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In Teil I beschrieb Trutz Hardo seine fünfeinhalbjährige, mit Abenteuern gespickte Trampreise um die Welt bis auf die entgegengesetzte Seite des Globus - von Berlin bis Tahiti. In diesem zweiten Teil hat er die Reise über die andere Hälfte der Welt aufgezeichnet. Sie beginnt auf der Osterinsel und zieht sich von Chile über Argentinien und Brasilien auf der westlich gelegenen Panamericana von Peru bis Alaska hinauf, samt einem Abstecher nach Hawaii. Trutz Hardos Reisen per Anhalter führten weiterhin quer durch Kanada und die Vereinigten Staaten. Über die karibischen Inseln gelangte er wieder bis Brasilien, von wo er seine Überfahrt auf einem Handelsschiff nach Westafrika als Matrose ableistete. In Mali erkrankte er schwer und wurde nach Deutschland zurückbefördert. Trutz Hardo ist durch viele Fernsehsendungen und seine Romane und Sachbücher sehr bekannt geworden. Sein ganzes Leben ist ein großes Abenteuer.
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Seitenzahl: 412
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Impressum:
© 2016 by Trutz Hardo
2. Auflage
Erstauflage 2008
Umschlaggestaltung, Bildmaterial: Trutz Hardo
Satz: Angelika Fleckenstein; spotsrock.de
Verlag: tredition GmbH Hamburg
ISBN:
978-3-7345-1226-1 (Paperback)
978-3-7345-1227-8(Hardcover)
978-3-7345-1228-5 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Trutz Hardo
Per Anhalter um die Welt
Das große Abenteuer
Weltreise Teil II
Osterinsel – Süd-, Mittel- und Nordamerika – Karibik
Ostküste von Südamerika - Westafrika
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel Südamerika
1. Bei den Moais auf der Osterinsel
2. Bei Minustemperaturen auf dem Andenpass geschlafen
3. Der lange Weg durch Argentinien zu den größten Wasserfällen dieser Welt
4. Der taubstumme Dieb auf dem Karneval in Rio
5. Mit Gelbsucht im Krankenhaus von La Paz
6. Auf den Spuren der Inkas im Hochland der Anden
7. Wie ich einem jungen Dieb in Kolumbien nachsetzen musste
2. Kapitel Mittelamerika
1. Eine überraschende Kinovorstellung in Panama City
2. Die Nacht der hunderttausend Leuchtkäfer
3. Als bärtiger Guerillero an der Grenze zurückgewiesen
4. Im Hochland der Azteken
3. Kaptitel Nordamerika
1. In Los Angeles vom Strandschläfer zum Luxusbewohner avanciert
2. Eine amerikanische Zeitungskette in San Francisco berichtet über meine Reisen
3. Meine Nächte im Hilton-Apartmenthotel auf Hawaii
4. Bei Grizzlybären und Wölfen in Alaska
5. Ein mysteriöses Erlebnis im kanadischen Edmonton
6. Beim Old Faithfull-Geysir im Yellowstone Nationalpark
7. Eine unvergessliche Nacht im alten Gefängnis von Quebec
8. Das überraschende Symphoniekonzert in Boston
9. Auf dem Empire State Building in New York
10. Mein langer Weg von der Ostküste zur Mormonenstadt Salt Lake City
11. Reise zu den prächtigen Parks im Süden von Utah
12. Im Reich der Navajo-Indianer
13. In Las Vegas, der Spielhölle Amerikas
14. Von Kalifornien nach Vancouver und zurück
15. Mein Leben als Fabrikarbeiter in Kalifornien
16. Als Heiratsvermittler durch das nächtliche San Francisco
17. Auf den Spuren der Apachen- und Pueblo-Indianer
18. Durch Colorado zum Teufelsturm in Wyoming
19. Der letzte Kampf der Indianer am Wounded Knee
20. Von New York nach New Orleans
21. Mein Abschied in Florida von Amerika
4. Kapitel Die Karibik und nochmals Südamerika
1. Meine Schiffsreise durch die Antillen
2. Eine unverhoffte Einladung in Trinidad
3. Von einer Giftschlange in Französisch Guyana gebissen
4. Mit einer Französin unterwegs nach Brasilia
5. Auf welche Weise mir in Santos meine Kamera gestohlen wurde
6. Als Schlichter einer Meuterei auf der Überfahrt nach Westafrika
5. Kapitel Westafrika
1. In Togo von der Malaria überrascht
2. .Bei einem Stammeskönig und seinen sieben Frauen
3. Bei den geheimnisvollen Dogons in Mali
4. Als Todkranker in einem Krankenhaus am Niger
5. Der Rücktransport nach Deutschland
6. Kapitel Heimkehr
1. Was mir der Schönheitschirurg offenbarte
2. Die Abfassung meines Romans T & F auf Kreta
1. Kapitel
Südamerika
1. Bei den Moais auf der Osterinsel
Und nun hob sich die Maschine der chilenischen Fluggesellschaft in die Höhe, ließ Tahiti hinter sich und nahm südöstlichen Kurs über den Pazifik zur Osterinsel, der wohl einsamsten Insel unserer Welt, denn die ihr nächste Insel befindet sich etwa 2.000 Kilometer westwärts, während der südamerikanische Kontinent über 3.000 Kilometer weiter östlich gelegen ist. Viele Gedanken mussten mir während dieses Fluges durch den Kopf gegangen sein. Ich hatte nun meist per Anhalter in den zurückliegenden bald dreieinhalb Jahren die halbe Welt umrundet, hatte mich in Indien fast ein Jahr, in Australien über ein Jahr lang aufgehalten. Ich war schließlich in Neuseeland und Tahiti am „anderen Ende der Welt“ angelangt. Was hatte sich in mir eigentlich verändert? Ich hatte in mir ein immer größer werdendes Zutrauen zu mir selbst gewonnen. Ich hatte das Gefühl, dass diese mit Abenteuern bespickte Reise eine höhere Bedeutung haben müsse, dass irgendeine unsichtbare Hand mich leitete und mich beschützte. Denn wie oft hatte ich mich in lebensgefährlichen Situationen befunden. Ich mochte an den schwarzen Panter, der im indischen Dschungel plötzlich vor mir aufgetaucht war, gedacht haben, an den wilden Elefanten, der in Kerala hinter mir her geprescht war, an den thailändischen Mafioso, der mich hatte erschießen wollen, an die bedrohliche Windhose auf der Suwa See oder auch an meinen Autounfall in Neuseeland. – Und immer wieder hatte ich auf meiner Reise an meine große Liebe zu der Berliner Studentin zurückgedacht, deren Entscheidung, sich von mir zu trennen, für mich sehr schmerzlich gewesen war. Doch hätte sie sich nicht von mir abgewandt, hätte ich auch nicht diese Weltreise angetreten, hätte geheiratet und wahrscheinlich als Familienvater und Gymnasiallehrer bis zu meiner Pensionierung Deutsch- und Geschichtsunterricht gegeben. Und ich hätte auch nicht die vielen Begegnungen mit Frauen erleben dürfen. Spätestens in Neuseeland hatte ich meinen Liebesschmerz überwunden. Wem die große Liebe ihren Todesstoß versetzt, der suche seine Heilung in der Ferne. Ich musste also auf dieser Erde den von meiner Heimat aus entferntesten Punkt auf unserem Globus aufsuchen, um endgültige Genesung von meinem Kummer um die verlorene Geliebte zu erfahren. Doch sollte ich meine wundersame Liebesgeschichte mit F., so dachte ich, nicht zu Papier bringen? Sollte ich nicht über unsere Liebe einen Roman schreiben? War es eigentlich meine Bestimmung, Schriftsteller zu werden? Hatte ich nicht schon in Südindien meinen ersten Roman geschrieben? Ja, meinen Liebesschmerz hatte ich besiegt und war nun auch in meinem Herzen frei geworden für eine neue Liebe. Auf Hawaii wird eine überaus schöne Frau auf mich warten, der ich mein Versprechen geben musste, sie auf jeden Fall aufzusuchen. Wird sie meine zweite große Liebe werden? Ich werde ihr von unterwegs Briefe schreiben. Und ich mag wohl daran gedacht haben, mit ihr in einem der wohl teuersten Luxusappartements der Welt im Bett zu liegen, um sich miteinander körperlicher und seelischer Leidenschaftlichkeit hinzugeben. Aber wer weiß? Vielleicht wird diese Liebe nur ein Strohfeuer sein. Es ist wohl besser, dass ich nicht von Erwartungen lebe, sondern das Leben und Lieben dort anpacke, wo es sich mir zeigen wird. Ja, ich lebe nur einmal, so war immer noch meine Devise. Und mein Leben soll zu einem großen Abenteuer werden. Hatten die Inder nicht eigentlich von früheren Leben gesprochen? War ich nicht dementsprechend schon in einem früheren Leben ein Entdecker oder Abenteurer, der in diesem Leben noch im gleichen Muster verfangen war? Nein, an die Möglichkeit der Seelenwanderung wollte ich noch nicht glauben, denn hierzu fehlten mir die Beweise.
War es eigentlich Zufall, dass ich im Krankenhaus in Neuseeland das Buch von Thor Heyerdahl über die Osterinsel gelesen hatte, ohne zu ahnen, dass ich schon Wochen später zu dieser Insel fliegen würde? Wer oder was hatte mich veranlasst, dieses Buch mit dem Titel AkuAku für meinen Krankenhausaufenthalt zu kaufen? Gab es ein unsichtbares Geführtwerden? Wenn ja, wer arrangierte dieses? Und regten einen diese eklatanten Zufälle nicht dazu an, über das Außergewöhnliche des Zugefallenen nachzudenken? Was würde mich nun auf der Osterinsel erwarten?
Heyerdahl hatte Anfang der 1950er Jahre diese Insel von Chile aus mit einem segelbestückten floßartigen Gefährt, der Kon Tiki besucht und war später dorthin zurückgekehrt, um die Kultur und die Geschichte dieses weit von der übrigen Welt abgeschiedenen und geheimnisvollen Volkes zu erforschen. Und mein Herz wird sicherlich vor Aufregung gepocht haben, als die Maschine auf der von Amerikanern für einen Beobachtungsstützpunkt gebauten Flugpiste landete. Auf dieser Insel wollte ich eine Woche lang bleiben und mit dem nächsten Flugzeug dann nach Santiago de Chile weiterfliegen.
Ich möchte Ihnen, verehrter Leser, eine kurze Beschreibung dieser mysteriösen Insel und seiner Bewohner geben. Die Insel hat die Form eines nahezu rechtwinkligen Dreiecks, dessen Spitze nach dem Nordwesten weist. Ihre beiden Seiten erstrecken sich in einer Länge von etwa 16 und 18 Kilometer, während die Grundachse 25 Kilometer betragen dürfte. Neben vielen kleinen Kratern, die dieses Eiland wie eine Mondlandschaft erscheinen lassen, haben sich drei längst erloschene größere Vulkane ebenfalls rechtwinklig zueinander stehend hervorgehoben, von denen der höchste etwas über 500 Meter hoch ist. Doch in der südwestlichen Ecke ragt der Rano Kao, der imposanteste Krater, in die Höhe, in dessen Mitte ein breiter See mehrere Hundert Meter tief unten eingebettet liegt. Die ganze Insel ist mit Lavageröll und grauem Vulkansand überdeckt, sodass sich nur wenige Stellen für den Anbau von Gemüse, Kartoffeln und Obstbäumen eignen, während sich an den meisten erdkargen Stellen eine Grasfläche mit etwas Farn dazwischen ausbreiten konnte. Bäume sind kaum zu sehen und werden von den Einheimischen als Schnitzholz benutzt.
Die Ureinwohner hatten, wie die Legende besagt, rote Haare und lange Ohren. Irgendwann – vielleicht vor 1.000 Jahren – kamen Polynesier, die sich wohl in ihren Booten auf dem Pazifik verirrt hatten, auf diese einsame Insel. Sie wurden von den Langohren Kurzohren genannt und mussten ihnen dienen. Doch vor einigen Hundert Jahren, als diese Hinzugekommenen zahlreicher als die Ureinwohner geworden waren, besiegten jene die Langohren und rotteten sie aus. Die meist heutigen spanisch sprechenden Einwohner nennen ihre Insel Rapa Nui oder auch Te Pito o te Henua was auf Deutsch Der Nabel der Welt bedeutet. Bekannt wurde diese Insel durch ihre oft über 50 Tonnen schweren Steinstatuen, die Moais, die sich um die Insel herum und am Rano Raraku aufgestellt befanden und dann meist nach dem Krieg gegen die Langohren von den Siegern umgestürzt worden waren. Im 19. Jahrhundert fing man die meisten Männer und Jungen ein und brachte sie in die Bergwerke Ecuadors, wo sie den Entbehrungen erlagen. Doch bald kamen die ersten Missionare und brachten Schafe, Schweine, Kühe und Pferde mit. Chile hatte diese Insel schon im 19. Jahrhundert annektiert und betrachtete sie als eine seiner Provinzen, die von einem Gouverneur betreut wurde. Als der holländische Seefahrer Roggeveen dieses Eiland 1722 am Ostertag entdeckte, nannte er sie demzufolge Osterinsel.
Unterhalb des Rano Kao liegt an der westlichen Küste der kleine Ort Hanga Roa, in welchem die meisten der kaum über 1.000 Seelen zählenden Bevölkerung leben. Gleich neben dem Ort erstreckt sich die Flugpiste, sodass die wenigen Touristen schnell zu Fuß oder mit einem der wenigen Jeeps zu ihren Unterkünften gebracht werden können. Als ich auf dieser subtropischen Insel dem Flugzeug entstieg, war kein Flughafengebäude zu sehen. Mir wurde mein Rucksack direkt aus dem Laderaum herausgereicht. Nur wenige Passagiere wollten hier Zwischenstation einlegen. Doch alle übrigen verließen ebenfalls die Maschine, die bereits wieder mit Kerosin aufgetankt wurde, um sich vor ihrem Weiterflug nach Chile ihre Füße auf diesem weltverlassenen Eiland zu vertreten. Auf leeren Ölfässern und auf Decken hatten die Einheimischen Ketten und vor allem geschnitzte Holzfiguren ausgebreitet, die sie ihren Besuchern anboten. Ein Herr mittleren Alters sprach mich in gebrochenem Englisch an und fragte, ob ich eine Unterkunft suchte. Er habe eine kleine Privatpension und könne mich dort mit seinem Jeep hinbringen. Und da mir der genannte Pensionspreis samt Verpflegung nicht zu hoch erschien, willigte ich ein. Er nannte sich Martin und brachte mich zu seinem bescheidenen Flachbau, wo er, wie er mir weiterhin erklärte, mit seiner Frau und zwei Kindern wohnte. Er verfügte über zwei Gästezimmer, von denen eines schon an ein amerikanisches Ehepaar vermietet war.
Am Abendbrottisch lernte ich dieses Ehepaar kennen. Sie stellten sich mir als Chris und Rudi Reinbacher vor, wohnten zwar schon über zwei Jahrzehnte in Kalifornien, stammten aber aus Deutschland, sodass wir uns bald in unserer Sprache eingehendst über die Eigenarten und alles Sehenswerte der Insel unterhielten. Beide besaßen südlich von San Francisco in East Menlo Park eine Fabrik zur Herstellung von Plastikteilen. Sie waren sehr interessiert daran, möglichst viel über meine bisherigen Reisen zu erfahren, sodass wir uns schnell befreundeten. Dieses Ehepaar hatte keine Kinder und konnte sich dementsprechend viel Zeit für sich nehmen, um alle verborgenen Ecken und Enden dieser Welt aufzusuchen, wie zum Beispiel den Nordpol, Lhasa, Angkor Wat, den Amazonas, indonesische Vulkane, afrikanische Wildparks, die Galapagos-Inseln oder versteckte Pyramiden der Mayas. Wir waren also drei neugierige Weltentdecker, die nun bis in die Nacht hinein angeregt ihre Reiseerfahrungen austauschten. Und da beide schon mit Martin verabredet hatten, jeden Tag mit seinem Jeep – und er schien der einzige Privatmann zu sein, der solch ein teures Fahrzeug besaß – eine Fahrt zu den interessantesten Sehenswürdigkeiten der Insel vorzunehmen, luden sie mich schon für den folgenden Tag ein, mit ihnen diese Insel mit ihren vielen Geheimnissen zu erkunden, denn es gab wohl keinen Einheimischen, der sein Eiland samt Kultur und Geschichte besser zu kennen schien als unser Hauswirt. Was hatte ich wieder einmal für ein Glück!
Schon am nächsten Morgen fuhr uns Martin über holprige Wege und quer über Wiesen Rano Raraku. An und in diesem Krater befand sich die wohl sensationellste Steinwerkstatt der Welt. Hunderte von Steinriesen, die so genannten Moais, liegen bis zu einer Länge von über zehn Meter – der größte von ihnen misst 22 Meter – überall verstreut. Bei manchen ist nur der aus dem Boden herausragende Kopf zu sehen. Nur wenige stehen noch senkrecht, während ihre untere Hälfte metertief in der Erde steckt. Ihr Gewicht beträgt zwischen 20 und 50 Tonnen. Einige dieser aus schwarzem Granit gehauenen Kolosse hatte man noch unfertig in dieser gigantischen Werkstatt liegen lassen. Andere steinerne Riesen hatte man bis zu 15 Kilometer weit an die verschiedensten Ränder der Insel geschleppt, ohne über Seile, Baumrollen oder gar Kräne zu verfügen. Dort am Meeresstrand hatte man sodann aus großen Steinquadern Podeste, die so genannten Ahus, gebildet, auf denen diese Giganten aufgestellt wurden. Doch das war nicht alles. Ihnen wurde zudem noch ein mehrere Tonnen schwerer runder Hut aus rötlichem Stein aufgesetzt, der die Haarfarbe der Langohren symbolisieren sollte.
Sieben dieser vielen Steingiganten hatte man wieder aufgerichtet.
Die Wissenschaftler stehen wie bei den Pyramiden von Gizeh vor einem Rätsel, wie so etwas durch Menschenhand geschaffen sein soll. Das Rätsel der Pyramiden scheinen sie lösen zu können. Doch das der Osterinselgiganten nicht. Martin versicherte uns auf unsere Fragen nach dem Wie des Transportes ohne maschinelle Hilfe, dass diese Steinkolosse durch Mana, eine magische Kraft, von selbst an ihre Bestimmungsorte gegangen oder geschwebt seien und sich ebenfalls von allein auf die Ahus gestellt und sich dort auch ihre von kilometerweit entfernten Plätzen stammenden Kopfbedeckungen selbst aufgesetzt hätten. Um das Jahr 1840 herum, so erklärte Martin weiter, soll es über 3.000 Inselbewohner gegeben haben, für die jedoch keine ausreichende Nahrung zur Verfügung stand. Die beiden Stämme begannen nun einen grausamen Überlebenskrieg. Die Kurzohren siegten. Das Fleisch der Getöteten diente ihnen als Nahrung. Die ausgerotteten Langohren, wie wir weiter erfuhren, hatten auch eine Schrift entwickelt, deren Entzifferung aber noch große Rätsel aufgibt.
Am Hang dieses Berges befinden sich die Werkstätten, wo die Kolosse aus dem harten Stein herausgemeißelt werden. Überall stehen noch die 10 Meter langen Moais, die oft nur bis zur Brustmitte aus dem Boden herausschauen.
Neben dem Glück, bei Martin wohnen zu können und in seinem Jeep kostenlos mitgenommen zu werden, bestand ein anderes Glück darin, dass ich eine junge Verwandte der Hausherrin kennenlernen durfte. Sie hieß Maria und sprach auch schon einige Wörter Englisch, denn viele der Mädchen wollten liebend gerne diese Sprache erlernen, um eventuell einen der wenigen Amerikaner, die auf der Osterinsel die Wetterstation betreuten, als Freund und möglichen Ehemann zu gewinnen, der sie dann bei seiner Rückkehr mit in die USA nehmen würde. Denn hin und wieder wurde im Schulgebäude ein Hollywoodfilm gezeigt, der ihnen dieses Land wie ein irdisches Paradies erscheinen ließ.
Blick vom Kraterrand in den Vulkankessel
Hätte man auf der Osterinsel eine Miss Rapa Nui gewählt, wäre sicherlich Maria die Gekürte gewesen. Wir beide unternahmen nun lange Spaziergänge, auf denen ihr schwarzer Hund uns begleitete. Wir bestiegen zusammen den Rano Kao, wo sie mich unweit der Petroglyphen auf dem Kraterrand mit meiner kleinen Kamera fotografierte. Tief hinter mir ging es steil abwärts zum Meer, in welchem unweit von unserem Standpunkt die berühmte kleine Vogelinsel zu sehen war, zu der von weit her jedes Jahr Zugvögel kommen, um dort zu brüten. Schon bald küssten wir uns.
Maria in ihrer Liebeshöhle
Und als die Dämmerung hereingebrochen war, führte sie mich zu einer verborgenen Grotte am Meer, wo wir uns auf dem ausgebreiteten Stroh körperlichen Freuden hingaben, während ihr Hund Wache hielt.
An einem anderen Tag lieh ich mir ein Pferd, das nach dem Frühstück gesattelt vor Martins Haus angebunden war. Doch als ich aufsteigen wollte, rutschte der Sattel seitlich nach unten. Da ich keine Erfahrung mit Pferden und ihrem Zaumzeug besaß, versuchte ich, den Sattel wieder hochzuschnallen. Nach wiederholten Versuchen gelang es mir, schließlich aufzusitzen. Doch merkte ich beim Galopp, wie meine Operationsnarbe am After sich wieder unliebsam bemerkbar machte, sodass ich abstieg und das Pferd seinem Eigentümer zurückbrachte. Auch beobachtete ich die jungen Männer, die sicherlich früher ohne, jetzt jedoch mit Tauchermaske große Hummer vom Meeresboden emporholten. Am Abschiedstag luden mich Chris und Rudi, die noch eine Woche bleiben wollten, ein, auf jeden Fall in Kalifornien ihr Gast zu sein. Auch könnten sie es mir sicherlich ermöglichen, dass ich bei ihnen in der Fabrik, so ich Geld verdienen müsste, arbeiten könne, wobei jedoch ein Arbeitsvisum zu beantragen sein würde. Maria brachte mich zum Flugzeug. Aus dem Fenster konnte ich noch beobachten, wie sie mir nachwinkte. Wird diese ungekrönte Miss Osterinsel wohl noch einen heiratswilligen Amerikaner finden?
2. Bei Minustemperaturen auf dem Andenpass geschlafen
Die Republik Chile erstreckt sich an der westlichen Küste des südamerikanischen Kontinents über 4.300 Kilometer mit einer variierenden Breite von durchschnittlich 180 Kilometer. Im Osten nach Argentinien hin wird dieses Land von den Anden mit seinen ewig Schnee und Eis tragenden Gipfeln begrenzt, die bis zu 7.000 Meter in die Höhe ragen. Ganz im Norden nach den Grenzen zu Peru und Bolivien hin breiten sich große Wüstenflächen aus, während im Süden nach Feuerland hin große Fjorde in die bergige Landfläche einschneiden. Dieses langgestreckte Land wird von mächtigen bis zu einigen Tausend Meter hohen Vulkanen durchzogen. Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis warten fast jedes Jahr mit unangenehmen Überraschungen auf. Südlich seiner Hauptstadt Santiago de Chile, die schon 1541 von Spaniern gegründet worden war, beginnt der fruchtbare Boden, auf dem nun alles gepflanzt werden kann, was auch in Europa an Gemüse und Früchten geerntet wird.
Chile ist reich an Bodenschätzen, vor allem an Kupfer, Eisen und Nitraten, deren Ausbeutung vor allem von US-amerikanischen Unternehmen betrieben wird, beziehungsweise betrieben wurde, denn im Jahre 1970 übernahm der Sozialist und Marxist Salvador Allende die Präsidentschaft und versuchte den amerikanischen Einfluss zurückzudrängen, sollte doch der Ertrag aus Bodenschätzen dem Volk und nicht nur einer bisher die übrige Bevölkerung politisch und ökonomisch beherrschenden Minderheit zu Gute kommen. Denn der Großteil der etwa 15 Millionen Chilenen sind Mestizen, da die seit dem 16. Jahrhundert dort sich niederlassenden Spanier sich nach und nach mit den einheimischen Indios vermischt haben. Sie verbreiteten, wie in allen anderen spanisch sprechenden lateinamerikanischen Staaten, ihre Kultur und vor allem den Katholizismus. Gegen beides hatten die Auraca-Indios bis ins 19. Jahrhundert hinein oft mit kriegerischen Mitteln aufbegehrt.
Als ich knapp zwei Wochen vor Weihnachten 1970 den Boden Südamerikas in Chile betrat, brachte ich so gut wie keinen Satz auf Spanisch hervor. Doch das sollte sich sehr schnell ändern, denn innerhalb der nächsten drei Wochen konnte ich mich in dieser Sprache verständigen, schien sie mir doch sehr leicht zu sein, besonders, da ich neben English auf der Schule Französisch gelernt und während meines Studiums das Große Latinum nachgeholt hatte. Ich erkundigte mich in Santiago mit ihren vier bis fünf Millionen Einwohnern nach einem billigen Quartier, und nachdem ich ein solches gefunden hatte, machte ich mich auf und spazierte durch die Straßen und dunkleren Gassen. Vor einem Nachtlokal überredete der Türsteher mich Zögernden dazu, dort hineinzugehen, um wenigstens nur einmal einen Blick hineinzuwerfen, gäbe es doch dort die schönsten Mädchen des Landes. Als ich die Treppen hinuntergestiegen war, schien der ganze Raum in Dunkelheit gehüllt zu sein. Nur auf dem Boden und an Tischen und Sitzen waren phosphorisierte Bänder angebracht. Schon näherte sich mir eine Frau, nahm mich bei der Hand und hieß mich, an einem Tisch Platz zu nehmen, während sie sich neben mich setzte und sogleich zwei Getränke bestellte. Ich konnte nicht erkennen, wie diese Dame neben mir wohl aussehen mochte, ob sie schön und jung oder hässlich oder alt war. Doch schon betatschte sie meinen Körper, während ihre Hände an diesem immer mehr nach unten glitten. Sie küsste mich heftig. Derart sexuell aufgeputscht mochte ich wohl ihre leidenschaftlichen Küsse erwidert und sie ebenfalls am Busen und anderen Stellen berührt haben. Und konnte man sich nicht einfach vorstellen, eine besondere Schönheit in seinen Armen zu halten, wie der Türwächter mir diese hier arbeitenden Damen beschrieben hatte? Waren wir Menschen nicht alle Opfer unserer Illusionen? Doch als sie mich aufforderte, mit ihr in ein oben gelegenes Zimmer zu gehen und den mir zu hoch erscheinenden Preis nannte, zahlte ich sogleich unsere Getränke und verließ die in Dunkelheit gehüllte Erotikhölle. Vielleicht, so dachte ich im Nachhinein, hatten sich dort die hässlichsten Frauen Chiles einstellen lassen, bekamen sie wohl sonst keinen Liebhaber zu fassen. Wie dumm war ich, mich nun von meiner Vorstellungskraft wieder desillusionieren zu lassen, anstatt weiterhin in berauschenden, wenn auch vielleicht trügerischen Illusionen zu schwelgen.
Ein junges Pärchen sprach mich am folgenden Tag an. Sie luden mich ein, bei ihnen in der Kommune von mehreren jungen Paaren zu wohnen. Und da einige Englisch verstanden, musste ich ihnen von meinen Reisen erzählen. Sie waren alle unverheiratet, lebten aber in Partnerschaften zusammen. Sie zählten zu den begeisterten Anhängern von ihrem Präsidenten Allende, der wirklich den Armen seines Volkes diente, bestand doch dessen Mehrzahl aus Kleinbauern oder Arbeitern, denen man bislang niedrigste Löhne zahlte. All das würde nun anders werden, so hofften sie. Sie konnten damals nicht ahnen, dass ihr Präsident schon nach drei Jahren sich in Ausweglosigkeit die Pistole an die Stirn setzte und dann eine Militärregierung unter General Pinochet 17 Jahre lang das Land regieren würde, während er alle kommunistischen Dissidenten verfolgen, einsperren oder gar töten würde. In dieser Kommune teilte man alles miteinander, und abwechselnd wurde für alle gekocht. Da ich an diesen Mahlzeiten teilnahm, wollte ich mich eines Tages revanchieren und für alle kochen. Als Student hatte ich mir öfter ein Mahl aus Spagetti und Tomatenmarksoße bereitet. Ich kaufte also das Benötigte und auch einige Apfelsinen. Die Tomatensauce reicherte ich mit Sahne an, und, um den Geschmack zu verfeinern, drückte ich einige Apfelsinen aus und schüttete den Saft hinein. Doch, oh Schreck, auf einmal gerann diese und schmeckte grässlich. Und am Ende war ich dann der Einzige, der trotzdem mit säuerlichem Gesicht dieses selbstzubereitete Mahl zu sich nahm, während die anderen mir lachend dabei zuschauten und sich auf die Schnelle ein anderes Essen zubereiteten. Sie hörten meist amerikanische oder englische Musik und waren allem Neuen gegenüber, was aus Europa und Nordamerika kam, sehr aufgeschlossen.
Doch bald schon nahm ich meinen Rucksack wieder auf, ergriff meinen Regenschirm und stellte mich an die Straße, wollte ich doch das Land und seine Leute näher kennenlernen. In Vinar del Mar badete ich im Meer. Wieder an der Straße stehend, hielt ein Mann mit seinem Wagen an und lud mich ein mitzufahren. Zwei junge Frauen waren seine Begleitpersonen, und – wie ich bald erfuhr – seine Angestellten und auch Geliebten. Manuel, so nannte er sich, verkaufte Mixmaschinen für Obstsäfte. Er lud mich ein, mit zu einer Zeche zu fahren, wo man auch essen könnte. In einer solchen angekommen, gingen wir vier zur großen Kantine, in der die Minenarbeiter ihr Essen einnahmen. Manuel hatte sich mit dem Syndikat schon verständigt. Seine beiden Helferinnen stellten einige der Entsafter auf, holten Obst und Eiswürfel aus dem Auto und füllten die Geräte mit beidem. Manuel stand auf einem Podium und erklärte den Arbeitern mittels eines Mikrophons, wie köstlich doch die Fruchtgetränke seien, die man sich zu Hause mit diesem preisgünstigen Gerät zubereiten könne. Während dieser Ansprache verteilten seine beiden Angestellten in Plastikbechern Kostproben dieses eisgekühlten Getränks. Jeder, der einen solchen Mixer erstehen wollte, konnte sich in eine Liste eintragen. Die Bezahlung wurde vom Monatslohn abgerechnet und das Gerät ihnen per Lieferservice zugeschickt. Einige Tage fuhr ich nun mit diesen drei herum, hatten wir uns doch alle gut angefreundet, wenn auch Manuel nicht geneigt war, mir eine seiner zwei Geliebten als Bettgenossin abzugeben. Nachdem wir nach Santiago zurückgekehrt waren, setzte er seine beiden Assistentinnen ab und nahm mich mit zu seinem Haus, denn er wollte mich unbedingt seiner Frau und seinen Kindern vorstellen.
Ich besaß die Adresse einer Schwester meiner Großmutter väterlicherseits, die schon in den 1920er Jahren mit ihrem Mann nach Chile ausgewandert war. Diese wollte ich nun aufsuchen. Sie besaß einige Dutzend Kilometer südlich der Hauptstadt ein Gut. Diese hochbetagte Dame war sehr erfreut, einen deutschen Verwandten zu empfangen. Ich wurde daher aufgefordert, einige Tage zu bleiben und mit ihr und ihrer Familie, die sich bald einfand, Weihnachten zu feiern. Somit erlebte ich bei hochsommerlichen Temperaturen unter einem echten kerzenbesetzten und mit bunten Glaskugeln behangenen Tannenbaum fröhliche Weihnachten. Die ganze Familie empörte sich über ihren kommunistischen Präsidenten, der nun beabsichtigte, das Land den Großgrundbesitzern wegzunehmen und es an die Bauern zu verteilen. Einer ihrer Söhne war ein hoher Offizier in der Armee. Sein vor kurzem verstorbener Vater war an Sternenkunde interessiert, weshalb dessen großes Teleskop noch auf der Terrasse stand. Somit konnte ich bei sternenklarem Himmel in das Weltall hinaufblicken, während der Offizier das Himmelsfernrohr kundig auf jene Planeten und Gestirne einstellte, die von besonderem Interesse waren. Einige Jahre später erfuhr ich, dass er unter der Militärdiktatur zum Botschafter seines Landes in Washington ernannt worden war.
Auf meinem weiteren Weg nach Süden nahmen mich oft Lastwagen mit. Ich wusste mein ganzes bisher aufgeschnapptes Spanisch hervorzubringen, sodass sich interessante Unterhaltungen ergaben. Diese Lastwagenfahrer waren eifrige Anhänger Allendes. In Talca lernte ich einen älteren deutschen Mann kennen, der sich auf Grund seiner Herkunft in den 1930er Jahren genötigt gesehen hatte, auswandern. Er erzählte mir seine ganze Geschichte, wie er schließlich auf Umwegen nach Südamerika und dann nach Chile gekommen war. Auch er hatte mehrere Familienmitglieder zu betrauern, die in Konzentrationslagern den Tod gefunden hatten. Ich konnte nie begreifen, dass ein kultiviertes Volk, das einen Goethe und Beethoven hervorbrachte, Genozid an den Juden begehen konnte. Immer wieder kam ich in allen Weltteilen mit Juden zusammen. Ich fühlte mich in dem entsetzlichen Leid, das man ihnen angetan hatte, mit ihnen zutiefst verbunden. Ein Reporter der lokalen Zeitung veröffentlichte am letzten Dezembertag einen mir noch vorliegenden Artikel über mich und meine Reisen. Auf der Abbildung sehe ich mich ohne Bart, jedoch mit einer aus Nussfrüchten gefertigten und bis zum Bauchnabel reichenden Kette um den Hals, die ich von Tahiti mitgebracht haben dürfte. Diese Kette hatte den Reporter wohl auch dazu veranlasst, mich als einen Hippie zu beschreiben.
Von Puerto Mont führt eine Passtrasse über die Anden nach Argentinien. In dieser Hafenstadt traf ich einen deutschen Tramper aus Köln, der ebenfalls in das östliche Nachbarland zu reisen beabsichtigte. Also standen wir am 9. Januar zusammen an der Straße und ließen uns wenigstens stückweise mitnehmen, da keines der anhaltenden Autos über den Andenpass zu fahren beabsichtigte. Das Visum für Argentinien hatte ich mir schon in Santiago besorgt. Als wir einige Hundert Meter hoch an der Straße schon lange auf eine Mitfahrgelegenheit wartend gestanden hatten, hielten wir einen Reisebus an, dessen Fahrer uns zu einem hochgelegenen Skiort mitzunehmen bereit war. Dieser, wie auch die Reisegesellschaft, überschüttete uns mit Fragen und forderte uns auf, am Reiseziel angekommen, mit ihnen Mittag zu essen. Dies ließen wir uns nicht zweimal sagen, hatten wir doch großen Hunger. Klaus, so will ich meinen Trampgefährten nennen, beabsichtigte, hier an der Straße vor dem Hotel auf eine Weiterfahrt zum Pass zu warten, während ich mich vom Tisch erhob und die Straße hinaufgehen wollte, hoffte ich doch, noch vor Mitternacht über den Pass nach Argentinien hinabmarschieren zu können. Stundenlang lief ich nun auf der sich nach oben windenden Straße in der Hoffnung, dass doch noch ein Auto käme, dass mich mitnehmen würde. Doch nach zehn Uhr abends wurde es dunkel. Es war sehr kalt auf diesen Höhen. Ich musste einfach weitermarschieren, denn nur auf diese Weise konnte ich meinen Körper warm halten, verfügte ich doch über keinerlei Winterkleidung. Trotzdem kramte ich alles Anziehbare aus dem Rucksack hervor, um mich wenigstens einigermaßen gegen die Minustemperaturen zu schützen. War ich nicht leichtsinnig gewesen, bei dieser nächtlichen Kälte über solch einen hohen Pass laufen zu wollen? Ich hätte doch ebenfalls weiter unten bei dem Ausflugsrestaurant auf eine Mitfahrgelegenheit warten sollen, wie Klaus es vorgehabt hatte. Oder ich hätte dort den nächsten Morgen abwarten sollen, um am Tag den Pass zu überqueren. Aber nun musste ich mich mit der unliebsamen Situation abfinden. Und schließlich entdeckte ich Schnee und Eis an den Straßenrändern. Es mochte etwa zwei Uhr nachts gewesen sein, als ich den Pass erreichte. Ich war vollkommen erschöpft und hundemüde. Doch auf diesem Pass befand sich eine ganz kleine Hütte, in der es nach Öl roch. Ich breitete dort meine Plastikunterlage aus, schlüpfte in meinen Sommerschlafsack und breitete darüber noch eine hauchdünne silbrige Plastikfolie, die ich für alle widrigen Kälteeventualitäten mitgenommen hatte. Und dennoch begann mein Körper vor Kälte zu zittern. Hier half nur ein bewährtes Mittel: Ich musste meinen Körper erhitzen und versuchen, nach dem erfolgten Orgasmus gleich einzuschlafen, sodass die Kälte überlistet würde.
3. Der lange Weg durch Argentinien zu den größten Wasserfällen dieser Welt
Zur frühesten Morgenstunde wachte ich frierend auf. Ich war also nicht erfroren. Sogleich erhob ich mich, packte meine Sachen zusammen und ging nun die sich windende Straße hinunter. Ziemlich unten angekommen, zeigte ich den verdutzt mich betrachtenden Zollbeamten meinen Pass und konnte bald schon die nächste Mitfahrgelegenheit nach Bariloche wahrnehmen. Dieses Städtchen breitet sich am Nahuel Huapi See aus, und Schweizer Immigranten begannen schon frühzeitig, diesen Ort zu einem Skiferienparadies zu gestalten, boten sich die vielen Hänge an den Bergen doch ideal für den Skitourismus an. Ich bezog dort ein kleines kostengünstiges Zimmer. Als ich am nächsten Tag durch Bariloche wanderte und einige Schweizer Berghäuser amüsiert betrachtete, begegnete ich Klaus mit seinem Rucksack auf dem Rücken. Er war gar nicht erfreut darüber, mich wiederzusehen, vielmehr herrschte er mich an, was mir eingefallen sei, mich ohne Bezahlung aus dem Restaurant davongeschlichen zu haben, während man ihn schließlich genötigt habe, auch für mich das Essen zu bezahlen. Ich erklärte ihm, dass ich glaubte, dass die Reisegesellschaft sicherlich pauschal ihren Ausflug samt Essen bezahlt haben dürfte und ich außerdem davon ausgegangen war, dass wir als kuriose Gäste von ihnen eingeladen worden wären. Doch gab ich mir im Stillen selbst die Schuld, mich nicht vorher erkundigt zu haben. Es tat mir leid, ihn in solch eine unangenehme Situation gebracht zu haben. Ihm war es tatsächlich gelungen, am nächsten Morgen eine Mitfahrgelegenheit über den Pass bis nach Bariloche zu finden. Und da er ebenfalls einige Tage an diesem See zu bleiben gedachte und mich nach einer Unterkunft fragte, wollte ich den angerichteten Schaden wiedergutmachen und überließ ihm mein schon für die nächste Nacht vorausbezahltes Zimmerchen, während ich mich nach einer anderen Übernachtungsmöglichkeit umsehen wollte.
Argentinien, von den Spaniern im 16. Jahrhundert so getauft, da man hier große Silberschätze (argentium) vermutete, ist das achtgrößte Land unserer Welt und viermal so groß wie Chile. Wie dieses Nachbarland erstreckt sich das „Land des Silbers“ bis hinunter nach Feuerland und hat sogar auf riesige eisbepackte Flächen der Antarktis Anspruch erhoben. Trotz vieler Bodenschätze und einer eifrigen Industrie ist die von den Anden und dem Atlantik eingegrenzte Republik in der übrigen Welt am bekanntesten geworden für ihre Getreideausfuhr und ihre Rindfleischexporte. Nahezu die Hälfte der etwa 30 Millionen zählenden Bevölkerung sind Nachfahren italienischer Immigranten. Jene spanischer Herkunft sind nur mit einem Drittel vertreten, während die übrige Bevölkerung sich aus Mestizen und den Menschen aus aller Herren Länder, vornehmlich Europäern, zusammensetzt.
Ich wollte nun unbedingt an die Adria Argentiniens trampen, um an deren Stränden zu baden. So gelangte ich nach Tres Arroyos und konnte kostenlos auf einem Campingplatz in einer Hängematte übernachten, war doch der junge Betreiber dieser Anlage ein Sohn deutscher Eltern, der mich praktisch als seinen Gast bewirtete. Er bot mir auch das furchtbar schmeckende Indianergetränk Mate an, ein aus einer grünen Pflanze gewonnenes Extrakt, das meist angereichert mit Zucker mittels eines Halms eingesogen wird und anscheinend einen leicht berauschenden Zustand erzeugen soll.
Anschließend fuhr ich einige Tage lang an den Strand von Claromeco. Ein Reporter, der mich dort ansprach, schrieb wiederum über mich einen Artikel in La Voz del Pueblo. Dort beobachtete ich an diesem mit vielen Badeurlaubern übersäten Strand – denn die Weihnachtsferien (und zugleich Sommerferien) dehnten sich bis in den Januar hinein aus und waren also noch nicht beendet – eine vielleicht 22 Jahre junge Frau von bezaubernder Schönheit, die jedoch ein durch Polio verkürztes Bein nachzog. Schon bald kam ich mit ihr ins Gespräch – und verliebte mich stante pede in sie. Jeden Tag setzte ich mich am Strand zu ihr. Mein Herz war derart von ihrer Ausstrahlung und ihrem ganzen Wesen entzückt, dass ich daran dachte, ihr einen Heiratsantrag zu machen und mich auf ihr Jawort hin, dessen ich mich sicher glaubte, in Argentinien niederzulassen. Ich würde ihr ein liebevoller Gatte sein, der ihr Halt in ihrem Leben geben könnte. Doch als ich eines Tages wieder neben ihr saß, forderte sie mich auf, schnell aufzustehen und sie zu verlassen, da ihre Tante an den Strand käme. Dieser Hinweis ernüchterte mich und brachte meine Liebeswallungen zum Abklingen, sodass ich beschloss, auf dem Campingplatz meine Sachen einzupacken und am nächsten Morgen über Mar del Plata nach Buenos Aires zu trampen.
Die Hauptstadt Buenos Aires wurde 1580 gegründet und war inzwischen zu einer Metropole (einschließlich Umland) von über zehn Millionen Einwohnern angewachsen. Sie hatte ein italienisches Flair, was kein Wunder ist, ließen sich doch meist die italienischen Einwanderer in dieser Stadt nieder, während zum Beispiel die deutschen Einwanderer eher Farmen gründeten und Viehzucht sowie Ackerbau betrieben. Und tatsächlich war hier auch häufig Italienisch zu hören. Ich nahm das Schiff über die Rio-Plata-Mündung nach Uruguay und fuhr per Anhalter im Land herum, doch ist mir an berichtenswerten Erlebnissen nichts im Gedächtnis geblieben. Die Hauptstadt Montevideo besitzt ebenfalls ein italienisch anmutendes Gepräge. Nach Buenos Aires zurückgekehrt nahm ich den Weg über Rosario Santa Fe und Resistencia nach Paraguay.
Mar del Plata ist Argentiniens beliebtester Badeort.
Paraguay im Inneren des Kontinents gelegen und an Argentinien, Bolivien und Brasilien grenzend, ist flächenmäßig so groß wie Dänemark und Deutschland zusammen und wird von vielen Flüssen durchzogen, die oft die einzigen Verbindungswege zu Ortschaften und den entlegenen, sich im Urwald befindlichen Siedlungen der Indios sind. Doch in den Städten sind die meisten Einwohner Mestizen.
In der Hauptstadt Asuncion hielt ich mich drei Tage lang auf. Dieses Land wurde damals von dem deutschstämmigen General Alfredo Stroessner seit seinem Putsch 1954 streng regiert, und seine, die Oppositionellen einschüchternde, Präsidentschaft sollte in acht immer wieder gewonnenen „freien“ Wahlen 35 Jahre lang andauern. Somit ist er der am längsten in Lateinamerika regierende Präsident. Viele Deutsche hatten sich besonders nach dem Zweiten Weltkrieg oftmals aus politischen Gründen hierher geflüchtet und es inzwischen zu Wohlstand und Ansehen gebracht.
Indianerinnen bieten ihren Besuchern Bogen und Pfeile und andere handgefertigte Waren an.
Im Urwald besuchte ich ein Indiodorf. Dort lebten die mit Lendenschurzbekleideten Urbewohner noch ganz primitiv in ihren Waldhütten und boten den sie Besuchern selbstgefertigtes Schmuckwerk an.
Nach Asuncion zurückgekehrt besuchte ich den Distrikt, in welchem rote Lichter vor den Hütten angebracht waren, die anzeigten, dass man hier der käuflichen Liebe nachgehen konnte. Begeistert war ich über die gekühlten Fruchtsäfte, schienen sie mir doch so gut zu munden, dass ich glaubte, in keinem anderen Land sie so wohlschmeckend zu mir genommen zu haben. Doch lange wollte ich mich in diesem heißen Land nicht aufhalten, um rechtzeitig zum Karneval in Rio einzutreffen. Obwohl neben Argentinien und Brasilien auch Paraguay an die berühmten Iguazu-Wasserfälle angrenzt, wies man mich darauf hin, doch von der brasilianischen Seite diese sich weit in die Tiefe ergießenden Wassermengen anzusehen. Dort angekommen, war ich überwältigt von den mit Getöse herabfallenden gigantischen Wassermassen. Dieses stürzt in einer Breite von über 2.700 Meter in die Tiefe. Durch den Aufprall bilden sich Nebelschwaden, in denen sich Regenbögen abzeichnen. Diese Wasserfälle sind die gewaltigsten unserer Erde. Wohl jeder Besucher wird dieses beeindruckende Naturschauspiel nie vergessen.
Die Iguazu-Wasserfälle im Länderdreieck Argentinien, Paraguay und Brasilien sind die größten unserer Welt.
4. Der taubstumme Dieb auf dem Karneval in Rio
Brasilien, dessen Namen auf sein Brasilholz zurückzuführen ist, wurde im Jahre 1500 von dem portugiesischen Seefahrer Pedro Alvares Cabral entdeckt und in der Folge von Portugiesen besiedelt. Um 1500 soll es um die 700.000 Indios gegeben haben, die zumeist in den Urwäldern lebten, welche heute noch Dreifünftel dieses fünftgrößten Landes der Welt nach Russland, Kanada, China und den USA bedecken. Heute besitzt dieses gigantische Land, das aus 26 Provinzen besteht, eine Bevölkerung von etwa 180 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte negroides Blut in sich trägt, wurden doch bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinein Sklaven aus Afrika importiert, die erst 1888 ihre völlige Freiheit erhielten. Außerdem leben auch viele Millionen Mestizen unter ihnen, die sich zum Teil wiederum mit Weißen und Mulatten vermischt haben. Doch die Hälfte der Einwohner ist weißer Hautfarbe und hat sich lange Zeit gegen Ehen mit Menschen dunkler Hautfarbe gewehrt.
Brasilien ist sehr reich an Mineralien und exportiert viele Feld- und Fruchterträge, doch es ist besonders für den Kaffee- und Kakaoanbau berühmt. 1822 ist der König von Portugal, Pedro IV, Kaiser Pedro I von Brasilien erhoben worden. Sein Sohn Pedro II herrschte ab 1834 als besonnener Herrscher, bis er 1889 durch einen Militärstreich abgesetzt wurde. Seine Erwähnung an dieser Stelle erinnert mich daran, dass ich als Student mit einer jungen Frau aus Augsburg befreundet war, die mir als Urgroßenkelin eben dieses Kaisers stolz den Diamantring an ihrem Finger zeigte, den sie als teures Erbstück der letzten brasilianischen Kaiserin trug.
Ich trampte nun über Curtiba nach Sao Paulo, der damals mit über 14 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadt Südamerikas, und besuchte nun auch deren Hafenstadt Santos. Hier sprach mich vor einem Bordell eine schwarze Schönheit an. Und da sie mich gerne mochte und mehr über meine Reisen erfahren wollte, sagte sie, ich solle um 2 Uhr nachts wiederkommen, dann könne ich die Nacht spesenfrei bei ihr verbringen. Am nächsten Morgen musste ich ihr beim Abschied versprechen, sie bei einem nächsten Aufenthalt in ihrer Stadt wiederum zu besuchen.
Nun hieß es aber, mich schleunigst nach Rio de Janeiro zu begeben, wurde doch bald der berühmte Karneval abgehalten, und ich musste vorher dort noch ein Zimmer besorgen, denn sicherlich würde in einer Woche alles ausgebucht sein. Ich fand dann auch eines in einem preisgünstigen Hotel unweit des Bahnhofs. Rio ist wohl für alle Menschen der westlichen Zivilisation schon zu einem Begriff geworden und gilt zu Recht als die schönste Großstadt der Erde. Wer hat nicht schon vom Zuckerhut gehört, jenem Kamelbuckelfelsen, der ins Meer ragt und mit einer Drahtseilbahn zu erreichen ist, oder dem Corcovado, dem Berg hoch über dieser Millionenstadt, auf welchem der, seine Arme ausbreitende 33 Meter hohe Christus steht, oder der Copacabana, jenem Prachtstrand mit seinen Hotels und mondänen Häusern.
Rio hat sich für den Karneval schon vorzeitig geschmückt.
Die Stadt durchstreifend kam ich eines Abends zu einer Tanzbar. Man hatte gleich hinter dem Eingang eine Lochkarte zu kaufen, die einen berechtigte, mit einem Mädchen zu tanzen oder sich mit diesem zu unterhalten. Nach jedem Tanz oder einer zehnminütigen Unterhaltung hatte die Tänzerin ein Loch in diese Karte zu knipsen. Nachdem ich mir unter den wohl 20 bis 30 jungen Frauen die schönste ausgewählt hatte, tanzte ich mit ihr. Sie hieß Yvonne und war 21 Jahre jung. Ihre Haut hatte einen ganz leichten negroiden Teint. Und nach einigen Tänzen mit ihr war meine Karte abgelocht. Deshalb fragte ich sie, ob wir uns woanders wiedersehen könnten, und sie schlug vor, sie um 2 Uhr nachts vor der Tür abzuholen. Ich nahm sie zur angegebenen Stunde mit in mein Hotel, wo sie von da an bis zu meiner plötzlichen Abreise mit mir wohnte. Sie erzählte mir, dass sie sich vor drei Jahren unsterblich in einen jungen Mann verliebt hatte, der sich aber plötzlich von ihr trennte. Sie ging einige Tage später zum nächtlichen Strand, um sich die Pulsadern aufzuschneiden, doch ein älterer Herr, der dort spazieren ging, sprach sie an. Sie berichtete ihm, weshalb sie sich allein zu dieser Zeit hier aufhielt, und er bot ihr an, zu ihm zu kommen und bei ihm zu wohnen. Er war sehr lieb zu ihr, sodass sich eine intime Beziehung ergab. Sie konnte tagsüber auf eine höhere Schule gehen, während er für alle Unkosten aufkam. Sie blieb drei Jahre bei ihm. Doch als sie ihren früheren Freund wiedertraf, zog sie sofort bei diesem ein. Aber schlussendlich hatte er sie wieder betrogen. Doch dieses Mal dachte sie nicht an Suizid, sondern war gewillt, ihr Leben, wie auch immer, selbst in die Hand zu nehmen, weshalb sie nun diese Anstellung als Unterhaltungstänzerin, die sich nicht als Prostituierte verstanden wissen will, angenommen hatte. Sie kam oft erst gegen halb drei ins Hotel zurück, während ich schon schlief. Ich ging meist am Vormittag zum Strand oder bummelte durch die Stadt, während sie bis zum Mittag schlief und wir anschließend gemeinsam irgendwo essen gingen. In Yvonne nagte der Bildungstrieb. Sie wollte viel lernen und las kulturgeschichtliche Bücher.
Als ich eines Tages zur Mittagszeit ins Hotel zurückkehrte, sah ich weiße Ballons in den Zweigen der Bäume hängen. Ins Zimmer zurückgekehrt, entdeckte ich auf unserem Bett meinen Rucksack, aus welchem meine Yvonne alle Habe herausgeholt und auf dem Laken verteilt hatte. Und als sie eine Packung mit Präservativen vorfand, hatte sie diese auf dem Balkon aufgeblasen und in die Bäume treiben lassen. Sie war allerliebst und drang in mich, sie auf meine Weiterreise mitzunehmen, wäre sie doch auch bereit, mit mir an der Straße stehend die Autos anzuhalten und alle Entbehrungen, die ich ihr beschrieb, an meiner Seite auf sich zu nehmen. Sie wollte unbedingt mit mir nach Nordamerika, dem Hollywood-Traumland vieler Mädchen. Sie hatte von ihrer Großmutter einen kostbaren Ring geerbt, den sie verkaufen wollte, um sich dann einen Reisepass zu besorgen, der für sie nur mit einer relativ hohen Geldsumme zu erwerben war. Und da sie mich immer wieder darum bat, sie mitzunehmen, willigte ich zweifelnden Herzens ein. Eines Tages zeigte sie mir ihren neuerworbenen Reisepass.
Und dann begann der weltberühmte Karneval, den ich zumeist ohne Yvonne besuchte, schlief sie doch bis Mittag und war schon am späten Nachmittag in ihrer Tanzbar. Während in Deutschland der Karneval mit Büttenreden und vor allem mit großen Umzügen samt Narren- und Altweibertänzen abgehalten wird, fechten in Rio die verschiedenen Stadtbezirke untereinander beim Durchtanzen der Stadt einen Wettkampf aus, wer von ihnen die bewundernswerteste Pracht entfalten kann mittels der von Trommeln übertönten Musikkapelle und wer die schönsten ausstaffierten Wagen und vor allem die prächtigsten und das Herz erfreuenden Mädchen aufbieten kann, die sich voranschreitend und dann wieder stehen bleibend nach der Musik im Sambaschritt wiegen. Und die am Straßenrand Stehenden oder auf Tribünen Sitzenden bewegen sich ebenfalls im Takt mit den heißen Rhythmen. Und während ich einer Sambagruppe zuschaute, wurde mir eingegeben: „Schau dich um, jemand stiehlt gerade dein Geld aus der Hosentasche.“ Und sofort wandte ich mich um und blickte in das erschrockene Gesicht eines Mannes. Auf dem Boden lagen meine Geldscheine. Er hatte sie plötzlich fallen lassen, um nicht mit diesen in der Hand ertappt zu werden. Ich stellte meinen Fuß auf das Geld und packte diesen Dieb beim Kragen, schüttelte ihn und herrschte ihn wohl auf Englisch mit einigen spanischen Schimpfworten geschmückt an. Er jedoch führte zitternd seine Zeigefinger an beide Ohren, brachte ein paar gutturale Laute hervor und deutete an, dass er taub sei und nichts verstehen könne. Schließlich hob ich mein Geld auf, während mein Gegenüber schleunigst in der Menge verschwand. Den Verlust des Geldes hätte ich sicherlich leicht verschmerzt, handelte es sich doch nur um wenige Scheine, während ich doch meinen Pass und meine Reiseschecks samt Geld im Brustbeutel verborgen hielt. Was mir aber zu denken gab, war jene innere Stimme, die mich aufgefordert hatte, mich sofort umzudrehen. Ich konnte mir jedoch keinen Reim darauf machen, wie diese Warnung in mir entstanden sein könnte, hatte ich doch keinerlei Berührung gespürt, als der Dieb nach meinem Geld gegriffen hatte. Ich war eben in spiritueller Hinsicht noch ein „plumper Tor“.
Und eines Tages klagte Yvonne über heftige Schmerzen im Unterleib. Wir gingen gemeinsam zum Frauenarzt, der uns nach der Untersuchung mitteilte, dass sie Syphilis habe. Ich bekam wohl den größten Schreck meines Lebens, denn bestimmt musste ich mich angesteckt haben. Der Arzt riet, mir ebenfalls eine Penicillinspritze geben zu lassen, die wir uns in der Apotheke besorgen und dort auch einspritzen lassen sollten. Auf dem Weg dorthin erklärte mir die geschockte Yvonne, dass sie diese Krankheit bestimmt von ihrem Ex-Freund haben müsse, triebe er sich doch mit allerlei zweideutigen Frauen herum. Nachdem der Apotheker uns die jeweilige Ampulle mit Nadel ausgehändigt hatte, wurden wir nacheinander hinter den Ladentisch gebeten, und der wohl erst 14-jährige Lehrling jagte uns die jeweilige Spritze in die Pobacken. Ich malte mir nun entsetzliche Vorstellungen aus, dass ich nun wie so mancher Dichter und Künstler geisteskrank werden oder gar eines langsamen grauenhaften Todes sterben müsse. Und nachdem Yvonne zu ihrer Tanzbar gegangen war, packte ich meine Sachen, schrieb noch einen Abschiedsbrief, begab mich zum Busbahnhof und nahm den Nachtbus nach Sao Paulo, um von dort mit dem Zug in Richtung Bolivien zu reisen. Es war das erste und wohl einzige Mal, dass ich mich derart fluchtartig aus dem Staube gemacht habe.
5. Mit Gelbsucht im Krankenhaus von La Paz
Schließlich gelangte ich am 9. März nach Corumba, der letzten Stadt im Osten Brasiliens, von wo aus der Zug nach Santa Cruz in Bolivien fuhr. Wie staunte ich aber, als ich den Waggon betrat. Von Sitzen war kaum noch etwas zu sehen. Denn überall lagen übereinander getürmt und auf den Bänken ausgebreitet zusammengeschnürte Ballen, auf denen bolivianische Indios saßen. Ich räumte einen der Sitze frei und legte meinen Rucksack auf das aufgetürmte Gepäck. Schnell kam ich mit den Mitreisenden ins Gespräch. Sie erklärten mir, dass in ihrem Land vieles teurer sei als in Brasilien. In den Säcken und Ballen befanden sich Zahnpastatuben, Waschpulver, Seifen, Reinigungsmittel aller Art und vieles mehr. Während dieser Zugfahrt durch den Urwald nach Santa Cruz dachte ich wohl immer an Yvonne. Wie sehr hatte ich sie lieb gewonnen. Und ich malte mir immer wieder aus, wie erschrocken und traurig sie wohl gewesen sein musste, als sie in unser Zimmer zurückgekehrt war und mich nicht mehr vorfand. Hoffentlich hatte sie sich nicht die Pulsadern aufgeschnitten. Und doch war ich andererseits froh, alleine weiterreisen zu können, denn mit Yvonne an meiner Seite hätte ich sicherlich nicht Jeany in Hawaii aufsuchen können. Und wer weiß, ob sie in der Lage gewesen wäre, alle Reisestrapazen, die ich aufzunehmen bereit war, ebenfalls durchzustehen. Außerdem, da sie über so gut wie kein Geld verfügte, wären meine Geldvorräte bald versiegt gewesen, obwohl ich von meinen Verdiensten in Australien und Neuseeland einiges nach Deutschland hatte transferieren lassen. Und außerdem waren wir beide nun Syphilitiker. Durfte ich denn überhaupt noch mit einer Frau intim werden? Hatte mir die Penicillinspritze vielleicht schon geholfen und diese Krankheit besiegt? Bevor ich darüber absolute Klarheit hätte, würde ich auf keinen Fall mit einer Frau schlafen.
Als der Schaffner unseren Waggon betrat, standen sofort die Großgepäckbesitzer auf. Der eine überreichte dem Schaffner ein neues Hemd, der andere drückte ihm einen Geldschein in die Hand, und wiederum ein anderer schenkte ihm sogar eine Armbanduhr. Alle schienen sich schon zu kennen, kehrten doch diese Indios immer wieder von ihren Einkäufen in Brasilien mit ebendiesem Zug zurück. Allerdings hatte sich der reich beschenkte Zugbegleiter über die Berge von Säcken zu bemühen, um zum nächsten Waggon zu gelangen, wo ihm, dem Glücklichen, der nicht nur ein, sondern gleich beide Augen zuzudrücken gelernt hatte, wiederum Geschenke bevorstanden. Wohl jeder der Armen seines Landes hätte ihn um diese Anstellung beneidet. Und als wir im Urwald die Grenze passierten und schließlich an eine kleine Lichtung kamen, fuhr der Zug ganz langsam. Indios, die an dieser Stelle auf den Zug gewartet hatten, drangen von außen durch die offenen Türen herein und warfen nun einen Ballen nach dem anderen aus dem Zug. Danach sprangen sie, gefolgt von mehreren meiner Mitreisenden, wieder herab. Denn an dieser Lichtung warteten ihre Schmugglergenossen, die ihnen halfen, mit Kleinladern die Konterbande aufzuladen und auf den Märkten des Landes zu verkaufen. Sicherlich war auch der Lokomotivführer dafür entlohnt worden, dass er an dieser bestimmten Lichtung den Zug ganz langsam fahren ließ. Nun war unser Waggon fast ganz leer geworden. Und als die Passkontrolleure und dann auch die Zollbeamten in den Zug eingestiegen waren, fehlte jede Spur der Schmuggler und ihrer Waren.
Die Zugwaggons waren bis zu eineinhalb Meter hoch mit Konterbande gefüllt, sodass man kaum noch einen freien Sitz finden konnte.
Bolivien, benannt nach Simon Bolivar, dem Befreier einiger südamerikanischen Staaten von der spanischen Herrschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts, ist fast zweimal so groß wie Frankreich und erstreckt sich vom Norden nach Süden über eine Länge von 1.500 Kilometer. Es ist das einzige Land Südamerikas, das keinen Zugang zum Meer mehr besitzt, denn dieser wurde ihm 1880 nach dem verlorenen Salpeterkrieg abgerungen und Chile einverleibt. Ein Drittel ist Hochland, Zweidrittel besteht aus Flachland und ist zumeist mit Urwald bewachsen. Aus den hohen Bergen fließen zu diesen Wäldern riesige Wassermengen herab, die dann durch mehrere Wasserläufe hindurch schließlich meist im Amazonas, dem wasserreichsten Fluss unserer Erde, münden. Wenn auch die Mehrheit der etwa acht Millionen zählenden Bevölkerung im Bergland zu finden ist, haben sich doch einige Städte im Flachland ausgebreitet, von denen die größte Santa Cruz