Parkfried - Guido Jungwirth - E-Book

Parkfried E-Book

Guido Jungwirth

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Beschreibung

Der Roman beschreibt das Schicksal einer böhmischen Bauernfamilie vor dem Hintergrund der wechselvollen mitteleuropäischen Geschichte des 19.und 20.Jahrhunderts

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Für Matti

Inhaltsverzeichnis.

Vorwort

Michel

Vaters Zorn

Nannerls Idee

Johanna

Das Wolfsauslassen

Das Ultimatum

Die doppelte Braut

Das Geheimnis wird gelüftet

Das Hochzeitsritual

Fürst Weißenthal

Aktienhysterie

Matthäus

Das Monstrum

Die Einweihung

Die Feile

Johannas Erschrecken

Die Entdeckung

Die Visitation

Das Steeplechase von Padubitz

Die Audienz

Eine schwierige Geburt

Johann

Matthäus zieht in den Krieg

Die Musterung

Drill

Vorboten des Grauen

Königgrätz

Elisabeth Herbst

Faschingstreiben

Man kommt sich näher

Ein mütterlicher Rat

Eine Wunderpflanze

Bedenken

Das höllische Feuer

Die Weltausstellung in Wien

Grossartiges Wien

Kurssturz

Kaiphas

Simon

Der Besuch in der Färberwerkstatt

Ritter von Schwenk

Grosse Pläne

Vater und Sohn

Eine turbulente Dorfversammlung

Ein Erlebnis mit der Bahn I

Ein Erlebnis mit der Bahn II

Ein unmoralisches Angebot

Die Arretierung

Schwenks tragisches Ende

Die Festung Spielberg

Umerziehungspläne

Kaiphas Flucht

Krumau

Elisabeths Zusammenbruch

Die Exorzisten

Die Methoden des Dr.Steinbrecher

Niedernhart

Überm großen Teich

Stanislaw

New York

Simon macht sich unbeliebt

Kaiphas wird es langweilig

Die Papiermühle in Wettern

Der Auftrag

Die Tochter des Direktors

Der Angriff der Wölfe

Alisah

Das Plakat

Haft oder Ehe?

Die Halacha

Die Einladung

Das Wiedersehen

Das Liebesnest

Otto Weiss

Ein weiterer Krieg beginnt

Sankt Margarethen

Die Direktoriumssitzung

Kriegserlebnisse

Camouflage

Matthäus Welt bricht zusammen

Kaiser Karl I

Das Testament

Kaiphas Rückkehr

Eine neue Republik

Die ungleichen Brüder

Simon schreibt an den Präsidenten

Die Pläne von Weiss

Der Kran

Der Sturm

Der Gesellschaftsvertrag

Dunkle Machenschaften

Sabotage

Wirtschaftskrise

Bertl

Spielball der Mächte

Heim ins Reich

Schwere Zeiten

Die Macht des kleinen Mannes

Johannas Hochzeitsnacht

Abtransport

Pimpfenprüfung

Der Besuch der Delegation

Der Befehl

Zusammenbruch

Rückkehr auf den Seitl Hof

Bertls Pläne

Simons Entscheidung

Vertreibung

Planwirtschaft

Berching

Die Prophezeiung

Lastenausgleich

Der Kreis schließt sich

#

Vorwort

Nach rund 750 Kilometern war es endlich so weit. Das Ziel war in greifbarer Nähe gerückt. Schon längst hatte ich die Autobahn verlassen, der PKW der Kompaktklasse folgte der kurvigen, einigermaßen gut ausgebauten Landstraße, auf dem der Gegenverkehr immer spärlicher wurde.

An diesem frühherbstlichen, trockenen Tag war die Sonne dabei sich zu verabschieden. Die ersten Vorboten der dräuenden Dunkelheit kündigten sich an.

Es waren noch gut 80 Kilometer bis ins südböhmische Trebon, wo ein Hotelzimmer auf uns wartete. Doch vorher wollten wir noch unbedingt in Parkfried (heute Bela) bzw. Salnau (heute Zelnava) anhalten.

Wir, das waren meine Eltern und ich. Besonders gespannt war ich auf die Reaktion meines Vaters, war er doch vor über 70 Jahren in Salnau eingeschult worden.

Als ich mit dem Hobby der Ahnenforschung angefangen hatte, war sehr schnell war in mir der Plan herangereift, die Stätten meiner Vorfahren im Böhmerwald aufzusuchen. Meine Eltern konnte ich sehr schnell für die Idee einer gemeinsamen Fahrt nach Böhmen begeistern.

Die sanfte Hügelkette der böhmischen Landschaft schmeichelte dem Auge, sofern man sich nicht auf den Straßenverkehr konzentrieren musste.

Hinter einem Hügel tauchte in der Ferne am Rande der Landstraße eine Kirche auf.

„Diese Kirche kenne ich“, rief begeistert mein Vater, der neben mir auf dem Beifahrersitz sass.

„Du kennst die Kirche?“, fragte ich zweifelnd nach.

„Ja, das muss die Kirche von Salnau sein. Hier bin ich eingeschult worden“, bemerkte mein Vater durchaus stolz.

„Wir können ja dort kurz anhalten“, schlug ich vor.

Meine Eltern waren einverstanden, und so lenkte ich den Toyota auf dem kleinen Parkplatz, direkt vor dem Eingang zum Kirchengelände.

Eine halbmannshohe Mauer umschloss das im Stile des Barocks errichtete Gottesgebäude. Das renovierte Dach des Kirchenschiffes und die frische Farbe des kompletten Anstriches zeugten von Erneuerungsarbeiten, die vor nicht allzu langer Zeit durchgeführt worden waren. Die Kirche strahlte in Ihrem guten Zustand auf mich eine Ruhe und Zuverlässigkeit aus, wie sonst selten ein Raum der Glaubensausübung.

Besonders faszinierte mich der kleine Friedhof, der sich zwischen Mauer und dem Kirchengebäude befand. Viele Grabstätten waren in einem durchaus gepflegten Zustand, mit frisch geputzten Grabsteinen und von fleißigen Nachfahren hingestellten Blumensträußen. Rasch wuchs das Interesse des Ahnenforschers in mir, die einzelnen, teils stark verwitterten Inschriften der Grabsteine zu entziffern. Viele mir wohlbekannten Namen konnte ich lesen: “Raschko“, „Czech“, „Spitzenberger“, „Herbst“ und derer Namen viele mehr.

Auch mein Vater schien sich hier durchaus wohlzufühlen.

„Erstaunlich, wie gut erhalten das Kirchengebäude ist. Es kommt mir vor, als wäre die Zeit stillgestanden. Ich fühle mich wieder, wie als Schuljunge“, schwärmte mein Vater.

Leider war die Tür zum Kirchengebäude verschlossen, so dass das Kircheninnere uns unbekannt blieb, welches wir alle bedauerten.

Wir wollten wieder aufbrechen.

„Nicht weit von hier, müsste Parkfried liegen, wo wir Jungwirths unseren Hof hatten. Wollen wir da mal kurz anhalten?“

„Selbstverständlich“, pflichtete ich bei, die Tatsache ausblendend, dass wir noch gut 80 Kilometer Weg noch vor uns hatten.

Rasch bestiegen wir wieder das Automobil. Ich startete den Motor und wir begaben uns auf den Weg in das nahe Parkfried, welches jetzt Bela heißt.

Den kurzen Weg dorthin geriet mein Vater ins Schwärmen. Er erzählte von dem großzügigen Hof der Jungwirths, von dem Teich vor dem Eingang, den Stallungen und von dem Gesinde der Jungwirths.

„Wieso warst Du überhaupt hier gewesen“, wollte ich wissen, „ Du bist doch in Moers geboren?“

„Wir sind hierhin wegen der schlimmen Bombenangriffe während des Krieges, und hier im Böhmerwald war es ruhig. Meine Großmutter erinnerte sich des Hofes Ihres Bruders und schlug vor, hierhin zu ziehen. Und so sind meine Großeltern, meine Mutter und eine Tante von mir nach Parkfried gereist“.

„Und wie lange seid Ihr hier im Böhmerwald bei Euren Verwandten geblieben?“

Mein Vater musste kurz nachdenken:

„Mmh, ich glaube nur ein knappes Jahr. Es gab da, so glaube ich, Streit zwischen meiner Großmutter und Ihrem Bruder dem Hofbesitzer. Kaphas, so hieß der, ein unangenehmer Mensch.“

Ich musste leicht lächeln, ob des Namens.

Mittlerweile hatten wir das Ortseingangsschild von Bela passiert.

Ich benötigte von meinem Vater Orientierung:

„Kannst Du Dich noch erinnern, wo genau der Hof lag?“

„Mmh. Parkfried war ja nicht besonders groß. Es waren nur einige wenige Höfe, vielleicht 15. Ich meine es war am Ortsende, so, in Richtung der Bahnlinie nach Oberplan. Fahr noch ein Stück weiter.“

Ich folgte langsam der Hauptstraße, die mitten durch den Ort führte, bis wir ans Ende des Ortes angekommen waren. Wir hielten am Straßenrand an.

Mein Vater schien irritiert:

„Aber hier muss doch der Hof gestanden haben. Ich bin mir da jetzt sicher.“

Ich schaute mich um: „Die ganzen Gebäude hier sind nicht besonders alt. Die sind wohl nach dem zweiten Weltkrieg gebaut worden.

Mein Vater nickte: „Ich denke, dass die Tschechen hier alles nach dem Kriege dem Boden gleich gemacht haben. Kein Wunder, bei dem, was wir Deutschen denen angetan hatten.“

Meine Mutter, die sich bisher sehr zurückgehalten hatte, mischte sich in die Diskussion ein.

„Ihr Lieben. Seid mir nicht böse, aber die Fahrt hat mich doch sehr ermüdet, und es ist ja noch ein Stück bis zum Hotel. Wollen wir nicht weiterfahren?“

Wir waren ein verstanden, und machten uns auf den Weg nach Trebon.

Als ich spätabends im Hotelzimmer im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Meine Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit:

Wie war dieser Kaiphas wirklich?

Wie war es damals so auf einem Hof gelebt zu haben?

Wie waren Kaiphas Eltern, seine Großeltern?

Hatte er Geschwister?

Und so entspann langsam der Gedanke einen Roman über den Hof zu schreiben, über den Seitl Hof in Parkfried.

Michel

Die Sonne brannte schon erbarmungslos von Firmament herab, obwohl es gerade erst elf Uhr war. Der Sommer des Jahres 1842 war für die örtliche Landwirtschaft ideal: wenig regenreiche Wochen und lange warme Sommertage. Golden glänzte das Getreide auf den Feldern mit der Sommersonne um die Wette, als ob es seiner Ernte freudig entgegensehe.

Schon viel früher am Morgen waren die stolzen Bauern des Dorfes Parkfried mit ihren Knechten und Mägden ausgezogen, um die Erträge ihrer mühevollen Arbeit einzufahren. So wie es ihre Väter und zuvor deren Väter schon seit Jahren und Jahrzehnten, ja gar seit Jahrhunderten betrieben haben, so waren auch heuer wieder alle aufgerufen, mitanzupacken. Die Erntezeit war die Hauptarbeitszeit in einer ländlichen Gemeinschaft.

Auch die Werkzeuge der harten Erntetätigkeit hatten sich im Lauf der vielen Jahre kaum verändert. Mit Sichel vorwiegend von den Frauen benutzt, und Sensen, den männlichen Arbeitern vorbehalten, ging man voran. Waren genügend Getreidehalme zusammengeklaubt, band man diese zu Garben zusammen, die dann wie riesige Puppen auf den Feldern standen, irgendwie unheimlich und an vorzeitliche Monster erinnernd. Maschinen fand man hier vergebens, man führte die archaische Arbeit allein von Hand aus, schweigend und konzentriert. Die Sonne knallte so brutal auf die Dörfler herab, dass es höchste Zeit für eine verdiente Pause war.

Anna Maria, die Besitzerin des Seitl-Hofes, war schon unten im Dorf gewesen, um gemeinsam mit der Magd Resi das Mittagessen heraufzuholen. Ein gemeinsames Mittagessen auf dem Feld, das stärkte die Kräfte und vergrößerte das Gemeinschaftsgefühl. Freudig erwarteten die fleißigen Helfer Anna Maria und die Resi. Die Körbe voller Speisen dufteten schon von weitem und ließen das Wasser in den Mündern der Bauern kräftig zusammenlaufen. Die Bäuerin bereitete die Köstlichkeiten auf der ausgelegten Decke aus. Was hier präsentiert wurde, ließ die Herzen höherschlagen. Allein dafür hatte sich die Anstrengung gelohnt. Eingelegter Hermelinkäse kitzelte fröhlich in den Nasen. Schmalz und Grammeln aus ausgebratenen Schweinespeck dampften noch warm in den mitgebrachten Töpfen. Wer es gern süß mochte, konnte sich an herrlichen Buchteln oder Kolatschen sattessen. Dazu gab es dunkles, warmes Bier. Gut gelaunt und laut schmatzend wurden die Köstlichkeiten verzehrt. Eine wohlige Friedlichkeit breitete sich aus.

Der Besitzer des Seitl-Hofes in Parkfried unterbrach als Erster die gelöste Stimmung. »So eine schöne Arbeits- und Hofgemeinschaft sind wir, aber der Hoferbe lässt sich weit und breit nicht blicken.« Wie immer, wenn Johann Nepomuk Jungbauer etwas äußerte, trat eine respektvolle Pause ein. Es mochte daran liegen, dass er nicht sehr oft das Wort ergriff, aber auch daran, dass er wegen seiner Klugheit als eine Art Respektsperson im Dorf Parkfried galt.

Beim Sprechen streckte der Landwirt den Kopf weit vor, wie ein Specht, der einen Baumstamm beackert. Jungbauers Schädel unterschied sich deutlich von den anderen typischen Bauernschädeln dieser Gegend. Trotz der fast schon 70 Jahre, die Jungbauer zählte, ruhte der cäsarenhaft edle Kopf, von einem vollen Haarkranz gekrönt, auf einem schlanken, noch athletischen Körper. Die lange Nase des Sprechenden störte das Gesamtbild keineswegs, vielmehr verlieh sie dem Gesicht etwas aristokratisch-Vornehmes. Anders, als die in dieser Gegend häufig vorkommende weiche Mundpartie, waren die Lippen des Jungbauer Johann fein gezeichnet, wie mit dem Bleistift gezogen. Die tiefen Falten, die das majestätische Antlitz Jungbauers zierten, waren stumme Zeugen der Vergangenheit, in der der Hofbesitzer schon so einiges erleben und erleiden musste. Manche Leute drohen an Herausforderungen zu scheitern, andere werden zynisch oder bitten andere um Mithilfe oder um Mitleid. Nichts davon entsprach dem Naturell des Jungbauer Johann. Wie ein Naturwissenschaftler analysierte er jede Situation, jedes Ereignis wurde von allen möglichen Seiten analysiert, bevor er Konsequenzen zog. Mit dieser Haltung hatte es Jungbauer geschafft, den Hof weise und ruhig über vierzig Jahre zu führen.

So stand der Ackersmann selbst wieder auf, klopfte die Kleidung sauber und machte sich an die Arbeit. Die anderen folgten ihm stumm und gehorsam.

In der Tat war es schon sehr merkwürdig, dass die beiden Ältesten des Hofes, Johann Nepomuk und seine Gattin Anna Maria, geborene Czech, hier bei diesem anstrengenden Werk anzutreffen waren, während ihr Sohn, der aufgrund seines Geburtsrechts auserkorene Hoferbe, durch Abwesenheit glänzte. Die verbliebenen unverheirateten Töchter Jungbauers halfen ebenso fleißig mit wie die hinzugezogenen Tagelöhner, Knechte und Mägde des Gutes. Doch der Sohn des Hofbesitzers fehlte wieder einmal. Weit und breit war er nicht aufzufinden. Doch alles Grübeln half nicht. Die Ernte musste eingebracht werden, und zwar hier und jetzt

Das Gesinde machte sich ohne großes Murren an die Arbeit. Als gemeinsames Ziel winkte ein großartiges, deftiges Abendessen zum Ausklang des Tagewerks. Noch einmal schärften die Männer die Sensen und Sicheln mit dem Wetzstein, dabei blitzte das Metall hell in der Sonne, dass es eine rechte Mühe war, genau hinzuschauen. Das leise Geräusch beim Mähen, das eher an einen Luftzug erinnerte, hatte etwas Bedrohliches in sich.

Die mechanischen, immer gleichen Arbeitsschritte erforderten keine besondere Konzentration von Seiten der Ausführenden, so dass die Gedanken bei den Feldleuten schnell abwichen von der monotonen Tätigkeit, und sich wie laue Sommerwolken in den Himmel erhoben. Sogar Jungbauer selber, der Anführer der Rotte, war mit dem Kopf bei etwas anderem. Er musste doch darüber nachgrübeln, wie das alles in Zukunft werden sollte. Er hatte längst ein Alter erreicht, wo die Übergabe des Hofes an die nächste Generation erfolgen sollte. So war es immer gewesen. Bei seinem Vater, dessen Vater und dessen Ahnen. So war es schon beim Stammherren der Jungbauer gewesen, dem Motzl Jungbauer, der den Hof 1632 für 30 Taler erstanden hatte. Immer war das Anwesen auf den ältesten Sohn übertragen worden. Wenn der Stammhalter nicht die notwendige Fähigkeit zum Führen eines Hofes besitzen sollte, dann wurde der nächste Sprössling mit der Aufgabe betraut. War kein weiterer männlicher Nachfahre greifbar, musste notgedrungen der Hof an einen Schwiegersohn, oder bei Absenz eines solchen gar an einen fähigen Knecht übertragen werden.

Jungbauer vertrieb die dunklen Gedanken lieber. Dankbar ließ sich sein Zerebrum von seinem Gehörorgan unterbrechen, das ihm eine liebenswerte, eingängige Melodie zutrug, die das eintönige Mähgeräusch übertönte und seinem Ohr schmeichelte. Die Sinnesorgane des Bauern identifizierten ein fröhliches Pfeifen, welches einen aktuellen Gassenhauer wiedergab. Der Verursacher des Musizierens war schnell identifiziert.

Von der Landstraße aus der Richtung von Wallern her kündete eine mächtige Staubwolke vom Herankommen eines einsamen Wanderers, der das lustige Liedchen auf den Lippen hatte. Die Umrisse des Wandervogels wurden immer eindeutiger, je näher er der Arbeitergruppe kam. Zuerst bemerkten diese, dass der Ausflügler eher klein von Wuchs war. Als prägendes Merkmal sah man einen mächtigen Schnauzbart, der struppig und modisch geschnitten das Gesicht dominierte. Beim weiteren Herankommen war man tief beeindruckt von den dunklen Augen, die aus tiefen Höhlen dem Betrachter schmeichelten. Ein Grübchen, lustig in die Mitte des wuchtigen Kinnes platziert, unterstrich die wohlwollenden Züge des ovalen Gesichtes. Doch alles, wirklich alles, wurde bei dem Spaziergänger überstrahlt durch die vollkommen untypische Kleidung. Sie unterschied sich so deutlich von den einfachen, eher schon ärmlichen Kleidungsstücken der anwesenden Landarbeiter, dass man meinen könnte, er käme von einem anderen Stern. Trugen die Landbewohner eher grobe Arbeitskittel, so schmückte den Herren ein moderner Anzug, welcher von einem schnörkellosen und glatten Jackett eingefasst wurde. Während die Bauern löchrige Pantinen aus Holz oder Leinenstoff an den Füssen hatten, ging der Wanderer in geschnürten Herrenstiefeletten, die glänzten wie eine blankgeputzte Münze. Gekrönt wurde die Bekleidung durch eine gewieft geknotete Krawatte, ein Kleidungsstück, welches die braven Bewohner des Dorfes Parkfried niemals vorhergesehen hatten. Mit anderen Worten: Was die Erntenden hier erblickten, sorgte für einen vollkommenen kulturellen Schock.

Umso mehr, als dass der illustre Wanderer kein anderer war als Michael Jungbauer, der älteste Sohn des Hofbesitzers Johann Nepomuk Jungbauer. Mit irritierten, staunenden Blicken wurde der Ankömmling begrüßt. Dieser schien die Aufregung zu genießen. Mit seinem modischen Spazierstock machte er eine ausholende, einladende Geste, die er um einen altmodischen Kratzfuß ergänzte. »Welch ein idyllisches Stillleben sich mir hier bietet, wunderbar, wunderbar. Maler müsste man sein, um dieses Bild für immer auf Leinwand zu bannen.« Die Stimme des Spaziergängers klang weit weniger kehlig als die der meisten Bewohner dieser Gegend.

Still und staunend starrten die Dörfler den Dandy an. Auch die Eltern schienen ob der seltsamen Erscheinung des Sprösslings unfähig, etwas von sich zu geben.

Gar nicht auf den Mund gefallen war hingegen dieser selbst, der bester Stimmung zu sein schien. Mit grazilen Schritten stolzierte er auf seine Eltern zu und umarmte seine Mutter stürmisch, als hätte er sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Diese ließ sich gerne von ihrem Sohn in die Arme schließen und herumwirbeln. »Da ist ja meine liebste Mutter, gut schaust du aus, so wie immer. Du scheinst ja gar nicht zu altern.« Nach einem kräftigen Busserl auf die Wange der Mama wandte sich Michael einem Landbewohner nach dem anderen zu. Für jeden Anwesenden hatte er ein passendes Wort parat, mit dem er jedem ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Nur Johann Jungbauer stand etwas abseits und betrachtete das Ganze distanziert. Michaels Bewegung schien etwas von ihrer Dynamik einzubüßen, sobald er sich dem strengen Antlitz des Vaters zuwandte. Nur kurz begegneten sich beider Blicke. Johann drehte sich nur ab, spuckte kräftig aus und wandte sich wieder der Feldarbeit zu.

Vaters Zorn

Abends saß die Familie beim gemeinsamen Essen; die einen müde von der anstrengenden Arbeit in der heißen Sonne, der andere, Michael, hingegen immer noch aufgekratzt, erzählte von den Ereignissen des vorangegangenen Abends. Um sich geschart hatte er eine überwiegend weibliche Zuhörerschaft, seine drei Schwestern, seine Mutter und das neugierige Dienstpersonal. Mit klar geschliffenen Formulierungen und interessanten Geschichten konnte er das Publikum durchaus fesseln. Michaels Erzählungen waren so auch eine willkommene Abwechslung zu den sonstigen langweiligen Abendbeschäftigungen.

Den Abend hatte er recht gemütlich mit dem Osen-Seppi, dem Webinger-Mathias sowie dem Raschko-Wenzl bei einem zünftigen Schafskopfspiel verbracht. Dabei wurde so manches Glas Wein und so mancher Humpen Bier eingenommen, sodass der Abend recht kurzweilig verlief. Das Spiel stand lange recht unentschieden, es ging munter hin und her, und so manches Sümmchen wurde eingesetzt und wieder verloren.

Michael war ein Mensch, dem sehr schnell langweilig wurde, der immer der schnellen Abwechslung bedurfte, erst recht, wenn Alkohol im Spiel war. So räumte er die gewohnten Schafkopfkarten beiseite und packte das schärfere, gerade erst in Mode gekommene Pharo aus. Die Einsätze wurden höher, und es ging auch unter den Herren hitziger zu.

Trotzdem war Michaels ungewöhnliche hoher Appetit nach Unterhaltung und Spaß immer noch nicht gestillt. »Nun, es gibt da in Budweis ein Etablissement, wo junge und anschauliche Damen auftreten, die ein Gesangsstück nach dem anderen zum Besten geben. Es gibt da die dunkle Katharina, die Augen wie Kaffeebohnen hat, oder Mary aus Karlsbad, mit einer Haut soll hell wie Schnee, oder die Loisie mit feuerrotem Haar, das leuchtet wie die Sonne beim Untergang am Abend, oder …«

»Genug! Es ist genug!« Johann haute mit der blanken Faust auf den Holztisch, dass die Gläser anfingen zu tanzen. Das Familienoberhaupt hatte die ganze Zeit während der Erzählungen seines Sohnes unbeteiligt auf seinem Platz gesessen. Aber nun war er der Geschichten scheinbar überdrüssig. »Ich mag dieses wirre Gefasel nicht mehr hören. Es beleidigt meine Ohren. Es ist besser, wenn du nun ins Bett gehst und deinen Rausch ausschläfst.«

Michael eignete sich zwar zum charmanten Plauderer und Lebemann, aber ein Rebell, das war er nicht. So schlich er von dannen wie ein geprügelter Hund.

Die Frauen der Familie schienen enttäuscht. Sie hätten gerne noch mehr von Kathi und Mary oder der Loisie erfahren, aber das Oberhaupt der Familie hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. So gingen sie auch recht bald ins Bett, während Johann noch länger wachblieb und grübelte.

Nannerls Idee

Am nächsten Morgen stand Johann Jungbauer als erster der Familie auf. Das war ansonsten nichts Außergewöhnliches, weil der Hofbesitzer meistens mit fünf, sechs Stunden Schlaf auszukommen vermochte. Heute war es aber etwas anderes. Johann hatte nicht wegen der Missernten oder Unwetter wachgelegen, nein, der Grund der Unruhe war familiärer Natur. Die ganze Nacht hatte er sich das Hirn zermartert, wie es mit seinem Ältesten weitergehen sollte. Verschiedene Handlungsoptionen kamen ihm in den Sinn und wurden sofort wieder verworfen.

Enterben und an die potenziellen Schwiegersöhne weitergeben – undenkbar, der Jungbauer Hof musste in Familienbesitz bleiben.

Michael erst einmal zum Militär schicken, um ihn zur Vernunft zu bringen – doch wer weiß, wie sich Michael während des Militärdienstes entwickelte. Vielleicht würde er innerlich am harten Drill zerbrechen oder desertieren.

Ihn zu einer Art Kostgeld zwingen, damit er von seinen teuren Liebhabereien abließ. Auch nicht zu empfehlen, weil Michael dann vielleicht sogar kriminell würde, um seine Süchte zu befriedigen.

Johann konnte es drehen und wenden, er fand keine befriedigende Lösung.

Mittlerweile waren auch die anderen Mitglieder der Jungbauer Familie aufgestanden und umschwirrten ihr Familienoberhaupt. Von beiden Seiten busselten die Töchter Theresia und Maria Anna ihren Vater.

Maria Anna, in der Familie herzlich Nannerl genannt, bemerkte als erste, dass etwas mit dem Vater nicht stimmte: »Was schaust denn so grimmig, Vater?«

»Es ist nichts, gar nichts.« Johann reagierte etwas unwirsch.

»Aber du schaust so griesgrämig, als ob du den Teufel höchstpersönlich gesehen hättest«, mischte sich auch Tochter Theresia, auch Resi genannt, in die Diskussion ein.

Johann zog es jedoch vor zu schweigen.

Nannerl hatte von dem Vater eine gehörige Portion emotionale Intelligenz geerbt. Sie fühlte und ahnte, was der Grund für das väterliche Schweigen war. »Du bist so unruhig wegen dem Michael, gib es ruhig zu.«

Johann ließ ein zustimmendes Grummeln vernehmen. »Dachte ich es mir doch, dass es wegen dem Buben ist.« Nannerl zeigte beim Lächeln ihre glitzernden Zahnreihen.

Resi, die ihre Schwester in Sachen Intelligenz keinesfalls überflügeln konnte, wollte lieber zu den wichtigen Dingen des Tages übergehen. »Mir ist das hier zu blöd, immer nur Michel. Alles dreht sich um ihn, wie um einen kleinen Prinzen. Ich habe genug. Ich möchte nun endlich etwas essen.«

Alle begannen zu lachen. Sogar Johann ließ sich etwas aufheitern.

Bei der Brotzeit kam Nannerl auf das belastende Thema zurück. »Ich denke, ich habe da so eine Idee, wie man dem Michel auf die Beine helfen kann. Er ist ja eigentlich ein gutmütiger Mensch. Mich erinnert er manchmal an einen wilden Hengst. Ein bisschen wild und sprunghaft, aber wenn da ein guter Reiter ist, oder eine gute Reiterin, dann kann man aus dem Rassepferd so etwas wie einen Ackergaul machen.«

Resi begann lauthals zu lachen. »Genau der Michel kriegt ein Geschirr umgelegt. Ha, ha, ha. »

»Blöde Gans. Du verstehst mal wieder gar nichts. Nein, ich meine das wirklich ernsthaft.«

Johann war durchaus an dem interessiert, was seine älteste Tochter vorschlug. »Wie meinst du das denn genau, Nannerl?«

»Nun, ich denke, wenn der Michel die richtige Frau an seiner Seite hätte, dass er dann wieder auf den rechten Weg käme. Zumindest würde eine tüchtige Frau dazu beitragen, dass später die Leitung des Hofes nicht aus dem Ruder laufen würde. Mir schwebt da so eine Person vor, die lebensklug, zupackend und von einer robusten Natur ist. Das wäre die richtige Frau für unseren Michel.«

Johann lächelte. »Und an wen hättest du da gedacht?«

Nannerl strahlte über das ganze Gesicht. „Sag ich nicht, aber ihr werdet es schon sehen.«

Mit diesen Worten sprang Nannerl auf und drückte dem Papa einen mächtigen Schmatzer auf die Stirnglatze.

Johanna

Wie immer vor dem Kirchgang brach Nannerl allein auf, weil sie ihre alte Schulfreundin, die Schacherl-Johanna vom väterlichen Hof abholen wollte, um mit ihr zur Kirche zu wandern. Dabei konnte man sich so wunderbar austauschen, was so alles in letzter Zeit im Mikrokosmos Parkfried und Umgebung passiert war.

Wie immer, wenn Nannerl den Schacherl-Hof besuchte, kam es ihr vor, als beträte sie einen Taubenschlag. Schon von weitem war lautes Getöse und Gelärm zu vernehmen. In Sichtweite bot sich Nannerl ein Bild, welches die einen als vollkommenes Chaos, die anderen als aktives Familienleben bezeichnen würden. Ihre Freundin war gerade damit beschäftigt, mit energischen Schlägen Rahm in einem Butterfass zu schlagen. Dabei hatte ein jüngerer Bruder von Johanna die Arme um Johannas Hals geschlungen, um ihren Körper als Klettergerüst zu benutzen. Währenddessen war ein weiterer Bruder von Johanna damit beschäftigt, der jüngeren Schwester ein Spielzeug wegzunehmen, was in heftigen Heulattacken endete. Übertroffen wurde das Getöse nur durch den Hofhund, der durch heftiges Gebell auf sich aufmerksam machen wollte.

Der Bruder, der sich um Johannas Hals geschlungen hatte, war der erste, der die Besucherin erblickte. »Guck mal da, die Nannerl«, krakeelte er. Dabei kniff er seiner Schwester in das Ohrläppchen.

Erst jetzt bemerkte Johanna Schacherl, dass ihre Freundin vor ihr stand.

»Nannerl, was machst du denn hier? Ach Gott, ich habe es wieder versäumt. Heute ist Sonntag und wir müssen zur Kirche. Gott sei bei uns, ich bin ja noch gar nicht parat. Jessus, heute war ja auch wieder so ein chaotischer Tag.«

Nannerl musste still in sich hinein grinsen. Es war wie jeden Sonntag. Johanna war voll und ganz mit Hausarbeit und der Erziehung der jüngeren Geschwister beschäftigt und hatte darüber alles um sich herum vergessen. Johanna Schacherl hatte es ja auch von Beginn an nicht einfach gehabt. Sie war gerade 11 Jahre alt, als ihre geliebte Mutter im Kindbett verstorben war. Als Älteste wurde Johanna mit diesem Tag schlagartig erwachsen. Sie musste innerhalb kürzester Tag Verantwortung übernehmen und versuchen, so gut es ging die Mutterrolle zu spielen. Der Vater, ein gutmütiger, stiller und fleißiger Mann tat sein Möglichstes, war aber mit der harten Feldarbeit vollkommen ausgelastet. Der Hof warf leider zu wenig Profit ab, um zusätzliches Personal zur Entlastung einzustellen.

Bewundernd schaute Nannerl auf ihre Freundin, wie resolut, aber auch liebevoll sie mit ihren drei kleineren Geschwistern umging. Innerhalb kürzester Zeit versorgte Sie die Brüder, fütterte Sie den Hofhund und zog sich in Windeseile um, fertig geputzt für den Kirchgang. Das alles geschah in solch einer Geschwindigkeit, dass Nannerl kaum hinschauen konnte. Inzwischen erschien auch der Witwer Schacherl, um die Obhut über die Kinder zu übernehmen. Die beiden jungen Frauen machten sich Arm in Arm auf den Weg zur Kirche ins benachbarte Salnau.

Sehr schnell begannen die jungen Frauen ihren wöchentlichen Austausch über die Dinge, die sich zugetragen hatten in ihrer Umgebung.

»Die Frau des fürstlich schwarzenbergischen Jagdaufsehers Neumeyer wurde wieder mit dem Knecht Wenzel vom Raschko beim Spaziergang im Wald gesehen,« wusste Johanna zu berichten.

»Die Kuh vom Osen-Hof hat ein Kalb mit zwei Köpfen geboren. Wenn das kein Unglück bedeutet,« konnte Nannerl erzählen.

»Der jüngste Sohn vom Bauer Josef soll vom Füsilier Regiment geflohen sein,« hatte Johanna erfahren.

»Der herumreisende Scherenschleifer Zoufal macht der Pupeter-Witwe schöne Augen,« erwiderte Nannerl.

So wurde eine Geschichte nach der anderen angerissen, nur kurz erwähnt, ohne länger analysiert zu werden.

Nannerl hatte sich aber ein Gesprächsthema fest vorgenommen, welche sie zielsicher anpeilte.

»Und wie geht es bei dir so? Ich habe gesehen, dass dich deine Familie immer noch vollkommen in Beschlag nimmt. Wie lange soll das denn so weitergehen?«

»Nun, die Geschwister sind noch so klein und bedürftig, die brauchen mich noch länger. Und der Vater ist so mit dem Hof beschäftigt. Der kann jede Hilfe von mir gebrauchen.«

»Aber du musst doch auch einmal an dich denken. Irgendwann einmal bist du alt und runzlig, und dann nimmt dich kein Mannsbild mehr.«

Es schien so, als wenn Johanna tatsächlich ins Grübeln geriet.

»Aber so wie ich ausschaue, nimmt mich doch sowieso keiner. Höchstens so ein alter Bock, oder so ein armer, hässlicher Schlucker.«

»Aber Johanna, bitte.«

Während Nannerl dies sagte, beschaute sie sich ihre Freundin genauer von der Seite an.

Johanna war nicht wirklich hübsch im engeren Sinne. Vielmehr strahlten ihre Gesichtszüge eine gewisse Herzensgüte und Freundlichkeit aus. Züge, die die meisten jungen Männer, die sich auf der Suche befanden, wohl nicht wirklich als wichtig betrachteten. Eine kartoffelmäßig geschnittene Nase dominierte den runden Kopf. Obwohl Johanna eine Frau von hohem Wuchs war, wurde diese körperliche Größe Johannas relativiert durch einen Geburtsfehler. Infolge einer Schieflage bei der Geburt war ein Bein der Johanna erheblich verkürzt, wodurch sie entsetzlich hinkte.

Nannerl ließ nun wieder einen Tropfen Empathie einfließen: »Aber nicht alle Mannsbilder schauen auf solche Äußerlichkeiten. Glaube es mir Johanna. Es soll auch Männer geben, die sich von schön polierten Perlen nicht blenden lassen. Die schauen tatsächlich auf das, was man allgemeingültig innere Werte nennt.«

Johanna schwieg, dabei behutsam einen Schritt vor den anderen setzend.

In Nannerls Kopf gingen die Gedanken weiter. Der erste Schritt ihres Planes war eingeleitet. Wie ein Generalstabsoffizier auf dem großen Feldherrnhügel hatte sie sich die einzelnen Schritte zum Erreichen des großen Zieles zurechtgelegt. Der erste Teil ihrer generalstabsgemäßen Überlegung war es Selbstvertrauen herzustellen. Das war ihr, so glaubte sie zuversichtlich, wohl gelungen. Als nächster Schritt sollte die Beute herangelockt werden. Nannerl wusste, dass dieser Schritt ungleich schwieriger sein würde als der erste Schritt des großen Generalplanes. Doch unerschrocken, wie Napoleon ließ Nannerl ihre Kavallerie auf das Ziel losstürmen.

»Bist du denn dieses Jahr mal beim Wolfauflassen dabei? Du warst schon so lange nicht mehr mit.« Nannerls Stimme klang hierbei fast schon bettelnd.

Johanna schaute ihre Freundin erstaunt an. Sie hielt bei ihrer Wanderung inne, und sprach mit fester und deutlicher Stimme: »Zum Wolfaulassen? Das ist doch erst an Martini, und du fragst mich jetzt schon. Wir haben noch nicht einmal September?«

Nannerl verzieh ihrer Gefährtin das etwas forsche Mundwerk. »Aber selbstverständlich. Man muss doch jetzt schon mit der Planung beginnen. Die Kostüme müssen genäht werden, die Schnüre an die Geißel gebunden werden, die Sprüchlein müssen wir lernen. Das alles neben der Feldarbeit, und kurz vor Martini müssen wir fertig sein.«

»Ja schon. Aber für so einen Jux habe ich nun überhaupt gar keine Zeit nicht. Du hast Doch gesehen, wieviel Arbeit auf mich zu Hause wartet. Die Geschwister brauchen mich, und der Vater, der Vater, der ist auch nicht mehr der Jüngste. Nein, das mit dem Wolfauslassen, das geht ganz und gar nicht. Ein Hirngespinst ist das.« Die Schacherl hatte bei den letzten Worten so heftig mit dem Kopf geschüttelt, dass ihr eine silberne Haarspange mit großer Bewegung auf den Weg fiel.

Doch der General hatte mit einer solchen Gegenbewegung gerechnet. Er läutete nun einen Scheinrückzug ein, der den Gegner in Sicherheit wiegen sollte. »Nun gut, dann tu, was du nicht lassen kannst. Geh du zu Deinem Vater und Deinen Geschwistern. Bleib da bis du alt und grau geworden bist. Meinetwegen. Aber wenn Dein Vater bei unserem Herrgott ist, wenn Deine Geschwister längst weitergezogen sind, oder den Hof bewirtschaften, dann sag nicht, ich hätte dich nicht gefragt. Denn dann bist du vielleicht gerade 40 Jahre alt, hast niemanden mehr, um den du dich kümmern musst, bist du aber selbst schon so alt, dass dich niemand mehr will. Und du hast dann immer noch gut 30 Jahre vor dir, die du in Einsamkeit und Bitternis verbringen musst.«

Nannerl schritt weiter, und ließ ihre Freundin hinter sich zurück.

Der General hatte den Feind verwirrt, das war nun klar. Ob die Offensive aufgehen würde, das würde sich erst im November zeigen.

Das Wolfsauslassen

Schon seit unzähligen Generationen wurde der Brauch des Wolfauslassens, wie auch der des Wolfablassens gepflegt. Seinen Ursprung hatte der Ritus aus der Zeit, wo die Hirten das Vieh auf den Weiden und Wiesen des Böhmischen Waldes vor den Wölfen und Bären schützen musste. Im Spätherbst wurde der Wolf ausgelassen, d. h. er konnte sich frei und ungefährdet bewegen, da die Nutztiere in ihre Stallungen ins Tal verbracht worden waren. Im Frühjahr wiederum, bevor die Rinder wieder auf die Weiden getrieben wurden, wurde das Raubtier »ausgeläutet«. Dazu wurde viel Lärm und Glockengeläut von der Dorfjugend veranstaltet. Zusätzlich schlug der Hirte von Zeit zu Zeit mit einer Art »Goaßl«, einer Peitsche, die einen ohrenbetäubenden Lärm verursachte. Mit dieser Geißel trieb der Hirte sein Vieh in die Ställe, und verlangte von den Bauern seinen verdienten Jahreslohn.

Das Wolfauslassen fand traditionell am 9. bzw. 10. November, also am Tag vor Sankt Martin statt.

Auch am 9. November des Jahres, in dem unsere Geschichte spielt, trafen sich die jungen Burschen, wie auch die älteren Männer beim Herbst Hof, um sich auf das Wolfsauslassen vorzubereiten. Alle waren sie gekommen, der Herbst Seppl vom Hausbauer Hof, der Sebastian Zach samt Sohn Johann vom Bali Hof, Jakob Raschko mitsamt Sohn Mathias vom gleichnamigen Hof, Mathias Mauritz mit seinen Zwillingen Josef und Johann vom Mauritz Hof, vom Essl Hof der Besitzer Bernhard Hoffmann mitsamt Erben Johann, vom Radelmacher Anwesen Bernhard Czech mit Vater Johann, vom Schuster Hof Mathias Müller Senior und Junior. Selbstverständlich waren auch Johann Nepomuk Jungbauer und Sohn Michael erschienen. Dieser sprühte bei solchen Gelegenheiten vor Lebensfreude über.

»Ich kann es kaum noch erwarten, bis es endlich losgeht. Ein Jahr kann doch recht lang sein.« Michael schnalzte dabei mit der Zunge.

»Du hättest dir die Wartezeit ruhig mit etwas Feldarbeit oder Kühe melken verkürzen können.« Diese Bemerkung konnte sich Vater Jungbauer nicht verkneifen, während die anderen Männer und Buben still in sich hinein grinsten. Der so Gescholtene schwieg. Er wollte sich lieber darauf konzentrieren die schweren Glocken, um die Hüfte zu befestigen. Auch mit diesem Instrument sollte der Wolf ausgelassen werden.

Als alle mit der Kostümierung für das Fest fertig waren, meldete sich der Seppl Herbst zu Wort, der als Besitzer des größten Hofes in Parkfried als stillschweigender Anführer angesehen wurde.

»So Männer, jetzt muss nur noch der Payr Anderl erscheinen, dann kann die Gaudi endlich losgehen.

Kaum hatte er dies gesagt, so tönte es laut und melodisch vom Eingang des Dorfes, Richtung Salnau hin:

»Kimmt da Hirt mit seiner Girt,

und hod sei Johr mit Freid ausghirt,

Glück hinein, Glück hinaus

an Hirta sei Johr is wahrhaft aus.

Kimmt da Hirt hoam vom Hirtn,

steht a blaue Suppn in da Rean.

Soagt a von an bessern Essn,

haut`n Baierin ei in`d Fressn.

Soagt a von an drugan Ko,

Baierin sitzt hint in da Hai,

schaut viara wia a Gray.

Aid`s here an Schlissl scha klinga,

wird da Bauer in`d Kamma springa

und an Fünfa außa bringa.

Mit dem hamma na ned gnua,

an fest`n kei Broad dazua.

Legad`s gad am Disch

das wis`z, das moang Martini is.

Buam riegld`s enk.«

Gutgelaunt war der Dorfhirte erschienen, der Payr Anderl, der nicht nur die Tiere des Dorfes Parkfried, nein auch der Nachbardörfer Sonnberg und Salnau, Hintring und Neuofen, sowie von Pernek und Uhligsthal betreuen musste. Das der Hirte in dürftigsten Verhältnissen leben musste, verriet schon seine abgerissene Kleidung. Müde sah der Payr Andel aus. Er war schon seit 6 Uhr in der Frühe auf den Beinen gewesen. Doch dies alles überdeckte der Hirte durch eine ansteckende Fröhlichkeit und gute Laune.

»Grüß Euch alle ihr wackeren Bewohner von Parkfried. Zünftig seht ihr aus, wie so ein richtiger Wolf halt ausschaut. Nur du Jakob machst mir ein bisschen Sorgen. Geht es dir denn nicht so gut?«

Der angesprochene Raschko Jakob antwortete mit schmerverzerrtem Gesicht. »Ich habe schon seit Tagen furchtbare Zahnpein. Der Backenzahn hier martert mich Tag und Nacht.«

»Zeig mal her.« Wie ein Pferdedoktor riss der Hirte das Maul des Patienten auf, um nach der Quelle des Übels zu fahnden.

Der Viehhüter wühlte im Mundraum des Bauern herum, bis er auf einen eitrigen Backenzahn stieß.

»Autsch«, jaulte Raschko kurz, aber schmerzvoll auf.

»Da hat sich wohl Zahnfäule über den Backenzahn ausgebreitet. Aber das kriegen wir schon wieder hin. Hier nimm diesen weißen Gänsefuß, lass ihn von Deiner Frau abkochen, und trinke die Lösung. Du wirst sehen, innerhalb kürzester Zeit sind die Schmerzen verschwunden.«

Die Hirten waren durch ihre Naturverbundenheit eng mit den Kräutern und Pflanzen ihrer Heimat vertraut. Deswegen waren sie in der Dorfgemeinschaft als Heilkundige durchaus angesehen.

Es hatte schon längst die Dämmerung eingesetzt, so dass der Hirte zur Eile mahnte.

»So liebe Leut, wir haben schon genügend Zeit verbummelt.“

Natürlich war Michael der Erste, der aufsprang. »Ja lasst uns endlich anfangen.«

Die Männer des Dorfes stellten sich in 3er Reihen auf, ein jeder mit den Glocken und den Goaßln bewaffnet. Der Payer Anderl stellte sich mit seinem Hirtenstecken an die Spitze des Rudels.

Mit dem Ruf »Buam hat`s oidsamt do, geht koaner mehr o dann riegeld`s enk«, gab der Hirte das Startsignal. Die Wolfsauslasser beugten sich vor und schütteln ihre Glocken kräftig hin und her. Der Hirte hob den Stock und gab somit den Takt für das Glockengeläut vor. Die ganze Gruppe ging nun von Haustür zur Haustür, der Hirte klopfte kräftig an, bis ihm geöffnet wurde. Wieder hob der Anführer den Stock, um das Zeichen zum Aufhören des Geläutes zu geben. Jetzt musste es still sein, denn der Hirte sagte nun sein Hirtensprüchlein auf. Die Hausherrin gab dem Hirten einen Taler in die Hand. In manchen Gehöften wurde ihm gar Speis oder Trank angeboten. Der Hirte bedankte sich und ließ den Wolf nochmals kräftig seine Glocken läuten. Die Geldgeschenke fielen meistens recht großzügig aus, da sie ja den verdienten Lohn für eine aufopfernde Tätigkeit darstellten. So zog man von Hof zu Hof, immer wieder begleitet von dem Schnalzen der Goaßl. Nachdem so das ganze Dorf abgegangen war, hatte sich der Geldbeutel des Hirten kräftig gefüllt. Nun war es Zeit für eine zünftige Sause im Gasthaus von Salnau.

Vater und Sohn Jungbauer strebten in der Gaststätte zum Familientisch der Jungbauers, wo sie schon von Mutter Jungbauer und den beiden Töchtern sehnsüchtig erwartet wurden. Die aufgeweckte Nannerl war die Erste, die etwas sagte: »Na da schau her, der Wolfsrudel kommt angeschlichen. Habt ihr Spaß gehabt, und konnte der Payer Andreas schön etwas zusammensammeln?«

Michael antwortete seiner Schwester: »Ja es war wirklich eine Mordsgaudi, so wie jedes Jahr. Der Säckel vom Hirten war schön dick und prall gefüllt. Aber jetzt habe ich einen Riesendurst. Franzi bring mir einen großen Krug Bier. Aber schnell.«

»Wenn er mal bei der Arbeit so hurtig wäre, wie beim Saufen.« Vater Jungbauer kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Nannerl schaute sich in dem großen Gastraum mit genauen Blicken um. Jede Bank war bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine dichte Schwade aus Qualm und Bratengeruch hing über den schweren Holztischen. Überall waren große Schüsseln mit dicken Würsten, Schweinebraten und Semmeln aufgereiht. Wo die Tische noch Platz ließen, waren üppige Krügerl mit dunklem Starkbier hingestellt worden. Jede Bank war bis auf den letzten Platz besetzt. Man hatte große Schwierigkeiten durch die Reihen hindurchzukommen. Es war so laut, dass man sein eigenes Wort nicht hören konnte. Der hintere Teil des Gastraumes genau gegenüberliegend vom Eingang war nicht mit Tischen und Bänken vollgestellt. Hier wurde wohl Platz gelassen für spätere Tanzeinlagen.

Da sah Nannerl am Eingang jemanden in den Saal hineinlugen, der ihr sehr bekannt vorkam. Ja es war Johanna, die schüchtern und zurückhaltend durch einen engen Türspalt in den Gastraum hineinblickte. Sie war von weitem kaum zu erkennen, aber diesen Blick der Freundin hätte Nannerl unter Tausenden herausgefunden. Nannerl sprang auf und kämpfte sich durch die Massen bis zum Eingang, dabei mehrere Personen anstoßend.

»Nein, wenn das nicht die Johanna ist. Aber was versteckst du dich hinter der Tür, wie ein gemeiner Straßendieb. Nun komm doch herein. Zier dich nicht so.«

»Ja ich weiß nicht. Ich wollte eigentlich nur von draußen schauen, wie so eine Feier ausschaut. Es war reine Neugierde. Nein es ist besser, wenn ich zu den Geschwistern, und dem Vater gehe.«

»Aber dein Vater sitzt doch da hinten bei den Osens aus Salnau.« Nannerl zeigte in Ecke des Saales, wo Matthias Schacherl durchaus glückselig und rosig dreinschaute.

Johanna zögerte immer noch.« Ich bin doch gar nicht richtig angekleidet für so eine Feier. Und jetzt, wo der Vater hier hockt, da kann ich die Bande erst recht nicht allein zu Hause lassen.«

Doch Nannerl gab nicht so schnell auf. »Die Racker können auch mal einen Abend allein bleiben. Aber zeig dich doch mal her, was für ein Kleid du anhast.«

Reserviert ließ sich Johanna dann doch bitten, und präsentierte ihre schicke Böhmerwälder Festtracht. Der Leibkittel war aus schwerem, einfarbigem Wollstoff gefertigt. Dazu trug die Schacherl eine mit Klöppeln verzierte Schürze, die so sehr blau eingefärbt war, dass sie schillerte, wie die Moldau an einem sonnigen Sommertag. Ebenfalls bläulich war das mit Fransen versehene Schultertuch. Ein besonderes Schmuckstück war Johannas Bluse. Sie war mit den aufwendigsten Stickereien verziert. Eine Haube hatte Johanna weggelassen. So konnte man den kunstvollen Knoten bewundern, den sie in ihr Haar geflochten hatte.

Nannerl kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie klatschte vor Freude in die Hände. »Nein so etwas Herziges hat man schon lange nicht mehr gesehen. Wie eine Prinzessin schaust du aus. Da werden die Mannsbilder aber Augen machen. Komm mit zum Jungbauer Stammtisch. Ich mach dich mit meiner Familie bekannt.«

Johanna wollte immer noch umkehren, doch ihre Freundin hielt sie fest und zerrte sie quer durch den Saal zu dem von der Familie Jungbauer besetzten Tisch.

Diese waren im innigen Gespräch versunken, schauten aber auf, um zu sehen, wen die Nannerl da mitgebracht hatte.

»Darf ich Euch die Johanna vom Schacherl Hof aus Spitzenberg vorstellen. Wir haben zusammen die Schulbank in der Dorfschule in Salnau gedrückt, und sind seitdem unzertrennlich, wie die Zwillinge.“

Als erste stand Nannerls jüngere Schwester, die Resi auf und gab der Johanna einladend die Hand: »Sei gegrüßt, ich bin die Jungbauer Resi, Nannerls jüngere Schwester. Ich habe schon viel von dir gehört.«

Johanna schüttelte freundlich Resis Händchen.

Nun war die Mutter an der Reihe. »Grüß Gott Johanna. Schön dich mal kennenzulernen.«

Johanna machte einen altmodischen Knicks, wie an einem Fürstenhof.

»Der da, der so grimmig guckt, ist mein Vater. Aber der ist gar nicht so.« Nannerl war ganz in ihrem Element.

»Guten Abend, Frau Schacherl. Sie müssten demnach die Tochter vom Schacherl Mathias sein, der vor Jahren von weiter weg hierhin gekommen war.« Vater Jungbauer gab sich durchaus höflich.

»In der Tat.« Johanna blieb reserviert

Nur einer aus dem Jungbauer blieb auf seinem Platz hocken wie angeklebt und ließ sich auch durch Johanna Schacherl nicht vom Genuss des Schweinebratens abhalten.

»Und der da, der so reinschaufelt, wie ein Dragoner, das ist mein Bruder Michel. Ein rechter Lausbub ist der immer noch.«

Michael brummte irgendetwas Unverständliches in seinen Bart, ließ sich aber vom Essen nicht abbringen.

»Wollen sie sich nicht zu uns setzen?«, fragte Mutter Jungbauer gastfreundlich.

»Na ich wollte eigentlich wieder …«, wollte Johanna entgegen, aber Nannerl hielt sie fest und platzierte sie auf die Holzbank direkt neben Michael.

Scheu blickte Johanna verstohlen zur Seite, um einen Blick auf Michael zu werfen. Doch kaum hatte sie die ersten Umrisse des Jungbauerschen Profils erspäht, wurde sie von Michaels Mutter in die Mangel genommen.

»Das Nannerl hat schon so vieles von Ihnen erzählt. Sie sollen so fleißig sein, und sich so rührend um die kleinen Geschwister kümmern, dass es einem das Herz zerreißt.«

»Ja das ist …«, wollte die Angesprochene entgegnen.

»Und dem Vater gehen sie auch noch zur Hand …«

»Ja schon …«

»… der auch nicht mehr der Jüngste ist. Hat er nicht auch schon das 5. Lebensjahrzehnt hinter sich?«

»Ja sch…«

»Wie lang ist eigentlich schon die Mutter tot? Wie hieß sie noch einmal?«

»Ja die hieß Barbara glaub ich, oder war es nicht eine Ludmilla?“

Johanna drohte schon unter der Fragenkanonade von Mutter Jungbauer zu kapitulieren, als Nepomuk Jungbauer energisch einschritt.

»Nun ist aber gut, Das Madel wollte heute keine Familiengeschichten ausplaudern. Sie ist hier, um sich zu amüsieren. So wie wir alle.«

Als wenn er auf das Stichwort gewartet hätte, wurde Michael bei Nennung des Begriffes »amüsieren« wieder wach.

»Genau, amüsieren wollen wir uns. Anna bring uns noch ein Becher des guten Gebräus.«

Nun konnte sich Johanna endlich den Sprecher genauer anschauen. Und, es gefiel ihr durchaus, was sie sah. Die wilde lockige Haarpracht beeindruckte Sie schon. Die braven braunen Augen strahlten eine wohltuende Gemütlichkeit aus. Am meisten gefiel ihr der Backenbart, der modisch nach der Zeit bei jeder Äußerung Michaels mitwippte.

Johannas Betrachtungen wurden unterbrochen durch einen mächtigen Tusch von der Dorfkapelle, die extra aus Oberplan nach Salnau gereist war. Mit diesem Tusch erklomm der Dorfvorsteher, der Seppl Herbst die Bühne, der eine kurze Ansprache an die Anwesenden halten wollte.

»Liebe Landsleute, liebe Landsleute. Es freut mich, dass heuer A. D. 1842 nach der Geburt unseres lieben Jesu Kindlein so viele Bewohner aus Parkfried und Umgebung erschienen sind, um mit dem traditionellen Wolfsauslassen die kalte Jahreszeit zu begrüßen, und die warme zu verabschieden. Besonders begrüßen möchte ich unseren lieben Gemeindehüter, dem Payr Andreas, dem ich mitteilen kann, dass bei der heutigen Sammlung die stattliche Summe von 27 Goldtalern zusammengekommen ist.«

Der Schäfer sprang auf die Bühne, wo ihm der beträchtliche Betrag übergeben wurde.

Ein warmer Applaus begleitete den stolzen Dorfvorsteher, wie auch den grinsenden Gemeindehirten.

»So nun darf ich die Dorfkapelle bitten einen Ländler anzustimmen, mit dem der Abend fröhlich weitergehen soll.«

Die Musiker stimmten einen altbekannten Volksreigen an, zu dem schon die Mütter und Väter der Anwesenden getanzt hatten. Paarweise stellten sich Männlein wie Weiblein auf die Bühne, erst einmal von Angesicht zu Angesicht. Gekonnt steuerte Nannerl die Paarbildung innerhalb des Jungbauerschen Stammtisches. So wurde Mutter Jungbauer, die heute etwas zu neugierig war, mit dem schweigsamen Knecht vom Jungbauer Hof zusammengebracht, um Vater Jungbauer kümmerte sich Nannerl selbst, so dass Michael mit Johanna den Tanzboden betreten sollte. Michael wollte sich schon aus dem Staub machen, aber seine resolute Schwester machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

In der Anfangsaufstellung des Ländlers nahmen sich die Paare vertraut in die Hände. Dabei lächelte Johanna ihren Partner schüchtern von der Seite an, der sie aber keines Blickes würdigte. Mit der einsetzenden Musik machten die Damen vor ihrem Tanzpartner einen kurzen Knicks. Anschließend setzten sich die Tanzgruppen in Bewegung. Parallel zu der immer schneller werdenden, im ¾ Takt klingenden Musik der Blaskapelle bewegen sich die Tanzformationen fort. Sich in die Augen blickend bilden die Paare immer kompliziertere Figuren auf der Tanzfläche. Mal hin-und herwiegend, mal sich in den Kreisen rotierend, die Arme und Beine verschränkt, wie ein Brummkreisel wurde das Ganze immer ausgelassener und wilder, bis eine ruhige Phase eintrat, in der die Partner in einer gewissen Standardhaltung ihre Runden drehen konnten.

So waren auch Michael und Johanna gewissermaßen gezwungen sich direkt in die Augen zu schauen, und dieses Mal wich Michael den Blicken von Johanna nicht aus. Sogar ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. Johanna fasste nicht den Mut etwas zu sagen, und so begann Michael eine kurze Unterhaltung, sofern es der Ablauf des Ländlers erlaubte: »Du bist schon recht gelenkig, muss man schon sagen.«

»Danke, du aber auch.«

»Du bist eine Freundin von meiner Schwester?«

»Ja, ja das Nannerl kenn ich schon von der Schule.«

»Aber du bist nicht so frech wie das Nannerl. Eher scheu bist du.«

Johanna schwieg.

Zeitgleich begann die erwähnte Jungbauer Schwester das Verhör ihres Vaters, der trotz fortgeschrittenen Alters immer noch versuchte, schwungvoll das Tanzbein zu schwingen.

»Und«

»Was und«

»Wie findest du unser Traumpaar?«

»Traumpaar? Ah, du meinst Michel und Johanna. Ja schon ganz nett.«

»Ich find die passen wunderbar zusammen. Das könnte was werden.«

»Meinst du wirklich?«

Nannerl nickte.

Zu einem jeden vernünftigen Ländler gehört nach einer genau definierten Zeit ein Partnerwechsel, den die Musikkapelle durch eine Pause einläutete.

So steuerte das Nannerl ihren Bruder an, während Vater Jungbauer Johann übernahm.

Nannerl nahm ihren Bruder direkt ins Gebet.

»Und?

»Was und?«

»Na, wie findest du sie.«

Michael brummte nur unvernehmlich.

»Na, sei nicht so verstockt. Findest du sie nett? Nun sag schon.«

»Ja sie ist schon nett, aber …«

»Was aber?«

»Sie ist nicht wirklich hübsch- Diese Kuhaugen, wie sie einem anglotzen, und außerdem hinkt sie, wie eine, ja wie eine Hexe.«

»Du bist böse Michel, richtig böse, weißt du das!« Nannerl echauffierte sich.

Ein Partnerwechsel führte Johanna mit Johann zusammen.

„Sie tanzen schön mit meinem Sohn, muss ich schon sagen.«

»Danke Herr Jungbauer, aber der Michael hat mich schon gut geführt.«

»Finden sie ihn ansprechend?«

Johanna schoss die Röte ins Gesicht.

Eine weitere Pause, die die Tanzkapelle setzte, befreite Johanna aus ihrer peinlichen Situation.

Der Zufall wollte es, dass Johanna und Nannerl nun ein Tanzpaar bildeten.

Nannerl konnte es kaum abwarten, ihre beste Freundin zu befragen. Wie ein Sektkorken, der aus einer Flasche schoss, sprudelte es aus ihr heraus.

»Und?«

»Was und?«

»Na, wie findest du meinen Bruder?«

»Ja ist er schon recht fesch, und ein guter Tänzer. Ja der tät mir schon gefallen.«

»Schön.«

»Und wie findet dein Bruder mich?«

Nannerl überlegte kurz, verzog aber keine Miene.

»Ja schon ganz nett, aber lass uns weiter tanzen, der Abend ist noch jung.«

So stürzen sich die jungen Frauen weiter in das abendliche Vergnügen.

Das Ultimatum

Am nächsten Morgen saß die Familie Jungbauer später als gewöhnlich beim gemeinsamen Frühstück. Der vorangegangene Abend, der Abend, der das Wolfsauslassen beendete, war ungewöhnlich lang gewesen. Die Eltern Jungbauer hatten sich Arm in Arm harmonisch gegen Mitternacht nach Hause begeben, wo sie laut schnarchend in das gemeinsame Ehebett gefallen waren. Nannerl hatte ihre Freundin laut gackernd zum väterlichen Hof begleitet, bis sie selbst weit nach Mitternacht in den Schlaf kam. Nur wann der Hoferbe heimgekommen war, blieb ungewiss. Man hatte ihn zuletzt noch gut gelaunt mit ein paar anderen Burschen beim Schaferltarock hockend sitzen gesehen, aber dann verlor sich die Spur von Michael Jungbauer.

Vater Jungbauer schwieg wie so oft, tief in einem Gedankengebäude vertieft.

Die Damen des Hauses schienen wacher zu sein.

Nannerl gab sich, wie so oft, schwungvoll und gut gelaunt.

»Ich denke gerne an gestern Abend zurück. So ein schönes Wolfsauslassen hatten wir schon lange nicht mehr.« »Du sprichst schon wie eine alte Frau, Nannerl. Aber du hast recht, es war ein richtig schönes Fest.«

Mutter Jungbauer stimmte zu, während ihr Gatte nur grummelnd in ein Kümmelbrot biss.

»Auch der Michel und die Johanna haben schön getanzt. Sie wären so ein nettes Paar.«

Mutter Jungbauer klatschte freudig erregt in die Hände, während Nannerls Gesichtszüge sich etwas verzogen.

Vater Jungbauer kannte seine älteste ganz genau. Er bemerkte ihre Reaktion.

»Was schaust du so, als ob du in eine Zitrone gebissen hättest. Erzähl ruhig. Du weißt, dass du mir nichts verbergen kannst.«

»Natürlich Papa. Die beiden wären schon ein gutes Paar, aber, aber der Michel ist nicht so überzeugt. Er hatte gemeint die Johanna sei hässlich, sie würde schauen wie eine Kuh und gehen wie eine Hexe. Ja das hatte er wirklich gesagt.«

Vater Jungbauer sprang auf. Die Wut kochte in ihm hoch. »Das hat er gesagt, dieser….. Dem werde ich. So ein nettes Weibsbild wie die Johanna. Wo ist der Bursche überhaupt? Dem werde ich Beine machen.«

Mutter und Tochter Jungbauer versuchten das Familienoberhaupt zu besänftigen. Doch der war in seinem Element. Von unerschütterlicher Agilität angetrieben, sprang Johann auf und stürzte in Richtung des Zimmers, um zu schauen, ob der verlorengegangene Sohn überhaupt in seinem Bette schlummerte.

Wenig später kam Johann Nepomuk wieder, aber nicht allein. Wie einen kleinen Lausejungen hatte er seinen Filius am Ohr gepackt und zog ihn hinter sich her.

»Au au au, was soll das denn. Lass mich los, was habe ich denn nun schon wieder angestellt.«

»Du weißt genau was du verbrochen hast. Du hast die Johanna Schacherl beleidigt. Sie wäre eine Mischung aus Hexe und Kalb. Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen. Wieso hast du das Mädel so beschimpft? So eine fleißige und anständige Person.«

Bevor Michael antworteten konnte streckte er seiner Schwester die Zunge heraus, ohne dass der Vater es bemerken konnte.

»Na, aber es stimmt doch. Sie schaut einen so an, wie ein gerade geborenes Kalb, und wenn sie geht, zieht sie immer so ein Bein nach. Eine Frau, die ich freie, muss hübsch und kokett sein, und nicht so ein Trampel.«

Klatsch. Michael hatte sich vom Vater eine schallende Ohrfeige eingefangen. Die Wange schwoll sofort rötlich an.

Michael rieb sich die getroffene Stelle und jammerte in sich hinein.

Die anwesende Restfamilie hielt sich klug zurück. Sie wussten aus eigener Erfahrung, dass es nun nicht gut wäre, sich einzumischen.

Vater Jungbauer setzte sich wieder hin, seine Hände reibend, als ob er sich selbst für seine Tat belohnen wollte, und schlürfte seinen kalt gewordenen Kaffee.

»Es tut mir leid, Michael, das ich zu einer solchen Tat schreiten musste, und dich maßregeln musste wie ein Kleinkind, aber manchmal sehe ich keine andere Möglichkeit mehr. Seit Jahrzehnten schon sehe ich den Weg, den du gehst, und dieser Weg entpuppte sich immer mehr als Holzweg. Schon als Kind hatten wir dich zu sehr verwöhnt. Seitdem hast du dieses Weibische, etwas verweichlichte Naturell. Das wird aber noch übertroffen durch deine vollkommene Verweigerung dem Leben auf dem Hofe gegenüber. Ich meine nicht, wenn es Feiertage oder Feste gibt, so wie gestern. Dann bist du immer an vorderster Stelle, so wie beim Kartenspiel, oder beim Tanz. Aber das Wesentliche, bei der Hofarbeit, bei den Heuernten, oder beim Kühe melken, da glänzt du nur durch andauernde Abwesenheit.

Lass mich das folgende in aller Dringlichkeit sagen, und hör mir dabei bitte genau zu. Ich gebe dir noch eine allerletzte Chance. Wenn du Johanna Schacherl ehelichst, dann kannst du, und zwar in Kürze, den Hof übernehmen. Sie ist eine überaus patente und lebenstüchtige Frau. Wie sie ganz allein den Haushalt führt und ihre Geschwister erzieht, davor kann man nur den Hut ziehen. Eine solche Frau, Michael, das wäre genau der richtige Partner für dich. So eine Maid an der Seite, und der Jungbauer Hof wäre gerettet. Ich traue Johanna mehr Lebensklugheit zu als dir. Sie wird als Hofbesitzerin erfolgreich sein. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Du hast also die Wahl, entweder du nimmst Johanna zur Frau, oder der Hof wird an einen meiner kommenden Schwiegersöhne übergeben. Entscheide dich.«

Die doppelte Braut

Johanna war noch früher als sonst heute Morgen aufgestanden. Sie hatte in der Nacht kaum ein Auge zu machen können. So sehr war sie aufgeregt wegen des großen Ereignisses, welches heute auf sie wartete. Zur Feier des Tages waren die Verwandten des Vaters von weit her aus Penketitz angereist. Ihre Tanten hatten die Geschwister von Johanna in ihrer Obhut, sodass Johanna sich in aller Ruhe sammeln und auf den großen Tag vorbereiten konnte. Nannerl war ebenfalls schon in der Frühe hinauf nach Spitzenberg gekommen, was so gar nicht den damaligen Bräuchen entsprach, um ihre beste Freundin einzukleiden und aufzuhübschen. Sie wirkte noch nervöser als Johanna.

»Ab heute bist du nicht nur meine beste Johanna, nein ab heute gehörst du zur Familie.«

Ja es war in der Tat so, heute sollte die Hochzeit von Michael Jungbauer und Johanna Schacherl beschlossen werden, heute im Januar 1843.

»Nun geh endlich vom Fenster weg, es ist gerade drei viertel zwei. Die kommen eh nicht pünktlich. Ich kenn doch meinen Bruder.«

»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass er mich trauen möchte. Beim Wolfsauslassen war er doch so kalt wie ein toter Karpfen.«

Nannerl lächelte verstohlen. Sie wusste um den Druck, den ihr Vater auf ihren Bruder ausgeübt hatte, wollte dies aber Johanna gegenüber lieber verschweigen.

»Setz dich noch einmal hin, ich will dich kämmen.«

Johanna ließ sich genau vor Nannerl auf einem Schemel nieder, und diese begann Johannas störrisches Haupthaar mit dem Kamm zu ordnen.

»Ich bin so glücklich, mein liebes Nannerl, dass ich doch heiraten werde. Ich dachte, ich würde wie ein hässliches Entlein einsam und allein sterben. Aber heute ist ein Wendepunkt in meinem Leben. Auch um die Geschwister muss ich mich nicht mehr kümmern. Tante Rose nimmt die Kleinen mit zum Hof von Onkel Alois nach Penketitz. Dort werden sie es guthaben. Nur der Vater, der muss sich jetzt eine Magd nehmen, die sich um den Haushalt kümmert, ihm das Essen zubereitet und alles sauber macht. Tja, so ändern sich die Zeiten.«

»Du wirst es aber auch gut haben bei uns, meine Eltern sind ganz vernarrt in dich. Sie können es kaum noch erwarten dich auf dem Hof zu begrüßen. Über kurz oder lang wird dann der Vater den Hof an den Michael übergeben. Er ist jetzt im siebenten Lebensjahrzent, zwar noch gut beieinander, aber es ist besser, wenn er den Hof in jüngere Hände übergibt.«

»Wenn nur der Michael freundlicher zu mir wäre.«

»Das wird sich schon finden. Er ist halt ein eingefleischter Junggeselle und hat so seine Marotten. Die werden wir ihm schon austreiben. Aber nun hurtig schnell die Hochzeitsschuhe angezogen. Gleich müssen Sie da sein.«

Kaum hatte Nannerl dies ausgesprochen, klopfte es schon mit festen, aber doch in einem gemächlichen Tempo an der Tür.

„Das werden Sie wohl sein“, rief Sie ganz aufgeregt und lief zum Eingang, um zu öffnen.

Vor der Tür standen drei Männer, unter Ihnen Johann Nepomuk Jungbauer und den potenziellen Bräutigam

Der Dritte im Bunde, der am festlichsten gekleidet war, ergriff als erster das Wort:

»Ehrbarer, arbeitsamer günstiger, Gevatter Schacherl. Es begehren Einlass der arbeitsame Junggeselle Michael Jungbauer sowie dessen Vater Johannes Nepomuk Jungbauer.«

»Der Einlass sei euch gestattet.« Eine andere Antwort war wohl nicht erwartet worden.

Vater Schacherl begrüßte formell die drei Besucher, insbesondere den festlich Gekleideten.

Johanna stieß Ihre Freundin sanft in die Seite.

„Wer ist denn der ausschaut wie eine geschmückte Weihnachtsgans?“, tuschelte Sie.

„Das ist der Prokurator, der Herbst Bauer aus Eurem Dorf“

„Der Proku..was?“ Johanna hatte es nicht genau verstanden.

Nannerl klärte Sie gerne auf:

„Der Prokurator. So heißt es halt. Dass ist der die Hochzeitsfeierlichkeiten leitet. Aber den Herbst Bauer, den müsstest Du doch kennen?“

„Ja, ja , den kenn ich schon. Der ist der reichste Bauer bei uns im Dorf. Der hat Geld wie Heu.“

Mittlerweile wurden nur Jungbauer Senior und der Seppl Herbst gebeten an einem massiven Eichentisch Platz zu nehmen. Michael musste wie ein ungezogener Bengel neben dem Tisch stehen bleiben. Auf den gegenüberliegenden schweren Eichentisch nahm Vater Schacherl Platz, so dass er den Gästen direkt gegenübersaß. Man hatte fast den Eindruck einer Gerichtsversammlung beizuwohnen, wenn man sich die Platzierung so anschaute.

Johanna war mittlerweile von Nannerl zu einer kleinen Ecke direkt hinter dem Ofen gezogen worden, der sogenannten Hölle, wo die beiden Freundinnen nun Ohrenzeugen einer spannenden Verhandlung wurden. Bevor die Braut sich in die Enge treiben ließ, hatte sie noch versucht einen raschen Blick auf ihren Ausgewählten zu werfen. Dies hatte Nannerl aber mit kräftigen Kniffen und Tritten zu verhindern gewusst. Denn nach böhmischer Tradition wäre es eine Katastrophe, wenn der Bräutigam die Braut am Tag der Trauung zuerst erblicken würde.

Die nun beginnende Sitzung wurde vom Prokurator eingeläutet. Er wandte sich direkt an den Vater der Braut:

»Nun mein lieber Gevatter Schacherl. Welches wären denn die Gaben, die sie nun ihrer Tochter mit auf den Weg geben würden?«

Vater Schacherl stand auf, um seinen Worten das nötige Gewicht zu geben: »Ich gebe feierlich bekannt, dass ich dem noch liebsten, was mir auf dieser Erde bleibt, meiner einzigen Tochter, meiner Augenweide Johanna diese Truhe ihrer Großmutter gefüllt mit Decken und Wäsche aus reinstem Linnen, mitgeben werde«

Der Prokurator begann heftig anzulachen. Er konnte gar nicht innehalten, so heftig war der Lachanfall. «Eine Truhe von Linnen als Mitgift. Hu ha hu, das habe ich ja noch nie gehört. Damit kann der Michael ja ein Gewand aus Linnen tragen, wie eine Dienstmagd. Hu ha, das ist zu lustig.«

Auch Vater Jungbauer konnte nur den Kopf schütteln, ob des gemachten Vorschlages.

Vater Schacherl blieb nichts anderes mehr übrig, als sein Angebot aufzubessern. »Nun gut, dann werde ich noch eine Lade mit edelstem Silberbesteck mitgeben, welches schon meine Urahnen aus dem Fränkischen hierhin mitgenommen haben.«

Bauer Herbst begann wieder loszuprusten. Dieses Mal noch heftiger und lauter als vorhin: »Silberbesteck, Silberbesteck. Nein wie putzig, dann kann der Michael mit seiner kleinen Familie speisen, wie die Habsburger in Wien. Nein wie vornehm.«

Vater Schacherl wurde langsam unsicher. Seine Stimme wirkte brüchig, als er ergänzte: »Ihr seid ja raffgieriger als die Fürsten. Schämen sollt ihr Euch. Aber meine Johanna ist mir so lieb, dass ich ihr sogar zwei Trinkbecher aus massivem Zinne mitgeben werde, ein wunderbares Zeugnis schlesischer Handwerkskunst.«

Der Prokurator sprang auf, und lief mit den Händen vor den Kopf in der Stube hin und her.

»Ich kann nicht mehr an mich halten. Das habe ich ja noch nie gehört. Zwei Zinnbecher sollen mitgegeben werden. Wie bei den Rittern im Mittelalter. Ho, ho ho hier kommt der Jungbauer Michael vom Seitl-Hof mit seinen beiden Zinnbechern. Nein, das kann kein ehrliches Angebot sein.«