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Acht Arme für alle Fälle - das sind Vicky, Jo, Rike und Kante von der Oktopus-Bande. Mit Mut, Durchblick und Fruchtgummis stürzen sich die vier Freunde in jedes Abenteuer. Acht Arme für alle Fälle, ein Sprung in den Pool, eine Postziege und Weintrauben mit lustigen Namen: Moselurlaub mit Vicky, Jo, Rike und Kante! In Vickys Bauch sprudelt wegen Pascal die Brause und Rikes Mutter hütet ein Geheimnis: Ihren Internet-Verliebten gibt es doppelt! Verfolgt von drei merkwürdigen Musikanten im grünen Auto ermitteln die Oktopusse im Nationalpark Hunsrück-Hochwald, futtern Flammkuchen und brauchen plötzlich dreitausend Euro. Da kann nur noch die Kühlbox helfen. - Und eine mutige Ziege! Der Vorläufer zum zweiten Band der Reihe machte im Jahr 2020 einen rasanten Weg durch die Medien. Radio und Zeitungen berichteten über den Kinderkrimi, der auf vielen Schulhomepages und Blogs als Lesefutter für den Lockdown zu finden war und es schließlich auf Landesbildungsserver und die Homepages der Stiftung Lesen und des Legasthenieverbandes schaffte. Die Bände der Reihe sind so aufgebaut, dass sie auch einzeln in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können.
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Seitenzahl: 203
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Geheimnisse im Grünen Winkel – Der doppelte Darkie
Krass von der Rolle – Corona, Chaos, Klopapier
Alles abgerupft! – Das rasende Rentier (Ein Adventskalenderkrimi in 24 Kapiteln)
Weitere Abenteuer sind in Vorbereitung.
Neuigkeiten zu den „Acht Armen für alle Fälle“ findest du auf www.lesewonne.de
Steffi Bunt
Steffi Bunt schreibt, seit sie Buchstaben auf das Papier bringen kann. Als Lehrerin und Mutter von zwei Jungen und zwei Mädchen inspiriert ihr Alltag sie zu ihren Geschichten. Sie lebt mit ihrer Familie in Ulmenau, wo die „Acht Arme“ viele ihrer Abenteuer erleben und das im echten Leben natürlich anders heißt. Das Fachwerk-städtchen an der Lutte liegt ziemlich weit oben in Nordrhein-Westfalen und Vicky, Jo, Kante und Rike wohnen gleich nebenan.
Verfolgungsjagd in Ulmenau
Grün, grün, grün
Zitronenkuchendiebe
Die Postziege
Brauselollis im Ziegenstall
Aus Versehen spioniert
Wenn nur noch eine Sternschnuppe hilft
Rike haut ab
Noch ein Oktopus
Mit Schwung abwärts
Liebesbetrüger mit Tennisball?
Handy gesucht!
Unterwegs im Nationalpark
Auf dem Weg zum Vulkansee
Jo spielt Schranke
Vicky hat genug
Friede, Freude, Kellerführung (barfuß)
Musikanten auf Handyjagd
Eine Reise durch die Nacht (auch barfuß)
Total blamiert
Verliebt und voll verpeilt (leider)
Krawall auf der Bühne
Die Oktopusse übernehmen
Zwei falsche Erkältungen
Ein Fall für die Kühlbox
Noch Fragen?
Moselfränkisch-Übersetzer
„Wir werden verfolgt“, flüsterte mir meine Freundin Rike aus dem Funkgerät entgegen. Ihre Stimme klang abgehetzt. „Von einem grünen Auto. Ich weiß nicht, ob wir mitkommen können!“
„Jip-jip-jip“, machte der Motor von unserem Auto und dann gar nichts mehr. Mama schaute Papa, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß, ungläubig an.
„Mann ey!“, motzte sie los. „Daniel, ich hab‘ dir doch gleich gesagt, dass du die Kühlbox nicht anschließen sollst, bevor der Motor läuft!“
„Die zieht nicht viel Strom“, hatte Papa geantwortet und die blaue Box vorn im Auto angestöpselt. Das mit dem Strom tat sie aber offenbar doch, denn nun waren zwar die Blätterteigpasteten, der Nudelsalat, die Himbeer-Smoothies, die Butterbrote und diese niedlichen kleinen Würstchen, die es zu meinem Glück auch in vegetarisch gibt, gut gekühlt, aber das Auto rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Dieser Sommerurlaub fing ja phantastisch an!
Dabei hatte es uns Oktopusse so viel Überredungskraft gekostet, unsere Eltern rumzukriegen, damit wir alle zusammen zum Ferienweingut Klüssmann (mit Pool) nach Sommerath an der Mosel fahren konnten. Die Mosel ist ein Fluss, an dem ganz viele Weintrauben wachsen. Schwimmen darf man in der Mosel leider nicht, aber in der Nähe gibt es einen echten Vulkansee. In dem darf man schwimmen! Eine Sommerrodelbahn gibt es auch! So stand das alles in der Beschreibung im Internet.
„Verfolgt?!“, fragte ich etwas zu laut und schaute nach vorn zu Papa und Mama. Beim Funken ist es ja leider so, dass alle immer mithören können, aber Mama und Papa waren gerade viel zu beschäftigt damit, sich wegen der Kühlbox und dem Auto zu streiten. Die bekamen nichts anderes mit, während meine Freundin in höchster Gefahr schwebte! Ich meine, Verfolgungsjagden kennt man ja aus dem Fernsehen! Ich konnte es direkt vor mir sehen, wie das grüne Auto Rike und ihre Mutter Julia im kleinen roten hinterherjagte, wie sie durch die Straßen von Ulmenau rasten, den Parkweg herunter, dann den Holunderweg, in die Ladenstraße, rechts, links, hin und her mit quietschenden Reifen.
„Aber warum denn?“, fragte ich.
In unserer Lieblingsserie, den Chilischoten, gab es so eine Verfolgungsjagd, weil jemand einen Geheimcode geklaut hatte und einmal wegen einer Gewürztüte, in der Diamanten waren! Doch so etwas hatten Rike und ihre Mutter wohl kaum an Bord, denn solche Sachen nimmt man eher nicht mit, wenn man in den Urlaub fährt. Außerdem, wer besitzt schon geheime Codes und Pfeffer mit Edelsteinen drin? Rikes Familie bestimmt nicht.
„Keine Ahnung“, kam von Rike.
„Vielleicht ist es Zufall und die suchen nur etwas in Ulmenau?“, überlegte ich.
„Glaube ich nicht“, gab Rike zurück. „Mami ist fast bis nach Gütersloh gefahren, aber sie ließen sich nicht abschütteln. Einmal dachten wir, wir wären sie los, aber dann tauchten sie plötzlich wieder aus einer Seitenstraße auf!“
Hmm, das klang nun aber wirklich nicht nach Zufall.
Mama versuchte es erneut und drehte den Zündschlüssel noch einmal herum.
„Jip-jip-jip“, machte es und sonst nichts.
Mein Cousin Jo saß bereits mit Tante Natalie und Onkel Ralf im Auto. Ihr Motor lief. Aber die hatten ja auch nicht die Kühlbox mit dem Proviant dabei. Kante war sicher schon mit seinen Eltern losgefahren. Nur wir Lewandowskis standen am Mittwochmorgen um zwanzig Minuten nach neun immer noch vor unserem alten Bahnwärterhaus im Kastanienweg 18 in Ulmenau.
Kante, Rike, Jo und ich sind die Oktopus-Bande.
Acht Arme für alle Fälle, wir halten immer die Augen nach einem neuen Fall offen. Aber musste es gleich eine Verfolgungsjagd sein, an der meine Freundin beteiligt war?!
Der Fall mit der Kühlbox war dagegen klar.
„Das blöde Teil hat die Autobatterie leergelutscht!“, schimpfte Mama.
„Kann man die aufladen?“, fragte ich zaghaft. Mit den Akkus aus meinem CD-Spieler geht das, doch es dauert ein paar Stunden, bis sie voll sind und wir wollten doch an die Mosel!
Wobei, ohne meine Freundin wollte ich eigentlich gar nicht mehr so gern an die Mosel. Und schon einmal gar nicht, wenn sie verfolgt wurde!
„Kann man“, antwortete Papa. „Wenn man ein Ladegerät hat.“
„Haben wir so etwas?“, wollte Mama wissen.
Ich hoffte sehr, dass wir so etwas hatten, doch Papa schüttelte den Kopf.
„Nö“, sagte er.
War eigentlich jetzt auch egal! Ich wollte, dass Rike und ihre Mutter in Sicherheit sind und nicht irgend
welchen Deppen in einem grünen Rennauto schutzlos ausgeliefert mit ihrem roten Miniauto.
„Was?!“, fragte Mama. „Wir haben eine Küchenmaschine für mehr als zweitausend Euro, aber kein Ladegerät für die Autobatterie?“
„So ist es, mein Schatz“, bestätigte Papa und Mama guckte ihn so richtig giftig an, als wollte sie gerade nicht sein Schatz sein.
„Warum haben wir das nicht?“, hakte Mama nach.
„Weil man eine Küchenmaschine im Durchschnitt öfter braucht als ein Ladegerät für die Autobatterie“, erklärte Papa. „Ganz besonders, wenn man Koch ist.“
Und das ist Papa nun mal.
„Ja“, gab Mama zurück. „Weil nicht jeden Tag irgendein Depp die Kühltasche anschließt und zwei Stunden laufen lässt!“
„Ist kein Rennwagen“, berichtete Rike. „Es ist ein Kombi.“
„Kannst du erkennen, wer drinsitzt?“, fragte ich.
„Ein Mann und eine Frau, beide mit Sonnebrille“, berichtete meine Freundin.
„Kennst du die?“
„Nein, noch nie gesehen“, antwortete Rike.
„Kennt deine Mama die?“, fragte ich.
„Mami, kennst du die?“, hörte ich Rike aus dem
Funkgerät und ihre Stimme klang ganz piepsig.
„Nie gesehen“, kam auch von Rikes Mutter.
„Was ist los?“, meldete Jo sich zu Wort. Der saß ja im Auto nebenan und hatte sein Funkgerät erst jetzt angeschaltet. „Verfolgungsjagd? Und ich bin nicht dabei?“
„Mit dem Auto“, informierte ich Jo. „Da kommst selbst du nicht mit.“
Jo ist der kleinste Junge in unserer Klasse, aber der schnellste Sprinter. Doch mit einem grünen Kombi auf der Jagd nach was auch immer konnte selbst er nicht mithalten.
Papa stieg aus, öffnete die Motorhaube und blickte etwas ratlos in das Innere unseres Autos.
Dabei sollte es doch schon um acht Uhr in die Ferien losgehen! Eigentlich. Aber dann konnte Onkel Ralf seine Fleecejacke nicht finden, Mama suchte ihre Sonnenbrille und ich meine Flipflops, Papa war im Garten, um Himbeeren zu pflücken und Tante Natalie war sowieso gerade erst aufgestanden. Ebenso wie Jo. Die beiden sind morgens immer ganz furchtbar müde. Jo ist sogar schon auf dem Fahrrad eingeschlafen – zum Glück nicht beim Fahren, sondern als er an einem Laternenpfahl lehnte – und Tante Natalie braucht immer erst einen großen Kaffee zum Wachwerden. Die Dose mit dem Schoko-Kaffee war aber schon in der Lebensmittelkiste und die klemmte unter der Rückbank, weil im Kofferraum unsere Reisetaschen und das Schlauchboot waren, und deshalb musste Tante Natalie mit Tee vorlieb nehmen. Hagebutte und Pfefferminze waren noch da und weil Tante Natalie sich nicht dazwischen entscheiden konnte, hatte Onkel Ralf beide Beutel in die Tasse heißes Wasser geworfen und das fand Jos Mutter nicht ganz so lustig.
Mittlerweile war es beinahe halb zehn. Allmählich wurde es heiß im Auto. Die Sonne knallte volle Kanne auf das Dach. Ich trug kurze Jeans und mein ärmelloses T-Shirt mit der Melone drauf, aber trotzdem musste ich mir mit dem Handrücken die Tropfen von der Stirn wischen.
Mein Bruder Till schlappte aus dem Haus, ließ sich zu mir auf die Rückbank fallen und steckte sich Kopfhörer ins Ohr. Er ist schon in der elften Klasse.
„Was‘n los?“, fragte er. „Fahren wir nicht?“ Dann begann er, auf seinem Handy herumzudaddeln.
„Ich glaube, wir sind sie los“, meldete Rike sich erneut. „Seit drei Minuten kein grüner Kombi in Sicht. Wir sind auf dem Weg zu euch.“
Uff, war ich erleichtert.
Eigentlich wollte Till gar nicht mit an die Mosel fahren, sondern mit seiner Freundin Vanessa zum Zelten ans Steinhuder Meer. Das hatten Mama und Papa auch schon erlaubt, aber dann hatten Till und Vanessa einen ganz furchtbaren Krach. Vanessa war bei uns gewesen und schon beim Abendessen hatte sie die ganze Zeit auf ihren Teller gestarrt, es gab Kartoffelsuppe, und danach haben sich die beiden in Tills Zimmer gestritten. Sie haben sich bemüht, möglichst leise zu brüllen und deshalb habe ich auch nicht so richtig verstanden, worum es ging. Und dann ist Vanessa aus dem Haus gerannt und die beiden waren getrennt. Das waren sie vorher schon einmal, aber nur für einen Tag, doch dieses Mal blieb das so.
Till trug eine Woche lang immerzu ein schwarzes TShirt, leider dasselbe, bis Mama es ihm wegnahm und in die Wäsche warf, und seine Augen sahen rot aus. Sicher hatte er viel geweint. Er aß Cornpops und Wurstbrote und trank eine Menge Cola. Mama und Papa sagten nichts dazu. Ganz im Gegenteil, Papa sorgte dafür, dass immer genug Cornpops, Milch, Toastbrot und Cola im Haus waren. Und Mama sagte, dass wir Till in Ruhe lassen sollen. So lange er in die Schule geht, wäre alles in Ordnung. Das machte er. Drei Tage lang. Dann begannen die Ferien und Till trug immer noch schwarze T-Shirts.
Allerdings aß er mittlerweile auch wieder Marmelade auf dem Brot. Immer nur Streichwurst ist ja auch langweilig. Mama sah sich das Ganze noch drei weitere Tage lang an, dann war die Erdbeermarmelade alle und sie sagte, dass das so nicht weitergehen kann. Dass sie verstehen kann, dass es Till schlecht geht und Liebeskummer sowieso am allerschlimmsten ist. Kein Wunder also, dass Till trübsinnig in das leere Marmeladenglas starrte.
„Du kommst mit an die Mosel“, hatte Mama gesagt.
„Da kriegst du wenigstens was Gescheites zu essen.“
Till hatte sie für einen Moment entgeistert angestarrt, dann mit den Schultern gezuckt und seine Tasche gepackt. Ich glaube, insgeheim war Till sogar ganz froh darüber, aber das konnte er natürlich nicht zugeben, wie er da neben mir auf der Rückbank unseres Autos saß. Und sicher war es blöd für ihn, mit lauter Erwachsenen in die Ferien zu fahren und natürlich mit Rike, Kante, Jo und mir, aber Till hatte ja niemanden in seinem Alter dabei.
Wenn wir denn endlich loskamen.
Papas Handy klingelte. „Ja … Oh … Anne! Es ist Lisa!“
Lisa ist Kantes Mutter. Er reichte Mama das Telefon ins Auto.
„Wo seid ihr? Am Picknickplatz?“
Au weia, das hatten wir vor lauter Verfolgungsjagd und Automotor ganz vergessen, dass wir uns um zehn Uhr mit Kante und seinen Eltern Fritz und Lisa am Picknickplatz an der Autobahn verabredet hatten!
„Das tut uns leid“, redete Mama ins Telefon. „Weiß ich jetzt auch nicht … Vielleicht spazieren gehen? Ich glaube, da ist ein Tierpark in der Nähe. Ja? Gut! Bis gleich!“
Mama reichte Papa das Handy zurück. „Wenn wir in eineinhalb Stunden nicht dort sind, fahren sie allein weiter!“, meldete sie. „Was machen wir denn jetzt?“ Sie drehte den Schlüssel noch einmal herum. Nun machte das Auto auch nicht mehr „Jip-jip-jip“, sondern nur noch „Jip“. Manchmal hilft es ja, wenn man ein bisschen abwartet und es noch einmal versucht, aber hier half es wohl nicht. Eher im Gegenteil.
Onkel Ralf klopfte ans Fenster. Mama ließ die Scheibe herunter.
„Wisst ihr noch, wie wir es damals beim Grauen gemacht haben, wenn er nicht ansprang?“
Der Graue war Papas und Onkel Ralfs erstes Auto. Die beiden sind Zwillinge, aber sie sehen sich nur ein bisschen ähnlich und den Grauen haben sie sich zusammen gekauft.
Mama hat mir mal verraten, dass Papa und sie sich in diesem Auto ihren ersten Kuss gegeben haben und das fand ich irgendwie aufregend und romantisch und auch so ein bisschen schräg, denn wir wissen ja alle, was nach dem ersten Kuss kommt. Also zwischen dem Küssen und dem Baby. Spätestens, seit wir im Sachunterricht das Thema „Ein Kind entsteht“ bei Frau Goldbach hatten, wissen das alle.
„Den Grauen haben wir angeschoben!“, rief Papa.
Der Graue war ein Auto, das ständig kaputt war. Es war schon alt, als Onkel Ralf und Papa es bekamen und einmal haben sie unterwegs die halbe Stoßstange verloren und das nicht gemerkt, weil der Auspuff so laut röhrte.
„Okay“, sagte Onkel Ralf. „Worauf warten wir? Anne, wir schieben das Auto den Kastanienweg runter und wenn es richtig Fahrt hat, drehst du den Schlüssel herum und wenn wir Glück haben, springt der Motor an.“
Mama legte den Kopf schief, schaute erst Papa, dann Onkel Ralf an, tippte sich mit dem Finger an die Stirn, stieg aus, ging ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu. Jetzt war sie wirklich sauer.
Papa setzte sich hinter das Steuer. Onkel Ralf, Till, Jo, Tante Natalie und ich schoben und unser Auto rollte wirklich schnell den Kastanienweg herunter, doch der Motor sprang nicht an. Mittlerweile stand das Auto an der Ecke zum Eichenweg.
„Wenn wir lange genug schieben, kommen wir auch an der Mosel an“, sagte Jo.
„Fragt sich nur wann!“ Rikes Mutter Julia war mit ihrem kleinen roten Auto um die Ecke gebogen und winkte mit zwei Kabeln in der Hand aus dem Fenster. Ein Kabel war schwarz und eins rot und an den Enden waren so kleine Zangen.
Hinten in der Kunigundenstraße sah ich einen grünen Kombi vorbeifahren.
„Hier, zum Überbrücken!“, rief Julia und schwenkte die Kabel. „Ralf, fahr mal euer Auto neben das von Anne und Daniel.“
Onkel Ralf fuhr das Auto herüber und ließ den Motor laufen. Er öffnete die Motorhaube und dann klemmte Rikes Mutter je ein Ende des roten und des schwarzen Kabels an die Batterie an. Papa öffnete unsere Motorhaube und dort befestigte Rikes Mutter die anderen Kabelenden. Da konnte Onkel Ralfs und Tante Natalies Auto unserem Strom zum Starten abgeben und das fand ich richtig toll und irgendwie super nett. Autos haben zwar keine Gefühle, aber mit den Scheinwerfern sehen sie doch aus, als ob sie gucken und Onkel Ralfs Auto schaute gerade sehr freundlich zu unserem herüber, während es Strom spendete. Papa drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor sprang an!
Da kam auch Mama wieder aus dem Haus, lief den Kastanienweg herunter und stieg ein. Immerhin hatte sie ihre Sonnenbrille gefunden. Da hatte das ganze Stromtheater doch etwas Gutes.
„Den Motor eine halbe Stunde lang laufen lassen“, sagte Rikes Mutter. „Beim Anhalten nicht ausmachen.“
Das würden wir ganz sicher nicht machen, denn wir wollten ja an die Mosel und zuerst einmal zum Picknickplatz, um Kante zu treffen.
„Kann ich bei euch mitfahren?“, fragte ich durch das
Fenster zu Rike herüber.
„Au ja!“, freute Rike sich.
Ihre Mutter guckte nicht ganz so begeistert.
„Kann Rike vielleicht bei euch mitfahren?“, fragte sie stattdessen.
„Das würde aber eine ganz schöne Quetscherei“, antwortete ich, weil da ja auch noch Till saß und die Kiste mit der Küchenmaschine drin stand ebenfalls auf der Rückbank.
„Biiitteee!“, sagten Rike und ich gleichzeitig und guckten ihre Mutter mit unserem liebsten Blick an.
„Na gut“, willigte sie ein, aber wirklich zufrieden sah sie nicht aus, als ich zu Rike auf den Rücksitz stieg. Tante Natalie mit Onkel Ralf und Jo fuhr voran, dann kamen Papa, Mama und Till und schließlich Rikes Mutter und wir beiden Mädels. Wir bogen in den Eichenweg ab und folgten den Schildern zur Autobahn. Als wir auf die Spur Richtung Dortmund fuhren, bemerkte Rike, dass der grüne Kombi hinter uns herfuhr.
„Die sind schon wieder da“, sagte sie beklommen.
Vorsichtshalber notierten wir das Kennzeichen.
Julia hatte den Grünen im Rückspiegel entdeckt. Ihr Gesicht sah aber nicht ängstlich aus, sondern eher wütend. Sie umklammerte das Lenkrad, so dass ihre Fingerknöchel ganz weiß wurden und der schmale goldene Ring mit dem kleinen lila Edelstein, der Amethyst heißt, sich in den Finger drückte. Zu dem Ring gehören auch noch eine passende Kette und eine Uhr. Die Kette trug Julia um den Hals, aber die Uhr …?
„Wo ist den deine Uhr, Mami?“, fragte Rike.
„Die Uhr, äh, ja, die Uhr“, begann Julia.
„Hast du die verloren?“, hakte Rike nach. „Oh nein, die magst du doch so gern!“
„Nein, verloren habe ich die nicht“, antwortete Julia. „Ich trage nur nicht gern eine Uhr, wenn es heiß ist. Das ist mir zu schwitzig am Arm.“
Sie blinkte und fuhr die Ausfahrt zum Picknickplatz herunter.
„Boah, das wurde aber auch Zeit, dass ihr endlich kommt“, begrüßte Kante uns, als wir am Picknickplatz angekommen waren. „Habt ihr was zu Essen mitgebracht? Wir waren schon im Wildgehege bei den Hirschen, das war cool, aber dann sind wir zweimal durch den Fitness-Pfad geturnt.“
Kante war ganz rot im Gesicht. Er guckte mit vorwurfsvollen Blick zu seiner Mutter herüber, die einen ebenso roten Kopf hatte.
„Ich glaub‘s nicht!“, wisperte Rike da und deutete zum Waldrand herüber. „Die grüne Kutsche!“
Tatsächlich! Der grüne Kombi fuhr langsam am Waldweg entlang!
„Von denen gibt‘s viele“, meinte Kante.
„Aber nicht mit Bielefelder Kennzeichen und am Ende Jos Geburtstag!“, gab ich zurück.
„Im Ernst?“, fragte Kante.
Rike und ich nickten. Dann erzählte Rike ihm, was passiert war.
„Eine echte Verfolgungsjagd!“ Irgendwie klang Jos Stimme ein bisschen neidisch.
„Nee“, meinte Rike. „Das war nicht wie im Film, sondern eher unauffällig. Sie waren nur einmal direkt hinter uns und ansonsten immer so drei, vier Autos oder noch weiter entfernt. Aber fast immer in Sichtweite. „Was wollen die von uns?“
„Vielleicht ein Würstchen und Nudelsalat?“, fragte Jo.
Rike blickte ihn genervt an.
„Es gibt Würstchen?“ Kante rannte los und steuerte den Picknicktisch an, auf dem Papa und Onkel Ralf die Kühlbox auspackten.
Der grüne Kombi verschwand um die Kurve.
Wir gingen zum Tisch herüber. Papa lud Kante gerade eine Portion Nudelsalat auf den Teller.
„Auch ein Würstchen und eine Pastete, Anton?“, fragte Papa.
„Klar.“ Kante strahlte und biss gleich in die Pastete hinein. „Fmeckt pfampaftiff!“
„Du nimmst aber auch Rohkost dazu!“ Kantes Mutter Lisa drängelte sich durch und knallte eine große, türkisfarbene Box auf den Tisch. Ehrlich, ich habe nichts gegen Obst und Gemüse, aber … rohe Zucchini?!
„Nicht mal die Hirsche fressen die“, raunte Kante uns zu.
„Die kann ich gut verstehen“, sagte Jo und beäugte die grünen Stämme misstrauisch. Jo isst sowieso am liebsten alles ohne alles und deshalb hatte er auch nur ein Stück Baguette und ein Würstchen auf dem Teller.
Zum Glück waren auch noch Tomatenstücke, Gurkenscheiben und Spinatblätter in der Dose.
Lisa hat immer Angst, dass Kante zunimmt. Deshalb muss er auch einmal pro Woche am Nachmittag zu einem Kurs von der Krankenkasse, wo sie zusammen Sport machen und dann etwas kochen, das nicht dick macht. Kantes Mutter sammelt die Rezepte und sie hat schon über hundert Stück. Außerdem hatten Kantes Eltern Obstspieße mit Erdbeeren und Weintrauben mitgebracht.
Tante Natalie griff sich einen Spieß, riss mit der anderen Hand eine Tüte Marshmallows auf und steckte auf jedes Ende des Obstspießchens einen. „Und jetzt in Schokolade tauchen“, sagte sie genießerisch.
Das ging natürlich nicht, weil wir keine dabei hatten, aber Kantes Mutter schaute sie trotzdem ganz unglücklich an.
„Du kannst das vielleicht machen“, sagte sie. „Aber wir …“ Sie deutete auf Kante und sich.
„Was ist denn?“ Tante Natalie steckte sich eine Erdbeere in den Mund.
Tante Natalie ist groß und dünn und Kantes Mutter ist groß und nicht ganz so dünn. Kante auch nicht. Aber der hat richtig Muskeln! Im Sportunterricht kann er sogar eine große Bank allein tragen! Außerdem kann er auf die Mülltonne steigen, von dort auf das Garagendach und dann über den Balkon in sein Zimmer klettern! Aber das weiß Lisa nicht. Ist auch besser so.
„Mama, kann ich den Kuchen holen?“, fragte Rike.
„Mama?!“
„Was?!“ Rikes Mutter schreckte hoch.
Sie saß ein Stück entfernt auf einer Bank im Schatten und tippte auf ihrem Handy herum.
„Mit wem schreibst du denn da?“, fragte Rike und versuchte, einen Blick auf das Handy zu erhaschen. „Mit … mit …“, begann Julia.
„Etwa mit Papa?“, fragte Rike. „Ich hab‘s gelesen“, und dann fügte sie etwas leiser hinzu: „du hast was mit ‚Liebling‘ geschrieben!“
„Ähm …“ Rikes Mutter wurde rot. „Mach dir bloß keine Hoffnungen. Das ist … das ist ganz anders, als du denkst!“
Rike strahlte trotzdem vom einen Ohr bis zum anderen. Ihre Eltern sind geschieden, schon seit sie ein Baby war. Ihr Vater ist Max Kohlhase. Als Rike letztes Jahr neu zu uns in die Klasse kam, erzählte sie deshalb, ihr Vater sei ein Vampir und mit dem Grafen Dracula verwandt. Weil sie dachte, dass wir ihr das mit Max Kohlhase nicht glauben. Der ist nämlich Schauspieler, ein ziemlich bekannter sogar, er hat im Kinofilm mit den Chilischoten den Bösewicht gespielt. Und Rike konnte ihn ja nicht mal eben vorzeigen, weil er nicht in Ulmenau wohnt, sondern in Bielefeld und Rike nur manchmal in den Ferien oder am Wochenende bei ihm ist. Aber irgendwie hofft Rike doch die ganze Zeit immer noch so ein bisschen, dass ihre Mutter und ihr Vater wieder zusammenkommen. Ich glaube, an ihrer Stelle würde ich das auch.
Rikes Mutter ging zum Auto und holte den Kuchen. Es war ein riesiger Zitronenkuchen mit Zuckerguss und bunten Streuseln drauf und er sah herrlich aus.
„Aber nur ein Stückchen“, sagte Lisa.
Kante seufzte.
Als wir alle gegessen und getrunken hatten, packten wir die Sachen ein und wir Kinder verteilten uns auf die Autos. Rike und ich fuhren zusammen mit Till bei uns mit. Das ging, weil wir die Küchenmaschine bei Rikes Mutter ins Auto gepackt hatten. Jo und Kante fuhren bei Onkel Ralf und Tante Natalie mit.
Das Navi zeigte noch 194 Kilometer bis zum Graugrabenweg 3 in Sommerath an.
Tante Natalie und Onkel Ralf mit Jo und Kante fuhren voran, dann kam Rikes Mutter, danach Kantes Eltern und ganz zum Schluss wir.
Endlich waren wir alle zusammen auf dem Weg in die Ferien. In meinem Bauch kribbelte es vor lauter Vorfreude. Denn beinahe wäre es mit dem Urlaub total schief gegangen und das kam so: Jeder aus unserer Familie hatte andere Wünsche für die Ferien. Jo wollte klettern, ich etwas mit Tieren, Mama an die Nordsee, Tante Natalie auf eine Insel, Papa wollte eine Hängematte und viele Bücher und Onkel Ralf an einen Ort, an dem es nicht so viel Lichtverschmutzung gibt. So nennt man das, wenn die Straßenlaternen und die Lichter im Haus und die Autoscheinwerfer so hell sind, dass man die Sterne gar nicht mehr sehen kann. Tante Natalie und Onkel Ralf sind Sternenforscher und sie haben ihr Reiseteleskop eingepackt. Jo seins übrigens auch, denn er will ebenfalls Sternenforscher werden.
„Das kriegt man im Leben nicht unter einen Hut“, hatte Tante Natalie gesagt.
„Ja“, hatte Papa gemeint. „Vor allem, wenn jemand mitfährt, der keine lila Gardinen mag.“
Aber die Gardinen in dem Ferienhaus am See hatten wirklich ganz scheußlich ausgesehen, dunkellila, und außerdem wollten sie dort keine Kinder.
„Mir reicht‘s“, hatte Papa gesagt und den Laptop zugeknallt. „Irgendwas ist immer und Ferien im Garten sind auch was Schönes.“ Dann hatte er sich aus dem Kühlschrank eine eiskalte Cola genommen und war in den Garten verschwunden.
Jo und ich hatten überlegt, ob wir schon mal das Zelt aus dem Keller holen sollten. Da hatte Tante Natalie sich den Laptop gegriffen und gesagt: „Wisst ihr was? Das erste, was jetzt gleich angezeigt wird, nehmen wir.“