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Das Jahr 2037: Es ist ein Alptraum für jene Menschen, die mit Perry Rhodan zusammen den großen Sprung zur fernen Sonne Arkon unternehmen wollten. Sie sind Gefangene - und als solche geraten mitten in eine mörderische Raumschlacht. Zwischen den zerbrochenen Monden der Sonne Tatlira tobt der Krieg interstellarer Mächte: Die riesenhaften Naats treffen mit ihren Raumschiffen auf die echsenartigen Topsider. Es ist eine sinnlose Schlacht, die Zigtausende von Opfern fordert. Perry Rhodan weiß, dass die Soldaten auf beiden Seiten von verbrecherischen Vorgesetzten in den Tod geschickt werden. Sein Ziel ist, das Gemetzel zu stoppen. Doch zuerst muss er selbst einmal überleben ...
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Band 35
Geister des Krieges
von Christian Humberg
Das Jahr 2037: Es ist ein Alptraum für jene Menschen, die mit Perry Rhodan zusammen den großen Sprung zur fernen Sonne Arkon unternehmen wollten. Sie sind Gefangene – und als solche geraten mitten in eine mörderische Raumschlacht.
Zwischen den zerbrochenen Monden der Sonne Tatlira tobt der Krieg interstellarer Mächte: Die riesenhaften Naats treffen mit ihren Raumschiffen auf die echsenartigen Topsider. Es ist eine sinnlose Schlacht, die Zigtausende von Opfern fordert.
»Jeder übermäßig großen Versammlung gleichdenkender Individuen, und seien ihre Absichten auch noch so rechtschaffen, haftet ein Hauch von Lynchmob oder Lemming-Wanderung an.«
P. J. O'Rourke
Prolog
Tod eines Riesen
Der Leviathan starb.
Die blinkenden Warnleuchten bestätigten es ebenso wie das klagende Geheul der Alarmsirenen. Laut röhrten die Triebwerke, das Herz des Leviathans, ihren Todesschrei in die ewige Nacht des Alls, das diesen umgehend verschluckte. Einzig im Innern des Leibes aus Stahl und Technik hallte das Röhren durch Korridore, bohrte sich in Köpfe und Gedanken, befeuerte es die Panik.
Der Koloss erreichte sein Ziel – doch nicht als Sieger, sondern als Gefallener. Aus dem Triumphzug wurde ein Absturz.
Später, als alles vorüber und der Koloss kaum mehr als ein rauchender Haufen Schrott auf feindlichem Boden war, verließ ihn nach dem Glück auch seine Besatzung.
Doch die Gegenwehr der Feinde hatte nicht nachgelassen. Die Echsen schienen nicht zufrieden damit, das gewaltige Schiff vom Himmel geholt zu haben. Nun, da es reglos auf dem Bruchstück ihres Mondes lag und in unzähligen Feuern brannte, richteten sie ihren Zorn gegen jene, die den Absturz überlebt hatten.
Ein Naat nach dem anderen bezahlte den Versuch, die topsidische Festung im Nahkampf zu erobern, mit dem Leben. Die Schlacht hatte im All begonnen, doch sie wurde am Boden fortgeführt.
Am Abgrund
»Kann ich dir behilflich sein, Perry?«
Rhodan wirbelte herum. Kein Angreifer war in seine Zelle eingedrungen, sondern ein Freund.
In seinem arkonidischen Kampfanzug bot der Teleporter Ras Tschubai einen eher ungewohnten Anblick, doch er hatte auf den Helm verzichtet, und Rhodan sah ihn schmunzeln.
»Du kommst wie gerufen«, murmelte Rhodan erschöpft. Die Gefangenschaft an Bord der ITAK'TYLAM hatte ihm mehr zugesetzt, als er sich bislang hatte eingestehen wollen. Es tat gut, zumindest einen Teil der inneren Frustration fahren lassen zu dürfen.
Tschubai streckte den Arm aus. Seine Hand steckte in einem Handschuh. »Wollen wir?«
Abermals vibrierte das Deck. Rhodan, der gerade aufstand, kam ins Schwanken. Was immer draußen im All vor sich ging, es schien minütlich intensiver zu werden. »Und ob wir wollen«, antwortete er und ergriff die Hand seines Gefährten.
Tschubais Gabe faszinierte ihn nach wie vor. Trotz allem, was in den vergangenen Wochen und Monaten geschehen und ans Licht gekommen war, staunte er mitunter über die Wendungen, die sein Leben – und die Existenz der gesamten Menschheit – seit dem schicksalhaften Mondflug der STARDUST genommen hatten. Und er hoffte, die positiven Veränderungen – das Wissen über zur Teleportation fähige Mutanten war definitiv eine solche – nie als gewöhnlich hinzunehmen.
Im Bruchteil einer Sekunde materialisierten er und Tschubai in einem anderen Raum. Rhodan sah sich um. Der Raum war kaum größer als die Umkleide im NASA-Trainingscenter von Nevada Fields. Die Wände waren glatt und metallisch grau, der Boden stand ihnen in nichts nach. Mehrere Konsolen und Interfaces waren in die Wände eingelassen. Rhodan sah blinkende Anzeigen, erhellte Holografiken. Die Luft roch ein wenig nach Rauch, und das Licht, das die Leuchtkörper von der Decke verströmten, flackerte bei jeder Erschütterung des Schiffes.
Letzteres schien die anderen Anwesenden nicht sonderlich zu stören.
»Schaut mal, wen ich gefunden habe«, sagte Tschubai ein wenig keuchend. Die Anstrengung der Teleportation stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Tatjana Michalowna und Anne Sloane sahen auf, und ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf ihre Züge. Michalowna stand nahe der Tür, die vermutlich aus dem kleinen Raum auf den Korridor führte. Sie war geschlossen. Die russische Telepathin wirkte hoch konzentriert. Schweißtropfen glänzten auf ihrer Stirn, und ihren Wangen fehlte es deutlich an Farbe.
Sie horcht, vermutete Rhodan. Die Mutantin hielt Wache, indem sie sich mental auf den Korridor fokussierte. Obwohl Rhodan unendlich erleichtert war, sie lebend wiederzusehen, nickte er nur. Er wollte sie nicht stören.
Crest saß in einer Ecke und arbeitete an einer Konsole; er drehte sich nicht um. Rhodan trat zunächst zu Anne Sloane. Die sonst so lebensfrohe US-Amerikanerin wirkte wie ein Schatten ihrer selbst. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, und es entging Rhodan nicht, wie nervös sie war. Sie fühlte sich in diesem Versteck nicht sicher, das spürte er. Und sie ahnte wohl, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man sie entdeckte.
»Wie geht es euch?«, fragte er leise. Ein dumpfer Schmerz pochte hinter seiner Stirn, erste Trotzreaktion seines Körpers auf die Müdigkeit, die er verspürte. Aber er wusste, dass er ihr nicht nachgeben durfte. Nach der elend langen Gefangenschaft sah es so aus, als könne er endlich wieder handeln!
»Besser«, antwortete Sloane mit einem Seufzen. »Allmählich scheinen sich Chancen für uns herauszukristallisieren.« Sie nickte in Richtung des Arkoniden.
Rhodan schob das Gespräch mit diesem noch auf. Vorher wollte er mehr von Sloane und Tschubai erfahren. Nach all der Zeit, in der er nicht gewusst hatte, ob seine Begleiter überhaupt noch lebten, brauchte er dringend ein paar Auskünfte.
»Was ist geschehen?«, fragte er leise. »Ich saß in einer Zelle fest, seit wir über Morsekode miteinander kommunizierten. Toreead zwang mich von Bord der TOSOMA und hierher auf die ITAK'TYLAM, doch anstatt mich auszufragen oder irgendeinen anderen Nutzen von mir zu gewinnen, sperrte mich der Naat einfach ein und ging. Was war mit euch?«
Mit wenigen Worten beschrieb Sloane, was sie und die anderen seit dem letzten Kontakt zu Rhodan erlebt hatten. Allzu erbaulich war ihr Bericht nicht. »Wir haben die anderen so gut im Auge behalten, wie es uns möglich war, ohne selbst entdeckt zu werden. Dank Crests Wissen über arkonidische Schiffe und Ras' Talent zur Teleportation waren wir den Naats bislang immer einen Schritt voraus. Nur scheitern wir an dem Gefängnis, in das sie die anderen gesteckt haben.«
Rhodan atmete tief durch. Die restliche Besatzung der TOSOMA war also ebenfalls an Bord! Er hatte es gehofft, aber kaum zu denken gewagt. »Wo befinden sie sich?«, hakte er besorgt nach.
»Man hat sie ebenfalls hierher verfrachtet, genau wie dich«, antwortete Tschubai an Sloanes Stelle. »Sie sind in einem Frachtraum gefangen. Ich habe selbst gesehen, wie die Naats einen gewaltigen Energieschirm rings um den Hangar errichteten – hätte ich mich nicht durch einen glücklichen Zufall auf der anderen Seite befunden, säße ich dort fest.«
Rhodan begriff – auch was den Sudanesen daran so frustrierte. Der Energieschirm sperrte nicht nur die TOSOMA-Besatzung ein, sondern gleichzeitig den Teleporter aus. Tschubai konnte ihn nicht durchdringen, den Gefangenen nicht helfen.
Und ich bekam von Toreead eine Einzelzelle?, wunderte sich Rhodan. Aus welchem Grund? Wieso bin ich besonders? »Tako?«, fragte er. »John? Was ist mit ihnen?«
Sloane schüttelte den Kopf. »Sitzen genauso fest wie alle anderen. Sie leben, das ja. Aber die Naats blockieren ihre Parafähigkeiten. Unsere Freunde können nichts für uns tun, fürchte ich. Und für sich selbst auch nichts.«
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?, dachte Rhodan grimmig und schloss für einen Moment die Augen. Dann vibrierte der Boden unter seinen Füßen, diesmal stärker.
»Direkter Treffer«, meldete Crest nüchtern von seiner Konsole. Der Arkonide schenkte den Anzeigen nach wie vor seine volle Aufmerksamkeit und hatte Rhodans Eintreffen bislang mit keinerlei Regung gewürdigt. »Nennen Sie mich einen Pessimisten, wenn Sie mögen, aber ich bezweifle stark, dass dieser Angriff in etwas anderem als einer Katastrophe für unsere Gastgeber endet.«
Rhodan hob die Brauen. Er eilte zu Crest und sah auf die Anzeigen, die vor dem Arkoniden aufblinkten. Viel verstand er auf die Schnelle nicht, doch das wenige bestätigte Crests Worte schon – und den Rest ergänzte der Arkonide mit weiteren Erklärungen.
»Ist das Rayold I?«, fragte Rhodan und deutete auf etwas, das er als grafische Darstellung eines Kampfschauplatzes interpretierte. Crest musste die Bordpositronik aktiviert und sich einen bislang unbemerkten Zugriff auf das schiffsinterne Datennetz erschlichen haben.
Der Arkonide nickte. »Novaals Verband greift die topsidische Festung mit allem an, was ihm zur Verfügung steht. Die Schäden halten sich bislang aber in Grenzen – was man von denen, die die Gegenseite erzielt, allerdings nicht sagen kann.«
Rayold war die letzte Bastion vor dem Feind, Topsids einzige verbliebene Defensive in dieser Gegend. Wenn die Festung fiel, stand nichts mehr zwischen den Naats und dem topsidischen Raum.
Rhodan setzte sich und ließ sich das Kampfgeschehen schildern. Fasziniert betrachtete er die Anzeigen.
»Die Naats stießen schon früh auf Widerstand«, sagte Crest. »Topsid begegnete ihnen mit dreißig Schiffen, kaum dass sie angekommen waren, und hatte nochmals etwa dreißig, die aus einem Versteck heraus angriffen. Rayold I ist ein Mondbruchstück, von denen es hier insgesamt sechsundfünfzig gibt – die bieten den Topsidern viele Möglichkeiten, Impulskanonen zu positionieren und Kampfschiffe vor Angreifern zu verbergen.«
»Dennoch haben die Naats durchgehalten«, sagte Rhodan. Es lag auf der Hand, andererseits erkannte er es allmählich selbst in den Darstellungen auf der Konsole.
»Länger als Topsids erste Verteidigungslinie«, bestätigte der Arkonide. Irrte sich Rhodan, oder klang Crest überrascht? »Dennoch brach die KEAT'ARK durch. Sehen Sie, hier!«
Rhodans Blick folgte dem ausgestreckten Finger seines alten Begleiters. Dann stutzte er. »Sie ist abgestürzt! Novaals Schiff ging auf Rayold I nieder.«
Crest widersprach nicht.
»Das erklärt die Erschütterungen«, fuhr Rhodan fort. »Rayold wehrt sich gegen die Invasoren.« Und wir sitzen auf einem Schiff derer fest, die diesen Kampf laut Crests Einschätzung verlieren werden. Kein angenehmer Gedanke. »Welche Funktion erfüllt die ITAK'TYLAM bei diesem Angriff?«
»Sie befindet sich nicht an vorderster Front; so viel Glück haben wir dann doch.« Crest deutete auf eine Ecke der Darstellung, in der Rhodan Novaals Flotte erkannte. »Eher deckt sie dem Verband gerade den Rücken, aber auch das wird nichts an ihrem Schicksal ändern.«
Rhodan stutzte. Crests Fatalismus, dazu so vollkommen gefasst und ruhig vorgetragen, verwunderte ihn.
»Ich fürchte, die Naats sind tatsächlich nicht mehr als tumbe Kampfmaschinen«, ergänzte der Arkonide, dem Rhodans fragender Blick nicht entgangen war. »Sie verfügen mit der ITAK'TYLAM und dem restlichen Verband zwar über durchaus beeindruckende Möglichkeiten und dürften gegenüber der Festung von Rayold I waffenmäßig ganz klar die Überlegenen sein, aber sie schaffen es trotzdem nicht, aus diesem Vorteil einen nennenswerten Nutzen zu ziehen. Die Topsider dort unten wehren sich nicht nur, sie gewinnen.«
Tumbe Kampfmaschinen. Harte Worte, die in Rhodans Geist ein wenig nachhallten. Crest war in mancherlei Hinsicht ein untypischer Arkonide, das wusste Rhodan, doch selbst er war nicht gegen die Arroganz gefeit, mit der seine Spezies den hünenhaften Naats begegnete. Wäre ihm dies bewusst, es hätte den Arkoniden womöglich beschämt. Rhodan beschloss, die Formulierung und das, wofür sie stand, fürs Erste nicht weiter zu thematisieren.
»Sie sehen das, Crest, aber Novaal bemerkt es nicht?«, wunderte er sich stattdessen laut. Unvorstellbar, dass man in der Zentrale dieses Schiffes nicht längst die gleichen Schlüsse gezogen hatte wie der Arkonide.
»Oh, er sieht es ganz sicher«, erwiderte Crest sachlich. »Aber er reagiert nicht darauf. Ich bin kein Angehöriger des Militärs, Rhodan, aber für mich ist die drohende Niederlage der Naats unverkennbar. Die Tatsache, dass die Angreifer trotz aller Verluste nicht nachlassen, Rayold unter Beschuss zu nehmen, beweist mir ihre mangelnde geistige Eignung für derlei Unterfangen.«
Es war klar, was hinter den Worten steckte: Dieser Angriff wurde Crests Einschätzung nach nicht von Strategen geführt, sondern von eindimensional denkenden Sturköpfen – wenngleich sich der Arkonide da vermutlich gewählter ausgedrückt hätte.
Und noch etwas ist erschreckend offensichtlich. »Wir müssen von Bord. Umgehend!«
Crest nickte abermals. »Meines Wissens hat Miss Sloane diesbezüglich schon eine Idee.«
Plötzlich konnte sich Rhodan nicht mehr zurückhalten. »Darf ich Sie etwas fragen, Crest?«, sagte er, und für einen kurzen Moment besiegte Verwunderung seine Sorge. »Woher nehmen Sie nur Ihre Ruhe? Die ITAK'TYLAM zittert und bebt unter dem Beschuss der Topsider, unsere Freunde befinden sich in der Gewalt der Naats – und doch machen Sie auf mich den Eindruck, als verspürten Sie nicht einmal den Anflug von Sorge.«
Die Mundwinkel des Arkoniden zuckten leicht. Er wirkte amüsiert. »Weil ich nicht um mein Leben fürchte«, antwortete er. »ES wird mir den Zellaktivator schließlich nicht gegeben haben, damit ich hier und heute sterbe.«
Rhodan kniff die Lider enger zusammen. Crest gefiel ihm nicht: erst die Arroganz gegenüber den Naats, jetzt das nahezu blinde Vertrauen in ein vom Zellaktivator symbolisiertes besseres Schicksal?
Er verkniff es sich, den Arkoniden auf die Wahrheit hinzuweisen. ES, dieses Unsterblichkeit spendende Geisteswesen, hatte sein Geschenk eigentlich ihm angeboten. Erst als er es ablehnte, hatte ES den Zellaktivator Crest offeriert.
Trügerische Sicherheit. So hatte sein Fahrlehrer es damals in Connecticut genannt. Die Erinnerung, gerade einmal gute zwanzig Jahre alt, schien aus einem anderen, früheren Leben zu stammen. So viel war seit jenen Tagen geschehen. Dennoch hörte Rhodan die Worte des Ausbilders plötzlich wieder so deutlich, als wären sie erst gestern gefallen.
»Du bist mir zu halsbrecherisch, Perry«, hatte der Mann ihn nach ihrer ersten gemeinsamen Stunde getadelt. »Du fährst, als könne dir nichts passieren, solange du nur die Hände am Lenkrad hast. Du bist dir zu sicher. Ein Anfänger kann aber keinen größeren Fehler begehen, als sich zu sicher zu sein.«
Was den Zellaktivator betraf, war Crest ein Anfänger. Und er agierte mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der sich für unzerstörbar hielt. Rhodan wusste, welche Gefahr solche Personen darstellen konnten. Sie neigten dazu, unnötige Risiken einzugehen.
Ein Grund mehr, schnellstens von hier zu verschwinden. Er wandte sich um. »Ich höre, Anne. Wie lautet deine Idee?«
Die Frage schien eine Art inneren Schalter bei der dunkelhaarigen Telekinetin umzulegen. Von einem Moment zum anderen verströmte sie wieder die Energie und die Willenskraft, die Rhodan an ihr schätzte. »Wir machen uns an den Schirmfeldprojektoren zu schaffen, die die Gefangenen im Hangar bannen. Crest hat ihre Position herausgefunden, und Ras kann hinteleportieren und die Projektoren sabotieren. Wenn die energetische Kuppel nicht länger existiert, erobern wir die ITAK'TYLAM! John, Tako und die anderen werden uns dabei helfen. Wir bewaffnen unsere behelfsmäßige Armee mit allem, was wir finden können, und zwingen die Naats in die Knie. Sie rechnen nicht mit unserer Gegenwehr – diesen Fehler müssen wir ausnutzen!«
Rhodan war höflich genug, sie ausreden zu lassen, wusste aber schon nach dem ersten Satz, dass dieser Plan den Namen nicht verdiente. Aus Anne sprach keine Vernunft, sondern reiner Aktionismus. Sie wollte handeln, genau wie er, aber vor lauter innerem Drang ließ sie die Besonnenheit vermissen, die für einen Erfolg unverzichtbar war. Was sie vorschlug, würde zu einem Massaker führen.
»Vorsicht!«, versuchte er es diplomatisch. »Wir dürfen die Naats nicht unterschätzen. Das Überraschungsmoment allein garantiert uns noch längst keinen Sieg.«
Anne Sloane schnaubte. »Diese nasenlosen Riesen täten gut daran, uns nicht zu unterschätzen.«
»Mag sein«, warf Ras Tschubai ein. Er saß neben Sloane auf dem Boden und sah zu ihr und Rhodan. »Aber ich stimme Perry zu. Wenn wir einfach drauflosstürmen, werden wir Leute verlieren. Dieser Kampf wird Tote fordern, viele Tote.«
»Und was, glaubt ihr, wird sein, wenn wir das Geschehen weiterhin nur stumm beobachten?« Sloane sprach nach wie vor leise, doch ihr Tonfall wurde dringlicher, wütender. »Dann sterben alle. Das geschieht! Jeder Einzelne von uns. Und die Kameraden unten im Hangar. Jeder einzelne Naat, der nicht einsehen will, dass er den Topsidern unten auf Rayold nicht gewachsen ist. Wir werden in einem Krieg zweier Sternenreiche aufgerieben, mit dem wir nichts zu tun haben, Freunde! Nein – wenn ich schon gehen muss, dann als Schmied meines eigenen Glücks.«
Rhodan nickte nachdenklich. Sloanes Überlegungen waren alles andere als unhaltbar, das wusste er. Und dennoch ...
Schweigend lauschte er in den Bauch der ITAK'TYLAM hinein, hörte das leise Surren des Lebenserhaltungssystems, spürte die sanften Vibrationen der Triebwerke im Deck unter seinen Füßen. Und er ahnte die Schlacht, die jenseits der Außenwände des stolzen Schiffes tobte.
»Du hast recht, Anne«, sagte er schließlich. »Und du, Ras. Aber ich glaube, wir kommen weder durch einen Überraschungsangriff aus unserer Lage, noch indem wir abwarten und hoffen.«
»Hast du etwa einen besseren Vorschlag?«, blaffte Sloane ihn an
Perry Rhodan sah ihr ins Gesicht. »Ich glaube, den habe ich tatsächlich.«
Die Feuer waren überall. Immer wieder brachten ferne Detonationen das gesamte Schiff zum Zittern. Selbst in der Zentrale loderte es flammend hell, hing dunkler, ätzender Rauch unter der Decke. Novaal, Reekha der 247. Vorgeschobenen Grenzpatrouille, stand an einer der wenigen noch zu rudimentären Funktionen fähigen Konsolen und fluchte leise in den Helm seines arkonidischen Kampfanzugs.
Unmöglich! Was er da sah, konnte nicht sein. Die KEAT'ARK war ein arkonidisches Schiff, ein Flaggschiff sogar. Sie war gebaut, selbst Belastungen wie dieser standzuhalten. Ihr innerster Bereich hätte dem Feuer und der Zerstörung mühelos die Stirn bieten sollen. Doch die flackernden Anzeigen der Positronik bewiesen das Gegenteil.
Wieder und wieder rief sich Novaal Statusaktualisierungen der einzelnen Bordfunktionen auf, kontrollierte den Zustand der verschiedenen Abteilungen. Wohin er auch sah, fand er nichts als Vernichtung.
Nur Starke überlebten. Diese simple Wahrheit war ein Grundpfeiler der Naat-Kultur und Novaal so vertraut wie sein eigener Körper. Bislang war er stets der Starke gewesen. Er weigerte sich zu glauben, dass es an diesem Tag anders kommen würde.
Die Evakuierung war bereits in vollem Gang. Er hatte sie selbst angeordnet, denn er wusste, dass die KEAT'ARK über jedwede Rettung hinaus war. Nichts, was er und seine Besatzung versuchen mochten, würde das Schicksal, das dem Schiff drohte, noch abwenden können. Wer brennend und geschlagen auf der Oberfläche eines Gesteinsbrockens abgestürzt war, gewann keine Schlachten mehr.
Die Schutzschirme sind zusammengebrochen!, erkannte Novaal aus den Anzeigen. Gleiches galt für die Waffensysteme und die primäre Energieversorgung. Kurz erwog er, es mit den sekundären Systemen zu versuchen, verwarf den Gedanken aber schnell. Welchen Nutzen brächten sie ihm? Weder würden sie die Schildprojektoren wiederbeleben noch ihm die verlorene Kontrolle über die Thermokanonen und Raumtorpedos zurückgeben können. Es war vorbei.
Und draußen wartete der Feind. Die Topsider in der Festung von Rayold I, dem Ziel von Novaals misslungenem Angriff, wehrten sich nach Leibeskräften. Rayold I war ihre Zentrale, das wusste er. Als entsprechend gut erwies sich ihre Bewaffnung.
Novaal hatte bereits jedes Besatzungsmitglied, das einsatzbereit war, in den Bodenkampf geschickt und auch die ihm verbliebenen Kampfroboter eingesetzt, um aufseiten der Naats einen Unterschied zu bewirken. Die KEAT'ARK war Geschichte, aber die Schlacht um Rayold I noch längst nicht geschlagen.
Nur Starke überlebten. Und er, Novaal, war alles andere als tot.
Entschlossen riss er sich von der Konsole los und brach auf. Es kostete ihn einiges Geschick, die Feuer und Funkenregen zu umgehen, die überall in der Zentrale wüteten, doch er schaffte es. Im Korridor rannte er los. Der Plan war klar – er musste raus aus diesem Wrack, bevor es sich gänzlich den Flammen und der Zerstörung ergab. Die übrige Besatzung war inzwischen im Freien angekommen, hielt auf die Festung zu. Es wurde Zeit, dass es ihr Kommandant ihnen gleichtat. Als Reekha hatte Novaal abgewartet, bis er der Letzte an Bord war. So, fand er, gehörte es sich für eine Person seines Ranges.
Novaal sputete sich. Mit wenigen Schritten erreichte er den Einstieg des Katapults. So nannte die Besatzung das ebenso lange wie enge Röhrensystem, das den Führungsstab der Zentrale in Notfällen blitzschnell aus dem Schiffsinneren und ins Freie befördern sollte. Novaal öffnete die Einstiegsluke in der hinteren Zentralewand. Obwohl es die Vorschriften verletzte, verzichtete er darauf, sich komplett festzuzurren. Die schalenartige Pritsche, in der er rücklings lag und ins Röhrendunkel blickte, würde ihn auch so nicht verlieren. Und die Zeit drängte.
Einzig die transparente Schutzkuppel zog er über sich. Nun würde ihn wenigstens kein Trümmerstück treffen, wenn er im Wahnsinnstempo durchs Schiffsinnere geschossen wurde. Novaal hob noch einmal die Hand und berührte die kleine Konsole, die auf Kopfhöhe in die Pritsche integriert war – und sofort ging die Fahrt los.
Bis zum Hangar, seiner Endstation, dauerte es nur Augenblicke. Novaal schwindelte ein wenig, als er, kaum dort angekommen, die Kuppel wegwarf und sich wieder aufsetzte.
Weiter!, befahl er sich und verdrängte die Übelkeit. Dann sah er sich um.
Das Außenschott des gewaltigen Frachtraumes existierte nicht mehr. Wo es sich befunden hatte, prangte nun ein nahezu kreisrundes, mehrere Meter durchmessendes Loch, dessen Ränder verschmort waren und noch immer qualmten. Novaal wusste, dass es den schnellsten Weg von der Zentrale hinaus auf den Gesteinsbrocken darstellte, der zum Grab der KEAT'ARK geworden war. Und auf Schnelligkeit kam es nun mehr denn je an.
Er wollte gerade auf das Loch zulaufen, da packte ihn etwas am Bein. »Reekha!«
Novaal blieb stehen.
»Reekha«, wiederholte die Stimme schwach. Flehend.
Novaal sah zu der behandschuhten Hand, die sich zitternd an sein Bein zu klammern trachtete, und ging in die Hocke. Ein verschütteter Soldat.
Die Flucht von Bord des brennenden Schiffes hatte für ihn ein jähes Ende genommen, denn die Decke des Hangars war eingestürzt und hatte ihn unter sich begraben. Er lag bäuchlings am Boden, fixiert von der Last auf seinem Rücken, seinen Beinen und seinen Schultern. Novaal erkannte schnell, dass der verletzte Soldat sich nicht aus eigenen Stücken würde befreien können.
Verdammt!
Abermals ließen Explosionen das Wrack erbeben. Funken regneten aus dem Chaos herab, als wollten sie Novaal an seine Prioritäten erinnern. Doch er wusste auch so, was er zu tun hatte. Was die Situation erforderte. Und er wusste ebenso, dass er es nicht über sich brachte.
Ich muss dich zurücklassen. Die Zeit drängt. Jeden Augenblick kann das gesamte Schiff in die Luft gehen und mich mit sich reißen. Aber ich darf nicht einfach gehen. Der Kampf ist noch nicht entschieden. Die Besatzung braucht mich an der Front.
Er war der Reekha, trug Verantwortung für die, über die er befahl. Es war seine Pflicht, an ihrer Seite zu stehen. Allerdings gebot es die Ehre auch, Hilflosen zu helfen. Der Mann drohte zu verbrennen oder zu ersticken. Welcher Naat ließ einen flehenden Bruder im Stich?
Einer, der leben muss, dachte Novaal. Dann griff er zur Waffe.
Der Versuch, den Kameraden einfach freizuschneiden, misslang. Für jede Last, die Novaal über ihm durchtrennte, schienen zwei neue aus dem Chaos an Trümmern und Schutt nachzurutschen, unter dem er begraben lag. Novaal suchte nach neuen Ansätzen oder neuen Winkeln, aber die KEAT'ARK schien ihren Gefangenen nicht hergeben zu wollen.
»Kannst du mich verstehen?«
Keine Reaktion. Der Soldat war wohl ohnmächtig geworden.
Novaal wollte schon aufgeben, als ihm plötzlich eine Idee kam. Konzentriere dich auf das Wesentliche! Er brauchte nicht das Chaos zu beseitigen. Dem Soldaten war vermutlich schon mit einem kleinen Fluchtweg geholfen.
Ächzend packte Novaal zu. Der arkonidische Kampfanzug, den er trug, steigerte seine Muskelkraft auf höchst praktische Weise, und es gelang ihm, eine der kleineren Deckenplatten zur Seite zu schieben. Darunter kamen schmalere Träger zum Vorschein. Novaal richtete den Strahler auf sie und durchtrennte einen nach dem anderen. Mit Geduld und Geschick gelang es ihm so, dem Begrabenen ein wenig Luft zu verschaffen. Doch genügte das?
Vorsichtig ließ Novaal die Platte, die er gerade anhob, sinken und atmete tief durch. So wird das nichts, begriff er. Hilfe hin oder her – die Verletzungen des Soldaten waren vermutlich zu schwer, als dass er aus eigener Kraft aus seiner misslichen Lage kriechen konnte. Was tun?
Ratlos sah Novaal sich um, fand aber nichts. Und die Zeit lief unerbittlich weiter.
Mit der Rechten packte er abermals die Kante einer Stahlplatte, sorgsam darauf bedacht, sich an ihr nicht den Handschuh zu zerschneiden. Mit links griff er gleichzeitig nach dem vordersten der kleinen Trümmerstücke der Stützträger, die verbogen und krumm zwischen dem Hangarboden und den Deckenresten klemmten. Er konzentrierte sich, schloss die Augen, presste die Kiefer aufeinander, bis es fast schon schmerzte – und legte los.
Der erste Versuch kostete ihn fast das rechte seiner kurzen Säulenbeine. Vor lauter Konzentration auf die Platte und den Träger entging ihm das scharfkantige Stück Wandverkleidung, das von Ersterer rutschte, als er sie erneut anhob. Es glich einem Wunder, dass das Ding ihm nicht die Anzughose, die Haut und die Muskelstränge durchschnitt, als es zu Boden fiel.
Weiter!, trieb sich Novaal an. Mir fehlt die Zeit für ein Was wäre, wenn!
Versuch zwei war von deutlich mehr Erfolg gekrönt, doch das Trägerstück noch immer nicht in der richtigen Position. Novaal schluckte, spannte die Muskeln an und gab ein letztes Mal alles.
Es gelang. Während er mit seiner Kraft und der Hilfe des Kampfanzuges die Stahlplatte anhob, zog er gleichzeitig seine behelfsmäßige Stütze an die Stelle, die ihm am geeignetsten erschien. Das Material protestierte zwar knarrend und quietschend gegen diese Behandlung, der Stabilität des Provisoriums, das Novaal gebaut hatte, tat dies aber keinen Abbruch.
Keuchend ging der Reekha in die Hocke. Für einen kurzen Moment tanzten helle Punkte der Überanstrengung vor seinen Augen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Erst als er die Arme ausstreckte und den Verwundeten packte, begriff er, dass dieser längst das Bewusstsein verloren hatte. Er würde nicht aufstehen und selbstständig das Wrack der KEAT'ARK verlassen können.
»Vergiss es!«, knurrte Novaal. Es fiel ihm schwer, dem Soldaten seine mangelnde Mithilfe nicht übel zu nehmen – so absurd das auch war. »Du entkommst mir nicht mehr, hörst du?«
Ohne zu zögern, beugte er sich vor und zog den Regungslosen aus dem Gewirr aus Schrott und dunklem Rauch. Beruhigt stellte er fest, dass die Positronik des Kampfanzuges, in dem der Soldat steckte, weniger Schaden genommen hatte als ihr Träger. Novaal synchronisierte ihre Frequenzen mit denen seines eigenen Kampfanzugs und koppelte beide aneinander. Der Prozess dauerte nur Sekunden, würde aber, wenn tatsächlich alles gelang, den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Versuchen wir's,