Perry Rhodan 2972: Invasion der Geister - Verena Themsen - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2972: Invasion der Geister E-Book und Hörbuch

Verena Themsen

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Beschreibung

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben. Unterschwellig herrschen zwar Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Nicht immer erfolgt dieser Kontakt zur Freude aller: So versteht kaum jemand die Beweggründe der Gemeni, die angeblich den Frieden im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen, aber dabei Dinge tun, die von den meisten bestenfalls als ungewöhnlich oder undiplomatisch bezeichnet würden. Andere sehen darin fast den Grund für eine Kriegserklärung. Was bewegt GESHOD und seine Gesandten tatsächlich? Jüngsten Erkenntnissen zufolge arbeiten diese mit den Thoogondu zusammen, die einst als Lieblingsvolk von ES galten, von diesem aber wegen eines schwerwiegenden Verrats verbannt wurden. Plötzlich aber tauchen ihre mächtigen Raumschiffe überall in der Milchstraße auf – und es beginnt die INVASION DER GEISTER ...

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Zeit:3 Std. 53 min

Sprecher:Renier Baaken
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Nr. 2972

Invasion der Geister

Begegnung am Hooris-Stern – zwei Unsterbliche kämpfen für die Galaxis

Verena Themsen

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Faden – Anfang

1. Eine unerwartete Begegnung

2. An der Mauer

3. Pedospionage

4. Ein lang erwartetes Wiedersehen

5. Fadenjagd

6. Ein herzliches Willkommen

7. In die Tiefe

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen zwar Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten.

Nicht immer erfolgt dieser Kontakt zur Freude aller: So versteht kaum jemand die Beweggründe der Gemeni, die angeblich den Frieden im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen, aber dabei Dinge tun, die von den meisten bestenfalls als ungewöhnlich oder undiplomatisch bezeichnet würden. Andere sehen darin fast den Grund für eine Kriegserklärung. Was bewegt GESHOD und seine Gesandten tatsächlich?

Jüngsten Erkenntnissen zufolge arbeiten diese mit den Thoogondu zusammen, die einst als Lieblingsvolk von ES galten, von diesem aber wegen eines schwerwiegenden Verrats verbannt wurden. Plötzlich aber tauchen ihre mächtigen Raumschiffe überall in der Milchstraße auf – und es beginnt die INVASION DER GEISTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan – Der Arkonide kommt und geht, wie es nicht nur ihm gefällt.

Gucky – Der Mausbiber hilft dabei, dem Ariadnefaden zu folgen.

Tamareil – Eine Lügnerin hilft dabei, die Wahrheit aufzudecken.

Perry Rhodan

Faden – Anfang

Ich zersplittere, zerfasere. Fäden im multiversal-wirren Nichts ... nichts als Gedankenfetzen.

Bildblitze.

Ich habe das schon erlebt. Bin ich noch im Shod? War alles andere nur ein Traum?

Da ist ein Faden, an dem ich hänge. Er windet sich durch ein unwägbares Labyrinth, ein ständig in Bewegung befindliches Gewebe aus verflochtenen Lagen, die immer tiefer reichen, nie aufzuhören scheinen.

Das Gewebe zerspleißt, trennt sich auf ...

Wo entlang?

Ein Ziehen in zwei Richtungen, das mich zu zerreißen droht. Panik kommt in mir auf, als ich erkenne, dass ich meinen Weg nicht unter Kontrolle habe. Jemand zerrt mich ...

... einer Piratin anvertraut ... höhnt etwas in/um/neben mir, vibriert als Gedanke durch mich hindurch und verhallt. Dann, kräftig bis zur Schmerzschwelle: Narr!

Der Widerspruch, der in mir aufwallt, hilft mir, Struktur zurückzugewinnen.

Gab es denn eine Wahl?, versuche ich zu formulieren. Und gleichzeitig, ohne zu wissen, was mich mehr aufgeregt hat: Nicht alle Aras sind Ärzte, und nicht alle Olkonoren Piraten!

Aber alle Arkoniden namens Atlan sind Narren, fadenschwingt es zurück. Kommt es mir nur so vor, oder schwingt/sticht/schlingt da Belustigung mit?

Etwas reißt, und ich verliere den Zusammenhalt. Alles fließt auseinander, zerrinnt, zerrieselt ... es strömt auf mich ein.

Ein Regen aus Bildfadensplittern.

1.

Eine unerwartete Begegnung

Graue Städte, graue Landschaften. Sie trieben unter mir dahin, fremd, leer, unwillig, ihre Geheimnisse mitzuteilen, während ich vorüberschwebte, gefangen in einem endlos langen Schritt über unvorstellbare Entfernungen. Dann plötzlich verschwammen sie, wurden zu einem nebligen Schleier, und mein Fuß traf auf Widerstand.

Ich stolperte auf dem unter meinen Füßen materialisierten Boden und blinzelte die Tränenflüssigkeit beiseite, die meine Sicht behinderte. Erregung hatte sie in meine Augen getrieben, während wir im letztmöglichen Moment durch die Querung ins Ungewisse gesprungen waren. Das Krachen des zusammenstürzenden Ganges, aus dem wir geflohen waren, hallte in meinen Ohren nach.

Gleichzeitig nahm ich das heller gewordene Licht wahr, helle Wände und vage Gestalten um mich herum. Ein vager Duft irgendeines Parfüms und ein Hauch von ... Zigarettenrauch?

Klem. Tamareil.

Mein Blick klärte sich. Klem stand mit dem Rücken zu mir nur einen halben Schritt weiter im Raum. Sein Körper wirkte in abwehrbereiter Haltung erstarrt. Neben ihm saß Tamareil auf dem Boden, als hätte ihr Roboterkörper das Gleichgewicht verloren und wäre einfach hingeplumpst.

Ihre Art, sich schwach und ungefährlich erscheinen zu lassen, erkannte ich im gleichen Moment. Während Klem sich offensichtlich bedroht fühlt, aber gelähmt wirkt ...

Ich aktivierte mein Schirmfeld und fuhr herum, während ich nach dem Strahler griff. Drei Personen erfasste ich während der Bewegung. Die beiden, die seitlich von uns standen – ein mindestens zwei Meter großer, äußerst kompakt gebauter Mann und eine beweglich wirkende Frau – hielten ihre Kombistrahler auf eine Weise schussbereit, die mir sagte, dass sie Kampferfahrung hatten. Dennoch hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sofort schießen wollten.

Der Anblick der Person, die hinter mir gestanden hatte, traf mich völlig unerwartet. Er war fast so groß wie ich, von hellem Hauttyp und trug sein dunkelblondes Haar kurz. Seine dunkelgrünen Augen sahen mich mit einer Mischung aus Unschuld und Weisheit an, die mich fast ebenso aus dem Konzept brachte wie sein restlicher Anblick – und der deutliche Hauch von Zigarettenrauch, den ich schon vorher bemerkt hatte.

Ich kannte diesen Mann, und kannte ihn doch nicht.

»Ernst?« fragte ich und ließ unwillkürlich die Hand mit der Waffe sinken. »Ernst Ellert?«

Ernst Ellert ist untrennbar mit ES verschmolzen, wies mein Extrasinn mich zurecht. Außerdem gleicht dieser Mann dem frühesten Ellert, den du nur von Bildern kennst, weil er schon tot war, als du aus der Tiefseekuppel gekommen bist und dich mit Rhodan zusammengetan hast.

Falls der Arm eine Prothese ist, kann er auch der Ellert aus der Zeit nach der Rückkehr seines Geistes aus dem Druuf-Universum und vor dem Einsetzen der körperlichen Zerfallserscheinungen im Jahr 2113 Alter Zeitrechnung sein, korrigierte ich gedanklich mit etwas hämischer Präzision. An den Tatsachen änderte es allerdings nichts – dieser Mann konnte mir unmöglich gegenüberstehen. Sein Körper war zerfallen und sein Geist zusammen mit ES verschollen.

Ich wagte nicht, über die möglichen Implikationen nachzudenken. Eine Reise durch die Zeit? In ein Paralleluniversum? Wohin hatte der Durchgang durch Klems Tribar uns gebracht?

Etwas Schimmerndes löste sich vom Boden und schwebte auf den so bekannt wirkenden Mann zu. Jener lächelte etwas hilflos, während er die Hand danach ausstreckte, und sah zu dem Kompaktriesen. Der hatte inzwischen ebenso wie die Frau die Waffe weggesteckt und starrte mich so ähnlich an, wie ich wohl eben noch Ellert angesehen hatte.

»Atlan?«, fragte er in einem angenehmen Bass. »Atlan da Gonozal?«

*

»Opiter Quint«, stellte sich der hünenhafte Mann vor. Er reckte mir seine Pranke entgegen und lächelte entwaffnend. »Es ist mir eine Ehre und eine Freude, diesen Moment erleben zu können. Die Rückkehr Atlan da Gonozals in die Milchstraße, nach 35 Jahren ohne Nachricht ... das ist ein besonderer Moment, den ich schnellstens dem TLD melden werde. Die Dame hinter dir ist übrigens Mahnaz Wynter. Sie arbeitet für die USO, genauso wie Zau da drüben.«

Er deutete zu meiner Verwirrung in Klems Richtung. Der Menes entspannte sich eben mit einem Seufzen und bückte sich, um etwas vom Boden aufzuheben. Ich erkannte, dass es sein Amulett war. Es war tatsächlich mit uns durch die Querung gezogen worden und wirkte nun wieder wie ein schlichtes, silbergraues Dreieck von etwa fünf Millimetern Kantenlänge und mit hohler Mitte.

Hinter Klem sah ich ein Wesen, das mich im ersten Moment an die krötenartigen Andooz erinnerte, ein Volk, das erst wenige Jahrzehnte vor meinem Amtsantritt als Imperator in das Große Imperium eingegliedert worden war. Inzwischen besaßen sie ein eigenes kleines Sternenreich.

Zau, wie Opiter Quint ihn genannt hatte, war allerdings mit vielleicht anderthalb Metern Größe etwas kleiner als ein Andooz und dabei deutlich schlanker und deutlicher humanoid. Andererseits trug er ebenfalls keine Kleidung, sondern lediglich zwei gekreuzte Gurte mit allerlei Taschen und Magnetkontakten. Mit seinen Händen streifte er fast den Boden, so tief hingen sie neben den krummen Beinen. Die Augen im direkt auf dem Körper aufsitzenden Kopf schauten durch dicke Brillengläser.

Sein Blick galt allerdings nicht mir, sondern der noch immer am Boden sitzenden Tamareil. Die Cappin aus dem Volk der Olkonoren im Körper eines Roboters schien das nicht zu stören. Im Gegenteil: Während sie nach ihren anscheinend beim Sturz von ihren Füßen gerutschten roten Stöckelschuhen angelte, drehte und wendete sie ihren nach dem Vorbild einer weiblichen Humanoiden geformten Kunstkörper, als wollte sie sich ihm besonders vorteilhaft präsentieren.

Ihre Gelenke entsprachen denen eines menschlichen Körpers, und zwischen dem Kopf und der mit einem knappen roten Shirt bekleideten Brustpartie sowie in der Taillenregion wurden die Körperteile durch eine bewegliche Kunstwirbelsäule und ein dichtes Gewirr an Kabeln verbunden. Trotzdem wirkten die Bewegungen unecht und überzogen, als sie aufstand und ihre roten Shorts glatt strich.

»Gefällt dir, was du siehst?« hauchte sie.

»Eher das, was ich spüre«, knarrte Zau. »Du bist eine Pedotransfererin. Wie kann das sein?«

Ich wandte mich an Quint, bevor Tamareil sich in eine ihrer Lügengeschichten stürzen konnte. »Ich habe einige Fragen, bevor wir unsere Geschichten erzählen. Erst einmal: Welches Datum haben wir?«

»13. April 1552 NGZ«, antwortete der TLD-Agent.

Ich atmete auf. Also keine Zeitreise. Es war das gleiche Jahr, das mir in der Zwerggalaxis Cetus genannt worden war, und auch bei den Menes in Sashpanu hatte ich aus dem Datum der Entführung der Menes-Vorfahren von Terra und der seither verstrichenen Zeit ein ähnliches Jahr ausgerechnet.

Das aber brachte mich zur zweiten Frage. Ich deutete auf den Mann mit Ellerts Körper und fragte: »Wer ist das?«

Quint lächelte schief und hob die Schultern. »Glaub es oder nicht, aber das ist tatsächlich Ernst Ellert. Besser gesagt, eine Version von ihm. Eine Kopie.«

»Ich bin der Verwalter der Hinterlassenschaften von ES«, sagte Ellert in einem Tonfall, als wiederholte er etwas Einstudiertes, das er selbst kaum verstand. »Eine Kopie des ursprünglichen Ellert, habe ich mir sagen lassen. Ich erinnere mich nicht an diesen Vorgang. Meine Erinnerung endet im Jahr 1972 – Alter Zeitrechnung, wie ich mich habe belehren lassen – mit meinem Tod. Sie setzt erst in dem Moment wieder ein, in dem ich in dem Mausoleum aufgewacht bin, das Major Rhodan anscheinend vor über 3000 Jahren für mich hat errichten lassen. Ein Wunder, dass es überhaupt noch stand.«

Ich hob die Augenbrauen. »Ein neuer Langzeitplan der Superintelligenz?«

Ellert zuckte die Achseln. Er trug einen Anhänger, der eine exakte Kopie von Klems zu sein schien. Das musste der schimmernde Gegenstand gewesen sein, der zuvor zu ihm geschwebt war.

Das zweite Tribar, durch das die Verbindung möglich wurde.

»Mir scheint es eher wie ein Notfallplan«, antwortete Ellert. »Wäre es etwas Konkreteres, wäre ich sicherlich etwas besser darauf vorbereitet worden, was von mir erwartet wird.«

Ich biss mir auf die Zunge. Wie wenig Wert Superintelligenzen und Kosmokraten darauf legten, ihre Helfer gemäß ihren Plänen zu instruieren, hatte ich oft genug leidvoll erfahren dürfen. Aber wir hatten keine Zeit für ausgedehnte Retrospektiven. Stattdessen wandte ich mich wieder an Quint.

»Ich brauche Informationen über die aktuelle Lage in der Milchstraße und was immer aus den Jahren meiner Abwesenheit dafür relevant ist. Im Gegenzug kann ich vermutlich auch das eine oder andere interessante Detail beisteuern, das hier noch nicht bekannt ist. Wir kommen über Umwege aus der Heimatgalaxis der Gemeni.«

Mahnaz Wynter pfiff durch die Zähne. »Die Gemeni. Wir haben zwar länger nichts mehr von ihren Sprossen gehört, aber sie treiben sich irgendwo in der Galaxis herum.«

»Mit Sicherheit«, bestätigte ich. »Ich habe einen gesehen und hatte auch mit dem Initiator eines Sprosses Kontakt, einem Jungen namens Yeto. Er hat nicht zufällig eine Botschaft von mir ausgerichtet?«

Quint sah fragend zu Wynter, die den Kopf schüttelte. »Wie gesagt, seit einer Weile machen die Sprosse sich rar. Ich schätze, er hatte keine Gelegenheit dazu.«

Nachdem die drängendsten Fragen geklärt waren, wurde ich mir langsam der Umgebung bewusst. Der runde Raum war groß genug, dass die vier sich mit genug Abstand zur Raummitte hatten verteilen können, um jeden unerwünschten Eindringling sofort aufzuhalten. Die Wände waren leicht gekrümmt und gingen weich in die Decke und den Boden über. Ein wenig erinnerte der Eindruck mich an einen Spross, aber gleichzeitig ...

Du stehst in einem Dolan, verkündete mein Extrasinn lakonisch.

»Ein Dolan?«, wiederholte ich unwillkürlich laut.

Quint lachte auf, als amüsierte ihn meine Feststellung. »So ist es. JASON ist ein Dolan mit synthetischen Exekutoren – bis auf die Exekutorin 1, die freiwillig in ihn eingegangen ist. Yemaya?«

Eine Frauenstimme antwortete ihm, erzeugt durch unsichtbare Akustikfeldprojektoren: »Willkommen an Bord von JASON, Atlan. Ich bin Yemaya Shango, die Exekutorin 1 und somit für die Flugkoordination zuständig. Wir schleusen in diesem Moment in unser Trägerschiff ein, die NEÈFOR. JASON ist nicht für Fernflüge ausgerüstet, und wir waren auf einem Fernflug, als die Aktivierung von Ernsts Tribar uns eine Unterbrechung des Linearflugs und die Ausschleusung aus der NEÈFOR ratsam erscheinen ließen.«

»Und wohin bringt uns euer Fernflug?«, hakte ich nach.

»Ins Solsystem – oder so weit, wie wir eben kommen.«

*

Irgendwo in mir tat etwas einen Sprung und verkrampfte sich gleichzeitig. Ich atmete durch.

Siebenhundert Jahre, dachte ich. Siebenhundert Jahre sind für mich vergangen, seit ich das letzte Mal im Solsystem war. Sie machen Aufhebens um die fünfunddreißig Jahre, die sie mich nicht gesehen haben, aber tun gleichzeitig so, als könnten wir einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Haben sie überhaupt eine Ahnung, wie anders sich diese Rückkehr für mich anfühlt als für sie?

Wenn Julian Tifflor Wort gehalten und die Kinder zurückgeschickt hat, wissen sie es, warf der Extrasinn ein.

Lua Virtanen und Vogel Ziellos sind mit Sicherheit längst keine Kinder mehr. Fünfunddreißig Jahre mit einem geteilten Zellaktivator ... kaum vorstellbar. Aber ihre Liebe war stark. Ich hoffe, sie hat es überlebt, und sie haben überlebt.

Frag Opiter Quint, ob er etwas weiß.

Eines nach dem anderen. Wie die Dinge stehen, gibt es erst einmal Wichtigeres als meine persönlichen Belange.

Der Extrasinn schwieg, was ich als Zustimmung deutete. Erst in diesem Moment wurde ich mir recht bewusst, was genau die Exekutorin gesagt hatte. »Was meinst du mit ›so weit, wie wir eben kommen‹? Was könnte uns denn behindern?«

Opiter Quint übernahm wieder das Wort. »Wir haben Nachricht erhalten, dass der TERRANOVA-Schirm aktiviert wurde und es seither keine Verbindung mehr ins Solsystem gibt. Vorher war es wohl zu einigem Chaos wegen einer angeblichen Invasion gekommen ...«

Ich hob die Hand. »Halt! Das klingt, als gehörte es bereits zu dem Komplex an Informationen, den ich ohnehin brauche. Gehen wir irgendwohin, wo wir in Ruhe reden und Informationen austauschen können.«

*

Wir wechselten auf die NEÈFOR über, in die JASON inzwischen eingeschleust hatte. Es wurde ein langer Tag und eine lange Nacht. Aber es war mir wichtig, bestmöglich vorbereitet zu sein, sobald wir das Solsystem erreichten. Ich war fast sicher, dass ich von diesem Zeitpunkt an nicht mehr allzu viel Zeit für Informationsaufnahme haben würde. Also sog ich alles auf, was mir Quint und Wynter erzählten oder anhand von Dokumentationsmaterialien zeigten, und stellte Fragen, bis mir alle Zusammenhänge klar waren.

Zau und Ellert hielten sich zurück, wobei der Krötenmann weiterhin offenes Interesse an Tamareil zeigte und bald mehrere Versionen ihrer Geschichte kannte. Ihre bunten Ausschmückungen schienen ihn allerdings weniger zu interessieren als die schlichte Tatsache, dass sie eine Pedotransfererin war, also ihren Geist in andere Körper versetzen und sie übernehmen konnte.

Auf diese Weise erfuhr ich, dass auch Zau diese Gabe in rudimentärer Form beherrschte, was jedoch zu etwas anderen Effekten führte. Einen davon hatte ich bei Klem beobachtet, als er starr und scheinbar unscharf dagestanden hatte. Zau hatte ihn vorsichtshalber auf diese Weise immobilisiert, als der Agent nach der Waffe gegriffen hatte. Er nannte das »Entrückung«. Außerdem deutete er an, noch ein paar weitere Gaben zu haben, ohne sie zu beschreiben.

Nur der Begriff »Tryzom-Tänzer« fiel, was mich sofort an den Ganjo Ovaron denken ließ, dem wir vor langer Zeit zu seiner rechtmäßigen Herrschaft über die Cappins verholfen hatten. Er war ebenfalls Tryzom-Tänzer gewesen. Ich schob die Erinnerung als momentan unwichtig beiseite. Falls es wichtig wurde, würde Zau seine weiteren Gaben gewiss enthüllen.

Einem weiteren Mitglied aus Opiter Quints Gruppe, der Chronotheoretikerin Aichatou Zakara, begegnete ich nur kurz. In der dunkelhäutigen Targia paarten sich hoher Intellekt und attraktives Äußeres auf eine Weise, die ihr normalerweise meine Aufmerksamkeit gesichert hätte. Im Moment lagen meine Prioritäten aber anderswo. Also blieb es bei einer höflichen gegenseitigen Zurkenntnisnahme. Ohnehin hielt sie sich die meiste Zeit in ihrer Kabine auf und zeigte wenig Interesse an sozialer Interaktion.

Irgendwann wurde der Kapitän der NEÈFOR bei mir vorstellig. Er war ein bärbeißiger älterer Ferrone namens Jenjur Mezepher, der mir auf Anhieb sympathisch war. Er entpuppte sich ebenfalls als TLD-Agent, der seinen nur nach außen hin altersschwachen Kahn für Geheimoperationen zur Verfügung stellte. In dieser Eigenschaft schipperte er JASON und die Gruppe um Ellert und Quint offenbar schon seit einer Weile durch die Milchstraße und sogar bis in die benachbarte Kleingalaxis Canis Major.

Nach mehreren langen Gesprächen und Datensichtungen brauchte ich schließlich eine Pause. Selbst ein relativ unsterblicher Zellaktivatorträger kann nicht beliebig lange ohne Schlaf konzentriert bleiben. Klem hatte längst die Kabine aufgesucht, die man ihm auf der NEÈFOR zugewiesen hatte. Er wusste ohnehin so gut wie nichts über die Heimat seiner Vorfahren, geschweige denn über die Galaxis, in der sie lag, und verstand somit nur wenig von dem, was wir besprachen.

Auch Tamareil war zum Schluss erstaunlich ruhig geworden. Es war bei ihr allerdings schwer, zu entscheiden, ob sie eingenickt war oder nicht. Auf jeden Fall war sie nicht willens gewesen zu gehen, solange Zau noch da war. Als alle aufbrachen, stand sie allerdings sehr schnell auf den Beinen und folgte Zau nach draußen.

Endlich glitt die Tür des Rechnerraums zu. Mezepher hatte mir zwar ebenfalls eine Kabine angeboten, doch ich hatte abgelehnt. Zu viel war aufzuarbeiten, als dass ich mir mehr als die nötigste Ruhe gönnen wollte. Ich lehnte ich mich in meinem Kontursessel zurück und schloss die Augen. Noch einmal ließ ich die Kernpunkte der Informationen Revue passieren, die ich erhalten hatte.

Die dys-chrone Scherung, das Verschwinden der Superintelligenz ES und das Abfließen der von ihr installierten Eiris, die einmal jemand despektierlich als »Reviermarkierung« bezeichnet hatte.

Es war ein absehbares Risiko, stellte der Extrasinn fest. Wer statt eines kontrollierten Geschichtsablaufs völlige Freiheit fordert und erhält, kann nicht erwarten, dass die zur Wahrung der Zeitlinie notwendigen Schutzmächte in dieser alternativen Realität noch Fuß fassen können.

Ich weiß. Aber die Alternative war nicht akzeptabel. Du hast meine Entscheidung mitgetragen. Perry hätte nicht anders gehandelt.

Perry. Das Leuchtfeuer, das durch die Milchstraße und darüber hinaus gewiesen hatte. Sprechende Statuen auf dem Merkur. Unwillkürlich musste ich lächeln. Es sah dem ewig neugierigen Larsaf-Barbaren ähnlich, dass er diese Einladung nicht hatte ablehnen können. Er war nach NGC 4622 aufgebrochen und erst vor Kurzem zurückgekehrt. Ob ich ihm bei unserer Ankunft am Solsystem begegnen würde?

Schwer einzuschätzen. Die Lage dort stagniert, während sie an anderen Orten in Bewegung zu sein scheint. Andererseits ist es sein Solsystem. Er wird immer genau wissen wollen, was dort vorgeht.

Ich stimmte der Einschätzung meines Extrasinns zu. Es blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Teil auf mich zukommen zu lassen.

Ob ich mich ohne fotografisches Gedächtnis nach siebenhundert Jahren noch so klar an ihn erinnern könnte?

Und doch, obwohl ich jedes Detail seines Gesichtes vor Augen hatte, jeden Ausdruck darin kannte, hatte sich eine Distanz eingeschlichen. Konnte er noch derselbe Mann wie vor fünfunddreißig Jahren sein? Viel war geschehen, er selbst um eine Todeserfahrung reicher.

Aber er würde stets Perry Rhodan sein.

Er würde nach wie vor mein Freund sein, wie immer, selbst wenn ich viel länger fort gewesen war.

Aber war ich noch derselbe Mann, nachdem ich ans Ende aller Zeiten und zurückgereist war? Würde unsere Freundschaft sich wieder anziehen lassen wie ein altvertrauter Handschuh, oder passten meine Finger inzwischen nicht mehr in diese Hülle? So war es Julian Tifflor ergangen. Es konnte ebenso gut mich treffen.

Das letzte Mal, als ich über Jahrhunderte weg gewesen war, hatte ich keine bewusste Erinnerung an die Zeit dazwischen gehabt, während für Perry über vierhundert Jahre vergangen waren. Es hatte sich seltsam angefühlt, und wir hatten unsere Anlaufprobleme gehabt, ehe die alte Vertrautheit sich wieder eingestellt hatte. Würde es dieses Mal mit umgekehrten Vorzeichen ähnlich sein?

Müßige Gedanken, wies der Extrasinn mich zurecht. Hast du vorhin nicht selbst festgestellt, dass es Wichtigeres gibt? Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt, und beschäftige dich mit allem anderen, sobald es relevant wird!

Bevor ich eine darauf passende Replik formuliert hatte, hörte ich die Tür aufgleiten. Ich öffnete die Augen und sah das einzige Mitglied der Operationsgruppe Ellert/Quint, dem ich bislang nicht begegnet war:

Homunk. Dem Diener von ES.

*

Ich war nicht sicher, ob ich ihn gleich erkannt hätte, wäre ich nicht von den anderen über seine Anwesenheit informiert worden. Zwar hatte, wie mein fotografisches Gedächtnis mir bestätigte, sein Kopf sich nicht verändert, seit wir uns das letzte Mal begegnet waren. Aber Homunk in einem SERUN stecken zu sehen war kein Anblick, den ich erwartet hätte. Quint hatte mir allerdings vom Verlust der Gliedmaßen des Kunstwesens erzählt.

»Und wieder einmal ist dein Herr und Meister von der Bildfläche verschwunden und lässt seine Verbündeten im Unklaren zurück«, stellte ich fest. »Allerdings vermute ich, dass diese Feststellung dich nie so stark mit eingeschlossen hat wie dieses Mal.«

»Ich mache mir keine Gedanken über mein Unwissen«, erwiderte Homunk. »Wenn es etwas gibt, das ich zu einem festgelegten Zeitpunkt wissen muss, wird es für mich dann verfügbar sein. In der Zwischenzeit agiere ich nach bestem Wissen.«

»Im Moment scheinst du eher nicht zu agieren.«

»Andere agieren im Sinn der Superintelligenz. Die Auswahl Ellerts als Nachlassverwalter geschah aus guten Gründen. Ich handle also so, wie die Vorgabe es jeweils erfordert.«

Ich lachte leise. »So kryptisch wie ES selbst, und voller Vertrauen in die Superintelligenz. So kenne ich dich. Du hattest nie Zweifel daran, dass ich die Aufgaben bewältigen konnte, die mir mit der Teilung von ES aufgebürdet wurden.«

»Wenigstens einer von uns durfte keine Zweifel haben.«