Ponyglück bei Lise Gast - Lise Gast - E-Book

Ponyglück bei Lise Gast E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Nachdem Lise Gast mit der biographischen Erzählung "Unsere Ponys und wir" über die Gründung des Ponyhofs berichtete, gewährt sie dem Leser mit "Ponyglück bei Lise Gast" einen Einblick über das Alltagsgeschehen auf einem Ponyhof. Mit viel Witz erzählt sie von den Geschichten und Abenteuer, die sie und ihre acht Kinder mit den Ponys Eyglo, Gloa, Applchnut, Nikolette und Winnetou auf dem Ponyhof erleben durften. - Eine wunderschöne biographische Erzählung. Lesenswert!Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Lise Gast

Ponyglück bei Lise Gast

Saga

Ponyglück bei Lise Gast

© 1981 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509883

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Kaum ein Vorwort

Ein Vorwort liest niemand gern; wir auch nicht. Höchstens am Schluß. Wenn man das Buch mehr oder weniger befriedigt zuklappt, erinnert man sich: Da war doch vorn noch etwas, das ich überschlagen habe. Mal sehen ...

Trotzdem schreiben wir eins, wenn auch nur ein ganz, ganz kurzes. Also »Wir«, das ist unsere Familie, Mutter mit acht Kindern, die nun schon nicht mehr ganz klein sind, sondern zum Teil schon studieren oder gar im Beruf stehen, mit einem Bein aber immer noch im Ponyhof, wo Mutter mit den Jüngsten und ihren Ponys haust. Die Ponys, ja, die muß ich einzeln vorstellen: Eyglo und Gloa, unsere Islandstuten, einsdreiunddreißig hoch, daß also auch ein Erwachsener darauf reiten kann, eine kastanienbraun mit winzigem Stern auf der Stirn, eine hellgolden mit dunklem Aalstrich den Rücken entlang. Beide sind sehr schön, wahre Reklamepferde, man schickte sie mit den allerersten Transporten aus Island, damit wir Deutschen Appetit auf Islandponys bekämen. So geschah es auch.

Und dann die kleineren, die Shetties, ungefähr einen Meter groß: Appelschnut, genannt Schnute, schwarz, Winnetou weiß. Er ist unser stolzer Herdenhengst und hat eine einseitige Mähne, die bis zur Erde geht. Dazu kauften wir Nikolette, als Blacky, unser allererstes Pferdchen, in den Ponyhimmel einging, und zogen deren letzte Tochter Aki auf, so daß Winnetou nun drei kleine und zwei größere Damen um sich versammelt hält. Sechs Ponys also, und im Sommer noch mehr, denn da gibt es Fohlen. Davon aber erzählen wir ein andermal, jetzt ist nur wichtig, daß der Leser sich erst einmal zurechtfindet. Eine ponynärrische Familie von Mutter und acht Kindern – die Namen lernt man im Laufe des Buches kennen – und dieser Stamm von sechs Ponys. Einverstanden?

»Wir«, das heißt irgendwelche von uns. Da wir alles gemeinsam erleben, gibt es keinen besonderen Erzähler.

Lise Gast

Freuden im Advent

Der Ponyhof, unser Zuhause, liegt mitten im grünen Herzen Württembergs. Seine zweibeinigen Bewohner stammen aus Schlesien, die vierbeinigen, also die Hauptpersonen, die Ponys, aus Island und von den Shetlandinseln. Der Ponyhof ist kein großes Gestüt, sondern ein ganz, ganz kleines, viel kleiner, als bei uns in Schlesien ein »Hof« war. Aber das paßt sehr gut, die Ponys sind ja auch klein. Groß ist bei uns nur eins: die Geschwisterschar. Wir sind drei Brüder und fünf Schwestern, und da wir viel Besuch bekommen und immer Freunde und Freundinnen mitbringen dürfen, sind wir meist noch viel mehr.

Besonders im Sommer. Da kommen von allen Seiten und aus allen Ländern Gäste, manche für kurz, manche für länger, und beinah jeder sagt: »Ach, haben Sie es aber schön hier! Und so einsam ...«

Unser Häuschen liegt in einem Nebental der Rems, und man sieht ringsum nichts als Wiesen und Wald, »... nur müßte nicht so viel Besuch kommen«. Denn meistens trifft ja eine Familie, eine Schulklasse, eine Verwandteninvasion auf die andere.

Aber wir haben gern Besuch. In einer Etagenwohnung in der Großstadt, wo man rechts und links und drunter und drüber Nachbarn hat, kann man viel einsamer sein. Da kommt einen niemand besuchen. Außerdem hat man dort keine Ponys. Mit Ponys ist man nie einsam.

Im Ponyhof sind alle Jahreszeiten schön. Der Frühling, wenn die Abende sich dehnen, der Himmel messinggelb und die Luft, die am Tage schmeichelnd weich war, wieder herb wird und einem die Hände klamm macht, wenn man endlich, endlich wieder Zäune repariert, Mist auflädt und den Ponywagen einspannt, um noch ein Stück in den Wald zu fahren. Oder der Herbst. Da reiten wir morgens, in silberner Frühe, und der Wald ist jeden Tag anders gefärbt. Dann klecksen Hagebutten und Ebereschen ihr Siegellackrot gegen den funkelnd blauen Himmel, und es gibt Pilze und Schlehen, und wir zünden auf der Koppel Kartoffelfeuer an, zu dem die Ponys herankommen und die Nasen in die Glut stecken wollen. Und wir machen den Stall noch einmal richtig sauber vor dem Winter, stapeln Heu und fahren Stroh in die Ecke der Wiese unter die großen Bäume, dorthin, wo im Winter die Ponys schlafen. Denn unsere kleinen Pferdchen sind Tag und Nacht, Winter und Sommer draußen, nur vor der größten Hitze müssen sie sich im Stall schützen können. Deshalb lieben wir den heißen Sommer eigentlich am wenigsten. Bremsen und Schnaken setzen ihnen so zu, daß wir mitunter ganz verzagt sind: Was hat man eigentlich von seinen Rössern, wenn sie den ganzen Tag im Stall stehen müssen und nur nachts auf die Waldwiese dürfen? Nachts können wir nicht reiten.

Aber der Winter! Der entschädigt uns für alles.

Eigentlich ist der Winter die schönste Jahreszeit im Ponyhof, und das ist ganz natürlich, denn da ist Weihnachten. Weihnachten ist der Höhepunkt des Jahres.

Mutter denkt das ganze Jahr über an Weihnachten. Immer, wenn sie im Juni den großen Kalender umdreht, sagt sie: »Jetzt kommt das schönste halbe Jahr, jetzt sind es nur noch fünf Monate.«

Denn die Adventszeit beginnt bei uns schon eher als anderswo, nämlich am 11. November. Da hat unser Jüngster, Ben, Geburtstag, und das war schon immer ein großer Feiertag, als wir noch in Westfalen wohnten. Dort wird der Martinstag mit einem Laternenzug gefeiert, und die Kinder singen das Martinslied: »Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind ...«, die Geschichte von dem Reiter, der einem armen, frierenden Mann im Schnee seinen halben Mantel gab. Vor dem Laternenzug ritt ein größerer Junge, als Sankt Martin verkleidet, einmal war es Uli, unser Zweitjüngster, und er saß auf einem unserer Ponys.

Am Martinstag fällt der erste Schnee, denn Sankt Martin kommt auf einem Schimmel geritten. Ach, unser Ponyhof im Schnee! Nie ist er so winzig, so lustig bunt – wir haben das Haus schokoladenbraun gestrichen mit grünen Fensterläden und bunten Blumenkästen, in denen Tannengrün steckt –, so warm und heimlich wie im Schnee. Und die Ponys sind auch froh, wenn der Boden fest und nicht mehr schlammig ist, wenn der Schnee früh wie ein dickes Federkissen auf ihrem Rücken liegt – ihr Fell ist so dick, daß kein bißchen Nässe oder Kälte bis zur Haut vordringt –, wenn sie unterm Reiter oder vor dem Rodelschlitten durch den Wald toben dürfen, oder früh, ganz zeitig, wenn es noch dunkel ist, eingespannt werden, damit sie die Schulkinder im Pferdeschlitten zur Bahn fahren können. Mutter kauft dann auf dem Rückweg ein und lädt alles auf den Schlitten. Niemals vergißt sie dabei, gelbe Rüben mitzubringen und sie den Ponys zu geben, damit sie geduldig vor den Läden stehen und nicht, heidi!, mit dem Schlitten hinter sich, der keine Bremse hat, absausen, Richtung Heimat.

Unsere Adventskinder, Ben, der eigentlich Martin hätte heißen müssen, und Steffi, die in der Woche vor dem ersten Adventssonntag Geburtstag hat, dürfen sich zu ihren Ehrentagen etwas Besonderes wünschen. Sie meinen, sie könnten sonst womöglich zu kurz kommen, weil Mutter dann schon die Geschenkschublade sichtet und sagt: »Ach, das lassen wir für Weihnachten – und das bekommen sie jetzt schon ...«

Die beiden haben also jedes Jahr einen Extrawunsch frei. Einen, der »nichts kostet und den man nicht sieht«. Als Ben noch kleiner war, wurde ihm das einmal zugesagt, und er wünschte sich prompt, sich acht Tage nicht waschen zu müssen. »Na, denkst du, das würde man nicht sehen?« fragte Lotte entrüstet. Sie ist die Älteste von uns – nur Arndt ist noch älter – und studiert Medizin. Deshalb ist sie natürlich sehr für die Sauberkeit, genau wie unsere Arzttante Titine, Mutters jüngere Schwester. Und die andern Geschwister behaupteten, man würde das nicht nur sehen, sondern auch riechen. Nein, diesen Extrawunsch bekam Ben nicht erfüllt.

So dachte er sich einen andern aus. Im Herbst verkaufen wir die Fohlen, die jedes Frühjahr geboren werden. Das ist immer traurig, sich von ihnen zu trennen, und Mutter überlegt den ganzen Sommer, wie sie es uns versüßen kann. Ein halbes Jahr springen unsere winzigen Ponykinder ums Haus, kommen neugierig ans Fenster oder auf den Sitzplatz, betteln um Brot und toben hinter uns her, wenn wir durch den Wald reiten. Nun sollen wir sie hergeben, an fremde Leute ...

Wir richten es immer so ein, daß sie zu möglichst netten Leuten kommen, die uns gefallen. Nicht als Spielzeug, sondern zu Kindern, die sie vernünftig behandeln und später reiten und fahren wie wir, oder zu andern Ponys. Ponys sollte man immer in der Mehrzahl haben, sie werden, allein gehalten, leicht schwermütig, und wir können ihnen das gut nachfühlen. Wir sind auch an die Herde gewöhnt, die uns umgibt, die uns wärmt und schützt.

In jener Adventszeit also sollte Hanko verkauft werden, ein süßer kleiner Rapphengst, Sohn von unserer Appelschnut, die wir auch schon als Fohlen besaßen. Hanko, ein Shetlandpony, etwa einen Meter hoch, kam glücklicherweise nach Murrhardt zu einem Arzt, der auch Isländer besitzt. Wir hatten ihn vorher besucht und uns alles genau angesehen, Stall und Weide, und vor allem die zukünftigen Gefährten unseres kleinen Hengstes. Murrhardt liegt zweiunddreißig Kilometer vom Ponyhof entfernt. Ben überlegte sich dies alles, und dann rückte er an seinem Geburtstag mit dem diesjährigen Sonderwunsch heraus:

Wir sollten Hanko erst am ersten Weihnachtsferientag, also kurz vor dem Heiligen Abend, verkaufen, und er wollte im Transporter mit ihm mitfahren, um ihn sicher hinzubringen. Nicht nur er, sondern auch Winnetou, sein kleiner weißer Hengst, sein Pony, auf dem kein anderer reiten kann, weil wir alle schon zu groß sind, so jedenfalls sagen wir. Er sagt, weil er keinen anderen auf seinem Rücken dulden würde, denn Winnetou ist ein Übermut und schmeißt mitunter auch Ben ab, so bockelt und hopst und tobt er. Winnetou also sollte auch mitfahren, und am nächsten Tage sollten die beiden, Ben und Winnetou, allein zurückreiten. Ben war damals zwölf Jahre alt und fand einen solchen einsamen Überlandritt im Schnee das Schönste, was er sich vorstellen konnte.

Gut, er durfte. Das aber ließ Steffi nicht ruhen. Sie, die vier Jahre älter ist, sollte so etwas nicht können? Sie grübelte und grübelte, und schließlich verkündete sie, sie wünschte sich zum Geburtstag, am letzten Schultag in die Schule reiten zu dürfen.

Das klingt vielleicht bescheiden und gar nicht großartig. Man muß aber wissen, daß das Städtchen, zu dem der Ponyhof gehört, keine höhere Schule hat und die Kinder mit der Bahn in die Kreisstadt fahren müssen. Steffis Schule also liegt sechzehn Kilometer weit entfernt. Wenn sie hin und zurück ritt, war es genauso ein langer Weg wie der von Ben von Murrhardt her.

Schön. Auch das wurde ihr genehmigt. Und diesmal kam Weihnachten vielleicht noch langsamer und noch heißer erwartet und ersehnt heran als sonst, so freuten sich die beiden auf ihre Ritte. Sie konnten es kaum erwarten.

Immer ist die Adventszeit herzbeklemmend erwartungsvoll. Da kommt die langersehnte Fahrt mit dem Dogcart – wenn der Schnee noch zu dünn ist – oder mit dem Pferdeschlitten in den Wald, um Tannengrün für den Adventskranz und Moos für die Krippe zu sammeln. Wochenlang haben wir schon bei unsern Waldritten nach gefällten Tannen ausgespäht, von denen wir gutes, wertbeständiges Tannengrün, am besten Weißtanne, bekommen können. Denn die Zimmer in unserm winzigen Häuschen sind sehr niedrig, und da wir es tüchtig warm haben wollen, nadelt so ein Kranz schnell, wenn er aus Fichte ist. Meistens gelingt es nach langen Erkundungsritten, doch noch »richtige« Tanne zu finden. Wenn wir den Förster treffen, dann fragen wir: »Dürfen wir von dem Baum an der Fuchsklinge – oder am Galoppweg – oder am Kreuzbühl – Tannengrün haben?« Erst guckt er grimmig und tut, als wollte er es uns verbieten. Und dann schmunzelt er und blinzelt uns zu und nickt ...

Ach, der Tag, an dem es in unserer kleinen, holzgetäfelten Küche nach Harz und bitterem Tannenduft riecht und wir, heimkommend, Mutter auf einem niedrigen Schemel hokkend vorfinden, den Kranz windend, nicht ohne Gestöhne und die übliche, sich immer wiederholende Frage: »Wird er auch rund? Ich weiß nicht ...«

Immer ist der Reifen weg, um den der Kranz gewunden werden soll, immer, nachdem er uns das ganze Jahr über in Werkstatt und Sattelkammer im Wege war. Eines Adventstages erfanden wir, den Kranz um einen alten Reifen vom Ponywagen zu winden. Unser Dogcart läuft gummibereift, und die Räder haben grade die richtige Größe. Wir empfehlen das allen Leuten, es geht wunderschön. Wer keinen Ponywagen hat, nimmt einen Motorradreifen, es ist dieselbe Größe.

Nun hängt der Kranz. Auch die Ponys bekommen einen. Sie machen sich nicht viel daraus, aber wir finden es hübsch. Und mindestens zweimal in der Woche muß eins von ihnen nachmittags in die Stadt tackeln und Päckchen auf die Post bringen. Mutter packt und packt. Diese Fahrt nehmen wir ihr gern ab, denn wir bringen nicht nur Päckchen auf die Post, wir holen auch welche. Fast immer sind welche für uns da, und die werden beguckt, berochen, begrübelt – wer schickt sie, was mag drin sein, wen werden sie betreffen? Manchmal kann man es aus dem Absender erraten. Manchmal aber tappt man ganz im dunklen.

Wir haben eine unermeßlich große Schar von Freunden, die in allen Teilen Deutschlands – und auch im Ausland – sitzen und zu Weihnachten an uns denken. Daher die vielen Päckchen, die vom Ponyhof aus in die Welt hinausfliegen. Ach, es ist eine geheimnisvolle, eine selige Zeit – und uns fällt es jedesmal wieder schwer, diese Päckchen ungeöffnet in den Sack zu stecken, der im Flur hängt und immer dickbäuchiger wird, immer mehr kantige Auswüchse bekommt. Er darf erst nach der Bescherung geöffnet werden, das gibt dann immer eine zweite Bescherung.

Noch aber ist es nicht soweit, noch lange nicht! Jetzt kommt erst die Weihnachtsbäckerei. Da wir immer mit vielen Weihnachtsgästen rechnen müssen, backen wir Stollen wie für ein Regiment Soldaten. Der Tag, an dem es kein Mittagbrot, sondern Kartoffelkuchen aus Stollenteig zu Mittag gibt, ist ein besonderer Festtag.

Meist richtet es Mutter so ein, daß die Zinkwanne, die sonst anderen Zwecken dient, mit dem Riesenklumpen Teig darin, am späten Vormittag in die Stadt zum Bäcker muß, damit sie uns, wenn wir aus der Schule kommen, mit heimnehmen kann. Dann wartet sie am Bahnhof, füttert die Ponys mit Brot oder Möhren, damit sie Geduld haben und stehenbleiben, obwohl sie kalte Hüfchen bekommen, und lädt uns alle in den Schlitten, auch unsere Freunde, die denselben Weg haben. In irgendeiner Ecke des Schlittens liegt dann eine Plastiktüte mit einem Teigrest, der nach Mandeln, Rosinen, Hefe und Zitronat schmeckt. Während der Streit tobt, daß jeder ein möglichst gleichgroßes Stück davon erwischt, fahren wir schon los. Wer keinen Platz im Schlitten findet, hockt hinten auf. Da haben wir quer über die Kufenenden ein Brett genagelt, darauf können noch zwei, sogar eventuell drei stehen. Sie halten sich an der Rückenlehne fest. Pferdeschlitten fährt man im Karacho. Vor dem Wagen dürfen die Pferde nicht galoppieren, wohl aber vor dem Schlitten. Das ist ein Gefühl, da hinten zu stehen und zu balancieren! Manchmal muß man auch bremsen. Wenn der Kutscher schreit, springt man ab und läßt sich in der Hocke, die Hände an den Schlitten geklammert, hinterherziehen. Das bremst etwas, nicht sehr. Rock’n’Roll-Schuhe sind dazu nicht geeignet, auch keine mit hohen Absätzen. Wohl aber Ski- oder Reitstiefel. Mutter findet, wir könnten im Winter ruhig gestiefelt in die Schule fahren, jeder weiß doch, daß wir außerhalb wohnen. Sie findet immer solche Sachen, mit denen wir nicht so sehr einverstanden sind. Keiner außer uns tut so was ... Freilich, zum Zurückfahren im Ponyschlitten ist es praktischer, und im Grunde stellen wir ja unser ganzes Leben auf Ponys ein ...

Einmal hatte Ben in der Adventszeit ein Bein gebrochen. Das kommt bei dem besten Reiter vor, Ben ist einer unserer Besten. Kunststück, er kam sehr früh aufs Pferd, während wir andern schon größer waren, zum Teil sogar schon zu groß für die Ponys, jedenfalls für die Shetlandponys, mit denen wir anfingen. Später kaufte Mutter die Isländer, mit denen man reiten kann, bis man Großmutter ist. Ben hatte also das Bein gebrochen und sah fürchterlich blaß aus, wie eine Spitzmaus. Mutter sagt dann immer im kläglichsten Ton: »Schpitzmaus!«, als sei er noch ein Baby, und wir alle machen es so lange nach, bis Ben voller Wut mit Kissen oder Büchern nach uns wirft. Er lag im Krankenhaus und hatte diesmal nur den einen Sonderwunsch, nach Hause zu dürfen. Trotz allem geschwisterlichen Hohn verstanden wir das. Mutter sprach mit dem Arzt. Der machte Ben ein »Zuckerbein« – einen Gipsverband, verabschiedete ihn mit einem liebevollen Klaps auf den Körperteil, der dem Reiter nächst dem Herzen der wichtigste ist, und sagte:

»Aber nicht heute schon wieder aufs Pferd, junger Mann, verstanden? Sonst holen wir dich zurück.«

Ben nickte. Er kann dann ungeheuer brav und scheinheilig aussehen, fast alle Erwachsenen fallen darauf rein. Er lag in Welzheim, einem Städtchen etwa zwölf Kilometer vom Ponyhof entfernt. Wir haben ihn mehrmals mit den Ponys dort besucht, ihm und seinen Zimmergenossen Pfefferkuchen und Äpfel und Nüsse gebracht und bei ihm gesessen, damit es nicht gar so langweilig für ihn war. Die freundliche Schwester Marie erlaubte uns sogar, daß wir ihn mit in den Hof hinunterschleppten, damit er die Ponys begrüßen und streicheln konnte. Meist kamen wir zu mehreren, zwei auf den Islandstuten Gloa und Eyglo, zwei auf Rodelschlitten, die hinter Appelschnut oder Winnetou hersausten. Sogar Arndt, unser Ältester, fand diese Art der Fortbewegung lustig und bemerkenswert. Er ist sonst derjenige von uns, der ein bißchen auf die ganze verrückte Ponybegeisterung heruntersieht und sagt:

»Betüdert euch nur nicht.«

Er behauptet auch, unsere Pferdchen käuten wieder, wenn sie mal auf der Wiese in der Sonne liegen. Dann sprängen wir ihm am liebsten ins Gesicht vor Wut. Wiederkäuen, das tun doch nur Rinder! Und wo, bitte schön, sind denn die Hörner bei unsern Ponys?

Auch diesmal hatten wir Ben besucht. Wir saßen an seinem Bett, unterhielten uns mit ihm und seinen Zimmergenossen, knabberten alle zusammen Baseler Leckerli und Spekulatius und erzählten. Als es dämmerig wurde, verabschiedeten wir uns und gingen hinunter. Da guckten wir aber! Kein Pony zu sehen! Und wir hatten sie doch sorgfältig angebunden, denn im Schnee, wenn sie nicht weiden können, spazieren sie eben doch manchmal davon.

Ponys sind Meister im Aufknüppeln von Knoten, Durchnagen von Riemen und Herausschlüpfen aus Stallhalftern. Sie sind ja viel klüger als Pferde. Das aber wissen wir seit Jahren und handeln danach. Jetzt aber waren sie wirklich weg. Was nun?

Es wurde schon dunkel. Wir gingen ein Stück die Straße entlang, die nach Hause führt, fragten einen Tankwart an der VW-Tankstelle. Nein, nichts vorbeigekommen, er hätte es gesehen. So trödelten wir wieder zurück und ein Stück zur Stadt hin; das Krankenhaus liegt am Stadtrand. Und da trafen wir auf Leute, die uns anscheinend ansahen, was wir suchten.

»Ihre Ponys? Die sind dort hinunter, der Oberarzt reitet das eine große, und die Schwestern sitzen auf dem Schlitten ...«

Aha! Da konnten wir suchen. Denn wenn jemand im Krieg einen Araber geritten hat, einen so feurigen, daß nicht einmal der Regimentskommandeur ihn bändigen konnte – darunter tut es niemand, der unsere Ponys sieht und vom Krieg zu erzählen beginnt; es ist erstaunlich, wie viele Araber es im Krieg gegeben haben muß –, der kommt so bald nicht wieder. Wir gingen ins Krankenhaus zurück und setzten uns wieder zu Ben. Nur einer bezog Posten am Fenster. Schließlich erschienen die Ausreißer.

Der Arzt, noch ziemlich jung, dürr wie Ghandi und braun wie eine Haselnuß, war Bayer. Er hatte sich, wie er ging und stand, aufs Pony »geworfen«, mit Mantel und Hut. Jetzt, da er uns am Fenster entdeckte, sprengte er ums Krankenhaus, jodelte zu uns herauf und winkte. Sein Hut flog in den Schnee. Wir sausten die Treppe hinunter und hinter ihm her.

»Hab Dank, du liebe Gute!« hörten wir grade noch. Er war abgesessen und umhalste Gloa zärtlich. Die Schwestern, die mit wehenden Hauben auf dem Rodelschlitten erschienen, hatten noch nicht genug von diesem Sport. Sie baten und bettelten, nur noch mal ein kleines Stück in die Stadt fahren zu dürfen.

So wurde es richtig dunkel, ehe wir aufbrechen konnten.

Ponys finden jeden Weg zum Stall zurück, den sie ein einziges Mal gegangen sind. Wir hatten also keine Bedenken. Nur auf Hanko mußten wir aufpassen, der lief frei neben seiner Mutter her – manchmal auch nicht; kleine Pferdesöhne bummeln genau wie kleine Menschenkinder, die immer an Mutters Hand bleiben sollen –, und wir hatten noch ein ganzes Stück Fahrstraße vor uns, ehe wir in den abkürzenden Feldweg einbogen. Da haben wir trotz der Schneekälte mächtig geschwitzt. Immer wieder, wenn ein Auto sich ankündigte, mußte einer von uns vom Schlitten oder Pony herunter und Hanko erwischen, damit er nicht ins Auto lief. Steffi kann das am besten, aber manchmal mußten auch die andern ran, Katrin oder Angela oder auch Mutter. Schneeausflüge sind keine Erholungsfahrten.

Hier muß ich etwas einschalten: Alle Autofahrer, eigentlich ohne Ausnahme, benehmen sich, wenn wir mit unsern winzigen PS daherkommen, auf das liebenswürdigste und netteste. Sie steigen sofort vom Gaspedal herunter und vermindern ihre Geschwindigkeit und damit die Gefahr für unsere kleinen Bummelanten. Das tun sie freilich auch, um die Ponys zu