Pferdeinternat Inselglück – Im Galopp zum Sieg - Emma Norden - E-Book

Pferdeinternat Inselglück – Im Galopp zum Sieg E-Book

Emma Norden

5,0

Beschreibung

Mila und ihr Hengst Adesso haben im Pferdinternat Inselglück ein neues Zuhause gefunden. Doch als die Reitprüfungen anstehen, bekommt Mila plötzlich Panik. Die anderen Schüler sind ihr im Springreiten weit voraus. Auch Michel, der Sohn des Stallmeisters, hat Probleme. Liebend gerne würde er an den Reitstunden teilnehmen, aber sein Vater kann sich den teuren Unterricht nicht leisten. Kann Mila ihrem Freund helfen? Die neue Pferdebuch-Reihe für Mädchen ab 10 Jahren mit jeder Menge Ponys, Reitturnieren, Freundschaften und natürlich der ersten Liebe – mit viel Herz und Humor erzählt. Lesespaß für alle Ostwind- und Pferdefans.

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Pferde, immer nur Pferde!

Adessos Muskeln spannten sich, als er zum Sprung ansetzte. Das kleine alte Fischerboot, das dort am Strand lag, überwand er mühelos. Mila lächelte, als sie im nassen Sand landeten. Die Gischt der Wellen kühlte ihr Gesicht, als …

„Mila, passt du auf?“

Eine laute Stimme riss Mila aus ihren Gedanken. Sie blinzelte und sah sich verwundert um. Viele grinsende Gesichter blickten zurück. Verflixt, sie war nicht am Strand, sie saß bei Mister Green im Englischunterricht.

„Äh, wie bitte?“, flüsterte sie.

Mister Green runzelte die Stirn. „Bitte übersetze uns den letzten Satz auf Seite 14.“

Mila starrte auf ihr Buch. Der letzte Satz. Ach, das war dieser Kram von Romeo und Julia: My only love sprung from my only hate; too early unknown and known too late!

Oje, Mila hatte keinen Schimmer. Love hieß Liebe und … Zum Glück wisperte Jan ihr von hinten ins Ohr: „So einzige Lieb aus großem Hass entbrannt …“

Mila verstand nur die Hälfte und stotterte los: „So eine Liebe aus Hose sprang???“

Die Klasse prustete los. Selbst Mister Green konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „So, so, da entspringt die Liebe also.“

Mila wurde knallrot.

Mister Green klopfte mit dem Stift auf seinen Tisch. „Please, boys and girls, wieder Ruhe. Und Mila, denk nicht so viel an Pferde. Wir haben jetzt Unterricht und du solltest wirklich mitarbeiten, wenn du deine Note bis zum Sommer noch verbessern willst!“

Mila nickte.

Plötzlich ging die Tür auf. Franzi stapfte herein. Mehr als eine Viertelstunde zu spät. Sie huschte rasch auf ihren Platz. Die Tür ließ sie offen.

Mister Green hob eine Augenbraue. „Franziska, woher kommst du denn?“

Franziska stand auf. „Entschuldigung, Mister Green, ich musste noch ganz kurz zu Black Velvet …“

Mister Green seufzte. „Immer diese horses. Englisch ist wichtig, Franziska. And now, please …“, er zeigte zur offenen Tür, „shut the horse.“

Jakob und Mark prusteten laut los, der Rest der Klasse gluckste vor sich hin. Während Franzi nur erstaunt aufsah, stand Jan auf, um die Tür zu schließen. Als er ein leises Wiehergeräusch dabei machte, war es auch um Mila geschehen. Die ganze Klasse kicherte.

Mister Green seufzte erneut. „Never, never werdet ihr auch nur das kleinste bisschen Englisch lernen.“

Selbst nach fünf weiteren, anstrengenden Unterrichtsstunden war Mila die gute Laune geblieben. Michel hielt ihr und Charly – wie ein echter Gentleman – die Tür des alten Backsteingebäudes auf, in dem der Unterricht stattfand. „Ihr werdet niemals Englisch lernen. Never, never!“, ahmte er den verzweifelten Mister Green lachend nach und raufte sich die kurzen braunen Haare.

Mila grinste. Dann verzog sie ihren Mund. „Er hat gar nicht so unrecht. Mein Englisch ist echt mies, das wird nie was. Im ersten Test hatte ich eine Fünf. Wenn ich den nächsten auch vermassele … Ich mag gar nicht daran denken.“

Charly kicherte. „Ach was. Englisch ist gar nicht so schwierig.“

„Du hast leicht reden“, grummelte Mila und bemühte sich, nicht auf die vielen Gänseblümchen zu treten, die ihre Köpfchen aus den Ritzen des alten Kopfsteinpflasters streckten. „Du hast das ja anscheinend mit der Muttermilch eingesogen und kannst alles fast im Schlaf. Genau wie Jan. Aber der ist wenigstens Sohn einer Engländerin. Warum bist du eigentlich so gut darin, Charly?“

Ihre Freundin wurde rot. „Quatsch, kann ich doch gar nicht“, wiegelte sie ab und sah auf ihre Uhr. „Ach herrje, los, los – noch zwei Minuten bis zum Essensgong!“

Sie begannen zu rennen. Wer nicht rechtzeitig am Tisch saß, bekam einen tadelnden Blick von Frau Käthe, der lieben, kugelrunden Internatsköchin. Und wenn man Pech hatte, musste man auch noch den Speisesaal fegen.

Nach ein paar Schritten bog Michel in Richtung der Ställe ab.

„Isst du nicht mit uns?“, fragte Mila erstaunt.

Michel schüttelte den Kopf. „Nein, ich grille heute mit meinem Vater. Wir sehen uns später. Guten Appetit!“

Michels Vater war der Stallmeister im Pferdeinternat Inselglück. Mila mochte ihn gern. Er war auf der Insel geboren und lebte mit seinem Sohn nun in einer der Lehrerwohnungen. Man traf ihn fast immer in den Ställen oder auf dem Gelände an und Mila wusste, dass er manchmal sogar die Mahlzeiten mit Michel im Stall einnahm. „Es geht nichts über eine Käsestulle mit dem Duft von Pferdeäpfeln in der Nase“, pflegte Michel grinsend zu sagen.

Mila lächelte, als sie daran dachte. Dann beeilte sie sich, Charly zu folgen.

Auf dem Speiseplan standen heute Spaghetti mit Lachs.

„Hm, es gibt mein Lieblingsessen“, schwärmte Charly.

Mila nahm sich eins der grünen Tabletts und stellte sich in die Schlange. „Charly, du behauptest doch jeden Tag, es gäbe dein Lieblingsessen.“

Da steckte Frau Käthe ihren Kopf durch das Fenster der Essensausgabe. „Das ist auch gut so“, sagte sie. Ihre kunterbunte Schürze mit Pferdeköpfen darauf – ein Geschenk der Internatsschüler, vermutete Mila – spannte sich über ihrem runden Bauch, auf den sie jetzt liebevoll klopfte. „Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen. Und ich koche doch gut oder –“ Sie sah Mila entsetzt an. „Oder schmeckt es dir etwa nicht, meine Liebe?“

Mila nickte schnell. „Doch natürlich, Frau Käthe, Ihr Essen ist wundervoll!“ Und das war ihr absoluter Ernst. Sie hatte sich sehr vor fürchterlichem Kantinenessen gefürchtet, als sie vor einigen Wochen hier ins Internat gekommen war. Man hörte ja schreckliche Dinge über Großküchen. Doch alles, was Frau Käthe kochte, schmeckte stets hervorragend. Jetzt lächelte sie beschwichtigt und häufte den Mädels eine extra-große Portion Spaghetti auf die Teller.

Mit sehr zufriedenem Gesicht setzte Charly sich an einen freien Tisch. „Du magst das Essen doch wirklich, oder?“, fragte sie Mila misstrauisch. Sorgfältig entfaltete sie ihre Serviette und legte sie über ihre Knie, bevor sie elegant einige Spaghetti auf ihre Gabel drehte und sie zum Mund hob.

Mila bejahte, während sie verzweifelt versuchte, die widerspenstigen Nudelfäden aufzudrehen. „Auf jeden Fall. Es ist viel besser als das Essen meiner Mutter. Sie ist zwar eine gute Ärztin, aber halt keine gute Köchin.“

„Hoffentlich kocht sie nicht für die Menschen in Kenia“, meinte Charly.

„Du liebes bisschen“, gab Mila entsetzt zurück. „Sie soll die Menschen dort gesund machen und nicht krank!“

Milas Eltern waren als Ärzte zu einem einjährigen Einsatz nach Kenia aufgebrochen, was der Grund für Milas Aufenthalt im Internat war. Leider war das Programm im März gestartet und Mila hatte mitten im Jahr die Schule wechseln müssen. Zunächst wollte sie nicht wirklich gern ins Internat, aber zum Glück hatte sie rasch Freunde gefunden und auch das Springreiten machte ihr inzwischen richtig Spaß.

Nach dem Essen gab es eine einstündige Mittagsruhe, die jeder nutzen konnte, wie er wollte. Mila putzte gemeinsam mit Nele ihre Reitstiefel.

„Du hast dich gut eingelebt, nicht wahr?“, sagte Nele freundlich. Das war nicht selbstverständlich, manchmal konnte Milas Zimmergenossin sehr zickig sein. Aber seit Mila Nele geholfen hatte, ihr geliebtes Pferd Fairy zurückzubekommen, war Nele ihr gegenüber wie ausgewechselt.

„Ich hab’s mir viel schlimmer vorgestellt“, gab Mila zu. „Aber jetzt, wo ich alles kenne und mich an die vielen Termine gewöhnt habe, ist es viel leichter geworden.“

Nele nickte. „Apropos Termine, heute kommen Luke und Tamara zusammen zum Training, hast du das gewusst?“

Mila sah erstaunt auf. „Nein, warum denn?“ Normalerweise fand das Training nur mit einem ihrer Reitlehrer statt.

„Ich denke, es geht um die Reitprüfungen Mitte Mai“, vermutete Nele.

Mila seufzte. Sie hatte schon davon gehört. Prüfungen gehörten nicht zu ihren Stärken, sie war schrecklich nervös davor. Nele deutete ihr Seufzen falsch und meinte: „Du startest ja nicht in unserer Kategorie. Du machst ja zunächst mal die E-Klasse, weil du erst mit dem Springreiten angefangen hast. Da sind die Hindernisse noch nicht so hoch.“

Zum Glück, dachte Mila.

Nele stellte ihre glänzenden Stiefel auf den Boden und begann, sich umzuziehen. „Na komm“, sagte sie. „Auf geht’s.“

Prüfungen und andere Sorgen

Als Mila in ihre Reithose geschlüpft war und die Stiefel angezogen hatte, griff sie ihre Jacke und lief zusammen mit Nele zum Stall.

Nele steuerte sofort Fairys Box an. Ihr Pferd begrüßte sie mit einem leisen Wiehern. Dagegen klang Adessos Begrüßung wie ein heiseres Husten. Mila lachte. „Na, du Witzbold?“ Sie streichelte sein warmes Fell und gab ihm einen Kuss auf die Nase. „Hast du Lust auf Training?“, fragte sie. Adesso schnaubte. „Sehr schön, jetzt geht’s nämlich richtig los mit dem Springen – wir müssen gut genug für die Prüfung werden“, erklärte Mila ihm und wusste gar nicht so genau, wie sie das selbst finden sollte.

Luke und Tamara warteten schon, als Mila und die anderen sich am Reitplatz einfanden. Die elegante Reitlehrerin stand auf einem umgedrehten Eimer als Podest. Sie betrachtete ihre Schüler eingehend, bis alle still waren.

„Liebe Reitschüler“, begann sie förmlich, „schon sehr bald steht euch die nächste Springreitprüfung bevor. Ihr werdet alle in der A-Klasse antreten, bis auf Mila, die in der E-Klasse startet. Es handelt sich um ein Stilspringen, wie ihr wisst, kommt es dabei nicht nur auf Fehler und Zeit an, sondern hauptsächlich auf den Stil: korrekter Sitz, Rhythmus, Linienführung. Ab heute wird der Unterricht auf die Prüfung zugeschnitten, das heißt, wir üben die geforderten Hindernisse ausführlich. Einigen von euch wird es nicht schwerfallen“ – hier warf sie einen schnellen Blick auf Nele und die Zwillinge Mark und Jakob – „andere werden hart an sich arbeiten müssen. Denn natürlich müsst ihr nicht nur das Pferd trainieren – euch selbst müsst ihr ebenso fordern. Ohne einen guten Reiter kann das beste Pferd nicht gut springen.“

Luke nickte.

Mila kaute auf ihrer Unterlippe. Tamara konnte einem echt Angst machen. Oder sollte das etwa eine ermutigende Ansprache sein? Dann lag sie weit daneben, fand Mila. Adesso spürte ihre Anspannung und stupste ihr freundschaftlich in den Rücken. Mila stolperte einen Schritt nach vorne und wurde rot. „Ähm, t’schuldigung!“, murmelte sie.

Tamara beachtete sie gar nicht. „Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Ergebnisse der praktischen Prüfung maßgeblich für die Zeugnisnoten sind, oder? Also strengt euch an! In der mündlichen Note wird übrigens berücksichtigt, wie viel Einsatz und Trainingszeit ihr investiert habt.“

Mila seufzte. Das mit dem Einsatz hatte Tamara sicher nur für sie gesagt. Es sollte vermutlich bedeuten, dass Mila die Prüfung nicht schaffen würde und wenigstens mündlich eine gute Note bräuchte …

Tamara stieg vom Eimer hinunter und gab erste Anweisungen.

Charly flüsterte Mila zu: „Du guckst, als wärst du in Pferdemist getreten. Was ist los?“

Mila zuckte mit den Schultern. „Ach, mir graut es vor Prüfungen. Außerdem fehlt mir immer noch so viel Technik. Warum muss man eigentlich ständig Prüfungen und Tests und sonst noch was machen?“

Charly grinste. „Na komm, das wird schon. Du hast ja auch noch mich und die anderen. Wir helfen dir!“

Gleichzeitig schnaubte Adesso Mila genau ins Ohr. Das war so laut und nass, dass Mila quiekte.

„Mila, konzentrieren, bitte!“ Tamara sah sie streng an.

Aber Luke lachte. „Wir fangen ja gleich an, dann verfliegt die Anspannung. Tamara und ich beobachten euch heute noch einmal gemeinsam und beurteilen dann, wer welche Dinge gesondert üben muss. Ach ja, und ihr bekommt ab nächster Woche zusätzlich Yoga-Unterricht.“

Jakob rief: „Für uns oder die Pferde?“

Luke schmunzelte. „Ich würde Windfuchs zu gern im Lotussitz sehen, Jakob. Aber wir fangen mal mit den Schülern an.“

Der Parcours war großzügig angelegt. Tamara sprach alles mit ihnen durch und ließ die Schüler zunächst selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge sie über die Hindernisse reiten wollten. Dabei blieb sie mit Luke als stiller Beobachter am Rand.

Als Mila an der Reihe war, stieg sie nervös auf. Das war ja jetzt schon wie eine Prüfung! Sie konnte Prüfungen nicht leiden. Wo blieb da der Spaß an der Sache? Adesso tänzelte. „Konzentrieren, Adesso!“, flüsterte Mila ihm ins Ohr. Doch es half nichts. Natürlich spürte er Milas Anspannung und zuckte nervös mit den Ohren. Zum Glück wurde es etwas besser, als sie antrabten. Mila fühlte Adessos gleichmäßigen Rhythmus und ließ sich in seinen Takt einfallen. Schon sprangen sie mühelos über den ersten Steilsprung. Dass die Landung technisch nicht gut war, merkte Mila selbst, aber es machte ihr gar nichts aus. Springen war einfach ein Riesenspaß! Lächelnd ritt sie weiter und überwand mit Adesso die anderen Hindernisse. Dann wollte Mila den Oxer nehmen. Doch was war das? Scheinbar hatte Adesso etwas Interessantes erspäht, denn plötzlich zog er zur Seite! Mila hatte nicht aufgepasst und ließ überrascht zu, dass ihr Hengst zu Vanilla trabte. Neugierig beschnupperten die Pferde sich. Mila schaute so verdutzt drein, dass die anderen Schüler zu kichern begannen.

Kleinlaut sah Mila zu den Reitlehrern hinüber. Tamara hatte die Stirn gerunzelt, aber Luke lachte nur. „Das hast du schon sehr gut gemacht, Mila, aber du solltest Adesso zeigen, dass er ein Pferd und kein störrischer Esel ist.“

Mila nickte. Wie gut, dass Luke immer so locker war. Sie stellte sich an die Seite zu Michel. Eigentlich war sie ganz froh, dass Adesso verweigert hatte – seit er beim Marumer Springen eine Stange gerissen hatte, jagte der Oxer Mila einen Heidenrespekt ein. Sie wollte einfach nicht, dass Adesso sich verletzte! Gedankenverloren betrachtete sie Nele, die ihr Pferd mit ernstem Gesicht zum Parcours lenkte.

„Wie konzentriert sie immer ist“, stellte Mila bewundernd fest.

Michel warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Jeder hat seine Schwächen“, erwiderte er.

„Ach, und was sind Neles?“, fragte Mila, die sich wirklich nicht vorzustellen vermochte, was die perfekte Nele hier noch groß zu lernen hatte.

„Schau sie doch an“, sagte Michel leise. „Sie ist viel zu ehrgeizig und verbissen. Das macht steif und verkrampft.“

Mila sah zu, wie Nele den Oberkörper vorm Hindernis nach vorne bewegte und sich in den Entlastungssitz begab. War das wirklich steif? Für Mila wirkte es eher wie vollkommene Körperbeherrschung. Das würde sie niemals lernen.

„Und irgendwas stimmt auch mit Fairy nicht“, brummte Michel.

„Ach was“, meinte Jakob, der neben ihnen stand und Michels letzte Bemerkung offenbar gehört hatte. „Fairy muss sich erst wieder an das Training gewöhnen. Das wird schon!“

Mila dachte an die letzten Wochen zurück. Da hatte sie herausgefunden, dass Neles Eltern ihr Pferd vor einigen Monaten wegen finanzieller Probleme hatten verkaufen müssen. Daher hatte es lange in einem Gestüt auf dem Festland gestanden, wo es nicht geritten worden war, weil es niemanden an sich herangelassen hatte. Fairy hatte unter der Trennung ebenso sehr gelitten wie Nele, die sich aus Verzweiflung verschlossen und unfair verhalten hatte. Als Mila und Charly Fairy entdeckt hatten, war sie vor Kummer ganz abgemagert gewesen. Der neue Besitzer hatte die Stute gern zur Pflege an das Pferdeinternat gegeben, wo sie schnell aufblühte. Da dies jedoch erst ein paar Wochen her war, hatte Fairy natürlich noch nicht zu ihrer ursprünglichen Topform zurückgefunden.

Doch Michel wiegelte ab. „Nein, da ist noch etwas anderes mit Fairy. Ich weiß nur grad nicht was …“

Jakob klopfte ihm lachend auf den Rücken. „Du bist und bleibst ein Pessimist, Kumpel!“

Michel sah ihn genervt an. „Vielleicht ist es einfach ein bisschen viel des Guten. So ein Pferd kann ja nicht nach zwei Wochen schon wieder olympische Leistungen bringen – man muss auch Rücksicht auf die Tiere nehmen!“, sagte er laut.

In diesem Moment tauchte Nele neben ihm auf. Sie hatte den Parcours beendet und Michels letzte Worte gehört. Nun lächelte sie spöttisch und meinte: „Weil du ja auch so ein Experte für Springpferde bist. Hast du überhaupt jemals ein Hindernis übersprungen?“

Michel wurde rot. Mila schaute ihn mitfühlend an. Er sah aus, als wisse er nicht, ob er wütend oder beschämt sein sollte. Nach einem kurzen Moment wandte er sich einfach um und ging weg. Dabei streifte er Mila mit einem Seitenblick, der sie zusammenzucken ließ. Sie wollte ihm nachlaufen, aber aus irgendeinem Grund blieben ihre Füße stehen. War er nicht tatsächlich sehr anmaßend gewesen? Er nahm gar nicht an den Reitstunden teil und wusste nicht, wie es war, mit einem Pferd zu springen. Wie konnte er da Nele so kritisieren? Aber Nele hatte sich dennoch fies verhalten und eigentlich wusste Mila nur zu genau, dass sie Michel hätte beistehen müssen. Sie seufzte. Musste denn immer alles so kompliziert sein?

Erst als die Reitstunde vorbei war, alle ihre Pferde versorgt hatten und der Stall sich langsam leerte, machte Mila sich auf, um Michel zu suchen. Ganz am Ende des Stalls gab es einen kleinen Büroraum, in dem Michels Vater sich oft aufhielt. Mila sah Licht und ging darauf zu. Da entdeckte sie Michel, der neben der Tür stand. Warum ging er nicht hinein? Er stand mit dem Rücken zu Mila, sodass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, aber es wirkte, als ob er lauschte. Jetzt hörte auch Mila die Wortfetzen aus dem Büro. Anscheinend telefonierte Herr Gründgen.

„Nein, kein Problem … die Rate wird bald überwiesen … ja, ich stehe dafür ein … nein … muss erst auf den Geldeingang warten … in zwei Tagen … bitte nicht … ich brauche das aber …“

Milas Magen zog sich zusammen. Das hörte sich nicht gut an. Es ging offenbar um Geldschwierigkeiten. Sie wollte nicht lauschen und trat leise den Rückzug an. Doch sie stieß an eine Trense, die an der Wand hing, und das leise Klimpern verriet sie – Michel drehte sich zu ihr um. Sein Gesicht verfinsterte sich.

„Du lauschst?“, fragte er. Sein Blick war unerwartet kühl.

„Du doch auch“, gab Mila wütend zurück.

Da wandte Michel ihr den Rücken zu und betrat das Büro. Die Tür schloss er betont kräftig.

Mila biss sich auf die Lippe. Warum stand sie jetzt als die Böse da? Sie hatte doch gar nichts getan!

Während Mila langsam zu ihrem Zimmer ging, grübelte sie vor sich hin. Hatte Herr Gründgen wirklich Geldsorgen? Und was bedeutete das? Michel aß schon seit Tagen nicht mehr mit in der Mensa. Ob das für die Gründgens extra kostete? Ob Michel wohl für den normalen Unterricht bezahlen musste?

Zum Glück saß Nele auf ihrem Bett.

„Nele, weißt du, ob externe Schüler für den Unterricht hier bezahlen?“, wollte Mila angespannt wissen.

Nele sah verwundert auf. Dann widmete sie sich wieder ihrer Nagelfeile und murmelte: „Schulunterricht ist umsonst. Aber Reitstunden kosten. Zahlst du etwa nicht?“

Mila wurde rot. Sie hatte keine Ahnung. Ein Stipendium wie Nele hatte sie nicht, also bezahlten ihre Eltern vermutlich die Reitstunden und auch für Adesso und Renate und die Mensa – meine Güte! Mila wurde bewusst, wie teuer das alles sein musste. „Weißt du, ob die Lehrer für Wohnungen und Essen bezahlen müssten? Und die Gründgens auch?“, fügte sie leise hinzu.

Nele hob eine Augenbraue. „Na, davon gehe ich doch mal ganz stark aus. Warum sollten die umsonst wohnen? Sie erhalten für ihre Arbeit einen ganz normalen Lohn, also müssen sie auch Miete zahlen. Wie jeder andere auch.“

Mila seufzte. Da war wieder dieser zickige Unterton. Neles Eltern waren früher wohlhabend gewesen, dann jedoch pleitegegangen. Das nagte immer noch an Nele und man konnte wirklich sehr schlecht mit ihr über Geld reden.

Für heute reichte es Mila und sie griff nach ihrem neuen Krimi. Endlich mal an etwas anderes denken als an Pferde, Freunde und Prüfungen!

Süßes und Saures

Die nächsten Tage vergingen mit sehr viel Training. Luke und Tamara hatten Übungspläne aufgestellt, die sogar an den Wochenenden doppelte Einheiten vorschlugen. Diese waren zwar nicht verpflichtend, aber selbstverständlich wollte jeder Schüler zeigen, dass er sich anstrengte. Eines Abends ließ sich Mila erschöpft auf das Sofa im Gemeinschaftsraum fallen.

„Mir tun alle Knochen weh“, seufzte sie.

Franzi plumpste neben sie. „Ach, morgen haben wir Yoga, das hilft bestimmt“, meinte sie. Sie legte ihre langen Beine, die mal wieder in engen schwarzen Jeans steckten, auf den Couchtisch.

„Füße runter, Blacky!“, rief Jakob und stellte einen Haufen Bücher auf den Tisch.

Mila zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. „Warum schleppst du denn deine Schulbücher an?“

„Bald kommt die Klausurenwelle“, sagte Jakob schulterzuckend. „Irgendwann muss man ja mal anfangen.“

Nele stimmte ihm zu: „Wer gute Noten haben will, sollte früh beginnen.“

Mila sah sie zweifelnd an. „Bis dahin sind es noch zwei Wochen.“

Da entdeckte sie, dass auch Mark und Nele Bücher dabeihatten. Sie sprang auf. „Stopp!“, schrie sie entsetzt. „Okay, okay. Ich sehe ja ein, dass wir neben dem superanstrengenden Training auch noch den Kopf füllen müssen. Aber nicht heute, ja? Bitte, lasst uns heute noch einmal einen DVD-Abend ohne Bücher machen.“ Sie schlug die Hände zusammen und flehte: „Bitte, bitte, bitte!“

Jakob lachte. „Ist ja schon gut! Also los, suchen wir einen Film aus. Aber nicht schon wieder Nordsturm. Und wer holt das Popcorn?“

„Ich!“, riefen Charly und Mila gleichzeitig und machten sich auf die Socken.

Sie waren kaum auf dem Flur, da vernahmen sie laute Schreie aus der Küche. Sofort rannten sie los. Mila öffnete die Tür – und vor ihr bot sich ein seltsames Schauspiel: Isa stand mit hochrotem Kopf vor einem großen Topf auf dem Herd, aus dem knallend Popcornkörner hervorschossen. Sie hatte den Kopf eingezogen, um nicht getroffen zu werden, und versuchte gleichzeitig, mit den Händen die aufpoppenden Bällchen zu fangen.

Mila und Charly sahen ihrem irren Gehüpfe perplex zu. Und als dann Frau Käthe sie auch noch von hinten zur Seite schob und ein empörtes „Herrschaftszeiten!“ donnerte, konnten sie nicht mehr. Sie lachten und lachten, bis ihnen die Tränen die Wangen hinunterliefen. Vor ihnen sah Isa mit ängstlichem Blick zur herbeirauschenden Frau Käthe, die beherzt den Deckel auf den Topf setzte, den Topf vom Herd zog und ihn ausschaltete. Kopfschüttelnd sah sie erst Isa an, dann die vielen klebrigen Popcornbällchen und die verschmierte Küche. „Ja, hast du den Zucker schon vorher reingetan?“, fragte sie entsetzt.

Isa nickte. „Muss doch süß sein“, wisperte sie mit gesenktem Kopf.