Perry Rhodan Neo 208: Die Winde von Epsal - Rainer Schorm - E-Book

Perry Rhodan Neo 208: Die Winde von Epsal E-Book

Rainer Schorm

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Beschreibung

Fünfzig Jahre nachdem der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, ist eine neue Epoche der Menschheit angebrochen. Die Solare Union steuert den Aufbruch ins All. Die Menschen haben Kolonien nicht nur auf dem Mond und Mars, sondern auch in fernen Sonnensystemen errichtet. Doch auf die terranischen Pioniere warten ungeahnte Herausforderungen und Gefahren. Im Jahr 2089 erweist sich der Plophoser Iratio Hondro als unheimliche Bedrohung. Es gelingt ihm, das Capellasystem unter seine Kontrolle zu bringen. Aber zunehmend wird klar, dass die wahre Bedrohung für die Menschheit das geheimnisvolle Dunkelleben ist – dieses wiederum scheint Hondro seine Macht zu verleihen. Als die Ärztin Sud und Perry Rhodan beunruhigende Nachrichten von Epsal erfahren, eilen sie an den Ort des Geschehens. Auf der Hochschwerkraftwelt tobt ein verzweifelter Kampf gegen einen todbringenden Feind – er nutzt DIE WINDE VON EPSAL ...

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Band 208

Die Winde von Epsal

Rainer Schorm

Cover

Vorspann

Vorspiel: Der Weg: Erster Schritt

1. Pilze und ihre Eigenheiten

2. Wirbelnde Wolken

3. Kor Staals Kommentarbrocken

4. Flammen

5. Der Weg: Zweiter Schritt

6. Kor Staals Kommentarbrocken

7. Fluchtbewegung

8. Windige Eindringlinge

9. Der Weg: Dritter Schritt

10. Kor Staals Kommentarbrocken

11. Metamorph

12. Kor Staals Kommentarbrocken

13. Anamnese

14. In die Höhle des Pilzes

15. Der Weg: Vierter Schritt

16. Gewucher

17. Kor Staals Kommentarbrocken

18. Der Weg: Fünfter Schritt

19. Sporenflug

20. Kor Staals Kommentarbrocken

21. Der Weg: Sechster Schritt

22. Fremdling

23. Steppenbrand

24. Der Weg: Siebter Schritt

25. Der Kern des Bösen

26. Kor Staals Kommentarbrocken

27. Der Weg: Achter Schritt

28. Kor Staals Kommentarbrocken

29. Frühlingsgefühle

30. Was bleibt?

Nachhall: Kor Staals Kommentarbrocken

Impressum

Fünfzig Jahre nachdem der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, ist eine neue Epoche der Menschheit angebrochen. Die Solare Union steuert den Aufbruch ins All.

Die Menschen haben Kolonien nicht nur auf dem Mond und Mars, sondern auch in fernen Sonnensystemen errichtet. Doch auf die terranischen Pioniere warten ungeahnte Herausforderungen und Gefahren.

Im Jahr 2089 erweist sich der Plophoser Iratio Hondro als unheimliche Bedrohung. Es gelingt ihm, das Capellasystem unter seine Kontrolle zu bringen. Aber zunehmend wird klar, dass die wahre Bedrohung für die Menschheit das geheimnisvolle Dunkelleben ist – dieses wiederum scheint Hondro seine Macht zu verleihen.

Als die Ärztin Sud und Perry Rhodan beunruhigende Nachrichten von Epsal erfahren, eilen sie an den Ort des Geschehens. Auf der Hochschwerkraftwelt tobt ein verzweifelter Kampf gegen einen todbringenden Feind – er nutzt DIE WINDE VON EPSAL ...

Vorspiel

Der Weg: Erster Schritt

Diese Welt ist eine Herausforderung.

Nicht, dass ich das nicht gewusst hätte, aber es zu fühlen, im wahrsten Sinne des Wortes, ist etwas anderes.

Die Schwerkraft zerrt an jedem Muskel. Bänder und Sehnen machen sich schnell bemerkbar. Anfangs ist es nur das Gefühl wie bei einem Muskelkater, etwas, das vorübergeht. Epsal aber bleibt. Die Welt unter der merkwürdig ovalen Sonne hängt sich an jeden Besucher wie ein heimtückischer Sack voller Steine, die man nicht sehen kann.

Ich bin immer wieder erstaunt darüber: Die Technik kompensiert die Besonderheiten nicht komplett. Man behält ein Gefühl von Schwere. Dazu kommt der Eindruck, als bewege man sich durch Wasser. Die Dichte der Atmosphäre verschwindet nicht, nur weil man Kraftverstärker einsetzt und die Schwerkraft reduziert.

Altair steht von der Erde aus gesehen im Sternbild des Adlers und bildet zusammen mit der nahen Wega und dem weit entfernten Deneb das sogenannte Sommerdreieck.

Es ist warm und schwül. Die Winde bringen keine Erleichterung. Die Luft ist dick, man glaubt, am Boden einer gewaltigen Schüssel zu sitzen. Auf Ertrus ist der Effekt stärker. Auf Epsal, mitten in diesem bizarren Wald aus Pilzen, fällt es weniger auf.

Es riecht merkwürdig. Ein wenig muffig, aber auch nach einem Sammelsurium fremdartiger Blumen. Blumen, die es auf Epsal gar nicht gibt. Das Aroma kommt einem entfernt vertraut vor, aber man kann die Düfte nicht zuordnen.

Ohne die Atemmaske wäre das Atmen nur kurzzeitig möglich. Der Atmosphärendruck und die Schwerkraft laugen einen normalen Menschen sehr schnell aus. Sollte ich zusammenbrechen, würden die Pilze mich einfach ihrer Nahrungskette einverleiben. Ich habe vor einer halben Stunde gesehen, wie ein großer Schleimpilz einen abgestorbenen Stiel, auf dem eine halbierte Kappe hing, innerhalb weniger Minuten komplett verdaut hat. Eine zwei Meter hohe Pilzleiche! Dann erstarrte der Schleimteppich, und gerade schieben sich kugelförmige, blaue Fruchtkörper in gewaltigen Trauben daraus hervor. Wäre man an Schönheit interessiert ... das wäre einen Besuch wert.

Ich lasse mein Raumschiff hinter mir. Ich brauche Platz für das, was ich vorhabe. Es ist ein Risiko, das ist mir klar. Die Zahl wird gewaltig sein und könnte mich überfordern, obwohl ich das bis vor Kurzem noch für undenkbar hielt. Aber an diesem Ort scheint alles möglich.

Ich strecke meine Fühler aus. Ich erspüre meine Umgebung. Bis ich finde, was ich suche. Es sind nicht die riesigen Pilze. Sie sind nicht beweglich genug. Was ich suche, ist klein. Sehr klein. Ich konzentriere mich stärker, kehre das Innen nach außen. Ich zerbreche das Gefäß.

Es ist heller Tag.

Aber ich ... Ich bringe die Nacht!

Überallhin.

Und aus ihr steigt die Vergangenheit empor ...

... aus der Nacht stechen die Lichter heraus.

Quito sieht friedlich aus in diesen Stunden. Tagsüber ist das nicht so. Eine Metropole ist eine Metropole, eine Großstadt eine Großstadt – mit allen Schattenseiten.

Die Luft ist dünn hier, zumindest behaupten das die Touristen. Das sei so in den Anden. Das kann sein, aber Quito liegt in einem Becken. Auf den Gipfeln muss es anders sein. Ich war niemals dort. Bisher habe ich die Stadt nicht verlassen.

Nein, das stimmt nicht. Fremde haben uns entführt. Wir alle haben die Erde verlassen, waren gefangen in der Unendlichkeit, bis uns Perry Rhodan zurückbrachte, in unsere Heimat.

Das liegt lange zurück, obwohl Ignacio immer sagt, ich hätte keine Ahnung, was lange bedeutet. Da hat er wahrscheinlich recht. Ich höre solche Dinge nicht gern, wahrscheinlich, weil ich so viel jünger bin als er. Die Vorstellung, dass er mir etwas voraushaben könnte, nur weil er mehr Jahre auf dem Buckel hat, ist demütigend. Ich fühle mich zurückgesetzt. Ich bin jung, aber ich weiß alles, was ich wissen muss.

Ich würde ihm das gern in sein feistes, stoppelbärtiges Gesicht schreien, aber Streit bringt nichts. Er hat immer recht – weil er sonst zuschlägt. Mama widerspricht ihm nie. Wahrscheinlich, weil sie weiß, dass er immer recht haben muss.

Er war nicht immer so, sagt Maria, wenn er gerade nicht da ist. Wenn er nicht getrunken hat, ist er eigentlich sogar ganz nett. Kommt selten vor, aber es ist so.

Meinen richtigen Dad kenne ich nicht. Ignacio sagt, darüber könne ich »verdammt noch mal froh sein«. Damit könnte er recht haben.

Ich bin acht Jahre alt. Ich will fort aus dieser Hölle. Wie Perry Rhodan. Er ist zu den Sternen geflogen, um uns zurückzuholen. Ignacio nennt ihn deshalb einen Idioten – aber damit hat er ganz sicher nicht recht; auch wenn ich das nicht sage. Man muss seine Wut nicht herausfordern. Zweimal hat er mir beinahe den Arm gebrochen.

Es dämmert. Es wird ein heißer Tag werden. Noch herrscht die Kühle des Morgens, aber das wird sich bald ändern. Ich genieße die leichten Böen, wie sie über meine Haut und durch meine Haare fahren. Ob es das dort ebenfalls geben wird, wohin ich gehe? Das wäre schön.

Über dem Rucu Pichincha hängt eine hohe Rauchwolke. Den Guago Pichincha kann man nicht sehen, aber in den Nachrichten hieß es, dass auch aus ihm Rauch aufsteigt. Ich hatte den Eindruck, dass Ignacio Angst hatte. Kein gutes Zeichen. Wenn er Angst hat, trinkt er sehr viel mehr als sonst. Maria weiß, was das heißt. Sie bekommt mehr Prügel. Daran gewöhnt man sich nie. Man lernt, es auszuhalten, und man lernt außerdem, dass einem niemand hilft, wenn man es nicht selbst tut.

Ich höre die Glocken von Santo Domingo. Die Töne dringen am frühen Morgen bis hierher, in die 22 de Enero. Früher haben mich die Glocken getröstet. Aber sie sind mitleidslos. Egal wie dreckig es einem geht, sie schlagen, als gäbe es etwas zu feiern.

Als Ignacio Maria zwei Zähne ausschlug, vor ungefähr einem halben Jahr, waren die Glocken gut zu hören. Marias Geschrei ging darin unter. Nicht, dass das jemanden interessiert hätte.

Perry Rhodan hat eine wunderschöne Frau. Sie hat herrlich langes, weißes Haar und rote Augen. Sie kommt von Arkon. Ignacio sagt, die Arkoniden seien bei uns gewesen – Kolonialisten, wie alle anderen. Nur Abschaum, sagt er.

Ich glaube, auch da hat er nicht recht. Perry Rhodan würde keinen Abschaum heiraten. Sie haben zwei Kinder. Ich habe nie gesehen, dass er oder Thora sie geschlagen haben, obwohl Ignacio sagt, dass alle das tun. Kinder verstehen keine andere Sprache, sagt er.

Ich verstehe sehr viel.

Ich denke langsam, Ignacio hat häufiger unrecht, als er glaubt.

Sagen kann ich das nicht. Ich will das nicht mehr. Es hat keinen Sinn. Er ist stärker als ich – er muss mir nicht zuhören, wenn er nicht will. Ich kann ihn nicht dazu zwingen. Irgendwann könnte ich das vielleicht – in vielen Jahren. Er wird älter, ich werde stärker.

Egal: Heute ist es so weit.

Ich habe einen alten Leinenbeutel vollgepackt, mit Sachen, die ich brauchen werde. Außerdem habe ich Ignacio einen Haufen Geld geklaut.

Dass er dadurch weniger trinken kann, freut mich. Vielleicht schlägt er Maria dann nicht so häufig. Sie ist in Ordnung, obwohl sie mir nicht hilft. Sie ist zu schwach. Wenn man nicht stark genug ist, muss man gehen. Bis man selbst der Stärkere ist. Obwohl ich glaube, dass mich Ignacio dann nicht mehr interessieren wird. Eigentlich tut er das ohnehin nicht.

1.

Pilze und ihre Eigenheiten

Ein tiefes Grollen lag in der Luft, beinahe als entwickle sich in einiger Entfernung die Mutter aller Gewitter.

Paulus Moron drehte den Kopf auf dem stämmigen Hals Richtung Westen. Dort lag Rimdan, Epsals Hauptstadt. Am zart blauvioletten Himmel erschien ein glühender Punkt, der schnell nach unten sank.

»Ein großes Schiff«, murmelte Moron. »Das ist er. Rhodan kommt.«

Eine Prallfeldröhre baute sich auf. Sie verhinderte, dass die von der landenden CREST II verdrängte Luft die Siedlung beschädigte. Ohne diese energetische Barriere wäre ein Orkan die Folge gewesen.

»Groß, meinen Sie?«

Moron drehte sich um. Die leicht krächzende Stimme gehörte Erkokk, einem der zwei Ferronen, die sich Morons Hilfe versichert hatten. Eine geführte Expedition in Epsals Funga – in diesem Fall in den riesigen Ostwald – war eine von Morons Einnahmequellen. Unter den Kennern der Pilzfauna nahm er eine Sonderstellung ein; er war der Pilzsammler. Seine Preise waren gesalzen, aber für die beiden Ferronen war das kein Problem. Sie waren reich und hielten damit keine Sekunde lang hinter dem Berg.

Erkokk war kleiner als Summler, sein Kollege. Im Vergleich zu Paulus Moron und jedem anderen Epsaler waren sie allerdings beinahe Riesen: Moron war gerade mal 1,46 Meter groß – in den Schultern allerdings ebenso breit.

Erkokk grinste. »Nehmen Sie's nicht persönlich, aber mir scheint, in Ihren Augen ist wohl alles groß.«

Summler feixte. Moron hingegen verzog keine Miene. Witze über die epsalische Größe perlten an ihm ab. Er wusste um seine Stärken; dazu zählte die rein körperliche Kraft, die bei der gewaltigen Schwerkraft von Epsal auch nötig war. Paulus Moron war ein sehr friedlicher Mensch, aber das Wissen, mit zwei unangenehmen Ferronen ohne Probleme fertigwerden zu können, empfand er als angenehm.

Die CREST II war nicht mehr zu sehen, verschwunden hinter dem üppig wuchernden Gestrüpp des Pilzwalds.

»Rhodans Ankunft war angekündigt«, sagte Moron. »Haben Sie das nicht mitbekommen?«

Summler machte ein mürrisches Gesicht. »Ich interessiere mich nicht für Politik. Wir suchen einen Dornschlonz. Nur deswegen sind wir hier, in diesem widerlichen Dschungel.«

Ignorant!, kommentierte Moron im Stillen. Er musterte die Umgebung. Etwas hatte sich verändert, ohne dass er zu benennen vermochte, was das war. Die Atmosphäre war drückend, bedrängte einen wie ein Raubtier. Das lag nicht an der feuchtwarmen Luft. Es war subtiler. Moron fühlte sich unwohl. Das war das erste Mal, auch wenn Außenstehende das wohl kaum verstehen würden. Epsals Pilzwälder waren gefährlich. Die Tatsache, dass er noch lebte, war der beste Beweis für Morons Fähigkeiten. Dass die zwei reichen Ferronen auf einer Expedition hierher bestanden hatten, führte Moron auf einen einzigen Grund zurück: Sie suchten den Kick. Wie viele Neureiche setzten sie ihren Erfolg mit Omnipotenz gleich.

Er registrierte bei beiden Ferronen eine zur Schau getragene Langeweile. Sie tun so, als hätten sie alles unter Kontrolle. Für Leute wie sie ist das wahrscheinlich ganz normal. Sie begreifen nicht, dass die Natur sich ihren Wünschen nicht unterordnet.

Moron betrachtete all das mit der nötigen Distanz. Er verdiente gutes Geld damit, die Gefahren für die zwei in erträglichen Grenzen zu halten. Sie hatten die Risikoklauseln unterschrieben, und Moron war sicher, dass sie sie nicht mal gelesen hatten.

Das Grollen wurde leiser und verklang. Etwas anderes blieb. Ein tieftoniges Geräusch, das Moron sofort alarmierte. Er kontrollierte die Zeit und legte den Kopf in den Nacken.

Der grelle, ovale Lichtfleck von Altair stand hoch am Himmel; dennoch wirkte die Umgebung, als habe sich eine Wolke vor die Sonne geschoben.

Die Tagesdämmerung ging ihrem Ende entgegen. Die schnelle Rotation von Altair erzeugte einen unheimlichen Effekt: das Gravity Darkening. Das Gas in Äquatorhöhe des Sterns war weniger dicht und heiß als an den Polen – es strahlte deshalb weniger stark. Außenweltler nahmen den Effekt eher instinktiv wahr; für einen Epsaler war der Helligkeitsunterschied gut sichtbar.

Moron hatte einen Terraner einmal von einer Sonnenfinsternis berichten hören. Am helllichten Tag schob sich der irdische Mond vor die Sonne und blendete sie förmlich aus. Die dabei entstehende Lichtstimmung schien Epsals Tagesdämmerung zu ähneln. Mit einem Unterschied: Auf der Erde schwiegen die Vögel in einem solchen Moment. Auf Epsal gab es keine Vögel. Es gab nur die Funga mit all ihren Formen.

Und doch ..., dachte Moron. Auch auf Epsal reagiert die Natur auf das schwindende Licht. Sie zieht sich in sich selbst zurück. Wartet darauf, neu hervorbrechen zu können.

Er lauschte. Epsaler hörten tiefe Töne bis in einen Bereich, der normalen Menschen verschlossen war. Zudem konnten sie Basstöne verorten. Moron drehte langsam den Kopf. Das tiefe Brummen war stärker als vor einigen Minuten.

Ein Grund für die Pause, die die Expedition eingelegt hatte, war die Ruhephase der Pilzvegetation, die mit der Tagesdämmerung einherging. Die beiden Ferronen waren auf der Suche nach dem Dornschlonz, einem überaus seltenen und faszinierenden Pilz. Er sah etwa aus wie ein mit Stachelpelz überzogener Tintenfischpilz auf der Erde, war aber sehr viel größer – und die Stacheln waren hart wie Stahl.

Clathrus archeri. Beeindruckender Name. Er produziert psychoaktive Sporen, dachte Moron amüsiert. Ein netter Nebeneffekt.

Das leise Schnurren der Kraftverstärker irritierte ihn. Selbstverständlich hatten die Ferronen G'orsetts angelegt. Diese Monturen waren eigens für Hochschwerkraftwelten entwickelt worden. Sie reduzierten die Gravitationswirkung auf ein erträgliches Maß und unterstützten die Muskulatur. Die zwei Ferronen trugen Luxusmodelle, todschick, hochmodern und derart bunt, dass Moron bisweilen sogar die Augen schloss.

Was ihn amüsierte, war der Versuch der beiden, zu beweisen, wie tough sie waren. Sie hatten die Antigravaggregate gedrosselt und dafür die Kraftverstärker nach oben reguliert. Ob sie damit Moron beeindrucken wollten oder ihr zukünftiges Publikum, das wusste der Pilzsammler nicht. Er war sicher, dass Erkokk und Summler jede kleinste Bewegung dokumentierten. Der Beifall war ihnen sicher, genau darauf kam es ihnen zweifellos an.

Ferronen gehörten zu den häufigen Besuchern auf Epsal. Die Wega war lediglich 27 Lichtjahre von der Erde entfernt, Altair sogar nur 16,7 Lichtjahre. Die beiden Sterne waren so etwas wie Nachbarn, kosmisch gesehen.

Adrenalin-Tourismus war recht verbreitet. Epsal war nicht nur physikalisch eine Herausforderung – besonders die Lebensformen reizten Außenweltler. Einen Dornschlonz zu finden und aus seinem Stechkokon zu schälen, war fast so beliebt wie eine Großwildjagd mit den gewünschten Trophäen.

Sie werden damit angeben, und all die sich anbiedernden Zuhörer werden begeistert sein, dachte Moron widerwillig. Dass er auf die Einnahmen angewiesen war, machte es nicht angenehmer. Zwar arbeitete er auf Honorarbasis auch für das MIMERC, das auf Epsal eine Außenstelle unterhielt, aber zum Überleben reichten jene Einkünfte allein nicht.

Dornschlonze fand man nur tief im Wald, meist im dicksten Pilzgestrüpp. Ihre Fruchtkörper ähnelten den Tentakeln eines irdischen Oktopus. Sie waren dick, fleischig und extrem wohlschmeckend, deshalb hatte ein Terraner sie bei anderer Gelegenheit einmal als »Epsaltrüffel« bezeichnet. Moron wusste, dass irdische Trüffel sehr teuer waren. Gefährlich waren die Schlonze wegen ihrer eng aufliegenden Stechhaut. Der hauchdünne Kokon war neben den sichtbaren Stacheln mit heimtückischen Nesselzellen überzogen, die sogar die meisten Schutzmonturen durchdrangen. Der Schmerz, den sie verursachen konnten, war kaum zu beschreiben; Moron wusste das aus eigener Erfahrung. Hinzu kam die zunehmende Giftigkeit, die man bei vielen Arten der Funga während der letzten Jahre festgestellt hatte. Epsals Natur passte sich offenbar an die Siedler an. Bizarrerweise betraf das ebenfalls die psychotropen Substanzen.

Zuckerbrot und Peitsche, dachte Moron. Epsal passt sich an – und wir selbst tun dasselbe. Man hat uns eine Toleranz gegen diese Stoffe ins Genom gebaut ... nur um festzustellen, dass sich dieses Merkmal auf Epsal sofort zurückbildet. Sieht aus, als wehre sich der menschliche Organismus dagegen, dass man ihm die Rauschbefähigung entziehen will. Damit hat niemand gerechnet.

Sein Magen knurrte. Er nahm einen großen Riegel aus komprimiertem Velum, einer Pilzmembran, und begann zu kauen. Das Hungergefühl schwand langsam. Um die nötigen Nährstoffe zu bekommen, aßen Epsaler, wann immer das möglich war. Ihr Metabolismus war hochaktiv, die Belastungen einer Hochschwerkraftwelt waren gewaltig. Moron sehnte sich nach einem irdischen Schnitzel oder einer ertrusischen Strampelhaxe. Pflanzen und Pilze waren vom Nährwert her leider bei Weitem nicht so ergiebig wie echtes Fleisch. Er schob einige getrocknete Pasa-Schirme hinterher. Das unbefriedigende Gefühl blieb.

Ich sollte mich mit Würsten oder Schinken bezahlen lassen, überlegte er. Von mir aus sogar mit ferronischem Schredderfleisch. Alles besser als das hier.

Die Pilzkost befriedigte ihn nicht. Das lag mit daran, dass er Erfahrung mit Fleischkonsum hatte – das war längst nicht bei allen Epsalern der Fall. Verdrießlich kauend ging er voraus.

Die Gefahr nahm zu, je weiter sie sich in den Ostwald hineinbewegten. Das tieftönige Brummen wurde lauter. Moron war alarmiert. Woher kommt das?, rätselte er.

Für seine Augen deutlich sichtbar, wurde es heller. Die Tagesdämmerung war vorüber. Die beiden Ferronen mochten den Helligkeitsunterschied nicht wahrnehmen; die Natur tat es sehr wohl. Moron spannte sich. Rechts von der Gruppe war das Brummen deutlich kräftiger. Die Membran von Sporensäcken vibrierte exakt auf dieser Frequenz, bevor sie barsten.

Dann war es so weit. Überall platzten Fruchtkörper und schleuderten ihre Sporenwolken umher. Die Wiederkehr des Lichts war für die Funga ein Startsignal.

Moron sah sich konzentriert um. Er hatte den Platz, den sie zur Rast nutzten, ganz bewusst gewählt. Die Sporenwolken blieben in ausreichend großer Entfernung.

Er selbst hatte den Luftfilter nicht abgelegt, was Erkokk mit einem spöttischen Lächeln quittiert hatte. Die beiden Ferronen indes hatten es getan – gegen Morons ausdrückliche Warnung. Angeblich wollten sie sich Epsal körperlich so weit wie möglich nähern. Moron hielt das für eine selbstverliebte Show, aber mehr als warnen konnte er nicht. Was solche Dinge anging, hatte er die Nase voll von seinen Kunden. Sich leichtfertig in Gefahr zu bringen, war für ihn ein Ausdruck von Selbstüberschätzung, ja sogar Größenwahn. Zwar regulierte ein Hilfssystem ihrer Schutzmonturen die atmosphärische Dichte, um den Ferronen ein problemloses Atmen zu ermöglichen, aber dicke Luft war im Ostwald das kleinste Problem.

Zumindest die Sichtkorrekturfilter hatten die beiden, nachdem sie einige Minuten ohne diese Unterstützung zurechtkommen hatten wollen, sehr rasch wieder reaktiviert. Ihre Augen waren die dichte Atmosphäre Epsals nicht gewöhnt. Die Luftdichte führte dazu, dass man glaubte, sich am tiefsten Punkt einer Schüssel zu befinden; ringsum wölbte sich alles nach oben. Epsaler hatten sich daran angepasst und ihre visuelle Verarbeitung korrigierte den »Schüsseleffekt«. Für jeden anderen brachte er starke Orientierungsschwierigkeiten mit sich. Der Effekt kam im Dickicht des Pilzwalds zwar nur begrenzt zur Geltung, aber die Sensorik eines nicht auf Epsal geborenen Lebewesens war dennoch beeinträchtigt. Sich im Ostwald zu verirren, war keine gute Idee. Die Pilze der Funga standen dicht und waren so vielfältig wie sonst kaum irgendwo. Welche Exemplare alles gefährlich waren, wusste nicht mal Moron. Die Taxierung der Arten war längst nicht abgeschlossen.

Und ich darf es im Zweifelsfall ausbaden!, dachte er mürrisch. Dann schrie er: »Weg da! Nach hinten. Sofort!«

Sowohl Erkokk als auch Summler starrten ihn nur verblüfft an. Moron riss die beiden aus der Gefahrenzone. Im nächsten Augenblick explodierte der versteckt im Fungagestrüpp steckende Sporenbeutel mit einem dumpfen, tiefen Blubbern. Eine dunkelviolette Wolke stob schräg nach oben und verfehlte die drei nur knapp.

»Was ...«, ächzte Summler. »Was war denn das?«

Erkokk stöhnte nur. Offenbar hatte er sich beim Sturz heftig den Ellbogen geprellt. Moron sah, dass er offenbar auf der spitzen Kappe eines Wolfram-Röhrlings gelandet war. Der Pilz trug den Namen nicht von ungefähr.

Moron stand bereits wieder. Die Sporen segelten wie violette Schneeflocken sanft zu Boden.

»Das war Aspergillus niger epsalensis«, antwortete er. »Hätten Sie eine einzige Spore eingeatmet, wären Sie so gut wie tot.«

»Übertreiben Sie nicht so unmäßig«, murrte Erkokk. »Es sind nur Pilze, beim Gror. Und sterben müssen wir alle früher oder später ...«

»Das schon«, sagte Paulus Moron sanft. »Aber so will keiner sterben, glauben Sie mir. Nach ein paar Sekunden hätte das Plasmodium nicht nur Ihre Lunge und Ihre Bronchien ausgefüllt, sondern jede erreichbare Körperöffnung, jeden Hohlraum. Dann hätte es begonnen, Sie zu verdauen. Das hätte etwa drei Tage gedauert, und Sie hätten nur daliegen und jede Sekunde davon genießen können. Der Aspergillus hätte Sie mit Sauerstoff versorgt, aber gelähmt. Noch Interesse?«

Erkokks blaue Haut war nun beinahe weiß. Er starrte Moron entsetzt an.

»Ich hatte Sie mehrmals gewarnt. Alle beide. Es sind nur Pilze, das ist richtig. Aber sie können Sie töten – schneller, als Ihnen lieb ist.«

Summler rappelte sich auf. Die Kraftverstärker summten. »Was ist mit dem Dornschlonz?«, fragte er.

Er hat nichts verstanden, konstatierte Moron. Er hat wahrscheinlich nicht mal zugehört. »Wir müssen weiter in den Wald hinein«, sagte er laut. »So nah am Waldrand wächst er nicht.«

»Das nennen Sie nah?«, beschwerte sich Erkokk. »Sieht für mich aus, als befänden wir uns längst mittendrin. Ich mag die Gegend nicht.«

Es amüsierte Moron gewaltig, als er sah, wie hektisch die beiden nun ihre Atemfilter wieder aktivierten.

Ein wenig boshaft sagte er: »Übrigens sind alle Körperöffnungen gefährdet ...«

Erkokk konnte nicht noch blasser werden, aber sein Blick bekam etwas Panisches.

»Wir können jederzeit umkehren«, bot Moron an.

Summler knurrte nur.

Erkokk fasste es in Worte. »Und uns vor allen und jedem lächerlich machen? Kommt gar nicht infrage.«

»Also gut. Dann folgen Sie mir.« Moron ließ den Blick schweifen. Direkt nach den Eruptionen der Tagesdämmerung schloss sich eine längere Phase der Ruhe ein. Vor ihnen lichtete sich das Pilzgewucher ein wenig, aber etwas links davon reckten sich die tiefblauen, ballonartigen Fruchtkörper eines Lamproderma spendidissimum bis zu drei Meter in die Höhe. Die gleichartig aussehende Art auf der Erde war sehr viel kleiner, mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar.

Für Paulus Moron war es faszinierend, dass es ähnliche Taxa auf der Erde und Epsal gab. Die äußerliche Ähnlichkeit entsprang allerdings keiner genetischen Verwandtschaft. Es war lediglich eine Analogie – eine interplanetare Konvergenz oder Parallelentwicklung. Biologen waren in dieses Phänomen geradezu vernarrt.

»Sie können den Duftfilter übrigens separat freischalten«, sagte er lächelnd. Ihm war die Unzufriedenheit seiner Klienten nicht entgangen, denen nun die Angst im Nacken saß. »Duftmoleküle sind ungefährlich – und die Sporen sind zu groß für den Filter.«

Er sah, dass Summler tief durchatmete und ein entsagungsvolles Seufzen hören ließ. »Herrlich. Woher wussten Sie das?«

Moron verkniff sich ein Kichern. »Hätten Sie die Gebrauchsanweisung genauer studiert ...«

Erkokk fluchte. »Das artet in Arbeit aus. Wo sind die verdammten Schlonze?«

Moron setzte sich in Bewegung und machte dabei einen weiten Bogen um den Lamproderma. Er registrierte, wie sich an dem Pilz erste Widerhaken ausbildeten. Blieb man daran hängen, war der Betreffende verloren. Er wurde an Ort und Stelle von der abgesonderten Säure verdaut. Die großen, blauen, kugeligen Fruchtkörper neigten sich in ihre Richtung, aber dabei blieb es.

Glück gehabt!

Sie stapften durch einen dichten Rasen aus Schwarzem Mehltau. Die Wolke stieg nur einige Zentimeter nach oben. Die Sporen waren zu schwer; sie benötigten starke Winde, um weiter emporgetragen zu werden. Die Sturmsaison hatte zwar bereits begonnen, aber die stärksten Böen würden noch eine gute irdische Woche auf sich warten lassen.

»Da denkt man, wenn es keine Fauna gibt, wäre man sicher«, nörgelte Erkokk. »Keine heimischen Tierarten, also sollte man annehmen ...«

Moron schob den Schleier eines großen Cortinarius beiseite, eines epsalischen Gigantschleierlings. Das Gebilde sah aus wie ein weißlich-dickes Fischernetz. Sekundärpilze bedeckten Teile davon wie ein Pelz. Mit diebischer Freude registrierte er, dass die beiden Ferronen den Atem anhielten. Der typische Gestank faulenden Schlamms war besonders intensiv nach dem Ende der Tagesdämmerung.

»Booooooooh ...«, keuchte Summler. »Machen Sie das mit Absicht?«

Moron hob abwehrend die Hände. »Wenn ich mich richtig erinnere, wollten Sie beide der epsalischen Natur so nah sein wie möglich. Das gehört mit dazu. Es ist nicht giftig, Sie können beruhigt sein.«

Feuchte Wärme schwappte wie eine Welle durch den Pilzwald. Altair war ein sogenannter Zwergcepheide, ein Delta-Scuti-Stern; heller und heißer als die Sonne der Erde – mit entsprechenden Folgen. Sogar inmitten des Walds kochte die Luft geradezu.

»Vono meint es gut mit uns«, sagte Paulus Moron. »Zwar hat es seinen Reiz, wenn sich bei Frost Teile der Funga verkapseln, aber die Farbenpracht ist dahin.«

»Vono?«, fragte Summler.

»So nennen die Kolonisten ihre Sonne«, erläuterte Erkokk herablassend. »Ich nehme an, Altair war ihnen nicht gut genug. Denk an die Leute von Rofus. Die meinen ebenfalls, sie müssten sich in jeder Kleinigkeit von uns unterscheiden.«

Moron grinste. »Nun, ich denke, ich unterscheide mich tatsächlich von Ihnen, oder?«

Summler spitzte kurz die Lippen, beherrschte sich dann aber. »Ja. Das ist wohl so.«

Sie marschierten weiter durch die schwüle Hitze. Erkokk stieß plötzlich einen begeisterten Schrei aus.

Moron trat neben ihn. »Was ist?«

Der Ferrone deutete auf einen kleineren Pilz, der auf einem abgestorbenen Stielrumpf saß. Der stumpf gebuckelte, blaugrüne Hut war mit weißen Velumflocken bedeckt, wie ein irdischer Fliegenpilz. Unter den Lamellen saß ein mehrfacher, geriefter Ring, ebenfalls Reste des Velums. Er durchmaß etwa sechs Zentimeter.

»Ein epsalischer Grünspan-Träuschling«, sagte Paulus Moron beruhigt. »Stropharia aeruginosa epsalensis.«

»Ein Hauspilz, nicht?«, freute sich Erkokk. »Ich habe davon gehört. Den nehme ich mit!«

Moron seufzte unhörbar. »Sind Sie sicher?«

Erkokk sah ihn an, als sei der Pilzsammler nicht bei Trost. »Aber klar doch. Ein schöneres Beispiel kann ich meinen Leuten kaum präsentieren. Ob wir einen Dornschlonz finden, ist ja nicht sicher. Wird er den Transport überleben?«

»Ja«, sagte Moron, während Summler im Hintergrund vor sich hin brummelte. »Die epsalischen Träuschlinge sind hart im Nehmen. Auf Ferrol könnte er sogar einige Jahre überleben, nehme ich an.«

»Also los!«

Moron stapfte über einen moosigen Bodenpilz auf den Träuschling zu. Er nahm den Schallstift und legte ihn an der Wurzel an. Die Vibrationen taten ihre Wirkung. Der Träuschling trennte sich vom Bodenmyzel und ließ sich problemlos abheben.

»Machen Sie die linke Schulter etwas frei«, forderte Moron. »Ein bisschen Platz braucht er.«

Erkokk verschob die Nanobänder seiner Kraftverstärker. Vorsichtig setzte Moron den Pilz auf, dessen Wurzelfäden sich sofort durch die Montur in Erkokks Schulter gruben. Der Ferrone verzog das Gesicht. »Das tut weh!«, klagte er.