Philosophie der Maschine - Martin Burckhardt - E-Book

Philosophie der Maschine E-Book

Martin Burckhardt

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Beschreibung

Die Maschine ist die große Unbekannte des Denkens. Wen dies sonderbar anmutet, weil man ihr als Metapher überall begegnet, werfe einen Blick auf unser Bild von Gott : Nacheinander wurde er von der Kultur zum Theaterereignis, zum Uhrmacher und schließlich zum Programmierer umgeschult. Worin liegt der philosophische Nerv der Maschine, dieser großen Unbekannten des Denkens ? Ausgehend von der Rätselfrage des ›deus ex machina‹ wird der Leser in kurzen, prägnanten Abschnitten mit dem ›Denken ohne Denker‹ konfrontiert. Über die historischen Exkursionen hinaus führt Martin Burckhardt in dieser philosophischen Grundlegung den Leser in die Gegenwart auf den so langsamen wie unweigerlichen Rückzug der Philosophie und der gleichzeitigen Explosion maschineller Intelligenzen hin. Die Maschine ist kein technisches Gadget mehr, sondern längst zur geistigen Größe geworden. Sie ist das Unbewusste der Philosophie, der Gesellschaft überhaupt. Würde der Geist der Maschine freigesetzt, wäre endlich eine nun von allem metaphysischen Ballast befreite, radikal geistesgegenwärtige Philosophie denkbar.

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Martin Burckhardt

Philosophieder Maschine

Inhalt

1. Einleitung

2. Phänomenologie der Maschine

3. In den Katakomben der Metaphysik

4. Vom Kunststoffgott

5. Die Kunst des Vergessens

6. Metempsychose der Zeichen

7. Sozioplastik

8. Rätsel der Unendlichkeit

9. Die Untoten der Philosophie

10. Dämonisierung der Welt

11. Die Politik des Himmels

12. Weltherrschaftsmaschine

13. Der Rest der Welt

14. Unter Strom

15. Im Innern des Panoptikums

16. Eine kurze Geschichte der Digitalisierung

17. Im Maschinenraum

18. Der Abgesang der Philosophie

Anmerkungen

1Einleitung

Vielleicht sucht man sich eine Frage nicht aus. Vielleicht ist es gerade umgekehrt, vielleicht erscheint eine Frage, eine wirklich drängende Frage wie ein Traumbild, nur dass es sich beim Erwachen nicht auflöst, sondern, als schwach leuchtender Himmelskörper, auch tagsüber noch zu sehen ist. Schließt man die Augen, beginnt es wie ein nachglühender Reflex oder ein Phantombild am Nachthimmel des Denkens herumzuspuken. Oder unter der Schädeldecke, wer weiß. Und vielleicht ist diese Unentschiedenheit zwischen Tag und Nacht, zwischen der körperlichen und der phantomartigen Erscheinung, das Wesen jener geistigen Unruhe, für die man – um sie einzuhegen – die Disziplin der Philosophie erfunden hat.

Es ist Jahre her, dass mich die Frage der Maschine heimgesucht hat. Nicht in Form eines Buches oder als Resultat einer Lektüre, sondern auf die beiläufigste Art und Weise. Es war im Tonstudio – und ich schaute auf das Display eines Samplers und registrierte, etwas verwirrt, dass die Maschine von mir zu wissen verlangte, ob ich den Hybrid unter einem anderen Namen abspeichern wolle. Eigentlich war es nur dieses Wort: Hybrid. Und die schlagartig einsetzende, unangenehme Erkenntnis, dass der Vorgang des Sampelns eine Form der Genetik darstellt, nur dass man hier nicht mit Lebewesen herumspielt, sondern mit Symbolen. Gewiss: all dies liegt weit zurück. Es war die Zeit, als man den Techno erfand, als der Kommunismus sich noch hinter einer Mauer verbarrikadierte und der Philosoph Habermas die neue Unübersichtlichkeit ausrief. Mag all dies Schnee von gestern sein, hat sich die Frage der Maschine so wenig erledigt wie das Befremden dieses Augenblicks. Ganz im Gegenteil. Die Frage der Maschine hat an Radikalität zugenommen, in einem Maße, das ich damals kaum für möglich gehalten hätte. So insistierte Craig Venter darauf, als er vor drei, vier Jahren ein synthetisches Bakterium vorstellte, dass man es hier nicht mit einem Akt der Biologie, sondern der Programmierung zu tun habe. Deswegen wolle er nicht von einem gentechnisch veränderten Lebewesen, sondern von etwas anderem sprechen: einer software driven machine. Aber was ist das: eine softwaregetriebene Maschine? Ganz offenkundig ist hier der somatische Teil als Maschine gedacht. Und dieser Maschine wiederum wird, über die Software, eine Intelligenz implantiert, die etwas Höheres zu sein scheint als das biologische Substrat. Aber ist dieser Ausdruck nicht eine vollständige Umkehrung unseres bisherigen Denkens? Hat man bislang versucht, der Maschine Leben einzuhauchen, besteht das Ziel nun umgekehrt darin, dem Leben die digitale Logik zu implantieren. In dem Youtube-Video, in dem Craig Venter die Arbeit seiner Mitarbeiter vorstellte, gab es einen Augenblick, an dem das anwesende, staunende Publikum in ein befreites Gelächter ausbrach. Und zwar ging es darum, dass die Forschergruppe – um ihr Gebilde von den natürlich vorkommenden Bakterien zu unterscheiden – dem Gen-Code eine Copyright-Botschaft hinzugefügt hatte. Sie enthielt die Namen aller sechsundvierzig Projekt-Mitarbeiter, ein paar Zitate von Menschen der Zeitgeschichte, etwa die Bemerkung Robert Oppenheimers, dass man die Dinge nicht so sehen solle, wie sie seien, sondern wie sie sein könnten, und zu guter Letzt: die Adresse jener Website, die dem Bakterium gewidmet worden war. Wann, so fragte Venter sein Publikum, habe man schon ein Bakterium gesehen, das eine eigene Homepage unterhalte? Dieser kleine Witz war so gut platziert wie die Berufung auf Oppenheimer, den Vater der Atombombe. Denn mit der Vorstellung, dass wir in Zukunft unsere Bakterien von einer Website herunterladen und mit einem Gen-Drucker ausdrucken können, werden die verwegensten Fantasien der Gentechnik noch übertroffen – ahnt man, dass die Schreckgespenster der Literatur, von den Golem-Fantasien des Mittelalters bis zum Monster des Dr. Frankenstein, der verschwommene Vorschein einer zutiefst unheimlichen Verwandlung sind. Deswegen der Witz und das befreite Gelächter. Denn wenn ein solches Bakterium kein anderes Interesse hat, als auf seiner Homepage allerlei Likes und Retweets zu generieren, so können wir, genauer: kann unser humoristischer Instinkt daraus schließen, dass auch ein solches Bakterium nichts weiter zu sein scheint – ja, als was? Ein Mensch?

Als ich damals, im Licht des Spätnachmittags, auf dem Display des Samplers dieses Wort las, Hybrid, waren all diese Dinge noch keine Frage, geschweige, dass es eine Theorie gegeben hätte, die meine Begriffsstutzigkeit hätte lindern können. Ganz im Gegenteil. Was immer ich las, mit wem auch immer ich mich über die Thematik austauschte – stets beschlich mich das Gefühl, dass im Zeichen des Computers allerlei verwaistes, metaphysisches Gerümpel aus dem Gedankenspeicher hervorgekramt wurde. Und weil das niemanden zu bekümmern schien, setzte ich mich hin und schrieb, zögernd beinahe, einen Text, der den Titel »Digitale Metaphysik«1 trug. Im Grunde war die Ausgangsfrage denkbar einfach: Was ist das für eine Maschine, welche die Kraft besitzt, die Gedankenwelt eines Menschen nachhaltig zu beeinflussen? Ohne dass mir dies vollständig bewusst war, war damit der Aufriss zu einem langen Forschungsprojekt gegeben, das sich seither in einer Reihe von Texten und Büchern niedergeschlagen hat. Dabei spielte die Philosophie anfangs eine eher untergeordnete Rolle. Zunächst einmal ging es nur darum herauszufinden, ob je zuvor in der Geschichte eine dem Computer vergleichbare Maschine existiert hatte. War damit der Bauplan für die Metamorphosen von Raum und Zeit2 gegeben – eine Kulturgeschichte, die die Wandlungen der Maschine vom Räderwerkautomaten bis zum Computer verfolgte –, dehnte sich die Fragestellung immer weiter aus, kamen sukzessive all jene Bereiche ins Spiel, die ich zuvor peinlichst vermieden hatte. Dabei löste sich die Maschine, als geräthaftes Objekt, zusehends auf, oder genauer, trat der Geist in der Maschine hervor: eine sonderbar kopflose, schweigsame Instanz, die sich, wenn überhaupt, nur in vermittelter Form ausdrückte, stets aber zwischen Himmel und Hölle, Religion und Philosophie oszillierte. Folglich war es geradezu eine Zwangsläufigkeit, dass Gesellschaftsinstitute wie das Alphabet, die Knabenliebe oder das Dogma der Unbefleckten Empfängnis nach einem Platz in der Genealogie der Maschine verlangten, ja, dass Letztere sich zunehmend anfühlte wie ein vergessenes Höhlensystem. In dieser Welt, in der ein steter Dämmer, ein Gedankenzwielicht herrschte, war nicht der menschliche Geist, sondern der Geist der Maschine tonangebend, passierte es nicht selten, dass sich Ursache und Wirkung auf bizarre Weise vertauschten, ja, dass die Gesetze der Logik geradezu dispensiert schienen. Mag die Beschreibung dieser Welt, ihrer Fremdheit wegen, den Charakter einer Traumerzählung annehmen, so handelt es sich doch keineswegs um das Produkt einer überschießenden Deutungsapparatur. Ganz im Gegenteil: folgt man den historischen Entwicklungsschritten, findet man, statt sich im Labyrinth der Philosophie zu verirren, zu einer Deutung, deren Plausibilität sich von selber ergibt. Damit aber ist der folgenden Untersuchung eine Methode ins Stammbuch geschrieben. Denn verschreibt man sich einer Philosophie der Maschine, kann man nicht von einem fixen Maschinenbegriff ausgehen, sondern ist zunächst einmal genötigt, sich mit den Metamorphosen der Maschine selbst zu beschäftigen. Genau dies wird auf den folgenden Seiten geschehen. Würde ein Schulphilosoph diese Aufgabe dadurch lösen, dass er die Ahnengalerie der Philosophiegeschichte abschreitet und fragt, wie ein Platon, ein Aristoteles oder ein René Descartes die Maschinenmetapher für ihr Denken nutzbar gemacht haben, täte sich hier das Problem auf, dass ein solch metaphorologischer Zugang die Realität der Maschine verleugnet: das befremdliche Faktum, dass die Maschine ins Denken einschlägt, lange bevor sie von der Philosophie aufgegriffen wird. Spricht ein Philosoph beispielsweise vom mechanischen Weltbild, so ist das Setting gesetzt, befindet man sich im Dunstkreis Descartes’, der seinem Weltbild die Form eines Räderwerkautomaten verliehen hat. Tatsächlich jedoch ist die Maschine, mithilfe derer der Philosoph sein Denken auf Touren bringt, kein Produkt seiner Zeit, sondern lange zuvor schon, im 12. oder 13. Jahrhundert, in das mittelalterliche Zeitalter eingeschlagen: ein fremdartiger, rätselhafter Meteor, der die Lebenswelt der Zeit tiefgreifend verändert, im scholastischen Denken jedoch kaum Spuren hinterlassen hat. Dieser Umstand mutet gleich doppelt merkwürdig an. Denn zweifellos stellt die in der materiellen Maschine verkapselte Rationalität eine mechanistische Philosophie avant la lettre dar, wäre es von daher nur ein Sprung zu der Annahme, dass man in ihrem Gefolge, oder zumindest in einer gewissen zeitlichen Nähe, einen Denker vom Schlage eines Descartes hätte erwarten können. Warum aber verspätet sich dieser – und dann gleich um Jahrhunderte? Diese Frage, in all ihrer Schlichtheit, konfrontiert uns mit dem schwer begreiflichen Komplex eines Denkens ohne Denker, das der Philosophie erst nach mehreren Jahrhunderten zu Kopf steigt, auf eine Weise zudem, die zweifeln lässt, ob die Philosophie der Maschine tatsächlich einen vernunftgemäßen Gebrauch hat angedeihen lassen. Denn was macht Descartes? Er verwandelt das Menschenwerk des historischen Räderwerkautomaten zu einer himmlischen Maschine, die aller Historizität vorausgeht. Weil alles Maschine ist, kann er die Tiere als »natürliche Automaten« auffassen – ein Akt, der nichts anderes ist als maschinelle Metaphysik. In jedem Falle aber ist die Historizität der Maschine ausgeblendet – und mit ihr: die Historizität des eigenen Systemprogramms. Wendet man sich dieser Leerstelle zu, drängen sich eine Reihe von überaus merkwürdigen Fragen auf. Wie kommt es, dass die Maschine zur zentralen Vernunftmetapher hat werden können, selbst aber ein blinder Fleck der Philosophie geblieben ist? Woher rührt der metaphysische Einschlag, der mit ihrer Verwendung einhergeht – und der keineswegs auf die Welt des 17. Jahrhunderts begrenzt ist? Denn mögen sich die Zeitgenossen in der Überwindung des mechanistischen Weltbildes längst neuen Denkfiguren zugewandt haben, so hat sich die Evokation der Maschine, als letztlich metaphysische Batterie, keineswegs erledigt. Im Gegenteil. Überall dort, wo von autopoietischen Systemen, von Information oder Kybernetisierung die Rede ist, ist das Denken von jener dunklen Strahlkraft durchwirkt, die auch Descartes schon so ingeniös für sich genutzt hat. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Maschine vor allem einer Verewigungslogik dient, bei der die Metapher nur die Funktion hat, eine schwächelnde Begrifflichkeit zu einem gedanklichen Rahmenwerk aufzumöbeln. Insofern könnte man die zur Metapher aufgelöste Maschine als Gebärmutter auffassen, als Matrix, mithilfe derer sich ein Denken als philosophia perennis geriert. Strukturell betrachtet übernimmt die Maschine jene metaphysische Ladung, die das Denken, das die Philosophie als eigenständige, der Götterwelt entrissene Sphäre darstellen will, peinlichst vermeidet. Zugleich markiert sie – als Metapher der Welt – den Ort, wo man den mythischen Sondermüll entsorgen und aus dem Blick schaffen kann.

Genau dieser Widerspruch ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Abhandlung: dass man Philosophie und Maschine zwar als Äquivalente benutzt, dem historisch wirkmächtigen Artefakt jedoch so gut wie keine Bedeutung beimisst – oder wenn es, zu einer Metapher entleert, deren Bedeutung mit der Sache so viel zu tun hat wie der Löwe des Nordens mit seinem animalischen Totem.3 Weil man auf diese Weise der metaphysischen Verführung erliegt, verschwindet die Sache des Denkens hinter der ins Metaphysische aufgerüsteten Himmelsmaschine, verwandelt sich die Maschine umgekehrt zu einem obskuren Objekt der Begierde. Damit aber erweist sich die Maschine nicht als eindeutiges, sondern als janusköpfiges Wesen. Hat man hier die gefügig gemachte, zur Metaphysik aufgerüstete Maschinenmetapher vor Augen, findet sich auf der blickabgewandten Seite das stumme, historische Artefakt. Dominiert Ersteres, könnte man vom Traum der Maschine sprechen, wenden wir uns Letzterem zu, tut sich, hinter der bloßen Funktionalität, eine Stille auf, die lauter Fragen auf den Plan ruft: Wie kann ein menschliches Artefakt als zeitloses und übergeschichtliches Gotteswerk erscheinen? Wie kommt es zur Metaphorisierung, jener Himmelfahrt, infolge derer sich das begrenzte, endliche Ding zum universalen Ordnungszusammenhang auswächst? Und was passiert, wenn man die Sache des Denkens auf ihren Anfang, ihre historische Ur-Sache zurückführt? Was überhaupt ist eine Maschine? Handelt es sich hier um ein materielles Gebilde oder um eine intellektuelle Blaupause?

Mit diesen Fragen sind wir mitten im Thema gelandet, in jenem gedanklichen Zwielicht, in dem die Maschine einen übergroßen, geradezu göttlichen Schatten wirft. Von daher liegt die Schlussfolgerung nahe, in ihr einen metaphysischen Projektor zu sehen, ja geradezu das Gespenst aller Metaphysik. Ungeachtet dieser phantasmatischen Wirkung gilt es daran zu erinnern, dass es sich bei der Maschinenmetapher nicht um ein bloßes Hirngespinst handelt, sondern dass sie (im Rückbezug auf den Maschinenkörper) in der Realität verankert ist. Dieser Verankerung verdankt sie ihre Prägnanz und ihre Überzeugungskraft. Dabei muss der Einzelne nicht einmal wissen, wie die Maschine im Einzelnen funktioniert, die Selbstevidenz ihres Funktionierens allein reicht aus, um ihn von ihrer Wirksamkeit zu überzeugen. Warum also sollte er, wenn ihm die Uhr tagtäglich die Bedeutung von Stunde, Minute und Sekunde vor Augen führt, nicht davon ausgehen, dass auch die Zeit selbst auf diese Weise strukturiert ist? Insofern könnte man die als Blaupause in den Dienst genommene Maschine als reales Phantasma bezeichnen, denn im Gegensatz zur bloßen Glaubensvorstellung ist sie durch ein stetes Erleben unterfüttert. Wie die Geldillusion alle Fasern des Gesellschaftlichen durchwirkt, kann auch ein solches Phantasma zum unbestrittenen Gesellschaftsfundament werden, ja, zu einer Naturgesetzlichkeit, die zu bestreiten nur als Torheit gelten kann. Phantasma und Realitätsprinzip fallen in eins. Wo das Phantasma Allgemeinverbindlichkeit annimmt, treten wir, nolens volens, in eine symbolische Ordnung ein – oder wie man auch sagen könnte: in das Reich der Gespenster. Schon von daher lohnt es sich, ein paar Worte zum Gespensterglauben fallen zu lassen. Der Sprache folgend, ist ein Gespenst das, was sich spannt. Nun spinnt sich das Gespinst der Maschine (als machina mundi) nicht nur um die Welt, sondern auch durch die Zeit: als jener berühmte rote Faden, der sich durch die Geschichte hindurchzieht. In diesem Sinn ist die Geschichte selbst etwas Zusammengesponnenes. Anders als bei den Gespenstern, die uns in unseren Alpträumen heimsuchen, haben wir es mit einem taghellen Phantasma zu tun, das die vereinzelten Menschen mit einem Schema beglückt, dem, was man mit einem feinen Sinn für derlei Gespinste als soziales Band bezeichnet. Darin eingesponnen behaupten wir, dass wir dies oder jenes (Pünktlichkeit, Taktgefühl und Verlässlichkeit) im Blut haben, glauben, dass die Zahl auf einem Geldschein einen ultimativen Wert repräsentiert, kommt uns die Aussage, dass wir deutsch von Geburt sind, mühelos über die Lippen. Selbst dort, wo vermeintlich präzise Begriffe indiziert sind – wenn etwa die Philosophie von einem Naturrecht spricht –, ist ein solches Band präjudiziert. In der Regel ist einer Gesellschaft nicht bewusst, dass ihre Fundamente auf einer zutiefst phantasmatischen Ordnung beruhen. Man nennt derlei Kultur oder Identität und lässt ihre Anfänge in eine Art mythische Vorzeit zurückfallen. In einen solchen Weltbegriff eingesponnen, wird die Fadenscheinigkeit dieser Überzeugungen erst sichtbar, wenn die Ordnung empfindlich gestört ist, die Bankautomaten plötzlich kein Bargeld mehr ausspucken oder die Institutionen, die ehedem eine sichere Bank schienen, von einem Umsturz geschleift oder fortgefegt worden sind. Unversehens reißt der Schleier und man begreift, dass man sich in einem Gesellschaftskostüm unhinterfragter Haltungen und Erwartungen bewegt hat. Strukturell unterscheidet sich dieses Gespinst vom Aberglauben nur dadurch, dass es, im Maße seiner Abstraktion, eine höhere Allgemeinverbindlichkeit impliziert, ebenso wie eine gewisse Berechenbarkeit. Nichtsdestotrotz haben wir es, insofern hier ein Glaube fortwaltet, mit einem Schleier zu tun. Die Mutmaßung, dass der aufgeklärte Zeitgenosse diesen Schleier zerreißen und der nackten Wahrheit ins Gesicht sehen könne, ist frommer Glaube, so lange jedenfalls, wie man die Struktur der Verschleierungsordnung nicht zu entziffern weiß. An genau dieser Stelle kommt die Maschine ins Spiel. Denn sie versieht, wie wir im Folgenden zeigen werden, die Gesellschaft mit jenem Gespinst der Verlässlichkeit. Habe ich mich mit jemandem verabredet, kann ich mit seiner Pünktlichkeit rechnen, zumindest aber, dass er sich im Falle einer Verspätung taktvoll und wortreich entschuldigen wird. Wenn Charlie Chaplin in seinen Modern Times den zeitgemäßen Kapitalismus als große Räderwerkapparatur inszeniert, ist dies keine Metapher, sondern die Visualisierung jenes sozialen Bandes, das sich der Menschen bemächtigt hat. Nun ist die sozioplastische Dimension der Maschine zwar augenfällig, jedoch gibt es kaum Abhandlungen, die sich dieser Potenz annehmen. So redet man über den Aufstieg und Niedergang von Göttergeschlechtern, Reichen, Kulturen, aber vergisst, dass beispielsweise das Alphabet die letzten zweitausendachthundert Jahre überlebt hat, ja, dass auch die Logik der mechanischen Uhr bald tausend Jahre alt ist. Die Maschine, so könnte man sagen, ist der Fixstern, der über unserem Denken thront.

Dass die Philosophie der Maschine zu einem Problem wird, hat damit zu tun, dass sich im Reich der Maschine eine Umwälzung vollzieht, ja, dass sich im Gefolge der digitalen Revolution die Fundamente unseres Denkens grundlegend verschieben. Nicht zufällig ist die Philosophie zur Leidtragenden dieser Erschütterung geworden, und es stellt sich die Frage, ob Philosophie im klassischen Sinne noch möglich ist. Martin Heidegger hat sich dieser Frage angenommen, sinnigerweise, nachdem er von der Kybernetik (und namentlich einer Schrift Gotthard Günthers zur Keno-Grammatik) Kenntnis genommen hatte.4 Dabei gerät vor allem die metaphysische Verblendung, als Grundirrtum der Philosophie, in den Blick. Folglich beginnt Heideggers Aufsatz, der den Titel »Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens« trägt, mit der Klarstellung, dass jede Form der Philosophie Metaphysik sei. Nach einer Bestandsaufnahme der blinden Flecke der Philosophie, namentlich der Subjektivität, die das Prinzip aller Prinzipien darstelle, endet Heidegger mit der Forderung: »Die Aufgabe des Denkens wäre dann die Preisgabe des bisherigen Denkens an die Bestimmung der Sache des Denkens.«5 Gelangt Heidegger zu der Schlussfolgerung, dass die »künftige Grundwissenschaft« nicht mehr Philosophie, sondern Kybernetik heißen werde, wäre festzuhalten, dass mit dieser Einsicht die Entdeckung der Maschinenmatrix und das Ende der Philosophie koinzidieren.6 Allerdings ist zweifelhaft, ob Heidegger der selbstgestellten Aufgabe, die Sache des Denkens zu orten, gerecht wird. Denn anstatt sich der Maschine zuzuwenden, konfrontiert er den Leser mit dem Wahrheitsbegriff der Philosophie, genauer: mit jenem Versteck, das sich in der parmenideischen aletheia ortet. Wird die aletheia gemeinhin mit Wahrheit übersetzt, wäre sie, wörtlich genommen, angemessener als Unverborgenheit zu übersetzen.7 Ohne Heidegger in all seinen etymologischen Gedankengängen nachzufolgen, ist der Verweis auf die aletheia doch höchst aufschlussreich. Denn offenkundig konstituiert sich Philosophie als Bergung, wenn nicht als Entschleierung eines ursprünglich Verborgenen, nein, mehr noch: eines Vergessenen. Denn der aletheia geht die Lethe voraus, jener Fluss, der durch die Unterwelt führt und den Sterbenden die Erinnerung an das Erdenleben nimmt. Kostet der Betreffende davon oder wird er von den Wassern der Lethe benetzt, erfasst ihn eine gnädige Amnesie. Begründet sich die Philosophie auf dem Konzept der aletheia, konstituiert sie sich – wie die Mnemosyne der Orphiker – als Gegenprogramm. Infolgedessen gründet sich der philosophische Heroismus vor allem darauf, dass er der nackten Wahrheit ins Gesicht zu schauen bereit ist. Aber wie wir im Falle von Descartes gesehen haben – und dies ist eine Beobachtung, die sich im Verlauf der Untersuchung wieder und wieder bestätigen wird –, ist die historische Maschine davon ausgenommen. Zeitentrückt und in des Gedankens Blässe aufgelöst, übernimmt sie – als Metapher und Gedankenmatrix – die Funktion der lethe. In die Ewigkeit gestellt, lässt dieser Gedankenstrom uns vergessen, dass er einen Anfang besitzt, zudem einen beträchtlichen Anteil metaphysischen Gerölls mit sich trägt. Gehen wir stromaufwärts zur Quelle zurück, geraten wir in die Unterwelt der Philosophie, in jenen verdrängten, vergessenen Bereich, der gerade deswegen zur metaphysischen Batterie der Philosophie hat werden können. So wie die lethe der aletheia vorausgeht, geht die historische mechanè der Maschinenmetapher der Philosophie voraus. Hier gründet der Strom, der die Dinge im Fluss hält, aber als Quelle kaum je in Erscheinung tritt: ein Unbewusstes der Philosophie, ja der abendländischen Kultur überhaupt. Nun hat es auch nach Heidegger Versuche gegeben, sich dieser Problematik des Anfangs zu nähern – Derridas Erforschung der chora beispielsweise –, dennoch bleiben diese Versuche noch immer Philosophiegeschichten, insofern jedenfalls, als sie das Geheimnis der Philosophie in den Urwörtern und den Köpfen großer Denker suchen.

Die Stoßrichtung unseres Gedankens hingegen führt in eine andere Richtung. Denn nun geht die Frage nicht mehr danach, was Metaphysik ist, sondern welcher Art die Maschine ist, die Bedingung dafür ist, Metaphysik – und damit Philosophie – überhaupt treiben zu können. Anstatt sich mit den herausragenden Geistern der vorsokratischen Epoche zu beschäftigen, fragen wir nach dem Ding, das dem Denken vorausgeht. Die Maschine – als ein Denken ohne Denker, eine kopflose, gleichwohl wirkende Gedankenfiguration – ist die Matrix, welche die abendländische Philosophie gebiert. Schon von daher ist eine skrupulöse Archäologie des Maschinenkonzepts geboten. Dabei tritt die Philosophie vergleichsweise spät auf die Bühne – in einer Rolle zudem, die mit dem heroischen Selbstbild wenig zu tun hat. Denn mag sie sich die Entbergung des Verborgenen auf die Fahne geschrieben haben, schickt sie sich an, die Maschine, der sie ihr Dasein verdankt, in ein vollständiges Dunkel zu hüllen. Die Logik dieses Vorgangs entspricht im Wesentlichen der Verschleierungskunst, wie wir sie schon am Beispiel von Descartes festgehalten haben. Was nun das Theoriedesign, man könnte auch sagen: die Selbstermächtigung anbelangt, ist dies ein durchaus erfolgreicher Schachzug. Denn nur in dem Maße, in dem die Historizität des Artefakts verschwindet, kann das Bild eines umfassenden, universalen Ordnungssystems entstehen. Um sich hier vor den Irrtümern der vorschnellen Metaphorisierung zu hüten, gilt es diesen Teil der Geschichte auf denkbar skrupulöse Weise wiederzugeben – denn nur so lässt sich das Verhältnis von Maschine und Philosophie, lethe und aletheia, Letho- und Mnemotechnik ergründen. Dabei wird sichtbar, dass unserer Geschichtsschreibung eine entgegengesetzte Tendenz innewohnt, das, was die Alten ars oblivionis genannt haben: die Kunst des Vergessens.

Obwohl sich die Philosophie der Maschine auch als Technologiegeschichte lesen lässt, werden wir eine Reihe von Exkursionen in Gebiete unternehmen, die mehr mit Fragen der Religion und der Psychologie zu tun haben als mit dem, was man klassischerweise mit der Maschine assoziiert. Überhaupt ist eine der Überraschungen, die dem Leser bevorsteht, dass er sich von dem verabschieden muss, was er – an seiner Alltagsvernunft geschult – unter einer Maschine versteht: also eine dingliche, materielle Apparatur. Rücken wir der griechischen mechanè auf den Leib, ergeht es uns, wie es Karl Kraus so wunderbar ausgedrückt hat: »Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück.«8 Diese Ferne, die der Geschichte gelegentlich fast den Charakter einer Traumerzählung verleiht, hat nichts mit einer besonders ausgeklügelten Deutungskunst des Autors zu tun. Sie liegt vielmehr in der Sache selbst begründet. Folglich ist die Philosophie der Maschine durchaus als eine Form der Gespensteraustreibung zu sehen – nur dass diese Gespenster nicht im Aberglauben oder in der Volksfrömmigkeit zu Hause sind, sondern sich in der Philosophie, der Logik und der Mathematik, ja in den Institutionen unserer Gesellschaften selbst eingehaust haben.

2Phänomenologie der Maschine

1. Schweres Gerät. In unserer Vorstellungswelt setzen wir die Maschine mit schwerem Gerät in eins. Da ist das Bild einer Fabrikhalle, in der stampfende Motoren den Takt angeben, Dampf, der Geruch von Öl und Benzin, der Widerschein von Armaturenbrettern, die das Geschehen in flackernden, oszillierenden Erregungskurven darstellen. In gewisser Hinsicht ist der Monster Truck ein Inbegriff dieses Assoziationsraums, eine Monstrosität wie die Materialschlachten des Roboterkampfs, die als Potlatch einer untergehenden Schwerindustrie die Furien des Verschwindens entfesseln: Maschinendämmerung, Apokalypse des schweren Geräts. Löst man sich von der Vorstellung des großen, klobigen Maschinenkörpers, erweist sich die Ausrufung einer Maschinendämmerung als haltlos. Realiter nämlich ist uns die Maschine, beinahe lautlos, auf den Leib gerückt, zunächst als simpler Herzschrittmacher, dann in Gestalt jener Chip-Implantate, welche die Tauben hörend, die Blinden sehend machen. Ging der Imperativ der Moderne (das Schneller, höher, weiter) lange Zeit mit einem Größenzuwachs einher, ist es mit dem Einbruch der Digitalisierung zu einer Inversion, einer Miniaturisierungs- und Verzwergungsbewegung gekommen, in deren Verlauf die cartesianische res extensa so weit geschrumpft ist, dass sie sich quasi in Nichts, oder genauer: in eine künstliche Intelligenz (die res cogitans?) aufgelöst hat. Insofern könnte man von einer Invasion der Maschinen sprechen. Oder wie hat es die Romantik gesagt? »Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.« (Novalis)

2. Generalüberholt. Dass wir uns in postmodernen Zeiten wähnen, ist Ausdruck einer historischen Kehre,1 bei der die manifeste, handgreifliche Welt aus dem Blick geraten ist. Genauer: Es hat sich eine Benutzeroberfläche dazwischengeschoben, eine Oberfläche, die uns dasjenige zurückgibt, was wir nicht mehr sehen können. Dennoch wäre es voreilig, hiervon das Ende der Moderne abzuleiten (wie es die Rede von der Postmoderne unterstellt).2 Denn der Fortschrittsgedanke hat sich keineswegs erübrigt, sondern durch den Gestaltwandel nur noch mehr entfesselt. An die Stelle des materiellen Geräts ist das Simulacrum getreten, ein sonderbarer Geistkörper, der allen body-matter-Diskussionen cartesianischer Provenienz spottet. Wie im Märchen vom Hasen und vom Igel geht dieser Geistkörper seinem materiellen Gegenspieler stets voraus. Allerdings ist sein Immer-schon-Da nicht Ausdruck der Unbeweglichkeit, sondern der Tatsache geschuldet, dass ein symbolischer Körper, seiner Leiblichkeit entkleidet, in Lichtgeschwindigkeit zu reisen vermag, indes die res extensa einer rückständigen Fortbewegungsart huldigt. Paradox formuliert, hat das Geschwindigkeitsdelir der Moderne den Körper überholt. Fortan ergibt sich der Zuwachs an Geschwindigkeit nicht mehr dadurch, dass man Körper immer schneller durch den Raum katapultiert, sondern dadurch, dass die Distanzen, welche die Informationen bei ihrer Prozessierung durchlaufen, kürzer werden und die zu Symbolen gewandelten Körper nach ihrer Prozessierung wieder in die Körperlichkeit zurückübersetzt werden. Dieses Moment der symbolisierenden Raumschrumpfung ist das Programm der Prozessorarchitektur. Nachdem der erste integrierte Schaltkreis im Jahr 1958 das Licht der Welt erblickt (und in sich aufgenommen3) hat, werden die Transistoren unterdessen so dicht gepackt, dass sich Quanteneffekte störend bemerkbar machen – was die Forscher dazu nötigt, die bislang auf einer zweidimensionalen Platine angeordneten Gebilde hochzustapeln, auf diese Weise also die dritte Dimension ins Spiel zu bringen. In jedem Fall aber verdankt sich der Fortschritt nicht einem Beschleunigungszuwachs, sondern der Raumkompression, jener Massewerdung von Energie, die wir ihrer Unkenntlichkeit wegen als blickloses, schwarzes Loch auffassen. Insofern hat sich nicht das Projekt der Moderne gewandelt, sondern nur die Richtung, in die man schaut. Fortschritt: die Fähigkeit, immer kleinere Schritte gehen zu können.

3. There’s plenty of room at the bottom. Als der große Physiker Richard Feynman anlässlich einer Vorlesung im Jahr 1959 diese Maxime der Nanotechnologie verkündete, verband er sie mit zwei Herausforderungen: Die erste bestand darin, einen Miniaturmotor zu konstruieren (und wurde bereits ein Jahr nach der Aufgabenstellung gelöst), die zweite darin, die Darstellung eines Buchstabens so weit zu verkleinern, dass der gesamte Inhalt der Encyclopædia Britannica auf einer Nadelspitze Platz fände. Mit diesem Anspruch hatte der Physiker die große quaestio mittelalterlicher Gelehrsamkeit auf die Spitze getrieben: die Frage danach, wie viele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können. Aber während die offenkundige Absurdität dieses Bildes für die mystischen Denker Ausdruck göttlicher Ortlosigkeit war, in der es »weder Engel noch Heilige noch Himmel« gibt,4 beschreibt Feynmans Agenda die Eroberung einer bis dato unsichtbaren Welt. Insofern markiert Feynmans Herausforderung eine Verschiebung des Grundes: in einen Bereich, der unserem Sinnesapparat zwar entzogen, nichtsdestoweniger noch immer eine Realität ist: nur dass hier nicht mehr Engel, sondern Moleküle, Partikel und Elektronen herumtanzen.

4. Moderner Schwindel. Mag sein, dass diese Verschiebung ins Unfassbare vor allem als Sturz oder als Schwindelgefühl wahrgenommen wird. Der Schwindel ist, wie die Wörterbücher lehren, eine Iterativbildung, das heißt: der Augenblick, da das Gefühl eines Schwundes – das Schwinden der Kräfte – sich gleichsam automatisiert, folglich zum Kreislaufversagen auswächst. So besehen wäre die Postmoderne weniger eine Epoche, die der vollendeten Moderne nachfolgt, als vielmehr das Sich-Einhausen in ein solches Schwindelgefühl: das Bewusstsein, in den Abgrund der selbstentfesselten Kräfte zu schauen.

5. Uferlos. Unter dem Begriff der Maschine subsumieren wir unterschiedlichste Gerätschaften: schweres Gerät wie Bulldozer oder Baumaschinen, Alltagsgegenstände wie Geschirrspüler, Kaffee-, Wasch- oder Schreibmaschinen, aber auch Gebilde, die sich jeder unmittelbaren Anschauung entziehen, Nanomaschinen, mit denen sich Krebszellen bekämpfen oder Moleküle durch eine Membran transportieren lassen. Hinzu kommen soziale Praktiken, etwa wenn wir von »Wohnmaschinen« (Le Corbusier) oder von einer »Gesellschaftsmaschine« (Deleuze / Guattari) sprechen. Dabei flockt dieser bereits unscharf gewordene Begriff noch weiter aus, wenn sich die Maschine zur Metapher verwandelt und als Wunschmaschine im Denken zu tanzen beginnt. Wenn alles und nichts eine Maschine genannt werden kann, stellt sich die Frage: Wovon reden wir überhaupt? Und ist ein Softwareprogramm – anders, als Venters software driven machine nahelegt – nicht auch eine Maschine? Wie aber ist es möglich, dass die Maschine, anders als der menschliche Körper, ihre Entleibung überlebt, ja geradezu in potenzierter Form wiederaufersteht?

6. Scheinlösung. Man kann sich aus der Affäre ziehen, indem man statt von der Maschine ganz allgemein von Technik oder der »technologischen Bedingung«5 unseres Lebens spricht. Gleichwohl verschiebt diese Verallgemeinerung nur das Problem. Als ob man ein Zimmer dadurch reinigen wollte, dass man den Staub möglichst gleichmäßig auf alle Gegenstände verteilt.

7. Geflügelte Worte. Technologie ist die Lehre davon, wie Technik hervorgebracht wird. Und weil es hier nicht um bloßes Handwerk (téchne), sondern um etwas Komplexeres geht, ist es nicht falsch, die Technologie als einen gedanklichen Maschinenbaukasten aufzufassen. Jedoch ergibt die Rede von der Technologie nur dort Sinn, wo die Technik jenes Eigenleben erlangt hat, das wir mit der Anschauung der Maschine verbinden: ein technisches Objekt mit eigenem Antrieb. Technologie wäre mithin die Lehre, wie man selbst angetriebene Objekte erzeugt – was uns nötigte, uns den ersten Prinzipien dieser Lehre zuzuwenden. Wo und wie beginnt Technologie? Die naheliegende Antwort wäre wohl, dass die Technologie mit der Geburt der ersten Maschine in die Welt gekommen sein muss. Mit dieser Kinderfrage ist das Problem jedoch keineswegs gelöst, im Gegenteil. Geht man dorthin zurück, wo zuallererst von einer Technologie die Rede ist, bezieht sich diese nicht auf eine handgreifliche Technik, sondern auf die systematische Beschreibung der Grammatik und der Rhetorik.6 Dies aber legt die befremdliche Schlussfolgerung nahe, dass die Maschine zuerst ein rhetorischer Kunstgriff ist – ein Wort, das von selbst zu fliegen beginnt.

8. Je näher man der Maschine kommt, desto fremder schaut sie zurück.

9. Hinter Glas. Die Tastatur des Touchscreens simuliert die Tastatur einer Schreibmaschine, ebenso wie sie den Fingerdruck mit einem leichten Gegendruck beantwortet. Jedoch verwehrt sie den Blick darauf, was dieser Akt für das Innenleben der Maschine bedeutet. Tatsächlich existiert die Schreibmaschine ja nur zum Schein, verwandelt sie sich mit einer Wischbewegung in einen Kalender, eine Rechenmaschine, ein Multimedia-Abspielgerät. Man könnte, in der ganzen Doppeldeutigkeit des Begriffs, von einer Abschirmung sprechen, davon, dass die Benutzeroberfläche die Frage, die wir uns mit der Philosophie der Maschine vorgenommen haben, nicht löst, sondern vielmehr verdunkelt.

10. Tausendfältig. Im Skeuomorphismus des Computers, also der Möglichkeit, verschiedene Oberflächentexturen zu simulieren, begegnen wir dem Proteus-Charakter der Maschine, aber auch der Uferlosigkeit unserer Frage. Von Proteus, dem Alten vom Meer, heißt es, er habe sich in jedes erdenkliche Getier, ja selbst in Wasser verwandeln können. So begriffen wäre die Maschine als Zauberwesen aufzufassen, welche alle erdenklichen Gestalten annehmen kann. Jedoch lässt eine solch voreilige Antwort alle Fragen zerschellen, bevor wir uns auf die Suche begeben und die Philosophie der Maschine flottgemacht hätten.

11. Für den Nanowissenschaftler, der die Moderne lehrt, ihren Blick auf das Kleinste zu richten, sind derlei Erwägungen sophistische Spielereien. Mögen die Scholasten darüber nachgedacht haben, Engel auf einer Nadel herumtanzen zu lassen, so hat es der Physiker bei seinen Molekülen, Partikeln und Atomen nicht mit metaphysischen Wesenheiten, sondern mit Realien zu tun. Dass man, um sie in den Blick nehmen zu können, eines Rasterelektronenmikroskops bedarf, ist dabei kein Argument gegen die Sache; allenfalls macht sie klar, dass der Mensch, schon seines beschränkten Blicks wegen, ein Mängelwesen ist. Deswegen bedarf er der technischen Augmentation und muss weiterentwickelt werden – ein Argument, das mit der Frage des »Wohin?« auf unheimliche Weise die Gespenster der Philosophie zurückkehren lässt.7

12. Eine (makroskopische) Maschine, so erklärt der Genetiker, ist ein Gerät, das aus mehreren miteinander wechselwirkenden Bauelementen besteht, die in ihrer Gesamtheit eine Funktion ergeben, welche jedes Element für sich nicht besitzt. Weil diese Maschinendefinition in den molekularen Bereich übertragbar ist, lässt sich von molekularen Maschinen sprechen. Fragt man danach, woher jene besondere Qualität rührt, bei der das Ganze mehr ist als die Summe aller Elemente, kommt ein Rätselbegriff ins Spiel, der gewissermaßen der Konterpart des Automaten ist: Leben. Weil beide die Fähigkeit der Selbstbewegung besitzen, kann die Maschine mit dem Leben in eins gesetzt werden – eine Operation, die unseren Erklärungsnotstand nur weiter anwachsen lässt.

13. Andere Forscher sprechen, je nachdem, von »natürlichen und künstlichen Schaltkreisen«.8 Letztlich ist das eine Stilfrage. Betont der eine die materielle Maschine, stellt der andere die Software, den kybernetischen Schaltkreis heraus.

14. Von Zeichen und Wundern. Wenn Nanomaschinen aus Molekülen bestehen und darüber hinaus selbst lebendige Strukturen erzeugen können, könnte man der Meinung sein, dass es sich hier um jene »natürlichen Automaten« (Descartes) handelt, die schon die Philosophie des 17. Jahrhunderts, in der Gleichsetzung von Leben und Maschine, diskutiert hat. Nichts Neues unter der Sonne – oder nur insofern, als nun auch der Mensch, ins Kontinuum der Lebewesen eingeordnet, als ein natürlicher Automat betrachtet werden kann. Tatsächlich weist der natürliche Automat auch schon in den beiden Aufgaben, die Richard Feynman in seiner Vorlesung als Desiderat propagierte, eine merkwürdige Doppelnatur auf. Als Motor ist er seelenloser Automatismus (soma), als Versammlung des menschlichen Wissens – wie in der Encyclopædia Britannica – eine Zeichenapparatur (sema).

15. Vom Datum zum Faktum. Spätestens in den Händen von Anwälten erweist sich, dass die Doppelnatur des natürlichen Automaten keine unschuldige Kategorie, sondern ein Hort aller erdenklichen Spitzfindigkeiten ist. So gewährte das europäische Patentamt im Jahr 1992 mit dem Patent EP 169 672 einen Patentschutz »auf alle Mäuse, alle Nagetiere und letztlich alle Säugetiere (außer dem Menschen), die durch gentechnische Manipulation eine menschliche, für Krebs sensibilisierende Gensequenz in ihrem Erbgut haben – sowie alle deren Nachkommen«. Am Anfang der Genealogie steht die Reklamation eines Urheberrechts, die Verdinglichung des Lebens. Gilt Gottes Werk als naturgegeben, wird mit dem Beitrag des Menschen eine Eigentumsordnung, mehr noch: eine neue Produkt- und Schöpfungslinie etabliert.

16. Vom ewigen Leben. Scheinen Leben und Information im genetisch entzifferten Lebewesen zusammenzufallen, bringt das rein synthetisch hergestellte Lebewesen – Craig Venters software driven machine – erneut jene Polarität ins Spiel, die zwischen cartesianischer res extensa und res cogitans waltet. Mit der Spaltung von Code und Körper greift Venter eine Denkfigur auf, die der Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem Buch Selfish Gene 1976 zum Programm gemacht hat – zu einer Zeit, da der menschliche Gen-Code noch ein Enigma darstellte und die Vorstellung herrschte, dass Lebewesen nichts weiter seien als Ausdruck einer vorgängigen genetischen Blaupause. Dawkins radikalisierte das Primat des Gens insoweit, als er der Information eine Sehnsucht nach Verewigung unterstellte – ein Strategem, welches eine radikale Blickumkehr mit sich bringt. Fortan nämlich steht nicht mehr das einzelne Lebewesen im Vordergrund, sondern der Code, der sich seiner bedient, als eine Art leibgewordener Datenträger. Dieser Logik zufolge wäre der Mensch, wie es Sol Spiegelman einmal pointiert formuliert hat, nichts weiter als eine Erfindung der Gene, mit dem Ziel, sich auf dem Mond reproduzieren zu können. Venters software driven machine greift dieses Primat der Schrift wieder auf, mit dem Unterschied, dass in seinem Konzept nicht mehr das auf Selbstverewigung abzielende eigennützige Gen sich der biologischen Maschine bemächtigt, sondern die menschliche Intelligenz – und zwar auf solch unbedingte, radikale Weise, dass das Lebewesen (Synthia 1.0) nichts weiter ist und sein will als dies: reine Künstlichkeit. Erinnern wir uns daran, dass die Rede von der Technologie historisch zunächst mit Rhetorik und Grammatik einherging, erscheint dies – auch in Hinsicht auf die Selbstvermarktung – nicht ganz abwegig. Oder weshalb sonst enthält das Lebewesen die Credits seiner Schöpfer und den Link der Homepage, auf der man genauere Informationen über es findet?

17. Disruption. Warum beharrt Craig Venter auf dem Unterschied zwischen Software und Maschine? Ganz offenkundig, weil die softwaregetriebene Maschine der Natur eine Spezies hinzufügt, die im Schöpfungsplan nicht vorgesehen war. Demgemäß steht Software für den Schöpfer, der dem Vorhandenen etwas bis dato Ungedachtes, Ungeborenes hinzufügt. Dieses Moment des Noch-nicht, die praktische Disruption der Schöpfungsgeschichte, fügt unserer Betrachtung der Maschine eine Dimension hinzu, die wir bislang noch nicht in den Blick genommen haben: das Utopische. Während sich die Evolution in einem Prozess blinder Kombinatorik erschöpft, kann die menschliche Vernunft Chimären ausbrüten, die bestimmten Spezifikationen genügen und sich in der Schöpfung nicht realisiert haben: Nanogebilde, die verschmutzte Gewässer von Tensiden oder die Meere von Plastikabfällen reinigen. Gewissermaßen wohnt der Technologie ein Moment der Ortlosigkeit inne, begabt sie ihren Schöpfer mit dem Vermögen, aus dem Nichts eine transnaturale, artifizielle Geistschöpfung in die Welt zu setzen. Genau dies ist der Grund für den Unterschied, den Venter zwischen der Maschine (als Synonym für den biologischen Mechanismus) und der Software macht, die, als vorgängiger Bauplan, zugleich auch eine Wunschmaschine darstellt. Nun mag die Unterscheidung zwischen Software und biologischer Maschine als probates rhetorisches Mittel taugen, um bei Patentämtern Urheberrechtsansprüche geltend zu machen, sie fügt der Maschinendiskussion jedoch keinen weiteren Gedanken hinzu. Denn was ist Software anderes als eine ins Immaterielle übersetzte Maschine, ein Regelwerk aus Variablen und Prozeduren, die logisch betrachtet auf die gleiche Weise ineinander verzahnt sind wie ehedem die Räder des Räderwerks?

18. Körperlos. Fügen wir die beiden Bausteine zusammen – den Schwindel der sich digitalisierenden Moderne und das Moment des Ungeborenen, das sich in Gestalt der offenen, unerfüllten Wünsche artikuliert –, stellt sich die Frage, ob die Maschine überhaupt etwas Materielles ist. Eben darin besteht die Lektion der Digitalisierung: Entmaterialisierung. Was eine Schreibmaschine war (mit Tasten, Walze, Typenhebeln) verwandelt sich im Textverarbeitungsprogramm zur Beschreibung einer Schreibmaschine, so wie sich jede digitalisierte Maschine zur Beschreibung einer Maschine wandelt. Was immer wir einem Computer eingeben, unterläuft einen Prozess der gedanklichen Kernspaltung und wird zu einer Sequenz von Nullen und Einsen verwandelt. Natürlich könnte man den materiellen, genauer: den kompilierten Code des Textverarbeitungsprogramms als Maschine auffassen, aber das wiederum setzt als Umgebung ein Betriebssystem voraus, in dem dieser Code gelesen und ausgeführt werden kann. Und von hier wird man zurückgehen auf den Maschinencode und auf die elektrischen Spannungen, die im Prozessor vorliegen. Letztlich ist die Botschaft: Im Computer ist nichts, was es ist. So wie der Skeuomorphismus der Benutzeroberfläche mir vorspiegelt, dass ich es mit einer Papieroberfläche oder mit Holz zu tun habe, ist alles nur Schein. Ein Buchstabe die Beschreibung eines Buchstabens, eine Zahl die Beschreibung einer Zahl, eine Maschine die Beschreibung einer Maschine.

19. Loch im System. Dabei ist die Entleibung der Maschine schon in der Jacquard’schen Lochkarte vorweggenommen, in der sich das Loch – als markierte Abwesenheit – an die Stelle des materiellen Zeichens gesetzt hat. Trifft ein Drahthaken auf ein solches Loch, greift dieser automatisch nach den Webfäden. Was den Gesamtmechanismus des Jacquard’schen Webstuhls anbelangt, führt die Dematerialisierung des Zeichens dazu, dass sich das Steuerprogramm vom Maschinenkörper löst. Damit kommt es zu jenem Abstraktionsvorgang, für den wir die Begriffe Hard- und Software geprägt haben. Tatsächlich besteht das Novum in genau dieser Dematerialisierung; denn schon das Mittelalter kannte Steuerungsmechanismen, die man als eine Form der Proto-Programmierung verstehen könnte: Räderwerkwalzen, mit denen sich das Geläut der Glocken, aber auch die Figurengruppen an Kathedralen steuern ließen. Allerdings war in Gestalt der Sporne das Programm der Maschine inkorporiert, wohingegen der Jacquard’sche Webstuhl durch die Auslagerung der Steuerung an die Lochkarte beliebig viele, zudem austauschbare Programme erlaubt – und auf diese Weise einen Häutungsprozess des Zeichens in Gang setzt. Nicht bloß, dass sich damit die Intelligenz der Maschine auslagert, darüber hinaus lassen sich auch künftige, bis dato noch nicht ersonnene Programme nutzen. So besehen ist das Loch im System nichts anderes als das System selbst, wird hier die Maschine von einem abgeschlossenen zu einem strukturell zukunftsoffenen, upgradefähigen Gebilde transformiert.

20. Technologie und Möglichkeitssinn. Als realisierte Utopie trägt die Maschine einen Zwiespalt in sich. Stellt sie ein materielles, endliches Artefakt dar – wie klein und aus welchem Material dieses auch immer sein mag –, geht ihr andererseits eine gedankliche Blaupause voraus. Diese vorgängige Idee wiederum erschöpft sich nicht in der Realisierung, sondern weist, als Technologie, über das bereits Erreichte hinaus. Demgemäß wohnt der Maschine eine formwandelnde, metamorphe Potenz inne. Ihretwegen vermag die Maschine ihre Entleibung nicht nur zu überleben, sondern kann in ihrer Verwendung als reiner Intellekt gestärkt aus dieser Metempsychose, dieser Seelenwanderung hervorgehen. Insofern führt uns das Verschwinden des schweren Geräts nicht in eine Maschinendämmerung hinein. Ganz im Gegenteil: das materielle Verschwinden ist nur das Vorspiel für die geradezu exzessive, ubiquitäre Ausbreitung der Maschine. Wie Proteus, zu Wasser verwandelt, sich im Meer auflöst, hängt die Maschine fortan in der Luft: eine Atmosphäre aus Zeichen, welche den ganzen Globus umhüllt.

21. Die universale Maschine. Die Rede vom Proteus-Charakter der Maschine, vom Möglichkeitssinn oder der realisierten Utopie ergibt wenig Sinn, wenn sich dies auf eine Bohrmaschine, meinen tapferen kleinen Toaster oder eine Kaffeemaschine bezieht – auch wenn letztere mit Mahlwerk, LED-Display und Digitalsteuerung versehen ist. Ganz offenkundig unterscheiden wir zwischen der Maschine, die sich im Alltagsgebrauch erschöpft, und jenem Ding, das in einem konzeptionellen Sinn darüber hinausweist – wie der Computer, den man, ohne der Lächerlichkeit anheimzufallen, als proteische Maschine auffassen kann. Diesen Unterschied zu erklären, fällt nicht schwer. Denn während der Zweck einer Bohrmaschine darin besteht, Löcher in die Wand zu bohren, ist das Um-zu eines Computers nicht mit Bestimmtheit zu klären. Es ergibt sich erst mit dem jeweiligen Programm, das den Computer, je nachdem, in einen Rechner, ein Textverarbeitungsprogramm oder einen Zeichenstift mit virtueller Leinwand verwandelt. Von daher ist bereits die Bezeichnung Computer, welche die Maschine kategorisch als Rechenmaschine begreift, ein sprachlicher Missgriff, ebenso wie die Rede von einem Medium oder einem Instrument in die Irre führt. Ist ein Hammer zum Hämmern da, ist der Zweck der digitalen Logik strukturell nicht determiniert. Mit dieser Unbestimmtheit kommt es zu einer Verschiebung der Wahrnehmung. Statt einem finiten, in einer bestimmten Zweckmäßigkeit sich erschöpfenden Werkzeug sehen wir uns einem Möglichkeitsraum gegenüber – oder wie man auch, um das räumliche Moment zu unterstreichen, sagen könnte: einer Werkstatt. Begeben wir uns in diese Gedankenwerkstatt, verfügen wir über all die Werkzeuge, die auf unserem Desktop paratliegen. Fehlt etwas, erlaubt die Öffnung zur Welt, dass man das fehlende Teil in die eigene Arbeitsumgebung teleportiert. Insofern verkörpert die Maschine nicht nur diesen oder jenen Raum, sondern enthält, als prinzipiell offener Möglichkeitsraum, Platz für all jene Werkzeuge, die virtuell möglich, noch nicht realisiert oder derzeit noch nicht in das eigene Arbeitsumfeld eingebunden sind. Weil im Innern dieses Raumes eine Logik der Transzendenz pulsiert, weist die Maschine beständig über den Horizont des Gegebenen hinaus. Von daher hat der Computer einiges mit dem System des Wissens zu tun, das Kant am Ende seiner Kritik der Vernunft entwirft – und dem er, um die »synthetische Einheit des Mannigfaltigen im Raume«9 zu unterstreichen, mit dem Bild des Hauses begegnet. Nicht bloß, dass die Maschine mit dem Raum der Vernunft identisch ist, zudem vermag sie große Teile der Welt in sich aufzunehmen. Demgemäß vermählt sich ihr ein Weltbegriff, spricht man bezeichnenderweise von einer »universalen Maschine«.10 All dies schwingt mit, wenn wir von Maschine und Technologie, von Digitalisierung oder von Kybernetisierung sprechen – und all dies unterscheidet die Maschine vom Instrument oder vom Werkzeug. Die universale Maschine ist per se metaphorischer Natur, als Raum und Gedankenwerkstatt weist sie beständig über das bereits Realisierte hinaus. Im Sinne der Telematik oder der Fernhandlung hat dieser Überstieg nicht nur eine räumliche Dimension, sondern lässt sich auch als eine Form der Inventarisierung auffassen. Demgemäß ließe sich die Maschine als Bibliothek denken, nein, als Enzyklopädie all dessen, was existiert – oder noch kommen wird.

22. Simuliertes Paralleluniversum. Dies im Hinterkopf, ließe sich der Bereich eingrenzen, wo man den Computer als Werkzeug auffassen kann. Seine wesentliche Funktion wäre transitorisch, das, was man Analog-Digital-Wandlung nennt. Dabei geht es darum, ein Segment von Realität in den entsprechenden Zeichencharakter zu überführen, sodass es der Symbolmanipulation zugänglich ist. Grob gesagt könnte man den Computer als eine Dechiffrier-Maschine bezeichnen, welche Realität ein- und wieder auszulesen vermag. In seinen digitalen Aggregatzustand überführt, verwandelt sich der Buchstabe zur Simulation eines Buchstabens, die Zahl zur Simulation einer Zahl, das materielle Objekt zu einer Summe von Raumpunkten, die für die Grenzen des Objektes stehen. Weil die Maschine sich die ganze Welt einzuverleiben vermag, tritt sie als Weltsimulation in Erscheinung: eine Parallelwelt, in der mögliche Zukünfte durchgespielt werden.

24. Kenotaph. Ohne Peripheriegeräte, das heißt Schnittstellen zur Realität wie Tastatur, Bildschirm, Drucker, Scanner oder 3-D-Drucker, ist dieser Raum sinnlos: eine enigmatische Welt, die uns so fern liegt wie die Welt der Nanopartikel. Freilich ist die Brücke zur Realität nicht auf technische Interfaces begrenzt. Denn die digitale Logik kann, wie Craig Venters software driven machine belegt, auch Lebewesen eingegeben werden. Tatsächlich gibt es ernsthafte Bestrebungen, die elektromagnetischen Speichermedien durch genetische zu ersetzen. In einer solchen Form aufgebahrt, würde das gesamte Weltwissen nicht mehr Platz als ein parkendes Auto benötigen.

25. Im blinden Fleck. Fest steht: Wo das Konzept der universalen Maschine nicht erhellt wird, bleibt man abgeschirmt vor der Benutzeroberfläche stehen und huldigt einer naiven Anschauung – wie komplex die Gebilde auch immer sein mögen, die sich darauf aufbauen. Schlimmer noch: Mit diesem naiven Maschinenbegriff – der theoretisch aufgerüstet auch als System, Technologie oder Medialität daherkommen kann – handelt man sich unerledigte Fragen ein. Weder begreift man die überragende Bedeutung, die die Maschine in der Ordnung der Dinge einnimmt, noch wird man der Tatsache gerecht, dass die Maschine zuallererst kein geräthaftes Objekt, sondern einen Möglichkeitsraum darstellt – und damit eine gedankliche Ordnung. Tatsächlich wäre die Frage nach der Maschine dahingehend zu präzisieren, dass man ihre genealogischen Schichten erforscht und danach fragt, wo man es erstmals mit einer solchen Werkstatt der Vernunft zu tun bekommt. Auf welcher Basis kann man von einem System sprechen, das aus mehreren wechselwirkenden Elementen hervorgeht, die in ihrer Gesamtheit eine Funktion ergeben, welche jedes Element für sich nicht besitzt? Eine solche Definition läuft, wie man leicht sehen wird, auf eine Tautologie hinaus – lässt sich jeder der verwendeten Begriffe doch nur mit Rückbezug auf den Gesamtmechanismus begreifen. Wenn aber eine Maschine eine Maschine eine Maschine ist, so bleibt diese Frage unbeantwortet, und es steht zu befürchten, dass man es mit unliebsamen Besuchern zu tun bekommt. Der Schlaf der Vernunft, wie uns Goya gelehrt hat, gebiert Ungeheuer.11

3In den Katakomben der Metaphysik

26. Der Gott der tausend Masken. Wenn es beinahe unmöglich ist, von der Maschine zu reden, so deswegen, weil man just in dem Augenblick, da man ihr Innenleben entziffert und den Geist in der Maschine dingfest gemacht hat, statt einer Physiognomie eine Maske erblickt. Und hinter dieser: die Stimme eines noch älteren Geistes, in Rätseln sprechend. Befremdlicherweise scheint dieser Geist, seinem Alter zum Trotz, höchst gegenwärtig, wie ein Vampir, der, seinem Grab entstiegen, seinen Blutdurst zu stillen sucht. Auf jeden Fall schleichen sich religiöse Gedankenfiguren in die Gegenwart ein, Sehnsüchte, die man bei theosophischen Splittergruppen vermutet hätte, nicht aber dort, wo sich der letzte Stand der Ingenieurskunst realisiert hat. Dass diese religiöse Konterbande ein steter, schattenhafter Begleiter des Fortschritts ist, lässt sich in Reinform im Silicon Valley studieren, wo die Maschine zum Evangelium geworden ist und sich die Lautsprecher dieses Prozesses, bar aller Ironie, als Techno-Evangelisten bezeichnen. Stand die Künstliche Intelligenz lange im Rufe, die Menschheit von aller Not zu befreien, so feiert mit der Singularity ein nachgerade religiös zu nennender Chiliasmus Urständ, mit dem Unterschied nur, dass sich die Erlösungshoffnung der Gläubigen nicht mehr auf ein jenseitiges Leben, sondern auf das Diesseits erstreckt. In diesem Sinn belässt man es nicht bei der bloßen Metapher, sondern schickt sich an, das ewige Leben in die Tat umzusetzen – sei es, dass man sich an kryonischen Konservierungstechniken versucht oder daran, natürliche Alterungsprozesse umzukehren. Offenkundig scheint mit der Maschine eine religiöse Konterbande einherzugehen. Dies entspricht dem Diktum des Autors und Futurologen Arthur C. Clarke, der gesagt hat, dass jede fortgeschrittene Technik nicht von Magie zu unterscheiden sei. Diese Aussage lässt sich als Memento begreifen, dass man sich der Frage der Maschine nicht in ingenieursmäßiger Absicht nähern kann. Eine Technologiegeschichte, die sich nur auf die Artefakte konzentriert, die ihnen verbundenen Fantasien aber außer Acht lässt, kann nur die halbe Wahrheit – und möglicherweise auch nur deren schlechtere Hälfte – erzählen. Ganz abgesehen davon stellt uns die historische Wandelbarkeit der Maschine vor eine weitere, fast unüberwindbare Schwierigkeit. Denn was hat die Rhetorik mit einer Kaffeemaschine, was der Golem mit einem Bulldozer oder den Aquaporinen der Zelle gemein? Allein der Versuch, eine Phänomenologie der Maschine zu liefern, ist dort, wo sich die Maschine in einem Involutionsprozess nach innen kehrt, zum Scheitern verurteilt – geschweige denn, dass man einem solchen Paradigmenwechsel, wie er in Venters software driven machine durchscheint, beikommen könnte.

27. Was sagen uns die Wörterbücher über die Maschine? Hier finden sich Definitionen, die sich dem historischen Räderwerkautomaten verdanken. Eine Maschine, so schreibt der mittelalterliche Scholast Nicole Oresme, stelle ein Ensemble von Elementen dar, die sich zu einem Komplex zusammenfinden (Le Livre du ciel et du monde, 1377). Beinahe drei Jahrhunderte später spricht Descartes vom Körper eines belebten Wesens, dem es, als natürlicher Automat, an Geist ermangele. Wo die Maschine um sich selber weiß, ist sie Naturgesetz, eine Art Himmelsmaschine. Beginnt hier die cartesianische Metaphysik, zeigt die Geschichte der Philosophie, dass diese Himmelsmaschine auch ohne einen Gott gedacht werden kann. In diesem Sinn schreibt Christian Wolff Mitte des 18. Jahrhunderts: »Eine Maschine ist ein zusammengesetztes Werck, dessen Bewegungen in der Art der Zusammensetzung gegründet sind. Die Welt ist gleichfalls ein zusammengesetztes Ding, dessen Veränderungen in der Art der Zusammensetzungen gegründet ist.«1 Läuft hier im Schnelldurchlauf die Entwicklung des mechanischen Weltbildes an uns vorbei, vom Räderwerk zur Weltmaschine, entdeckt man, als Kind des digitalen Zeitalters, die Historizität dieses Denkens. Dabei steht der Computer als universale Maschine durchaus in der Tradition des Räderwerkautomaten. So könnte man ein Computerprogramm, dessen Befehle Zeile für Zeile nacheinander abgearbeitet werden, als symbolisches, ins Immaterielle hinein übersetztes Räderwerk auffassen. Was sich verändert, ist die monolithische, genauer: die zentralperspektivische Struktur der Maschine. Denn die zeitgemäßen Systeme lassen die Grenzen der Maschine verschwimmen. Ins Wolkige aufgelöst (in parallele, offene und verteilte Prozesse, die darüber hinaus noch eine Schwarmbildung erlauben2), erscheint die Maschine wie eine Ephemeride, deren complexio mehr mit dem Wetter als mit einem festen Bauplan zu tun hat.

28. Zurück zum Anfang. Das heißt: Zurück zu der Frage, wie der Begriff der Maschine in die Welt gerät. Erstaunlicherweise spricht die europäische Kultur (und nur sie allein) von der Maschine – und dies, bevor wir Maschinen im geräthaften, dinglichen Sinn vor uns haben. Wie die Technologie uns ins Reich der Rhetorik entführt, kommt die Maschine zunächst als Theatermaschine in die Welt, im Schlepptau eines Gottes zudem. Nein, das ist nicht ganz richtig. Denn der Deus ex Machina (theòs ek mēchanês, ἀπὸ μηχανῆς Θεός, wie ihn der griechische Dramatiker Menander nennt) stellt uns den Gott im Gefolge einer Maschine vor. Dabei besteht der Kunstgriff darin, dass der Kran den Gott auf die Bühne herabsinken lässt oder einen Irdischen dadurch vergöttlicht, dass er ihn in die Höhe erhebt. Schwer zu sagen, ob sich der Beitrag der Maschine in der physischen Arbeit erschöpft oder nicht auch die dramaturgische Intervention einbezieht, die überraschende Lösung eines ansonsten unauflöslichen Konfliktes. In jedem Fall ist der Kontext, in dem der Deus ex Machina erscheint, in den Eumeniden des Aischylos, welche 458 v. Chr. erstmals zur Aufführung gelangten, hochsymbolisch. Hier wird Orest, der Rächer des Vaters und der Mörder der eigenen Mutter, von den Erinnyen verfolgt und flieht zur Statue der Athene. Athene wird zu seiner Rettung vom Kran herabgehievt – und lässt den Streit um die Bestrafung (Tod oder Leben) von der Athener Bürgerschaft entscheiden, wobei ihre Stimme den Ausschlag gibt. Nun ist damit nicht nur menschliches Recht instituiert, darüber hinaus verwandeln sich die furchterregenden Rachegöttinnen in Eumeniden, das heißt in Wohlgesinnte. Mithin steht die Bühnenwirklichkeit der maschinell niedergekommenen Göttin, auch wenn sie dramaturgisch eine Verlegenheitslösung darstellt, für die Stiftung einer diesseitigen Institution: das Gewaltmonopol der griechischen Polis. Damit aber ist nicht nur die Säkularisierung des Rechtes, sondern auch das Ende einer Gewaltordnung besiegelt: Die der Polis wohlgesinnten Gottheiten stehen für das Ende der Vendetta, also jener kollektiven Raserei, bei der vergossenes Blut noch mehr Blutvergießen bewirkt.

29. Mythos des Politischen. Beschreibt der Deus ex Machina die Lösung, bei der ein verworrener Geschichtsknoten auf überraschende, geradezu epochale Weise durchtrennt wird, fällt auf, dass die Maschinen, mit denen die Antike aufwartet, fast durchgängig eine theatrale, ja religiöse Struktur besitzen: Trankopfer- und Weihwasserautomaten oder Türen, die sich von Geisterhand öffnen. Es gibt keine Maschine, die einer nützlichen, produktiven Funktion folgte. Nun ist fraglich, ob eine solch utilitaristische Betrachtungsweise überhaupt Vorrangigkeit beanspruchen kann – oder ob nicht umgekehrt die Verwendung der Maschine in der Opfersphäre eine sehr viel größere Plausibilität besitzt. René Girard zufolge besteht die Funktion des religiösen Opfers darin, dass es, als Befriedungsmaßnahme, Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht.3 Indem es den Gewaltakt auf denkbar feierliche, gravitätische Art und Weise zelebriert, wirkt das religiöse Opfer als Deckerinnerung, bei der das Blutvergießen die Gewaltdrohung vergessen machen soll, also die Möglichkeit, dass die Gesellschaft jederzeit in eine Form der Bürgerkriegs-Anomie, einen kollektiven Blutrausch verfällt. Folglich liegt der Sinn des vergossenen Bluts in der Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts. Folgt man dieser Lehre, lassen sich die Eumeniden als Ablösung der Opferkultur auffassen. Im Zeichen des Rechts, das sich dem Deus ex Machina verdankt, hebt der Mythos des Politischen an: eine aufgeklärte Bürgergesinnung, die des Menschenopfers nicht mehr bedarf. Wenn sich die Erinnyen durch den mechanischen Kunstgriff der niedergekommenen Gottheit in Eumeniden verwandeln, wenn darüber hinaus die Entscheidung über Leben und Tod einer diesseitigen Institution überantwortet wird, scheint es, dass der Maschine bei der Überwindung des Opfers eine eminent wichtige, noch genauer zu analysierende Rolle zukommt.

30. In jedem Falle erscheint die Maschine in jener Übergangszone, die Platon metaxy, das Dazwischen getauft hat: ein »Mittelwesen zwischen Sterblichem und Unsterblichem«.4 Als Medium und Mittler – oder zeitgemäßer: als Interface – besorgt die Maschine den Transfer zwischen Diesseits und Jenseits, Menschen und Göttern.5 Anders jedoch als der Eros, der große Dämon, soll sie bei dieser Machtübergabe selbst nicht in Erscheinung treten, sondern hinterrücks wirken, den Augen des Publikums entzogen. Und warum? Vielleicht weil die Epiphanie der Gottheit umso überzeugender wirkt, je weniger sie als Machination und Bühnentechnik erscheint.

31. Entthront. Der Deus ex Machina verweist auf eine grundsätzliche Zweideutigkeit: er fußt auf dem Wissen, dass man es hier mit einem rhetorischen Kniff, einem Bühnentrick zu tun hat. Nicht zufällig geht das Erscheinen der Gottheit mit einer Unzuständigkeits-, ja geradezu einer Depotenzierungserklärung einher. In dem Augenblick, da der Mechanismus durchschaut wird, ist die Gottheit entthront, stirbt sie den Tod der Lächerlichkeit.

32. Rhetorische Fragen. Wenn jeder Schauspieler schon dadurch gottähnlich wird, dass ihn die Maschine in einen Schwebezustand versetzt, warum sollte dieses Vermögen nur den Götterfiguren vorbehalten sein? Warum nicht auch einem Menschen? Genau das ist das Skandalon des Euripides: dass er seine Medea, eine Kindsmörderin, vermittels einer solchen Apparatur ihrem Schicksal entkommen lässt. »Jason: Und doch hast du sie getötet. / Medea: Ja, um dich zu verletzen. / Jason: Im Namen der Götter / lass mich die sanfte Haut der Kinder berühren! / Medea: Das wird nicht geschehen. Du sprichst deine Worte in den Wind. (Sie fliegt gen Himmel in Richtung Athen).« Während bei Aischylos die Erscheinung des Gottes eine gewaltige Intervention darstellt, hat sich die Maschine bei Euripides, innerhalb einer einzigen Generation, zum Bühneneffekt gewandelt, der dem Märchenglauben der Zuschauer souffliert. Oder wie Nietzsche sagt: »Der deus ex machina ist an Stelle des metaphysischen Trostes getreten.«6

33. Niederkunft. Der Triumph der Bühnenkunst, welche das Recht auf die Menschen niederkommen lässt, markiert die Emanzipation der Maschine, den Augenblick, da sie die kultische Sphäre verlässt. Mögen die auf die Bühne herabgelassenen Götter unglaubhaft, ja geradezu lächerlich wirken, bleibt doch die Rationalität der Maschine. In die Welt entlassen, artikuliert sie sich vor allem in Gestalt verschiedener Kriegsmaschinen, wie dem Städtezerstörer des Demetrius.7 Der Siegeszug der Maschine ist durchschlagend. Binnen zweier Jahrhunderte, wie in den Werken des Archimedes oder im Mechanismus von Antikythera dokumentiert, erlangt die Zeit ein solches Maß an feinmechanischer Kunstfertigkeit, wie dies erst im Mittelalter wieder erreicht werden soll.8 Von daher wundert es nicht, dass Lukrez bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. von einer machina mundi, einer Weltmaschine spricht.

34. Macht Maschinen Magie. Dennoch bleibt das Paradox, dass die griechische Kultur von einer Maschine spricht, bevor sie als solche hervorgebracht ist. Was also bedeutet das griechische mechanè, dem sich die lateinische machina verdankt (die wiederum, mit dem mittelalterlichen Räderwerkautomaten, ins Französische, im 16. Jahrhundert ins Englische, im 17. Jahrhundert ins Deutsche einzieht)? Das griechische mechanè bedeutet List, aber vor allem: Betrug an der Natur. Später werden daraus Einfall, Erfindung, dann Gerüst und Gerät. Der technischen Ausnüchterung zum Trotz, bleibt die psychologische Konnotation des Betrugs lange erhalten. In Shakespeares King Lear etwa lässt Gloucester die »machinations« eine Serie menschlicher Makel anführen, von Tieck als Ränke übersetzt.9 Die Bedeutungsschicht des Ränkespiels ist auch uns noch vertraut, etwa dort, wo man von hinterhältigen Machinationen oder dergleichen spricht. Stellt dies einen Widerschein der Bühnentechnologie dar, weist das griechische mechanè, das aus dem Dorischen stammt, sehr viel weiter zurück, in eine Epoche, die den Dunklen Jahrhunderten der griechischen Kultur vorausgeht. Zwar verliert sich das Wort hier in der Schriftlosigkeit, dennoch können wir es auf die indogermanische Wurzel *magh zurückverfolgen. Diese deckt im Weitesten all das ab, was mit dem Machen, dem Können und Vermögen zu tun hat. Dabei ist die weltliche Praxis noch von der Zauberei ungeschieden. So ist der griechische magos ein Zauberer, der, anders als der goes, keine Schwarzkunst, sondern weiße Magie praktiziert – was sich im lateinischen magus als Kopplung von Gelehrsamkeit und Zauberei zeigt und sich in der Bezeichnung der zoroastrischen Priester als magoi niederschlägt. Wo das Vermögen transzendent überhöht wird, ist die Macht nicht mehr fern – in der unüberhörbar das Indogermanische *magh durchklingt. Der Magie der Macht steht die soziale Unterwerfung gegenüber, wie es das gotische mäm, das heißt Joch nahelegt, sowie magos, der Knabe oder Diener. Wird das Soziale in der Machination zu einer knetbaren Masse, ist der Maschine eine gleichsam universale Formbarkeit zugeordnet. Von hier führt eine Linie zum Magma, der knetbaren Masse, die auf die nämliche Wurzel zurückgeht, ebenso wie massein oder mattein, das Kneten des Teiges. – Versuchen wir das Bedeutungsfeld des Wortes einzugrenzen, so hätten wir die Trias Macht-Maschine-Magie, ein gedankliches Kraftfeld, das noch bis in unsere heutigen Maschinenträume hinein strahlt. Ist dieses Feld in der Antike noch religiös bestimmt, kommt es im Zeichen der Maschine zu einer Entzauberung, bei der vor allem der Betrug an der Natur, also die Selbstermächtigung des Menschen, dominiert.

35. Nehmen wir den Betrug an der Natur als Kernbedeutung, wären solche Gebilde wie der natürliche Automat oder die biologische Maschine ein Oxymoron. Die Maschine ist, was die Natur nicht ist, sie ist der Gedanke, mit dem sich Natur überlisten lässt: ein philosophischer Trickster sozusagen, »der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht / Ist wert, dass es zugrunde geht« – wie es in Goethes Faust heißt.10

36. List, Täuschung, Trug