagen. Der Fußboden war übersät mit Akten, Unterlagen und Schriftstücken. Die Schreibtische waren verschoben und die Stühle lagen umgekippt auf dem Boden. Die Monitore waren, offenbar durch das Verschieben der Schreibtische, umgefallen.

„Was um Himmels Willen ist hier passiert?“ fragte Wimmer. „Hier sieht es ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.“

Im selben Moment sah er Füße, die unter einem Schreibtisch hervor lugten. Er bückte sich, um unter den Schreibtisch zu sehen. Er erkannte, dass es Dr. Andres war, der dort lag.

„Dr. Andres, Dr. Andres!“, schrie Schlömer.

Dr. Andres rührte sich nicht. Er lag in einer sehr unnatürlichen Stellung unter dem Tisch. Sie zogen ihn vorsichtig an den Füßen unter dem Schreibtisch hervor. Sein Arbeitskittel war zerrissen. Erst als sie ihn ganz heraus gezogen hatten, sahen sie, dass sein Kopf in einer Lache von getrocknetem Blut gelegen hatte. Sein Gesicht war vollständig blutverschmiert. Auch der Arbeitskittel war voller Blut. Dr. Andres war tot.

Schlömer schrie vor Entsetzen.

„Oh, mein Gott“, entfuhr es Wimmer.

Beim Anblick des Toten und des Blutes wurde ihm übel. Er musste schnell aufstehen und wegsehen, wenn er sich nicht übergeben wollte. Schlömer schlug die Hände vor ihr Gesicht und war starr vor Schreck.

„Hier muss ein Kampf stattgefunden haben“, sagte Wimmer, dessen Hände vor Aufregung zitterten.

Alles war in Unordnung. Im Büro sah nichts mehr so aus, wie sie es noch gestern Abend verlassen hatten.

„Ich habe da keine Ahnung von“, schluchzte Schlömer, „ich habe doch noch nie einen Toten gesehen, aber, aber… es sieht aus, als hätte man ihn erschossen.“

Wimmer nickte nur. An der linken Schläfe sah es nach einem Einschussloch aus, wenn es auch durch das viele Blut nicht sofort als solches erkennbar war. Aber auch er hatte noch nie einen Toten, geschweige denn einen Ermordeten, gesehen.

„Vermutlich hast du Recht“, bestätigte er halbherzig und half der kreidebleichen Schlömer, sich auf einen Bürodrehstuhl, den er aufgehoben hatte, zu setzen.

Auch er setzte sich hin und versuchte ruhig durchzuatmen.

Spontan fielen ihm die vielen Fernsehkrimis ein. In den Krimis schienen die beteiligten Personen immer genau zu wissen, womit sie es zu tun hatten.

„Der ist tot, erschossen…“, sagten im Film selbst die unerfahrensten Menschen seelenruhig. „Kripo Köln, hier mein Dienstausweis“, und sofort erkannten auch die unerfahrensten Personen, dass es sich um einen echten Dienstausweis der Polizei handelte.

„Wir müssen sofort die Polizei anrufen“, sagte Schlömer.

„Ja, und wir dürfen in der Zwischenzeit hier nichts mehr anfassen oder verändern, wegen der Spurensicherung“, sagte Wimmer.

„Hoffentlich haben wir nicht schon zu viel verändert. Schließlich haben wir Dr. Andres schon angefasst und unter seinem Schreibtisch hervorgezogen“, sorgte sich Schlömer.

„Nein, das glaube ich nicht“, sagte Wimmer. „Wir mussten doch wenigstens nachsehen, ob die Person unter dem Schreibtisch vielleicht noch lebt. Wir hätten dann vielleicht noch Erste Hilfe leisten können.

Aber bis die Polizei eintrifft müssen wir versuchen, ganz ruhig zu bleiben und zu verstehen, was hier passiert ist… Wir müssen überlegen, wie wir uns verhalten, was wir der Polizei sagen dürfen und was nicht.“

„Wieso überlegen, was wir nicht sagen dürfen? Ist es nicht offensichtlich, was hier passiert ist? Was sollten wir nicht sagen dürfen? Wir haben doch nichts damit zu tun“, sagte Schlömer verwundert.

„Vielleicht hat es etwas mit unserem Experiment von vorgestern zu tun. Ich glaube, die Tragweite ist uns selber noch gar nicht bewusst genug… Wir sollten besser nichts davon sagen“, erklärte Wimmer. Schlömer nickte, war sich aber nicht sicher, ob das nicht die Polizeiarbeit beeinträchtigen würde. Aber vermutlich hatte Sebastian recht.

KAPITEL 2

Rückblende: Mittwoch, 15. Juli

Es war Mittwochabend und schon ziemlich spät. Dr. Andres war im Moment nicht ganz bei der Sache. Er hatte Dienstagabend wieder in der Betriebssportgruppe Basketball gespielt. Neben seinem Beruf war dieser Sport sein einziger Ausgleich.

Seine Eltern waren schon früh gestorben und er hatte keine Geschwister. Da er auch schon seit Jahren keine Beziehung mehr zu einer Frau eingegangen war, bestand sein Leben zurzeit eigentlich nur noch aus der Arbeit im Büro und dem Sport.

Beim Werfen auf die Körbe stieß er gestern auf ein Paradoxon, das Simpson-Paradoxon, das ihn faszinierte. Er zeichnete die folgende Tabelle:

Spieler 1

Spieler 2

Treffer

Würfe

Erfolgsquote

Treffer

Würfe

Erfolgsquote

Versuch 1

10

10

100 %

70

80

87,5 %

Versuch 2

20

30

66,7 %

10

20

50 %

Gesamt

30

40

75 %

80

100

80 %

Spieler 1 und Spieler 2 warfen mit ihren Bällen auf die Körbe. Obwohl Spieler 1 sowohl im ersten als auch im zweiten Versuch jeweils eine bessere Erfolgsquote hatte, hatte Spieler 2 insgesamt die höhere Erfolgsquote. Wie konnte das sein?

„Und was passiert als Nächstes?“, unterbrach Susanne Schlömer seine Gedanken.

„Ganz langsam!“ antwortete Dr. Andres. „Eins nach dem Anderen... Ist die Kugel fest montiert?“

„Ja“, antwortete sie.

Die Kugel hatte einen Durchmesser von 3,50 m und bestand aus einem besonders harten, bruchsicheren und hitzeunempfindlichen Glas. Alleine die Herstellung und die Lieferung dieser Kugel kostete die Abteilung von Dr. Andres ein Vermögen. Schläuche, Kabel, Messgeräte, Schaltungen, verschiedenste Apparaturen und nicht zuletzt das diffuse Licht erweckten den Eindruck als befände man sich im Labor des Dr. Frankenstein. Der gesamte Raum war abgedunkelt, damit die extrem lichtempfindlichen Hochgeschwindigkeitskameras alles, was in der Glaskugel vor sich ging aufnehmen konnten, ohne durch externes Licht gestört zu werden und damit falsche Informationen aufzuzeichnen.

„Ist die Kugel völlig luftleer?“ wollte Dr. Andres wissen.

„Ja“, bestätigte Wimmer, „vollständiges Vakuum“.

„Ist der Wasserstoffbehälter angeschlossen?“

„Ja“

„Dann positionieren Sie bitte die Kameras und stellen Sie sicher, dass sie fixiert sind.“

Dr. Andres war ein hochgewachsener Mann. Er war Ende vierzig, wirkte aber deutlich jünger. Sein volles Haar war nur von wenigen grauen Strähnen durchzogen, die nur, je nachdem wie das Licht einfiel, ein paar silberne Reflexe von sich gaben. Er liebte saloppe Kleidung. Anzüge und Krawatten waren ihm immer ein Gräuel. Aber stets trug er seinen weißen Arbeitskittel. Er arbeitete seit nunmehr fünfzehn Jahren bei CS in Aachen, der alten Kaiserstadt.

Der Standort des Unternehmens war nicht gerade unattraktiv. Aachen liegt unmittelbar im Dreiländereck. Deutschland grenzt hier an Belgien und die Niederlande. Mit der RWTH, der Aachener Hochschule in unmittelbarer Nähe hatte man auch in wissenschaftlicher Hinsicht einen starken Kooperationspartner. Im Süden der Stadt, in einem groß angelegten Gewerbegebiet, hatte man von den meisten Gebäuden aus, zumindest in südliche Richtung einen Blick ins Grüne.

Der allgemeine Trend in Deutschland, die Sprache mit immer mehr Anglizismen anzureichern, hatte auch hier seinen Zugang gefunden. Vor fünf Jahren firmierte das traditionelle Unternehmen Chemiewerke Marberg in „CS“ (Chemical Solutions) um. Der Name passte auch besser zu einem Unternehmen, das sich mittlerweile als „Global Player“ auf den internationalen Märkten etabliert hatte. Zwar hatte CS nur etwa 300 Beschäftigte, spielte aber im Bereich der Hi-Tech-Lösungen eine nicht unbedeutende Rolle.

„Hochenergiestrahler exakt auf Mitte der Kugel ausgerichtet?“ fragte Dr. Andres nach.

„Ja“, antwortete Schlömer, „doch warten Sie, ich messe lieber noch einmal nach.“

Susanne Schlömer und Sebastian Wimmer waren Mitarbeiter von Dr. Andres. Schlömer war deutlich jünger als Dr. Andres, und beeindruckte ihn immer wieder durch ihre Energie und ihre scheinbar niemals enden wollende Neugierde. Außerdem schätzte er an ihr, dass sie auch gerne Routineaufgaben, vor allem schriftliche, erledigte. Ihm und Wimmer war der Schriftkram eher eine Belastung. Schlömer war mit 1,68 m nicht sehr groß, gehörte aber auch nicht mehr zu den kleinen. Ihr langes dunkles Haar trug sie meist offen, heute aber zu einem Pferdeschwanz gebunden, was ihr in Kombination mit ihrer schlanken Figur, dem T-Shirt unter ihrem weißen Kittel, ihrer Jeans und den Turnschuhen etwas Schulmädchenhaftes verlieh.

Alle drei arbeiteten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von CS. Ihre kleine Abteilung war ein Ableger der Forschungsgruppe „Brennstoffzelle“. Seit Monaten untersuchten Sie das Verhalten von Wasserstoff in unterschiedlichsten Umgebungen, in Kombination mit unterschiedlichsten Gasen und unter Zuführung unterschiedlichster Energiemengen.

„Alle Hochenergiestrahler exakt auf das Zentrum der Kugel fokussiert“, bestätigte Schlömer.

Heute sollte eine Wasserstoffreaktion herbeigeführt werden, bei der der gesamte Explosions- und Verbrennungsprozess akribisch dokumentiert werden würde.

Wie in vielen anderen Forschungsbereichen auch, hatten ihre Experimente immer etwas Ungewisses. Sicherlich, man wollte mit dem Experiment ein bestimmtes Resultat erzielen. Man hatte einen gewissen Plan, eine gewisse Vorstellung und stellte umfangreiche Überlegungen und Berechnungen an. Aber letztlich konnte man nur hoffen, ein interessantes, brauchbares und damit vermarktbares Ergebnis zu erzielen, ohne wirklich genau zu wissen, was tatsächlich als Ergebnis des Experiments herauskommen würde.

Das ist auch in vielen Bereichen der medizinischen Forschung so. Millionenbeträge werden in die Forschung und in die Entwicklung neuer Medikamente gesteckt. Vielleicht findet man dabei irgendwann einmal ein Mittel gegen die Geißeln unserer Gesellschaft, Krebs und Aids. Oder man findet es trotz intensivster Bemühungen und Forschungen eben nicht. Und wenn man aus Forschersicht Pech hat, findet es die Konkurrenz auch noch eher.

Für die enorme Energie, die bei diesem Experiment zum Einsatz kommen sollte, wurden im Labor erstmalig Hochtemperatursupraleitungen aus Yttriumbariumkupferoxid eingesetzt, die bereits bei -135° C vergleichsweise kostengünstig supraleitend sind. Energieverluste durch den Widerstand des leitenden Mediums, der sich insbesondere durch Abgabe von Wärme bemerkbar macht, wurden dadurch vermieden.

Um die Kugel würde während des Experiments ein hochenergetisches Magnetfeld dafür sorgen, dass eventuell die Kugel verlassende Energien aufgefangen würden, ohne dass das Labor dabei in Schutt und Asche gelegt würde. Sicherheit genoss bei Dr. Andres stets höchste Priorität.

„Ich bin alle Sicherheitsvorkehrungen noch einmal durchgegangen. Ich bin mir sicher, dass uns kein Fehler unterlaufen ist. Susanne, jetzt wird es ernst“.

Susanne nannte Dr. Andres seine Assistentin nur dann, wenn er entweder sehr gut gelaunt oder extrem angespannt war.

„Ab in den Sicherheitsraum und dann wird gezündet“.

Schlömer hatte bereits viele Experimente mit Dr. Andres gemeinsam durchgeführt. Sie kannte ihn als akribisch genauen Wissenschaftler und Forscher, der ein Experiment selbst bei der geringsten Unstimmigkeit unterbrach, um den Fehler zu finden und zu beheben. Obwohl sie ihm sehr vertraute, blieb doch eine gewisse Nervosität übrig. Nie hatten sie diese Energiemengen auf einmal freigesetzt.

Vermutlich würde ein energiereiches Plasma entstehen. Über die gemessene Energiemenge, Temperatur und Strahlungsdauer erhoffte das Team neue, kleine Puzzlestückchen im Gesamtbild ihrer Grundlagenforschung zu gewinnen.

„Wasserstoff freigeben!“, „Ionisierte Gase freigeben!“,

„Magnetfeld aktivieren!“ befahl Dr. Andres.

„Wasserstoff freigegeben, Gase freigegeben, Magnetfeld ist aktiviert“ bestätigte Wimmer.

Auf den Bildschirmen erschienen grüne Symbole als Bestätigung, dass die Anlage störungsfrei lief. Das dumpfe Brummen der Aggregate lieferte dazu den hörbaren Beweis, dass das Magnetfeld aufgebaut war.

„Drei, zwei, eins, … go!“ Dr. Andres drückte den entscheidenden Knopf.

Eine ohrenbetäubende Detonation ließ die Wände des Schutzraumes erzittern, obwohl er zwanzig Meter Luftlinie von der Kugel, getrennt durch massive Wände und diverse Gänge, entfernt lag. Das gesamte Gebäude schien sich zu bewegen.

Und dann kehrte fast augenblicklich absolute Ruhe ein. Erst nach einer halben Minute, einer gefühlten Ewigkeit, waren ihre Ohren wieder in der Lage, das Brummen der Aggregate zu hören.

Schlömer schaltete das Magnetfeld aus. Jetzt wurde es ganz ruhig. Nervliche Anspannung lag fühlbar in der Luft.

Aufgeregt liefen die drei zum Labor. War die Kugel explodiert? Hatte das Magnetfeld standgehalten? Was hatten die Kameras, die in sicherer Entfernung aufgebaut waren, aufgezeichnet? Würde man überhaupt irgendwelche Erkenntnisse aus dem Experiment gewinnen oder in Kürze das Gespött der Kollegen ertragen müssen: „Mensch, Andres, die Kugel hättest du auch mit weniger Geldmitteln zerdeppern können.“

So oder so ähnlich malte sich Andres schon die Kommentare aus, falls sein Experiment gescheitert wäre. Schlagzeilen in den Zeitungen würden von einem verrückten Pseudowissenschaftler berichten, der ein Labor in die Luft sprengte. Die Fachwelt würde ihn zerreißen. Seine wissenschaftliche Karriere wäre vermutlich zu Ende.

Sie erreichten den Raum, betraten ihn vorsichtig, betätigten die Lichtschalter und sahen sich um.

Sie sahen vor sich ein völlig unspektakuläres Labor. Alle Gerätschaften, Kabel, Schläuche waren unverändert in ihrer Ausgangsposition. Nichts schien sich verändert zu haben. Etwas verwirrt und enttäuscht näherten sie sich der Kugel. Selbst diese schien völlig unverändert. Nur bei genauem Hinsehen konnte man am Boden der Kugel ein wenig dunklen Staub erkennen.

„Schlömer, ich glaube, das war der teuerste und ergebnisloseste Knall unserer bisherigen gemeinsamen Forschung“, sagte Dr. Andres.

Schlömer stand daneben, den Tränen nahe, unfähig zu antworten.

Andres sagte: „Aber zur Routine unserer Forschung gehört, dass wir das Experiment, unabhängig vom Ausgang, gewissenhaft und vollständig dokumentieren und abschließen.“

„Ich beginne schon einmal mit den Protokollarbeiten“, seufzte Schlömer.

„Wimmer, Sie sammeln bitte den Staub aus der Kugel hier in diesen Behälter. Und ich überspiele die Daten der Kameras“, ergänzte Andres, und begab sich in das angrenzende Büro.