Peter Brauer - Gerhart Hauptmann - E-Book

Peter Brauer E-Book

Gerhart Hauptmann

0,0

Beschreibung

Die 1921 erschienene Tragikomödie von Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann. Der Berliner Maler Peter Brauer hat sich ganz seiner Kunst verschrieben. Seine Familie und sein Umfeld bringen seinem Schaffen nur wenig Verständnis entgegen, zumal sein finanzielles Auskommen zu wünschen übriglässt. Als Brauer mit dem Händler Carlowitz über eine unbezahlte Rechnung in Streit gerät, ist die finanzielle Misere perfekt. Eine Geschäftsreise nach Ratibor soll die Wendung bringen.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 108

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gerhart Hauptmann

Peter Brauer

Tragikomödie

Saga

Peter Brauer

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1921, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956894

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Dramatis Personae

Peter Brauer, Maler Thekla, seine Frau Erwin,Klara, deren Kinder Carlowitz, Althändler Krebs, Gastwirt Frau KrebsAnneliese, Hellmut, ihre Kinder Karoline, Dienstmädchen bei Krebs Fritz, Kellner bei Krebs Johann, Hausknecht bei Krebs Schmolcke, Photograph Von Schultzen, Major a. D. Herta Von Schultzen, seine Tochter, Johanniterschwester Von Behaimb seniorFrau Von BehaimbVon Behaimb junior, Gardehusaren-Rittmeister Lachs, Bankier Gräfin von Fischbacher,Graf von Hohenhahn,William James Dalziel, Maler, Gäste bei Behaimb Zahn, Kreistierarzt Tschache, Assessor Graf EdwinDallwig, cand. theol., Pfleger und Erzieher des Grafen Edwin Neumann, Arbeiter Dorfkinder

Die Handlung spielt in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Erster Akt

Peter Brauers kleines Studio im vierten Stock eines Hinterhauses im Potsdamer Viertel zu Berlin. Die Tür rechts ist der Separateingang vom Hausflur. Die Tür links verbindet mit der kleinen Wohnung, die Brauers Familie innehat. Der Raum enthält an Möbeln nur eine Feldbettstelle an der Hinterwand, eine Staffelei, ein sehr kleines Tischchen für Malutensilien und zwei Stühle. Ein abgetragener Radmantel liegt als zweite Decke auf dem Bett. Ein Kalabreser hängt auf dem Bettpfosten. Auf einem der Stühle steht ein alter Malkasten, geöffnet; eine ziemliche Anzahl Bilder in Blendrahmen sind rings gegen die Wand gelehnt. Was von den Malereien zu sehen ist, besteht in ganz minderwertigen Porträts des Kaiserhauses, Kopien nach gangbaren Öldrucken. Ein Bildnis des Kaisers Friedrich ist auf der Staffelei.

Das Licht fällt durch ein hochgelegenes, längliches Fenster der Hinterwand.

Unterm Bett steht ein Koffer; Kleidungsstücke hängen an den Türen. Eine Reihe alter Stiefeln ist an der Wand aufgereiht. Das malerisch-romantische Element vertritt ein vertrockneter Tintenfisch, der an einem Faden von der Decke baumelt.

Der Nachmittag eines dunklen Märztages. Peter Brauer steht, in Hemdsärmeln, malend vor der Staffelei. Er ist eine vollsaftige Erscheinung und markiert mit Spitzbart, Kalabreser und Tonpfeife den Niederländer. Er ist etwa fünfzig Jahre alt. Erwin Brauer, sein Sohn, ein sehr hübscher neunzehnjähriger Junge, sitzt auf der Feldbettstelle und schmökert in einem zerlesenen Buch.

Peter Brauer. Das merke dir: Velasquez! – Laß dich um Gottes willen von diesen Jüngelchen nicht ankränkeln! Diesen Klecksern, diesen Modernen, die noch nicht trocken hinter den Ohren sind. Mein unvergeßlicher Lehrer Löwekuhl ...

Erwin, zerstreut. Wie hat er geheißen, Papa?

Peter Brauer. Ja, du mußt schon zuhören, mein Junge, wenn du richtig verstehen willst. Ich habe von Velasquez gesprochen, Erwin! Und wenn dein Papa von Velasquez redet, so kannst du ganz ruhig deine Ohren ein bißchen spitzen, denke ich mir. – Mein alter Lehrer hieß Löwekuhl! – Na, Löwekuhl, der für seine Zeit, es waren die fünfziger und die sechziger Jahre, ein äußerst fortgeschrittener Künstler war, hat, ebenso wie alles, was gut und teuer ist, unter seiner Epoche zu leiden gehabt. Davon weiß ja auch ich ein Liedchen zu singen. – Übrigens geh doch mal in die Küche und sieh nach der Uhr, Erwin. Ich glaube, ich muß mich langsam zurechtmachen. Um sechs Uhr zwei geht mein Zug.

Erwin. Also fährst du bestimmt heut nach Ratibor, Papa?

Peter Brauer. Ich fahre bestimmt nach Ratibor! Oder zweifelst du etwa am Ende ebenfalls an meinen Worten, wie leider meistens deine Mutter und deine Schwester Klara tun? Erwin platzt über eine Stelle in seinem Buche heraus. Darf ich dich fragen, warum du lachst?

Erwin. Ich lache nicht etwa über dich, Papa. Der Fritz Kalkbrenner, der jetzt das Romstipendium auf unserer Akademie bekommen hat, weißt du ja, hat mir bloß einen ganz ungeheuer gemeinen Schmöker gegeben.

Peter Brauer. Na ja, so seid ihr jungen Leute von heute. Mama denkt immer, ihr seid alle die reinsten Unschuldslämmer und zu meiner Zeit wären wir alle liederliche Lumpen und Taugenichtse gewesen. – Übrigens muß ich mit dir mal ein ernstes Wort sprechen, Erwin! – Hör mal: unterstütze mich doch bei Mama! Sonst kann ich wahrhaftig nicht in die Provinz reisen.

Erwin. Inwiefern, Papa, soll ich dich unterstützen?

Peter Brauer. Wegen der fünfunddreißig Mark. Du weißt ja, ich habe beim Mittagessen schon mehrmals drauf angespielt. – Kinder, ihr müßt vernünftig sein. Deine Mama versteht in mancher Beziehung noch immer die Anforderungen des Daseins nicht ...

Erwin. Warum nicht, Papa? Ich verehre Mama in jeder Beziehung.

Peter Brauer. Verehre sie! Darum handelt es sich wahrhaftig nicht. Aber schließlich, wir beide sind Künstler: du und ich. Frau bleibt Frau! Natürlich kann eine Frau mir nicht das gleiche Verständnis wie du zum Beispiel entgegenbringen.

Erwin. Klara behauptet, daß jeder Versuch vergebens wäre. Mutter gäbe diesmal nicht eine Mark, geschweige fünfunddreißig heraus. – Ich habe es auch von Mutter selber.

Peter Brauer. Das zeugt, gelinde gesagt, von weiblichem Unverstand. Laß mal, sei du mal etwas einsichtig, lieber Sohn! Also: ich habe dir doch erzählt von der kleinen Gartenkapelle im Park von Exzellenz von Stolp auf seinem Gut in der Nähe von Ratibor. Ich habe den Auftrag in der Tasche. Du siehst, wie Mama und Klara mir zusetzen ... Schluß damit! Mitesser! Einlieger! Was weiß ich! Übrigens habe ich ja schon längere Zeit mit dem Magen zu tun und bei Tisch so gut wie gar nichts gegessen. Na kurz: die Frauensleute wollen mich fort haben. Ich soll verdienen! Ich soll aus dem Haus. Klara übertrifft womöglich die Mutter noch darin, ihrem alten Vater das Haus zu verekeln. Nun gut: ich will ja und muß ja fort! Schließlich brenn' ich ja selber darauf, fortzukommen. Ich habe, weiß Gott, noch einen ganz gehörigen Posten Arbeitslust – und jetzt will sie nicht mit dem Reisegeld herausrücken.

Erwin. Mama sagt, du schickst es ihr nicht zurück.

Peter Brauer. Nun, und was hast du darauf erwidert?

Erwinzuckt mit den Achseln, verlegen. Ja, sieh mal, Papa, in solche Sachen, da mischt man sich besser ...

Peter Brauer. Du hättest, nimm mir's nicht übel, Erwin, als echter und rechter Sohn, Charakter und Kunstgenoss' erwidern müssen: wenn Papa es gesagt hat – ein Mann, ein Wort.

Erwin. Wenn ich majorenn wäre, Papa, hätte ich dir's ja selbst gegeben.

Peter Brauer, erwärmt. Das weiß ich. Aber es freut mich trotzdem, daß du es sagst. Ich erwarte von dir nichts anderes, mein Junge. Du bist neunzehn Jahre, und du bist mein Sohn. Es ist mir in diesen neunzehn Jahren manchmal sauer genug geworden, aber ich habe doch den Mut nicht verloren und jeden Bissen Brot und jeden Pfennig mit euch geteilt. Er nimmt Palette, Malstock in die Linke, nähert sich seinem Sohne, setzt sich neben ihn auf die Bettstelle und legt ihm die rechte Hand zärtlich ins Genick. Erwin schmökert weiter, vornüber gebeugt. Von dir weiß ich wenigstens, daß du das im stillen doch immer anerkennst, mein Sohn. Dir wird es im Leben mal nicht so schwer werden. Du hast allerdings mein Talent geerbt und damit auch einen Teil von meinem Martyrium. Aber die Zeiten sind andere geworden. Sieh mal, ich war ein armer Lehrerssohn. Mein Vater war ein bornierter Abc-Pauker, der fünfundfünfzig Jahre in ein und demselben Dorfe Schulmeister war. Weder konnt' ich da auf Verständnis rechnen, noch genoß ich irgendeine Unterstützung von ihm. Im Gegenteil: wo er nur irgend konnte, hemmte er mich und hinderte mich! Wie in jeder Beziehung ganz anders und besser geht es da heute dir, mein Sohn! – Du mußt mir doch zugeben, daß du dich über Mangel an Verständnis von Seiten deines Papas nicht zu beklagen hast!

Erwin, abwesend. Aber ganz gewiß nicht, Papa.

Peter Brauer. Neidlos und freudig habe ich dein Talent von Anfang an ... ja dein überlegenes Talent anerkannt.

Erwin, wie vorher. Papa, du sollst mich nicht schamrot machen.

Peter Brauer. Ach was, glaub doch nicht, daß fortwährend mit einer ätzenden Spottlauge übergossen werden, wie's mir passiert ist, besser für die Entfaltung eines Talentes als loben ist. Wahr ist wahr. Mir haben sie ungestraft Unrecht über Unrecht getan! Dich werden sie nimmermehr unterkriegen! Und ich sage dir, Schlingel, es ist deine eigene Schuld, wenn du nicht in acht Jahren Königlich Preußischer Professor und hier in Berlin Akademielehrer bist.

Erwinklappt das Buch zu. Der Geheimrat hat zu Mama gesagt: wenn Talent da ist, wird sich was machen lassen.

Peter Brauer. Ein Mensch wie du, lieber Erwin, braucht dazu nicht einmal einen Geheimrat im Kultusministerium. Sieh mich an! Meine Begabung hat sich durchgesetzt, ich habe mir weite Kreise errungen, obgleich ich dir nicht gewachsen bin und trotzdem sich seit nahezu vierzig Jahren nicht einmal eine Laus aus Regierungskreisen um mich bekümmert hat. Erblassend, mit Entschluß. Na, nun will ich mal zu Mama hineingehen.

Erwin. Papa!

Peter Brauer. Nun, was? Im Begriff, die Klinke der Tür links zu ergreifen, zögert er und wendet sich, nach Luft ringend. Erwin, willst du noch was?

Erwin. Wenn du mit Mama reden willst, Papa ... willst du nicht lieber den Rock anziehen?

Peter Brauer. Warum?

Erwin. Ich denke, Mama liebt doch das Herumgehen in Hemdsärmeln nicht.

Peter Brauer. Die gute Mama hat Eigenheiten. – Gib mir also mal bitte meinen Flaus dort vom Nagel herab! Es geschieht. Mit Hilfe Erwins hat Brauer den Rock angezogen. Sag mal: ob ich mir ... wenn du meinst ... ob ich mir meinen Kragen und meinen Schlips – Warum denn nicht? – – am Ende noch umbinde? Er macht Anstalten dazu. Na also! – Ich habe ja doch gestern die halbe Nacht und heute fast den ganzen Tag genäht, gebürstet, mit Fleckwasser Flecke rausgerieben und meine Siebensachen für die Reise in Ordnung gebracht. Mit etwas peinlicher Schalkhaftigkeit, nachdem Kragen und Schlips angelegt sind. Was meinst du, soll ich mich so hineinwagen?

Erwin, herauslachend. Aber Papa, wie du doch wirklich manchmal komisch bist! Mama wird dich doch wohl wahrhaftig nicht auffressen! Ernster. Es ist doch keine Rede davon, daß Mama eine solche schrecklich gefährliche Dame ist.

Peter Brauer. Richtig: wieder dieses verfluchte Aufstoßen! Lieber warte ich noch einen Augenblick. Es stößt ihm auf, er läßt sich in einer Anwandlung von Schwäche auf einen Stuhl nieder, nach Luft ringend. Lehre mich deine Mutter nicht kennen. Ich weiß am besten, seit sie zu meinem Vater in die Dorfschule ging – mit langem, dunklem, offnem Haar in die Dorfschule ging, mein Sohn –, was von deiner Mama zu halten ist! ... In die Dorfschule ging ... Aber es gibt eben leider Fragen, worin wir seit nahezu dreißig Jahren und heute mehr als je anderer Ansicht sind! Ich habe doch kein Natron gegessen? Er tut einige Schritte gegen die linke Tür. Sagtest du was?

Erwin. Nein, nein, Papa! Ich glaube nur, offen gestanden, wie ich dir ja vorhin schon sagte, daß deine Bitte an Mama zwecklos ist.

Peter Brauerkommt zurück. Erwin, ich habe euch diese Wohnung gemietet. Das Speisezimmer ist neu möbliert. Der kleine Salon ist frisch ausgestattet. Um die Weihnachtszeit hat Mama selbst gesagt, sie hätte sich seit Jahren nicht so behaglich gefühlt, wie sie sich seit Oktober befunden hat. Habt doch nur Einsicht! Unmöglich kann doch die gute Mama an einer so falschen Stelle sparsam sein! Das hieße ja doch euch ins eigene Fleisch schneiden.

Erwin. Um mich handelt sich's ja bei der Sache nicht.

Peter Brauer. Doch, doch, es handelt sich auch um dich, bester Erwin! Denn wenn ich, was absolut sicher ist, mit dem kleinen Reisebetriebsfonds etwas erwerben kann, so kommt es natürlich uns allen zugute.

Erwin. Du verstehst mich nicht recht. Ich wollte nur sagen: wenn ich Geld hätte, brauchtest du nicht zu Mutter hinein.

Peter Brauer. Mutter ist gegen mich leider, ich weiß nicht durch wen, absolut voreingenommen und geradezu ungerecht. – Es hilft nichts: ich muß die Geschichte durchfechten. Er geht mit Entschluß durch die Tür links ab.

Klara Brauer kommt von rechts. Sie hat die Tür mit einem Drücker geöffnet. Sie ist im einundzwanzigsten Jahr, ohne weiblichen Reiz, einfach gekleidet und trägt ein Paket Schulbücher und Hefte unterm Arm. – Pelzbarett, Pelzboa, Jackett, schlechtes Schuhwerk.

Klara, ziemlich echauffiert, hastig. Na, hat sich Papa aus dem Staube gemacht?

Erwin, der wieder geschmökert hatte, schrickt auf. Pst! Er legt die Hand auf den Mund und zeigt alsdann auf den Koffer, der unter dem Bett hervorsieht. Er ist noch hier! Er ist eben zu Mutter hineingegangen.

Klarastutzt. Was will er von Mutter?

Erwin. Die alte Geschichte. Das weißt du ja doch.

Klara. Sie wird ihm was pusten und wird ihm Geld geben.

Erwin. Offen gestanden, Klara, begreif ich dich und Mama manchmal nicht.

Klara