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Der neue Megastar des American Football Der Quarterback der Kansas City Chiefs hat mit 27 Jahren bereits Geschichte geschrieben. Bereits zweimal - 2020 und 2023 - führte der gebürtige Texaner als MVP (Most Valuable Player) der NFL sein Team zum Triumph im Super Bowl. Als bestbezahlter Sportler der Welt kann er bis 2032 unfassbare 500 Millionen Dollar Gehalt kassieren. Wer ist dieser Patrick Mahomes? Wie ist der Sohn eines Baseball-Profis zu dem geworden, der er ist? Wie verlief seine Kindheit in Texas, seine Karriere am College, sein Einstieg in die NFL? Wie tickt er privat? Und: Was muss man alles über die Kansas City Chiefs wissen, die 2023 ihr erstes NFL-Game in Deutschland spielen werden? Dieses Buch nimmt uns mit in die schillernde Welt des NFL-Footballs und erzählt das Leben eines amerikanischen Ausnahmeathleten. Ein Muss für alle American-Football-Fans, eine hochspannende Lektüre für sportbegeisterte Leserinnen und Leser. "Der beste Spielmacher der Gegenwart" Süddeutsche Zeitung
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Seitenzahl: 371
#1 Die Krönung
#2 Die Entscheidung
#3 Der Rohdiamant
#4 Die Geschichte der Chiefs
#5 Die Legenden der Chiefs
#6 Der Neuaufbau der Chiefs
#7 Die Explosion
#8 Der Superstar
#9 Die Fankultur der Chiefs
#10 Der Rekordvertrag
„Willkommen bei Hooters, was kann ich euch bringen?“
Iazara begleitete uns zu unserem Platz im vollgepackten Restaurant im Bayside Marketplace von Miami. Von unserem Tisch am Fenster konnten Max und ich auf die Schnellboote im Hafen blicken. Doch wir würden in den kommenden Stunden nicht oft rausschauen. Viel wichtiger war die Sicht auf einen der vielen großen Fernseher, denn an diesem 2. Februar 2020 sollte in etwa dreieinhalb Stunden im nur knapp 25 Kilometer entfernten Hard Rock Stadium der 54. Super Bowl losgehen. Obwohl wir früh dran waren, war der Laden bereits pickepackevoll. Familien, Männergruppen, auch einige Paare hatten sich so wie wir in der kleinen Bar niedergelassen, um dort die nächsten sieben Stunden auszuharren. Und mittendrin Iazara. Ihr Job war es, uns alle vor, während und nach dem Spiel mit Chickenwings, Cheese-Sticks, Nachos und Softdrinks zu versorgen. Mit typisch amerikanischem Lächeln und bekleidet in dem sowohl berühmten als auch viel kritisierten Outfit der Restaurantkette Hooters: orangefarbene Hotpants und superenges weißes Tanktop mit dem bekannten Eulen-Logo auf der Brust. Wir entschieden uns für die deutscheste aller Vorspeisen auf der Karte: Beer, Cheese Dip & Pretzels. Ein Hauch Bayern in Florida.
Am Nebentisch saß ein junges Latino-Pärchen, beide in den falschen roten Trikots. Auf seinem Rücken prangte der Name Garoppolo, auf ihrem der Name Kittle – zwei Stars der San Francisco 49ers, die an diesem Abend den größten Triumph der Kansas City Chiefs seit 50 Jahren verhindern wollten. „Time to party the bay“, stimmten die Latinos mit Blick in unsere Richtung an. Begleitet von einem süffisanten, siegessicheren Lächeln. Na, das wollen wir doch mal sehen, dachte ich mir.
Eigentlich wollte ich gar nicht hier sein, sondern im Stadion. Beruflich waren Max von Garnier und ich, Daniel Jensen, die vergangenen Tage in Orlando gewesen, wo wir ein Schulteam bei einem Football-Nachwuchsturnier betreut hatten. In der Hoffnung, noch ein einigermaßen bezahlbares Ticket für das große Spiel zu ergattern, hatten wir eine Woche in Miami drangehängt. Leider vergeblich! Die Ticketpreise waren sogar für einen Super Bowl astronomisch hoch, unter 7500 US-Dollar war nicht mal ein Platz ganz oben unterm Dach des Hard Rock Stadium zu ergattern. Also Hooters. Mit der Hoffnung auf gute Stimmung mit Fans beider Teams und dem besseren Ende für meine Chiefs.
Für mich war es das größte Footballspiel aller Zeiten. 2001 hatte ich mich als Austauschschüler in Wichita im US-Bundesstaat Kansas in die Chiefs verliebt und ihren großgewachsenen Tight End Tony Gonzalez für seine eindrucksvollen Catches und seine Powerläufe mit gegnerischen Verteidigern im Schlepptau bewundert. Er war es, der mich dazu brachte, mir mein erstes Footballtrikot zu kaufen. Und das, obwohl seine Nummer in Deutschland meist für irritierte Blicke sorgte, trug er doch die in Fußballgefilden ungewohnte 88.
Die letzten Tage hatten Max und ich genutzt, um die Atmosphäre des größten Sportereignisses der Welt vor Ort aufzusaugen. Miami war perfekt dafür. Die National Football League (NFL) hatte den berühmten Ocean Drive in Beschlag genommen und mit Ständen, Shops und Fans beider Lager gefüllt. Die ganze Woche gab es Veranstaltungen mit Footballlegenden, einsehbare TV-Studios von Fox, NBC und CBS, in denen die NFL-Stars ein und aus gingen, und natürlich Partys mit lauter Musik an jeder Straßenecke. Max und ich hatten uns mit Fanartikeln ausgestattet und waren bereit für den Höhepunkt der Saison.
Bevor wir in die USA geflogen waren, hatte ich mir jedes Playoff-Spiel der Chiefs angeschaut – in der Hoffnung, dass sie es genau dann zum langersehnten Super Bowl schaffen würden, wenn ich zufällig ganz in der Nähe war. Zweimal drohte dieser Traum zu platzen: Erst lagen sie gegen die Houston Texans in der Divisional Round fast schon uneinholbar hinten. Dann eine Woche später im AFC Championship Game dasselbe Bild gegen die Tennessee Titans. Doch immer wieder konnte Patrick Mahomes, Kansas Citys junger Star-Quarterback, seine Mitspieler mitreißen und die Spiele am Ende doch noch zugunsten der Chiefs drehen.
Was war das für ein fantastischer Spieler? Für viele ist er der ideale Quarterback: Mit einem unfassbaren Wurfarm, der den Ball über 85 Yards (77,7 m) schleudern kann. Einer herausragenden Beweglichkeit, mit der es ihm gelingt, Spielzüge immer wieder zu verlängern. Einer Übersicht und Kreativität auf dem Platz, die jeden seiner Coaches bisher überraschte. Einem fotografischen Gedächtnis, durch das er begangene Fehler kein zweites Mal macht. Und dem unbedingten Willen, es der ganzen Welt zu beweisen. Patrick Mahomes war das neue Gesicht der NFL.
Doch an diesem Abend, im alles entscheidenden Super Bowl, brauchte Mahomes lange, um seine Klasse zu zeigen. Der „Most Valuable Player“ des Vorjahres (der „MVP“-Award ist eine Auszeichnung für den sportlich wertvollsten Spieler einer Saison) hatte in der ersten Halbzeit immer wieder die starken Verteidiger der 49ers um Nick Bosa vor der Nase, die ihn zu schnellen, ungenauen Pässen zwangen. Mist! Doch zum Glück war auf die Defensive der Chiefs Verlass. Sie sorgte mit einer Interception für ein ausgeglichenes Spiel. So konnte ich die Halbzeitshow von Shakira und Jennifer Lopez fast genießen. Es stand 10:10.
Doch die 49ers waren weiter brutal heiß. Fred Warner, ein bärenstarker Verteidiger, fing einen Ball der Chiefs ab. Der wendige Deebo Samuel sorgte mit Läufen über die ganze Breite des Felds immer wieder für Verwirrung. Und Kyle Juszczyk, der Fullback mit den breiten Oberschenkeln und der gedrungenen Körperhaltung, tankte sich bis in Kansas Citys Endzone durch. Nach drei Vierteln stand es 20:10 für San Francisco. O nein! Derweil bestellte ich mir meine zehnte Coke Zero. Nervös, wie ich war, brauchte ich immer irgendwas in der Hand. Auf die Toilette zu gehen traute ich mich die ganze Zeit nicht.
Der 49ers-Fan am Nebentisch feierte zu diesem Zeitpunkt schon den Erfolg seines Lieblingsteams. Seine Freundin guckte fast entschuldigend zu mir rüber. Nur Max machte mir Hoffnung: „So ein Vorsprung ist im Football schnell aufgeholt. Ein einziges Play – und schwupps, sieht die Welt ganz anders aus.“ Mit nur noch acht Minuten auf der Uhr und einem dritten Versuch der Chiefs und langen 15 Yards, die zu einem neuen First Down fehlten, lag es nun an Mahomes, die drohende Niederlage abzuwenden. Mit zehn Punkten Vorsprung würden die 49ers die Zeit entspannt runterlaufen lassen können. Es hieß also: Jetzt oder nie! Ich setzte mich kerzengerade hin.
Auf dem Feld im Hard Rock Stadium hatte Mahomes eine Idee. „Reicht die Zeit für Wasp?“, fragte er seinen Head Coach Andy Reid. Und meinte damit: Können mir meine Mitspieler so viel Zeit verschaffen, dass ich jetzt mal einen langen Wurf wage? Zuvor musste er sich meist auf die kurze Distanz verlegen, weil die gegnerischen Verteidiger oft schnell an ihm dran waren. Zu schnell. Jetzt – mit dem Rücken zur Wand – nahm Reid den Vorschlag seines Spielmachers an. Sie wollten einen „Jet Chip Wasp“ versuchen – einen Spielzug, bei dem Wide Receiver Tyreek Hill rund 50 Yards von der linken Seite des Spielfelds diagonal in die Mitte sprintet, um dann wieder zum Rand abzubiegen. Zwei weitere Angreifer, Sammy Watkins und Travis Kelce, kamen über dieselbe Seite und zogen ebenfalls die Aufmerksamkeit des Gegners auf sich. So konnte Hill den Ball im Training meist ohne direkten Gegenspieler fangen. Wohlgemerkt: im Training.
Das Problem: Um überhaupt 50 Yards zu laufen, brauchte Hill Zeit, die Mahomes bis dahin selten hatte. Damit das Play funktionierte, bewegte sich Mahomes mit dem Ball in der Hand zunächst etwa 13 Yards nach hinten. Hill war unterdessen bereits 25 Yards noch vorne gesprintet. Dann der Wurf. Während Hill weitere 17 Yards erlief, legte der Ball in der Luft eine Strecke über 55 Yards zurück. In Wirklichkeit flog er nur Bruchteile von Sekunden. Aber mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Dann die Erleichterung: Mahomes’ Pass landete tatsächlich sicher in den Händen von Hill. Geschafft! Der Plan hatte funktioniert. Wahnsinn.
Als Hill zugriff, lag Mahomes schon am Boden. Kurz nachdem er den Ball geworfen hatte, war ein 49ers-Spieler in ihn reingeknallt und hatte ihn auf den Rasen gedrückt. Glück gehabt. Wäre Mahomes den Ball nur eine Hundertstelsekunde später losgeworden, der Super Bowl wäre verloren gewesen. Doch jetzt keimte wieder Hoffnung auf. Die vielen Fans im Hard Rock Stadium schrien sich die Hälse heiser: „CHIEFS, CHIEFS!“ Ich bestellte mir die nächste Cola.
Es ging munter weiter. Kurzer Pass von Mahomes auf Kelce. Touchdown! Der Rückstand betrug nur noch drei Punkte. Und jetzt war plötzlich San Francisco unter Druck. 49ers-Quarterback Jimmy Garoppolo zeigte Nerven, konnte keinen seiner drei folgenden Passversuche an den Mann bringen. Die Chiefs hatten wieder den Ball. „Das ist heute was Besonderes! Alle werden über das hier noch lange reden“, schrie Mahomes, motivierte seine Mitspieler damit zusätzlich – und ging selbst mit bestem Beispiel voran. Mit Pässen auf Hill, Kelce und Watkins arbeitete er sich in Richtung 49ers-Endzone vor, um dann mitzuerleben, wie Running Back Damien Williams den Ball mit beiden Händen über die orange Pylone hielt. Noch ein Touchdown! Plötzlich vier Punkte Führung. Wow! Den 49ers reichte jetzt – kurz vor Spielschluss – nicht mal mehr ein Field Goal, um zurückzuschlagen.
Im Hooters wurden die Chiefs-Fans um uns herum euphorischer, der 49ers-Anhänger am Nebentisch hingegen war bedient und hatte sein Trikot bereits ausgezogen. Mit „He is just too good“ kommentierte er das, was Mahomes gerade abgeliefert hatte. Ein weiterer Touchdown von Williams machte kurz darauf endgültig den Deckel drauf. Eine fast aussichtslose Situation mündete letztlich doch noch in einen souveränen Sieg. Kansas City waren innerhalb von 308 Sekunden 21 Punkte gelungen, den 49ers kein einziger mehr. Die Chiefs waren Super-Bowl-Champion, das erste Mal seit 50 Jahren! Das Hooters stand kopf. Ich auch. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. Max und ich fielen uns in die Arme.
Im Regen des gelb-roten Konfettis im Hard Rock Stadium in Miami hatte Mahomes jetzt nur noch ein Ziel: Er suchte seinen Vater, der den gleichen Namen trägt wie er, aber von allen nur Pat genannt wird. Patrick fand Pat am Spielfeldrand und umarmte ihn. „We did it, Baby! We did it. I love you“, waren die einzigen Worte, die er mit breitem Lächeln und brüchiger Stimme hervorbrachte, bevor beiden die Freudentränen übers Gesicht liefen. Vielleicht dachten sie in diesem Moment an die unglaubliche Reise, die hinter ihnen lag. Oder daran, wie unwahrscheinlich es vor wenigen Jahren noch schien, dass das junge Baseballtalent Patrick einmal die Lombardi Trophy in Händen halten würde.
„Hör auf mit Football. Damit verschwendest du nur deine Zeit. Das Verletzungsrisiko ist viel zu groß.“
Die ernsten Worte, die Pat Mahomes an seinen Sohn Patrick, der auf dem Beifahrersitz neben ihm saß, richtete, waren deutlich und unmissverständlich. Es musste eine Entscheidung her. Die gemeinsame Autofahrt bot die beste Gelegenheit dazu, die beiden würden schließlich noch einige Stunden über den Highway brettern. Pat Mahomes war fest entschlossen, genau jetzt die richtigen Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen.
Es war ein Wochenende im Oktober 2011. Pat Mahomes spürte damals, dass sein Sohn nur ein paar Jahre davon entfernt war, in den USA ein gefeierter Sportstar zu werden. An jenem Wochenende waren sie zusammen zu einem der bedeutendsten Colleges der USA gefahren: der University of Texas in Austin. Das Footballteam der Uni, die Texas Longhorns, ist in ganz Amerika bekannt, für sie zu spielen, der Traum Hunderttausender Jugendlicher. Für Patrick Mahomes war die Erfüllung dieses Traums nun zum Greifen nah. Er hatte eine Einladung auf den Campus bekommen. Und dort wurde ihm dann das Angebot unterbreitet, kostenfrei zu studieren und einen begehrten Platz im Kader zu bekommen. Wow!
Seinen Papa hatte Patrick als Verstärkung mitgenommen, weil der sich in der Sportszene auskannte. Nun waren sie auf der Rückfahrt. Für Amerikaner sind vier Stunden Autofahrt nur ein kurzer Roadtrip. So blieben Vater und Sohn auch nicht über Nacht in einem Hotel, sondern machten sich nach dem Gespräch mit dem Head Coach der Longhorns direkt wieder auf den Nachhauseweg, zurück nach Tyler, dem beschaulichen Örtchen in Texas, in dem Patrick Mahomes noch über zwei Jahre zur Highschool gehen würde.
Pat Mahomes hatte in den letzten Wochen viel nachgedacht, nächtelang gegrübelt und an Plänen für die Karriere seines Sohnes getüftelt. Nun – nach dem Gespräch an der Uni – ahnte er, dass sie sich entscheiden mussten. Die Familie Mahomes stand an einem Scheideweg. Sie hatte mehrere Optionen, die Wahl zwischen drei Wegen, die alle in unterschiedliche Richtungen führten. Welcher war der richtige?
Auf jeden Fall nicht Football! Das wurde Pat nun endgültig bewusst. Das Angebot der Longhorns hatte bei ihm die letzten Zweifel ausgeräumt. Das klingt erst mal absurd, wenn man bedenkt, dass am Ende des Gesprächs ja eine Zusage stand. Patrick Mahomes sollte zukünftig für die Longhorns spielen. Als Safety. Das ist eine Position in der Verteidigung beim American Football, auf der Spieler, vereinfacht ausgedrückt, nur eine Aufgabe haben: Passversuche des Gegners zu verhindern.
So weit, so gut. Doch für Pat Mahomes war das Angebot nicht akzeptabel, denn sein Sohn spielte nicht nur Football, sondern gleichzeitig auch noch Baseball und Basketball. Und zwar deutlich erfolgreicher. In diesen Sportarten gehörte er zu den besten Spielern seiner Highschool. Im Football nicht. Hier war er als „Sophomore“ in seinem zweiten Jahr an der Schule eher schnöder Durchschnitt. So schaffte er es in der Vorsaison zwar immer mal wieder, dem Gegner den Ball abzuluchsen, doch am Ende verlor sein Team, die Whitehouse Wildcats, meist deutlich: 49:70 gegen Sulphur Springs, 14:42 gegen die Tyler Lions, 6:64 gegen die Kilgore Bulldogs, 24:45 gegen die Sherman Bearcats. Es war ernüchternd. Und frustrierend.
In den Augen des Vaters waren die Bemühungen seines Sprösslings auf dem Footballfeld mittlerweile bloß noch Zeitverschwendung. Ein Hobby mit zu großer Verletzungsgefahr. Er fand, sein Sohn sei zu Höherem berufen. Denn das Talent, um ein erfolgreicher Profisportler zu werden, hatte er schon in die Wiege gelegt bekommen, und zwar von seinem Vater. Pat Mahomes war nämlich selbst vor einigen Jahren noch ein gefeierter Sportstar gewesen – auf dem in Diamantenform angelegten Baseballfeld. Und dort gehörte auch sein Sohn hin. Basta!
Pat Mahomes, Jahrgang 1970, hatte es seinem mächtigen Wurfarm zu verdanken, dass er weit über seine texanische Heimat hinaus bekannt war. Er spielte elf Jahre in der Major League Baseball (MLB), einer Profiliga, die jedes Jahr Milliardenumsätze macht. Baseball ist der uramerikanische Sport schlechthin. Wer hier spielt, wird angehimmelt. Und verdient sehr viel Geld. Mahomes konnte seiner Frau und den beiden Söhnen ein schönes Leben ermöglichen. Er entwickelte sich zwar nie zu einem Superstar, bekam aber trotzdem Jahr für Jahr lukrative Angebote von Teams aus ganz Amerika und sogar aus Japan. Die Familie reiste viel. Der Vater war im Sommer meist nicht zu Hause, sondern beruflich auf Achse, denn in der MLB gehen Teams regelmäßig auf Tour und bestreiten dann mehrere Auswärtsspiele am Stück.
Um mehr gemeinsame Zeit zwischen März und Oktober (in diesen Monaten ist MLB-Saison) zu haben, nahm Vater Pat seinen Sohn Patrick im Sommer regelmäßig mit zum Training und auch mal ins Stadion. Die gleichaltrigen Kinder der anderen Spieler hatten meist Angst vor den fliegenden Bällen auf dem Feld, und spätestens nach einigen Tagen fanden sie es langweilig. Aber der kleine Patrick war sofort Feuer und Flamme für diese Sportart. Sobald er das Spielfeld betrat, wollte er es gar nicht mehr verlassen.
Im Alter von sechs Jahren lernte der Junge von den Besten des Sports. Sein Vater spielte damals mit vielen heutigen Baseballlegenden zusammen. Und die nahmen sich viel Zeit, um dem kleinen, wissbegierigen Knirps ihres Teamkollegen die Grundlagen dieser Sportart beizubringen. Von Derek Jeter zum Beispiel, dem Superstar der New York Yankees, lernte Patrick, welche Hingabe es braucht, um erfolgreich zu sein. Jeter trainierte oft stundenlang seinen Wurfarm, um die verrücktesten Würfe im Repertoire zu haben. Er trommelte nach jedem Training die Pitcher seines Teams (das sind die Werfer im Baseball) für Sonderschichten zusammen, um noch ein paar Prozent besser am Abschlag zu werden. Zufrieden war er mit sich fast nie. Bei ihm konnte sich Patrick abgucken, was es heißt, das maximal Mögliche aus sich und den anderen herausholen zu wollen. Für Jeter gab es nämlich nur ein Ziel: gewinnen!
Der Schlagtechnik von Patrick widmete sich Alex Rodríguez (ja, genau: der Ex-Freund der Weltstars Jennifer Lopez und Cameron Diaz). Rodríguez gewann 2009 die World Series mit den Yankees, zählte jahrelang zu den besten Spielern der MLB – und erklärte Patrick ganz genau, worauf es kommt, damit der Ball möglichst gerade und weit in Richtung der Tribünen fliegt oder wie man das richtige Timing beim Schwung entwickelt.
Der erste Catch, an den sich Patrick heute noch erinnert, wurde vom zweimaligen All Star und mehrfachen „Gold Glove“-Sieger Robin Ventura geschlagen. Und das kam so: Im Rahmen der World Series im Jahr 2000 wärmte sich Ventura gerade auf dem Spielfeld auf und schlug ein paar Bälle. Der fünfjährige Patrick stand mit einigen Mitspielern seines Vaters etwas abseits des Geschehens im Outfield. Plötzlich flog ein Ball von Ventura flach in seine Richtung. Mahomes Jr. reagierte blitzschnell und begrub die Kugel in seinem Lederhandschuh, als sei es das Normalste auf der Welt. Die meisten Menschen wären diesem Geschoss wohl eher aus dem Weg gesprungen. Oder hätten es nicht mal gesehen.
Patrick Mahomes hatte schon früh eine beeindruckende Kraft im rechten Arm. Durch die intensive Zeit mit den Profikollegen seines Vaters lernte er, härter und weiter zu werfen als andere Spieler in seinem Alter. Einmal warf er als Shortstop (Verteidiger zwischen der zweiten und dritten Base) den Ball so hart und präzise, dass er aus Versehen den First Baseman, also seinen eigenen Mitspieler, mitten ins Gesicht traf. Dessen Nase blieb zwar heil, die Brille war aber nicht mehr zu gebrauchen.
Sein damaliger Jugendtrainer wollte Patrick beibringen, den Ball nur halb so stark zu werfen und lieber über den Boden rollen zu lassen, um schwerere Verletzungen der Mitspieler zu verhindern. Doch das gefiel seinem Vater gar nicht! Pat Mahomes wollte die noch im Aufbau befindliche Technik und Wurfqualität seines Sohns auf keinen Fall gefährden und forderte für ihn eine neue Position auf dem Feld, damit so was nicht noch mal passierte. So wanderte Patrick erst mal ins Outfield, wo die Distanzen deutlich größer waren und die Bälle nicht so wuchtig bei seinen Mitspielern ankamen. Aber auch da war er nicht lange glücklich und wurde in ein neues Team gesteckt. Seine Mitspieler dort waren bis zu drei Jahre älter, aber keiner hatte einen solchen Arm wie der Sohn des MLB-Spielers Mahomes. Nach nur wenigen Wochen war Patrick auch in diesem Team Stammspieler – wieder als Shortstop.
Und die Entwicklung des jungen Sportlers ging rasend schnell weiter. Schon bald reichte der große Garten des Hauses nicht mehr für die Wurfübungen der Familie. Patrick schleuderte den Ball bereits als Zehnjähriger knapp 60 Meter weit. Sein Vater trainierte bewusst die Armstärke seines Sohnes, mit einer Übung, die sich „Long Toss“ nennt. Dabei geht es darum, die Entfernung zwischen zwei Werfern immer weiter zu vergrößern und am Ende zwei bis drei Würfe aus der maximal möglichen Entfernung zu machen. So wird die Muskelkraft im Arm sukzessive ausgebaut.
Obwohl sein Vater in den großen Baseballstadien Amerikas spielte, lebte Patrick Mahomes bis zum Ende seiner Highschool-Zeit in der beschaulichen Kleinstadt Tyler. Die liegt irgendwo im Nirgendwo im Osten von Texas zwischen Dallas und der östlichen Grenze zu Louisiana inmitten von Wäldern und Seen. Benannt ist die Heimat von rund 100 000 Einwohnern nach dem früheren US-Präsidenten John Tyler, der 1845 dafür sorgte, dass der Bundesstaat Texas in die USA eingegliedert wurde. Und für noch etwas ist Tyler berühmt: Rosen. Einmal im Jahr veranstaltet der Ort das über die Grenzen hinaus beliebte Texas Rose Festival. Einen Baseballstar erwartet man hier eher nicht.
Offenbar war es aber genau das, was Papa Pat hier hielt: Er war in Tyler eine echte Berühmtheit. Ein typisch-amerikanischer „Hometown Hero“, der nach den nervenaufreibenden Duellen auf dem „Field of Dreams“, wie das Baseballfeld im gleichnamigen Film genannt wird, immer wieder in seine Heimat zurückkehrte. Hier schaute man zu ihm auf, hier bewunderte und hofierte man ihn. Er kam in einer einige Meilen entfernten Kleinstadt zur Welt, und die Familie zog ein paar Jahre später nach Tyler.
Im Baseball war Pat ein Spätzünder, er fing erst mit 17 Jahren in seinem letzten Schuljahr an der Highschool als Pitcher an. Trotzdem fiel er schnell einigen Scouts vom College auf und wurde 1988 in seinem Abschlussjahr erstmals in die All-Texas-Auswahl seines Jahrgangs gewählt – und zwar nicht nur im Baseball, sondern auch im Basketball! Für seine Leistungen in Football und Leichtathletik reichte es „nur“ für das Auswahlteam seines Countys (vergleichbar mit einem Landeskreis bei uns). Durch seine sportlichen Leistungen und das große Interesse mehrerer Universitäten der höchsten Spielklasse in den USA, der Division I, stand ihm der Weg ans College frei. Dabei konnte auch er sich – wie sein Sohn Patrick Jahre später – sogar entscheiden, welchen Sport er ausüben wollte: Baseball, Football oder Basketball. Seine Wahl fiel auf Basketball und ein Stipendium der University of Arkansas. Doch es kam anders.
In der Draft der Major League Baseball 1988 wurde Pat Mahomes, der erst wenige Wochen zuvor die Highschool beendet hatte, völlig überraschend an Position 155 in der sechsten Runde von den Minnesota Twins ausgewählt. Damit tat sich eine völlig neue Karriereoption auf, mit einem völlig anderem Spielgerät: Baseball statt Basketball. Und es sollte alles viel schneller gehen, denn im Baseball konnte er ohne den Umweg übers College direkt als Profi Geld verdienen. Ein verlockendes Angebot, sowohl sportlich als auch finanziell. Pat Mahomes entschied sich spontan noch mal um, für Baseball und gegen Basketball.
Doch ganz so einfach war sein beruflicher Aufstieg dann doch nicht – es sollte noch knapp vier Jahre dauern, bis er endlich auch für Minnesota spielen durfte. Die Twins bildeten Mahomes nämlich in Provinzkäffern wie Elizabethton, Kenosha und Visalia in kleinen Teams aus den unteren Ligen des US-Baseballsystems aus. Erst in seiner vierten Saison in den sogenannten Minor Leagues konnte er die Scouts vollends überzeugen. Als Spieler der Orlando Sun Rays schaffte er einen 1.78 ERA über 116 Innings und gewann mit dem Team den Titel der Southern League. (Der ERA-Wert erklärt, wie viele Runs ein Pitcher im Durchschnitt pro neun Innings, also einem regulären Spiel ohne Verlängerung, zulässt.) Kein Pitcher in der Geschichte dieses Amateurteams hatte zwischen 1919 und 2003 jemals einen besseren ERA-Wert in einer Saison als Mahomes. Dadurch machte er einen Karrieresprung und wurde nach Portland zu den Beavers in die höchste Spielklasse der Minors befördert. Nun war er nur noch einen Schritt von den Profis entfernt. Mit weiterhin konstant guten Leistungen verdiente er sich in Portland im Laufe des Jahres die Chance, im Vorbereitungscamp des Top-Kaders der Twins dabei zu sein und sich erstmals mit den Stars zu messen. Er nutzte sie! Und durfte am 12. April 1992 gegen die Texas Rangers endlich das erste Mal das Trikot der Minnesota Twins überstreifen.
Als sein ältester Sohn Patrick am 17. September 1995 zur Welt kam, war Pat Mahomes in seiner vierten Saison bei den Twins und in der Major League mittlerweile etabliert. Nur einen Tag nach der Geburt von Patrick stand er bei einem 10:4-Sieg der Twins für dreieinhalb Innings auf dem Feld, ohne einen einzigen Run zuzulassen, und sicherte seinem Team damit zum Spielende die Führung. Gegner waren übrigens die Kansas City Royals, deren Mitbesitzer sein Sohn rund 25 Jahre später werden würde.
Doch im folgenden Jahr erlebte Pat einen Karriereknick. Am 26. August 1996 tauschten ihn die Minnesota Twins gegen Brian Looney von den Boston Red Sox ein. Sportler in amerikanischen Profiligen haben wenig Mitspracherecht, die Teams können ihre „Angestellten“ nach Belieben zu anderen Mannschaften transferieren, auch gegen deren Willen. Mahomes fand sich plötzlich in einer fremden Großstadt wieder und konnte nichts dagegen unternehmen. So sind nun mal die Regeln.
Nach seinem Traumstart direkt nach der Highschool und einem starken Debüt in der Profiliga stand Pat plötzlich vor einer harten Bewährungsprobe. In seinem Repertoire hatte er zu dieser Zeit letztlich nur zwei halbwegs gute Würfe: einen überzeugenden Fastball, der die magische Grenze von 100 mph erreichte, und einen Slider, der ihm nicht immer glückte. Vor allem am Anfang seiner Karriere hatte er die Gegner mit der Geschwindigkeit seiner Würfe oft überrumpelt. Nach drei, vier Innings stellten diese sich aber auf sein begrenztes Repertoire ein und profitierten von der abnehmenden Explosivität der Würfe. Die Folge: viele Hits und späte Niederlagen. Mahomes Sr. war als Starting Pitcher schlicht nicht gut genug. Er bekam bei den Red Sox keinen neuen Vertrag.
1997 ließ er sich deshalb auf ein Abenteuer ein: Er verließ Amerika und ging für zwei Jahre ins ferne Japan, viele Flugstunden von seiner Familie entfernt. Sein neues Team waren die Yokohama BayStars aus der japanischen Nippon League, mit denen er 1998 sogar die Meisterschaft feierte. Aber auch hier war er keine Stammkraft. Zu Beginn der zweiten Hälfte der Meisterschaftssaison war Mahomes nicht mehr gut genug für den Kader und saß meist auf der Tribüne – ein absoluter Tiefpunkt seiner Karriere. Als er 1998 aus Japan in die USA zurückkehrte, dachte er voller Selbstzweifel zum ersten Mal über ein Karriereende nach. Doch seine engsten Vertrauten überredeten ihn, weiterzumachen und seine Einstellung zum Profisport zu verändern. Zuvor hatte Pat immer an sein Talent geglaubt und sich darauf verlassen. Nun schob er Extraschichten und lernte, dass sich langfristiger Erfolg erst mit täglich harter Arbeit einstellt.
Die MLB-Teams hatten ihn weiterhin auf dem Zettel. Die erste Mannschaft, die sich nach dem Japan-Abenteuer bei ihm meldete, waren die New York Mets. Sie gaben ihm eine Chance und wurden auch nicht nervös, als er es zu Beginn der Saison nicht sofort in den Saisonkader der Profis schaffte. Im Nachwuchsteam der Mets, den Norfolk Tides, brachte er starke Leistungen und empfahl sich für höhere Aufgaben. Nun war er nicht mehr das Talent, das als Starting Pitcher die Gegner reihenweise aus dem Spiel nehmen sollte, sondern ein sogenannter Relief Pitcher. Das ist ein Rollenspieler für besondere Momente, der durch seine Erfahrung und seinen harten Wurf zwei, drei Innings über die Runde bringen, Vorsprünge sichern und Siege nach Hause holen kann. Mit dieser neuen Aufgabe und einer reiferen Einstellung zum Sport erlebte Pat Mahomes 1999 sein bestes Jahr als Pitcher in der Major League Baseball. Er schaffte es, in allen seinen Einsätzen ungeschlagen zu bleiben und die reguläre Saison mit einem 8:0-Rekord abzuschließen. Die Mets hatten in jenem Jahr sogar realistische Chancen, die Meisterschaft zu gewinnen, schieden aber letztlich in den Playoffs kurz vor der World Series, dem großen Finale der MLB, aus. Das erreichten sie ein Jahr später – allerdings ohne Mahomes, der da schon wieder auf der Tribüne saß. Wie schon in Japan musste er tatenlos mit ansehen, wie sich sein Team bis ins Endspiel siegte. An seine starke Vorsaison konnte er nicht anknüpfen, in den Playoffs durften andere Spieler ran. In der Finalserie scheiterten die Mets mit 1:4 am Stadtkonkurrenten, den New York Yankees. Im Dezember wurde Pat Mahomes entlassen.
„Wandervogel“ Mahomes setzte seine Reise also fort. Zwangsläufig. Als Free Agent konnte er nach den ordentlichen Leistungen der letzten Jahre aber immerhin zum ersten Mal frei wählen, wo es mit seiner Karriere weitergehen sollte. Er wollte näher bei seiner Familie sein und fand mit den Texas Rangers das ideale Team – erst mal wieder nur für eine Saison. Dort unterschrieb im gleichen Jahr aber auch Alex Rodríguez einen Vertrag über zehn Jahre im Wert von 252 Millionen US-Dollar und beherrschte natürlich die Schlagzeilen – die Rückkehr des Relief Pitchers Mahomes in seine Heimat Texas ging in der Baseballwelt unter. Dass im Rampenlicht stets andere standen, zog sich wie ein roter Faden durch die Karriere von Mahomes Sr.
Der Wechsel hatte aber auch etwas Positives: Der Manager der Rangers erlaubte ihm, regelmäßig an Wochenenden seine Frau und die beiden Kinder zu besuchen (2000 war Patricks Bruder Jackson zur Welt gekommen). Damit konnte Pat endlich auch die Baseballspiele seines Sohns Patrick besuchen, etwas, was ihm bei den vielen Umzügen und anstrengenden Reisen bisher entgangen war.
Mahomes genoss die Saison vor der eigenen Haustür, spielte recht ordentlich und gewöhnte sich an dieses ganz neue Familienleben. Doch die Rangers blieben weit hinter den hohen Erwartungen zurück. Trotz der Verpflichtung von Alex Rodríguez gewannen sie nur wenige Spiele. Das hatte Konsequenzen. Erstes „Opfer“ wurde Jerry Narron, der General Manager der Texans. Auch Pat Mahomes hatte trotz seines Wunschs, weiter in der Heimat zu spielen, nun keine Zukunft mehr im Team. Denn während Narron ihn noch schätzte und um seine Qualitäten als „Closer“ (einer, der Führungen in den letzten Runden des Spiels über die Zeit rettet) wusste, unterbreitete ihm der neue General Manager Buck Showalter keinen neuen Vertrag. Die Rangers wollten lieber ein neues Team mit frischen Talenten um Rodríguez aufbauen, um zum Meisterschaftsanwärter zu werden, Mahomes passte nicht mehr ins Konzept. Er musste sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Mal wieder.
Den fand er knapp 1000 Meilen weiter nördlich bei den Chicago Cubs, wo er aber auch nur ein Jahr blieb. Genau wie anschließend bei den Pittsburgh Pirates. Sollte er alles hinschmeißen? Die Karriere beenden? Nein, noch nicht! Pat Mahomes setzte seine Reise in den unterklassigen Minor Leagues fort, wurde zum sogenannten „Journeyman“ – immer mit der Hoffnung, es doch noch mal in die MLB zu schaffen. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Kaum war er irgendwo angekommen, musste er kurz danach schon wieder die Koffer packen. Im Alter von 38 Jahren zog Mahomes Sr. dann einen endgültigen Schlussstrich unter seine aktive Laufbahn und kam zurück nach Texas, ins unaufgeregte Tyler. Nach Hause zu seiner Familie.
Doch die jahrelange räumliche Distanz zur Familie hatte Spuren hinterlassen. Die künstlich am Leben gehaltene Karriere, die vielen Reisen, die oft monatelange Abwesenheit: All das sorgte dafür, dass sich Pat und Randi Mahomes schleichend auseinanderlebten. 2006 ließen sie sich scheiden. Für Patrick Mahomes ein Schock, wie seine Mutter später erzählte: „Es war das schwerste Jahr für ihn.“
Aus sportlicher Sicht hatte dieses traurige Erlebnis für Mahomes Jr. aber auch etwas Gutes: Da die Familie nun sparen musste, wechselte Patrick von der privaten auf eine staatliche Schule. Dort traf er auf viele alte Freunde und Bekannte, mit denen er früher zusammen in den „Little Leagues“ so viel Spaß gehabt hatte. Mit ihnen konnte er unbeschwert um Körbe, Homeruns und Touchdowns kämpfen, wenn auch mit deutlich mehr Erfahrung und Ernsthaftigkeit als damals. Sport war in dieser Zeit für ihn die wichtigste Ablenkung von der angespannten Situation zu Hause.
Patricks wichtigste Bezugsperson war Mutter Randi. Im Gegensatz zum Vater war sie bei Sorgen oder Fragen immer ansprechbar, kümmerte sich um Patrick und dessen viereinhalb Jahre jüngeren Bruder Jackson. Der Lebensmittelpunkt der Familie war immer das beschauliche Tyler geblieben. 1997 hatten Pat und Randi ein riesiges Anwesen mit einem luxuriös ausgestatteten Haus und einem weitläufigen Garten mit Swimmingpool gekauft. Nach der Trennung zog Randi 2006 mit den beiden Kindern in ein weniger imposantes Haus mit einem deutlich kleineren Garten im Vorort Whitehouse.
Mahomes’ Mutter kam 1976 als Randi Martin auf die Welt und wuchs in einem behüteten, christlich geprägten Haushalt auf. Ihr Vater Randy Martin, ein Schuldirektor, legte großen Wert auf die Bildung seiner vier Kinder. In der Highschool spielte Randi Softball und Basketball, ihre größte Leidenschaft war aber die Musikband der Schule. Bei deren Auftritten performte sie als „Bajorette“, als uniformierte Tänzerin, die einen Taktstock durch die Luft wirbelt. In ihrem letzten Highschool-Jahr hörte Randi mit Sport und Musik auf, um sich pflichtbewusst auf ihren Abschluss zu konzentrieren, eine Entscheidung, die sie im Nachhinein bedauerte. Aber Randi war auch eine Rebellin. Nur wenige Wochen nach ihrem bestandenen Highschool-Abschluss lernte sie Pat Mahomes – den Star des Basketball- und Baseballteams der Highschool – kennen und lieben. Zusammen planten sie schon den Umzug ans College. Doch als ihre Eltern ihren Freund zum ersten Mal kennenlernten, waren sie geschockt. Ihre Tochter und ein Schwarzer? Das war nicht akzeptabel.
Sie musste sich also zwischen ihren Eltern und ihrer großen Liebe entscheiden. Randi trennte sich nicht von Pat, sondern brach schweren Herzens mit ihren konservativen Eltern. Erst viele Jahre später kam es zu einer versöhnlichen Aussprache. In einem Interview mit dem Houston Chronicle erinnerte sich Randi später: „Wenn ich jetzt zurückschaue auf meine Eltern, verstehe ich, dass sie mich und meine Kinder vor dem Bösen in dieser Welt schützen wollten. Wir sind in einer kleinen Stadt aufgewachsen, wo niemand einen Menschen mit anderer Hautfarbe gedatet hat.“
In der kleinen Gemeinde Whitehouse war Patrick Mahomes im Laufe seiner Kindheit meist durch die Prominenz seines Vaters vor rassistischen Äußerungen geschützt. Niemand griff den lokalen Baseballhelden oder dessen Sohn an. Trotzdem versuchte Randi, ihren Sohn früh darauf vorzubereiten, was seine Hautfarbe in der amerikanischen Gesellschaft auslösen könnte. Als ein Schulfreund von Patrick das „N -Wort“ in seiner Gegenwart benutzte, griff sie ein und erklärte den beiden ausführlich, wieso der Gebrauch dieses abwertenden Begriffs verletzend und nicht akzeptabel war.
Als Kind war Patrick daueraktiv und nur schwer zu bändigen. Ein Beispiel: Als Randi und Pat heirateten, war er vier Jahre alt. Man hatte ihn mit der Aufgabe betraut, auf der Bühne das Ringkissen zu halten und es seinen Eltern im richtigen Moment zu reichen. Doch er wollte lieber Werfen spielen – und schleuderte das Kissen im hohen Bogen zu seinem Cousin in die erste Reihe. Der konnte auf den spontanen Pass aber nicht schnell genug reagieren und griff daneben. Das Kissen landete auf dem Kirchenboden. Ups! Doch Randi und Pat hatten so etwas zum Glück schon geahnt und die teuren Ringe bereits zuvor in Sicherheit gebracht. Sie wussten, dass ihr Sohn jeden handlichen Gegenstand in ein Wurfgeschoss verwandelte.
Patrick war ein glühender Sportfan, probierte fast jede Disziplin aus, spielte auch Fußball. Der einzige Sport, den er in seiner Kindheit nicht ausübte, war American Football. Damit begann er erst in der siebten Klasse. Fan dieser Sportart war er zu diesem Zeitpunkt aber schon, insbesondere die Dallas Cowboys hatten es ihm angetan. Sein Idol war Quarterback Tony Romo, von dem auch ein Poster in seinem Kinderzimmer hing.
Seine Mutter musste sich seit der Scheidung von Pat als alleinerziehende Mutter durchschlagen. Zuvor lebte sie als Ehefrau eines Baseballstars in einem schönen Anwesen, musste nicht arbeiten gehen und konnte sich auf die Erziehung der zwei Kinder konzentrieren. Nach der Scheidung machte sie oft Überstunden, um ihren Kindern vieles zu ermöglichen. Das beeindruckte Patrick, der sich niemals beschwerte: „Meine Mutter hatte den größten Einfluss auf mich. Jeden einzelnen Tag ging sie zur Arbeit, schaute sich meine Spiele an und war einfach für mich da.“
2004 bekam Randi einen Job als Rezeptionistin im Hollytree Country Club in Tyler, einem Golfkomplex mit Restaurant, Tennisplätzen und Swimmingpool. Außerdem organisierte sie Partys für wohlhabenden Gäste. Die Arbeit als Eventplanerin machte ihr viel Spaß, verschaffte ihr Anerkennung und steigerte ihr Selbstbewusstsein. Doch so konnte sie gerade am Wochenende nur wenig Zeit mit Patrick und Jackson verbringen. Ihre Urlaubstage sparte sie sich auf, um sich freinehmen zu können, wenn einer ihrer Söhne krank war.
Und die machten es ihrer Mutter nicht leicht. Die beiden halbstarken Jungs duellierten sich in jeder erdenklichen Sportart im Haus und im Garten. Obwohl Jackson viereinhalb Jahre jünger ist als Patrick, gab er nie auf. Die Wettkämpfe wuchsen sich zu regelrechten Kämpfen aus, und am Ende ging immer irgendetwas zu Bruch. Mal war es die Haustür, dann einige Lampen und einmal sogar der Ofen in der Küche. Irgendwann gab Randi auf. Es gab keine neuen Möbel mehr, solange nicht zumindest einer der beiden ausgezogen war.
Ein weiterer wichtiger Faktor im Leben der Mahomes war ihr Glaube. Religion ist gerade im sogenannten „Bible Belt“ (einer großen Region im Südosten der USA, die von Texas im Westen bis Virginia im Nordosten und Florida im Süden reicht) stark ausgeprägt. In ihrer eigenen Kindheit verbrachte Randi Mahomes viel Zeit in der Kirche. Mit dem Auszug aus dem elterlichen Zuhause wandte sie sich unbewusst etwas ab, aber als Pat in Japan spielte, fragten sie neue Freunde in Yokohama, ob sie während eines Besuchs bei ihrem Mann nicht mal mit zu einem Gottesdienst kommen wolle. Während sie in der Kirche war, erlebte Randi zum ersten Mal in ihrem Leben ein Erdbeben. In Japan bebt die Erde jährlich rund 5000-mal, das gehört für die Einheimischen zum Alltag. Für Randi war es im ersten Moment aber natürlich ein Schock. Die mitfühlende Reaktion des Priesters und der anderen Menschen in der Kirche, die den Gottesdienst kurz unterbrachen, um sich um sie zu kümmern, machten ihr bewusst, wie wichtig der enge Zusammenhalt einer Glaubensgemeinschaft für sie war. Obwohl sie durch ihre Arbeit im Hollytree Country Club nur wenig Zeit hatte, war der Besuch des Gottesdienstes am Sonntag für Patrick und Jackson Pflicht.
Nach ihrer Scheidung bekamen sowohl Randi als auch Pat weitere Kinder mit neuen Partnern – und Patrick und Jackson drei Stiefschwestern: Mia von Mama Randi sowie Zoe und Avery von Papa Pat. Die drei stehen aber nicht in der Öffentlichkeit.
Neben seinen Eltern gibt es einen weiteren wichtigen Menschen im Leben von Patrick Mahomes: seinen Patenonkel, den früheren Baseball-Pitcher LaTroy Hawkins, Jahrgang 1972. Hawkins wurde während der gemeinsamen Zeit bei den Minnesota Twins zu einem guten Kumpel von Pat Mahomes. Die beiden freundeten sich an, als Mahomes Sr. bereits in der MLB spielte, Hawkins aber noch in den Minor Leagues um die Anerkennung der Trainer kämpfte. Mahomes sah in Hawkins einen Bruder im Geiste. Beide gehörten als Schwarze zu einer Minderheit unter den größtenteils weißen Mitspielern. Pat nahm LaTroy unter seine Fittiche und lud ihn unter anderem regelmäßig zum Mittagessen ein. Er wollte für die nächste Generation schwarzer Spieler ein Vorbild sein und ihnen den Weg etwas ebnen.
Auch zu Pats Familie hatte Hawkins schnell einen guten Draht. Für ihn war es selbstverständlich, dass er auf den kleinen Patrick aufpasste, wenn seine Eltern mal einen Abend für sich haben wollten. Hawkins hatte stets ein offenes Ohr, wenn der Sohn seines besten Freundes mit Fragen zu ihm kam. Er war damals davon überzeugt, dass sein Patensohn später weder Baseball noch Football spielen würde, wie er im Interview mit The Times erzählte: „Alle sprechen immer über Baseball und Football, aber er war für mich ein noch besserer Basketballspieler.“
Das bewies Patrick Mahomes mit beachtlichen Zahlen: In seiner letzten Highschool-Saison machte er im Schnitt 19 Punkte pro Spiel und legte während eines Playoff-Erfolgs noch einen drauf: Er erzielte 37 der 54 Punkte seines Teams und gewann das Spiel damit fast im Alleingang. Und dass, obwohl er eigentlich einige Zentimeter zu klein war für diesen Sport. Adam Cook, damals Patricks Footballtrainer, erinnert sich: „Seine größte Stärke war, dass er das Feld für seine Mitspieler öffnen konnte. Er hat zwei oder drei Verteidiger auf sich gezogen und den Ball dann entgegen der eigenen Laufrichtung quer über den Court geworfen.“ Genau wie heutzutage auf dem Footballfeld.
Auch Greg Ward, der aktuell als Passempfänger für die Philadelphia Eagles in der NFL spielt und ebenfalls in Tyler aufwuchs, wird einen besonderen Moment im Duell mit Mahomes nie vergessen: „Patrick hat einfach mal über einen Typen hinweggedunkt. Das war verrückt!“ Die Halle tobte, aber der Schiedsrichter entschied auf Offensiv-Foul. Die Szene hat sich trotzdem ins Gedächtnis der Zuschauer eingebrannt.
Mahomes’ damaliger Mitschüler Spencer Shaw teilte 2020 einen Auszug aus dem gemeinsamen Highschool-Jahrbuch, in dem er bereits vorhersagte, dass Mahomes eines Tages mit einem Super-Bowl-Ring zum Jahrgangstreffen kommen würde. Er erkannte richtig: „Patrick war richtig gut in Basketball, dabei war es nicht mal seine beste Disziplin. Es war aber auch die Sportart, in die er am wenigsten Zeit investierte. Meines Erachtens wäre er überall erfolgreich geworden. Es ging mehr darum, wofür er sich entscheidet und wie er sich dann entwickelt.“
Das war zu diesem Zeitpunkt noch völlig offen.
Trotz der guten Argumente seines Vaters und seinem Erfolg in Baseball und Basketball konnte sich Patrick Mahomes emotional nicht vom American Football trennen. Er wollte diese Sportart einfach nicht aufgeben – und entschied sich im Sommer 2012 weiterzumachen. Gegen den Willen seines Vaters! Die Worte, die Pat Mahomes rund neun Monate zuvor auf der gemeinsamen Autofahrt zur University of Texas an seinen Sohn Patrick gerichtet hatte, waren endgültig verpufft.
Seine Mutter Randi glaubt zu wissen, warum: „Beim Basketball haben sie gut gespielt, aber niemand kam zu den Spielen. Das Baseballteam war erfolgreich, aber niemand kam zu den Spielen. Beim Football hingegen waren die Ränge immer voll.“ Das war es, was den Sport für Mahomes im footballverrückten Texas so faszinierend machte. Die Freitagabende gehörten im Herbst dem lokalen Footballteam – das zeigt allein die Größe des Stadions: Im 8000-Seelen-Ort Whitehouse haben die Wildcats eine eigene Spielstätte mit 7000 Sitzen. So etwas gibt es nur in Texas.
Vater Pat, der die Entscheidung seines Sohnes akzeptierte, hat eine andere Theorie, wieso sich sein Sohn am Ende für Football entschied: „Er hat zu dem Zeitpunkt schon so lange Baseball gespielt, dass er das Spiel in- und auswendig kannte. Football war damals aber etwas Neues, und ich glaube, es reizte ihn, all das zu lernen, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Er genießt es, gecoacht zu werden, und das machte es damals interessanter.“
Baseball ist ein deutlich übersichtlicherer Sport als Football. Er lebt vom direkten Duell zwischen Pitcher und Batter (dem Schlagmann, der den Ball für einen Homerun auf die Tribüne befördern will). Es gibt zwar eine Vielzahl von möglichen Würfen und Strategien, aber alles findet in einem relativ klaren Rahmen statt und ist in den neun Innings, die ein Spiel dauert, relativ statisch. Im Football hingegen bietet jeder Spielzug unendlich viele Möglichkeiten. Der Quarterback muss als Spielmacher in Bruchteilen von Sekunden erkennen, was der Gegner macht, um richtige Entscheidungen zu treffen. Deshalb ist Quarterback sicherlich die schwierigste Position im amerikanischen Profisport.
Randy McFarlin, der damalige Head Coach der Whitehouse Wildcats, hatte Mahomes ja zunächst die Position des Safety schmackhaft gemacht: „Er war nicht unser bester Safety. Ich habe nur versucht, sein Interesse am Sport hochzuhalten“, gab er später zu. McFarlin hatte Angst, dass der talentierte Junge sich ganz dem Baseball verschreiben würde, so wie es sich sein Vater wünschte. Seine Mutter wiederum erzählte Patrick in jenem Sommer davon, wie sie als junges Mädchen ihre Tanzsportkarriere aufgegeben hatte, um mehr Zeit fürs Lernen zu haben: „Du wirst es bereuen und dich langweilen, während deine Freunde auf dem Feld sind.“
Mahomes entschloss sich letztlich, dem Rat der Mutter zu folgen. Zum Glück! Und die Fortsetzung der Footballkarriere an der Highschool wurde von einer weiteren Gegebenheit begünstigt: Hunter Taylor, bisheriger Quarterback der Wildcats, machte im Sommer seinen Abschluss und damit den Platz an der Spitze der Offense für Patrick frei. Randi Mahomes über diese neue Situation: „Endlich durfte er Quarterback spielen und das Team anführen.“
Damit war auch das Angebot der Texas Longhorns, des Footballteams der University of Texas, vom Herbst des Vorjahres hinfällig und definitiv vom Tisch. Der Footballspieler Patrick Mahomes war kein Safety mehr, sondern ab sofort Quarterback.
Ob Patrick Mahomes Baseball, Football oder Basketball spielte, seine besten Mitspieler waren immer dieselben: Ryan Cheatham, Jaylon Dews, Jake Parker und Coleman Patterson. Sie standen schon in der Middle School als „Starting Five“ auf dem Basketball Court, warfen sich die Bälle beim Baseball zu und spielten auch zusammen Football. Über die Jahre entwickelten sie auf den diversen Spielfeldern eine immer stärkere Chemie, wussten, was die anderen gerade planten, und konnten sich in kniffligen Situationen aufeinander verlassen. Doch genau diese Chemie stand zu Beginn der Footballsaison 2012 plötzlich vor einer harten Bewährungsprobe, denn bevor Mahomes zum Starting Quarterback seiner Highschool wurde, musste er sich mit seinem besten Freund Ryan Cheatham messen. Der galt nämlich ebenfalls als aussichtsreicher Kandidat für diese Position. Damit waren beide jetzt unmittelbare Konkurrenten! Während beim Baseball und Basketball jeder von ihnen glänzen konnte, braucht ein Footballteam einen klaren Anführer.
Cheatham überzeugte durch seine Statur, einen starken Arm und einen sicheren Wurf. Er konnte das Spiel „lesen“ und war mobil genug, um auch selbst mal zu Fuß wichtige Yards zu erlaufen. Sein Spiel war das eines überdurchschnittlich guten Pocket Passers, also eines Quarterbacks, der meist hinter seinen Verteidigern in der „Pocket“ bleibt und von dort aus den Ball verteilt. Im Vergleich dazu war Mahomes’ Technik weniger ausgereift, und ihm fehlte die Erfahrung, um einzuschätzen, wann man zum Beispiel ein sicheres First Down erläuft und wann man den Spielzug mit einem Wurf an die Seitenlinie abschenkt. Das lag daran, dass er noch nie an einem Quarterback-Sommercamp teilgenommen hatte. Die meisten anderen Highschool-Talente feilten in den Ferien intensiv an ihrer Technik, spielten immer wieder Situationen im „Sieben gegen Sieben“ nach und lernten, in unterschiedlichen Szenarien die richtigen Entscheidungen zu treffen. Alle außer Patrick Mahomes. Der reiste im Sommer zusammen mit seinem Bruder Jackson meist mit seinem Vater durch die Baseballstadien des Landes.