Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die junge Ange ist Lehrerin an einer Schule. Und der einzige Grund dafür, dass sie sich gerade für diese Schule entschieden hatte war, dass Nikolai dort gewesen war. Sie hatte ihn über alles geliebt. Und dann hatte er an eine andere Schule gewechselt und sie zurück gelassen. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie zumindest so tun konnte, dass sie Nikolai vergessen hatte. Und jetzt muss sie lernen in ihrer Situation nicht nur zurecht zu kommen sondern auch glücklich zu werden. Und dafür muss sie die Kämpferin in sich entdecken.-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 283
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lise Gast
Saga
Der stärkere Ruf Copyright © 1943, 2019 Lise Gast und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711508886
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Für Marianne von Hartmann
Ange stand am Fenster des Lehrerzimmers und sah hinaus. Es regnete. Die Autospuren im Hof glänzten, sie sahen hämisch und häßlich aus. Ange fror und konnte sich nicht entschließen, an die Arbeit zu gehen.
Vielleicht gibt es in jedem Leben solche Tage, dachte sie, graue, mißmutige, widerwärtige Tage. Ich bin keine Ausnahme. Es geht allen so. Nur — es war einmal anders, und es wird nie wieder so sein wie es war.
Immer mußte sie so stark an Nikolai denken, wenn sie allein in diesem Zimmer war. Sobald die andern dabei waren, Hense mit seiner stillen, scheuen Freundlichkeit oder Isa Brandt, mit der sie allmählich eine Art Freundschaft verband, konnte sie ihn vergessen, wirklich, es gelang ihr. Sie spielte vor den andern die Rolle, ihn vergessen zu haben, und glaubte dann selbst daran. Es ging ganz leicht. Nun, und vor dem Chef erst recht.
Der Chef hatte sicher nichts gemerkt damals, sie waren vorsichtig gewesen. Und nie, nie hätte sie ihm den Triumph gegönnt, den er empfunden hätte bei der Entdeckung, daß sie Nikolai geliebt hatte, daß sie sich seinetwegen hierher gemeldet hatte an diese Schule, die einer Strafversetzung gleichkam — freiwillig. Nun, da Nikolai fort war, war es wirklich eine Strafversetzung.
Drei Jahre noch, drei Jahre ihres Lebens. Ob sie dann so sein würde wie Isa Brandt, alt, abgenützt, hoffnungslos? Manchmal stellte sie sich vor, daß Nikolai wiederkommen würde, was natürlich Unsinn war. Nikolai war über das Sprungbrett dieser Schule als Direktor in den Sudetengau gekommen, in eine Stellung, die seiner strahlenden Erscheinung durchaus angemessen war. Niemand hatte wohl etwas anderes erwartet, er selber am wenigsten. Daß sie, Ange, hier festsaß, war ihr höchstpersönliches Pech, weiter nichts.
Drei Jahre noch, dann war sie fünfundzwanzig. Es erschien ihr uralt. Sie vermochte sich einfach nicht vorzustellen, daß man auch mit fünfundzwanzig Jahren noch radeln, schwimmen, schilaufen könnte, daß man imstande sei, dann noch einmal neu anzufangen. In einer anderen Umgebung, einer anderen Stellung. Wie ein Todesurteil klang ihr das: drei Jahre.
Nein, sie mußte sich doch wohl entschließen, keiner nahm ihr die Arbeit ab. Der Chef war grade fortgefahren, und sobald nicht wieder zu erwarten, aber es war gleichsam, als könnte sie keine Erleichterung mehr empfinden. Alles war so fürchterlich unabsehbar, so aussichtslos, eine dicke graue Wand, wohin man auch blickte. Ange stand regungslos und starrte auf einen Fehler im Glas, der alles, was dahinterlag, verzerrte und veränderte. Erst als sie Schritte hörte, wandte sie sich mühsam um.
„ Ist er fort? Gratuliere,“ sagte sie mechanisch.
Isa Brandt trug einen Stapel loser Blätter auf der linken Hand, unter dem Arm Lineale und in der rechten Tinte und Füller. Sie setzte sich, ohne all dies abzulegen, seitlich auf ihren Stuhl, ihr Gesicht war erhitzt und abgespannt.
„ Danke. Dafür bin ich aber auch erledigt. Nach diesem Vormittag — lieber geb ich zehn Unterrichtsstunden.“ Sie war zum Diktieren beim Chef gewesen. Ange kannte das.
„ Soll ich dir helfen? Meine Kasse wird heute sowieso nicht fertig. Und es tippt sich schlecht vom Stenogramm ab.“
„ Ach ja, danke.“ Isa suchte zwischen ihren Zetteln. Ange rückte sich die Schreibmaschine heran. spannte Bogen und Blaupapier ein und wartete. Zwischen den Sätzen, die Isa mühsam aus dem hastig zusammengehauenen Stenogramm mehr herausriet als las, saß Ange und starrte auf die Tasten. Jetzt dachte sie nicht mehr an Nikolai, und das war fast, noch schlimmer. Solange sie an ihn dachte, war wenigstens Auflehnung, Groll und Schmerz in ihr, doch immerhin eine Art von Leben, ein fühlbares Lebendigsein —
„ Ich bring es nicht zusammen. Ausgeschlossen. Er quatschte dauernd andere Sachen dazwischen.“ sagte Isa verzweifelt, „mein Kopf ist vollkommen leer, ausgeleert. Und dies Luft hier —“
„ Ich werd Kaffee kochen. Ist noch welcher da?“
Während Ange in der großen, leeren Lehrküche stand und darauf wartete, daß das Wasser kochte, hörte sie ein Auto in den Hof einbiegen. Zu Tode erschrocken fuhr sie herum — aber es war nicht der Chef. Sie kannte seine Art zu bremsen. Vorsichtig spähte sie hinaus.
Ein Herr in kurzem Fahrpelz kam über den Hof gegangen, er trug Reitstiefel und lederbesetzte Breeches. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, wahrscheinlich Besuch für den Chef. Sie ging den Kellergang entlang und öffnete die Hintertür.
„ Verzeihung, Dr. Dittmar ist wohl nicht da?“
„ Nein. Er fuhr vor einer halben Stunde fort, nach Ruppertsgrün, soviel ich weiß. Kann ich etwas ausrichten?“
Das bartlose, braune Männergesicht erinnerte sie an jemanden, sie kam nicht darauf, an wen. Es war ein ziemlich breites, aber ganz und gar nicht dickes Gesicht, mit Falten rechts und links vom Mund. Sympathisch sah er aus, vertrauenerweckend und beherrscht. Sie kramte in ihrer Erinnerung.
„ Bergemann.“ Er verbeugte sich, etwas knapp, so, wie Offiziere das zu tun pflegen. „Nein, auszurichten ist das wohl kaum. Wissen Sie zufällig, wann Dr. Dittmar wiederkommt?“
„ Das ist ganz unbestimmt. Aber wenn Sie warten wollen?“ Ange hatte alle ihre Gleichgültigkeit verloren. Wem sah der Mann nur ähnlich? „Vielleicht kommen Sie einen Augenblick herein? Meine Kollegin ist im Lehrerzimmer, ja, die erste Tür links. Sie weiß sicher, wie lange der Chef gerechnet hat.“
Sie öffnete die Tür, Bergemann trat zurück, um sie zuerst eintreten zu lassen. Diese winzige Höflichkeit, die der Chef nie innehielt, tat ihr unverhältnismäßig wohl, sie sagte lebhaft:
„ Isa, weißt du, wann der Chef wieder da ist?“
„ Ach, Herr Bergemann.“ Isa Brandt war aufgestanden. „Nein, leider, es ist ganz unbestimmt. Wollen Sie sich nicht setzen?“
Sie sprachen eine Weile hin und her. Bergemann fragte, ob er rauchen dürfte, und bot den beiden Damen Zigaretten an. Isa dankte, Ange erinnerte sich plötzlich an ihren Kessel auf dem Gas.
„ Mein Kaffeewasser — Entschuldigung! Das kocht sich tot —“ sie lief zur Tür, stopte und fragte:
„ Trinken Sie eine Tasse mit uns? Schwarz? Ohne Milch und Zucker?“
„ Wir haben noch eine Büchse Kondensierte in der Vorratskammer, bring sie doch mit,“ rief Isa ihr nach, „gleich rechts, im untersten Fach. Wenn —“
Ange verstand nichts mehr. Sie sprang schon die Kellertreppe hinab. Dieser Bergemann gefiel ihr. Sie wußte jetzt, wer er war, hatte schon Briefe an ihn diktiert bekommen und Berechnungen über die Milcherträge seines Gutes aufgestellt. Da der Chef ihn stets lobte, hatte sie ein Vorurteil gegen ihn gehabt, wie gegen alle Menschen, die der Chef nett fand. Sie lachte — das war also doch übertrieben.
Der Kaffee roch wunderbar. Sie stellte drei Tassen und die Büchsenmilch auf ein Brett, suchte nach brauchbaren Löffeln und nahm dann, was sie sonst nie taten, ein Kompottschälchen voll Zucker aus dem Schulvorrat mit. Sie selbst und Isa tranken stets bitter, aber vielleicht nahm Bergemann Zucker.
Als sie die Tür zum Lehrerzimmer öffnete, vorsichtig mit einer Hand, während sie mit der andern das Brett balancierte, war sie verblüfft, drei statt zwei Personen vorzufinden.
„ Meine Tochter Ragna,“ stellte Bergemann vor, „Fräulein Hauser, nicht war. so war doch der Name? Doktor Dittmar sprach neulich von Ihnen —“
„ So? Wohl nichts so sehr Rühmliches,“ lachte Ange und stellte die Tassen auf dem Schreibtisch zurecht. „Im Eßsaal ist es nämlich kalt. Wir haben die Heizung dort abgestellt, wenn wir ihn nicht benutzen.“
„ Aber es ist doch furchtbar gemütlich hier —“
Bergemann war aufgestanden und sah lächelnd auf ihre Hände. Ange merkte es und wurde rot.
„ Ich hole noch eine Tasse —“
Als sie alle saßen und tranken, sah Ange verstohlen auf das junge Mädchen, das ihr gegenübersaß. Vierzehn Jahre mochte sie sein, diese Ragna Bergemann, und sie war unleugbar hübsch. Ein fester, nußbrauner Kopf, glattes, spiegelnd gebürstetes Haar, so, wie man es eigentlich nicht mehr trug. Aber es stand ihr gut. Ange, die ihr Haar gerade wachsen ließ, — es sollte halblang geschnitten nach hinten fallen, was es noch nicht richtig tat, — erwog im stillen, ob sie es nicht wieder ganz kurz schneiden lassen sollte, so, wie dieses Mädel es trug. Freilich, solch glattes Haar stand einem nur, wenn man noch ganz jung war, ganz jung und mit makelloser Haut gesegnet —
Bergemann lobte den Kaffee nach Kräften. Und er fand das Lehrerzimmer so gemütlich, überhaupt sagte er viel Rühmendes über die Schule. Ange sah flüchtig, wie Ragna den Mund trotzig aufwarf und harte Augen bekam, es fiel ihr aber erst später wieder ein, als sie mit Isa darüber sprach. Jetzt, während sie plauderten, fühlte sie nur eine freundliche Wärme, daß jemand ihr Leben und ihre Umgebung schön fand. Sie gehörte zu den Menschen, denen nichts schrecklicher ist, als sich bedauern zu lassen.
Bergemann blieb lange. Er ließ sich, als sie mit dem Kaffee fertig waren, von den beiden Lehrerinnen durch die ganze Schule führen, fragte und lobte. Ange sah verstohlen auf die Uhr, als er dann endlich im Auto saß und immer noch nicht losfuhr. Wenn jetzt der Chef noch dazu kam, endete die ganze nette Abwechslung mit einem fürchterlichen Krach. Gottlob, jetzt schnurrte der Anlasser.
„ Ich hoffe, ich sehe Sie auch einmal bei mir,“ rief Bergemann noch. Ange und Isa winkten und nickten, dann kehrten sie aufatmend um und hasteten ins Haus. Rasch setzten sie die Tassen zusammen, stellten sie in den Aufzug und öffneten Tür und Fenster, um den Zigarettenrauch hinauszulassen.
„ Gottseidank, das hätte uns grade noch gefehlt,“ seufzte Isa, „so, nun mag er kommen. Ein hübsches Mädel, die Ragna, nicht? Der Junge ist auch ein Bild, sag ich dir.“
„ Ja? Hat er noch mehr Kinder?“
„ Nein, nur Ragna und den Jungen, Conrad heißt er, wie Bergemann selbst. Er ist elf oder zwölf Jahre alt, entzückend, ganz die Mutter. Die soll ja bildschön gewesen sein, erzählt man. Sie hat so schrecklich gelitten ...“
Und Isa erzählte, wie Bergemanns Frau jahrelang gelegen hatte, ein Wrack von einem Menschen, seit der Geburt des Jungen.
„ Früher soll sie prima gewesen sein, hat Tourniere geritten, den Viererzug gefahren — da muß das doch doppelt schrecklich sein ...“
„ Jaja.“ Ange hatte die Wange in eine Hand gestützt und sah vor sich hin. Schrecklich, Isa hatte recht. Dagegen hatte man es golden —
„ Ragna soll landwirtschaftliche Lehrerin werden, ihr Vater möchte das schon lange,“ erzählte Isa weiter, „ich glaube aber nicht, daß sie will. Na ja, er sieht das ja alles auch in einem anderen Licht!“
„ Vielleicht. Jedenfalls fand er es wunderbar hier.“
„ Ach ja. Wahrscheinlich auch den Chef.“ Isa versuchte aufs Neue, ihr Stenogramm zu enträtseln. Ange war in Gedanken und tippte rein mechanisch die Sätze, die sie hörte. Sie arbeiteten bis um neun und gingen dann, ohne den Chef zu Gesicht bekommen zu haben, müde und einsilbig heim. Ihr Zimmer war kalt, sie wohnten der Billigkeit halber zusammen. Nicht einmal Post war da, Ange ließ sich seufzend auf die Couch fallen. Sie mochte nichts mehr essen.
In der Nacht wachte sie auf, mit einem Ruck — plötzlich wußte sie, an wen Bergemann sie erinnerte. An Christoph, natürlich. Es war direkt lächerlich, daß sie nicht gleich darauf gekommen war. Jetzt erschien es ihr als die einfachste Sache der Welt, diese Ähnlichkeit festzustellen. Christoph war ganz der gleiche Typ wie Bergemann, nur eben entsprechend jünger. In fünfzehn Jahren sah er ihm sicher noch ähnlicher.
Christoph, ihr Vetter. Er stand mit einem Mal so lebendig vor ihr, als habe sie gestern abend noch mit ihm gesprochen. Wie mochte es ihm gehen, wo mochte er stecken, ach, sie mußte ihm wieder einmal schreiben. Liebe, die wir nicht erwidern — das ist ein Schuldkonto, das bedrückt. Aber wie sollte man es ändern? Christoph würde sie wohl sein ganzes Leben lang lieben.
Ach ja, es war schrecklich für ihn, daß sie es nun einmal nicht zu erwidern vermochte. Oft hatte sie gewünscht, das zu können, ja, damals im Seminar war das der heißeste Wunsch ihres Herzens gewesen. Aber man kann sich das nicht geben, es ist da oder es ist nicht da. Bei ihr war es nicht da. Manchmal glaubte sie, es läge an ihr, es wäre ein Mangel, ein Fehler, irgendeine Abnormität, — sie wäre eben unfähig, zu lieben. Bis Nikolai kam. Da merkte sie sehr deutlich, was Liebe ist — es stürzte über sie herein mit elementarer Wucht, o nein, die Fähigkeit zu lieben besaß sie wohl. Wenn auch jetzt alle Erinnerungen an diese kurze Zeit vergiftet von Bitterkeit und Schmerz waren.
Sie hatte es doch einmal gehabt. „Man besaß es doch einmal, was so köstlich ist, daß man doch zu seiner Qual ...“ und so weiter. Jetzt konnte sie Christoph verstehen. Er würde auch nie vergessen, so wie sie es nicht konnte, er würde immer an jene Zeit denken, da sie mit ihm durch den Sommer ging, stets etwas abseits von ihm, schuldbewußt, daß sie ihm nicht geben konnte, was er so heiß wünschte, aber doch neben ihm, bei ihm, an seiner Seite. Und er liebte sie so sehr, daß ihm das fürs ganze Leben genügt hätte — jedenfalls sagte er damals so. Vielleicht war, bewußt oder unbewußt, stets die Hoffnung in ihm, daß der Feuerbrand in ihm auch ihre Seele entzünden könnte ...
Sie mußte ihm wieder einmal schreiben. Wenn er auch nicht ihr Liebster hatte werden können, so blieb er doch der beste, der treueste Kamerad ihrer Kindheit und Jugend. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er jetzt anders zu ihr stand, daß er ein anderes Mädel liebgewinnen und sie darüber vergessen könnte. Nein, das war unausdenkbar. Sie war Christophs Schicksal, so oder so. —Und daß sie damals, als sie Nikolai kennen lernte, ihn abgewiesen hatte, das war bestimmt nicht richtig gewesen. Denn ihr Kamerad war er auch heute noch, jetzt, nachdem sie über ein Jahr nichts von ihm gehört hatte. Auch wenn sie einmal heiratete, brauchte sie Christoph nicht ganz wegzustoßen. Die Verbundenheit zwischen ihm und ihr blieb, durfte bleiben, sie lag ja auf ganz anderer Ebene als das, was man Liebe nennt.
Ange merkte nicht, daß sie wieder eingeschlafen war. Sie sah Christoph vor sich stehen in der verwaschenen Windbluse, wie sie ihn unendlich oft gesehen hatte, neben seinem Rad. Er lächelte, sein sparsames, gutes Lächeln. Dann war es plötzlich Bergemann. Ange wunderte sich darüber und sagte trotzdem: „Das ist doch eigentlich gleich — ganz gleich — beinahe —“
„ Was denn?“ fragte Isa. „Was ist gleich?“
Sie stand vorm Spiegel und bürstete sich die Haare. Ange war noch ganz benommen.
„ Ich hab geträumt, glaube ich,“ sagte sie verwirrt.
„ Ja, das glaub ich auch. Mach rasch, es ist gleich sieben,“ mahnte Isa. Ange seufzte und versuchte, noch einmal zurückzutauchen in den Traum. Vergeblich, er war schon fern und verschwommen.
Die Turnhalle war voller Staub, man bekam einen ganz trockenen Hals davon, und das Klavier war erbärmlich verstimmt. Ange hieb darauf ein, während ihr das Genick schon steif war von dem ewigen Umdrehen, dem dauernden Hinüberspähen zu den Mädels, die ihren Reigen übten — sicher zum fünfundsiebzigsten Mal dieselbe Stelle. Und wieder klappte sie nicht! Es war zum Verzweifeln — konnten sie es denn nicht begreifen, daß bei diesem Takt die Bälle fliegen mußten und nicht erst beim nächsten ...
„ Halt, nochmal! Änne, du mußt besser aufpassen, in euerm Kreis ist immer ein heilloses Durcheinander, — Elsa, kannst du denn den Ball nicht fangen? Nein, bleib in der Reihe, Marthe wirft ihn dir hinüber — ja, so. Also nun aufgepaßt — eins — zwei —“
Die Tür ging. Ange wandte sich nicht um, wenn es der Chef war, kam er ja wieder mal im richtigen Moment. Aber sie konnte nichts dafür, er hatte ja schließlich die Idee gehabt, einen Reigen mit roten und blauen Bällen einzuüben — Blaubeeren und Preißelbeeren sollten sie darstellen, und die Mädels würden in Dirndelkleidern auftreten, mit Kopftüchern und Beerenkörbchen. Isa und sie waren sich darüber einig, daß das ein alberner und gottverlassener Kitsch sei, aber er fand es nun einmal heimatverbunden und volkstümlich. Sogar die Musik hatte er dazu herausgesucht, solch klebrigen Walzer — es konnte einem schlecht werden, wenn man ihn nur hörte. Den mußte sie nun spielen, immer wieder, immer wieder —
„ Ange, einen Augenblick!“
„ Ach, du, Isa. Gott sei Dank. Was ist denn?“
„ Ich wollte nur mal sehen, wie weit ihr seid — na, es geht ja einigermaßen. Und du sollst nachher gleich mit dem Chef fahren, er ist nur noch essen gegangen —“
„ Ach—“ sagte Ange schwach und ließ die Hände auf den Tasten liegen, wo sie lagen, „und ich dachte die ganze Zeit: Wenn doch wer käme und mich mitnähme — wahrscheinlich malt man mit solchen Gedanken den Teufel an die Wand!“
„ Scheint so. Du bist wohl ziemlich durchgedreht?“
Nicht mehr als sonst. Aber nun eine Landpartie mit ,Ihmʼ, danke verbindlichst —“
„ Es hilft nichts, weißt du, mach Schluß hier, wir machen uns noch rasch ein paar Brote. Du hast ja wiedermal nicht naß, nicht trocken im Leibe seit früh —“
„ Und du, mein Herzchen?“ fragte Ange resigniert. „Ich schätze, nicht ein Gramm mehr. Das ist unser Los auf Erden.“
Sie klappte im Sitzen den Klavierdeckel zu und drehte den Schlüssel herum. Einen Augenblick blieb sie noch sitzen, die Schultern ein wenig nach vorn hängend, die Arme aufgestützt — am liebsten hätte sie den Kopf auf den Deckel gelegt und gar nichts mehr gesagt. Aber das ging natürlich nicht — die Schülerinnen — und Isa auch, — sie konnte doch Isa hier kein Theater vormachen. So richtete sie sich auf, rief „Schluß für heute, anziehen!“ zu den Mädels hinüber, und schob ihren Arm in den der Kollegin.
„ Komm, los. Etwas zu essen, das ist ein Gedanke!“
Sie gingen ins Lehrerzimmer hinüber. Hense saß dort über einer Abrechnung, und eben setzte von der Jungenklasse her ein großes Getrampel und Gescharre ein, wahrscheinlich hatte Gerhard auch Schluß gemacht. Da kam er schon:
„ Na? Wo bleibt der kalte Aufschnitt? Eine miese Bedienung!“
„ Halt den Schnabel!“ sagte Ange lachend, „wenn das jemand hört ...“
Sie rannte in die Küche hinunter. Es war ein Glück, daß es Gerhard gab, Gerhard war ein Lichtblick im Dunkel des Daseins. Er kam nur für wenige Stunden von der Handelsschule herüber, so daß der Chef nicht sein Chef war. Immer fühlten Ange und Isa einen gewissen Rückhalt vor dem Gefürchteten, wenn Gerhard dabei war, blond, ein bißchen pomadig mit seinem dicken Gesicht und der goldenen Brille, eine vielfarbige Ordensschleife im Knopfloch und das silberne Verwundetenabzeichen unauffällig, gleichsam nebenbei (der Chef war kein Frontkämpfer —) am Aufschlag seiner Jacke. Vielleicht wäre der ganze Ton im Lehrerzimmer anders, wenn Gerhard ganz zu ihnen gehört hätte. Der ließ sich nicht schikanieren, der wurde einfach grob, wenn es sein mußte — das brachte Hense im ganzen Leben nicht fertig. Nein, Hense war wohl derjenige, der am schnellsten duckte, und der am meisten litt unter dem Chef.
Ange strich ein paar Brote, dann sah sie, daß noch etwas Fleischbrühe dastand. Ach, das müßte gut tun! Sie stellte sie aufs Gas und holte ein paar Tassen. Mit dem besetzten Tablett lief sie die Treppe wieder hinauf.
Hense stand am Fenster, er winkte beruhigend, als sie vorsichtig ins Lehrerzimmer spähte. Ange goß ein und verteilte die Brote.
„ Bitte, meine Herrschaften! Und prosit!“
„ Danke, gleichfalls. Mit etwas anderem als Alkohol darf man doch nicht anstoßen, weißt du nicht, was das heißt?“
„ Doch. Ich meinte es auch so.“
Gerhard gab ihr einen gutmütigen Puff. Er saß auf der Kante des Schreibtisches und balancierte seine Tasse auf dem, was dereinst Bügelfalten gewesen waren, vor langen Zeiten — —
„ Wann ist denn wieder mal Hausarbeit, Isa?“ fragte Ange. „Du mußt unbedingt eine Plättstunde einschieben —“ Sie deutete auf das korkzieherartige Gehöse des „Halbkollegen“.
„ Kümmere du dich um dich und um deine Klamotten, wenigstens so weit, als sie ungeplättet auffallen —“
„ Großklappe — wenn wir nicht wären —“
„ Achtung, er kommt!ʼ rief Hense aufgeregt. Er kippte den letzten Rest seiner Brühe hastig hinunter, ein Schwapp ging daneben und auf sein helles Hemd. Ange sah es und prustete los, Isa riß Gerhard die Tasse aus der Hand und stürzte damit zum Aufzug.
„ Los, los, gebt euere her, schnell!“ Sie schob die Tür zu und atmete erleichert auf, als sie den Aufzug unten ankommen hörte. Hense putzte mit dem Taschentuch an seinem Hemd herum, zum Fenster gewandt, damit er vor dem eintretenden Chef noch etwas Deckung hatte. Ange packte ihre Mappe, deckte den Wachstuchüberzug über die Schreibmaschine und schob ihre Schublade zu. Eben trat der Chef ein.
„ Fräulein Hauser, noch nicht fertig? Haben Sie nicht gehört, daß Sie mitfahren sollen?“
„ Ich hatte bis eben Unterricht“, sagte Ange mechanisch.
„ Los, los, los, ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Tn fünf Minuten fahr ich ab —“
„ Herr Direktor, ich muß mich noch umziehen.“ Daß uns nie Zeit zum Mittagbrot bleibt, ist ihm gleichgültig. E r kommt vom Essen ...
„ Ach! Und das überlegen Sie sich jetzt schon?“ fragte er in höhnischer Höflichkeit. Ange riß ihre Mappe wütend an sich und wandte sich zur Tür. Am liebsten hätte sie die ordentlich ins Schloß geschmettert, so richtig Krach-Bumm. Aber erstens tut man das nicht, und zweitens — was nützte es denn. Sie hatte es dann doch nur abzubüßen, auf der Fahrt, wenn er schlechter Laune war. Als ob er jemals gute Laune hätte ...
Aber das stimmte nicht ganz. Herr Direktor Dr. Ditt- mar konnte auch gute Laune haben, besser: gnädige Laune. Dann erzählte er, meist gerade in dem Augenblick, in dem man endlich gehen wollte, lange Geschichten, denen man höflich zuhören mußte, manchmal auch seine Träume oder den Film, den er am Tage zuvor gesehen hatte. Oder wieder und wieder dieselben Witze — es war so herzlich ermüdend, besonders für Isa, die das nun schon jahrelang mitmachte, — aber immer noch besser zu ertragen, als seine ungnädigen Stimmungen. Ganz besonders schlimm aber war es an Tagen, die auf Abende mit Alkoholgenuß folgten. Denn er trank mehr, als er vertragen konnte —:.
Ange saß neben ihm im Wagen und bemühte sich, ein teilnehmendes und höflich-freundliches Gesicht zu machen; sie war so ganz und gar nicht bei der Sache. Immer mußte sie an Nikolai denken, wenn sie hier umherfuhren — auf den meisten Wegen war sie mit ihm gewesen. Nur daß es damals Frühling und Frühsommer gewesen war und jetzt Herbst.
Sie besaß einige Briefe von Nikolai. Anfangs hatte er geschrieben, recht nett sogar. Aber jetzt kamen sie schon sehr spärlich. Sie hatte es eigentlich nicht anders erwartet gehabt, aber es tat doch weh, mehr als sie vor sich selbst zugab. Wenn sie nach einem gehetzten und pausenlosen Arbeitstag nach Hause kam, lauerte immer, immer die Frage in ihr: Wird ein Brief da sein? Die letzte Post kam nachmittags um vier, sie war meist schon durch, wenn sie heimkam. Worauf wartete man eigentlich noch? Wozu lebte man in dieser fremden Kleinstadt, unter fremden Menschen, wozu? Um des bißchen Geldes willen, das man bekam, und das kaum zum Leben reichte? Sparen konnte sie davon fast gar nichts. Und es war zweifellos die unangenehmste Schule, die existierte, — in anderen Städten gab es nette Direktoren und einen freundlichen Ton im Kollegium. Aber schließlich ...
„ Jaja, gewiß“, sagte sie. Dr. Dittmar war ärgerlich über ihre Zerstreutheit, er fand, er wä-re viel zu nett zu seinen Untergebenen.
„ Schlafen Sie eigentlich?“ fragte er scharf. Ange schüttelte verwirrt den Kopf. Es konnte wohl stimmen, sie hatte mit offenen Augen geduselt. Man sah schon das Bergemannsche Rittergut, auf das sie Zufuhren.
Ange fühlte ihre Kehle eng werden bei dem Gedanken, daß Bergemann etwas von jenem Kaffeebesuch in der Schule erwähnen könnte. Wenn der Chef etwas davon erfuhr, ging es ihr schlecht. Sonst war er bei den Wirtschaftsberatungen immer ganz erträglicher Laune. Und ihr selbst machte es Freude, sich in den Betrieben umzusehen, Verbesserungen vorzuschlagen und nach den Erträgen zu fragen. Besonders für Geflügel hatte sie viel übrig. Bei den kleinen Bauern hatte sie ja oft das Gefühl, fehl am Platze zu sein, wenn sie neue Hühnerställe vorzuschlagen hatte und doch sah, daß das Bargeld nicht einmal darauf reichte, den Kindern anständige Schuhe zu kaufen. Aber in größeren Betrieben machte es Spaß. Mit den meisten Landfrauen verstand sie sich gut, und das Ganze erinnerte an zu Hause.
Auf Bergemanns Gut war sie noch nie gewesen, es war das bestbewirtschaftete der Gegend. Isa hatte ihr viel von der elektrischen Kühlanlage für Milch erzählt; ein Fräulein Steffen stand der Innenwirtschaft vor. Vielleicht waren auch die Kinder beide daheim, es waren ja Herbstferien. Sie mußten der höheren Schule wegen in der Stadt wohnen, wenigstens Ragna. Isa hatte das alles ziemlich ausführlich erzählt, sie fand auch Bergemann sehr nett. Ange ermunterte sich und ließ die Augen umherschweifen, als sie in das Gut einbogen. Warme Sonne lag über dem Hof, es war wieder ganz sommerlich geworden, nachdem es schon einmal ganz nach November ausgesehen hatte. Ach, wie dankbar war man dafür, an solch einem Tag einmal herauszukommen, selbst in solch liebenswürdiger Begleitung!
Auf der Veranda war zum Kaffee gedeckt.
„ Wollen Sie nicht erst eine kleine Stärkung zu sich nehmen?“ fragte Bergemann gleich nach der Begrüßung, „ich komme selbst so selten dazu, Nachmittagsvesper zu halten, daß ich, wenn es wirklich einmal klappt, es dann doppelt genieße. Und es ist doch die gemütlichste Mahlzeit am Tage!“
Er blinzelte zu Ange hinüber. Sie fühlte vor Erleichterung ihr Herz ganz warm werden — er hatte verstanden. Nun war alles gut, sie konnte in Ruhe diesen Nachmittag genießen. Das Glück darüber machte ihr Gesicht ganz weich und jung, sie sah sehr hübsch aus in diesem Augenblick. Eben kamen die beiden Kinder, Ragna und Conrad. Der Junge war blond, er hatte einen offensichtlich eben erst gezogenen, noch feuchten Scheitel und knallte mit den Hacken, während er Ange die Hand küßte. Sie sah entzückt in das runde, rotbäckige Bubengesicht.
Sie setzten sich. Ach, alles erinnerte so sehr, so sehr an zu Hause. Sogar die gekochte Milch mit der Haut darauf, vor der sie sich schon als Kind so geekelt hatte. Sie sah, wie es Conrad schüttelte, als er den ersten Schluck trank; Fräulein Steffens hatte ihm schon eingegossen gehabt. Rasch beugte sie sich vor und fischte verstohlen mit dem Löffel danach; Conrad sah sie erleichtert und dankbar an, er war viel zu streng erzogen, um zu meu- tern. Aber stiefmütterlich schien Fräulein Steffens sonst nicht zu sein, keineswegs. Ange lächelte still, während sie den Honig auf ihr Schwarzbrot rinnen ließ. Sie könnte einem solchen Jungen gegenüber bestimmt nicht streng sein, o nein. Schon die Mädels in der Schule tanzten ihr auf der Nase herum, wenn der Chef außer Sicht war — es war noch immer so, daß sie sich selbst gleichsam nicht ernst nahm als Lehrerin, daß sie ihren Spaß daran hatte, wenn die Kinder, vom Chef allzu streng gehalten, bei ihr über die Stränge zu schlagen versuchten. Manchmal ermunterte sie sie geradezu zu allerhand Unsinn ...
Als Conrad merkte, daß Ange sich nicht ganz zu den Erwachsenen zählte, taute er auf, erzählte strahlend von seiner Hundezucht, von seinem Ponny und daß er schon chauffieren könnte. Ange wiederum berichtete von ihrem jüngsten Bruder; er war so alt wie Conrad gewesen, als sie von daheim wegging. Jetzt war er natürlich schon größer. Chauffieren konnte er damals noch nicht, aber sie hatte ihm im letzten Sommer, den sie daheim war, das Radfahren beigebracht.
„ Das war eine Sache, sag ich dir,“ sagte sie und lachte in der Erinnerung, „er fuhr immer so schnell, daß ich kaum nachkam — schnell fahren ist ja leichter als langsam fahren — und einmal flogen wir entsetzlich hin. Hier —“, sie schob den linken Ärmel ein wenig zurück und hob den Arm, so daß er den Ellenbogen von unten sehen konnte, „das ist das Andenken daran. Eine hübsche Narbe, nicht? Sie mußte sogar genäht werden, mit drei Stichen, ich war schrecklich stolz darauf. Ich war nämlich in eine Scherbe gefallen, weißt du.“
Ragna lachte.
„ Ich bin auch einmal sehr vom Rad geflogen, Vater weiß es bis heute noch nicht. Er mag es gar nicht leiden, daß ich radle.“
„ Ja, es ist ja auch etwas bergig hier, da ist es gefährlicher,“ meinte Ange. „Wir waren zu Hause sechs, da merkte es oft niemand, wo wir uns grade herumtrieben. Wir hatten es sehr schön zu Hause.“
,,Die Jugend scheint sich ausgezeichnet zu verstehen,“ sagte Bergemann halblaut und lehnte sich zurück. Er hatte eben seine Zigarre angezündet und lächelte zu Ange hinüber. Dr. Dittmar folgte seinem Blick.
„ Scheint so,“ meinte er. Es klang spöttisch und etwas von oben herab.
„ Fräulein Brandt lobte ihre junge Kollegin sehr, sie schätzt sie, glaub ich, außerordentlich,“ sagte Bergemann freundlich.
„ Ja. Zu sehr. Ich liebe es nicht, wenn sich meine Lehrkräfte mit den Junglehrerinnen duzen,“ sagte der Chef halblaut, „sie wohnen auch zusammen — solche Intimität bekommt meist der Arbeit nicht gut. Ich muß kolossal dahinter sein, daß alles klappt —“ er seufzte. Bergemann schwieg. Er sah nachdenklich zu Ange hinüber, die sich lächelnd vorbeugte, sie schien Conrad etwas zu erklären. Er konnte ihre Worte nicht verstehen, denn Dr. Dittmar sprach weiter, über Düngemittel und landwirtschaftliche Maschinen, über all das, weswegen er hergekommen war. Es dauerte ein wenig, ehe er die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Gastgebers wieder gefangen hatte, er merkte es und ärgerte sich. Bald danach erhoben sie sich, um durch die Wirtschaft zu gehen. Fräulein Steffens und Ange schlossen sich ihnen an, aber auch Conrad ging mit. Ihm schien die Art, in der Ange mit ihm sprach, zutraulich und ganz so, als seien sie gleichaltrig, sehr zu gefallen. Er erklärte eifrig und voller Stolz. Sie sah lächelnd in sein selbstvergessenes, rundes Jungengesicht, während sie ab und zu Zwischenfragen stellte, um ihm eine Freude zu machen.
„ Und das sind die Fallnester, hier kriechen die Hühner hinein, dann fällt das Brett herunter —“
Sie standen alle im Stall, es roch nach Holz, auf dem die Sonne gelegen hat, nach Kleie und nach dem feinen Staub, der überall ist, wo Hühner sich nach dem Asfchenbad pludern.
„ Fällt das der Henne denn nicht auf den Kopf?“ fragte Ange, anscheinend sehr interessiert und ein bißchen
skeptisch. Conrad sah triumphierend zu seinem Vater hinüber.
„ Nein! Gelt, Vater? Das fällt doch erst zu, wenn die Henne drin ist —“ und er demonstrierte eifrig. Entzückend sah er aus, wie er dastand, rot vor Eifer und ganz so, als habe er die Fallnesterkontrolle selbst erfunden.
„ Fräulein Hauser begreift etwas schwer,“ sagte Doktor Dittmar in diesem Augenblick, „sie ist an logisches und selbständiges Denken nicht gewöhnt. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, sagte sie mir einmal, — aber dann zog sie es doch vor, landwirtschaftliche Lehrerin zu werden. Dazu, glaubte sie, würde es wohl reichen.“