Phantomschmerzen - Björn Bourry - E-Book

Phantomschmerzen E-Book

Björn Bourry

4,9

Beschreibung

Der Künstler kämpft mit seinen Erinnerungen. Jemand kocht vor Wut. Und Männer ringen mit ihrer animalischen Natur. Acht ungewöhnliche Erzählungen über brennenden Hass, Störenfriede und das lauernde Böse im Menschen.

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Das Buch

Der Künstler kämpft mit seinen Erinnerungen. Jemand

kocht vor Wut. Und Männer ringen mit ihrer animalischen Natur.

Acht ungewöhnliche Erzählungen über brennenden Hass, Störenfriede und das lauernde Böse im Menschen.

Der Autor

Björn Bourry wurde 1983 in Köln geboren. Während seines Studiums der Geschichte und Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt war er nebenberuflich als freier Mitarbeiter in verschiedenen Redaktionen tätig. Anschließend absolvierte er ein Volontariat in Göttingen. Derzeit lebt und arbeitet er in Bonn. Der Schwerpunkt seines literarischen Schaffens liegt auf Kurzgeschichten.

Mehr Geschichten von Björn Bourry in: Ein Königreich für Ihre Gedanken – und weitere Erzählungen ISBN: 978-3-7347-9464-3

Inhalt

Hitzewallungen

Feigling

Phantomschmerzen

Seine Tränen

Die Hitze des Lebens

Ein Störenfried

Spiel-Trieb

Wunschkinder

„Wir brauchen keine anderen Welten, wir brauchen Spiegel!“

Stanislaw Lem, Solaris

Hitzewallungen

Ihm war verdammt warm. Er dachte sich jedoch nicht viel dabei und zog einfach den Pullover aus. Den verwunderten Blick von Astrid ignorierte er, griff zu seinem Glas Wein, das vor ihm auf dem runden Tisch des Cafés stand und sprach weiter über den Artikel, den er am Morgen in der Zeitung entdeckt hatte. Den ganzen Tag über hatte er sich darüber schon geärgert. Die Wut brodelte in ihm.

„Gestern hat die Polizei wieder vier Einwanderer geschnappt, wie sie versucht haben, in ein Haus einzubrechen. Das hat in der Zeitung gestanden. Eine verfluchte Plage diese Aus...“

Er unterbrach sich selbst, da er im Augenwinkel den Kellner bemerkte und kippte den letzten Rest Wein gierig hinunter, während er, das Glas noch gegen den Mund gepresst, die Hand hob, um beim Ober per Handzeichen den dringend benötigten Nachschub zu ordern. Vom Reden trocknete sein Mund immer aus. Und dann noch die schwüle Luft heute...

„Jedenfalls diese diebischen Immigranten immer“, setzte er wieder an.

„Aber viele von denen sind doch Flüchtlinge“, erwiderte Astrid, woraufhin er nur erbost den Kopf schüttelte und sich mit der Hand Luft zufächerte.

Er begann zu schwitzen, spürte die ersten Schweißtropfen seine Wirbelsäule hinunter wandern. Sie zogen eine feuchte Spur nach sich. Wo bleibt denn bloß die neue Flasche?

„Papperlapapp! Flüchtlinge? Das sind doch nicht mehr als elende Schmarotzer. Und das Gerede von Krieg, Gewalt und Leid? Ein winziger Teil davon stimmt vielleicht - wenn überhaupt. Die wirklich Verzweifelten sind ja auch willkommen. Aber der Rest? Die würden sich nicht die lästige Mühe machen und sich in einem Land niederlassen, das so ganz anders als ihre Heimat ist, wenn man ihnen hier nicht von vorne bis hinten das Geld in den Hintern bla...“

Der Kellner brachte den Wein.

Er schenkte sich selbst mehr nach, als das Glas fassen konnte. Astrid hatte ihr erstes noch gar nicht ausgetrunken. Er soff seines in einem Zug aus.

Gott, ist mir heiß, dachte er und sah sich verwundert um. Die anderen Gäste saßen mit Pullovern und Sommerjacken an den Tischen. Frostbeulen, schimpfte er in Gedanken.

Astrid versuchte vom Thema abzulenken.

„Was wollen wir denn nun bestellen?“

„Egal“, murmelte er und entdeckte auf der anderen Straßenseite eine Gruppe schwarzer Männer, die lärmend vorüber zog. Sie lachten in einer enormen Lautstärke und unterhielten sich in einer fremden Sprache.

Schmarotzer, dachte er und um ihren Tisch herum fielen ein, zwei Bemerkung über die Gruppe von „Afrikanern“, die ihn in seiner Ansicht bestärkten. Astrid wollte Pasta bestellen. Er überhörte ihre Worte routiniert.

„Die passen doch schon von ihren natürlichen Voraussetzungen nicht hierher“, sagte er.

„Was soll das nun wieder bedeuten?“, fragte Astrid.

„Das Temperament! Das ist doch allgemein bekannt! Also wirklich Astrid...Diese Warmblüter sind das Klima gar nicht gewöhnt, da ist es ja nur logisch, dass die in dieser Gegend Tag ein Tag aus frieren. Vielleicht kompensieren sie den Verlust ihrer natürlichen Umgebung mit ihrem Verhalten.“

Astrids linke Augenbraue wanderte skeptisch nach oben. Er griff zur Serviette, denn nun hatten sich auch auf seiner Stirn kleine Tropfen gebildet.

Muss der Ärger über das Lumpenpack sein, dachte er und wischte den Schweiß weg.

„Geht es dir nicht gut?“

„Doch, doch“, sagte er und goss sich ein weiteres Glas Wein ein. Er spürte, wie sich unter seinen Achseln Pfützen bildeten und vermied, wie es sonst seine Art war, mit ausladenden Gesten seine Worte zu bekräftigen. Ihm wurde immer wärmer.

„Sie kompensieren bestimmt“, fuhr er fort, um sich wieder auf das Gespräch mit seiner Frau zu konzentrieren. „Weil sie hier auskühlen, sind die so unangepasst, gerade die jungen Exemplare. Das hört man doch ständig, deswegen suchen die andauernd Streit. Lauern normalen Menschen wie uns auf, betteln und belästigen anständige Mädchen. Und dazu kommt noch die ganze Kriminalität.“

„Alles wegen dem Wetter“, erwiderte Astrid sarkastisch und bestellte ihre Nudeln, da der Kellner von alleine mit der dritten Flasche Wein an ihren Tisch zurückkehrte. Ihm war das leere Glas seines Gastes nicht entgangen.

„Sind eben arme Schweine, die nicht aus ihrer Haut können“, erklärte er. „Alles Biologie. In diesem Sinne ist dem Einzelnen auch kein Vorwurf zu machen...Könnte ich eine Flasche Wasser haben? Es ist so heiß heute.“

Er bemerkte den überraschten Blick des Obers nicht. An der Theke des Lokals kontrollierte der Kellner das Thermometer. 14 Grad. 18 Uhr. 16. Oktober.

Er schnaufte, rang um Luft. Astrid reichte ihm ihre Serviette, damit er sich mehr Luft zuwedeln konnte.

„Ist dir denn nicht auch warm, Astrid?“

„Nein“, sagte sie und unterließ den Versuch, nach ihrer Strickjacke zu greifen, da ihr im Gegenteil kalt war.

„Es ist nur die Aufregung“, beschwichtigte sie ihn.

„Aufregung? Wer regt sich denn auf? Ich gebe doch bloß Fakten wieder!“ Seine Stimme wurde lauter. „Tatsache ist doch, dass immer mehr kommen. Seitdem ist man eben nicht mehr sicher hier. Oder? Und so langsam ist das Limit nun auch wirklich erreicht! Oder?! Wir sind doch nicht das Sozialamt für den Rest der Welt!“

Er blickte auffordernd zum Nachbartisch, an dem sich vor fünf Minuten ein junges Paar gesetzt hatte. Die Beiden starrten gezielt an ihm vorbei Löcher in die Luft.

„Können wir endlich das Thema wechseln?“, fragte seine Frau und griff genervt zur Dessertkarte, weil sie nichts anderes tun konnte.

„Ich habe doch Recht!“, rief er. Andere Gäste drehten sich zu ihnen um. Astrid vergrub ihr Gesicht zwischen den Abbildungen von Schokoladeneis und Vanillecrêpes.

„Ja, glotzen Sie nicht so blöd!“, brüllte er. „Sie haben doch eben selbst, als die Neg...als die Schwarzen da eben lang gelaufen sind, gesagt...Aber das ist mal wieder typisch. Keiner hat den Mumm, zu dem zu stehen, was er denkt!“

Er schwitzte noch stärker als zuvor. Feine, dunkle Linien und große, schwarze Flecken schmückten sein hellblaues Hemd.

„Gerade gestern“, rief er. „Erst gestern, so hat es heute in der Zeitung gestanden...die klauen wie die Raben. Von wegen Krieg und Vertreibung. Die kommen wegen Geld! Die wollen hier auf der faulen Haut liegen! Denn die wissen: Einmal zum Amt gehen, vom grausamen Schicksal jammern, da sei so viel Gewalt, so viel Elend und Hunger...Mimimimi. Und Schwupps! Schon kommen jeden Monat pünktlich die Miete und das Kindergeld...und überhaupt! Ich persönlich, also ich selbst, ich habe die Schnauze voll!“

Der Schweiß breitete sich aus, ließ seine Frisur zu einem feuchten Haarknäul werden, lief den Rücken hinunter, bahnte sich seinen Weg die Beine herab. Er redete sich weiter in Rage. Konnte nicht anders.

„Wir sind doch nicht für alles Leid auf der Erde verantwortlich oder können uns um alle kümmern! Nur wegen dieser Einstellung kommen die doch überhaupt! Weil die sich da oben aufspielen und so tun, als sei jeder willkommen. Ich sage es ganz deutlich“, betonte er mit anschwellender Stimme. „Ich sage: Das ist ganz gewiss nicht so.“

Astrid fischte mit ihren Füßen unter dem Tisch nach ihrer Handtasche. Dann schnappte sie sich die Strickjacke und schlich unbemerkt von ihm, der mittlerweile aufgestanden war und gerade noch der Versuchung widerstehen konnte, auf den Tisch zu klettern, davon. Die ersten Gäste erhoben sich und flüchteten aus dem Lokal. Er warf ihnen Beleidigungen hinterher.

Der Kellner eilte herbei.

„Ich denke, es ist besser, wenn sie nun zahlen und gehen.“

Er lachte hysterisch. „Hörst du das? Astrid? Dieser Pinkel will anständige Menschen wie uns hinauswerfen! Astrid! Astrid?“

Er drehte sich um und fand nur einen verwaisten, beigefarbenen Holzstuhl. Der Kellner wiederholte seine Aufforderung und hielt ihm die Rechnung unter die Nase.

„Sie gehören wohl auch zu denen“, begann er und holte seine Brieftasche hervor. „So ein Einwandererkind! Die Sorte, die angeblich andauernd diskriminiert wird. Also lieber schön Geld in die Ausbildung von solchen kleinen Versagern pumpen, damit auch erst gar kein schlechtes Gewissen aufkommt. Und dann wundern sich alle, wenn richtige deut...also wenn die klügeren, leistungsfähigeren Kinder nicht richtig gefördert werden. Macht aber nix, auf dem Arbeitsmarkt läuft das ja auch so ab. So gesehen bereitet die Schule tatsächlich auf das spätere Leben vor.“

Diese Hitze, dachte er, ich gehe kaputt! Als hätte mich jemand unter Strom gesetzt.

Der Kellner hatte sich im Griff und nahm wortlos die Bezahlung entgegen. Mit einem Handzeichen deutete er an, dass der verehrte Gast sich jetzt lieber schleunigst vom Acker machen solle.

„Ganz recht“, brüllte er. „Jetzt sind sie nicht einmal mehr auf unser Geld angewiesen. Gibt genug Arschkriecher und Ihresgleichen, als dass ICH gut genug wäre, weiterhin Gast in ihrem Etablissement zu sein und ihren ausländischen Fraß zu essen.“

Er verließ das Café und marschierte schnaufend und nach Luft ringend die Straße entlang. Seine Kleidung war inzwischen vollends durchnässt und klebte an ihm. Eine Wolke stechenden Schweißgeruchs umwehte ihn.

Verdammte Parasiten, ging es ihm durch den Kopf, bedeuten noch unser Ende.

Er stoppte, weil er es nicht mehr aushielt und zog sich das schweißgetränkte Hemd aus, schleuderte den feuchten Stoff auf den Asphalt. Die neugierigen Blicke der Passanten waren ihm egal.

Mir ist so heiß, dachte er. Ich muss irgendwo hin, wo es kühler ist. Zielstrebig trottete er in Richtung Flussufer.

Eine kühle Brise wird mir gut tun - am Wasser weht immer ein kalter Wind. Warum ist mir bloß so warm?

Auf dem Weg kam ihm eine Frau mit einem Kinderwagen entgegen, sie trug Jacke und Mütze. Die Temperatur war in der Zwischenzeit auf neun Grad herabgesunken. Mit großen Augen starrte sie ihm nach. Schweißgebadet, mit nacktem Oberkörper und leerem Blick schlurfte er daher. In ihm kochte der Hass.

Wenn ich nach Hause komme, fange ich an, alles zu verbarrikadieren, beschloss er. Wir sind nicht mehr sicher vor den verdammten Eiwanderern, Flüchtlingen und dem ganzen Rest dieses Gesindels. Bald schlagen sie zu. Sieht das denn niemand? Was muss denn noch passieren? Astrid, die dumme Kuh, sie versteht gar nichts. Dabei müsste sie doch gerade als Frau...Ich habe bemerkt, wie sie von diesen Typen angesehen wird. Ich weiß, was sie am liebsten mit ihr anstellen würden!

Endlich erblickte er das Ufer. Ein kühler Wind wehte herüber. Er spürte ihn nicht. An der Brüstung lehnte er seinen Oberkörper soweit wie möglich nach vorne. Doch kein Luftzug, keine wohltuende Brise erreichte ihn. Dicke Schweißtropfen fielen von seinem Körper hinab in das Wasser unter ihm. Die Wut brannte unaufhörlich.

Ich muss mir eine Waffe besorgen, dachte er. Wir müssen vorbereitet sein. Man darf nicht mit heruntergelassenen Hosen von diesen Mistkerlen ausgenommen werden. Prävention heißt das Zauberwort. Man muss ihnen zuvorkommen. Gott, diese Hitze!...Ich werde den ersten Schritt machen, damit es gar nicht erst soweit...

Mit einem Male verlor er das Gleichgewicht, eine Hand klammerte sich an der Brüstung fest. Unter ihm schlugen die Wellen des Flusses gegen die Ufermauer.

„Wasser!“, schrie er. „Kaltes Wasser!“

Ein Finger ließ von dem Geländer ab, dann der nächste, schließlich drei. Der Körper fiel hinab in die Fluten. Die Strömung riss ihn mit, begrub ihn erbarmungslos unter sich.

Das Wasser war kochend heiß.

Feigling

Seine Hände gleiten über die Leinwand. Instinktiv verteilt er die Farben, kombiniert immer neu, formt aus bunten Linien, Klecksen und Punkten sein Inneres. Er zieht es aus seiner Seele heraus, packt es, wirft es auf die weiße Fläche, die es gefangen nimmt und es nicht mehr los lässt. Die Leinwand lässt es erstarren, macht es sichtbar. Deutlich zu erkennen für jeden, der nur eine Sekunde lang einen Blick darauf wirft. Der Künstler ringt mit sich, zögert, ob er noch mehr preisgeben soll.

Ist das nicht genug? Macht nicht jeder weitere rote Tropfen alles zunichte?

Er gibt seinem Impuls nach, lässt den nächsten Schwall hinaus. Als würde er alle seine Gedanken und Emotionen hinaus kotzen. Sie zu einem Bild formen. Angewidert sieht er mit prüfendem Blick auf die Leinwand. Seine hagere Gestalt wirkt kraftlos. Mit hängenden Schultern steht er zwei Meter von seinem Werk entfernt. Er schwankt, kann sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Das Malen hat ihm alles abverlangt. Er betrachtet den wild dahin gerotzten bunten Klecks. Undurchsichtig und zugleich eindeutig.

„Das bin vollkommen ich“, sagt er in die Stille seines kleinen, spärlich beleuchteten Zimmers und kämpft sich in Richtung einer mit Farbklecksen übersäten Matratze. Manche sagen, er lebt für seine Kunst. Er selbst bezeichnet sich als armen Schlucker, der nichts anderes gelernt hat. Es ist drei Uhr in der Nacht und er ist ausgebrannt. Tagelang hat der Künstler vor seiner Leinwand gestanden und geschaffen. Verzweifelt. Uninspiriert. Aus reiner Notwendigkeit.

„Ich muss einfach arbeiten!“, hatte er mal einem Bekannten erzählt, der bei einer Besichtigung des Zimmers nicht schlecht gestaunt hatte.

Der Künstler verkörperte all das, was der Bekannte nicht war und was er so gerne sein wollte. Unabhängig. Selbstbewusst. Wahrhaftig. Einer, der seinem Drang nach Perfektion nachgab. Einer, der die Schöpfung imitierte - der Bekannte hatte einen Hang zur religiösen Naivität - und so hatte er nicht begriffen, dass er rein gar nichts verstand. Er interpretierte die Worte des Malers falsch. Dem Bekannten war es egal, so lange er denken konnte, was er wollte. Dem Künstler blieb dieser Luxus verwehrt. Stattdessen arbeitete er immer weiter, um Körper und Geist zu beschäftigen. Damit kein Raum für die Erinnerung blieb.

Ein alter Freund hatte einmal Mitleid und stellte die Bilder in seinem Geschäft aus. Es gab eine Vernissage mit Sekt und vielen schlauen Menschen. Allesamt Geschäftsleute und Kunden, die sich gegenseitig auf die Schulter klopften, weil