Perry Rhodan Neo 102: Spur durch die Jahrtausende - Kai Hirdt - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 102: Spur durch die Jahrtausende E-Book und Hörbuch

Kai Hirdt

4,0

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Beschreibung

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Erdmond ein außerirdisches Raumschiff. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet. Sie will die Menschheit einen und zu den Sternen führen. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint anzubrechen. Unter Perry Rhodans Führung können die Menschen sogar die kurze Herrschaft der Arkoniden abschütteln. Elf Jahre sind seither vergangen. Die Menschheit hat sich zu einer raumfahrenden Zivilisation entwickelt. Überraschend werden geheimnisvolle Energieimpulse vom Jupiter gemeldet. Ein stark beschädigtes Raumschiff der Methans taucht auf, mit einem mysteriösen Fremden an Bord - er trägt einen Zellaktivator. Kurz darauf greifen fünf fremde Schiffe an. Perry Rhodan stellt sich mit der Terranischen Flotte zum Abwehrkampf. Derweil untersucht das Wissenschaftsgenie Eric Leyden die Jupiter-Impulse. Er entdeckt eine Spur zum Mars, gerät mit seinen Gefährten jedoch in Raumnot. Unaufhaltsam stürzen sie auf den Jupitermond Io zu ...

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Sprecher:Hanno Dinger
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Band 102

Spur durch die Jahrtausende

von Kai Hirdt

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Erdmond ein außerirdisches Raumschiff. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet. Sie will die Menschheit einen und zu den Sternen führen. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint anzubrechen.

Unter Perry Rhodans Führung können die Menschen sogar die kurze Herrschaft der Arkoniden abschütteln. Elf Jahre sind seither vergangen. Die Menschheit hat sich zu einer raumfahrenden Zivilisation entwickelt.

Überraschend werden geheimnisvolle Energieimpulse vom Jupiter gemeldet. Ein stark beschädigtes Raumschiff der Methans taucht auf, mit einem mysteriösen Fremden an Bord – er trägt einen Zellaktivator. Kurz darauf greifen fünf fremde Schiffe an. Perry Rhodan stellt sich mit der Terranischen Flotte zum Abwehrkampf.

Derweil untersucht das Wissenschaftsgenie Eric Leyden die Jupiter-Impulse. Er entdeckt eine Spur zum Mars, gerät mit seinen Gefährten jedoch in Raumnot. Unaufhaltsam stürzen sie auf den Jupitermond Io zu ...

Anziehungskraft

12. März 2049, 1570 Kilometer über Io

Der Sixpack-Panzer driftete träge auf den Jupitermond zu. Pulsator- und Antigravantrieb verweigerten den Dienst. Belle McGraw drängte sich mit Eric Leyden, Abha Prajapati und dem Kater Hermes in der Pilotenkanzel, die eigentlich nur für zwei Insassen konzipiert war. Das fensterlose Unterdeck hätte mehr Platz geboten. Aber in der transparenten Panzerplastkuppel des Piloten konnten sie das Unheil mit eigenen Augen betrachten.

»Der Mond ist uns im Weg?«, schrie Abha den Mann im Pilotensitz an. »Was soll das heißen?«

Belle zuckte zusammen. Sie war sich immer sicher gewesen, dass in einer Notsituation als Erste sie die Kontrolle verlieren würde. Stattdessen zeigte ihr alter, verlässlicher Studienfreund Nerven. Das normalerweise gleichmütige Gesicht des Inders war von Wut entstellt. Auch sonst bot er ein groteskes Bild: ein durchtrainierter Beau mit modisch rasiertem Kopf, den Oberlippen- und Kinnbart sorgsam gestutzt, in einem Raumanzug – mit einem grellbunten Papageien-Pyjama als Unterbekleidung.

Das allerdings konnte sie ihm kaum vorwerfen. Auch sie trug unter ihrem eigenen Raumanzug noch das Pfunde kaschierende, blassblaue Spitzennachthemd, das sie bei der Flucht von der ARISTOTELES angehabt hatte. Als die Maahks angegriffen und Belles Kollegen und Freunde umgebracht hatten.

Bei Eric ragte ein Morgenmantel aus dem geöffneten Brustteil seiner Schutzkleidung, und er tat es mit Würde. Der Hyperphysiker lag halb in seinem Sessel vor den Steuerkontrollen und schien die Ruhe selbst. »Physikalisch ist das zweifellos nicht ganz korrekt; unser Weg hätte eigentlich an Io vorbeigeführt, wären wir nicht in seine Gravisphäre geraten. Das hat unseren Kurs verändert, und nun treiben wir auf seine Oberfläche zu. Beziehungsweise, bald fallen wir auf seine Oberfläche zu.« Er hielt Hermes im Arm. Das gelb-braun getigerte Fell des Katers wirkte vor dem beigefarbenen Stoff wie eine natürliche Tarnung. Der peitschende Schwanz machte den Effekt allerdings zunichte. Hermes war nervös. »Bitte verzeihen Sie die unpräzise Beschreibung. Ich habe nach einem Bild gesucht, das auch ein Biologe versteht.«

Belle sah, wie Abhas Hände sich zu Fäusten schlossen. Schnell trat die Astronomin zwischen ihre beiden Kollegen. Abha hatte Eric schon einmal einen Kinnhaken verpasst. Einen verdienten, wie sie zugeben musste. »Ruhig, Abha. Eric, kommen Sie zum gleichen Ergebnis wie ich?«

Leyden sah sie an und lächelte. »Es ist eigentlich ein ganz lustiges Rechenexempel«, sagte der Physiker. »Die Schwerkraft von Io beträgt etwa ein Fünftel der Erdanziehung. Unser Fall beschleunigt sich also relativ langsam. Allerdings ist Ios Atmosphäre viel dünner, sodass es kaum bremsenden Luftwiderstand gibt. Im Endergebnis werden wir folglich so schnell aufschlagen, als fielen wir aus dem Weltraum auf die Erde.« Ios Nachtseite füllte schon das halbe Sichtfeld der Pilotenkanzel. Jupiter, die Sonne, die Sterne verschwanden hinter der schwarzen Scheibe.

»Um die genauen aerodynamischen Eigenschaften eines abstürzenden Panzers zu errechnen, bräuchte ich etwas mehr Zeit oder eine funktionierende Positronik.« Eric sah missbilligend hinab ins Unterdeck, wo die wissenschaftliche Station weitgehend ihren Dienst verweigerte. Gedankenverloren kraulte er Hermes am Bauch. »Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, wir schlagen mit rund vierhundertzwölf Kilometern pro Stunde auf. In etwa hundertachtundzwanzig Minuten.«

Belle stiegen die Tränen in die Augen. Zwei Stunden bis zum Ende. Wären sie nur auf der ARISTOTELES geblieben. Für ihre Kameraden dort war das Ende schnell und überraschend gekommen. Sie selbst hatte durch die Flucht im Sixpack nur eine Gnadenfrist gewonnen. Nein, korrigierte sie sich. Es ist keine Gnade, zwei Stunden auf den sicheren Tod zu warten.

Abha biss die Zähne aufeinander und hieb auf das Steuerpult. Der Panzer reagierte immer noch nicht. »Was können wir tun?«, rief er, ohne jemanden konkret anzusprechen.

Belle versuchte nachzudenken, doch ihr Gehirn verweigerte die Mitarbeit. Nur mit Mühe konnte sie den Impuls unterdrücken, sich in die Ecke zu setzen, die Arme vor der Brust zu kreuzen und wimmernd den Oberkörper vor und zurück zu wiegen.

»Weiß jemand von uns, wie man einen Pulsatorantrieb oder ein Antigravaggregat repariert?«, fragte Eric.

Abha schwieg.

Belle schwieg.

Leyden strich sich nachdenklich durchs strubbelige, blonde Haar. »Drei Flottenwissenschaftler, fünf Fachgebiete. Abha, glauben Sie, Exobiologie oder Anthropologie helfen, zwölf Tonnen fallendes Metall zu bremsen?«

Belle sah zu Abha hinüber. Sie wusste, wie empfindlich er auf Spott über seine Forschungsgebiete reagierte. Und nun, wo die Nerven blank lagen ...

Aber der Inder blieb stumm und angespannt im Kopilotensitz hocken. Irgendwie war es Leyden anzumerken, dass er seine Worte nicht böse meinte. Er dachte lediglich laut.

»Belle. Astronomin und Geologin. Sie wissen am meisten über Io und über Planetenoberflächen. Sie könnten uns einen schönen Landeplatz suchen, wenn wir den Sixpack zu steuern in der Lage wären.«

Sie nickte eifrig.

»Sind wir aber nicht. Also auch eine Niete.«

Der Sinkflug des Panzers wurde instabil. Sie drangen in die äußersten Schichten der Atmosphäre ein. Leyden setzte Hermes auf den Boden. Der Kater machte einige unsichere Schritte, als sei ihm das Schaukeln im fallenden Gefährt nicht geheuer. Er maunzte und strich seinem Herrchen um die Knöchel.

»Damit bleibe ich. Astronomie. Genauso sinnlos wie bei Belle. Hyperphysik. Ich könnte zwar jeden Überlichtantrieb reparieren, aber mit dem simplen Sublicht-Zeug hier an Bord kenne ich mich nicht aus.« Er strich über seinen blonden Dreitagebart. »Es wurmt mich, aber allem Anschein nach bin ich auch eine Niete.«

»Sie quatschen drei Minuten, und das kommt dabei raus? Wir sterben, weil wir das Falsche studiert haben?« Abhas Stimme klang genauso fassungslos, wie Belle sich fühlte.

»Nur ein mögliches Ergebnis ...« Leydens Stimme verlor sich. »Lassen Sie uns die richtige Frage stellen. Was ist unser Ziel?«

»Den verdammten Sixpack unter Kontrolle bringen!«, rief Abha.

»Geht nicht, haben wir gerade geklärt. Was ist unser Ziel?«

»Überleben«, sagte Belle grimmig.

»Ja, wie überleben wir? Das ist eine gute Frage. Wir haben noch ...« Eric blickte auf seinen Armbandpod. »... rund hundertfünfundzwanzig Minuten. Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir den Aufschlag überleben.«

Eric Leyden schloss die Augen. Seine Gesichtszüge entspannten sich. Sein Atem wurde ruhig.

Belle suchte Blickkontakt mit Abha, aber ihr Freund starrte Eric nur entgeistert an. »Eric, was machen Sie da?«, fragte sie.

Eric hob abwehrend die Hand, ohne die Augen zu öffnen. »Bitte. Ich konzentriere mich.«

Er ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als der Multifunktionspanzer so schnell fiel, dass Ios Schwefeldioxidatmosphäre um sie herum heulte wie ein mörderischer Orkan.

Abha lag auf dem Boden der Ingenieursstation im Unterdeck, das voluminöse Notfallhandbuch neben ihm aufgeschlagen – die Papierfassung, die auch bei Stromausfällen funktionierte. Er hatte seinen Raumanzug über ein kurzes Kabel mit der Bordpositronik verbunden. Seit mehr als anderthalb Stunden versuchte er, die Störungen des Flugpanzers zu umgehen. Bislang war der Erfolg gering. Der Sixpack stürzte weiterhin Io entgegen. Turbulenzen schüttelten sie. Um sich zu verständigen, mussten sie schreien.

»Hol die verdammte Katze!«

Belle nahm zum sicher zwanzigsten Mal Hermes vom Boden auf. Der Kater hatte schon wieder mit der Pfote nach dem Kabel geangelt, das Anzug und Positronik verband. Zehn Minuten hatten sie am Anfang verloren, weil Hermes diese Verbindung getrennt hatte, ohne dass es ihnen aufgefallen war.

Der Kater kratzte und wollte wieder auf den Boden, aber Belle hielt ihn fest. Sie war froh, dass sie irgendetwas tun konnte, um zu helfen. Etwas, das sie kurzzeitig ablenkte vom nahenden Ende.

Sie hörte Schritte auf der Leiter zum Pilotendeck. Eric Leyden kam zu ihnen herunter. Er sah verschlafen aus.

»Woran arbeiten Sie?«, fragte er.

»Abha versucht, die Positronik zu überbrücken.«

»Und? Klappt's?«

Abha fluchte laut. »Das Mistding zeigt nicht an, was funktioniert und was nicht. Ich glaube ...« Ein heftiger Schlag schüttelte das Fahrzeug. Belle und Eric verloren kurz das Gleichgewicht. Hermes kreischte.

»Was war das?«, fragte der Physiker, plötzlich hellwach.

»Die Atmosphärenflügel sind ausgefahren. Daran arbeite ich seit anderthalb Stunden.«

»Das ist gut ...«, murmelte Leyden. »Das bremst uns ein wenig.«

»Und wir schlagen nur mit dreihundert statt vierhundert Kilometern pro Stunde auf«, flüsterte Belle tonlos.

»Zudem noch zwei Minuten später als erwartet«, bestätigte Eric fröhlich. »Und was machen wir jetzt, um zu überleben? Ich hätte da einen Plan.«

Abha sah vom Boden zu Leyden hoch. Belle wartete, dass Eric endlich anfing. Doch er schwieg.

»Und, wird's bald?« Abha klang gereizt.

Eric hob kurz die Schultern. »Es ist kein guter Plan. Ich habe gehofft, Ihnen sei etwas Besseres eingefallen.«

Abha warf mit einem kleinen Werkzeug nach dem Physiker. Der drehte sich und wich aus, ohne seine vor der Brust verschränkten Arme zu bewegen.

Belle bekam Angst. Wenn sie die nächsten Minuten mit Streit vergeudeten, waren sie so gut wie tot. Abha stand kurz davor, den Rest an Beherrschung zu verlieren, und Erics unbeteiligte Art wirkte wie Öl im Feuer.

»Abha, bring Eric bitte auf den neuesten Stand.« Sie musste dafür sorgen, dass die beiden Männer bei der Sache blieben.

»Ich arbeite an der Positronik. Die Flügel sind ausgefahren, und ich habe den Energiefluss vom Waffenreaktor zu den Antrieben gelenkt.«

Bei diesem Satz legte Eric die Stirn in Falten. »Warum?«

»Damit die Antriebe anspringen, verdammt noch mal!«

Der Physiker nickte nachdenklich. »Ich glaube nicht, dass es daran liegt, aber man könnte die Hypothese überprüfen. Läuft es denn jetzt?«

»Ich bin gerade erst fertig.«

»Soll ich ...«

»Unterstehen Sie sich.« Abha richtete sich vom Boden auf, so schnell es der klobige Raumanzug zuließ. »Das mache ich selbst.«

Er kletterte die Leiter hoch. Eric lehnte sich unten an die Wand und wartete. Nach nicht einmal einer Minute drang von oben ein lauter Fluch an ihre Ohren.

Abha kam mit wildem Blick die Leiter wieder herab. Er fuhr sich resigniert mit der rechten Hand über den kahl rasierten Kopf. »Okay, Sie haben gewonnen. Was sollen wir tun?«

Eric setzte sich auf ein kleines Regal. »Leiten Sie erst einmal die Waffenenergie wieder auf die Waffen. Wir werden sie brauchen. Ich erkläre derweil, was ich vorhabe. Aber wie gesagt: Es ist kein guter Plan.«

Belle wischte sich die Tränen aus den Augen, dann schloss sie den Helm ihres Raumanzugs. Erics Plan war nicht nur schlecht, er war der reine Wahnsinn. Aber wie es schien, war er ihre einzige Chance, zu überleben. Und alles hing von ihr ab. Gerade eben hatte sie sich noch gewünscht, mehr zu tun, als immer wieder Hermes einzufangen.

Währenddessen bugsierte Eric das Tier in einen vierten Raumanzug hinein, schloss dessen Helm und nahm die Anzugpositronik in Parallelsteuerung. »Ruhig, Kleiner«, murmelte er. »Ich weiß, das ist etwas eng, aber dafür ist es besser gepolstert als die Hygienezelle ...«

Drei Minuten bis zum Aufschlag – und Eric sorgte sich darum, dass der Kater es weich und bequem hatte. Es war verrückt! Belle kämpfte gegen die Panik, die jederzeit die Oberhand gewinnen konnte. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und setzte sich auf den Platz des Bordschützen.

Eric hatte die Anzeigen der Wissenschaftsstation aktiviert. »Ich habe Zugriff auf das Kartenmaterial der Galileo-Sonde und vom Io-Observer, und ... warten Sie ... Ja, auch auf die aktuellen Karten der Forschungsstation auf dem Mond selbst. Ich kann Ihnen alles auf die Helmprojektion legen.«

Vor Belles Augen erschien eine ungemein detailreiche Karte des Felsgebiets, in dem sie in zwei Minuten zerschellen würden. Abha am Navigatorpult ließ alle paar Sekunden ihre Position neu berechnen. Die automatische Flugbahndarstellung funktionierte nicht. Mittlerweile zeichnete sich ab, dass sie am Fuß eines Vulkans aufschlagen würden. Das war ideal ... Ideal, falls der Wahnsinn klappte, den sie sich vorgenommen hatten.

»Ah, fein«, rief Eric, »ich habe Live-Wärmemessungen und Karten der bekannten Lava- und Magmaströme! Kommt das bei Ihnen an?« Zusätzliche Daten erschienen auf der Innenseite ihres Helms. Rötliche Ströme, Temperaturangaben. Über Ios extremen Vulkanismus wusste jeder Astronom Bescheid. Aber es war etwas anderes, dem mehrere Tausend Grad heißen Magma leibhaftig so nahe zu sein. Sie suchte die Stellen mit Hitzespitzen – die Orte, an denen das flüssige Gestein nur knapp unter der Oberfläche verlief.

»Ich habe zwei ... nein, drei Zielpunkte!«, rief sie.

»Wunderbar«, sagte Eric. »Suchen Sie einen aus. Wir drücken die Daumen. Nicht wahr, Abha?«

Ihr Freund schwieg. Er starrte verbissen auf sein Pult und aktualisierte ihre Position. Sie musste nicht nur genau treffen. Nein, es kam auch auf den richtigen Zeitpunkt an. Und dafür musste sie exakt wissen, wo sie waren.

Sie markierte ihre Wahl mit der positronischen Zielerfassung und aktivierte die Impuls-, Desintegrator- und Thermogeschütze.

Drei ... zwei ... eins ...

Sie schoss mit allem, was der Sixpack hergab.

Eric spielte ihr die Außenbilder ein.

Der Desintegrator löste das Gestein der Vulkanwand auf, der sie entgegenfielen. Die Thermowaffe brachte den umgebenden Fels zum Glühen. Der Impulsstrahler wirkte mechanisch: Er schlug mit der Gewalt mehrerer Tonnen Sprengstoff in den Berg. Belle tat ihr Bestes, um den Bewegungsvektor auszugleichen, wenn Rückstoß und Böen den Panzer aus seiner bisherigen Flugbahn schoben. Sie feuerte immer wieder auf dieselbe Stelle.

Gleich würden sie vorbeifallen. Dann wäre alles umsonst gewesen.

Die Darstellung auf der Innenseite ihres Helms wurde gleißend hell. Der Berg wurde heißer, viel heißer als die Thermostrahlen. Sie hatte es geschafft! An der dünnsten Stelle würde sich das Magma seinen Weg bahnen. Gleich ...

Der Ausbruch war gigantisch. Die halbe Flanke des Bergs explodierte. Felstrümmer flogen. Ein Geysir aus glutflüssigem Gestein traf den Flugpanzer, schmetterte ihn mit der Urgewalt der Elemente aus seiner Bahn. Die Statusanzeigen der Schutzschirme leuchteten ausnahmslos rot, als die Lavaeruption den Panzer einhüllte. Wenn die Schirme in diesem Moment zusammenbrachen ...

Die Lava floss ab, aber noch immer schlugen Steine in die schon geschwächten Schirme. Der Sixpack trudelte in der neuen Flugkurve, in die das Inferno ihn geworfen hatte. Statt senkrecht zu fallen, wurde er nun fast waagerecht zur Seite geschleudert.

Sollte es tatsächlich funktionieren?

Der Panzer drehte sich um mehrere Achsen gleichzeitig. Mal zeigten die Geschütze zum Boden, mal in die Luft; mal war Io rechts, dann über ihrem Kopf, dann wieder links. Belle wurde übel.

Io kam näher. Der Boden, nur noch Meter entfernt; nun kam es darauf an, ob die Schirme hielten.

Es war wirklich kein guter Plan.

Kontakt.

Der Aufprall riss Belle McGraw aus ihrem Sitz. Sie flog nach vorne gegen das Waffenpult. Die Kollision trieb die Luft aus ihren Lungen.

Noch ein Stoß, noch heftiger.

Belles Helm schlug gegen das Pult. Belles Kopf schlug gegen den Helm.

Hydra

11. März 2049, Flottenflaggschiff TERRANIA

Die TERRANIA raste den Feindschiffen entgegen. Trotz des bevorstehenden Gefechts wirkte die Besatzung völlig ruhig und konzentriert. Perry Rhodan bewunderte, wie perfekt die Crew auf Reginald Bulls Flaggschiff zusammenarbeitete. Hoffentlich ging es auf der BAIKONUR ähnlich professionell zu. Er würde erst nach dem Gefecht zu seinem eigenen Schiff zurückkehren können.

Rhodans Blick suchte und fand Bull. Wie er vermutet hatte, koordinierte sein Freund die Flotte nicht von seinem Kommandobüro aus, sondern aus der Schiffszentrale. Die Daten, die er dafür brauchte, holte er sich aus erster Hand bei der Ortungs- und Wissenschaftsstation.

Kurze Befehle und Meldungen hallten durch den Raum. Vom Kommandantenplatz aus gab Marcus Everson knappe Anweisungen. Das große Taktik-Hologramm zeigte die fünf Schiffe der Maahks als blaue Quader.

»Feindschiffe koordinieren Anflugvektor«, meldete die leitende Offizierin an der Ortungsstation. »Bleiben unter Transitionsgeschwindigkeit. Keine Beschleunigung.«

Gelbe Kugeln markierten die sechs eigenen Einheiten. Sie flogen den blauen Objekten entgegen.

»TERRANIA und BAIKONUR: Direkter Kurs auf die ARISTOTELES. Wir suchen Überlebende«, ordnete Bull an. »Schlachtkreuzer und Schwere Kreuzer: Kurs ändern. Setzen Sie sich zwischen die Feindschiffe und die Erde. Aus der Richtung fliegen Sie dann auf uns zu und unterstützen uns nach eigenem Ermessen.«

Die Schlachtkreuzer ERNST ELLERT und ERIC MANOLI und die Schweren Kreuzer LION und SHARK drehten ab. Auf ihrem neuen Kurs würden sie die Maahks erst Minuten später erreichen – eine Ewigkeit, falls es zum Kampf kam.

Nein, nicht falls. Der Kampf hatte bereits begonnen. Rhodans Blick fiel auf den roten Punkt, der die zerstörte ARISTOTELES anzeigte. Bei dem unprovozierten Angriff auf den Forschungsraumer hatten wahrscheinlich über siebzig Menschen ihr Leben verloren.

Bull sah hinüber zum Schiffskommandanten. »Sie sehen unglücklich aus, Oberst Everson.«

»Darf ich ...«, fragte Everson.

Bull signalisierte, er möge sprechen.

»Es ist riskant, unsere Formation zu teilen«, sagte Everson.

»Korrekt«, bestätigte Bull. »Ich möchte auch lieber mit sechs statt mit zwei Schiffen ankommen. Aber ich möchte vor allem die Erde schützen. Und ich möchte schnellstmöglich mit zwei wehrhaften Schiffen vor Ort sein, falls wir von der ARISTOTELES noch jemanden retten können.«

Rhodan bezweifelte das. Der Forschungskreuzer hatte kaum Defensivtechnik gehabt. Der gemeinsame Beschuss von fünf Maahkraumern hatte das Schiff wahrscheinlich zerstört, bevor jemand Zeit gehabt hatte, die Rettungskapseln zu erreichen.

Dennoch, Bull hatte recht. Sie mussten es versuchen.

Das Schott, durch das Rhodan hereingekommen war, öffnete sich erneut. Tuire Sitareh betrat die Zentrale. »Kann ich helfen?«, flüsterte der Aulore ihm zu.

Das war eine sehr gute Frage. Sie hatten den geheimnisvollen Fremden in der ASQUOR gefunden, dem schwer beschädigten Maahkschiff, das am Vortag ins heimatliche Sonnensystem eingedrungen war. Nun waren weitere Maahkschiffe materialisiert. Allerdings waren diese fünf Einheiten anscheinend in bestem Zustand, bis an die Zähne bewaffnet und wild zum Kampf entschlossen.

»Wir werden sehen«, gab Rhodan leise zurück. »Danke!«

Eigentlich glaubte er nicht, dass sich dafür wirklich eine Gelegenheit bieten würde. Tuire hatte zwar eine Verbindung zu den Maahks – aber sie wussten nicht, welche. Die Medostation der TERRANIA hatte bei seiner Untersuchung erstaunliche Dinge entdeckt. Der rothaarige Mann mit den violetten Augen und dem Zellaktivator war unter anderem mit einem zweiten Atemkreislauf ausgestattet. Damit konnte er eine Stunde in der Wasserstoffatmosphäre von Maahkwelten und -schiffen überleben. Dass er auch die dortigen extremen Temperaturen aushielt, davon hatte Rhodan sich selbst überzeugen können.

Aber was immer Tuire mit den Maahks verband: In der aktuellen Lage würde es ihnen nichts nützen. Der Mann hatte sein Gedächtnis verloren. So wusste er zwar, dass er ein Aulore war, jedoch nicht, was das bedeutete – ob es der Name einer Spezies war oder eine Berufsbezeichnung oder irgendetwas anderes.

Dennoch: Vielleicht kam es zu einer Kontaktsituation. Dann wären seine Sprachbegabung und sein intuitives Verständnis fremder Kulturen sicher nützlich.

Rhodan suchte einen möglichst unauffälligen Weg durch die Zentrale, um niemanden bei wichtigen Aufgaben zu stören. Die Crewmitglieder machten ihm den Weg frei, sogar jene, die nicht von ihrer Aufgabe aufsahen und ihn nur aus dem Augenwinkel wahrnahmen. Seine weinrote Uniform genügte, damit sie wussten, wer dort entlangging. Diese Farbe war exklusiv ihm als Protektor der Terranischen Union vorbehalten.

Er stellte sich hinter die Ortungsstation, sodass Bull ihn wahrnehmen konnte. Er sprach ihn jedoch nicht an – Rhodan war zu Gast auf der TERRANIA und hatte sich weder in die Schiffsführung noch in die Flottenoperationen einzumischen. Bull sah kurz hoch und nickte ihm zu, dann gab er weitere Anweisungen.

»Okay, jetzt«, sagte er, als die sechs terranischen Schiffe den von ihm angeordneten Kursen folgten.

»Wissen wir schon etwas?«, fragte Rhodan.

»Nicht viel.« Bull kratzte sich an seinem Wangenbart. »Fünf Maahkschiffe sind beim Jupiter aufgetaucht und haben ohne Vorwarnung geschossen.«

»Reagieren sie auf Funkrufe?«

Bull schüttelte den Kopf.

»Darf ich?«, fragte Rhodan.

»Versuch dein Glück.«

Rhodan warf erneut einen Blick ins taktische Hologramm. Fünf Schiffe, eines vierhundert Meter lang mit hundert Metern Durchmesser, die anderen vier halb so groß. Sie hatten die Form, die man von Maahkraumern bereits kannte: eine Walze mit spitz zulaufendem Bug, wie eine riesenhafte Gewehrpatrone. Allerdings liefen zwei ringförmige Wülste um den Rumpf und teilten die Walzen in drei gleich große Segmente. In diesen Ringen lagen die Impulstriebwerke, ähnlich wie bei den Schiffen der Menschen.

Die kleineren Einheiten bildeten eine Raute und flogen dem großen Schiff voran, wie um es vor Angreifern zu schützen. Die Formation blieb nicht statisch – die vier Schutzschiffe schwirrten vor der Hauptwalze herum wie Elektronen um einen Atomkern. Man wusste nie genau, wo sie waren, aber irgendein Schiff war immer da und konnte eingreifen, wenn sich ihnen etwas in den Weg stellte.

»Raumschiff TERRANIA an Maahkraumschiffe. Hier spricht Perry Rhodan, Protektor der Terranischen Union. Sie sind in unser Hoheitsgebiet eingedrungen. Identifizieren Sie sich und nennen Sie Ihre Absichten.« Außer Forscher umzubringen, dachte er bitter.

Er erhielt keine Antwort.

»Perry Rhodan an fremde Schiffe. Identifizieren Sie sich, und nennen Sie Ihre Absichten!«

Wieder keine Antwort. An den Translatoren konnte es nicht liegen. Das hatte sich erst vor zwei Tagen gezeigt, nachdem sie den sterbenden Maahk in dem zuerst aufgetauchten Fremdraumer gefunden hatten. Vieles, was der Wasserstoffatmer gesagt hatte, war zwar kryptisch gewesen, wie sein Gerede von der Festung TASCHVAAHL und der Hoffnung auf Taal. Aber die Übersetzung selbst hatte im Großen und Ganzen funktioniert.

Er sah zu Tuire hinüber. In dem havarierten Schiff hatte der geheimnisvolle Mann sehr geholfen, sich zurechtzufinden und die fremde Technik zu verstehen. Konnte er nun die Verständigung erleichtern?

Dazu müssten sie erst mal antworten.

»Perry Rhodan an eindringende Schiffe. Wenn Sie den Asteroidengürtel passieren und sich den inneren Planeten nähern, sind wir gezwungen ...«

Die Maahkschiffe nahmen die TERRANIA unter Feuer. Gelbe Energiestrahlen schlugen in die Schutzschirme ein.

»Die Feuerkraft ist immens!«, rief einer der Offiziere am Waffenleitstand.

Schon dieser erste Schuss zog ihre Schirme in Mitleidenschaft? Ein unangenehmer Schauer lief Rhodan über den Rücken.

Bull und Everson tauschten kurz Blicke, dann nickte Bull. »Wir vergrößern unser Empfangskomitee. Die Beiboote und die Raumjäger schleusen aus. Perry, sorgst du dafür, dass das vernünftig abläuft? Everson und ich werden hier gebraucht.«

Rhodan setzte sich neben Oberstleutnant McGerthy, den Ersten Offizier. Der Kommandeur der Beiboot-Flottille war über Holo zugeschaltet: Captain Yong Chung, ein Chinese in akkurater Uniform mit völlig ausdruckslosem Gesicht. Ein weiteres Holo flimmerte auf. Ein großer Mann mit langem, schwarzem Haar erschien. Rhodan erinnerte sich an den Mann: Er hatte bei der Nachbesprechung der Mission im havarierten Schiff spekuliert, ob der Feind der Maahks ein Freund der Menschheit sein mochte. Der Captain mit dem ungewöhnlichen Namen ... Rainbow, richtig. Captain Cecilian Rainbow.

Der Flottillenchef hatte stramm salutiert. Der Indianer legte nur bedächtig die gestreckten Finger an die Schläfen und nickte Rhodan zu. »Cel Rainbow, Kommandeur der Raumlandetruppen. Zur Einsatzbesprechung.« Er konnte gerade Anfang dreißig sein; für sein Alter klang seine Stimme jedoch ungewöhnlich abgeklärt.

Rhodan nickte. »Danke, aber der Salut gebührt Ihrem militärischen Vorgesetzten. Ich bin nur zur Beratung hier.«

In beiden Holos erschien am unteren Rand ein Countdown. Noch knapp drei Minuten, dann waren die Einheiten bereit zum Ausschleusen.

McGerthy erläuterte knapp Bulls und Eversons Taktik: Die zwölf Korvetten unter Captain Yongs Kommando sollten ausschwärmen, die Front vergrößern und so ein konzentriertes Feuer auf die TERRANIA und die BAIKONUR verhindern. Seine sechsunddreißig Space-Disks erhielten denselben Auftrag, sollten jedoch darüber hinaus Entlastungsangriffe fliegen, wenn Rainbows sechzig Dragonfly-Jäger in Bedrängnis gerieten. Die Dragonflys wiederum sollten die Formation der Angreifer stören, wenn es diesen gelang, eine terranische Einheit ins Kreuzfeuer zu nehmen. Zudem sollten sie Rettungskapseln der ARISTOTELES schützen, falls es welche gab.

McGerthy beendete seine Anweisungen. »Noch Fragen?«

»Nein, Sir!«, meldete Yong zackig.

»Ja, Sir.« Rainbow klang nachdenklich. »Rechnen Sie damit, dass unsere Raumlandetruppen Feindschiffe entern werden?«

»Das ist nicht der primäre Auftrag«, antwortete Rhodan. »Heute gehen die Soldaten wahrscheinlich nur als Raumjäger raus. Noch etwas?«

Noch einmal meldete sich Rainbow. »Ja. Falls die Beiboote und die Dragonflys sich abstimmen müssen, wer hat im Zweifel das letzte Wort?«

Rhodan blickte hinüber zu McGerthy.

»Yong macht die Ansagen«, entschied der Erste Offizier. »Das ist eine Raumschlacht, kein Landemanöver.«

Rainbow nickte stumm und beendete die Verbindung. Yong salutierte ein letztes Mal und tat es ihm gleich.

Noch dreißig Sekunden bis zum Ausschleusen, zeigte der Countdown an.

»Die beiden mögen sich nicht besonders, oder?«, fragte Rhodan.

McGerthy zuckte mit den Schultern. »Yong lebt das Flottenhandbuch, Rainbow ist ... unkonventionell. Aber beide erreichen ihre Ziele, nur eben auf anderen Wegen.« Er seufzte. »Ich möchte nur nicht wissen, was passiert, wenn sie einander nachts im Dunkeln begegnen.«

Cel Rainbow kletterte zwischen den libellenartigen Flügeln seiner Dragonfly hindurch und ließ sich in den Pilotensitz fallen. Tim Schablonski saß bereits auf dem hinteren Platz. Die transparente Kuppel des Zwei-Mann-Jägers schloss sich über ihnen. Die Gurte schnappten in Position.

»Sind wir gefechtsklar?«, fragte der Indianer seinen Freund.

»Sonst säße ich hier nicht so entspannt«, klang die Stimme von hinten.

Rainbow grinste. Tim war der beste Pilot, den er je getroffen hatte – abgesehen von ihm selbst. Und eines musste er neidlos zugeben: Als Techniker war sein Freund ihm weit voraus. Wenn Tim sagte, die Maschine sei in Ordnung, stimmte das.

»Dann treten wir den Maahks mal in den Arsch«, sagte Cel. »Startposition.« Er bewegte den Kippschalter. Lange hatte er sich gewundert, warum man in diesen ultramodernen Jägern solche veralteten Bedienelemente verwendete. Bis Tim es ihm erklärt hatte: Bei Touchscreens und Holos spürte man nicht, ob man das Bedienelement berührt oder knapp verfehlt hatte. Das hatte einige Testpiloten das Leben gekostet.

»Start in zehn ... neun ...«

Der Schalter klickte. Die Dragonfly kippte in Startposition. Da die TERRANIA sich momentan entlang ihrer Polachse aufwärtsbewegte, würden sie nach unten starten. So gewannen sie schneller Abstand vom Schiff.

»Acht ... sieben ... sechs ...«

Draußen wurde die Luft abgesaugt. Cel umfasste die Steuerung und wappnete sich für das, was gleich kommen würde. Er liebte es, zu fliegen; Starten war dagegen nicht so toll.

»Fünf ... vier ... drei ...«

Das Schott vor ihnen fuhr auf. Der Weltraum – die weite, kalte Leere und das Licht der Sterne. Nur eine dünne Panzerplastkuppel trennte sie von der Unendlichkeit.

»Zwo ... eins ... Start!«