Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Jahr 2116: Nachdem die Menschen zahlreiche Schwierigkeiten überwunden haben, hoffen sie auf eine friedliche Zukunft. Auf der Erde und den Kolonialwelten arbeitet man vertrauensvoll an gemeinsamen Projekten, oft mit Partnern aus anderen Sternenreichen. Dann taucht jedoch ein mysteriöser Junge mit blauen Haaren auf, der Laumae heißt, sich aber auch als Primat bezeichnet. Er hat ein klares Ziel: Perry Rhodan muss sterben. Nur so, glaubt Primat, ist es möglich, eine Katastrophe von der Milchstraße abzuwenden. Während im Solsystem der Konflikt mit Primat eskaliert, erhält der Arkonide Atlan eine wichtige Nachricht: Der Kontakt zur terranischen Kolonie Imart ist abgebrochen. Als er dort nachforscht, stößt er auf eine Flotte fremder Raumschiffe, die ihn sofort angreifen. Den Ausgang dieses ungleichen Kampfs entscheidet ATLANS SCHACHZUG ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 210
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Band 337
Atlans Schachzug
Ruben Wickenhäuser
Cover
Vorspann
1. Schicksale: Imari Neuber
2. Kurs Andromeda
3. Die Freuden einer Flatterratte
4. Schicksale: Imari Neuber
5. Schicksale: Dara und Wanja Norowitch
6. Schicksale: Die PLUTO IX
7. Überraschung im System
8. Imarts Waffe
9. Nothilfe
10. Wie man einen Kreuzer ausweidet
11. Chaos in Nor Tun
12. Unterschlupf oder Grabstätte?
13. Kammerjäger
14. Fang den Atlan
15. Zug um Zug
16. Schach ... und matt?
17. Der Überraschungsgast
18. Rekonvaleszenzen
19. Auf die Reise
Impressum
Im Jahr 2116: Nachdem die Menschen zahlreiche Schwierigkeiten überwunden haben, hoffen sie auf eine friedliche Zukunft. Auf der Erde und den Kolonialwelten arbeitet man vertrauensvoll an gemeinsamen Projekten, oft mit Partnern aus anderen Sternenreichen.
Dann taucht jedoch ein mysteriöser Junge mit blauen Haaren auf, der Laumae heißt, sich aber auch als Primat bezeichnet. Er hat ein klares Ziel: Perry Rhodan muss sterben. Nur so, glaubt Primat, ist es möglich, eine Katastrophe von der Milchstraße abzuwenden.
Während im Solsystem der Konflikt mit Primat eskaliert, erhält der Arkonide Atlan eine wichtige Nachricht: Der Kontakt zur terranischen Kolonie Imart ist abgebrochen. Als er dort nachforscht, stößt er auf eine Flotte fremder Raumschiffe, die ihn sofort angreifen.
Den Ausgang dieses ungleichen Kampfs entscheidet ATLANS SCHACHZUG ...
1.
Schicksale: Imari Neuber
Imari Neuber starrte gähnend auf die Statistiken, die im Hologramm über ihrem Arbeitstisch tanzten. Die Darstellung verschwamm vor ihren Augen. Sie hatte vergangene Nacht nur wenig Schlaf bekommen.
»Kleines Kind«, sagte sie entschuldigend, als Lubo Kall amüsiert zu ihr herübersah.
»Immer noch Einschlafschwierigkeiten?«, fragte ihr Arbeitskollege.
Neuber zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, wann das besser wird. Ich dachte, es wäre endlich vorbei. Sie ist immerhin schon drei.«
»Ha! Du glaubst gar nicht, welche Überraschungen dir da noch bevorstehen«, erwiderte Kall. »Du hast mein vollstes Mitgefühl. Ich bin froh, dass wir das schon hinter uns haben.«
»Ja, eure Kinder sind ja schon erwachsen.«
»Da ist nicht mehr das Schlafen das Problem. Eher das Aufwachen. Glaub mir, für Unterhaltung ist trotzdem weiterhin gesorgt. Mittlerweile sind es Geldnöte und solche Sachen. Also freu dich – Langeweile war gestern.«
»Oh danke!«
Neuber blinzelte den Schlaf aus den Augen und versuchte, sich wieder auf das Holo zu konzentrieren. Und vor allem zu verstehen, was die Positronik ihr damit sagen wollte.
»Export von Psylokap-b, Anstieg um dreißig Prozent seit der vorigen Abrechnungsperiode, bei gleichzeitiger Preissteigerung gemäß Arkon-Index um zehn Prozent ... Zollgebühren wurden angepasst ... Umsätze ... Herkunft, Zielort ...«
Psylokap-b war ein Medikament, das die Arkoniden aus dem Psygras herstellten, das es nur auf Imart gab. Die am weitesten von der Erde entfernte Koloniewelt der Terraner hatte dadurch unerwartete Bedeutung gewonnen. Offenbar bekamen viele Arkoniden irgendwelche Schwierigkeiten mit ihrem sogenannten Extrasinn. So genau hatte Neuber zwar nicht begriffen, was dieser Extrasinn sein sollte. Es klang ein bisschen nach kleinem Mann im Ohr. Sie fand diese Vorstellung ein wenig gruselig. Jedenfalls machte dieses Männchen anscheinend häufig Rabatz, und Psylokap-b besänftigte es. Für die Kolonie auf Imart, in deren Hauptstadt Nor Tun Neuber arbeitete, war es eine hervorragende Einnahmequelle, ohne dass die Kolonisten etwas dafür tun mussten – die Zollgebühren sprudelten ganz von allein.
Die Nachfrage ist erst seit Ausrufung der Republik Arkon so stark gestiegen, dachte Neuber. Das ist zwar seltsam. Aber wer weiß schon, wie Arkoniden ticken?
Neuber war durchaus politisch interessiert, ging aber nicht so weit, die menschenähnlichen Außerirdischen verstehen zu wollen. Ihre Aufgabe war ohnehin nur, Analysen zum Handel mit Psylokap-b zu erstellen. Und da das überwiegend von der Positronik übernommen wurde, musste sie bloß noch die Ergebnisse prüfen. Eine eintönige Buchhalterarbeit, die andere gewiss zu Tode gelangweilt hätte, für Neuber jedoch genau das Richtige war. Sie schätzte nichts mehr als verlässliche Alltagsroutine.
Und das passte natürlich überhaupt nicht zu einem kleinen Kind im Haus.
»Positronik, nenn mir die nächsten Untersuchungstermine!«, verlangte sie.
Das war auch so ein Ding. Die Umweltbedingungen auf Imart machten es notwendig, dass Kinder häufig zum Arzt gebracht werden mussten. Die Funktion der komplexen, genetisch modifizierten Lungen der Kolonistenkinder wurde wieder und wieder überprüft, und eine medikamentöse Behandlung war während bestimmter Stadien eher die Regel als die Ausnahme.
»Sie haben morgen um acht Uhr den Termin für die U vier C. Danach steht ein pneumologisches Gutachten um zehn Uhr an.«
Zwei Termine. Neuber seufzte. Wie war das mit der geliebten Tagesroutine? Da ging sie hin ...
Aber es half nichts. Sie wandte sich wieder dem Holo zu, das ihr die Exportstatistiken zeigte.
»Die Handelsniederlassung K'amet Koron hat einen neuen Prospektor beauftragt«, sagte sie verwundert.
Kall nickte. »Die Arkoniden waren mit dem vorigen nicht zufrieden. Angeblich hat er ihnen nur Felder mit einer zu geringen Ausbeute angeboten, und sie vermuten, dass er die wirklich vielversprechenden Gebiete für die Konkurrenz zurückhält. Zumindest hat das Attaché Komaraan so durchblicken lassen.«
»Ja, die Arkoniden, stets misstrauisch ...«, murmelte Neuber. »Wer ist der Neue? Steht das schon fest?« Die Frage war wichtig, weil sie von den Prospektoren die Schätzungen über die zu erwartende Ausbeute des Psygrases erhielt, und mit diesen wiederum fütterte sie die Positronik für perspektivische Steuerschätzungen. Manche der Sherpas waren kooperativ und lagen mit ihren Schätzungen regelmäßig dicht beim Endergebnis, andere erwiesen sich als völlig unzuverlässig. Noch ein Faktor, den Neuber als Störung ihres gleichmäßigen Tagesablaufs hasste.
»Sherpa Arjuna wurde gebucht«, sagte Kall.
Neuber war nicht begeistert, aber auch nicht entsetzt. Arjuna war nicht gerade kooperativ – er hasste jegliche Verwaltungsauflagen. Aber wenn er endlich mit einer Schätzung herausrückte, war die stets erstaunlich zutreffend. Wegen dieser Kompetenz verzieh Neuber ihm seine Kratzbürstigkeit gern.
Ein Kommunikationshologramm baute sich neben den statistischen Darstellungen auf. »Miss Neuber, Ihre Tochter benötigt Ihre Aufmerksamkeit, fürchte ich«, sagte der stämmige Kindergärtner, der darin sichtbar wurde. »Sie ist den ganzen Morgen schon unruhig. Ich weiß nicht, vielleicht brütet sie etwas aus.«
Neuber seufzte erneut. »Ich komme.«
An Kall gewandt, fügte sie hinzu: »Vielleicht komme ich nachher wieder rein, falls es doch mal wieder nur falscher Alarm ist. Sonst mache ich morgen weiter.«
»Die Arbeit läuft nicht weg, kein Problem.« Grinsend winkte der Kollege ihr zu.
Und wieder ein Tag für die Katz!, dachte Neuber frustriert.
Sie schaltete die Holos ab, erhob sich und ging zur Tür. Durch die transparente Außenwand fiel das Licht der gelblich weißen Sonne herein. Andere hätte dieser Anblick immer wieder aufs Neue beeindruckt: Hinter den hoch aufragenden, wie mit Quecksilber übergossenen Hochhäusern erstreckte sich bis zum Horizont eine vielfach gefaltete Berglandschaft, deren Gipfel von einer vitalen Vegetation überzogen waren. In der Ferne glänzte sogar ein größerer Bergsee.
Für Neuber war es nur irgendeine Landschaft. In Gedanken war sie schon bei Imi, ihrer kleinen Tochter. Bestimmt war es alles halb so schlimm, lediglich ein übermäßig besorgter Kindergärtner, und sobald Imi zu Hause war, würde sie wieder so lebhaft spielen, als sei nie etwas gewesen. Neuber kannte das. Dennoch musste sie zugeben, dass sie sich auf ihre Tochter freute. Eigentlich sollte sie mehr Zeit mit ihr verbringen.
Sie trat durch die Tür des Büros – und bekam plötzlich keine Luft mehr. Schwindel überkam sie. Hastig streckte sie den Arm aus und stützte sich am Türrahmen ab.
»Alles in Ordnung?«, hörte sie Kall hinter sich fragen.
Sie wollte antworten, brachte jedoch nur ein Krächzen zustande. Ein Eisenring schien ihre Brust einzuschnüren, sich immer weiter zusammenzuziehen. Verzweifelt versuchte sie, Atem zu holen, aber es ging nicht!
Sie fiel auf die Knie, dann der Länge nach auf den Teppich, japste, spürte einen brennenden Schmerz im Oberkörper. Schwarze Punkte erschienen vor ihren Augen, zerplatzten zu roten Flecken, wurden von dunklem Nebel abgelöst, zudem wuchs der Druck in ihrer Brust immer weiter an.
Sie nahm verschwommen wahr, wie Lubo Kall zu ihr stürzte, hörte, wie er die Positronik um Hilfe rief, spürte ein Stechen im Oberarm, als er ihr das Notfallmedikament gegen ... Gegen was eigentlich? Gegen ...
Ihre Gedanken verwirrten sich. Eigentlich hätte es ihr sofort besser gehen sollen, oder nicht? Dazu war das Medikament doch da? Stattdessen wurde der Druck auf ihre Lungen, das furchtbare Gefühl des Erstickens, immer größer, das Atmen fühlte sich an, als wolle sie zähen Schleim anstelle von Luft einsaugen. Die Beklemmung steigerte sich zur Todesangst. Etwas geschah um sie herum, sie konnte nicht mehr begreifen, was es war, denn sie kämpfte um ihr Leben, ihre Tochter brauchte eine Mutter, das war sie, sie durfte nicht sterben, durfte nicht ...
Ein weiches Bett. Das Geräusch von Schritten. Vielen Schritten. Aufgeregte Menschen, die hin und her liefen. Stimmen, die einander Dinge zuriefen. Gedämpftes Licht, Schatten, die sich durch ihr Sichtfeld bewegten, und über allem ein hohes Zischen ...
Neuber registrierte ein Kratzen im Hals, etwas Festes lag auf ihrer Zunge. Die Mundhöhle fühlte sich staubtrocken an. Ein kleiner, kugelförmiger Roboter schwebte an sie heran und streckte kleine Fühler aus, nur um gleich wieder weiterzufliegen.
Sie versuchte, sich zu bewegen. Die Decke, unter der sie lag, schien aus Blei zu bestehen. An ihrem Arm zerrte etwas ... ein Schlauch, der unter einem Pflaster in ihrer Armbeuge endete.
Neuber wollte sprechen, aber sie brachte kein Wort hervor. Etwas hinderte sie daran. Etwas in ihrem Hals.
Panik übermannte sie. Sie wollte sich das Ding aus dem Mund reißen, wollte sich von den Kabeln und Leitungen befreien, in die sie geradezu eingesponnen war.
Wieder kam ein Roboter herbeigeschwebt. Plötzlich wich die Panik von ihr, sie fühlte sich leicht und sorgenfrei.
Das Ding hat mir ein Beruhigungsmittel verabreicht, dachte sie. Ihr erster klarer Gedanke. Also bin ich in einem Krankenhaus. Ich bekomme Sauerstoff, nehme ich an ... Über einen Tubus, der in meinen Rachen reicht. Warum erledigen das nicht die viel gelobten Nanomaschinen? Was ist mit mir geschehen? Und rennen hier immer alle so hektisch durch die Gegend?
Neuber spürte einen dumpfen Druck auf der Brust.
Ist das Schmerz? Gedämpft durch Anästhetika?
Sie glaubte, das eifrige Wuseln der Medo-Nanomaschinen in ihren Lungen zu bemerken, die sicherlich schon mit der Reparatur der Schäden beschäftigt waren.
Dann kam ihr ein Gedanke, der wirkte, als habe er die ganze Zeit schon in ihrem Hinterkopf darauf gewartet, wahrgenommen zu werden.
Meine Tochter? Was ist mit Imi?
Sie bäumte sich auf und wollte nach ihrer Tochter fragen. Aber die Schwäche warf sie wieder auf das Bett zurück, und der Tubus verhinderte das Sprechen.
Ich muss wissen, wo sie ist!, dachte sie verzweifelt.
2.
Kurs Andromeda
Atlan da Gonozal saß im Kommandosessel der STAC, dem Sternenschiff seines Sohns. Es war gewissermaßen das Nebenprodukt von Eric Weidenburns Erforschung dessen, was er das »Spiritually Triggered Array of Completeness« genannt hatte, ein Energiefeld, das seiner Ansicht nach alles und jeden durchdrang. Herausgekommen war ein Raumfahrzeug, das es kein zweites Mal gab, dessen Konstruktion nur auf einem alten Stützpunkt der Meister der Insel in Andromeda möglich gewesen war, und das sogar fortschrittlichste Schlachtschiffe in den Schatten stellte, zumindest was deren Flugeigenschaften und zivile Leistungsfähigkeit betraf.
In Atlans Augen hatte die STAC dennoch einen großen Makel: das Fehlen von Offensivbewaffnung. Die Hyperbarieemitter ließen sich zwar auch als mächtiges Zerstörungsmittel einsetzen, aber eigentlich dienten sie vor allem dazu, eine Öffnung zum Hyperraum zu erschaffen und waren Teil des Überlichtantriebs der STAC. Entsprechend eingeschränkt war ihr Nutzen im Kampf. Immerhin hielt das Raumschiff noch ein paar andere nützliche Überraschungen bereit.
Der unsterbliche Arkonide blickte in die Hologramme, die ihn umschwebten und ihm eine dreidimensionale Darstellung aller Daten und Bilder zeigten, die für die Steuerung des Sternenschiffs relevant waren. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass sein gemeinsames Kind mit Mirona Thetin diese Leistung vollbracht hatte – aber auch mit Trauer.
Dein Sohn ist noch nicht tot, meldete sich sein Extrasinn.
Er liegt mit einem Herzmuskelriss in einer Stasiskapsel!, entgegnete Atlan. Wenn sogar unsere modernste Medotechnologie ihn nicht retten konnte, stehen seine Chancen schlecht. Es tat weh, daran zu denken, aber es war es nicht seine Art, die Realität schönzufärben.
Deswegen fliegen wir nach Andromeda. Die Meister der Insel sind allen anderen uns bekannten Völkern weit voraus, wenn es um lebenserhaltende Technologien geht. Ihre Situative ermöglichen es sogar, den Sprung durch einen Situationstransmitter zu überleben.
Danke, dass du mir erzählst, was ich ohnehin schon weiß, spottete Atlan.
Ich mache Hoffnung, behauptete sein Extrasinn.
Ein Kommunikationshologramm aktivierte sich vor ihm und unterbrach seinen inneren Dialog. Perry Rhodans Gesicht nahm darin Gestalt an.
»Wie ist die Lage, alter Freund?«, fragte der Terraner nach einer kurzen Begrüßung.
»Erics Zustand ist unverändert. Solang er sich in der Stasiskapsel befindet, ist er aber in Sicherheit. Und meine Vorbereitungen für die Reise nach Andromeda sind so gut wie abgeschlossen.«
»Viel Glück! Das brauchen wir hier leider auch.«
»Er ist euch entkommen«, vermutete Atlan.
Er war Laumae, ein vermeintlich etwa dreizehnjähriger Menschenjunge mit blauen Haaren, der in Wirklichkeit die Manifestation zweier unbeschreiblich mächtiger Wesenheiten war. Allein mithilfe seiner Gedanken konnte Laumae nahezu beliebig Dinge und sogar eingeschränkt handlungsfähige Lebewesen entstehen lassen.
»Mehr als das. Er hat die Hauptkuppel von Selene City in Schutt und Asche gelegt und gedroht, mit seinen Zerotraumfähigkeiten den gesamten Erdmond zu verheeren. NATHAN musste ihn ziehen lassen. Laumae ist nun mit der VAZIFAR auf dem Weg zur Erde.«
»Mit der VAZIFAR – das lassen die Labori zu?«
»Er hat sie genauso in der Hand wie uns und Amtraniks Flaggschiff entführt.«
»Damit steigt die Gefahr, dass die Milchstraße Ziel eines Hordenzugs wird«, begriff Atlan. »Was wollt ihr dagegen unternehmen?«
»Wir verfolgen Laumae. Wir können ihn leider nicht daran hindern, die Erde zu erreichen, also müssen wir ihn vor Ort stellen. Ich fürchte, dass ein Hordenzug nicht mehr unser größtes Problem ist, falls er sein Ziel erreicht.«
Atlan nickte. »Lasst ihn nicht entkommen, Perry. Ich weiß, dass dir gewalttätige Lösungen zuwider sind, aber du darfst jetzt nicht mehr zögern. Denk daran – dieser Junge hat ein halbes Dutzend Mal versucht, dich umzubringen. Seinetwegen schwebt mein Sohn in Lebensgefahr. Ich hätte ihn selbst töten sollen, als ich die Möglichkeit dazu hatte.«
»Und ich danke dir, dass du es nicht getan hast, trotz allem«, erwiderte sein Freund. »Es wäre falsch gewesen. Aber lass uns ...«
Das Holo erlosch abrupt. Atlan war so überrascht, dass sein Zorn auf den blauhaarigen Jungen verflog.
»Was war das?«, fragte er die Schiffspositronik.
»Die Hyperfunkverbindung ist unterbrochen worden. Ursache ist ein starker, interferierender Fünf-D-Impuls. Aber als er uns erreicht hat, war er bereits zu schwach, um Schäden auf der STAC zu verursachen.«
»Wo kam er her?«
Ein neues Holo mit einer stark vereinfachten Sternkarte der Milchstraße erschien in Atlans Blickfeld. Ein matter Rotschimmer symbolisierte darin die Hyperenergiewelle, die von den Sensoren der STAC registriert worden war. Noch hatte die Positronik nur Informationen über die Richtung, aus der sie stammte. Milliarden Sterne kamen infrage.
»Bislang unbekannt. Ich versuche, die Position mithilfe anderer Messstationen zu triangulieren. Wahrscheinlich ist der Ausgangspunkt weit entfernt, und wir wurden nur von den Ausläufern des Impulses getroffen.«
Atlan lehnte sich zurück.
Aus dem Solsystem kommt er jedenfalls nicht, stellte sein Extrasinn fest. Was natürlich nicht bedeutet, dass es nichts mit Laumae zu tun hat.
Oder mit den Labori, ergänzte Atlan.
»Positronik, berechne einen Kurs nach Andromeda, der eine größtmögliche Distanz zur Quelle des Hyperimpulses wahrt«, sagte er laut.
Für einen Moment hatte er Ruhe. Das Gespräch mit Perry Rhodan hatte schmerzliche Erinnerungen aufgewühlt. Er dachte an den Augenblick, in dem er das Vibromesser nach Laumae geworfen hatte. Der Junge hatte mit einem altmodischen Revolver auf Rhodans Rücken gezielt und hätte den Terraner mit Sicherheit getötet, wenn Atlan Laumae nicht in den Oberarm getroffen hätte. Wenig später lag der Attentäter bewusstlos auf dem Boden, niedergestreckt von Icho Tolot. Atlan hatte sein Messer zurückgeholt.
Er hätte nur einen raschen Schnitt durch die Kehle des Bewusstlosen machen müssen. Eine kurze Bewegung, tausendmal im Training geübt, hätte alles entscheiden können. Selene City wäre noch intakt, sein eigener Sohn gerächt. Wäre da nicht sein Freund Perry Rhodan gewesen, der ihn davon abgehalten hatte.
Und Rhodan war kein Mann der Rache. »Atlan, nicht!«, hatte er gemahnt.
Statt die Sache ein für alle Mal zu beenden, hatte der Arkonide das Messer beiseitegelegt.
Sein Extrasinn meldete sich zu Wort. Aber du hättest ihn töten können, du hattest die Gelegenheit dazu. Er lag ohnmächtig vor dir auf dem Boden, und du hattest ein Messer in der Hand. Warum hast du gezögert? Ja, Perry hat dich zurückgehalten, aber das konnte er nur, weil du gezögert hast.
Weil man keine hilflosen Feinde umbringt, erwiderte Atlan.
Er meinte, seinen Logiksektor auflachen zu hören.
Dieser Laumae blieb ihm ein Rätsel.
»Spiel die Aufzeichnung von Laumaes Übernahme der IVI bei Eoptra ab«, wies Atlan die Positronik an. Er kannte das Holovid zwar, verspürte aber den Drang, es erneut zu sehen.
Ausgerechnet Eric Weidenburn hatte Laumae damals in die Zentrale der IVI getragen. Der Junge hatte auch seine Geisel hereinbringen lassen, einen ohnmächtigen, etwas jüngeren Knaben mit der typisch grün gefärbten Haut der Plophoser. Thomas Rhodan da Zoltral und Eric Weidenburn waren in ihre Einsatzanzüge gehüllt gewesen, die zahlreiche Spuren von den Geschehnissen zeigten. Im krassen Gegensatz dazu waren der Plophoserknabe und Laumae völlig nackt gewesen, ihre Hände und Füße rußverschmiert. Alte Narben bei dem einen und Abschürfungen und kleine Schnitte bei dem anderen zeugten von ihrem Weg durch die Wildnis von Eoptra, von ihrer Flucht vor Thomas und Eric. Der Plophoserjunge wurde in einen Kontursessel gebettet. Er war Laumaes Akela, der ihm als Beistand für die gefährliche Wildnisexpedition an die Seite gestellt worden war.
Akela, kommentierte sein Extrasinn. Da bedienen sich die Plophoser doch tatsächlich bei einer alten menschlichen Tradition, dem Namen für den Leiter von Wölflingen, also den kleineren Kindern bei den Pfadfindern. Und Laumae bringt diesen Verbündeten fast um!
Laumae hatte sich an eine Positronikkonsole gelehnt und zeitweilig einen zu Tode erschöpften Eindruck gemacht.
Wie der Schein trügt, dachte Atlan und spürte wieder Wut in sich hochkochen. Dieser unscheinbare, schmalschultrige Junge mit den strubbeligen, kobaltblauen Haaren und einem Gesichtsausdruck, der zwischen Erschöpfung, Verzweiflung und Trotz wechselte, hatte Atlans Sohn beinahe umgebracht.
Beinahe?, korrigierte sich der Arkonide. Vielleicht hat er noch Erfolg. Erics Leben hängt nur noch an einem seidenen Faden. Liegt es an seinem Aussehen als Kind, dass wir Laumae immer wieder unterschätzen und nicht zu fassen kriegen? Dass Tom und Eric ihn unterschätzt haben, obwohl er zuvor mehrere Mordversuche an Perry verübt hat? Weil ein Fingerschnippen von Icho Tolot genügt hat, um ihn umzuwerfen? Weil das Kindchenschema die Terraner daran hindert, sein wahres Wesen wahrzunehmen?
Atlan starrte auf das Bild des Plophoserjungen mit der zerschrammten grünen Haut. Der Akela schlug gerade die Augen auf, zog die Beine an, rieb sich den Hals und röchelte. Sein Gesichtsausdruck zeigte Verwirrung, Unverständnis, Staunen über das Innere der Kommandozentrale – aber keinen Hass auf den Verräter, der ihn kurz zuvor beinahe erdrosselt hatte.
Selbst ein Gleichaltriger vergibt Laumae, wunderte sich Atlan und blickte auf Laumae.
Das Trivid wich einem Kommunikationsholo.
»Die Hyperfunkanlage ist wieder einsatzbereit«, vernahm er die Stimme der Schiffspositronik. »Perry Rhodan ruft uns.«
Atlan schaltete die Verbindung ins Solsystem erneut frei und versicherte seinem Freund, dass alles in Ordnung sei.
»Wie ist der Ladezustand der Speicherringe?«, erkundigte sich der Arkonide, nachdem das Gespräch beendet war.
»Die Hyperenergiezapfer benötigen noch etwa zwei Tontas, dann ist der Mindestpegel für die Aktivierung des Metagrav-Triebwerks erreicht. Empfehlenswert ist allerdings, den Ladezustand weiter zu erhöhen.«
»Wir starten sofort nach Erreichen des Mindestwerts«, entschied Atlan. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Das Stasisfeld konserviert Erics Zustand vielleicht, aber je früher wir ihm mit der Medotechnik der Meister der Insel helfen können, desto besser.«
»Verstanden.«
In den Maschinenräumen der STAC liefen zahlreiche Aggregate an und bereiteten alles für den Übertritt in den Hyperraum vor. Der primäre Triebwerktorus rotierte langsam um die sechzig Meter durchmessende Zentralkugel, seine vier Emitter würden Hyperbariequanten auf einen Punkt in zehn Millionen Kilometern Entfernung vor dem Bug des Raumschiffs abstrahlen und dort verdrillt vereinigen. Erneut musste der Arkonide seinem Sohn Respekt für die enorme Leistung zollen, die er mit der Schaffung der STAC erbracht hatte.
Während der Wartezeit lenkte Atlan sich damit ab, den besten Ort für die Medobehandlung seines Sohns in Andromeda zu bestimmen.
»Start in zwanzig Zentitontas«, verkündete die Positronik. »Eine Gesprächsanfrage von Akkren Shenn trifft ein!«
»Der Präsident der Republik Arkon?«, wunderte sich Atlan.
Er schaltete das Kommunikationshologramm ein, woraufhin Shenns Gesicht als dreidimensionale Projektion schräg vor Atlan in der Luft hing.
»Ich grüße dich, Kristallprinz!« Die Anrede klang aus seinem Mund wie eine Achtungsbezeugung. Shenn und Atlan waren gute Freunde. »Ich habe erfahren, dass du dich auf eine Reise nach Andromeda vorbereitest.«
»Das ist richtig.«
»Vielleicht kannst du einen Zwischenstopp einlegen. Wir haben den Kontakt zu einer der terranischen Siedlungswelten verloren. Da wir ausgezeichnete diplomatische Beziehungen zu dieser Kolonie unterhalten, und sie unsere derzeit einzige Quelle für Psylokap-b darstellt ... du weißt schon, das Mittel, mit dem sich der Logiksektor bändigen lässt ... und du dich in der Nähe befindest ... nun, möchte ich dich fragen, ob du die Lage dort sondieren könntest. Es genügt, wenn du dich kurz mit Imart in Verbindung setzt. Wir haben bereits einen Konvoi in Marsch gesetzt.«
»Ich soll gewissermaßen den Kundschafter für dich spielen«, sagte Atlan.
Shenn neigte den Kopf. »So ist es. Unser Einsatzkonvoi besteht neben Frachtern und anderen Zivilraumern aus einem größeren Kontingent von Militärschiffen. Letztere sind zu einem Manöver mit Einheiten der Terranischen Flotte in einem anderen Raumsektor unterwegs und dienen als Geleitschutz. Die Kampfschiffe sollen aber eigentlich schon weit vor Imart einen anderen Kurs nehmen, falls ihre Anwesenheit im Canopussystem nicht notwendig ist.«
Atlan lehnte sich zurück und überlegte. Imart war tatsächlich in der Nähe. Er könnte sofort dorthin aufbrechen und würde bei diesem Umweg nur wenig der Hyperenergie verlieren, die er für den Weiterflug in die Nachbargalaxis benötigte.
Ich will aber Eric so schnell wie möglich nach Andromeda bringen, dachte er.
Sein Extrasinn widersprach. Der Zwischenstopp würde dich fast keine Zeit kosten. Ob du an unserem derzeitigen Standort auf das Laden der Speicherringe wartest oder bei Imart, macht fast keinen Unterschied. Und Akkren Shenn stünde bei uns in der Schuld.
»Wie ist die Situation?«, erkundigte Atlan sich.
»Vor einer Tonta ist die Kommunikation auf einen Schlag zusammengebrochen – es gab zuvor keine Störungen oder Übertragungsfehler, die eine Fehlfunktion angekündigt hätten. Es sind einfach sämtliche Hyperfunksignale aus dem System abrupt verstummt. Wir wissen inzwischen von der Terranischen Union, dass man dort aktuell ebenfalls keinen Kontakt zu Imart hat. Wie du dir vorstellen kannst, möchten wir in dieser Sache nicht Terraner oder gar Mehandor um Hilfe bitten. Allerdings haben wir von einem Frachtraumer der Galaktischen Händler die Information erhalten, dass er vor einiger Zeit problemlos von unserer Handelsniederlassung auf Imart starten konnte und auch die Transition aus dem Canopussystem problemlos gelungen ist. Aber das war deutlich, bevor die Verbindungen alle ausgefallen sind.«
»Gut«, entschied Atlan. »Ich habe einen Notfall an Bord, aber ich kann zumindest nachsehen, ob es einen offensichtlichen Grund für die Unterbrechung der Kommunikation gibt. Den Rest muss dein Konvoi übernehmen.«
»Ich danke dir. Die Republik Arkon weiß deinen Einsatz zu schätzen, Atlan!«
Atlan verabschiedete sich, schaltete ab und legte sich einen Plan zurecht. Dann aktivierte er eine Hyperfunkverbindung zum Stellvertretenden Systemadmiral auf der Erde. Kurz umriss er dem Terraner, was er erfahren hatte.
»Ich weiß leider nicht mehr als Sie, Atlan da Gonozal.« Der Admiral grübelte. »Aber wenn Sie einen Zwischenstopp bei Imart einlegen könnten, wäre das hervorragend. Es ist nicht auszuschließen, dass der Fünf-D-Impuls, den Sie angemessen haben, mit Laumae zusammenhängt – und falls das der Fall ist, müssen wir das schnellstens erfahren.«
»Ich werde tun, was ich kann«, versprach Atlan. »Aber ich werde mich nicht lange aufhalten können. Ich muss dringend meine Reise nach Andromeda fortsetzen.«
»Das verstehe ich. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz.«
Atlan ließ von der Positronik der STAC einen neuen Kurs berechnen. Dabei erfuhr er, dass die Ortungssysteme des Forschungsraumers die Quelle des seltsamen Hyperimpulses zwischenzeitlich ermittelt hatten – der Ursprung lag interessanterweise exakt im Canopussystem, das er nun anzufliegen plante.
Ihm blieben noch fünfzehn Zentitontas Zeit bis zum Start der Überlichtphase. Er verließ die Zentrale und begab sich ins nächsttiefere Deck zu der Stasiskapsel, in der sein Sohn ruhte.
Durch die Glassitverkleidung an der Oberseite des röhrenförmigen Medotanks betrachtete er Eric Weidenburns Gesicht. Mirona Thetin hatte ihren gemeinsamen Sohn vor Atlan versteckt, hatte ihn in die Obhut von Pflegeeltern gegeben, um seine Herkunft zu verschleiern. Erst viele Jahre später hatte Atlan von der Existenz seines Sohns erfahren. Und nun war Eric mehr tot als lebendig.
»Fünf Zentitontas bis zum Übertritt in den Hyperraum«, informierte ihn die Schiffspositronik.
Atlan da Gonozal schlug die Augenlider nieder und sammelte sich. Dann gab er sich einen Ruck und ging ohne Eile zur Zentrale zurück.
3.
Die Freuden einer Flatterratte
Kurze Zeit vor Imari Neubers Zusammenbruch