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Patricia Vanhelsing - Dunkle Priesterin von Alfred Bekker (YYY) Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten. Mit ihrer Gabe der außersinnlichen Wahrnehmung kann Patricia Vanhelsing Ereignisse der Vergangenheit und Zukunft sehen. Als sie bei ihrer Großtante Lizzy Vanhelsing einen alten Schreibtisch mit Löwenkopfschnitzereien betrachtet, hat sie eine Vision: Die Ermordung des Archäologen George McDouglas, der dabei ist, in Irland einen Löwentempel freizulegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Tom Hamilton und ihrer Tante Lizzy begibt sie sich zur Ausgrabungsstätte, um den starrköpfigen Professor, der an die Gefahr, in der er schwebt, nicht glaubt, zu überzeugen. Auf Cinnemeara müssen sie dann erleben, wie der Zorn des Löwengottes Nguma durch seine Priesterin Marwanet mit ganzer Macht über alle hereinbricht, weil der Frieden des Tempels gestört wurde ...
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Seitenzahl: 158
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Patricia Vanhelsing Roman: Sidney Gardner - Dunkle Priesterin
Alfred Bekker
Published by Alfred Bekker, 2018.
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Patricia Vanhelsing - Dunkle Priesterin
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von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.
Mit ihrer Gabe der außersinnlichen Wahrnehmung kann Patricia Vanhelsing Ereignisse der Vergangenheit und Zukunft sehen. Als sie bei ihrer Großtante Lizzy Vanhelsing einen alten Schreibtisch mit Löwenkopfschnitzereien betrachtet, hat sie eine Vision: Die Ermordung des Archäologen George McDouglas, der dabei ist, in Irland einen Löwentempel freizulegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Tom Hamilton und ihrer Tante Lizzy begibt sie sich zur Ausgrabungsstätte, um den starrköpfigen Professor, der an die Gefahr, in der er schwebt, nicht glaubt, zu überzeugen. Auf Cinnemeara müssen sie dann erleben, wie der Zorn des Löwengottes Nguma durch seine Priesterin Marwanet mit ganzer Macht über alle hereinbricht, weil der Frieden des Tempels gestört wurde ...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
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Das Mondlicht tauchte die unruhige irische See in ein fahles Licht und reflektierte sich in den hellen Schaumkronen.
Der Geruch von Seetang und Salz hing in der Luft.
Der Meerwind trug ihn herüber zu der jungen Frau mit dem schulterlangen, dunklen Haar, das inzwischen völlig zerzaust war. Eine kalte Böe riss an ihrem roten Kleid, während die junge Frau einen Augenblick lang hinaus auf das Meer sah.
Ihr Blick war ins Nichts gerichtet. Sie wirkte wie in Trance.
"Gwellaine!"
Sie wandte den Kopf in Richtung der Ruinen. Bizarre Statuen von dämonenhaften Fabelwesen standen auf einer Anhöhe. Sie hatten die Gesichter von Löwen. Die Mäuler waren weit aufgerissen. Drohend blitzten die gewaltigen Raubtierzähne im Mondlicht, und der erstarrte Blick dieser steinernen Götzen wirkte kalt und grausam.
"Gwellaine ..."
Wieder diese Stimme!, durchzuckte es die junge Frau. Diese Stimme, die ihren Namen rief - wenn das das richtige Wort dafür war. Denn es war der jungen Frau durchaus klar, dass nur sie allein diese Stimme hörte. Sie kam gewissermaßen aus ihrem Kopf heraus.
Niemand sonst hatte sie je gehört, auch nicht, wenn sie in Begleitung hier oben bei den Ruinen eines uralten Tempels war, die ein archäologisches Grabungsteam erst zu einem kleinen Teil freigelegt hatte.
Es war kalt in dieser Nacht.
Eine Gänsehaut überzog Gwellaines Haut, aber sie nahm kaum Notiz davon.
Etwas betäubte sie und schlug sie völlig in seinen Bann.
Die Stimme ...
Sie konnte sich der Faszination, die von dieser Stimme ausging einfach nicht entziehen.
Unter ihrem Einfluss fühlte sie sich beinahe wie eine Beobachterin ihrer eigenen Handlungen.
"Gwellaine ..."
Es war eine weibliche Stimme, da glaubte die junge Frau sich sicher zu sein.
Und ebenso sicher war sie sich darüber, dass es sich nicht um eine Einbildung ihrer Fantasie handelte, sondern wirklich um die Botschaft einer anderen ...
Was? - fragte sie sich. Was ist sie?
Etwas unsagbar Fremdartiges schwang in dieser Stimme mit, wenn sie Gwellaines Namen wisperte. Etwas, das Gwellaine frösteln und bis ins tiefste Innere erschaudern ließ. Sie hatte dann das Gefühl, als ob sich eine kalte Hand auf ihre Schulter legen würde.
Gwellaine stieg den Hügel hinauf.
Was tust du eigentlich?, durchzuckte es sie. Warum folgst du dieser Stimme mit diesem blinden Gehorsam, für den es nicht einen einzigen vernünftigen Grund gibt?
Ihr Puls beschleunigte sich.
Sie atmete heftiger als sonst.
Die kühle Luft drang in ihre Kleidung ein, und das Grauen breitete sich in ihr aus.
Wer bist du?, dachte sie. Wer ist es, die mich ruft und deren Befehl ich mich nicht zu entziehen weiß?
Immer wieder war sie in den letzten Wochen und Monaten - seit die Grabung begonnen worden war - hierhergekommen, an diesen eigenartigen Ort, von dem Sagen und Erzählungen der Umgebung berichteten, er sei verflucht und verhext.
An solche Dinge hatte Gwellaine niemals geglaubt.
Sie war eine moderne junge Frau. Jemand, der mit beiden Beinen im Leben stand.
Erst in letzter Zeit waren ihr Zweifel gekommen.
Du kannst diese Macht und ihren Einfluss auf dich nicht leugnen!, hämmerte es immer wieder in ihrem Kopf. Was ist es, das dich immer häufiger nachts hier hinaus zur Küste zieht?
Zum Tempel ...
"Gwellaine ..."
Es war eine befehlsgewohnte Stimme. Sie klirrte wie Eis.
Eine geradezu unmenschliche Kälte ging von ihr aus und ließ die junge Frau unwillkürlich zittern. Ein drückendes, unbehagliches Gefühl machte sich in der Magengegend bemerkbar.
"Komm her, Gwellaine!"
Einen Augenblick lang versuchte Gwellaine, sich dagegen zu wehren. Sie blieb stehen, schluckte und öffnete dann halb den Mund.
"Nein!" flüsterte sie, während der Wind ihren leisen Widerspruch verschluckte. "Nein", wiederholte sie, schüttelte leicht den Kopf dabei und krampfte die Hände zu Fäusten zusammen.
"Du wirst tun, was ich dir befehle, meine Dienerin!", hallte es in ihrem Kopf wider. Es dröhnte geradezu, und ein heftiger Kopfschmerz durchzuckte sie. Mit den Händen griff sie sich an die Schläfen und stöhnte kurz auf. Ein Laut, der sich mit dem unablässigen Rauschen des Meeres und dem heulenden Wind vermischte.
"Wer bist du?", flüsterte Gwellaine.
Die Antwort bestand aus einer Art Gelächter, dass in ihrem Kopf mit geradezu unerträglicher Intensität widerhallte.
Immer wieder. Ihr wurde schwindelig davon. Für einen Moment drehte sich alles in ihr. Sie fiel nieder, fühlte das feuchte Gras in ihren Händen.
"Steh auf!", befahl die klirrend kalte Gedankenstimme dann.
Gwellaine gehorchte.
Sie wirkte wie eine Marionette.
Die grünen Flecken an ihrem Kleid kümmerten sie nicht. Sie nahm sie nicht einmal wahr. Wie mechanisch bewegte sie sich vorwärts auf die Tempelruine zu.
Augenblicke später erreichte sie eine jener steinernen Stufen, die die Jahrtausende überdauert hatten, geschützt von einer dicken Schicht Erde und Gras.
Sie achtete nicht auf das farbige Plastikband, mit dem das Grabungsareal abgegrenzt war.
Die Gesichter der Löwengötzen stierten sie an.
Eine unverhohlene Gier schien in den Augen dieser steingewordenen Kreaturen zu blitzen. Statuen, die so lebensecht wirkten, dass man glauben konnte, sie würden jeden Augenblick zum Leben erwachen ...
Es war selbst für Londoner Verhältnisse ein scheußlicher Tag.
Düster und grau zogen die dunklen Wolken von Westen über die Stadt. Heftige Regenfälle wechselten mit feinem Nieseln ab, der dafür sorgte, dass sämtliche Trauergäste innerhalb kürzester Zeit völlig durchnässt waren.
Auch mir klebten die Haare nur so am Kopf.
Neben mir stand meine Großtante Elizabeth Vanhelsing – für mich Tante Lizzy - mit geröteten Augen. Sie trug einen dunklen Schleier, und ich musste sie stützen.
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?
Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle.
In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
Mein Freund und Lebensgefährte Tom Hamilton befand sich auf der anderen Seite, sodass wir sie in die Mitte genommen hatten.
Auch wenn sie sich sichtlich darum bemühte, die Fassung zu wahren, so war ihr doch deutlich anzumerken, wie sehr ihr dieser plötzliche Todesfall zu Herzen ging.
"Warum nur?", murmelte sie. "Warum nur gerade jetzt?"
Der Reverend sprach unterdessen mit würdevoller Stimme ein Gebet. Und Tante Lizzy murmelte es schließlich leise mit.
Professor Hugh St. John war plötzlich an einem Herzanfall gestorben.
St. John war Chemiker gewesen und hatte meine Großtante in letzter Zeit wiederholt bei ihren privaten Studien unterstützt, die sie auf dem Gebiet des Okkultismus und der Parapsychologie betrieb. Alles, was sich unter dem Begriff 'unerklärliche Phänomene' zusammenfassen ließ, faszinierte Tante Lizzy. Sie hatte dazu in ihrer Villa eines der größten Privatarchive Englands eingerichtet, das beinahe sämtliche Räume dieses großen Hauses ausfüllte.
Professor St. John hatte hin und wieder chemische Analysen für Tante Lizzy durchgeführt, sie aber auch bei der Entschlüsselung von Geheimschriften nach Kräften unterstützt.
Im Laufe der Zeit war der verwitwete Professor zu einem guten Bekannten geworden, der immer häufiger Gast in der Vanhelsing-Villa gewesen war.
Es bestand kein Zweifel, dass eine tiefe Sympathie zwischen den beiden älteren Herrschaften bestanden hatte, die sie über ihr gemeinsames Interesse am Ungewöhnlichen hinaus miteinander verband.
Sein Tod war ganz plötzlich gekommen.
Der Professor war einfach eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Es hatte keine langwierige Krankheit und keinen qualvollen Todeskampf gegeben. Ein Ende, wie viele es sich vielleicht wünschten. Und doch ... Tante Lizzy tat sich sehr schwer damit, diesen schmerzvollen Verlust zu verwinden.
"Er war ein wirklich guter Freund, Patti", murmelte sie in meine Richtung. Der Regen begann wieder heftiger zu werden.
Das Prasseln der Tropfen auf den dunklen Sarg übertönte ihre Worte beinahe und machte es sogar schwierig, den Reverend zu verstehen.
"Staub zu Staub, Asche zu Asche", klangen seine Worte durch das Trommeln des Regens hindurch.
Nacheinander traten die Anwesenden an das offene Grab heran und warfen etwas Erde hinein. Als wir an der Reihe waren, schluchzte Tante Lizzy kurz auf.
Und ich musste daran denken, dass dieser Verlust eines guten Freundes Tante Lizzy genau in dem Moment traf, in dem ich gerade aus der Vanhelsing-Villa ausgezogen war, um mir zusammen mit Tom Hamilton eine Wohnung in Sevenoaks zu nehmen.
Seit meinem zwölften Lebensjahr hatte ich bei Tante Lizzy gewohnt. Nach dem frühen Tod meiner Eltern hatte sie mich wie eine Mutter bei sich aufgenommen.
Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, sie ausgerechnet jetzt allein zu lassen.
Andererseits - war es nicht längst überfällig, dass ich zusammen mit Tom, dem Mann, den ich liebte, ein eigenes Leben aufzubauen versuchte? Tante Lizzy sah das jedenfalls so und sie hatte mich zu meinem Schritt stets ermutigt.
Wir wandten uns vom offenen Grab ab, stapften durch aufgeweichten Boden und standen einige Augenblicke später dem Sohn des Verstorbenen gegenüber. Alec St. John war ein bekannter Sachbuchautor.
Er nahm Tante Lizzys Hand.
"Ich weiß, dass mein Vater Ihnen in letzter Zeit sehr nahestand, Mrs. Vanhelsing!"
"Umgekehrt kann ich das auch sagen", erklärte Tante Lizzy.
"Ich kann es noch gar nicht fassen, dass er nicht mehr unter uns sein soll. Dieser Verlust ..." Tante Lizzy schüttelte verzweifelt den Kopf. "Er kam so unerwartet."
"Mein Vater glaubte an die Möglichkeit einer Existenz nach dem Tode", erklärte Alec St. John. "Vielleicht werden wir ihm also wiederbegegnen ... irgendwann, irgendwo jenseits von Raum und Zeit."
"Ja", murmelte Tante Lizzy tonlos.
Und mir fielen die Worte von Meister Heng Tem ein, die jener Mönch zu uns in den Ruinen des kambodschanischen Klosters von Pa Tam Ran gesprochen hatte. "Nichts geht verloren", hatte er behauptet. Und im Laufe der Zeit hatte ich immer erfahren, wie recht er damit gehabt hatte.
An der Trauerfeier nahmen wir nicht mehr teil. Für Tante Lizzy wäre das einfach zu viel geworden. So fuhren wir gemeinsam mit Toms Volvo zur Vanhelsing-Villa. Mein eigener Wagen – ein kirschroter Mercedes 190, den Tante Lizzy mir einst geschenkt hatte – war in der Werkstatt. Nachdem Tom ihn vor einiger Zeit in den Graben gefahren hatte, war es nun endlich gelungen, einen Ersatz für die verbeulte Stoßstange aufzutreiben. Bei Oldtimern konnte das ziemlich verzwickt sein.
Der Regen wurde immer heftiger.
Die Scheibenwischer des Volvos schafften es kaum, für freie Sicht zu Sorgen.
Wenn man aus dem Wagenfenster sah, hatte man den Eindruck, durch flaschendickes Glas zu schauen. Hier und da blinkten die Lichter des Londoner Stadtverkehrs auf.
Tom und ich hatten für die Trauerfeier einen Tag Urlaub bei unserem Arbeitgeber, dem Boulevard-Blatt LONDON EXPRESS NEWS genommen. Besonders glücklich war Michael T. Swann, der etwas cholerisch veranlagte Chefredakteur, natürlich nicht über die Aussicht gewesen, zwei seiner Reporter ungeplant einen Tag freigeben zu müssen.
Im Zweifelsfall war dazu natürlich nie der richtige Zeitpunkt.
Aber Swann hatte genau gewusst, dass er uns das nicht abschlagen konnte.
Sicherheitshalber hatte ich allerdings auch mein Handy abgeschaltet - auch wenn Swann es stillschweigend erwartete, dass seine Mitarbeiter selbst in ihrer Freizeit telefonisch erreichbar waren. Ich wollte einfach nicht gestört werden.
Mochte jetzt auch die Story des Jahrhunderts irgendwo in Greater London passieren und wir die einmalige Chance haben dabei zu sein ...
Es gab Dinge, die waren wichtiger als das.
Tom Hamilton saß am Steuer und quälte sich durch den dichten Stadtverkehr, während ich mit Tante Lizzy auf der Rückbank Platz genommen hatte.
Ich wollte sie jetzt einfach in ihrem Schmerz begleiten.
Wie oft hatte sie das in der Vergangenheit bei mir getan. Vor allem natürlich, als ich noch ein kleines Mädchen war. Jetzt war es an mir, ihr wenigstens etwas davon zurückzugeben. Ich nahm ihre Hand. Sie fühlte sich eiskalt an.
"Ich danke euch beiden, dass ihr mit mir auf den Friedhof gegangen seid", erklärte sie dann, nach einer längeren Pause des Schweigens.
"Das ist doch selbstverständlich."
"Nein, das ist es nicht. Aber ich hätte nicht gewusst, wie ich das allein durchstehen sollte. Hughs Tod ist mir sehr viel näher gegangen, als ich das ursprünglich wahrhaben wollte. Erst dachte ich, dass ich es ganz gut verkraften würde, aber ..."
Tante Lizzy stockte und sprach nicht weiter.
Sie schüttelte nur stumm den Kopf und nahm dann ihr Taschentuch hervor.
Als wir die Villa erreichten, fuhr Tom den Volvo in die Einfahrt hinein. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Am Himmel zeigte sich zumindest die Ahnung einer Aufhellung.
Aber die nächsten düsteren Schatten zogen schon heran. Tom stieg aus und öffnete Tante Lizzy die Tür.
Wir sahen alle drei zu, dass wir möglichst schnell den kleinen Dachüberstand vor der Haustür erreichten. Tante Lizzy und ich suchten gleichzeitig in unseren Handtaschen nach dem Schlüssel.
Genau in diesem Moment hielt ein Lastwagen vor der Villa.
Ein Mann im blauen Kittel stieg aus.
Auch ihm klebte das Haar am Kopf. Er trug einen Block in der Linken, auf dem sich wohl der Lieferschein befand.
"Mrs. Elizabeth Vanhelsing?", rief er zu uns herüber. "Ist das hier richtig?"
Tante Lizzy wandte sich herum, während ich die Tür aufschloss.
"Das bin ich!", rief die alte Dame resolut.
Die Trauer und Verzweiflung, die sie gerade noch so vollkommen beherrscht hatte, schien jetzt völlig verschwunden zu sein. Aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass das täuschte. Tante Lizzy hatte gelernt, sich zusammenzureißen und ihre Gefühle auch mal in den Hintergrund treten zu lassen, wenn es sein musste.
Der Mann im blauen Kittel kam zu uns.
Er fluchte lautstark über das Wetter.
Dann reichte er Tante Lizzy den Block und einen Stift.
"Hier, unterschreiben Sie bitte. Ich habe eine Lieferung für Sie ..."
Tante Lizzy leistete ihre Unterschrift, während sich der Mann im blauen Kittel an Tom wandte.
"Könnten Sie mir vielleicht helfen? Das Ding ist ziemlich schwer ..."
Tom hob etwas erstaunt die Augenbrauen, dann nickte er.
"Selbstverständlich."
Ich ging hinauf in meine Etage - dorthin, wo ich all die Jahre gelebt hatte. Tante Lizzys Villa war eine Mischung aus Museum und Bibliothek. Überall drängten sich die Exponate ihres Okkultismus-Archivs. Lediglich meine Räumlichkeiten waren frei davon gewesen. Das hatte ich mir ausbedungen.
Schließlich wollte ich mich nicht zu Tode erschrecken, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte und von einer jener Geistermasken angegrinst wurde, die mein verschollener Onkel Frederik von seinen zahlreichen Forschungsreisen mitgebracht hatte.
Ganz automatisch war ich die Treppe hinaufgelaufen, ins Bad gegangen und hatte mir ein Handtuch genommen, um mir die Haare abzutrocknen.
Dann trat ich aus dem Bad heraus und sah mich um. In meinen Räumen waren kaum noch Möbel. Meine persönlichen Sachen befanden sich längst in unserer gemeinsamen Wohnung, die wir vor Kurzem gemietet hatten.
Wie leer diese Räume jetzt aussehen!, durchfuhr es mich. Es war ein eigenartiges Gefühl, das zu sehen. Nichts von dem, was mir wichtig war, war noch hier.
Es wird nicht lange dauern, bis Tante Lizzys Archiv sich auch diese Etage erobert haben wird!, dachte ich.
Ein wenig Wehmut überfiel mich.
Es ist ein Abschied, dachte ich, und es hat wenig Sinn, darum herum zu reden. Andererseits war Tante Lizzy ja nicht aus der Welt. Und aller Wahrscheinlichkeit nach würde ich noch oft genug mit ihr in der Bibliothek sitzen und über geheimnisvollen magischen Schriften von zweifelhafter Herkunft brüten.
Gedankenverloren trat ich an die Fensterfront. Meine Gardinen hatte ich längst abgenommen und mit in die neue Wohnung genommen. Jetzt wirkten die Fenster kahl.
Tom kam in die obere Etage hinauf.
Ich hatte ihn kaum gehört, so sehr war ich mit meinen Gedanken und Erinnerungen beschäftigt gewesen. Erst die Berührung seiner Hände brachte mich wieder ins Hier und Jetzt.
"Patti ..."
Er fasste mich bei den Schultern. Ich drehte mich zu ihm herum. Seiner meergrünen Augen musterten mich. Um seine Lippen spielte ein sympathisches Lächeln. Sanft strich er mir über das Kinn, dann küsste er mich. Ein wohliger Schauer überlief mich.
"Deine Tante wartet auf unten auf uns ...", erklärte Tom dann.
Ich sah ihn erstaunt an. "Auf uns?"
Er nickte. "Ja, die Lieferung, die gerade ankam, ist für uns bestimmt. Ich weiß nur noch nicht, wie wir das Ding erstens nach Sevenoaks schaffen sollen und zweitens wo wir es dort unterbringen können ..."
Ich sah ihn verständnislos an. "Was soll das bedeuten? 'Das Ding'!"
"Am besten, du siehst es dir selbst an, Patti ..."
"Mach's nicht so spannend! Das klingt ja, als wäre es etwas ganz Furchtbares ..."
"Ich hoffe, du tust wenigstens so, als würdest du dich darüber freuen, Patti. Du weißt, dass deine Großtante heute eine Menge durchgemacht hat."
Ich atmete tief durch. Dann nickte ich. Tom nahm mich bei der Hand und gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter.
Tante Lizzy hatte sich unterdessen an dem gewaltigen Paket zu schaffen gemacht, das mitten im Flur stand. Nach und nach fielen die Pappehüllen, und ein Schreibtisch kam zum Vorschein. Es handelte sich um ein großes, massives Stück aus dunklem Holz. Das besondere waren die Schnitzereien an allen vier Ecken. Sie stellten skurrile Dämonenköpfe dar, eigenartige Mischwesen zwischen Mensch und Tier, die den Betrachter mit weit aufgerissenen Mäulern und gierigen Augen ansahen.
Ich blickte fassungslos auf das Möbelstück.
Natürlich erkannte ich es sofort wieder, obwohl es sich in einem weitaus schlechteren Zustand befunden hatte, als ich es das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte.
"Ja, es ist vielleicht nicht ganz der passende Augenblick für so etwas, Patti. Aber, dass es dir derart die Sprache verschlägt hätte ich nun nicht gedacht", hörte ich Tante Lizzy sagen.