Anja, Petra und die Pferde - Lise Gast - E-Book

Anja, Petra und die Pferde E-Book

Lise Gast

4,8

Beschreibung

Anja und Petra haben nur eines im Kopf: Pferde, Pferde, Pferde. Kein Wunder also, dass sich alles in ihrem Leben um die Vierbeiner dreht. Drei rührende Geschichten für alle Pferde-Fans über Turniere, Hochzeiten und vor allen Dingen Freundschaft. In diesem Band enthalten: Anja und Petra zu PferdeReiterferien mit Anja und PetraAnja und Petra im Turnier -

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Lise Gast

Anja, Petra und die Pferde

Drei Geschichtenvon Mädchen und Pferden

Saga

Anja, Petra und die Pferde

© 1997 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508312

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Anja und Petra zu Pferde

Ein neuer Plan

Die Sonne mußte vergessen haben, daß es nicht mehr Hochsommer, sondern schon September war. Jedenfalls brannte sie beinahe unerträglich vom Himmel herab. Petra war mit dem Fahrrad zum Reitverein gekommen, Anja im Dauerlauf zu Fuß. Sie trafen sich auf dem kleinen Weg, der von der Bundesstraße abbiegt und „frei für Anlieger“ ist, wie das Schild auswies. Heute sollte Heu eingeräumt werden, da mußten sie helfen. Aufatmend sprang Petra vom Rad und ließ es an die Stallwand fallen.

„So eine Hetze, da bestellen sie einen für zwei, und niemand ist da. Nötig ist das ja nicht. Komm, wir verschnaufen erst mal.“ Sie zog Anja an der Hand mit sich zur Halle hinunter und um diese herum. Dort warf sie sich mit einem Schwung ins Gras, daß sie sich um die Längsachse rollte. Anja hatte sich vorher von ihrer zerrenden Hand befreit und blieb stehen, atemlos wie die Freundin, aber immerhin auf den Beinen.

„Immer mußt du rasen! Wir sind ja zur Zeit da!“

„Ja wieder mal die ersten.“

„Wieder mal“ war übertrieben. Petra zerriß das Zielband zwar meist noch im letzten Augenblick, wenn sie irgendwo angefordert wurde, erreichte es aber so gut wie nie mit Zeitreserve. „Ich muß dir was erzählen, ganz schnell, komm!“

„Ja? Was denn?“

„Was Geheimes.“

„Dann schrei nicht so –“

„Hier hört uns ja keiner. Oder etwa Tante Täubchen? Meinst du, daß sie hinter der Gardine lauert?“ Petra zeigte zu dem Fenster hinauf, hinter dem Frau Taubes Stübchen lag. „Tantchen, huhu! Bist du wach oder träumst du im Mittagsschlaf?“ Sie winkte hinauf.

„Nun sag schon, was du erzählen wolltest!“ drängte Anja und setzte sich neben sie. „Du mußt es ja nicht brüllen. Aber schnell, sonst kommt der Heuwagen doch noch dazwischen.“

„Ja. Also – weißt du, daß Cornelia heiratet?“ Petras Augen waren rund wie Tennisbälle, und das Haar sträubte sich um ihren Kopf. Merkwürdig, so was gab es nur bei Petra; bei keinem anderen Menschen, den Anja kannte, hatte sie das je gesehen.

„Natürlich weiß ich das“, sagte sie und lachte. Es war ja längst klar, daß Cornelia, die von ihnen beiden heißgeliebte junge Ärztin, die so gut ritt und überhaupt in jeder Beziehung bewundernswert war, mit Anjas Onkel Kurt verlobt war. Wer verlobt ist, heiratet eines Tages – das war so klipp und klar und einfach, wie zwei mal zwei vier ist. Aber –

„Aber wann? Das weißt du nicht, bitte sehr! Hättest du mich nicht, würdest du es vermutlich erst am Tag der Hochzeit erfahren haben. Es ist nämlich geheim, ganz geheim –“ Petras Flüstern war bereits wieder so laut, daß man es über den halben Sprunggarten hin gehört hätte, wenn jemand dort stünde. Aber niemand außer ihnen war da. Ein Glück.

„Cornelia will nicht, daß es jemand erfährt. Warum, ahne ich nicht“, sprudelte es aus Petra heraus, „aber wir müssen trotzdem was ganz Großartiges anstellen zu dieser Hochzeit. Etwas, das noch nie da war. Weißt du was?“

„Ich? Wie soll ich denn – du hast doch immer die tollen Ideen“, sagte Anja.

Das war kein Witz und keine Ausrede. Petra sprühte vor Ideen, immer schon, seit sie einander kannten. Anja machte dann mit, folgte der Freundin treulich, fand alles wunderbar, aber der geistige Urheber der Ideen war so gut wie immer Petra.

„Weißt du, ich hab’ mir schon was überlegt – bei Hochzeiten von Reitvereinsleuten bilden die Reiter manchmal Spalier vor der Kirche, stehen rechts und links, die Pferde geschmückt – oder –“

„Oder sie reiten zur Trauung?“ fragte Anja. Petra hob die Schultern.

„Hab’ ich noch nie erlebt. Oder – nein, weißt du, warum der Reitverein nichts davon wissen soll? Vielleicht deshalb, weil Onkel Kurt nicht reitet. Darum will Cornelia es geheimhalten.“

„Hm.“ Das konnte Anja verstehen. „Und seine hundert Hündchen können nicht Spalier bilden, das ist klar.“

Sie lachten beide. Onkel Kurt war Tierarzt und züchtete Hunde, besser: Hündchen, ganz kleine, sie heißen Chihuahuas und haben komische kleine Tütenohren, das heißt, für die Köpfe sind diese Ohren nicht klein. Sie stehen hoch und geben den Tierchen einen sehr lustigen, aufmerksamen Ausdruck. Die beiden Mädchen fanden die winzigen Hunde rein zum Verlieben. Aber Spalier bilden konnten sie wirklich nicht.

„Das würde Jahre dauern. Und so lange sollen Cornelia und Onkel Kurt nicht warten müssen mit der Hochzeit“, sagte Petra. „Nein, wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Wenn Onkel Kurt schon nicht reitet, vielleicht könnte er in die Kirche fahren, mit Pferden, das wäre doch wunderschön! Das würde Cornelia ganz toll finden, und bei ihm merkte man nicht, daß er nicht reiten kann.“ Petra fand, daß ein Mensch, der nicht ritt, schrecklich mangelhaft sei. Anja war derselben Meinung.

„Fahren? Da müßte man Herrn Taube fragen.“ Herr Taube war ihr Reitlehrer, eine ziemliche Respektsperson. Sie sahen einander nachdenklich an. Ob er es erlauben würde?

„Etwa mit Kerlchen? Im Dogcart?“ fragte Anja nach einer Weile hinterhältig. Petra fuhr auf.

„Immer legst du den Finger auf den wundesten Punkt, das ist geradezu brutal von dir“, sagte sie – so hatte ihr Vater einmal gesagt, als er sich über Mutter entrüstete, die ihn ein wenig damit aufzog, daß er gern gut aß, „weil ich damals Pech hatte und der Dogcart umflog, und überhaupt warst du nämlich genauso schuld. Wenn du –“

„Ich! Wieso ich?“ konterte Anja entrüstet, „ich bin ja nur mitgefahren und unschuldig wie ein neugebornes Fohlen. Du warst es, die Kerlchen –“

Sie lachten beide. Jene nicht ganz nach Plan verlaufene Fahrt mit dem alten, treuen Isländer Kerlchen, den sie heimlich eingespannt hatten, stand ihnen beiden noch deutlich vor Augen. Petra hatte kutschiert und beim Wenden die Kurve zu eng genommen, der Wagen kippte, Kerlchen wollte heim, und Anja hing eine Weile hinten an dem umgestürzten Gefährt, bis sie loslassen mußte und eine tolle Bauchlandung machte, wobei sie ihre Nase genau in den einzigen Knetelhaufen bohrte, der am Wege lag. Das vor allem hatte Petra sehr amüsiert.

„Nächstes Jahr fahr’ ich, und du hängst hinten dran“, grollte Anja.

„Na schön, aber ohne das Brautpaar. Es bedeutet zwar Glück, wenn es in die Brautkrone oder den Brautkranz regnet, aber ob es Glück bringt, wenn man mit der Hochzeitskutsche umfällt, weiß ich nicht. Außerdem müßte man mindestens zweispännig fahren an solch einem Tag!“

„Was heißt ‚mindestens‘? Mehr als zweispännig hab’ ich hier noch keine Kutsche gesehen.“

„Gerade deshalb! Eine Troika haben wir nicht, also müßte vierspännig gefahren werden –“

„Vierspännig? Wunderbar! Vier silbern glänzende Schimmel“, sagte Anja verträumt.

„Und eine Kutsche aus Glas“, fuhr Petra im selben Ton fort, „und ein Prinz darin, neben Cornelia, im dunklen Anzug und mit Brille.“ Onkel Kurt war Brillenträger. „So was hab’ ich mir immer erträumt.“

„Egal, ob Brille oder nicht. Brille ist kein Charakterfehler“, sagte Anja ärgerlich, weil sie aus ihrem Traum gerissen worden war. „Onkel Kurt ist schon in Ordnung, soweit ein Nichtreiter das sein kann. Aber woher nehmen wir den Vierspänner?“

Ja, das war ein Problem. Petra versank in Gedanken, während sie zwei Äpfel aus der Hosentasche grub. „Hier hast du einen. Ich kann am besten nachdenken, wenn ich esse.“ Sie warf Anja einen Apfel zu, die ihn geschickt auffing, und biß in den anderen. „Wir müssen mal richtig überlegen. Früher gab es keine Pferde – ich meine, in der Zeit, in der die Bauern anfingen, alles mit dem Trecker zu machen, und überall wurde gejammert: ‚Das Pferd muß bleiben!‘ Jetzt gibt es überall wieder welche, wenn auch keine Arbeitspferde. Um so besser. Wir wollen Cornelia ja auch nicht mit Hüh und Hott und Peitsche von riesigen Ackergäulen zur Kirche zerren lassen. Nein, elegant muß es aussehen, und alle Leute sollen Stielaugen machen, und die Presse muß da sein und klicken, oder auch das Fernsehen –“

„– und wir auf dem Bock. Du kutschierst, und ich sitz’ neben dir, mit übereinandergeschlagenen Armen, wie beim Turnier, wenn die Zweispänner hereinfahren –“

„Ja. Wunderbar! Nur – ob man uns die Pferde anvertraut? Geborgte, meine ich? Pferdebesitzer sind oft schwer davon zu überzeugen, daß man fahren kann –“

„Kannst du denn? Ich meine: vierspännig?“ fragte Anja.

„Eben nicht. Vielleicht kann man es bis dahin noch lernen!“

„Bis – ja, wann heiraten sie denn? Kennst du das Datum?“

„Nein, aber Vater sagte was von vier Wochen – er wußte nicht, daß ich zuhörte. Ist denn so was ein Geheimnis? Ich finde nicht.“

„Ich auch nicht. Na, ich werd’ es schon ergründen. Du, da kommt der Wagen. Auf, los, erst mal an die Arbeit. Dort kommt auch Gero. Na, mit solch großer Hilfe –“

Gero war klein, kleiner als die Kameraden seines Alters, ritt aber ordentlich. Man darf niemanden wegen seiner Körpermaße auslachen oder verspotten, das tat Petra auch nicht. Sie grüßte und kletterte dann die Leiter zum Heuboden hinauf, Gero und Anja hinterher. Und nun wurden Ballen aufeinandergesetzt. Das war schwere Arbeit, und die Kinder schwitzten und waren froh, als auch noch zwei erwachsene Reitvereinsmitglieder dazukamen. Herr Anders, der Pferdepfleger, reichte die Ballen durch die Luke hinauf. Keiner redete dabei, alle waren froh, genug Atem für die Arbeit zu haben. Ja, Reiterleben ist hart.

Aber schön! Nicht nur das Reiten selbst, auch das Schuften für die Pferde. Als der Wagen leer war, fühlten sie sich zwar wie durch den Fleischwolf gedreht, so sagte Petra, aber sehr befriedigt.

„Wir gehen noch nicht heim. Komm, ich lade dich zu einem Sprudel ein.“

Sie liefen zur Baracke hinüber, zogen sich jeder einen Sprudel aus dem Automaten und setzten sich auf den Tisch, die Beine herunterbaumelnd. Oh, wie es zischte, wenn man trank, so durstig machte das Heueinräumen. Wirklich, wie im Hochsommer!

„Aber jetzt weiß ich was!“ sagte Petra und stieß die Luft aus, nachdem sie die Flasche leergesogen hatte. „Jetzt ist mir was eingefallen! Vierspännig – ich weiß jemanden, der vierspännig fährt, wenigstens manchmal. Wenn auch nicht mit Pferden. Sondern –“ Sie sah Anja auffordernd an, als wäre sie die Lehrerin und Anja müßte antworten. „Mit –“

„Mit Ziegenböcken etwa? Womit kann man denn fahren außer mit Pferden“, sagte Anja ärgerlich. „Los, raus damit!“

Petra sah sie strafend an. „Nicht so vorwitzig! Deine Bildung ist recht lückenhaft! Man kann beispielsweise mit Kühen fahren, wenn das jetzt auch kaum mehr ein Bauer tut, oder –“

„Mit Eseln?“

„Ja, auch mit Eseln. Ich meine aber was anderes. Hast du schon mal das Wort Pony gehört?“

„Pony? Kleine? Klar, aber das sind doch auch Pferde, und –“

„Ja, natürlich. Quatsch beiseite, ich weiß einen Hof, wo es Ponys gibt. Gar nicht sehr weit von hier. Eine Ponyfarm. Wir sind den Leuten vor ein paar Jahren mal im Winter begegnet, als es viel Schnee gab. Vater fuhr uns im Wagen, denn wir suchten einen Hang, wo man Schilaufen üben konnte, einen Hang ohne Bäume für die ersten Anfänge. Mein Bruder war damals noch klein. Und da trafen wir einen Ponyschlitten. Eine junge Frau fuhr ihn, vierspännig. Der Mann und drei kleine Jungen saßen mit drin. So was Nettes! Die Ponys waren winzig, etwa so hoch –“ Sie maß vom Boden etwa einen Meter ab. „– zwei gescheckte und zwei schwarze. Dick bepelzt, Ponys leben auch im Winter im Freien, und da wächst ihnen ein dickes Fell. Und sie hatten einen wilden Busch über der Stirn und lange, lange Schweife. Die vier trugen rote Ledergeschirre, das sah toll aus. Auf den Rücken hatten sie ein Geläute, das herrlich klangvoll tönte. Nicht bimmelte, sondern tönte, im Dreiklang abgestimmt. Und die junge Frau hatte rote Backen und eine knallblaue Mütze auf dem Kopf und lachte uns zu, als wir winkten – ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und bei ihr mitgefahren, so gut gefiel mir das. Ich habe mich dann erkundigt, woher diese Leute stammen, und bekam es auch raus. Natürlich wollte ich sofort hin, um sie kennenzulernen. Vorsichtshalber rief ich an, aber da sagte mir jemand, es paßte jetzt nicht, ich sollte später noch mal nachfragen. Später war ich dann weg, in den Ferien, wie so was eben geht. Aber der Name fällt mir bestimmt wieder ein! Wir müssen einfach mit der Frau reden, Anja.“

„Du, da fällt mir was ein.“ Anja machte große, nachdenkliche Augen. „Ich hab’ da neulich mal ein Bild in der Zeitung gesehen, das muß derselbe Schlitten gewesen sein. Darin saß aber ein Mann. Der brachte den Weihnachtsmann in die Stadt, auch mit einem Ponyschlitten, aber nur zweispännig. Vielleicht war das der Mann der jungen Frau. Meinst du nicht auch, daß das sein kann?“

„Na sicher! So was gibt’s nicht oft. War der Schlitten rot? Ach so, in der Zeitung sieht man das ja nicht. Aber an den Ort erinnere ich mich jetzt wieder. Wir sehen mal im Telefonbuch nach.“

„Aber –“ Anja starrte die Freundin an.

„Was denn schon wieder für ein Aber?“ fragte Petra ärgerlich. „Immer hast du ein Aber, beinahe schon, als wärst du erwachsen. Die sehen doch auch überall nur Schwierigkeiten.“

„Ich meine nur, wir haben doch keinen Schnee. Und Cornelia heiratet diesen Herbst –“

„Schlaumeier! Wer einen Ponyschlitten hat, wird wohl auch einen Wagen haben. Eine Kutsche. Oder mehrere. Schnee ist ja, Gott sei’s geklagt, seit einiger Zeit Mangelware und wird nur wenige Wochen im Jahr gereicht. Das find’ ich schade, ich hab’ den Winter lieber als den Sommer. Da ist es bloß heiß, und die Fliegen plagen die Pferde, und –“

„Ja, ich mag den Winter auch mehr. Und den Herbst. Den Herbst, wenn Jagden geritten werden. Ob wir dieses Jahr schon mitdürfen?“

„Zur richtigen Jagd? Du bist bekloppt! Kannst froh sein, daß du voriges Frühjahr wenigstens so eine Art Jagd mitreiten durftest. Das war ein ganz großes Glück.“

„Als du den Affen fingst –“

„Richtig, ja. Du, den müssen wir wieder mal besuchen, ach, war der süß! Und Gero ist damals beinahe ertrunken. Wenn Cornelia nicht gewesen wäre –“ Sie saßen und schwatzten, Gero kam herein und gesellte sich zu ihnen. Sie vergaßen die Zeit über lauter Weißt-du-Nochs. Ach ja, nirgends war es so schön wie im Reitverein!

Großer Spaß mit kleinen Pferden

Sie hatten versprechen müssen, nicht die große Straße zu fahren, wo die Autos einander jagten und man nichts als Auspuffgase schluckte. Die Feldwege waren trocken und hart, und wenn man nicht in die ausgefahrenen Spuren kam, radelte es sich ganz gut. Einmal ging Petra zu Boden, als sie nicht aufpaßte – sie hatte einem Keil Wildgänse nachgesehen, der am Himmel entlangzog.

„Meine älteste Schwester ist nach ihrem Abitur nach Schweden gefahren“, erzählte sie, als sie wieder auf dem Rad saß, „sie wollte etwas von der Welt sehen. ‚Folg der Vogelfluglinie!‘ riet ihr meine Mutter. ‚Das ist die schönste Tour, die man dort machen kann.‘ ‚Ach nein‘, jammerte Martina. Meine Mutter war erstaunt: ‚Warum denn nicht?‘ ‚Ach weißt du, mit den Wildgänsen fliegen, dazu hab’ ich keine Lust!‘ sagte meine Schwester. Du kennst doch sicherlich das Buch vom Nils Holgersson.“

Anja lachte.

„Natürlich. Jetzt sind wir bald da!“

Sie überquerten die Straße, fuhren einen kleinen Weg an Tennisplätzen entlang und kamen dann in einen Hof, in dem rechts ein Brunnen stand. Er plätscherte vor sich hin, richtig romantisch. Links und rechts lagen kleine alte Fachwerkhäuser, gegenüber eine Scheune. An der rankte sich Wein empor. Drei Hunde standen auf dem Hof und sahen ihnen entgegen: ein Basset, niedrig, lang, schwarzbraunweiß gefleckt, ein kohlschwarzer Riesenschnauzer und einer, dessen Rasse Petra nicht feststellen konnte. Vielleicht war sie überhaupt nicht festzustellen, auch von Kennern nicht, besser: von Kennern erst recht nicht. Der große schwarze Schnauzer fing jetzt an zu bellen, tief, grollend. Petra und Anja sprangen vom Rad und blieben stehen.

Aus dem linken Fachwerkhaus ertönte jetzt ein „Tina, hierher!“, und der Schwarze verstummte. Eine junge Frau trat in die offene Tür, in Jeans und einem bunten Hemd, und winkte den beiden.

„Kommt, sie tut euch nichts, wenn ich dabei bin.“ Petra und Anja folgten. Die Frau führte sie in eine niedrige Küche, und die Hunde folgten. Die Küche war holzgetäfelt und richtig gemütlich, fanden die beiden Mädchen sofort. Am Tisch saß ein kleiner Junge und blies Blockflöte, immerzu dieselbe Zeile einer Melodie, die sie auch kannten; ein anderer kroch auf der Erde einer Katze nach, ein Gipsbein hinter sich herziehend. Der dritte hatte eine Trillerpfeife im Gang, die einem in die Ohren gellte. Tina murrte und grollte noch, und auf dem Herd zischte es. Die ganze Küche roch nach Birnen und Zimt, herbstlich süß, und nach Pferden. Der Hausherr, ein junger Mann mit dunklem Haar und freundlichem Gesicht, stand am Tisch und versuchte mit einem Brotmesser eine Schraube an einem Türschloß zu lösen.

„Warum nimmst du nicht den Schraubenzieher?“ fragte seine Frau, und er antwortete friedlich:

„Weil ich ihn doch nicht finden kann, Stine, mein Goldkind.“ Petra mußte herzhaft lachen. Sie wußte ganz genau, wie sehr sich ihr Vater immer ärgerte, wenn jemand sich erfrecht hatte, an sein Handwerkszeug zu gehen. Lag das nicht genau an seinem vorbestimmten Platz, so gab es ein furchtbares Donnerwetter.

„Warte, hier. Ich hatte –“ Stine griff hinter sich und reichte ihm dann einen Schraubenzieher, der in einer der Pellkartoffeln gesteckt hatte, die dampfend in einem Topf auf dem Herd standen. „Ich wollte sehen, ob sie gar sind.“

„Danke. Ja, so geht’s besser. Und was möchte unser lieber Besuch?“

„Wir möchten – wir haben angerufen“, schoß Petra los, „wir haben Sie mal vierspännig fahren sehen, mit dem Pferdeschlitten – mit Ponys –“

„Ach so.“ Holle, damit war Stines Mann gemeint, legte die Schraube auf den Tisch und das Türschloß daneben. „Ich weiß. Stine, diese beiden jungen Damen möchten eine andere junge Dame vierspännig zur Hochzeit fahren.“

„Hoffentlich auch einen jungen Herrn dabei“, sagte Stine vergnügt. „Wo, wann, wen?“

Petra berichtete, und Anja gab immer einmal ein Wort oder einen Satzteil dazu. Hier waren sie richtig, merkten beide schnell, hier würden sie mit ihrem Wunsch Verständnis finden. Das junge Ehepaar mit den drei kleinen Jungen schien daran gewöhnt zu sein, daß man sie um merkwürdige Dinge bat, die die Ponys betrafen, und Stine stellte den Topf mit den Kartoffeln erst einmal zum Abkühlen vors Fenster. Sie sagte:

„Kommt! Ihr wollt doch sicherlich die Ponys sehen.“

Anja und Petra nickten begeistert. Der älteste der drei kleinen Jungen, Johannes, genannt Jo, legte die Flöte weg und Moritz, der Trillerpfeifer, sein Lärminstrument ebenfalls. Da schrie auch der mit der Katze, Thomas, der jüngste, er wolle mit. Petra angelte ihn unterm Tisch hervor und nahm ihn auf den Arm. Himmel, war das Gipsbein schwer!

„Du kannst ihn noch nicht tragen“, mahnte Stine besorgt.

„Wohl kann ich!“ eiferte Petra, ihn hochhievend, „ich hab’ auch einen kleinen Bruder zu Hause, den ich manchmal rumschleppen muß, auch ohne Gipsbein ist der schwer –“

Stine lachte und half ihr, den Kleinen auf den Rücken zu nehmen.

„Huckepack mag es gehen, ja, so. Nun kommt. Die Ponys sind auf der Koppel, sie müssen sowieso rein. Wir haben sie im Elektrozaun, und der muß umgesetzt werden.“

„Wir helfen!“ sagten Anja und Petra sofort. Sie gingen über den Hofplatz an einem niedrigen selbstgebauten Stall entlang und dann einen schmalen Weg, der zum Wald führte. Nach etwa achthundert Metern sahen sie die Ponys von weitem auf einer Wiese stehen. Da rannte auch Petra mit ihrem Gipsbein-Jungen auf dem Rücken los. Wer kann schon langsam gehen, wenn er eine Herde winziger Ponys sieht, dick bebuscht, die Nasen sofort wendend, als sie Menschen und Hunde kommen hörten.

„Nein, so was Hübsches! So was Nettes! Nein, sind die süß!“ rief Anja, und Stine begann sogleich Namen zu nennen und Eigenschaften aufzuzählen: Lettchen war die älteste, dreiundzwanzig Jahre alt, aber beim Ziehen noch fleißig und vorbildlich; Erie, der kleine Schimmel, manchmal frech und im Geschirr etwas faul, aber gut zum Reiten; Nikolo, jener Scheck, noch jung und eben erst eingefahren; Peuke zuverlässig unterm Reiter und unermüdlich. Der Stolz der Herde, der weiße Hengst Winnetou, stand ein wenig abseits und beobachtete seine Herde mit ruhiger Würde. Dann gab es noch ein paar Halbwüchsige, zwei Jährlinge und zwei Zweijährige.

„Dürfen wir sie reinführen?“ fragten Petra und Anja wie aus einem Munde.

„Führen? Wir reiten sie immer rein“, antwortete Jo ein wenig von oben herab, „oder wollt ihr lieber nicht?“

Und ob sie wollten! Stine lachte zwar und warnte sie.

„Sobald ich den Zaun aufmache, gibt’s ein großes Wettrennen nach Hause, wo sie Kraftfutter und Lecksteine vermuten. Traut ihr euch zu, oben zu bleiben? Reiten tut ihr doch, im Reitverein, sagte Holle. Also?“

„Auf einem Pony hab’ ich noch nie gesessen“, gab Anja zu, „aber schwieriger als Pferde sind sie doch sicherlich nicht, oder?“ Sie wollte natürlich unter gar keinen Umständen zurückstehen. Petra hatte schon auf kleinen Pferden gesessen, wie sie sagte.

„Galopp ist doch leicht. Wenn sie wirklich sofort angaloppieren –“

„Das tun sie, darauf könnt ihr euch verlassen. Also, wer nimmt wen?“

„Ich die Erie, bitte, bitte –“

„Ich den Peuke –“

„Ich –“ schrien die kleinen Jungen durcheinander und hopsten an Stine hoch. Die nahm Petra erst einmal den kleinen Gipsbeinigen vom Rücken. Aber der schrie Protest und zappelte und wollte auch reiten.

„Also, Augenblick. Ich schalte zunächst den Strom aus.“ Stine ging an den Zaun, wo die Batterie stand und sich am Draht ein Griff befand, knipste an dem Kasten und fühlte dann am Draht.

„So, in Ordnung. Nun rauf auf eure Rösser! Jo, du nimmst am besten Winnetou, mit dem können die andern nicht.“ Jo war schon unterm Draht durchgeschlüpft und beim Hengst angelangt. Wupp, saß er drauf.

„Und Mo den Nikolo –“

„Ja, reitet ihr denn ohne Zügel?“ fragte Anja etwas perplex. Daß man diese kleinen Pferde nicht sattelte, hatte sie erwartet, aber ohne Zügel – da wußte man doch gar nicht, wohin sie liefen.

„Die laufen zum Stall, unter Garantie!“ Stine lachte. „Festhalten muß man sich an der Mähne. Dazu hat der liebe Gott sie ja wachsen lassen.“

Ja, wenn man die Mähnen der kleinen Pferde mit denen der großen verglich, dann konnte man allerdings sagen: Hut ab! Das waren dicke, meist nach beiden Seiten herabhängende Mähnen, struppig und ein wenig gewellt, hart anzufassen. Stine war seitlich über den Zaun gesprungen, ging zu Peuke, einem breiten kleinen Sommerrappen ... und faßte ihn vorn an seinem dicken Schopf. „So, steh schön, mein Dicker, und du steig auf. Auf so einen kommst du auch ohne Bügel“, sagte sie freundlich zu Anja, „ich halt’ ihn solange.“

Petra hatte sich bereits eiligst, als habe sie Angst, daß doch noch ein Nein kommen könnte, auf den Scheck geschwungen. Moritz sprang gerade auf Lettchen. Da gab sich Anja einen Ruck und stemmte sich – komme, was wolle – auf Peuke.

Natürlich kommt man auf ein so kleines Pferd ohne Bügel leichter als auf ein großes mit Bügel, aber ein Ruck gehörte bei Anja schon dazu. Stine, den kleinen Thomas auf dem Rücken, Peuke neben sich herführend, fragte noch: „Alles klar?“ und ging zum Eingang in dem Zaun, hakte den Griff aus und trat zur Seite, Peuke vorläufig noch festhaltend. Sogleich kam Winnetou angeschossen, seinen kleinen Reiter auf dem Rücken, und lief schräg durch die Öffnung, Richtung Heimat. Nikolo folgte, Petra auf sich; die hatte die Knie eng angeklemmt und beide Hände in der Mähne. Anja sah ihr lachendes Gesicht an sich vorbeisausen, den Mund halb offen, in den Augen blitzte es.

Da gab es auch für Peuke kein Halten mehr. Stine gab seinen Busch frei, und schon ging er im Galopp los. Anja dachte zuerst, sie flöge im allerersten Moment schon von seinem Rücken, weil er die Kurve so eng nahm. Blindlings griff sie nach vorn und krallte sich in die starren Mähnenhaare und kam wieder ins Gleichgewicht. Neben ihr jagte Mo auf Lettchen. Es ging über eine Wiese, dann einen kleinen Hang schräg empor, hinauf auf die schmale Straße, die sie vorhin gefahren waren.

„Er wird schon wissen, wohin es geht“, dachte Anja verweht, während sie nur darauf bedacht war, im Sitz zu bleiben. „Wer ist denn da abgeschmiert?“ Neben ihr galoppierte ein lediges Pony – es war aber, wie sich später herausstellte, eins der Zweijährigen. „Hoffentlich ist der Stall offen, damit ich nicht an die Tür fliege, wenn Peuke stoppt!“

Sie sah Petra auf Nikolo vor sich, gleich darauf ging es nach links, da bremste Peuke tatsächlich. Er bremste aber nicht mit einem Ruck, sondern verlangsamte seine Galoppsprünge allmählich; Anja hatte sich bereits auf ihn eingestellt und blieb oben. Jetzt kam links eine offene Stalltür, Anja duckte sich tief – „nur nicht mit dem Kopf an die obere Türleiste knallen“ – und war drin. Hier allerdings hielt Peuke auf der Stelle, und da gab es kein Obenbleiben mehr. Anja flog bltzschnell über seinen Kopf hinweg und landete in einem Haufen Grünfutter, das in der Ecke des Stalles abgelegt worden war. Aufatmend wälzte sie sich herum, wischte sich über das Gesicht und richtete sich auf.

„Na? Glücklich gelandet?“ fragte Petra, während sie sich von Nikolo schwang, und betrachtete Anja vergnügt. „Alles noch dran? Dann komm, wir haben versprochen, Stine zu helfen, wenn sie den Zaun umsetzt. Du kannst hier nicht hocken bleiben und darüber rätseln, wie es kam, daß du eine Luftreise gemacht hast.“ Sie hatte Anjas Hand ergriffen und zerrte sie empor. Anja folgte, leicht benommen. Die beiden kleinen Jungen waren abgesessen und verteilten das Grünfutter in die verschiedenen Raufen. Petra und Anja halfen. Und dann liefen sie zu viert wieder hinaus auf die Weide.

Zaunumsetzen ist bei schönem Wetter ein Vergnügen, bei Kälte, Regen oder großer Hitze weniger. Jetzt aber war es herrlich. Einer wickelt den Draht auf, die anderen ziehen die metallenen Pfosten aus der Erde und schleppen sie dahin, wo der Zaun neu aufgebaut wird. Je mehr Hände, desto schnelleres Ende. Stine holte die Batterie, die für die kleinen Jungen zu schwer war, und nun wurden die Pfosten neu gesteckt – alle zwölf Schritte einer – und der Draht daran entlanggezogen.

Jo, der schon glücklicher Besitzer einer Armbanduhr war, kontrollierte die Zeit.

„So schnell ging es noch nie!“ triumphierte er, und Stine sagte: „Wir sind ja auch zwei Leute mehr als sonst. Wenn ihr beiden nicht wärt –“ Anja und Petra lachten geschmeichelt.

„Achtung, weg vom Zaun. Ich probiere.“ Stine schaltete ein, nahm dann einen Grashalm und hielt ihn an den Draht.

„Er tut es“, sagte sie.

„Und warum fassen Sie den Draht nicht richtig an?“ fragte Petra begierig.

„Du kannst es ja versuchen.“ Stine lachte. Petra griff zu – und hopste gleich darauf laut schreiend auf einem Bein herum.

„Der tut es wahrhaftig!“ rief sie. „Ich hab’ einen Schlag bekommen, nicht von schlechten Eltern –“

„Man erschrickt“, sagte Stine, „passieren tut aber nichts.“ Und nun marschierten sie alle miteinander zurück.

„Morgen früh kommen sie wieder hinaus“, sagte Stine, „das machen die Jungen allein. Um diese Jahreszeit reiten sie sie stets vor der Schule hinaus, das ist ein guter Tagesanfang.“

O ja, davon waren Anja und Petra überzeugt. Jo, Mo und To hatten es gut in ihrem Zuhause, ohne Zweifel.

„Auch, wenn sie im Winter die schweren Wassereimer schleppen oder gefrorenen Mist aufladen und fortkarren müssen?“

„Auch dann! Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das heißt: Dreierlei Arbeit schändet nicht, die für den Vater, die für den Sohn und die fürs Pferd.“

„Stimmt. Und fürs Pferd tut ihr alles, gelt? Wie ist das aber mit der für den Vater?“ fragte Stine und lachte. „Immer bereit, wenn er bittet? Na, schön wär’s. Daß man fürs Pferd gern zufaßt –“

„Das haben wir immer getan. Wir sind –“ und nun erzählten sie von den Ferien, die sie bei Dagmar erlebt hatten, mit aller Arbeit und Sorge um Pferde und Hunde, und Stine fragte nach Dagmars Nachnamen, und da stellte sich heraus, daß sie sie kannte.

„Ist Ströppchen noch bei ihr – ja? Und Lotte? Die hab’ ich auch geritten, und noch ein drittes Pferd hatten sie –“

„Pußta, die ist auch noch da! Die kenn’ ich persönlich!“ rief Petra. „Die hat mich gleich beim ersten Mal abgesetzt.“

„Mich auch“, fiel Stine ein und lachte. Und dann mußten sie noch zum Abendbrot bleiben und Holles Most probieren. Es war ein herrlicher Nachmittag, nur viel zu schnell vorbei. Auf einmal war es dunkel – im September sind die Tage ja schon kurz –, und als Anja auf die Uhr sah, wurde sie fast ohnmächtig vor Schreck. Nun mußten sie wieder einmal zu Hause anrufen, daß sie später kämen, sie hätten eine Panne gehabt. Bei Anja meldete sich allerdings niemand.

„Die Panne war, daß Stine so nett ist und man bei ihr die Zeit vergißt, das reimt sich, also ist es wahr“, sagte Petra.

„– und so verzögerte es sich etwas, aber passiert ist nichts, nur keine Angst.“

Sie sahen einander an, als Petra aufgelegt hatte. Zum wievielten Mal hatten sie so etwas durchgeben müssen?

„Warum wird’s auch so zeitig finster“, murmelte Anja kleinlaut. Petra aber gab ihr einen Stoß.

„Das holen wir wieder ein. Los, jetzt wird geradelt wie vorhin geritten: im Galopp, im sausenden –“

Was blieb ihnen auch übrig? Nur, leider, die Zeit überholen kann man nicht.

Wenn man zu spät kommt ...

Das Küchenfenster war dunkel, also saßen die Eltern vermutlich im Wohnzimmer. Anja ließ das Fahrrad stehen und sprang die Stufen zur Haustür hinauf. Sie wollte gerade läuten – da sah sie im Licht der Straßenlaterne einen Zettel neben dem Klingelknopf hängen. Nanu –

Sie riß ihn ab, versuchte zu lesen, was drauf stand, und ging dann damit noch ein Stück zurück, um besseres Licht zu haben. Vaters Schrift, groß und deutlich:

„Schlüssel bei Frau Schubert. Komme gegen neun. Vater.“ Nicht: „Gruß – Vater“, wie er sonst in solchen Fällen zu schreiben pflegte, wenn er einmal eine Botschaft hinterließ. Anja stand da und überlegte.

Es war acht. So spät sollte sie nicht nach Hause kommen, aber vielleicht war Vater schon um sechs weggegangen? Wo aber war Mutter? Mutter verließ doch abends nicht ihre beiden kleinen Jungen!

Anja ließ den Zettel sinken und ging damit langsam zum gegenüberliegenden Haus. Vielleicht wußte Frau Schubert Bescheid. Dort war Licht. Sie läutete.

Eigentlich wußte sie schon die ganze Zeit, daß etwas Schlimmes sie erwartete; es saß in ihr, sie wollte es nur nicht wahrhaben. Daß es aber etwas so Schreckliches sein würde, das hatte sie nicht vermutet.

„Ja, komm rein, du armes Kind. Komm, dein Vater war hier. Ich soll dir alles erzählen. Komm –“

„Was denn alles?“ fragte Anja bang.

„Nun, daß deine Mutter – sie mußte ins Krankenhaus. Es war ganz schrecklich eilig, hoffentlich hat es noch gelangt. Akuter Blinddarm – vielleicht ist sie schon operiert. Sie hatte schlimme Schmerzen, aber gewartet hat sie doch, weil sie nicht wußte, wohin mit den Kleinen –“

Anja konnte Frau Schubert sonst ganz gut leiden. Die schwatzte zwar gern, redete und redete, so daß auch Mutter manchmal die Geduld ausging, aber sonst war sie gutmütig. Sie legte den Arm um Anjas Schulter und zog sie ins Haus hinein.

„Die Kleinen hab’ ich hier. Sie schlafen. Erst hat der eine furchtbar gebrüllt und den andern geweckt, der schon eingeschlafen war, und dann –“

„Und was ist mit Mutter? Der Blinddarm?“ konnte Anja endlich fragen, als die Nachbarsfrau einmal kurz Luft holte. „Blinddarmentzündung?“

„Ja, ich sagte doch schon – dein Vater ist mitgefahren, und weil du nicht kamst, hat er mir schließlich die Jungen gegeben. Aber so was kann schlimm ausgehen, wenn es zu spät ist –“

„Meinen Sie – glauben Sie –“ Anja sah zu Frau Schubert auf, schneeweiß im Gesicht. Ihre Augen waren jetzt vollkommen schwarz.

„Natürlich, Blinddarm ist so eine Sache. Aber – nein, nein, denk nur nicht so was. Vielleicht sind sie ja noch rechtzeitig gekommen.“

„Mit dem Krankenwagen?“

„Ja. Und dein Vater –“

Anja verstand nicht mehr, was Frau Schubert weitererzählte. Sie saß wie versteinert auf der Küchenbank und hatte, beide Fäuste geballt an den Mund gedrückt. „Weil du nicht kamst –“ hatte Frau Schubert gesagt.

Deshalb hatte Vater die beiden Kleinen in ihre Obhut geben müssen. Sonst hätte er sie drübenlassen können. Und dann wären sie vielleicht eine Stunde eher losgefahren – lieber Gott, wenn es nun an dieser Stunde hing.

Und Vater war nicht da. Wer weiß, wann er zurückkam – auf dem Zettel stand „gegen neun“.

Vater! Er war nicht ihr richtiger Vater. Mutter hatte ihn vor ein paar Jahren geheiratet, nachdem sie Witwe geworden und ziemlich lange mit ihr, Anja, allein gewesen war. Sie hatten zu zweit in der Stadt gelebt und waren erst später mit Vater hier herausgezogen in das kleine Reihenhaus in der Siedlung, nahe dem Reitverein. Dann hatte Mutter die beiden kleinen Jungen bekommen, die Zwillinge, Reinhold und Volker. Nun waren sie schon über ein Jahr lang eine richtige Familie, drei Kinder, Mutter und Vater. Und Vater – das hatte sie immer schon einmal gedacht, wenn auch nie ausgesprochen – war wahrhaftig kein Stiefvater, im Gegenteil. Er war ein großartiger Mann, ruhig, geduldig, mit einem freundlichen Humor auch dann, wenn er eigentlich allen Grund hätte, ärgerlich zu sein. Das war Anja bewußt. Wie oft ärgerte sich Mutter über Anja, obwohl sie doch die richtige Tochter war. Vater aber hatte so viel Fingerspitzengefühl, allem Scharfen und Häßlichen die Spitze abzubrechen, er redete zum Guten, wendete alles ins Lustige, Freundliche. Wie oft und wie herzlich er immer und immer wieder zu Anja gehalten hatte, ging ihr eigentlich erst jetzt auf.

Und Mutter!

„Hatte sie dolle Schmerzen?“ fragte Anja nach einer Weile zaghaft. Frau Schubert nickte wichtigtuerisch und eifrig. Anja konnte sie auf einmal nicht ausstehen.

„Ja, ja, sehr. Aber sie wollte partout nicht fort, immer hat sie gejammert, sie wolle bei den Kindern bleiben –“

„Und hat sie – hat sie was von mir gesagt?“ fragte Anja leise, angstvoll.

Frau Schubert schüttelte den Kopf. „Och nee. Eigentlich nicht. Wegen der Jungen hat sie gejammert, und daß ich gut auf sie aufpassen soll – natürlich mach’ ich das, ich hab’ ja auch Kinder gehabt –“

„Ich möchte heim“, sagte Anja plötzlich. Es klang ziemlich verstört. Nur nicht hierbleiben müssen bei dieser Alten, die solch scheußliches Zeug redete! „Ich will heim –“ es klang wie ein Schrei, obwohl sie es eigentlich nur piepste. Heim – vielleicht mit Petra telefonieren – vielleicht war auch Vater inzwischen zurückgekommen – vielleicht war ein Wunder geschehen –

„Nein. Bleib mal lieber. So allein in dem leeren Haus –“ Frau Schubert meinte es sicherlich gut. Sie schnitt ein Stück Brot ab und belegte es dick mit Wurst. „Komm, iß, ich mach’ dir Milch warm.“

Anja schüttelte stumm den Kopf. Sie konnte nichts essen. Die Milch trank sie, und sie tat wohl, trotz allem. Dann aber wollte sie heim ...

Schließlich gab Frau Schubert nach. Sie nahm ein Wolltuch um die Schultern, half Anja in ihre Jacke und suchte lange nach dem Schlüssel. Endlich hatte sie ihn gefunden. Anja schlüpfte neben ihr aus dem Haus, es war stockdunkel draußen, sie tappten zum anderen Haus hinüber.

Dann aber, als die Nachbarin endlich gegangen war, überkam Anja das Bewußtsein des Alleinseins so entsetzlich, daß sie nicht einmal Petra anzurufen versuchte. Sie floh in ihr Zimmer, riß die Schuhe von den Füßen, kroch angezogen ins Bett und drückte ihr Gesicht ins Kopfkissen. Aber auch in der Dunkelheit der zugekniffenen Augen blieben die Gedanken wach.

Wenn es für Mutter zu spät gewesen war! Wenn Mutter nicht wiederkam! Wenn – oh, sie konnte das nicht zu Ende denken! Warum kam Vater nicht wieder? Warum rief er nicht an? Er mußte doch wissen, daß sie jetzt allein zu Hause war. Warum war man nur so klein und hilflos und so allein, und warum wurde aus einer kleinen, einer winzigen Schuld, die eigentlich nichts anderes war als ein Vergessen, ein Verbummeln, ein Nicht-dran-Denken, so ein Berg von Bedrückung, schwer, so schwer? Lieber Gott, kannst du mir nicht einen ganz, ganz kleinen Trost schicken? Einen Funken Licht, eine Hoffnung, daß es vielleicht doch nicht so schlimm ist, morgen, vielleicht schon heute nacht? Vater muß doch einmal kommen –

Vater kam nicht, jedenfalls nicht mehr in dieser Nacht. Früh, als Anja gerade aufgewacht war und mit dumpfem, wirrem Kopf durch den Flur tappte, hörte sie ihn an der Haustür schließen. Sie war wie erstarrt und wagte nicht hinzulaufen.

Vater kam herein, zog den Mantel aus und hängte ihn auf. Dabei sah er hoch und entdeckte Anja. Sein Gesicht war grau vor Müdigkeit. Anja konnte überhaupt kein Wort herausbringen, keine Frage. Sie streckte nur mit einer winzigen Bewegung die Hände nach ihm aus –

„Ach, Anja, da bist du“, sagte er leise. Und dann nahm er sie hoch, als wäre sie noch ein ganz kleines Kind, und drückte ihr Gesicht an seinen Hals. „Mutter läßt dich grüßen –“

„Und? Geht es ihr –?“

„Sie ist operiert worden. Ja, soweit ging alles einigermaßen. Genaues konnte der Arzt nicht sagen. Wenn wir Glück haben, Anja –“ er brach ab, seine Stimme war wie erstickt. Anja klammerte die Arme um seinen Hals.

„Sag doch – sag – nicht wahr, sie wird wieder gesund?“ bettelte sie. Vater antwortete nicht. Anja fühlte, wie etwas Warmes an ihrem Gesicht entlanglief, über die Wange in den Halsausschnitt hinein. Weinte Vater?

Sie saßen dann noch eine Weile auf der Couch im Wohnzimmer, ganz eng nebeneinander, Vater hatte seinen Arm um Anja gelegt, beide blieben stumm. Draußen entfaltete sich ein silbern heller Herbsttag, die Birke vor dem Fenster trug schon goldenes Laub. Aber in ihnen wurde es nicht hell. Erst, als es an der Haustür läutete und Frau Schubert halblaut: „Hallo? Anja? Bist du wach? Du mußt doch in die Schule!“ durch den Briefkastenschlitz rief, richtete Vater sich auf, zog auch Anja auf die Beine und ging mit ihr zur Tür.

„Ja, wir kommen, Frau Schubert.“

Sie holten die beiden kleinen Jungen, die aufgewacht waren und nun angezogen und gefüttert werden mußten. Vater versorgte den einen und Anja den anderen.

„Es paßt ganz gut, ich gehe heute nicht in die Schule“, sagte Vater. „Heute ist Ausflug, und mit meiner Klasse sollte sowieso ein junger Kollege mitgehen. Ich rufe an. Und du kannst auch zu Hause bleiben, Anja, finde ich. Wir haben genug zu tun mit den beiden Kleinen. Oder möchtest du sehr gern in die Schule?“

Anja sah Vater an. Sehr gern – natürlich wollte sie das nicht. Aber mit Petra sprechen und etwas anderes sehen und denken können – hier dachte man nur pausenlos dasselbe.

Nein, es war keine reine Freude, nicht in die Schule zu müssen. Natürlich war sie bereit, Vater zu helfen, die Kleinen zu versorgen, einkaufen zu gehen – was eben nötig war. Vater war kein hilfloser Vater, er hatte die Kleinen oft mit an- oder ausgezogen, gefüttert, gewickelt, so, wie Väter das heute als selbstverständlich ansehen. Immerhin waren es zwei Kleinkinder, und während man sich mit dem einen beschäftigte, machte der andere Dummheiten, zog etwas herunter oder brüllte, meistens jedenfalls. Zum ersten Mal begann Anja zu ahnen, was dazu gehörte, zwei solch kleine Ungeheuer liebevoll und geduldig zu versorgen und daneben noch einen Mann – und eine große Tochter ...

„Doch, ich bleibe gern“, sagte sie schnell, denn sie wollte Vater eine Freude machen. Als sie ihn dabei ansah, gab es ihr einen Stoß ins Herz. Er lächelte nicht.

Stand es so schlimm um Mutter? Hatte Vater Angst, allein zu bleiben mit den Kleinen, die noch nichts von seiner Sorge verstehen konnten, brauchte er sie, Anja, weil er nicht allein sein wollte? Vorhin hatte er geweint – großer Gott, Mutter würde doch nicht ...

„Nicht wahr, sie lebt noch? Nicht wahr, sie kann wieder gesund werden“, flüsterte sie erstickt und blickte mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf. Es erbarmte ihn.

„Doch, Anja, doch, sie lebt noch“, sagte er, legte den kleinen Jungen, den er eben hochgenommen hatte, auf die Couch und nahm Anja in die Arme. „Wir müssen tapfer sein und hoffen, du und ich, und sie mit unserer Liebe festhalten.“ Er verstummte.

Anja sagte nichts mehr. Sie hatte das Gefühl, als stünden sie, Vater und sie, ganz nahe an einem Abgrund, ganz, ganz nahe. Nicht hinuntersehen, nicht hineinstürzen – unwillkürlich griff sie nach Vaters Arm. Und auf einmal fühlte sie, daß nicht nur sie sich an ihm festhielt, sondern auch er an ihr. Er hatte dieselbe Angst wie sie, er, der große und starke Erwachsene, hielt sich an ihr fest –

„Ich bleibe bei dir, Vater“, flüsterte sie, und dabei kam eine merkwürdige Zuversicht über sie. „Mutter wird wieder gesund, paß nur auf – und für die Jungen sind wir da, du und ich.“

Andere trösten ist oft der beste Trost. Anja sollte das zeitig in ihrem Leben erfahren. Sie sah zu Vater auf, verschluckte die Tränen und versuchte ein Lächeln. Und da nickte Vater ihr zu und lächelte zurück.

Anja wird diesen Augenblick nie vergessen.

... gibt es manchmal dunkle Stunden

Am Nachmittag hielt es Vater nicht mehr aus. Er rief im Krankenhaus an. Anja wagte nicht, mit ihm ans Telefon zu gehen und mitzuhören. Sie stand im Flur und wartete, die Daumen in die Fäuste eingeschlagen. Als er zurückkam, war keinerlei Erleichterung in seinem Gesicht zu sehen. Er merkte auch gar nicht, wie Anja zu ihm aufblickte.

„Vater?“ fragte sie schließlich halblaut.

„Ach, Anja, du. Ja, ich fahre hin. Die geben einem ja keine Auskunft –“ Er riß seine Jacke vom Haken und wollte an Anja vorbeihasten. Im letzten Augenblick hielt er inne, sah sie an – und dann strich er ihr zärtlich über den Kopf.

„Anja, Kleines! Paß mir gut auf die Jungen auf! Und halt die Ohren steif. Du bist ja gar kein Kleines mehr, du bist groß – und tapfer!“ Er nickte ihr zu, gleich darauf war er hinaus.

Anja lauschte seinen Schritten, solange sie sie hören konnte. Sie stand wie erstarrt. Dann, als sie das Gartentürchen zufallen hörte, rannte sie ins Zimmer und ans Telefon. Wählte mit fliegenden Fingern: Petra! Sie mußte mit Petra sprechen. Petra mußte herkommen, sofort, und bei ihr bleiben, bis Vater wiederkam, damit sie nicht allein mit dieser entsetzlichen Angst war. Petra sah immer und überall das Gute, das Hoffnungsvolle. Sie würde auch jetzt etwas wissen, was tröstete, vor allem aber würde sie bei ihr sein. Anja sehnte sich nach ihr wie noch nie, so meinte sie, in ihrem ganzen Leben.

Hoffentlich war die Leitung nicht besetzt. Nein, es tutete. Und dann hörte sie eine Stimme, aber nicht Petras Stimme: „Hier bei Hartwig, guten Tag.“

Eine von Petras Schwestern oder die Hausangestellte. Hartwigs hatten eine Haushilfe, Anja wußte das.

„Hier ist Anja. Kann ich Petra sprechen? Es ist dringend.“

„Petra? Nein, bedauere. Petra ist nicht im Haus.“ Anjas Herz sank.

„Und wo? Wo kann sie denn sein?“

„Im Reitverein, nehme ich an. Kann ich etwas ausrichten?“

„Nein, danke.“ Anja brachte die Worte kaum heraus. Sie legte auf. Und dann setzte sie sich auf die Couch neben dem Telefon, verbarg das Gesicht in der Armbeuge und blieb lange so sitzen, regungslos. Sie hatte das Gefühl, als würde es nie wieder hell um sie werden, als sei sie von Gott und allen Menschen verlassen.

Wie lange sie so saß, wußte sie nicht. Als sie einen Bums aus dem Kinderzimmer hörte, raffte sie sich auf und schlich hinüber. Sie sollte ja auf die Jungen achtgeben! Vater hatte sie extra gebeten.

Nein, es war keiner aus dem Bett gefallen, wie sie einen Augenblick lang befürchtet hatte. Mutter und Vater setzten die beiden, wenn sie einen Augenblick sich selbst überlassen bleiben mußten, meist in ihre Bettchen, die hohe Holzgitter hatten, damit sie nicht herausfallen konnten. Was aber bringen kleine Kinder um den ersten Geburtstag herum nicht alles fertig!

Der eine, Volker, hatte seinen Holzkasper hinausgeworfen, das war der Bums gewesen. Anja hob ihn geistesabwesend auf, gab ihn ihm zurück und half Reinhold, der aufstehen wollte und sich dauernd mit einem Fuß auf den anderen trat, in die richtige Lage. Dann setzte sie sich und blieb regungslos sitzen und starrte die Jungen an.

Petra im Reitverein. Petra fort, einfach so, ohne sie. Sonst kam sie immer hier vorbei, warum heute nicht? Warum ausgerechnet heute nicht, da sie, Anja, so grenzenlos und schrecklich allein war? O Petra, ist das Freundschaft, ist das Treue? Anja hatte das Gefühl, erst jetzt, aber jetzt wirklich, in die tiefste Dunkelheit der Angst und Sorge hinuntergerutscht zu sein. Wie sollte sie je wieder daraus hervorkommen?

Nach einer Weile merkte sie, daß die beiden Kleinen brüllten. Volker hatte damit angefangen, er lag auf dem Bauch, halb auf seinem Kasper, der ihn wahrscheinlich drückte. Und als er seine Stimme erhob, stimmte Reinhold ein. Anja wurde es erst jetzt bewußt. Schwerfällig stand sie auf, rückte den Kleinen zurecht und schlich in die Küche, um eine Banane zu holen. Sie schälte sie, brach sie in der Mitte durch und gab jedem der Jungen eine Hälfte in die Hand. Und dann putzte sie sich die Nase und begann einzusammeln, was die Jungen aus dem Bettchen geworfen hatten.

Wenn Mutter nicht wiederkam! Wenn sie nicht wieder gesund wurde! So etwas gab es doch. Wenn sie Vater und sie und die kleinen Jungen allein ließ!

O nein, o nein! Bitte, bitte nicht, lieber Gott! Anja, von Angst gepeinigt, sah sich um – was konnte man tun, was unternehmen? Nur dasitzen und auf die Jungen aufpassen machte einen verrückt, vollkommen verrückt.

Ihr Blick blieb am Spielzeugregal hängen. Alles war wüst hineingestopft, Bausteine und Brummkreisel und Schlaftiere. Ruckartig sprang sie hoch, warf – nun aber entschlossen, ganze Arbeit zu machen – alles, was in dem Regal lag, erst einmal auf die Erde. Und dann fing sie an zu sortieren: die Bausteine in den Baukasten, die Schlaftiere auf den Wickeltisch –