Perry Rhodan 3184: Die Advokatin Bukk - Kai Hirdt - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 3184: Die Advokatin Bukk E-Book und Hörbuch

Kai Hirdt

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. An Bord des Chaoporters gefangen, versuchen Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon, diesen wieder zu verlassen. Sie bringen einige Hintergründe ans Licht und treffen einen Chaotekten, der allerdings bei ihrer Begegnung stirbt. Saedelaere und O'Shannon werden des Mordes angeklagt – ihre einzige Hoffnung ist DIE ADVOKATIN BUKK ...

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Seitenzahl: 184

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Zeit:3 Std. 37 min

Sprecher:Jonas Baeck
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Nr. 3184

Die Advokatin Bukk

Alaska unter Mordverdacht – Gry entdeckt das Geheimnis des Chaoporters

Kai Hirdt

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

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Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.

Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.

An Bord des Chaoporters gefangen, versuchen Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon, diesen wieder zu verlassen. Sie bringen einige Hintergründe ans Licht und treffen einen Chaotekten, der allerdings bei ihrer Begegnung stirbt. Saedelaere und O'Shannon werden des Mordes angeklagt – ihre einzige Hoffnung ist DIE ADVOKATIN BUKK ...

Die Hauptpersonen des Romans

Alaska Saedelaere – Der Maskenträger wird tödlich getroffen.

Gry O'Shannon – Die Begleiterin Alaskas verschlägt es an einen wichtigen Ort.

Sudvuura Bukk – Die Advokatin betrachtet Eigennutz und Gerechtigkeit nicht zwangsläufig als unterschiedliche Dinge.

Choem

1.

Alaska Saedelaere gehörte seit Jahrtausenden zu den besten Logikern der Menschheit. Viele beneideten ihn um seinen hochpräzisen Verstand. Er selbst wünschte sich manchmal den dumpfen Optimismus weniger scharfer Denker, die nicht erkannten, wenn sie tief in Schwierigkeiten steckten. Die selbst dann Hoffnung hegten, wenn sie in einem geschlossenen Raum neben einer noch warmen Leiche entdeckt wurden.

»Mörder!«, schrie Tshekdar erneut. Der sogenannte Vorschmecker aus dem insektenhaften Volk der Doomoiden hatte prüfen sollen, ob Alaska und Gry O'Shannon Zugang zum Primordialen Korridor erhalten sollten. Er hatte sich – mehr oder weniger – dafür entschieden und sie sogar zu Perneter Horizont geführt, einem der beiden uralten Chaotekten des Chaoporters FENERIK. Er hätte sich kaum träumen lassen, dass er Perneter damit zum Tode verurteilte.

Nur: Ein Mord war es nicht gewesen. »Nein!«, rief Alaska entsprechend empört. »Wir haben ...«

Er hielt inne. Was redete er da? Ihn nicht getötet? Wer würde ihm glauben, dass Perneter nach Äonen genau in dem Moment unerwartet verschied, in dem er den beiden Fremden begegnete?

Zumal es nicht einmal stimmte. Saedelaere hatte ihn getötet. Zumindest höchstwahrscheinlich.

»... nur getan«, brachte er seinen Satz schließlich zu Ende, »worum er gebeten hat. Wir wussten nicht, dass ihm das schaden würde.«

Das stimmte wenigstens einigermaßen. Der Chaotekt hatte darum gebeten, Saedelaere ohne Maske zu sehen. Das strahlende, mit seinem Gesicht verwachsene Cappin-Fragment ungeschützt zu betrachten.

Für normale Wesen bedeutete das Wahnsinn oder sogar den Tod, doch im Chaoporter war so manche Gewissheit aufgehoben: Es gab einige ranghohe Wesen in diesem gewaltigen, viele Welten umfassenden Instrument des Chaos, die auf den Anblick des Fragments sogar positiv reagierten. Und wer mochte ranghöher sein als FENERIKS Schöpfer?

So weit die Theorie. In der Praxis war Perneter gestorben, nur Sekunden, nachdem er Saedelaeres demaskiertes Gesicht erblickt hatte.

»Tötet sie!«, rief Zhismik, Tshekdars Stellvertreter. Das war nichts Neues, er wollte sie seit Tagen tot sehen. »Tötet sie so...«

Gry O'Shannon reagierte schneller als Alaska. Sie handelte instinktiv, während er noch analysierte. »Wer von euch hat hier das Kommando?«, überschrie sie den Dirikki. »Wer von euch entscheidet, was mit uns geschehen soll?«

Ein guter Ansatz, befand Alaska. Wenn die Gegner gemeinsam gegen sie vorgingen, hatten sie keine Chance. Warum also nicht ein wenig Zwietracht säen? Zhismik hatte in den vergangenen Tagen keine Gelegenheit ausgelassen, seinem Vorgesetzten Entscheidungsschwäche zu unterstellen, weil dieser sie leben ließ. Falls Tshekdar der Forderung nachgab, gestand er damit ein, dass sein Untergebener die ganze Zeit recht gehabt hatte.

»Still!« Tshekdar richtete seinen Zorn nun gegen Zhismik. Das hatte also funktioniert. »Wir ...« Er suchte nach Worten.

Alaska schätzte ihre Chancen ab. Die Umgebung bot sich nicht gerade für einen Fluchtversuch an. Perneter hatte die letzten paar Jahrtausende seines Lebens zurückgezogen in einem Gebäude verbracht, dass in vielerlei Hinsicht einem kleinen irdischen Landhaus ähnelte, bis hin zum verstaubten, einfachen Holzmobiliar. Es gab aber auch Differenzen: zwei Schornsteine, die Fenster waren Bullaugen in Messingfassung, und die Tür war aus Glas.

Die Tür war das Problem. Im Gegensatz zu den Schornsteinen gab es nur eine davon, und dort versammelten sich die Doomoiden. Es würde nicht einfach werden, durch diesen Engpass zu fliehen.

Allerdings gab es auch gute Nachrichten: Momentan standen sie nicht im Fokus. Unter seinem defekten SERUN trug er den vor Kurzem erhaltenen Anzug der Verheißung. Alaska hatte längst nicht alle Möglichkeiten dieses Machtinstruments ausgelotet. Aber neben heilenden Kräften und der Möglichkeit, Maschinen zu manipulieren, konnte der Anzug ihn aus der Zeit heben und einige Sekunden in die Zukunft versetzen.

Nicht dauerhaft wie ein Antitemporales Gezeitenfeld – Alaska fiel immer wieder in die Gegenwart zurück und war dann angreifbar. Aber er erschien dann an unerwarteten Orten und nur kurzzeitig. Außerdem sah er, was seine Gegner tun würden, und konnte darauf reagieren. Das verbesserte die Fluchtmöglichkeiten immens.

Zudem ließ sich die Wirkung auf Gry ausdehnen, wenn sie ihn an der Hand fasste. Dazu bestand nun die Gelegenheit, da Tshekdar sich auf Zhismik konzentrierte. Unauffällig streckte er die Hand zur Seite.

Gry griff zu. Sein Daumen traf die Stelle, an der Flysh, der mausgroße Cyborg-Diener Perneters, ihren Handrücken mit seinen Laseraugen verbrannt hatte.

Sie jaulte auf. Zhismiks Kopf ruckte zu ihr.

Alaska aktivierte den Anzug und rannte los. Gry reagierte jedoch nicht, sondern blieb stehen und hielt ihn fest. Er stolperte beinahe.

»Dispersion!«, rief sie knapp.

Nichts geschah.

Grys Versuch, ihre Gabe gezielt einzusetzen, blieb erfolglos. Ihre beiden Körper zerfielen nicht in kleinste Würfel, um im Sturm davonzurauschen und sich an einem sicheren Ort wieder zusammenzusetzen.

»Rennen!«, rief Alaska. Zwei ihrer etwa vier Sekunden Vorsprung auf die Realzeit hatten sie schon vergeudet, als sie endlich flohen. Sie drängten sich durch die Reihen der Korridoristen zum Ausgang. Erst einmal hinaus aus dem Haus! Wie es weiterging, musste sich zeigen. Gekommen waren sie zu Fuß. Sie konnten nur hoffen, dass Perneter Horizont ein schnelleres Verkehrsmittel besaß. Das aber mussten sie erst einmal finden.

Alaska stockte. Direkt nach der ersten Kurve um eine Hausecke herum stand ein Gleiter, nur ein Dutzend Meter von ihnen entfernt.

Zu einfach, warnte ihn sein Instinkt. Aber die Korridoristen waren hinter ihnen her. Sie waren unbewaffnet, hatten aber bereits bewiesen, dass sie trotzdem zu kämpfen in der Lage waren. Er zog Gry auf das Fluggerät zu ...

... und fand sich gefangen in einem dichten Netz aus Thermostrahlen. Sie schossen aus den Wänden des Hauses und anderen, gut ins Gelände integrierten Geschützständen hervor und versperrten jede mögliche Fluchtrichtung: die von Flysh gesteuerte Selbstschussanlage, mit der sie bereits auf dem Hinweg Bekanntschaft gemacht hatten!

Die Korridoristen hatten sie austricksen können. Nicht aber den winzigen Nager, der Perneter Horizonts Butler gewesen war. Nur einen Meter entfernt, aber unerreichbar saß er hinter der Strahlenbarriere und grub seine langen, grünen Krallen in den Boden.

»Mörder!«, zischte er sie mit künstlich verstärkter Stimme an.

»Du könntest uns gehen lassen«, schlug Gry hastig vor. »Du hast deinen Herrn gehasst, wenn ich dich erinnern darf. Er hat seit Jahrhunderten nicht mit dir gesprochen. Und jetzt bist du frei!«

2.

Sudvuura Bukk setzte ihren drittletzten Schlag. Sie war klein, ihr Kopf nur so groß wie die Fäuste vieler anderer Korridorbewohner. Das verführte viele Sühnevorleister, sie zu unterschätzen. Manch Angreifer hatte schon herausgefunden, dass ihre Fäuste so groß waren wie sein Kopf.

Ihr vorletzter Schlag traf den Vorleister ins Gesicht, genau aufs Facettenauge. Der letzte den Schnabel. Blut schoss daraus hervor wie ein monochromer Wasserfall. Der Vorleister torkelte und fiel über einen seiner Spießgesellen, die Bukk bereits ausgeschaltet hatte.

Ihr Gegner lernte nur langsam: Er versuchte, sich wieder in die Höhe zu stemmen. Ein Tritt in den ungeschützten Bauch unterband das Vorhaben.

Als ihre Botschaft endlich angekommen war und der Vorleister liegen blieb, setzte Bukk ihm einen Stiefel in den Nacken und gab etwas Gewicht darauf. Sie sah in Richtung ihrer Schützlinge. Die bunten Köpfe der beiden Yakuri spähten über ein Mäuerchen, welches den Gerichtsgarten von der breiten Treppe zum Haupttor trennte. Die Vogelabkömmlinge bewirtschafteten abgelegene Farmen eine halbe Tagesreise entfernt. Bukk wettete ihren Monatslohn als Verteidigerin, dass keiner der beiden vor diesem Tag jemals in die Nähe einer größeren Siedlung gekommen war.

Und die Stadt – sie war so groß und so bekannt, dass sie keinen eigenen Namen brauchte – hatten sie erst recht noch nie betreten. Die Stadt lag in der größten Habitat-Loge weit und breit. Logen weit aufwärts und abwärts des Primordialen Korridors hatten die Steine geliefert, aus denen sie erbaut war. Die Stadt revanchierte sich, indem sie Streitigkeiten schlichtete. Gerechtigkeit war ihr wichtigster Exportartikel, wenn auch die Qualität dieses Guts in Bukks Augen unerfreulich wechselhaft war.

Sie wandte sich wieder dem Sühnevorleister zu. Er war ein Asslavter, beinahe doppelt so groß wie sie, aber hager bis an den Rand der Zerbrechlichkeit.

»Die Strafe der beiden«, giftete Bukk, »legt einzig der Gerechtigkeitspfleger fest. Selbstjustiz gibt es nicht. Nicht, solange ich sie verteidige. Verstanden?«

Der Asslavter reagierte nicht.

Sie verlagerte mehr Gewicht auf seinen Hals. Es knirschte leise.

»Verstanden?«

»Ja«, krächzte der Unterlegene. »Ja! Ich habe verstanden!«

Bukk verlagerte ihr Gewicht wieder aufs Standbein. »Wer hat euch bezahlt?«

Keine Antwort.

Sie ließ es dabei bewenden. So etwas herauszufinden, war nicht mehr ihre Aufgabe. Sie war dafür zuständig, die beiden Angeklagten unverletzt zum Gerichtssaal zu bringen.

Bukk sammelte drei lange, schmale Klingen vom Boden auf, die den Sühnevorleistern noch kurz zuvor ein trügerisches Gefühl der Sicherheit geschenkt hatten. Einer der Yakuri traute sich aus dem Schutz des Mäuerchens hervor. Er war violett, also das Männchen von den beiden. Sein Sichelkamm und die Kinnlappen vibrierten.

»Lässt du sie einfach liegen?«, fragte es. »Durchsuchst du sie nicht nach Waffen?«

Stumm präsentierte Bukk die Messer.

Illustration: Swen Papenbrock

»Nein, Strahler!«, sagte der Yakuri. »Nicht, dass sie uns ...«

»Ach so.« Bukk winkte ab. »Sühnevorleister arbeiten nur mit Klingen, das ist Tradition. Sollten sie auf Angeklagte schießen, säßen sie selbst schneller auf der Anklagebank, als sie ganz dumme Idee sagen können. Die Gerechtigkeitspfleger verstehen da überhaupt keinen Spaß.«

Der Yakuri sah nicht überzeugt aus. Bukk tat ihm den Gefallen und tastete die drei stöhnenden Gestalten am Boden ab. »Keine Schusswaffen«, befand sie. »Gehen wir weiter? Wenn ihr zu spät kommt, wird das im Verfahren gegen euch ausgelegt werden.«

Der Yakuri gab seiner Partnerin ein Zeichen. Sie tappte hinter der Mauer hervor, sichtlich ängstlich.

»Ihr wart noch nie vor Gericht, oder?«, fragte Bukk, während sie die beiden auf den letzten Schritten begleitete.

»Nein«, antwortete die Frau. Ihr Gefieder hatte einen ungewöhnlichen Türkiston. »Wir sind unbescholtene Bauern.«

»Seid ihr nicht. Jemand hat euch angeklagt, also seid ihr nicht unbescholten. Was wirft man euch vor?«

»Wir sind unschuldig!«

Wie oft hatte Bukk das gehört, als sie selbst noch Gerechtigkeitspflegerin gewesen war und über andere geurteilt hatte. Jeder hatte auf seine Unschuld gepocht. Gelogen war es immer. Jeder war schuldig. Die Frage war nur, wessen.

Aber das war nicht einmal das Schlimmste an dieser dummen Antwort. Viel übler war, dass sie nicht zur Frage passte.

Bukk seufzte. »Nächster Fehler. Wenn ihr da drin seid, antwortet exakt auf das, was man euch fragt! Wir haben fünf Sätze gewechselt, und in der Zeit habt ihr einmal gelogen und einmal die Aussage verweigert. Wollt ihr da enden?«

Sie zeigte auf die Galgenreihe, an deren Stricken die Verurteilten des Vortages sanft im Wind pendelten.

»Dama Ugran behauptet, wir hätten sie bestohlen«, sagte der Violette eingeschüchtert.

Bukk spitzte die Lippen ihres breiten Mundes und pfiff. Dama Ugran verwaltete die Getreideproduktion der Yakurifarmen und war korrupt und verlogen wie kaum ein anderer Bewohner des Korridors. Aber sie war zugleich reich und mächtig. Und sie initiierte gerne Schauprozesse, um andere Farmer einzuschüchtern.

»Und? Habt ihr?«, fragte sie neugierig.

»Nein!«, rief die Türkise. »Wir sind ...«

»... unschuldig. Ja klar.« Bukk sah ihren Mann erwartungsvoll an.

»Wir haben nur unsere Abgaben zu spät entrichtet. Aber das haben wir doch alles schon erzählt!«

Bukk horchte auf. »Wem?«

»Dem Mann vom Gericht, der uns befragt hat!«

»Wem?«, wiederholte sie. »Wie sah er aus?«

»Wie der da.« Die Türkise deutete auf den langen, hageren Sühnevorleister mit blutigem Schnabel, der sich immer noch am Boden wälzte.

»Choem hat euren Fall?« Bukk klappte entsetzt den Mund zu. Es gab nur einen Asslavter am Gericht. Es musste Gerechtigkeitspfleger Choem sein. »Ich muss euch etwas sagen«, sagte sie ernst. »Euer Leben hängt davon ab. Choem ist gefährlich. Bei ihm kann jedes Urteil herauskommen.«

»Aber wir haben doch mit ihm gesprochen!«, beharrte die Türkise. »Er weiß, dass wir unschuldig sind!«

»Ja, und weil ihr geschwätzt habt, weiß er auch, dass eure Abgaben überfällig sind. Er kann euch allein deshalb aufhängen lassen.«

»Aber deswegen sind wir nicht angeklagt«, wandte der Violette ein.

»Bei jedem anderen Gerechtigkeitspfleger wäre das ein gutes Argument«, sagte Bukk. »Choem ist das egal.«

Ihr wurde klar, warum sich Sühnevorleister in so einen belanglosen Fall einmischten. Dama Ugran hatte ebenfalls erfahren, wer ihre Anklage verhandelte – und sie wusste, dass Choem formal korrekt urteilte, inhaltlich aber so, wie es ihm gerade passte. Ein Freispruch war genauso möglich wie eine Hinrichtung. Also hatte sie Vorleister bezahlt, um außergerichtlich ihre Version der Gerechtigkeit herstellen zu lassen. Ugran ging es dabei nicht um die beiden naiven Tröpfe, die Bukk mit ihren riesigen Augen anstarrten. Sie wollte sämtliche Farmer einschüchtern und konnte nicht riskieren, dass ein völlig verrückter Richter jene beiden laufen ließ, an denen sie ein Exempel statuieren wollte.

»Choem macht, was er will«, bekräftigte Bukk noch einmal. »Ihr habt große Schwierigkeiten.« Sie legte eine kokette Pause ein. »Aber möglicherweise kann ich euch helfen.«

»Wie?«, fragte die Türkise.

»Es gibt Regeln, an die sich die Gerechtigkeitspfleger halten müssen. Choem tut das nicht, wenn niemand ihn kontrolliert. Aber ich war selbst einmal Gerechtigkeitspflegerin. Ich kenne die Gesetze. Verstößt er dagegen, kann ich den Rat versammeln und ihn zur Ordnung rufen lassen.«

Sie versuchte nur noch selten, ihre Dienste anzubieten. Aber die beiden kamen von so weit außerhalb, dass es gelingen konnte. Und wenn Bukk erst einmal wieder im Gerichtssaal war ... Wenn sie dort vielleicht sogar einen Erfolg erzielte ...

Und das konnte sie, wenn die beiden vor ihr die Klappe hielten und stattdessen Bukk reden ließen. »Ich weiß, worauf Choem mit seinen Fragen zielt. Ich kann euch sagen, wann ihr besser schweigt, und ihm Antworten geben, die ...«

»Bist du die Advokatin Bukk?«, unterbrach der Violette.

Überrascht hielt sie inne. »Woher wisst ihr das?«

»Wir wurden vor dir gewarnt. In der Zelle. Es heißt, dass man zum Tode verurteilt wird, wenn man dich mit in den Saal bringt.«

»Das ist eine Lüge!«, rief sie. »So etwas ist noch nie passiert!«

»Wie viele Verhandlungen hast du denn schon geführt?«, fragte die Türkise.

Bukk wollte gerade antworten, da sprach die Yakuri weiter. »Als Advokatin, nicht als Gerechtigkeitspflegerin.«

»Keine«, musste Bukk zerknirscht zugeben. »Jemand verbreitet dieses Gerücht über mich, deshalb hat bisher niemand meine Dienste genutzt. Aber es ist nicht wahr!«

»Das kannst du gar nicht wissen«, stellte die Türkise fest. »Schließlich wurde die Behauptung nie geprüft.«

Dem konnte Bukk nicht gut widersprechen. Die Farmersfrau war schlauer, als Bukk vermutet hatte.

Wieder eine Chance dahin, in den Gerichtssaal zurückzukehren, statt sich davor mit gedungenen Mördern zu prügeln.

Oder? Einen Versuch wollte sie noch wagen. »Ohne mich seid ihr Choems Launen ausgeliefert«, beschwor sie ihre Schützlinge. »Er kann euch aufknüpfen lassen, nur weil ihm eure Gesichter nicht gefallen.«

»Ja«, sagte der Violette. »Oder weil wir dich mitbringen, und sonst wären wir freigesprochen worden. Das Risiko ist mir zu groß. Bleib hier! Wir finden den Saal auch ohne dich.«

Damit stieß er die Tür zum Gericht auf – oder vielmehr, wollte sie aufstoßen, denn im selben Moment wurde sie von innen geöffnet. Der Violette konnte nicht bremsen und stolperte gegen einen facettenäugigen Rechtsdiener, was man ihm mit Sicherheit strafverschärfend auslegen würde.

Aber das war nun sein Problem. Bukk hatte ihr Bestes versucht, um ihn vor sich selbst zu schützen.

Der Rechtsdiener zog einen Verurteilten im grauen Bußgewand aus dem Gebäude auf die Galgen zu. Es war ein insektenhaftes Wesen – ein Dirikki, wenn Bukk sich recht erinnerte. Diese Spezies wohnte weit entfernt, viele Tagesreisen, nah am Eingang des Korridors. Man traf sie nur höchst selten an.

»Ich will Berufung!«, schrie das Wesen. »Nicht ich bin der Schuldige, sondern der Doomoide Tshekdar! Und die beiden Chaogenten, die den Chaotekten getötet haben! Sie kommen von außerhalb! Von außen, verstehst du? Sie werden uns alle töten, wenn sie ...«

Ein heftiger Schlag mit dem Amtsknüppel brachte den Zeterer zum Schweigen. »Über die mutmaßlichen Chaogenten wird Pfleger Choem urteilen«, sagte der Rechtsdiener von oben herab. »Und du wirst für deine Taten büßen.«

»Nein!«, schrie das Wesen. »Nein! Ich wollte nur ...«

Noch ein Schlag, und diesmal schwieg es endgültig.

Bukk sah zu, wie der Rechtsdiener das bewusstlose Rieseninsekt aufhängte. Das Seil wurde einfach über den erfreulicherweise etwas breiteren Kopf gestreift.

Während sie das Schauspiel beobachtete, dachte sie nach. Angeklagte von außerhalb des Korridors. Sie konnten nichts von dem schlechten Ruf wissen, der ihr vorauseilte.

Falls sie diese Wesen überzeugen konnte, sich von ihr vertreten zu lassen ... Eine bessere Chance würde sie nicht mehr bekommen.

3.

Rund drei Stunden hockten Gry und Alaska in einem gerade zwei Quadratmeter großen, fensterlosen Verschlag. Einzige Lichtquelle war das gelegentliche Aufflackern des Cappin-Fragments unter Alaskas Maske.

»Ich könnte ...«, sagte sie gedehnt. Mehr war nicht nötig. Sie hatten das Gespräch schon mehrmals geführt. Sie konnten fliehen, indem sie in Dispersion ging.

Aber Alaskas Gegenargumente waren gut: Es war nicht klar, ob ihre Gabe inzwischen wieder einsatzfähig war oder ob sie ihre Energie voreilig verschwendete, bevor die Regeneration abgeschlossen war.

Aber selbst wenn: Sie wussten nie, wo Gry sich wieder zusammensetzte. Normalerweise kam sie genau dort heraus, wo sie die Dispersion begonnen hatte, wenn sie nicht in akuter Gefahr schwebte. Und das war gerade nicht der Fall.

Zu guter Letzt: Sollten sie auf diesem Weg entkommen, waren sie damit flüchtige Verbrecher, mitsamt aller Scherereien, die das mit sich brachte. Solange es eine – zugegeben kleine – Chance gab, ihren Ruf wiederherzustellen, wollte Alaska bleiben. Falls das scheiterte, konnten sie sich immer noch absetzen.

»Erstens, zweitens, drittens«, sagte Alaska ruhig. »Habe ich etwas vergessen?«

»Oh ja«, sagte Gry. »Viertens: Ich habe keine Lust mehr, in diesem finsteren Loch zu hocken!«

»Das Problem lässt sich möglicherweise anders lösen«, antwortete Alaska ungerührt. »Draußen geht jemand den Gang entlang. Ziemlich zielstrebig in unsere Richtung.«

Gry spitzte die Ohren, hörte aber nichts. Erst zehn Sekunden später nahm sie ebenfalls etwas wahr. Der Mann an ihrer Seite hatte offenbar ein außerordentlich feines Gehör.

Weitere 20 Sekunden riss ein zweieinhalb Meter großes, haluterbreites Wesen die Tür auf. Gry sah Zottelfell, eine spitze Schnauze mit geifertropfenden Reißzähnen und zerlumpte, dreckstarrende Kleidung.

»Mitkommen!«, schnauzte die Kreatur sie an.

Weder Tonfall noch Optik des Wesens legten Widerspruch nahe. Es sei denn, man hieß Gry O'Shannon. »Oder?«, fragte sie, ohne sich zu rühren.

»Oder ihr werdet ohne Verhandlung hingerichtet.«

Das war überzeugend. Sie verließen ihre Zelle. »Wer bist du?«, fragte Alaska.

»Euer Verteidiger«, antwortete der bärenähnliche Riese.

Das überraschte Gry. Sie hatte die Gestalt unwillkürlich als Feind eingeordnet. Wieder einmal zeigte sich, dass man im Umgang mit außerirdischen Lebensformen niemals menschliche Maßstäbe anlegen sollte.

»Was passiert mit uns?«, setzte Alaska die Befragung fort.

Ihr Verteidiger blieb stumm. Er führte sie über einen großen, entvölkerten Platz auf ein prächtiges Steingebäude zu. Die Wolken am Himmel waren tintenblau wie vor einem Sturm, und ein leichter Wind ging. Die Gegend glich einer Geisterstadt, was nicht zuletzt den Galgen am Rand des Platzes geschuldet war. Leichen unterschiedlicher Spezies baumelten dort, unterschiedlich weit verwest. Ganz am Rand hing ein insektoider Dirikki. Die anderen Spezies hatten Alaska und sie auf ihrer Reise durch den Korridor noch nicht getroffen.

Am Ziel stieß der Verteidiger das Tor auf und führte sie ins Gebäude, durch hohe, gewölbte Gänge, vorbei an reich verzierten, aus Stein geschnittenen Doppeltüren. Vor einer blieb er stehen. »Hinein!«

Das Tor öffnete sich, und nun sahen sie wieder andere Lebewesen – gleich eine ganze Menge davon. Der Saal war dunkel. Ein erhöhtes, beleuchtetes Pult stand im Zentrum von im Halbkreis ansteigenden Sitzreihen und blickte auf eine Reihe niedriger Tische mit winzigen Stühlen hinab, die im Zwielicht lagen.

Am Pult saß ein mindestens drei Meter großer, hagerer Humanoide mit Facettenaugen und langem, schmalem Schnabel. Die Zuschauerplätze waren bis auf den letzten Sitz belegt. An den kleinen Tischen saßen zwei grau gewandete Wesen, die an haarlose Buddha-Statuen erinnerten, allerdings mit Hahnenkämmen und Kehllappen. Eine war türkis gefiedert, die andere violett. Beide hielten ihre Häupter tief geneigt.

Die Aussage der Anordnung war klar: Dort oben saß jemand mit Macht, und wer zu seinen Füßen hockte, war ihm ausgeliefert. Das sah nicht aus wie ein Gericht, das großen Wert auf faire Prozesse legte.

Gry und Alaska wurden von je zwei Gerichtsdienern oder etwas in der Art in die Mitte genommen und zur Anklagebank geführt.

»Ihr seid Mörder!«, schrie der Richter in höchster Erregung. »Mörder!«

Das war kein guter Start für die Verhandlung. Gry überlegte, sofort zu fliehen. Aber im Moment hatte sie keine Gelegenheit, Körperkontakt zu Alaska aufzunehmen, hätte ihn also zurücklassen müssen. Daran änderte sich nichts, als sie auf ihre Plätze gezwungen wurden. Mehrere freie Sitze lagen zwischen ihnen. Natürlich konnte sie sich weit zur Seite lehnen, und wenn Alaska ihr entgegenkäme ...

»Ihr habt den Chaotekten auf dem Gewissen! Könnt ihr auch nur ermessen, was ihr getan habt? Was das für die Bewohner des Primordialen Korridors bedeutet?«