Patricia Vanhelsing Roman: Sidney Gardner - Wolfsmagie - Alfred Bekker - E-Book

Patricia Vanhelsing Roman: Sidney Gardner - Wolfsmagie E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

WOLFSMAGIE Ein Patricia Vanhelsing Roman von Alfred Bekker Der Umfang dieses Buchs entspricht 104 Taschenbuchseiten. Eigentlich könnte die Welt so schön sein. Tom hält um die Hand von Patricia Vanhelsing an, doch das Glück wird überschattet von bösen Vorahnungen. Meldungen über Wölfe und grauenvolle Morde im schottischen Hochland machen die Runde, und immer wieder wird Patricia von Vorahnungen gequält. Sie reist mit Tom nach Schottland, und die mysteriösen Wölfe setzen bereits einen ganzen Ort in Schrecken. Was hat die junge Lady Arwenna Strachan mit den Mörderbestien zu tun? Die Lösung dieses Rätsels ist gefährlich und fordert den Tod!

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Patricia Vanhelsing Roman: Sidney Gardner - Wolfsmagie

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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WOLFSMAGIE

Copyright

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WOLFSMAGIE

Ein Patricia Vanhelsing Roman

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 104 Taschenbuchseiten.

Eigentlich könnte die Welt so schön sein. Tom hält um die Hand von Patricia Vanhelsing an, doch das Glück wird überschattet von bösen Vorahnungen. Meldungen über Wölfe und grauenvolle Morde im schottischen Hochland machen die Runde, und immer wieder wird Patricia von Vorahnungen gequält. Sie reist mit Tom nach Schottland, und die mysteriösen Wölfe setzen bereits einen ganzen Ort in Schrecken. Was hat die junge Lady Arwenna Strachan mit den Mörderbestien zu tun? Die Lösung dieses Rätsels ist gefährlich und fordert den Tod!

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

Der Vollmond leuchtete wie das Auge eines übermächtigen Wesens am sternklaren Himmel, während über dem Hochland bodennahe Nebel hingen. Graue Schleier, die wie ein löcheriges, halb zerfressenes Leichentuch wirkten.

Arwenna ging mit schnellen Schritten über den tiefen, feuchten Boden. Die junge Frau wirkte blass. Ihr Blick war starr auf ihr Ziel gerichtet. Wie in Trance ging sie vorwärts. Sie achtete nicht darauf, dass sich der Saum ihres langen, scharlachroten Kleides in einem Dornenstrauch verfing.

Der Saum riss.

Ein kleiner Fetzen Stoff blieb in den Dornen hängen, während Arwenna weiter voranschritt.

Drei knorrige, uralte Bäume standen auf einer Anhöhe, von der aus man weit über die Umgebung blicken konnte.

Dorthin strebte sie.

Das Heulen eines Wolfes ließ Arwenna einen Moment lang innehalten. Es gibt schon seit einem Jahrhundert keine  Wölfe mehr in den Highlands, hatte sie noch vor kurzem jemanden sagen hören. Ein verhaltenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Ihre Zähne blitzten im Mondlicht.

Ihr Narren! Wie sehr täuscht ihr euch, die ihr das  glaubt ...

Sie ging weiter.

Der Boden war an manchen Stellen so weich, dass sie bis zu den Knöcheln in eine mit Moos überzogene Schlammschicht einsank.

Aber das schien Arwenna nicht im Geringsten zu stören.

Sie hatte die Stimme gehört.

Die Stimme der Wölfe.

Und das war wichtiger als alles andere.

Arwenna beschleunigte ihr Tempo. Der Aufstieg auf die Anhöhe war schwerer, als ein Beobachter hätte glauben wollen.

In den letzten Tagen hatte es stark geregnet, und der Boden war so aufgeweicht wie schon seit Langem nicht mehr. Ein eiskalter Wind blies von Norden.

Ich komme zu euch!, dachte Arwenna. Ihr braucht nicht  mehr lange zu warten. Ich eile!

Sie erreichte die drei knorrigen Bäume. Sie sahen wie bizarre Skulpturen aus. Ihre verwitterte Rinde hatte eine so ausgeprägte Struktur, dass man fortwährend fratzenhafte Gesichter in ihr zu erblicken glaubte. In einen der drei Bäume war irgendwann einmal der Blitz gefahren und hatte den Stamm mittendurch gespalten. Jetzt bildete er eine Art V.

Ein Zeichen!, dachte sie. Schon als Arwenna das erste Mal an diesem Ort gewesen war, hatte sie das so empfunden. Ein gezeichneter Ort, herausgehoben durch uralten Zauber und mächtige Magie.

Arwenna ließ den Blick schweifen. Sie schloss die Augen.

Wo seid ihr?, ging es ihr durch den Kopf. Ihr Gesicht bekam einen angestrengten Ausdruck.

Von Ferne gab ihr das Geheul einiger Wölfe eine Antwort.

Ein Lächeln überflog ihr feingeschnittenes Gesicht.

Die Augen blieben geschlossen, während das Heulen der Wölfe lauter wurde.

Die Tiere kamen heran. Sie liefen leichtfüßig und federnd daher. Es war ein ganzes Rudel. Ihre Augäpfel leuchteten dämonisch. Wie grelle Lichter leuchteten sie. Ihre Köpfe wirkten dadurch wie Halloween-Masken.

Mit weit ausholenden Sprüngen näherten sie sich der Anhöhe mit den drei knorrigen Bäumen.

Arwennas Augen waren noch immer geschlossen. Aber in ihrem Inneren entstand ein Bild, das schärfer nicht hätte sein können. Sie spürte, wie sich die Wölfe näherten, konnte ihr braun-graues Fell ebenso sehen wie die gebleckten Raubtierzähne.

Gieriges Knurren war nun zu hören.

Die Tiere erreichten den Hügel. Mit den leuchtenden Dämonenaugen blickten sie auf die anmutige Gestalt der jungen Frau.

Arwenna öffnete die Augen und sah den Wölfen furchtlos entgegen.

„Da seid ihr also‟, flüsterte sie.

Die Wölfe begannen zu hecheln. Sie verharrten in einigen Metern Entfernung. Das Mondlicht fiel auf sie, und so konnte man nun das Blut sehen, das von den Zähnen der Bestien tropfte.

Arwenna beugte sich nieder, hielt dem ersten der Wölfe die Hand entgegen. Das Tier näherte sich und schleckte sich dabei das Blut von der Schnauze.

„Du hast deinen Hunger gestillt, wie ich sehe.‟

Ein grausames Lächeln spielte um Arwennas rote Lippen.

2

„Was ist los mit dir?‟, fragte Tom ziemlich besorgt, als ich mich zu ihm an den Frühstückstisch setzte.

Ich schloss kurz die Augen und fuhr mir dann mit einer schnellen Bewegung über das Gesicht. Die andere Hand hatte ich dabei auf den Bauch gepresst.

„Nichts‟, murmelte ich.

„Für nichts siehst du aber ziemlich mitgenommen aus!‟

Ich atmete tief durch.

„Ich habe einfach heute morgen keinen Appetit, das ist alles.‟

Tom sah mich an. Der Blick seiner meergrünen Augen musterte mich prüfend. Unwillkürlich überflog ein Lächeln mein Gesicht.

War es dieser Blick, der dafür verantwortlich war, dass du dich in diesem Mann so unsterblich verliebt hast?, fragte ich mich.

Da kamen sicher mehrere Faktoren zusammen. Aber die Art und Weise, in der Tom Hamilton mich anzusehen pflegte, war gewiss einer davon. In all der Zeit, die wir uns schon kannten, überlief mich immer noch ein wohliger Schauer dabei.

Ich atmete tief durch.

„Mir ist heute einfach ein bisschen schlecht. Ich hoffe nicht, dass ich mir eine Magen-Darm-Grippe eingefangen habe.‟

„Wie viele Tage hast du krankheitshalber gefehlt, seit du als Reporterin bei den LONDON EXPRESS NEWS angefangen hast?‟

Ich sah ihn erstaunt an. „Keinen einzigen!‟, stieß ich hervor.

„Na, dann wird es ja vielleicht mal Zeit für eine Premiere! Gönne dir ein oder zwei Tage eine Pause.‟

„Aber ...‟

„Ich werde Mr. Swann das schon klarmachen. Und nach der Sensationsstory, die wir ihm aus Brasilien mitgebracht haben, wird er dich sicherlich nicht verdächtigen, dass du nur auf Kosten unseres Verlages blaumachen willst!‟

Ich trank eine halbe Tasse Tee, aber irgendwie schmeckte er mir einfach nicht. Er schmeckte bitter – und das trotz des vielen Zuckers und der großzügigen Portion Milch, die ich ihm beigemischt hatte.

„Es ist nicht so schlimm‟, behauptete ich.

„Heißt es nicht irgendwo: Du sollst nicht lügen?‟

„Tom ...‟

„Was ich gesagt habe, habe ich ernst gemeint!‟

„Ich auch!‟

Ich sah auf die Uhr. Es wurde Zeit für uns, wenn wir noch pünktlich in der Redaktion der LONDON EXPRESS NEWS auftauchen wollten – jener Boulevardzeitung, für die wir beide als Reporter arbeiteten. „Lass uns fahren, Tom!‟, sagte ich. „Es geht mir jetzt auch schon viel besser. Außerdem ist im Moment sowieso nicht viel los.‟

Draußen war es schon hell. Die Tage wurden länger, und zur Abwechslung hing mal nicht die berüchtigte Nebelglocke über London.

Arm in Arm verließen wir unsere Wohnung im Erdgeschoss eines Altbaus in der Clintock Road. Wir wohnten seit Kurzem in Sevenoaks, einem Vorort von London. Obwohl ich jetzt ein paar Kilometer mehr zurückzulegen hatte als früher, als ich noch in der Villa meiner Großtante gelebt hatte, brauchte ich für den Weg zum Verlag keine Minute länger, was an der guten Verkehrsanbindung lag.

Wir fuhren in getrennten Wagen zur Redaktion. Ich in meinem kirschroten Mercedes 190, den Tante Lizzy mir einst geschenkt hatte – Tom in seinem Volvo. Schließlich brauchten wir beide den Wagen im Job.

Bevor jeder von uns in seinen Wagen stieg, nahm Tom mich in die Arme. Wir küssten uns zärtlich.

„Bis gleich‟, murmelte Tom dann.

„Bis gleich.‟

Er zögerte, bevor er meine Schultern losließ. „Wirklich alles okay?‟

„Ich bin nicht aus Zucker, Tom. So schnell haut mich nichts um. Kein Virus und auch sonst nichts!‟

„Wie du meinst ...‟ Er schien dem Braten nicht so recht zu trauen.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich auf geheimnisvolle Weise aus meiner Frisur herausgestohlen hatte.

Dann verabschiedete er sich mit einem Lächeln.

Einen Augenblick lang sah ich ihm nach, dann wandte ich mich meinem Mercedes 190 zu. Der Oldtimer war gut gepflegt, obwohl es manchmal nicht ganz billig war, die richtigen Ersatzteile aufzutreiben. Ich setzte mich ans Steuer und legte meine Handtasche auf den Beifahrersitz. Mit der Rechten schaltete ich wie automatisch das Radio ein, um den Verkehrsbericht mitzubekommen.

Aber ich hörte nicht wirklich zu.

Meine Gedanken waren ganz woanders.

Ich blickte zurück zu unserer Wohnung.

Wir hatten uns in unserem neuen Zuhause schon sehr gut eingelebt. Jeden Morgen an Toms Seite aufzuwachen, das war für mich wie ein in Erfüllung gegangener Traum. Um keinen Preis der Welt hätte ich darauf wieder verzichten wollen.

Vielleicht war es gut, dass wir so lange damit gewartet  haben zusammenzuziehen!, dachte ich in diesem Moment. Es scheint genau der richtige Zeitpunkt gewesen zu sein.

Ich seufzte.

Bist du glücklich, Patti?

Ich konnte diese Frage nur mit ja beantworten. Eine Steigerung konnte ich mir kaum vorstellen. Alles sollte so bleiben, wie es ist, dachte ich – aber ich wusste natürlich, dass es so etwas wie Stillstand nicht gab. Alles war ständig im Fluss, auch wenn man das nicht immer gleich merkte.

Veränderungen waren unausweichlich. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich sie mir wünschen sollte.

Ich atmete tief durch.

Undeutlich hatte ich registriert, dass Tom Hamilton sich mit seinem Volvo längst in den Verkehr eingefädelt hatte.

Ich schloss die Augen und dachte einen Augenblick lang nach.

Das Tageslicht schien rot durch meine Augenlider hindurch.

Ein eigenartiges, unangenehmes Gefühl beschlich mich. Es ging von meiner Magengegend aus und verbreitete sich über den ganzen Körper.

Unbehagen.

Das Rot verwandelte sich auf erschreckende Weise.

Ich hielt den Atem an.

Der Puls beschleunigte sich und schlug mir nun bis zu Hals.

Flammen!

Ich sah sie vor meinem inneren Auge hoch emporlodern. Ein furchtbares Inferno. Gierig umgriffen die Flammen ein graues Mauerwerk.

Eine Vision, dachte ich. Eine Vision, verursacht durch  meine übersinnliche Gabe.  Aber selbst für eine Empfindung meines Para-Sinns war dieses Erlebnis äußerst intensiv. Ich glaubte, die Hitze tatsächlich spüren zu können. Eine mörderische Hitze, die alles verschlang und zu Asche verbrannte.

Du kennst dieses Gemäuer!, ging es mir durch den Kopf.

Aber ich wusste nicht woher. Irgendwann war ich bereits einmal dort gewesen, das stand für mich fest. Aber ich konnte mich einfach nicht daran erinnern. So sehr ich es auch versuchte.

Ruhig! Du musst dich beruhigen und die Kontrolle zurückgewinnen.

Meine Gabe konnte ich inzwischen ganz gut kontrollieren.

Besser, als ich es in jenen Tagen, da ich meine besondere Fähigkeit noch verflucht hatte, zu hoffen gewagt hätte.

Aber der Anblick dieses Feuers ...

Aus irgendeinem Grund, den ich nicht näher zu bestimmen wusste, wühlte er mich in besonderer Weise auf.

Was mochte es sein, das mich daran nicht losließ?

Sekunden noch dauerte dieses Erlebnis. Ich spürte die Hitze schmerzhaft auf der Stirn, so als ob ich zu nah am Feuer gestanden hätte.

Schweißperlen rannen mir das Gesicht hinunter.

Ich zitterte.

Dann war es vorbei.

Ich öffnete die Augen und saß völlig konsterniert da. Meine Hände umfassten das Lenkrad meines kirschroten 190ers, aber ich wäre in diesem Moment nicht in der Lage gewesen, den Wagen zu starten. Geschweige denn, ihn durch den Londoner Stadtverkehr zu fahren.

Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu atmen.

Patti, du kennst dieses Haus. Du hast es gesehen, du warst  dort ... Das ist sicher!

Aber so sehr ich mir auch das Hirn zermarterte, ich kam einfach nicht darauf. Eine ganze Weile saß ich noch da, hörte der Stimme im Radio zu und wartete ab. Dann fuhr ich schließlich auch los.

3

Feuer hat in deinem Leben eine besondere Rolle gespielt!

Der Gedanke ließ mich nicht los.

Ich hatte als Kind einen Hausbrand vorhergesagt. Es war das erste Mal gewesen, dass meine Gabe – so hatte meine Großtante Elizabeth Vanhelsing dieses Phänomen genannt – deutlich in Erscheinung getreten war. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass diese „Feuererscheinung‟ – ich hatte einfach kein besseres Wort dafür – mich derart beeindruckt hatte.

Irgendwann wird es dir wie Schuppen von den Augen fallen, woher du dieses Gemäuer kennst!,  dachte ich. Und bis dahin würde mich eine beständig an mir nagende Unruhe quälen.

Ich kam natürlich nicht mehr ganz pünktlich in der Lupus Street in London an, wo das Verlagsgebäude der LONDON EXPRESS NEWS lag. Unsere Redaktion nahm eine ganze Etage in diesem Betonklotz ein, dazu kam noch das Archiv, das in den Kellerräumen untergebracht war.

Als ich das Großraumbüro der NEWS-Redaktion betrat, herrschte dort bereits hektische Betriebsamkeit. Mein Kollege Dalglish lief mir mit einer jungen Austauschvolontärin aus Deutschland über den Weg und schien sich gut mit ihr zu verstehen. Jedenfalls kicherte er dauernd, und das war an sich selten bei ihm.

„Das ist Miss Silke Ziegler. Sie will sich bei uns mal den Pressebetrieb im Königreich ansehen ...‟

„Wunderbar. Wo ist Tom?‟, fragte ich etwas kurz angebunden.

„Keine Ahnung, Patricia.‟

An seinem Schreibtisch war er jedenfalls nicht zu finden.

Vielleicht hatte er im Archiv zu tun, denn wenn unser gestrenger Chefredakteur Michael T. Swann ihn bereits mit einem Auftrag losgeschickt hätte, dann wäre der Volvo nicht mehr auf dem Parkplatz vor dem Verlagsgebäude zu sehen gewesen.

Und darauf hatte ich auch geachtet.

Ich ging zu meinem Schreibtisch, nahm unterwegs einen Becher mit dem dünnen Redaktionskaffee und ließ mich dann auf dem Drehstuhl nieder. Die Hydraulik quietschte schon ein bisschen, aber die Hoffnung, dass unser Verlag mal einen Ersatzstuhl anzuschaffen bereit war, hatte ich längst aufgegeben. Man würde ihn erst ausmustern, wenn er zu einem Haufen rostiger Metallspäne zerfallen war, fürchtete ich.

Mein Kollege Jim Field winkte mir zu.

Er war der Starfotograf der LONDON EXPRESS NEWS und wohnte seit einiger Zeit bei meiner Großtante in der Vanhelsing Villa. Tante Lizzy hatte ihm eines der Gästezimmer vermietet.

In seinen abgetragenen Jeans und dem zerknitterten Jackett wirkte er immer etwas unkonventionell. Die stets zu langen blonden Haare und der Drei-Tage-Bart taten ein übriges dazu.

„Hallo, Patti‟, begrüßte er mich. „Mit eurer Story über diesen brasilianischen Schlangenmenschen scheint ihr ja direkt ins Schwarze getroffen zu haben. Jedenfalls hat die Sache ziemlich viel Aufsehen erregt.‟ Er schnipste mit den Fingern. „Zu dumm, dass ich nicht dabei war – dann wären die Bilder sicher noch um einiges schärfer geworden!‟

„Wie geht es Tante Lizzy?‟, fragte ich.

„Nun, die Rückkehr ihres verschollen geglaubten Mannes aus den Tiefen des südamerikanischen Regenwaldes wühlt sie sicher sehr auf. Ich habe sie heute noch nicht gesehen, aber ich glaube, wenn du mich fragst, dann wäre es ein Wunder, wenn die beiden Alten nicht eine gewisse Zeit voll und ganz damit beschäftigt wären, sich wieder aneinander zu gewöhnen.‟

Ich nickte leicht.

Tom und ich hatten den seit zwanzig Jahren verschollenen Archäologen Frederik Vanhelsing wiedergefunden. Er war durch ein Weltentor im HAUS DER GÖTTER, einem bizarren, uralten und vom Dschungel fast überwucherten Bauwerk eines geheimnisvollen Schlangenvolkes, in die sogenannte Andere Welt gelangt und hatte dort die ganze Zeit über ausharren müssen. Eine Rückkehr zur Erde war ihm verwehrt gewesen.

Erst durch unser Auftauchen im HAUS DER GÖTTER war es Frederik Vanhelsing gelungen, den Abgrund zwischen den Welten abermals zu überschreiten.

Tante Lizzy hatte ihn überglücklich in die Arme geschlossen, als wir in London ankamen.

In all den Jahren hatte die Liebe, die sie füreinander empfunden hatten, nicht nachgelassen. Und gewiss würde sie ihnen helfen, die Folgen der langen Trennung zu überwinden.

„Ich muss los‟, meinte Jim dann.

„Eine interessante Story?‟

„Wie man’s nimmt. Wohl nicht so sensationell wie die Rückkehr deines Großonkels – aber ein Thema für einen Fotografen!‟

„Mach’s nicht so spannend!‟

„Ich soll eine Home-Story über diese Verrückte machen, die sich bei den Spielen des FC Chelsea auszieht, um auf diese Weise ins Fernsehen zu kommen. Sie hat zwar schon seit langem Stadion-Verbot, es aber irgendwie immer wieder geschafft hineinzukommen.‟ Jim zuckte die Achseln. „Der Chef meint, dass diese Dame die Auflage erhöht. Und was tun wir nicht alles dafür!‟

„Du sagst es ...‟

In der letzten Zeit hatte uns die Konkurrenz auf dem hart umkämpften Markt der Londoner Boulevard-Blätter sehr zugesetzt. Die LONDON EXPRESS NEWS hatte Marktanteile eingebüßt, und das machte natürlich die gesamte Führungsetage des Verlages entsprechend nervös.

„Ciao, Patti!‟, rief Jim noch. „Ich werde deine Großtante von dir grüßen und ihr ausrichten, dass die herzlose Karriere-Frau, die sie einst an Kindes statt angenommen hat, einfach keine Zeit für einen Besuch hat!‟

„Untersteh dich, Jim!‟

Er blieb stehen, sah mich einen Moment lang an.

Irgendwie schien er zu merken, dass er die Grenze meines Humorverständnisses überschritten hatte.

Andererseits sprach er damit etwas aus, was eine wunde Seite in mir berührte. Ich hatte in letzter Zeit tatsächlich für kaum etwas anders als den Job Zeit gehabt. Die Tatsache, dass Onkel Frederik wieder zurück ist, heißt doch nicht, dass Tante Lizzy dich jetzt weniger braucht, Patti!, ging es mir durch den Kopf. Eine Stimme in meiner Seele, die ich lieber unterdrückt hätte. Aber sie ließ sich einfach nicht zum Schweigen bringen.

„Sorry‟, sagte Jim.

„Schon gut.‟

Er kam näher.

„Nein‟, erklärte er, „gar nichts ist gut. Das eben hätte ich nicht sagen sollen. Punkt.‟

„Vielleicht war’s ganz gut so‟, murmelte ich.

Am Abend gelang es mir, mich etwas früher aus der Redaktion loszueisen. Tom hatte noch zu tun. Er war mit den Recherchen für einen Artikel beschäftigt und hatte deshalb schon den halben Tag im Archiv gesteckt – den Katakomben, wie wir Reporter diese Gefilde auch zu nennen pflegten.

So fuhr ich nach Hampstead zur Vanhelsing-Villa, die seit dem zwölften Lebensjahr mein Zuhause gewesen war.

Ich lenkte den kirschroten 190er in die Einfahrt hinein.

Jim Fields erbarmungswürdige Rostlaube war noch nirgends zu sehen, daher konnte ich annehmen, dass Tante Lizzys Untermieter noch nicht zurückgekehrt war. Jim hatte in der Zeit, die er für die NEWS arbeitete, immer nebenbei auch noch Nebentätigkeiten ausgeübt. Fotos für Kalender und Modemagazine vor allem. Und es hätte mich nicht gewundert, wenn er auch jetzt in irgendeinem Studio seiner Profession nachging, die bei ihm schon fast einer Besessenheit glich: der Fotografie.

Ich stieg aus dem Wagen.

Es war ein lauer Abend.

Ein milder Wind strich über die Stadt.