Pferdeabenteuer auf Burg Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler - E-Book

Pferdeabenteuer auf Burg Ravensmoor E-Book

Ursula Isbel-Dotzler

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Beschreibung

Nach dem Umzug von Deutschland ins einsame Cornwall langweilt sich Kathi beinahe zu Tode: das neue Haus liegt mitten im Nirgendwo! Plötzlich lernt sie Kim kennen, das Mädchen von der heruntergekommenen Burg Ravensmoor, das Probleme mit ihrem Bruder hat und Kathis Hilfe braucht. In einer dunklen Gewitternacht überschlagen sich die Ereignisse, als Kims Stute Flora plötzlich durchgeht...-

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Ursula Isbel-Dotzler

Pferdeabenteuer auf Burg Ravensmoor

SAGA Egmont

Pferdeabenteuer auf Burg Ravensmoor

Copyright © 2006, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711804438

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk  – a part of Egmont www.egmont.com

1

»Und was machen wir mit den Pferden?«, fragte Mama.

Die Pferde waren immer das Erste, woran sie dachte. Nicht daran, dass wir auf eine englische Schule wechseln, unsere Freunde zurücklassen und unser Haus verkaufen mussten. Auch nicht daran, dass sich Paps einen neuen Job suchen musste und dass unser ganzes Leben total umgekrempelt werden würde. Das alles war ihr nicht so wichtig wie die Pferde.

»Wir nehmen sie natürlich mit!«, sagte Paps.

Wir reden in unserer Familie gemischt. Das heißt, wenn wir uns unterhalten, redet unser Vater Englisch, weil er Engländer ist. Mama, meine Brüder und ich sprechen Deutsch. So ist es für alle am bequemsten. Obwohl Niko, Niels und ich mit beiden Sprachen aufgewachsen sind, sodass Englisch für uns zur zweiten Muttersprache geworden ist.

»Klar kommen sie mit«, erwiderte Mama. »Das ist nicht die Frage. Nur wie? Diese unheimlich weite Strecke und dazu noch über den Ärmelkanal!«

»Es gibt Pferde, die von Deutschland bis nach Amerika transportiert werden«, warf mein Bruder Niko ein.

Mama riss ihre runden braunen Augen weit auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Das ist Tierquälerei! Im Bauch eines Fliegers, in Kälte und Dunkelheit zwischen all den Gepäckstücken und dann dieses Geschaukel und der Motorenlärm … So etwas würde ich nie zulassen.«

»Es gibt Pferdetransporter«, sagte Paps beschwichtigend. »Wir kaufen einen Hänger und bringen sie selbst nach Cornwall. Unterwegs müssen wir eben öfter Pausen einlegen und die Pferde irgendwo grasen lassen. Das ist zwar vermutlich verboten, aber wir machen es einfach.«

Mit seiner gelassenen, vernünftigen Art gelang es ihm meistens, Mama zu beruhigen.

Die beiden diskutierten erregt weiter und Niko sah mich an und sagte: »Typisch, nach uns fragt keiner. Dass ich vom Gymnasium abgehen muss, wo alle meine Kumpels sind, interessiert kein Schwein.«

Seine Augen sind so rund und braun wie die unserer Mutter und der gleiche entrüstete Ausdruck stand darin. Eigentlich sieht Niko ganz gut aus, abgesehen von seiner Nase, die irgendwie nicht in sein Gesicht passt und zu breit und zu groß wirkt. »Knollennase« nennt er sie selbst und hasst sie aus tiefstem Herzen. Wenn er im Bad ist, verhängt er den Spiegel, um sich nicht ansehen zu müssen. Deshalb sind seine Haare nie richtig gekämmt. Unser Vater behauptet, dass sich das mit der Nase noch »auswächst«, aber Niko glaubt nicht daran.

»Mama denkt nur an die Pferde und du denkst nur an dich«, hielt ich ihm vor. »Meinst du vielleicht, uns anderen geht es besser? Ich könnte nur noch heulen, wenn ich daran denke, dass ich Svenja ewig nicht wiedersehen werde …«

Svenja ist meine beste Freundin. Wir kennen uns aus dem Kindergarten. Seit wir uns im Sandkasten zusammengerauft und mit den Plastikschaufeln gegenseitig auf die Köpfe gehauen hatten, verstanden wir uns bis auf wenige Ausnahmen einwandfrei. Wir wissen alles voneinander. Es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue als ihr. Und ich bin sicher, dass ich nie wieder eine Freundin wie Svenja finden werde.

»Jeder denkt erst mal an sich, ist doch klar«, murmelte Niko.

»Oder an die Pferde.« Das kam von meinem älteren Bruder Niels, der bisher stumm dabeigesessen war und gelesen hatte. Für ihn, dachte ich, war das alles kein Problem. Er fühlte sich überall wohl, Hauptsache, sein Saxofon war dabei und es gab eine Buchhandlung in erreichbarer Nähe.

»Kann deine Mutter denn nicht in ein Seniorenheim gehen?«, hörte ich Mama fragen.

»Das haben wir doch alles schon durchgesprochen!« Paps seufzte. »Sie will nicht in ein Seniorenheim, das weißt du genau, und ich kann sie verstehen. Würdest du unter lauter kranken und geistig weggetretenen alten Leuten leben wollen?«

»Kommt darauf an, ob man da Pferde halten könnte«, warf Niko ein und kicherte.

Mama beachtete ihn nicht. »Wieso nicht, wenn es die Umstände erfordern? Ich würde meinen Kindern jedenfalls nicht zur Last fallen wollen.«

»Granny fällt uns nicht zur Last. Sie wird ihre eigene kleine Wohnung im Haus haben, mit Küche und allem, und sie wird sich selbst versorgen. Du weißt, wie zurückhaltend sie ist.«

»Schon. So lange, bis sie krank und pflegebedürftig wird …«

Da waren sie wieder an dem Punkt angelangt, um den sich seit zwei Tagen alles drehte. Dabei kannten wir Mamas Einwände und Papas Antworten längst auswendig; und eigentlich war die Sache ja schon so gut wie beschlossen. Das heißt, Paps hatte beschlossen, dass wir nach Cornwall zu unserer Großmutter, seiner Mutter, ziehen würden, damit sie nicht allein in ihrem Haus leben musste.

Großvater war vor kurzem gestorben und sie konnte nicht allein in der Pampa leben, ohne jemanden, der in ihrer Nähe war und merkte, wenn sie stolperte und sich das Bein brach oder Herzflimmern bekam und es nicht mehr bis zum Telefon schaffte.

»Schließlich müssen wir auch Rücksicht auf die Kids nehmen«, sagte Mama plötzlich, weil sie fieberhaft nach Gründen suchte, warum wir nicht nach England ziehen konnten.

Paps aber erwiderte: »Die sind einverstanden, wir haben sie doch gefragt.«

»Sind wir nicht!«, sagte Niko. »Ich stimme dagegen. Ich meine, ich bin dafür, dass wir hier bleiben.«

Mama sah mich an. »Kathi, du?«

»Hier bleiben«, murmelte ich, obwohl ich meinem Vater nur ungern in den Rücken fiel.

Mama nickte triumphierend. »Du bist praktisch schon überstimmt, Erik«, sagte sie zu Paps. »Niels?«

Niels hob die Nase aus seinem Buch. »Was sind schon Zeit und Raum? Beides spielt keine Rolle.«

Es war eine von diesen Bemerkungen, mit denen er mich zum Wahnsinn treiben konnte.

Paps lachte.

»Hör auf mit dem abgehobenen Gelaber!«, fuhr ich Niels an. »Klar spielt es eine Rolle, wenn ich Svenja nur einmal im Jahr für ein paar Wochen sehen kann, weil wir Tausende von Kilometern voneinander entfernt …«

Er hob die Hand wie ein weiser alter Indianer. »Frieden!«, murmelte er.

Unsere Eltern funkelten sich an. Eigentlich mögen sie sich und haben selten Zoff, aber in diesem Fall sind sie schon ein paarmal kurz davor gewesen, sich anzuschreien.

»Du versuchst die Kinder auf deine Seite zu ziehen!«, beschuldigte mein Vater meine Mutter.

»Tu ich nicht! Das brauche ich gar nicht. Sie wollen nicht mit, das hast du doch eben gehört.«

»Das stimmt nicht. Niels hat nichts dagegen, was, Niels?«

Mein älterer Bruder stand auf und klemmte sich sein Buch unter den Arm. »Ich bin mit allem einverstanden, wenn ihr mich nur in Ruhe lesen lasst«, sagte er.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder eine von den Trockenpflaumen nach ihm werfen sollte. So geht es mir mit Niels oft. Im Grund genommen mag ich ihn lieber als Niko. Aber seine Versuche, den Pfad indianischer oder buddhistischer Weisheit zu gehen, nerven mich manchmal gewaltig.

»Wir würfeln«, schlug Niko vor und zog ein Geldstück aus der Hosentasche. »Kopf: wir bleiben hier. Zahl: wir ziehen nach Cornwall.«

»Unsinn!« Paps war am Ende seiner Geduld, das merkte ich an seinem Ton und der Art, wie er seine Halbbrille nach oben schob. »Diese Diskussion führt zu nichts. Ich verstehe auch nicht, wieso du immer wieder damit anfängst, Anne. Wir hatten uns doch entschieden und dabei soll es auch bleiben. Übrigens habe ich heute in der Uni Bescheid gesagt, dass meine Stelle zum Herbst frei wird. Und ein Kollege an einem englischen College hat mir einen sehr interessanten Job in der Forschung angeboten.«

Mama starrte ihn an. »Ach, das machst du alles über meinen Kopf hinweg?« Plötzlich sprang sie auf und schob Paps beiseite, der versuchte seine Hand auf ihre Schulter zu legen. »Wenn du denkst, du könntest mich damit zwingen, hast du dich getäuscht! Ich komme nicht mit und die Kinder auch nicht, verstanden? Du kannst ja allein nach Cornwall ziehen und deiner Mutter das Händchen halten und Käfer unterm Vergrößerungsglas beobachten. Wenn dir das wichtiger ist als deine Familie, bitte!« Sie stürmte aus dem Wohnzimmer und schmetterte die Tür hinter sich zu.

Paps machte ein fassungsloses Gesicht. Seine Brille rutschte wieder auf die Nasenspitze.

Niko kicherte wie ein Schlumpf. »Und von da an lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende«, sagte er.

2

Ich hasse Umzüge.

Als ich noch klein war, mussten wir zweimal umziehen, allerdings nie sehr weit weg. Einmal vom Stadtrand in den nächsten Ort in eine Wohnung und dann von der Wohnung in ein Bauernhaus mit Stall, wegen der Pferde. Jedes Mal hatten wir wochenlang zwischen Kisten und Kartons gelebt und nur Dosenfutter zu essen bekommen. Es war immer verteufelt ungemütlich gewesen. Ungefähr so stellte ich es mir vor, wenn irgendwo ein Erdbeben stattgefunden hat und die Leute sitzen zwischen lauter Trümmern. Nicht ganz so schlimm natürlich, aber irgendwie schon.

Diesmal war es echt ätzend. Während wir sonst immer selbst ein Lastauto gemietet und unsere Sachen damit wegtransportiert hatten, kam jetzt ein Typ von einer Umzugsfirma und wanderte mit Notizblock und Zollstock durchs ganze Haus. Er rechnete aus, dass wir einen Lastwagen mit zwei Anhängern brauchen würden.

An diesem Tag war Svenja bei mir. Als der Umzugsmensch in mein Zimmer kam, sich umsah und allerhand auf seinen Zettel kritzelte, bekamen wir die Krise.

»Wenn du achtzehn bist, können dir deine Eltern keine Vorschriften mehr machen«, sagte Svenja. »Dann kommst du sofort zurück und lebst wieder hier. Schwör’s!«

Ich tat einen feierlichen Schwur. Doch bis achtzehn fehlten mir immerhin noch vier Jahre und das war eine furchtbar lange Zeit. Also tröstete uns auch der Schwur nur wenig. Besser war, dass Svenja versprach mich zu besuchen, so oft es ging.

»Am besten noch vor Ende der Sommerferien«, sagte ich. »Wir holen dich vom Flughafen ab. Es gibt einen in Exeter, ich hab nachgesehen. Das ist nicht sehr weit.«

Doch Svenja sagte, Fliegen käme für sie nicht in Frage. »Es ist total umweltschädlich«, erklärte sie und hielt mir einen Vortrag, wie viel Treibstoff so ein Flieger verbrauchte und welche Mengen schädlicher Abgase er in die Luft pustete.

Svenja ist eine überzeugte Naturschützerin, genau wie ihr Vater. Wenn sie erwachsen ist, will sie bei Greenpeace mitarbeiten und mit kleinen Schiffen aufs Meer hinausfahren, um den Walfang zu stoppen.

»Ich nehme die Bahn und dann die Fähre«, sagte sie.

»Wenn deine Eltern dich lassen.« Ich hatte da so meine Zweifel. »Es ist doch sehr weit, und wenn du fliegen würdest, wären es nur ein paar Stunden. Damit wären deine Eltern vielleicht eher einverstanden. Sie würden dich hier in den Flieger setzen und du müsstest nur in London umsteigen.«

Eine Woche später begann ich zu packen. Meine Bücher zuerst. Dann meine Schulsachen, obwohl ich dachte, dass ich sie in der englischen Schule nicht mehr brauchen würde. Und meine alten Teddys. Das Mobile aus Muscheln und Federn, das am Fenster hing. Die Bilder, die Svenja für mich gemalt hatte, legte ich zwischen Pappkarton und wickelte sie dick in Zeitungspapier. Dabei kamen mir die Tränen.

Später stand ich am Fenster. Unter den Obstbäumen dösten unsere Isländerstute Smilla und Kringle, das Connemara-Pony. Natürlich hatten sie keine Ahnung, was ihnen bevorstand.

Mama hatte schließlich doch nachgegeben. »Aber nur unter Protest!«, sagte sie immer wieder. »Nur unter Zwang! Und wenn’s uns nicht gefällt, packen wir unseren Krempel und fahren wieder zurück, Kids.«

Damit wollte sie uns trösten, doch ich glaubte ihr nicht. Unser Haus und der Stall und der Garten und ein Teil unserer Möbel waren verkauft und damit »alle Zelte hinter uns abgebrochen«, wie Niels sagte.

Die Äpfel auf dem Baum, der direkt unter meinem Fenster stand, waren noch klein und grün. Andere Leute würden diesmal die Äpfel ernten. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass es etwas ganz Besonderes war, einen eigenen Apfelbaum zu haben, in den man klettern und im Herbst die Äpfel von den Zweigen pflücken konnte. Sie schmeckten auch wunderbar und sie dufteten. Im Winter lagen sie auf dem Dachboden in Regalen und wir konnten uns welche holen, sooft wir Lust hatten.

Ob es in Cornwall, in Großmutters Garten, auch einen Apfelbaum gab? Ich wusste es nicht mehr. Wir waren zweimal in den Ferien dort gewesen, aber das lag schon ein paar Jahre zurück. Ich erinnerte mich nur noch flüchtig an das Haus; es war grau und verwinkelt, mit Einbauschränken und dunklen Verstecken unter den Treppen. – Und das Meer. Man sah es von zwei Seiten des Hauses aus, tief unten, wie es gegen die Felsen brandete.

Einmal, bei Sturm, hatte ich nachts nicht schlafen können und Angst gehabt, die Flut könnte bis zu uns heraufkommen und das Haus überschwemmen. Am nächsten Tag hatten wir erfahren, dass ein Segelschiff mit zwei Männern vor der Küste untergegangen war.

Ich wollte nicht, dass Svenja kam und sich von mir verabschiedete, aber sie tat es trotzdem. Es wurde genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Wir weinten beide und ich war trauriger als je zuvor in meinem Leben. Sogar noch trauriger als vor fünf Jahren, als unser erstes Pony Joschi gestorben war.

Der riesige Umzugswagen war schon vor einer Stunde losgedonnert. Unser Auto stand bereit. Mama führte die Pferde in den Hänger. Das Haus war leergeräumt und sah irgendwie öde und verlassen aus, ohne die Blumentöpfe auf der Terrasse und die Vorhänge an den Fenstern.

»Macht’s kurz«, sagte Niels, der auch nicht gerade glücklich aussah. »Dann ist es nicht so schlimm.« Ganz egal schien es ihm jetzt doch nicht zu sein, ob wir hier waren oder anderswo.

Ich umarmte Svenja. Sie klammerte sich an mich. »Ich schreibe dir!«, flüsterte ich. »Jeden Tag. Und spätestens in den Herbstferien kommst du …«

Sie gab keine Antwort, schluchzte nur und heulte meinen Hals nass. Ich streichelte ihre langen blonden Haare. Svenja hat wunderschöne seidige Haare, um die ich sie beneide. Meine dagegen sind richtig borstig, sie krausen sich wie verrückt und stehen nach allen Seiten ab. Es nützt auch nichts, wenn ich nachts eine enge Mütze aufsetze. Kaum nehme ich sie ab, explodieren meine Haare richtig, als hätte sie jemand unter Strom gesetzt. Als ich Svenjas seidige Strähnen unter meiner Handfläche spürte, musste ich erst recht weinen. Vielleicht fand sie ja bald eine neue Freundin und vergaß mich.

»Vergiss mich nicht!«, sagte ich. »Versprichst du das?«

»Nein«, schnüffelte sie. »Ich meine, nein, ich vergess dich nicht, ist doch klar. Das könnte ich nicht. Und sobald du achtzehn bist, kommst du wieder. Du kannst bei uns wohnen …«

»Kinder!«, rief meine Mutter. »Wir müssen los, die Pferde werden unruhig, wenn wir sie zu lang im Hänger stehen lassen. Die Strecke bis Nancy ist weit genug.«

Wir wollten Station bei einer Freundin von Mama in Frankreich machen, in der Nähe von Nancy, und dort übernachten. Sie hatte einen großen Garten, in dem Kringle und Smilla grasen und sich nach der langen Fahrt bewegen konnten. Am nächsten Tag würden wir dann bis kurz vor Calais fahren und am Morgen darauf mit der Kanalfähre nach England übersetzen.

Ich saß zwischen Niko und Niels auf dem Rücksitz unseres Wagens und meine Augen quollen richtig über, als Svenjas winkender Arm hinter dem Pferdeanhänger verschwand.

Niels legte den Arm um meine Schulter. »Nimm’s nicht so schwer, Kathrinchen. Eine echte Freundschaft übersteht jede Trennung.«

Kathrinchen, so hatten mich meine Brüder früher immer genannt.

Mama streckte den Arm zwischen den Sitzen durch und streichelte meine Hand. »Da siehst du, was du den Kindern antust!«, sagte sie zu Paps, der am Steuer saß.

»Hör endlich auf, mir Vorwürfe zu machen! Es ging doch nicht anders, ich wäre auch lieber hier geblieben! In einer Woche sieht alles schon wieder ganz anders aus. Wir fahren schließlich nicht in die Verbannung. Ravensnest ist sehr schön. So mancher würde uns darum beneiden, dass wir in einem Land wie Cornwall leben dürfen, wo andere ihren Urlaub verbringen.«

Ravensnest, so hieß das Anwesen unserer Großeltern, auf dem Paps geboren worden war. Wohl um uns aufzuheitern erzählte er, dass es in der Nähe von Ravensnest eine halb verfallene Burg gab. Doch keiner von uns interessierte sich besonders für seine Geschichte.

Angeblich sollte es in dieser Burg spuken; man hatte dort schon mehrere Gespenster gesehen, unter anderem einen Typen, der zu seinen Lebzeiten außerordentlich gemein gewesen war und deshalb keine Ruhe fand, sondern in Vollmondnächten durch das alte Gemäuer tapern musste.

Niels war der Einzige, der darüber nachdachte. Er sagte ernsthaft, solche »Wiedergänger« gäbe es seiner Meinung nach wirklich. Es wären unerlöste Seelen, die große Schuld auf sich geladen oder furchtbare Dinge erlebt hätten und deshalb keinen Frieden fänden.

Durch das Fenster im Anhänger konnten wir Kringle und Smilla beobachten. Smilla schien ganz in Ordnung zu sein. Sie ist ein Norwegerpony und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Kringle aber hatte die Augen weit aufgerissen und die Ohren zornig angelegt.

Mama hatte ein Fläschchen mit einem pflanzlichen Beruhigungsmittel dabei. Davon träufelte sie ihm ein paar Tropfen auf ein Stück Zucker, als wir die erste Pause machten.

Wir fuhren ziemlich langsam und wurden deshalb sogar von mehreren Wohnwagen überholt. Zum Glück war Sonntag, und es waren keine Laster unterwegs, hinter denen wir herzuckeln mussten.

Mittags waren wir erst kurz vor Straßburg. Nach längerem Suchen fanden wir eine Wiese zwischen Waldstücken, wo wir die Pferde am Zügel herumführten und tränkten und ihnen etwas Futter gaben. Mama hatte auch für uns ein Picknick eingepackt.

Als wir wieder losfahren wollten, weigerte sich Kringle in den Hänger zu gehen. Erst als wir ihn mit Pferdepellets lockten, klappte es, denn er ist ziemlich verfressen.

»Das schaffen wir nie!«, sagte Mama und stöhnte, während wir uns wieder ins Auto setzten. »Diese Riesenstrecke mit den Pferden! Kringle wird durchdrehen. Hoffentlich schlägt er nicht aus und verletzt Smilla.«

Nachmittags wurde es zu allem Überfluss auch noch knallheiß. Auch mir taten die Pferde total Leid. Zu Mamas Freundin waren es immer noch hundertsiebzig Kilometer, und ich wünschte, wir wären endlich da und könnten aussteigen und Smilla und Kringle aus dem Hänger holen.

Unsere Eltern wechselten sich beim Fahren ab. Immer wenn Mama am Steuer saß, fühlte ich mich unbehaglich. Sie fuhr unheimlich langsam. Ständig fuhren Autos dicht auf uns auf und die Fahrer starrten uns böse an, wenn sie uns überholten.

Wir machten noch eine Pause, bei der Kringle vor lauter Frust buckelte.

Die Abenddämmerung brach schon herein, als wir endlich, endlich in dem kleinen Ort bei Nancy ankamen, wo Mamas Freundin mit ihrem Mann lebte.

Mir tat vom langen Sitzen der Hintern weh. Niko jammerte über Rückenschmerzen. Wir hatten die Fahrerei alle gründlich satt, besonders die Pferde. Und doch hatten wir erst ein Drittel der Strecke zurückgelegt.

3

In Calais, an der Abfertigung zur Fähre nach Dover, drehte Mama beinahe durch, denn es gab Probleme mit dem englischen Zoll wegen der Einfuhrbestimmungen für die Pferde.

Paps war sicher, dass er vorher alles genau abgeklärt hatte; und an der deutsch-französischen Grenze waren wir ja auch problemlos durchgelassen worden. Er hatte das amtliche Gesundheitszeugnis bei unserem Tierarzt besorgt, dazu noch so genannte Umrissbilder von Kringle und Smilla, damit man erkennen konnte, dass das Gesundheitszeugnis für sie ausgestellt war.

Doch der Zöllner behauptete, der amtliche Stempel auf Smillas Gesundheitszeugnis würde fehlen und er könne zwar unsere ganze Familie und Kringle ins Land lassen, Smilla aber nicht.