Perry Rhodan Neo 46: Am Rand des Abgrunds - Verena Themsen - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 46: Am Rand des Abgrunds E-Book und Hörbuch

Verena Themsen

4,4

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Beschreibung

Mai 2037: Perry Rhodan, Atlan und Crest sind auf der gefahrvollen Reise nach Arkon, der Zentralwelt des riesigen Imperiums. Sie müssen das Epetran-Archiv finden, bevor es in die Hände des Regenten fällt. Es enthält die Positionsdaten der Erde. Da der Regent auf Rache sinnt, schwebt die Menschheit in größter Gefahr. Mit einer uralten Raumyacht erreichen Rhodan und seine Gefährten das Sonnenleuchtfeuer Hela Ariela. Sie sind getarnt und wollen über dieses System zum Kugelsternhaufen M 13 vorstoßen, wo sich Arkon befindet. Zuerst aber geht es in Konvois weiter, die von Lotsen geführt werden. Doch geheimnisvolle Sternengötter scheinen andere Pläne zu haben ... Währenddessen werden Hunderte von Menschen auf einer abgelegenen Welt gefangen gehalten. Soldaten des Imperiums verhören sie brutal, um die Position der Erde herauszufinden. Gegen die Gewalt der Arkoniden stellen die Gefangenen ihre Menschlichkeit.

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Zeit:5 Std. 36 min

Sprecher:Axel Gottschick
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Band 46

Am Rand des Abgrunds

von Verena Themsen

Cover

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Impressum

Mai 2037: Perry Rhodan, Atlan und Crest sind auf der gefahrvollen Reise nach Arkon, der Zentralwelt des riesigen Imperiums. Sie müssen das Epetran-Archiv finden, bevor es in die Hände des Regenten fällt. Es enthält die Positionsdaten der Erde. Da der Regent auf Rache sinnt, schwebt die Menschheit in größter Gefahr.

Mit einer uralten Raumyacht erreichen Rhodan und seine Gefährten das Sonnenleuchtfeuer Hela Ariela. Sie sind getarnt und wollen über dieses System zum Kugelsternhaufen M 13 vorstoßen, wo sich Arkon befindet. Zuerst aber geht es in Konvois weiter, die von Lotsen geführt werden. Doch geheimnisvolle Sternengötter scheinen andere Pläne zu haben ...

Währenddessen werden Hunderte von Menschen auf einer abgelegenen Welt gefangen gehalten. Soldaten des Imperiums verhören sie brutal, um die Position der Erde herauszufinden. Gegen die Gewalt der Arkoniden stellen die Gefangenen ihre Menschlichkeit.

1.

TIA'IR

Es ist der Duft. Ihr Duft. Er bringt mich fast um den Verstand.

Ich presse die Handballen gegen meine Stirn. Es hat keinen Sinn, sich damit zu beschäftigen. Ich muss ruhig werden, die Vergangenheit vergangen sein lassen. Die Gegenwart hält mehr als genug Probleme für mich bereit. Ich atme durch, nur um sofort zu erkennen, dass das ein Fehler war. Erneut strömt ein Hauch des Raumparfüms über meine Geruchsrezeptoren.

Crysalgira.

Zehntausend Jahre, und ein einziger Atemzug genügt, um sie wieder erstehen zu lassen. Ich spüre ihre Finger, wie sie sanft durch mein Haar gleiten, um es anschließend gegen alle Proteste wild zu zerzausen. Schmecke ihren Kuss und das Blut, das nicht selten damit einherging. Sehe den aufreizenden Augenaufschlag, nach dem sie sich abwendet und die Anzeigen studiert, als gebe es nichts Wichtigeres als die Energieverteilung des Schiffes.

Ihres Schiffes. Der TIA'IR.

Und nun stehe ich darin – oder in einem exakt identischen Schwesterschiff –, und die Erinnerungen an sie lähmen mich. An ihre Stimme. Unsere unzähligen Streitereien und Versöhnungen. Ihre Schönheit, die Weichheit ihrer Haut, ihr seidiges Silberhaar. Ihren bevorzugten Duft, eine ebenso widersprüchliche Mischung aus süß-exotisch und herb wie alles an ihr.

Doch sie ist tot. Tot und seit Jahrtausenden zu Staub zerfallen. Nur meine Erinnerung an sie lebt noch. Für mich ist es, als sei es gestern gewesen, dass meine Ziehschwester mich mit all ihren Eigenschaften zwischen Glück und Wahnsinn hin und her gerissen hat. Ihrer Sprunghaftigkeit, ihren Launen ...

Ich spüre die Leere des Verlustes; ihres Verlustes und der vielen, die noch folgen sollten. Schmerz, der mich durch die Jahrtausende begleitet hat. Es ist die Schattenseite des Geschenkes, das ich um meinen Hals trage. Unzählige wunderbare Momente, unzählige Verluste. Es ist manchmal schwer, dem einen mehr Gewicht zu geben als dem anderen, um weiterleben zu können.

Die schönen Momente. Ich denke an sie, lasse sie in Gedanken erstehen und lächle. Mein Herzschlag wird ruhiger. Ich öffne die Augen wieder. Das Rotorange des vordersten Anzugs im Kleiderspeicher springt mich an. Mein Lächeln gefriert.

Ja, da war auch noch ihr äußerst extravaganter Modegeschmack.

Crysalgira ...

Ferrari zu den Sternen

Mit einem leisen Fluch rieb sich Perry Rhodan den Ellenbogen. Wieder einmal hatte er die Enge der Gänge und Leiterschächte falsch eingeschätzt und war gegen einen der ohne erkennbares System auftretenden Vorsprünge gestoßen. Auch wenn ihm klar war, dass er froh sein musste, überhaupt in einem Raumschiff zu sein – er verfluchte das Schicksal dafür, dass es ausgerechnet eines war, das man innen nur als subspartanisch bezeichnen konnte, sah man von den teils schon psychedelisch anmutenden Farbdekorationen ab.

Wenigstens stand er nun endlich vor der Kabine, die er gesucht hatte. Vergeblich hielt er nach einem Klingelknopf oder etwas Ähnlichem Ausschau. Als er bereits darüber nachdachte, zu klopfen oder einfach unangemeldet den Öffner zu berühren, wurde er des Problems durch das unvermittelte Aufgleiten der Tür enthoben.

Mitten in der Kabine, die der Größe nach eher einer Besenkammer glich, stand der Mann, den er sprechen wollte. Rhodan blinzelte unwillkürlich, um sicherzugehen, dass er keiner optischen Täuschung aufsaß. Es folgten ein Räuspern und ein Husten und schließlich befreiendes Gelächter.

Das schulterlange Haar hatte der Arkonide schon direkt nach ihrem Abflug von Siron wieder zu seiner natürlichen weißen Farbe zurückgeführt. Im Moment endete es über einer eng an den athletischen Körper geschmiegten Kombination aus glänzenden Stoffen in verschiedenen Violetttönen, kombiniert hier und da mit schimmerndem Perlmutt. Dazu kamen akzentuierende Rüschen, Bänder und Applikationen mit blinkenden Leuchtpunkten, wo immer einem wahnsinnigen Schneider einfallen konnte, dass noch ein wenig Platz für so etwas war. Hohe Absätze unter den weißen, schnallenbewehrten Stiefeletten sorgten dafür, dass der ohnehin hochgewachsene Mann vollends einen Kopf über alle anderen hinausragte.

Atlan da Gonozal verzog wegen Rhodans Lachen das Gesicht. »Und ich hatte die Hoffnung genährt, die irdischen Barbaren hätten irgendwann einmal Höflichkeit und Anstand gelernt. Ich sehe, ich habe mich geirrt.«

»Entschuldigen Sie«, japste Rhodan und versuchte verzweifelt, das Zittern seines Zwerchfells wieder unter Kontrolle zu bringen. »Aber das ... das da ...«

»... entspringt dem ganz besonderen Modegespür einer sehr speziellen Dame. Haben Sie jemals versucht, mit einer Frau über Geschmacksdinge zu streiten?«

»Uh.« Rhodan fuhr mit einer Hand durch seine blonden Strähnen und schüttelte den Kopf. »Auch wenn ich vermutlich deutlich weniger Lebenserfahrung habe als Sie, weiß ich doch, welche Konflikte man besser gar nicht erst beginnt.«

Der Arkonide nickte. »Sehr weise. In diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass die für die Garderobe verantwortliche Dame seit zehntausend Jahren tot ist. Der Inhalt dieser Speicher ist aber ohnehin recht gut geeignet, unsere Tarnung zu unterstützen. Was Sie da tragen, passt zu einem Schatzsucher ungefähr so gut wie ein Debütantinnenkleid zu einem Totengräber.«

»Heißt das, ich werde auch so etwas tragen müssen?« Unwillkürlich glitt Rhodans Blick erneut über die Kleidung seines Gegenübers.

»Falsch«, antwortete Atlan mit einem sardonischen Lächeln. »Es heißt, Sie werden aus dem, was ich nicht genommen habe, etwas noch Schlimmeres wählen müssen.«

Rhodan war versucht, erneut zu fluchen, beließ es dann aber bei einem Durchatmen. Er schüttelte den Kopf.

»Weshalb ich eigentlich komme: Die TIA'IR ist in Kürze bereit für den letzten Sprung zu Hela Ariela. Sie sollten in die Zentrale kommen.«

»Warum haben Sie mir das nicht über die schiffsinterne Kommunikation mitgeteilt?«

»Ich brauchte Bewegung. Dieses Schiff ist schlimmer als eine Sardinenbüchse. Da muss man gelegentlich den Raum nutzen, den man hat, um nicht klaustrophobisch zu werden.«

»Die TIA'IR ähnelt einem irdischen Formel-1-Rennwagen«, sagte Atlan. »Nahezu kein Komfort, aber jede Menge Kraft unter der Haube. Nach dem, was ich bislang herausfinden konnte, hat die arkonidische Technologie es niemals wieder geschafft, etwas so Leistungsstarkes wie den Experimentalantrieb zu entwickeln, um den herum unser Schiff gebaut ist. – Hier, schenke ich Ihnen.«

Er drückte Rhodan etwas violett Glitzerndes in die Hand. Ratlos sah der Astronaut darauf hinunter. Er fühlte sich an etwas erinnert, doch er konnte nicht den Finger darauf legen. »Was ist das?«

»Das Diadem, das eigentlich zu diesem Anzug gehört.« Der Arkonide lächelte und trat an Rhodan vorbei in den Gang. »Es steht Ihnen bestimmt ganz vorzüglich.«

Rhodan sah mit gerunzelter Stirn auf das steife Geflecht aus Silberfäden hinunter. Perlen und violett schimmernde Halbedelsteine glitzerten in jedem Zwischenraum. Unschlüssig darüber, was er damit anfangen sollte, stopfte er es kurz entschlossen in seine Hosentasche. Mit einigen langen Schritten holte er wieder zu Atlan auf.

»Was war das eben mit ›Experimentalantrieb‹?«, fragte er. »Heißt das, wir sitzen in einem Ding, das sich jeden Moment entschließen könnte, zu explodieren?«

»Wenn Sie meinen, ob wir auf einer Bombe reiten – nein. Wenn es Ihnen darum geht, ob es einhundert Prozent zuverlässige und sichere Technologie ist – ebenfalls nein. Aber Menschen haben sich im Laufe der Jahrtausende, ohne mit der Wimper zu zucken, schon deutlich gefährlicheren Geräten anvertraut, um ihre Ziele zu erreichen. Ich für meinen Teil habe auf der Erde in Boliden gesessen, die jeden Sicherheitsfachmann der heutigen Zeit in den Herzinfarkt getrieben hätten. Trotzdem habe ich jede Meile der Fahrt genossen. Vor allem aber die Ankunft.«

Rhodan beobachtete, wie ein Lächeln über das Gesicht des Arkoniden huschte, dem jedoch ein Schatten folgte. Rhodan hatte gelernt, was dieser Ausdruck hieß: Jedes Nachfragen dazu würde keine weiteren Antworten ergeben.

Er fragte sich, warum Atlan manche seiner Geheimnisse so eifersüchtig hütete. Schon die Funde in der Unterwasserkuppel hatten klargemacht, dass der Mann die Epochen der Menschheit nicht nur verschlafen, sondern rege daran Anteil genommen hatte. Trotzdem wussten sie noch immer so gut wie nichts über ihn.

Rhodan beschloss, lieber wieder zum ursprünglichen Thema zurückzukehren.

»Crest meinte, der Antrieb sei in etwa zwanzig Zentitontas bereit, also etwas mehr als einer Viertelstunde, wenn ich richtig gerechnet habe«, berichtete er. »Ich schätze, ich schaue dann besser, dass ich ebenfalls eine angemessene Kleidung finde, bevor wir springen – auch wenn ich wohl in keinem Fall mit Ihrem überwältigenden Auftreten werde mithalten können.«

Ein Lächeln blitzte in Atlans Augen auf und vertrieb den grüblerischen Ausdruck. »Geben Sie Ihr Bestes, Perry Rhodan.«

»Das tue ich immer, wenn es um die Menschheit geht.«

Für einen Moment trafen ihre Blicke aufeinander, und Rhodan erinnerte sich an das Gefühl der Vertrautheit, das er bei ihrem ersten Zusammentreffen spontan empfunden hatte. Seither war vieles passiert, was ihn an diesem Gefühl hatte zweifeln lassen. Was wusste er schon über den Arkoniden? Wie weit konnte er ihm wirklich trauen? Selbst wenn Atlan an sich aufrichtig war – Rhodan hatte die Szene nicht vergessen, die ihm in der ehemaligen Venusfestung vorgeführt worden war. Sie bewies, dass jemand den jahrtausendealten Arkoniden beeinflusst hatte, ohne dass dieser sich daran erinnerte. Womöglich passierte so etwas jederzeit wieder.

»Ich werde kurz vor dem Sprung eine Durchsage machen«, sagte Atlan. »Sie sollten sehen, dass Sie bis dahin fertig sind, wenn Sie ihn in der Zentrale erleben wollen.«

»Ich werde da sein«, versicherte Rhodan.

Der Arkonide nickte und trat zum Leiterschacht, der auf die Ebene der Zentrale hinunterführte. Die TIA'IR brauchte all ihre Energie für ihre Antriebe. Dinge wie Antigravschächte oder auch nur Aufzüge waren daher eingespart worden wie auch alles andere, was lediglich der Bequemlichkeit der Besatzung diente – abgesehen von einem Getränkespender in der Zentrale, der etwas ausspuckte, was Rhodan vage an einen würzigen Kaffee erinnerte.

Perry Rhodan sah dem Arkoniden zu, bis er völlig im Schacht verschwunden war. Erst dann bewegte er sich im Eilschritt zurück zu seiner eigenen Kabine.

Ein neuer Punkt erschien im Sektorholo. Drei Pulstakte lang wartete der Lotse auf die Kennung. Als sie ausblieb, leuchtete rings um den Neuankömmling ein Kordon roter Punkte auf, der ihn von den anderen Schiffsmarkierungen trennte. Die Sicherheitsdrohnen waren aktiv geworden und warteten nur noch auf den Befehl des Lotsen, den potenziellen Störfaktor anzugreifen und zu binden, bis die Patrouillenschiffe ankamen.

Der Lotse hob drei Finger. Verschiedene Darstellungen des unidentifizierten Schiffes bauten sich vor ihm auf. Daten flossen in Lesegeschwindigkeit darüber hinweg. Er schürzte die Lippen.

Das Schiff hatte eine völlig sinnfreie schmale Keilform mit einer Länge von 90 Metern, einer Breite von nur 15 Metern und einer Höhe von 35 Metern am Heck. In der hinteren Hälfte erhob sich auf der Schräge wie eine mehrere Meter durchmessende Geschwulst eine Glassitkuppel, unter der man unscharf Formen und Figuren sah – vermutlich die Zentrale, gegen Einblicke von außen durch optische Verzerrung geschützt.

Unmengen Platz waren in diesem Ding verschwendet, nur um eine extravagante, auffällige Gestalt zu erzeugen. Golden schimmernde Zieraufsätze mit unklarem Zweck und orangegelbe Flammenmuster auf dem knalligen Rot der Grundfarbe bestätigten den Eindruck.

Ein Blitzerschiff. Eine Sportschleuder für geschwindigkeitssüchtige Neureiche.

Besetzt war sie vermutlich mit dekadenten Angehörigen derjenigen Kultur, von der die Lotsen sich schon vor Jahrtausenden mit gutem Grund distanziert hatten. Die Lotsen wussten, was die wesentlichen Dinge waren. Das Leben in der Endlichen Nacht hatte ihnen geholfen, diese Klarheit des Denkens zu bewahren. Was er nun vor sich hatte, bewies einmal mehr, wie weit die Arkoniden sich von diesen Dingen entfernt hatten.

Andererseits, wenn es das Luxusspielzeug eines der verwöhnten Sonnenkinder war, warum hatte es keine Kennung aufzuweisen?

Mit einer Fingerbewegung hielt der Lotse den Datenstrom an, schob ihn wieder ein Stück zurück und starrte auf die Messergebnisse.

Rumpfmaterial: Glasfaserkeramikverbund. Hersteller: nicht aus Mischung und Verarbeitung identifizierbar. Zustand: grundsätzlich intakt. Stellenweise deutliche Alterungserscheinungen erkennbar. Sprungantrieb: unbekannter Typus. Impulsantrieb: unbekannter Typus. Ausstattungsmerkmale: Typus Antik.

»Gha'essold!«

Er spuckte das Wort mit all der Verachtung aus, die er für diese Art Wesen empfand. Schatzsucher. Sie waren nichts anderes als Schmarotzer am Erbe alter Hochkulturen, dazu meist Leichenschänder und Grabräuber. Doch das Imperium tolerierte sie, weil sie gelegentlich Alttechnologien ausgruben, die auch der aktuellen Entwicklung neue Anstöße gaben. Außerdem erwarben die Reichen und die Adligen gerne wertvolle Einzelstücke aus solchen Raubzügen für ihre Sammlungen, um mit diesem vergänglichen Tand und Flitterkram gegenüber ihresgleichen prahlen zu können.

Unter den Khe'Mha'Thir galt all das wenig. Was vergangen war, sollte vergangen bleiben. Was der Nacht gehörte, durfte ihr nicht aus eitlen Gründen wieder entrissen werden.

Der Lotse machte eine Handbewegung. Die Besatzung des Schiffes musste inzwischen den Transitionsschock überwunden haben. Ein blaues Blinken zeigte, dass seine Richthyperfunkverbindung aktiv war. Die Kontrollholos glitten in den Hintergrund, um Platz zu machen für Übertragungen aus dem Schiff.

»Lotse Khe'Rhil ruft das kennungslose Schiff in Sektor 8-7-2.« Wie bei den Lotsen gegenüber von Angehörigen einer Fremdkultur üblich verwendete er seinen Außennamen, Lotse Rhil. Außenstehende waren es nicht wert, den wahren Namen auch nur eines einzigen Khe'Mha'Thir zu erfahren. »Identifizieren Sie sich, oder wir leiten die Zerstörungssequenz ein!«

Er aktivierte die Wiederholungsschleife und lehnte sich zurück. Fünfzig Pulstakte hatte die Besatzung Zeit für eine Antwort, dann würde der erste Warnschuss vor den Bug des Schiffes erfolgen. Dicht genug vielleicht sogar, um ein wenig an der grellroten Farbe zu kratzen.

Er verspürte einen Hauch von Enttäuschung, als die Antwort schon während der zweiten Wiederholung einging.

»Identifizieren Sie sich, oder wir leiten die Zerstörungssequenz ein!«

»Den Teufel werdet ihr tun, uns unsere wertvolle Beute unter dem Hintern wegzuschießen!«

Atlans empörter Tonfall brachte Perry Rhodan zum Lächeln. Der Arkonide hatte sich von den in der Zentrale Anwesenden am schnellsten wieder erholt. Neben den Schock dämpfenden Medikamenten, die sie im Vorfeld von einer medizinischen Drohne injiziert bekommen hatten, lag das vermutlich auch an seinem Zellaktivator. Kaum war die Nachricht eingegangen, hatte er schon die Kontrollen des Hyperfunks aktiviert und seine Antwort gegeben, ganz im Sinne eines um seine Beute besorgten Schatzjägers.

Rhodan war ebenfalls bereits nach kurzer Zeit wieder so weit gewesen, dass er die Umgebung und den eingehenden Funkspruch hatte wahrnehmen können. Er hatte das Gefühl, sich mit jedem Mal besser und schneller von den ziehenden Schmerzen zu erholen, die mit der Entstofflichung und anschließenden Rematerialisierung beim Sprung durch den Hyperraum einhergingen.

Chabalh löste sich aus seinem Haltefeld und trottete zu Rhodan. Mit einem hörbaren »Plumps« setzte er sich neben dessen Sessel und legte den Kopf in seinen Schoß, als suche er wie eine zahme Hauskatze Zuwendung. Noch immer war Rhodan unsicher im Umgang mit dem halb intelligenten Wesen, das wie eine überdimensionale schwarze Raubkatze aussah. Dennoch gab er dem Impuls nach und strich vorsichtig über den vermutlich noch schmerzenden Kopf seines selbst ernannten Leibwächters.

Im dritten der vier Sitze, die sie in der Zentrale installiert hatten, hing die Mehandor Belinkhar und rieb sich blinzelnd die Schläfen und die Kopfhaut unter ihrem kurzen roten Haar. Sie wirkte erschöpft. Die zweite Frau der Gruppe, Ishy Matsu, war bei Iwan Goratschin in der Kabine geblieben. Der Zündermutant hatte sich noch immer nicht ganz von der Überanstrengung auf Siron erholt, und die Asiatin wich keinen Moment mehr als notwendig von seiner Seite.

Der Arkonide Crest hatte die Zentrale schon verlassen, bevor Rhodan zurückgekehrt war. Crest und Atlan hatten sich in den letzten Tagen bei der Führung des Schiffes abgewechselt, was den für beide Seiten angenehmen Nebeneffekt hatte, dass sie sich trotz der Enge des Schiffes kaum sahen.

Die Spannungen zwischen den beiden Arkoniden machten allen das Leben zusätzlich schwer. Rhodan verstand nicht, wie und warum Crests anfängliches Bemühen um die Freundschaft des anderen Zellaktivatorträgers so ins Gegenteil hatte umschlagen können. Andererseits hatte der Wissenschaftler sich nicht nur in dieser Hinsicht verändert, seit er auf Wanderer den Aktivator bekommen hatte.

Rhodans Gedankenfluss wurde vom Aufflackern eines Bildes unterbrochen. Die dreidimensionale Wiedergabe eines humanoiden Kopfes schwebte vor Atlan.

Space-Ninjas!, schoss es Rhodan durch den Kopf. Wieder musste er grinsen. Und ich dachte immer, das wären nur Phantasien durchgeknallter Comiczeichner. So kann man sich irren.

»Identifizieren Sie sich!« Die Stimme des Mannes war blanker Stahl. Er trug eine eng anliegende schwarze Haube, die sich am Hals fortsetzte und nur das Gesicht des Lotsen frei ließ. Seine Miene war ebenso kühl wie seine Worte und der Blick seiner dunklen Augen.

»Wir sind freie Gha'essold, und die TIA'IR ist eine rechtmäßig geborgene Prise«, antwortete Atlan. »Mit einer gültigen Kennung können wir leider bislang nicht aufwarten, da das für uns zuständige Registrierungsamt in Thantur-Lok liegt.«

»Ich werde eine zeitweise Kennung erteilen, die für den Sprung über den Abgrund gültig ist – nach einer Überprüfung Ihres Schiffes und seiner Ladung.«

»Überprüfung?« Atlan gab sich erbost. »Hören Sie, wir sind Gha'essold mit allen Anrechten auf die Geheimhaltung unserer Quellen und Forschungsregionen! Es steht außer Frage, dass in unseren Daten und persönlichen Gegenständen herumgeschnüffelt wird! Wir haben es nicht nötig ...«

»... sich den Sicherheitsvorschriften des Imperiums zu unterwerfen? Sicher. Ich wünsche weiter eine gute Reise in der Großen Insel und bitte Sie, den Sektor Hela Ariela sofort zu verlassen. Sollten Sie sich weigern ...«

»Moment!« Atlan warf einen schnellen Blick durch den Raum und sah anschließend mit verkniffenem Gesicht wieder zu dem Holokopf. »Also gut. Es ist eine Beleidigung unserer Ehre und eine normalerweise inakzeptable Einschränkung unserer Freiheiten, aber wir beugen uns. Seien Sie sich jedoch gewiss, dass wir Beschwerde einreichen werden.«

»Das steht Ihnen frei. Ich werde Ihnen ein Beschwerdeformular zukommen lassen. Übertragen Sie uns inzwischen umgehend die Daten zu allen auf Ihrem Schiff anwesenden Personen, damit wir sie noch vor unserer Ankunft überprüfen können.«

»Wann kommen Sie?«

»Wir sind in einer Vierteltonta da. Setzen Sie ein Peilsignal auf Ihre Andockschleuse.« Das Holo erlosch.

Mit einem Ruck drehte sich der Arkonide samt seinem Sessel zum Rest der Besatzung um. »Ich hatte gehofft, wir könnten das umgehen. Aber Sie haben gehört, der Mann ließ kein Stück mit sich handeln. Irgendetwas macht ihn hochgradig nervös. Ich hoffe nur, dass es nichts mit uns zu tun hat.«

»Nervös?« Rhodan schüttelte den Kopf. »Auf mich wirkte er eher einfach nur wie ein bürokratischer Holzkopf.«

»Nein, Atlan hat recht«, warf Belinkhar ein. »Den Khe'Mha' Thir ist es normalerweise relativ egal, wen sie über den Abgrund zwischen Thantur-Lok und der Großen Insel hin und her leiten. Sie bekommen ihr Auskommen und werden ansonsten in Ruhe gelassen, das ist alles, was für sie zählt. Dieses Bestehen auf arkonidischen Sicherheitsregeln ist ungewöhnlich.«

Rhodan musterte die Mehandor. Sie war in ihrer Jugend ihrem Leben auf der Station KE-MATLON entflohen und hatte lange als »Fremdgeherin« auf wechselnden Raumschiffen gelebt. Erst der Tod ihrer älteren Schwester hatte sie zur Rückkehr gezwungen, um deren Verantwortung als Matriarchin der Sippe zu übernehmen.

Damals hatte für Belinkhar die unter den ansässigen Mehandor gebräuchliche Bezeichnung »Gespinst« für die Station eine zusätzliche Bedeutung erhalten: Sie war zum Spinnennetz geworden, in dem sie gefangen gewesen war. Erst die Geschehnisse, die durch das Auftauchen der TOSOMA losgetreten worden waren, hatten erneut zu einer Flucht geführt. Ihre mangelnde Kooperation mit dem Imperium hatte dem Ruf ihrer Sippe geschadet. Also hatte sie bei Rhodans Rückkehr zum Besten aller ihren Tod vorgetäuscht und das Gespinst verlassen, um ihn zu unterstützen.

Auf jeden Fall hatte sie aktuelleres Wissen um die Gegebenheiten im Imperium als Atlan, der die Erde nach zehntausend Jahre währendem Exil erst vor Kurzem verlassen hatte – zumindest, wenn er ihnen die Wahrheit sagte. Wenn sie der Meinung war, das Verhalten des Lotsen sei ungewöhnlich, dann glaubte Rhodan es.

»Es gibt nichts, was wir noch tun können«, stellte Atlan fest. »Wir müssen uns auf die Durchsuchung einlassen und hoffen, dass unsere Dokumente durchgehen. Da das Schiff keine Bewaffnung hat, die zu weiteren protokollarischen Schritten führen könnte, gibt es ansonsten keinen Grund zur Besorgnis. Hoffen wir, dass wir uns dann gleich dem Konvoi anschließen können, der gerade zusammengestellt wird. Ich übermittle jetzt unsere Unterlagen.«

Der Arkonide drehte sich wieder zu den Kontrollen. Holografisch projizierte Daten blinkten um ihn herum auf und verschwanden schneller, als Rhodan dem Tun des Mannes hätte folgen können. Er sah stattdessen zu Belinkhar.

Die Mehandor war ebenfalls neu eingekleidet. Sie hatte eine Bekleidung ausgewählt, die zwar dort nicht an Stoff sparte, wo solcher vorhanden war, dabei aber auch je nach Haltung reichlich Einblicke gewähren konnte. Ebenso wie bei Rhodan selbst war das samtene Braun, zu dem sie die Pigmentierung ihrer Haut für den Besuch auf Siron angeregt hatte, noch nicht abgeklungen. Die Farbe passte gut zum Grüngold ihrer Kleidung.

Lediglich das Rot ihrer kurzen Haare stellte einen Kontrast dar. Ein wenig erinnerte ihr farbenfroher Anblick Rhodan an eine Mardi-Gras-Parade. Allerdings passte ihr ernster Gesichtsausdruck nicht dazu.

»Sorge, dass unsere Dokumente nicht gut genug sind?«

»Nein.« Sie setzte zu einem Kopfschütteln an, verkniff es sich dann jedoch und schob eine der Pillen in den Mund, die helfen sollten, auch die letzten Sprungnachwirkungen abzuschütteln. »Ich weiß, dass ich mich auf meinen Kontakt verlassen kann. Er hat die Daten so konvertiert, dass sie zu unserer jetzigen Geschichte passen. Es ist immer einfacher, eine nicht auffällig gewordene Deckidentität leicht zu verändern, als eine ganz neue zu schaffen. Außerdem hatten wir auf einem Teil der Daten selbst die Hand; die Individualsignaturen konnten über Talamon eingeschleust werden. Daher habe ich da weniger Sorge als beim letzten Wechsel. Aber ich habe kein gutes Gefühl bei dieser ganzen Sache. Wie gesagt, es ist nicht normal, wie die Lotsen auf uns reagiert haben.«

»Wir wissen nicht, ob das irgendetwas mit uns zu tun hat. In der Galaxis scheint zurzeit allgemein viel zu geschehen, man denke nur an den topsidischen Angriff auf arkonidische Einheiten und den in der Folge auf Topsid ausgebrochenen Aufstand. Man ist vielleicht deshalb vorsichtiger als sonst. Alles, was wir tun können, ist, unsere Rolle weiterzuspielen und zu hoffen, dass wir damit durchkommen.«

Belinkhar nickte, wirkte aber wenig überzeugt.

Rhodans linke Hand glitt in eine Tasche am Oberschenkel seiner eigenen Kleidung, einer Kombination von weitem Hemd und Pluderhose mit Goldbesätzen. Der seidige Stoff blähte sich bei jeder Bewegung wie die Brust eines Fregattvogels und hatte auch eine ähnliche Farbe. Dennoch war es ihm trotz allen Goldglitters auf dem dunklen Rot sogar angenehmer vorgekommen als das, was Atlan ausgesucht hatte.

Seine Finger schlossen sich um den Kopfschmuck, den der Arkonide ihm zuvor zugeworfen hatte. Inzwischen wusste er wieder, woran ihn das Diadem erinnert hatte. Eine Tänzerin hatte es bei einer Aufführung auf der TOSOMA getragen. Eine aus der großen Zahl von Künstlern und Künstlerinnen, die sich seiner ersten blauäugigen Expedition nach Arkon angeschlossen hatten.

Einer von über dreihundert verschollenen Erdbewohnern, die ins Innere des Imperiums verschleppt worden waren.

»Atlan?«

Der Arkonide wischte die Anzeigen zur Seite und sah fragend zu Perry Rhodan.

»Denken Sie, die Verschleppten von der TOSOMA sind ebenfalls nach Thantur-Lok gebracht worden? Oder können wir dort zumindest mehr über ihren Verbleib erfahren, als Belinkhar herausfinden konnte?«

Kurz presste der Arkonide bei den Fragen die Lippen zusammen. Rhodan hatte bereits festgestellt, dass der katastrophale erste Ausflug der Menschheit zu ihren galaktischen Nachbarn einer der Gründe war, warum Atlan Crest gegenüber äußerst reserviert war. Er machte den Derengar verantwortlich für die Geschehnisse, weil er im Vorfeld über die wahren Verhältnisse im Imperium geschwiegen und erst bei Erreichen der Randgebiete des Großen Imperiums die Karten auf den Tisch hatte legen wollen.

Rhodan war auch nicht völlig frei von dieser Einschätzung, fühlte sich selbst aber ebenso verantwortlich. Er hatte es Crest leicht gemacht, hatte lieber blind an ein Bild geglaubt, das Hoffnung auf Hilfe und Zusammenarbeit versprach, anstatt bei den vielen Unstimmigkeiten darin aufzuhorchen und nachzuhaken. Er hatte darauf vertraut, dass sie schon rechtzeitig alles Wichtige erfahren würden – nur hatten die Havarie der TOSOMA und die darauf folgenden Geschehnisse auf KE-MATLON vorzeitig dazu geführt, dass das Imperium auf sie aufmerksam wurde, und alle Pläne zunichtegemacht.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Atlan. »Möglich ist, dass sie ins Herz des Imperiums gebracht wurden. Wahrscheinlich allerdings nicht. Es besteht keine Notwendigkeit für solchen Aufwand, wenn man die Gefangenen ebenso gut auf jedem beliebigen Stützpunktplaneten in der Nähe unterbringen und befragen kann. Allerdings wird die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas über ihren Verbleib erfahren, umso höher, je näher wir an den Regenten und seine Hand herankommen.«

Rhodan ließ die Perlen des Kopfschmucks wie einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. Sein Blick glitt zur Glassitkuppel hinauf, zu der weiten, sternarmen Leere, die sie noch von ihrem Ziel trennte.

»Vielleicht hätten wir mehr Zeit auf die Suche nach ihnen verwenden sollen. Womöglich ...«

»Machen Sie sich die Prioritäten klar, Rhodan!« Der Tonfall, mit dem Atlan ihn unterbrach, erlaubte keinen Widerspruch. »Sergh da Teffron ist auf Rache aus. Der Verlust seines Flaggschiffs und die Fahnenflucht der Naats unter seinem Kommando sind Schläge gegen seine persönliche Ehre, die nicht nur seinen Stolz, sondern auch seine Machtstellung beeinträchtigen. Sollte es ihm oder dem Regenten gelingen, Crests Forschungen im Epetran-Archiv nachzuvollziehen und darüber die Koordinaten der Erde zu finden, sind dreihundertdreißig verschollene Menschen Ihre geringste Sorge. Die Hand des Regenten ist nicht zimperlich, und es sind schon aus nichtigeren Gründen als Anstachelung zum Verrat ganze Planetensysteme von allem Leben befreit worden.«

Belinkhar sog hörbar den Atem ein. Die Mehandor war bislang über die genauen Ziele der Expedition nach Arkon im Dunkeln gelassen worden. Sie hatte nur gewusst, dass es gegen den Regenten ging, und das hatte ihr gereicht, um sich anzuschließen. Rhodan beschloss, später mit ihr zu reden, um sicherzustellen, wie weit sie auch das eigentliche Primärziel ihrer Expedition unterstützen würde.

Er senkte den Kopf. Sowenig es ihm auch gefiel, aber dieses Mal hatte Atlan mit seinem kalten Abwägen der Anzahl von Menschenleben recht.

»Aber wir werden bei jeder sich ergebenden Gelegenheit versuchen, etwas über die Verschollenen herauszufinden«, fügte er lediglich an.

»Wir werden nicht viele Gelegenheiten haben. Aber ich habe nichts dagegen, wenn wir sie nutzen. Ich werde allerdings nicht zulassen, dass dadurch das eigentliche Ziel gefährdet wird.«

Rhodan kratzte an der kleinen Narbe an seinem rechten Nasenflügel. »Ihnen liegt viel daran, die Menschheit vor Ihren eigenen Leuten zu schützen.«

»Ich habe nicht so viele Jahrhunderte unter den Barbaren der Erde verbracht, um am Ende zuzulassen, dass sie wegen der Unerfahrenheit und Blauäugigkeit Einzelner versklavt oder in die Vergessenheit gebombt werden«, stellte Atlan fest. »Wenn nötig, schütze ich sie sogar vor ihren eigenen Helden. Es wäre nicht das erste Mal.«

Ihre Blicke verschränkten sich ineinander, und da war es wieder – dieses Gefühl, dass es etwas gab, was sie über alle Unterschiede hinweg einte. War es die Verbundenheit mit der gesamten Menschheit?

Chabalhs leises Knurren, das Rhodan eher unterbewusst wahrgenommen hatte, ging in einem Warnton der Schiffspositronik unter.

Atlan rief die Anzeigen wieder auf. »Unsere Besucher docken in wenigen Augenblicken an.«