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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen. Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten. Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufgebrochen. Diese Region ist über 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Von dort stammen die Cairaner, die sich als die neuen Schutzherren in der Menschheitsgalaxis eingesetzt haben Das Galaxien-Geviert stand früher angeblich unter dem Schutz der VECU, einer bisher unbekannten Superintelligenz. Nun hält die Kandidatin Phaatom diese Sterneninseln im Griff. Sie betreibt auch DIE KANZLEI UNTER DEM EIS ...
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Seitenzahl: 150
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Nr. 3039
Die Kanzlei unter dem Eis
Ein geheimnisvolles Herrschaftsgebiet – der Haluter Icho Tolot geht in den Einsatz
Wim Vandemaan
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Sturz in alle Richtungen
1. Die Waberlohe
2. Zur Freiheit gezwungen
3. Sind die weißen Segel gesetzt?
4. Phasen
5. Zu Tisch bei Kannibalen
6. Katz und Maus
7. Der Gefangene
8. Der Taravat
9. Gattcan
10. Zerozone
Epilog: Nachspiel im weißen Raum
Glossar
Risszeichnung ANANSI – Semitronik der RAS TSCHUBAI
Impressum
Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.
Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.
Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufgebrochen. Diese Region ist über 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Von dort stammen die Cairaner, die sich als die neuen Schutzherren in der Menschheitsgalaxis eingesetzt haben
Das Galaxien-Geviert stand früher angeblich unter dem Schutz der VECU, einer bisher unbekannten Superintelligenz. Nun hält die Kandidatin Phaatom diese Sterneninseln im Griff. Sie betreibt auch DIE KANZLEI UNTER DEM EIS ...
Perry Rhodan – Der Terraner begegnet interessanten Gesprächspartnern.
Gry O'Shannon – Die Wissenschaftlerin gibt ihre Zurückhaltung auf.
Synn Phertosh – Der Advokat der Kandidatin Phaatom leitet eine Kanzlei unter dem Eis.
Icho Tolot
Prolog
Sturz in alle Richtungen
Da hängt er also im Raum.
Eben noch hat er das sichere Gefühl gehabt, seinen Schutzanzug zu tragen.
Er muss eingenickt sein. Aber nun ist er wach. Allzu wach.
Er ist bekleidet. Aber vom Schutzanzug keine Spur. Er spürt, dass seine Beine eng beieinanderliegen, gestreckt und aufrecht, als würde er stehen, straff, als würde er Haltung angenommen haben.
Aber er steht nicht. Die Füße berühren keinen Grund. Die Schwerkraft zerrt an ihm, als hingen an jeder Faser seiner Haut Gewichte. Selbst die Lider sind zu schwer.
Wie ist er hierhin gekommen? Er erinnert sich nicht. Welche Art Raum ist das? Er weiß es nicht. Befindet er sich noch im Abyssalen Triumphbogen? Im Huphurnsystem?
Seine Arme sind abgewinkelt, wenn auch nur leicht. Sie berühren seinen Körper nicht, seine Hüfte nicht. Er kann seine Finger bewegen, das Handgelenk. Aber er bekommt keinen Zugriff, auf nichts. Nicht einmal seine Oberschenkel erreicht er.
Er kann seinen Kopf bewegen, kann das Kinn heben und nach oben schauen. Nach unten. Nach links oder rechts. Doch es gibt nichts zu sehen. Der Raum ist weiß und ohne jede Kontur. Keine Linie, keine Grenze, kein Schattenriss. Woher das Licht kommt? Das weiß er nicht.
Kein Boden, keine Decke, keine Wand.
Er stellt sich die Frage, ob er überhaupt etwas wahrnimmt. Vielleicht ist dieses Weiß, das seine Augen füllt, nur eine Eingebung, eine gezielte Fehlinformation, in die Sehzellen injiziert wie ein Gift.
Seinen Schutzanzug hat man ihm offenbar abgenommen. Das bereitet ihm keine Sorgen: Der Datenspeicher des Anzugs wird keine nennenswerten Informationen preisgeben; die Positronik ist instruiert. Hinweise auf seine wahre Herkunft sind bereits vor dem Einsatz entfernt worden.
Plötzlich stürzt er. Ohne Vorwarnung geht es hinab. Doch in welche Tiefe? Wann wird der Aufschlag kommen?
Er will das nicht denken, er wehrt sich dagegen, zwecklos: Er muss sich den Aufprall einfach vorstellen, das jähe und unvermeidliche Ende.
Er wünschte, er könnte seinen Herzschlag beruhigen, dieses Pochen in der Halsschlagader abstellen.
Er kann es nicht.
Übergangslos ist der Sturz zu Ende. Er hängt wieder reglos im Raum, die Beine gestreckt, die Arme leicht gespreizt.
Wird man ihm nicht zu essen geben müssen, irgendwann? Zu trinken? Jemand wird kommen. Etwas wird geschehen. Sonst wäre es ganz sinnlos, ihn an diesen weißen Ort zu hängen.
Hört er Schritte?
Es ist nur das Blut, das in seinen Ohren pulsiert.
Oder?
Er zählt die Schläge, um einen Anhaltspunkt für sein Zeitgefühl zu gewinnen; er zählt. Bald werden die Zahlen länger; sie zu nennen, lautlos und ohne die Lippen zu bewegen, dauert länger als die Sekunde, die sie bezeichnen. Er beginnt von vorne. Eins, zwei, drei ...
Da stürzt er wieder. Diesmal kopfunter. Erneut ist es ein unaufhaltsamer Sturz, und wieder kann er nicht verhindern, dass er das Ende seines Falles vorwegnimmt, dass seine Gedanken ihm vorauseilen, ein Pionier seines Todes.
Dauert dieser Sturz ebenso lange wie der vorige?
Er spürt Zorn. Warum tut man ihm das an?
Aber was eigentlich wird ihm angetan? Als Kind hatte er Heuschrecken gefangen und sie in ein Einmachglas gesetzt, dann geschüttelt. Wurde in diesen Augenblicken nun er geschüttelt?
In diesem Moment endet der Sturz. Er hängt im Raum, angespannt und reglos. Er kann die Finger bewegen; aber wozu? Er kann das Kinn heben oder senken. Doch wohin er auch sieht, überall prangt dasselbe, ganz unterschiedslose Weiß.
Er will erneut zählen.
Das Zählen würde ihm helfen, ein Muster zu erkennen in der Abfolge seiner Stürze. Irgendwann würde er wissen, ob die Stürze kopfunter so viel Zeit kosten wie die anderen; ob es ein Verhältnis gibt zwischen der Abfolge seiner Stürze und der Dauer der reglosen Aufenthalte.
Irgendwann würde er es wissen. Würde er etwas anfangen können mit diesem sinnlosen Wissen? Würde er diesem Wissen einen Sinn geben, einen Zahlenwert, eine in menschlichen Maßen bestimmte Dauer?
Werden sein Durst und sein Hunger jemanden herbeilocken? Wird er, wenn der Durst ihm alle anderen denkbaren Gegenstände nimmt außer dem Wasser, danach schreien?
Er will aufhören, sich selbst zu verdoppeln und seine Gespenster auszusenden in die weiße Zukunft. Er will gelassen sein. Er will sich Dinge in Erinnerung rufen, Geschehnisse und Gesichter: das Gesicht von Farye, seiner Enkelin, die ihm in den letzten Jahren still, aber unaufhaltsam ans Herz gewachsen ist wie ein verloren geglaubtes Kind; das Gesicht Sichus mit seinen offen zu Tage liegenden Goldadern; Donns Gesicht, das Farye offenbar sehr gerne sieht. Daneben die Gesichter des Onryonen Jalland Betazou und das der Thesan Pezenna Flaith, das von der Grauen Materie verzehrt worden ist. Das Gesicht Gry O'Shannons, in immer kleiner werdende Würfel zerfallen und aufgelöst.
Er ist voller Sorge.
Ein neuer Sturz ins Nirgendwo. Diesmal übersteht er ihn ruhig atmend. Die gute Macht der Gewohnheit.
Noch einmal das Gesicht Faryes. Ihm ist, als schlösse dieses Gesicht ihm viele andere auf: das seiner Freunde Reginald, Atlan, Gucky, Tolotos und Homer. Im Geist bekleidet er das Weiß mit diesen Gesichtern wie ein Thesan das Innere seines Nashadaans.
Mochten sie ihn ins Nichts hängen wie eine Trophäe. Mochten sie ihn stürzen lassen in ihre grundlosen Räume.
Er würde es aushalten.
1.
Die Waberlohe
Perry Rhodan spürte die Veränderung und schlug die Augen auf. In seinem Gesichtsfeld und in einer Entfernung, die er nicht abzuschätzen vermochte, entstand etwas wie ein Wall aus wabernden Flammen. Nur dass diese Flammen nicht aus Feuer bestanden, sondern aus lodernder Vektormaterie. Wie immer war der Anblick schwer zu ertragen.
Graue Materie anzusehen strengte an und erschöpfte den Betrachter. Perry Rhodan hatte das Gefühl, als saugte diese Substanz an ihm. Für normale Ortungsgeräte blieb die Vektormaterie unfasslich. Sie korrespondierte auf unheilvolle Weise mit dem Bewusstsein. Rhodan fragte sich, ob jedes Bewusstsein, bis hinab zu dem eines Tieres, von der Grauen Materie auf diese Weise ausgemergelt wurde.
Eine Waberlohe, dachte Rhodan. Wie ein Flammenring aus uralten terranischen Mythen.
Eine Gestalt erschien in dem Ring aus Vektormaterie, orientierte sich kurz und trat durch die Waberlohe auf Rhodan zu. Auf welchem Grund diese Gestalt schritt und was ihr im weißen Raum Halt gab, blieb Rhodan unerfindlich.
Allem Anschein nach wurde der Ankömmling von den verzehrenden Kräften der Grauen Materie nicht beeinflusst. Wenn Rhodan es bei dieser Gestalt nicht mit einer Simulation zu tun hatte, einer geschickt inszenierten Sinnestäuschung, handelte es sich bei diesen wenigen Schritten um eine ungeheure Machtdemonstration.
Der Besucher blieb zwei oder drei Meter vor Rhodan stehen. Es handelte sich um einen Phersunen oder eine Phersunin. Die beiden Geschlechter waren für Terraner äußerlich kaum unterscheidbar, auch ihre Stimmlagen gaben keinerlei entsprechenden Hinweis.
Sein Gegenüber betrachtete Rhodan so wortlos wie ungeniert. Rhodan fiel auf, dass der Ankömmling zwar wie alle Phersunen ein an den Schläfen ansetzendes, nach hinten gebogenes Geweih aufwies – das sogenannte Lephend –, ebenso das flache, beinahe zweidimensional wirkende Gesicht. Die Haut jedoch, bei Angehörigen dieses Hilfsvolkes der Kandidatin Phaatom sonst von einem wasserfarbenen Blassblau, wirkte metallisch und schimmerte rötlich-silbern. Selbst die Iriden zeigten diese Färbung, während sie sonst bei Phersunen grün oder golden waren.
Rhodan kannte diesen Farbton von dem Werkstoff, den die Kandidatin für ihre Erzeugnisse benutzte. Die Phersunen nannten diese Substanz die Phaatom-Gabe.
Rhodan überlegte, ob es sich bei seinem Gegenüber um einen phersunischen Androiden handeln könnte. Aber die Phersunen verwendeten in der Regel als Werkmetall Shillad, nicht die Phaatom-Gabe mit ihrem rötlich-silbrigen Glanz, eine Farbe, die Rhodan vor langer Zeit unter der Bezeichnung Alenant kennengelernt hatte. Das Sporenschiff des achten Mächtigen Aachthor hatte in diesem Ton gestrahlt, wie von Blut durchflossenes Silber.
Tiefe Vergangenheit, mahnte sich Rhodan. Bleib bei der Gegenwart!
Langsam fuhr die Gestalt ihre Stielaugen aus, nicht ganz eine Handspanne weit. Bisher hatte sie kein Wort gesagt, und auch Rhodan schwieg.
»Bin dir Synn Phertosh«, sagte die Gestalt endlich in Sheshedo, der Sprache der Phersunen. »Ist dies mein Eigenname.«
Die Phersunen hielten, wie Rhodan von Kenesholl Eshall wusste, den Satzbau ihrer Sprache für beispielhaft elegant, logisch, eindeutig und sparsam. Die Reihenfolge der Satzbausteine setzte das Prädikat voran, ließ dem ein Objekt folgen und nannte erst am Ende das Subjekt, das man sich in vielen Fällen überhaupt sparen konnte. Es dauerte jedes Mal einen Moment, bis Rhodan sich an die eigentümliche Sprechweise gewöhnt hatte und sie für sich »übersetzte«.
Eshall hatte die PAQUA vor ihrem Einflug in das Huphurnsystem inspiziert und keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, die ungehobelten Paquanten in die Schönheiten der phersunischen Kultur einzuweihen.
Tatsächlich hatten sich Rhodan und seine Begleiter das Sheshedo via Hypnoschulung angeeignet. Sie wussten, dass die Vornamen weiblicher Phersunen auf der Silbe sheg endeten; männliche auf shol.
Die Nachnamen gaben an, welchem der Phertosh – also welcher Familie oder Sippe – man angehörte: Die Acht Großen Phertosh waren Eshall, Huttshar, Keshpal, Kontash, Skishar, Tettoresh, Whekoshi und Zhaushun.
Synn Phertosh war deswegen ein eigenartiger Name für einen Phersunen.
»Lass mich frei«, forderte Perry Rhodan. »Du hältst einen Paquanten gefangen. Dazu hast du kein Recht, Phersune.«
»Ist das so?« Phertosh klang überrascht. Seine Stielaugen pendelten ein wenig, als müsste er die Sache aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. »Keine Befugnis hätte ich? Was machen wir denn da?«
»Mich freilassen«, stieß Rhodan wie unter Schmerzen hervor. »Das sagte ich doch bereits.«
Die Stielaugen pendelten. »Ob du mir deinen Namen nennen würdest?«
»Wozu?«, fuhr Rhodan ihn an. »Namen dienen der Unterscheidung. Hier ist niemand, den du außer mir ansprechen könntest.«
Der Phersune blickte sich demonstrativ um. »Tatsächlich«, sagte er mit mildem Erstaunen. »Jetzt, wo du es sagst. Tatsächlich verfügen wir ausschließlich übereinander. Doch nehmen wir an, ich wollte jemandem von dir berichten – wäre da ein Name nicht hilfreich?«
Rhodan tat, als müsste er überlegen. »Nenn mich Tibo Wanderer.«
»Tibo«, wiederholte der Phersune nachdenklich. »Hat dein paquantischer Name eine übersetzbare Bedeutung?«
Rhodan lachte rau. »Er bedeutet so viel wie der Ungeduldige. Näheres weiß ich nicht. Verzeih. Man hat uns nicht darauf vorbereitet, dass im Anschluss an unseren Besuch im Abyssalen Triumphbogen eine sprachwissenschaftliche Konferenz geplant war.«
Der Phersune gab ein leises Geräusch von sich. Rhodan vermutete, dass er lachte. »Wäre das Leben frei von unverhofften Ereignissen, wäre es nicht so magnetisch.«
Rhodan grummelte etwas und versuchte, die Arme zu bewegen. Es war ihm immer noch nicht möglich.
Synn Phertosh ignorierte diese Bemühungen. »Du bist einer der Passagiere des havarierten Schlittens.«
Der Schlitten, mit dem die Galaktiker in den Abyssalen Katheter des Triumphbogens hatten einfliegen und zu dessen Schauraum vordringen können, war eigentlich nicht havariert. Die Thesan Pezenna Flaith hatte ihn mit Psionischen Mikroparzellen angegriffen und zerstört. Rhodan sah das Fahrzeug vor seinem inneren Auge herumwirbeln. Ob Donn Yaradua, Jalland Betazou und Whekoshi, die Ilikten, Hyderten und der Vluth diese Attacke überlebt hatten, wusste Rhodan nicht.
»Das bin ich«, sagte Rhodan. »Was ist geschehen?«
»Woran erinnerst du dich, Tibo?«
Rhodan überlegte. Er würde nicht von allen Erinnerungen berichten. »Wir haben den Schauraum erreicht. Wir haben eine Audienz der Vyran-Kultur gesehen.«
»Die wievielte Audienz?«, fragte Synn Phertosh.
»Ich weiß es nicht«, log Rhodan und presste die Lippen aufeinander. »Die 200.? Nein, die 227. Es war die 227. Audienz.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Was ist mit dieser 227. Audienz geschehen?«
»Sie wurde sabotiert«, sagte Rhodan.
»Sie wurde abgewendet«, berichtigte der Phersune. »Weil sonst die Galaxis Dsusuno ein beispielloses Desaster erlitten hätte.«
»Ja«, sagte Rhodan. »Ja, du hast recht. So habe ich es gesehen.«
»Weiter!«, forderte ihn Synn Phertosh auf.
»Ich erinnere mich an eine grauenvolle Kreatur. Moutta. Sie war aufgebrochen. Ich weiß nicht mehr, wohin. Zu einem Transponder?«
»Aufgebrochen zu einem paraportiven Transponder«, bestätigte der Phersune. »Wir haben sie aufgehalten.«
»Natürlich«, murmelte Perry Rhodan. »Dann haben wir die Ghahour-Mentaloiden geschaut.«
»Und dann?«
Rhodan kniff die Augenbrauen zusammen, tat alles, um angestrengt auszusehen, auch für ein fremdartiges Wesen wie den Phersunen. »Und dann, und dann!«, schrie er endlich wütend auf. »Es gibt kein und dann. Kein und dann außerhalb dieses weißen Raumes.«
Die Stielaugen betrachteten ihn unverwandt.
Wie ein Kind die Heuschrecke im Glas, durchfuhr es Rhodan.
»Dein Schiff ist im Laufe der Ereignisse zerstört worden«, sagte der Phersune ruhig. »Es hat keine Überlebenden gegeben.«
Rhodan versuchte, keine Reaktion zu zeigen. Er hatte keinen Zweifel, dass geeignete Geräte jede Mimik, jede Geste aufzeichneten, dass sein Blutdruck gemessen, die Weite seiner Pupille beurteilt wurden, die Schweißsekretion und die damit zusammenhängende elektrische Leitfähigkeit seiner Haut. Gut möglich, dass phersunische Nanogenten in seinem Blut patrouillierten, in den Nervenzellen seines Gehirns.
Gut möglich, dass sein Gegenüber nichts anderes war als eine hochkomplexe Analysemaschine in der Gestalt eines Phersunen.
»Ich bedaure das«, sagte Rhodan leise. Er glaubte nicht, dass Synn Phertosh ihn anlog, hoffte aber, dass der Phersune sich täuschte. Die PAQUA hatte Mittel und Wege, ihrer Besatzung die Flucht zu ermöglichen. Und jenseits aller Bordmittel gab es zudem den Paau.
»Bedauern – tust du das?«, fragte Synn Phertosh. »Das glaube ich. Aber was? Bedauerst du den Angriff auf den Abyssalen Triumphbogen? Vielleicht. Bedauerst du das Scheitern des Angriffs? Vielleicht. Bedauerst du, in meiner Hand zu sein und in der Kanzlei?«
Rhodan lächelte schief und spreizte die Finger. »Wie sollte ich meine Lage nicht bedauern?«
»Du bist aus dem Abyssalen Triumphbogen geborgen worden.«
»Geborgen von wem?«, fragte Rhodan.
»Von der Kandidatin Phaatom selbst, deren Advokat ich hier bin.«
»Heißt hier im Huphurnsystem?«
Wieder erklang das eigenartige Lachen. »Hier bedeutet in der Sterneninsel Ancaisin. Selbstverständlich bin ich nicht nur für ein einzelnes Sonnensystem zuständig.«
»Ich verstehe.« Rhodan bemühte sich, seine Stimme eingeschüchtert klingen zu lassen. Dabei sollte weder sein Name noch ein Psychogramm seiner Person bis nach Ancaisin vorgedrungen sein. Schließlich hatte man bis vor Kurzem in der Milchstraße weder von der Vecuia noch von der Kandidatin Phaatom je gehört, obwohl sie für Billiarden Lebewesen von Bedeutung waren. War seine Verstellung überflüssig? War er übervorsichtig? Sollte er alles Taktieren und Rollenspielen aufgeben und als Perry Rhodan auftreten?
»Du verstehst?«, wiederholte Synn Phertosh. »Das würde mich wundern«. Er hob seine beiden, siebenfingrigen Hände zu einer Geste, deren Sinn sich Rhodan nicht erschloss. Allerdings bemerkte der Terraner, dass der Phersune etwas zwischen seinen beiden Daumen hielt: einen silbrig-rötlich schimmernden Würfel, dessen Kantenlänge Rhodan auf ungefähr drei Zentimeter schätzte. Der Würfel dampfte leicht. »Aber ich will nicht ausschließen, dass du es eines Tages tatsächlich verstehst.«
»Was ist das?«, fragte Rhodan.
»Das?« Synn Phertosh hielt sich den Würfel vor die Augen, bewegte die Augenstiele und betrachtete den Gegenstand, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Der Traumkubus. Aus Phaatom-Gabe gefertigt, dem Geschenk der Kandidatin an ihr Geleite.«
»Ein hyperphysikalisch aktiver Werkstoff«, vermutete Rhodan. »Kennst du die Strukturformel? Wir Paquanten würden dir einen ansehnlichen Preis zahlen. Wir engagieren auch Berater.«
Synn Phertosh zog die Augenstiele ruckartig ein – fassungslos, wie Rhodan hoffte. »Du willst mich abwerben?«
»Warum nicht?«, gab Rhodan zurück. »Nenn deinen Preis!«
»Meinen Preis?« Der Phersune wirkte nachdenklich.
»Bist du eine Maschine?«, setzte Rhodan nach. »Bist du selbst aus diesem Material gearbeitet?«
»Darüber, aus welchen Materialien wir gefertigt sind, du und ich, und welche Rechte und Pflichten und Möglichkeiten uns daraus erwachsen, wollen wir uns ein anderes Mal austauschen.«
»Und bis dahin?«
Synn Phertosh überbrückte die letzte, kurze Distanz, die zwischen ihm und Rhodan gelegen hatte, und hielt ihm den dampfenden Kubus vor Augen. Rhodan konnte das Aroma der Schwaden riechen. Obwohl große Kälte von dem Würfel ausging, roch der Gegenstand nach heißem Metall.
»Die meisten Lebewesen, die mit einem Bewusstsein begabt sind, träumen«, sagte Phertosh. »Das wird bei euch Paquanten nicht anders sein. Eine Melange aus biochemischen Botenstoffen und neuronaler Elektrizität, und eine ganze Welt entsteht. Ich habe ein wenig mit dir und der mentalen Struktur deines Bewusstseins experimentiert, nachdem man dich hier eingeliefert hatte. Dein Geist ist von einer gewissen Unzugänglichkeit geprägt. Er ist geradezu eine mentale Festung.«
Phertosh starrte Rhodan fragend an.
Rhodan ersparte sich jede Reaktion.
»Im Traum aber wird dein Selbst sprechen. Im Traum sind wir schamlos und unbeherrscht, auch von uns selbst. Dieser Kubus wird dich in Schlaf versetzen und träumen lassen. Er wird dein Träumen belauschen und enträtseln.«
Rhodan versuchte, sich zu wappnen. Er war mentalstabilisiert, aber das bedeutete nicht, dass sich die elektrischen Muster seiner Gehirntätigkeit nicht aufzeichnen ließen. Der Würfel war das Produkt einer ehemaligen Superintelligenz, aktuellen Materiesenke, künftigen Chaotarchin.
»Ich habe nichts zu verbergen«, sagte er.