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In dieser historischen Novelle integriert Conrad Ferdinand Meyer gekonnt die reale Renaissance-Figur Poggio Bracciolini in eine fiktive Handlung: Poggio, einer der wichtigsten Humanisten der italienischen Renaissance, wird hier zum Erzähler dieser im Herbst 1417 angesiedelten Geschichte. Er berichtet, wie er während des Konzils von Konstanz von der Entdeckung eines Komödienbands des Plautus erfährt und folglich ins Kloster Münsterlingen aufbricht. Doch dort scheint die Äbtissin den Band zu verstecken... -
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Seitenzahl: 47
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Conrad Ferdinand Meyer
Saga
Plautus im NonnenklosterCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1882, 2020 Conrad Ferdinand Meyer und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642759
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Nach einem hellen Sommertage hatte sich vor einem Kasino der mediceischen Gärten zum Genusse der Abendkühle eine Gesellschaft gebildeter Florentiner um Cosmus Medici, den «Vater des Vaterlandes», versammelt. Der reinste Abendhimmel dämmerte in prächtigen, aber zart abgestuften Farben über den mäßig Zechenden, unter welchen sich ein scharf geschnittener, greiser Kopf auszeichnete, an dessen beredten Lippen die Aufmerksamkeit der lauschenden Runde hing. Der Ausdruck dieses geistreichen Kopfes war ein seltsam gemischter: über die Heiterkeit der Stirn, die lächelnden Mundwinkel war der Schatten eines trüben Erlebnisses geworfen.
«Mein Poggio», sagte nach einer eingetretenen Pause Cosmus Medici mit den klugen Augen in dem häßlichen Gesichte, «neulich habe ich das Büchlein deiner Facetien wieder durchblättert. Freilich weiß ich es auswendig, und dieses mußte ich bedauern, da ich nur noch an den schlanken Wendungen einer glücklichen Form mich ergötzen, aber weder Neugierde noch Überraschung mehr empfinden konnte. Es ist unmöglich, daß du nicht, wählerisch wie du bist, diese oder jene deiner witzigen und liebenswürdigen Possen, sei es als nicht gesalzen genug oder als zu gesalzen, von der anerkannten Ausgabe des Büchleins ausgeschlossen hast. Besinne dich! Gib diesem Freundeskreise, wo die leiseste Anspielung verstanden und der keckste Scherz verziehen wird, eine Facezia inedita zum besten. Erzählend und schlürfend» – er deutete auf den Becher – «wirst du dein Leid vergessen!»
Den frischen Kummer, auf welchen Cosmus als auf etwas Stadtbekanntes anspielte, hatte dem greisen Poggio – dem jetzigen Sekretär der florentinischen Republik und dem vormaligen von fünf Päpsten, dem früheren Kleriker und späteren Ehemanne – einer seiner Söhne verursacht, welche alle herrlich begabt waren und alle nichts taugten. Dieser Elende hatte die greisen Haare des Vaters mit einer Tat beschimpft, die nahe an Raub und Diebstahl grenzte und dem für den Sohn einstehenden, sparsamen Poggio überdies eine empfindliche ökonomische Einbuße zuzog.
Nach einem kurzen Besinnen antwortete der Greis: «Jene Possen oder ähnliche, die dir schmecken, mein Cosmus, kleiden, wie üppige Kränze, nur braune Locken und mißziemen einem zahnlosen Munde.» Er lächelte und zeigte noch eine hübsche Reihe weißer Zähne. «Und» – seufzte er – «nur ungern kehre ich zu jenen Jugendlichkeiten, wie harmlos im Grunde sie sein mögen, zurück, jetzt da ich die Unbefangenheit meiner Standpunkte und die Läßlichkeit meiner Lebensauffassung bei meinem Sohne – ich weiß nicht kraft welches unheimlichen Gesetzes der Steigerung – zu unerträglicher Frechheit, ja zur Ruchlosigkeit entarten sehe.»
«Poggio, du predigst!» warf ein Jüngling ein. «Du, welcher der Welt die Komödien des Plautus wiedergegeben hast!»
«Dank für deine Warnung, Romolo!» rief der unglückliche Vater, sich aufraffend, da er selbst als ein guter Gesellschafter es für unschicklich hielt, mit seinem häuslichen Kummer auf den Gästen zu lasten. «Dank für deine Erinnerung! Der ,Fund des Plautus‘ ist die Facetie, mit welcher ich heute euch, ihr Nachsichtigen, bewirten will.»
«Nenne sie lieber den ,Raub des Plautus‘», warf ein Spötter ein.
Poggio aber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen: «Möge sie euch ergötzen», fuhr er fort, «und zugleich belehren, Freunde, wie ungerecht der Vorwurf ist, mit welchem mich meine Neider verfolgen, als hätte ich jene Klassiker, deren Entdecker ich nun einmal bin, mir auf eine unedle, ja verwerfliche Weise angeeignet, als hätte ich sie – plump geredet – gestohlen. Nichts ist unwahrer.»
Ein Lächeln ging im Kreise, zu welchem erst Poggio sich ernst und ablehnend verhielt, an dem er aber endlich selbst sich mitlächelnd beteiligte; denn ihm war, als einem Menschenkenner, bewußt, daß auch die falschesten Vorurteile sich nur schwer wieder entwurzeln lassen.
«Meine Facetie», parodierte Poggio die den italienischen Novellen gewöhnlich voranstehende breite Inhaltsangabe, «handelt von zwei Kreuzen, einem schweren und einem leichten, und von zwei barbarischen Nonnen, einer Novize und einer Äbtissin.»
«Göttlich, Poggio», unterbrach ihn ein Nachbar, «von der Art jener treuherzigen germanischen Vestalen, mit welchen du in deinem bewundernswerten Reisebrief die Heilbäder an der Limmat wie mit Najaden bevölkert hast – das Beste, was du geschrieben, bei den neun Musen! Jener Brief verbreitete sich in tausend Abschriften über Italien . . .»
«Ich übertrieb, euern Geschmack kennend», scherzte Poggio. «Immerhin, Ippolito, wirst du, als ein Liebhaber der Treuherzigkeit, an meiner barbarischen Nonne deine Freude haben. Ich beginne.
In jenen Tagen, erlauchter Cosmus, da wir unserer zur lernäischen Schlange entstellten heiligen Kirche die überflüssigen Köpfe abschlugen, befand ich mich in Konstanz und widmete meine Tätigkeit den großartigen Geschäften eines ökumenischen Konzils. Meine Muße aber teilte ich zwischen der Betrachtung des ergötzlichen Schauspiels, das aus der beschränkten Bühne einer deutschen Reichsstadt die Frömmigkeit, die Wissenschaft, die Staatskunst des Jahrhunderts mit seinen Päpsten, Ketzern, Gauklern und Buhlerinnen zusammendrängte – und der gelegentlichen Suche nach Manuskripten in den umliegenden Klöstern.