Positive Psychologie - Daniela Blickhan - E-Book

Positive Psychologie E-Book

Daniela Blickhan

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Beschreibung

Umfassender Überblick über Themen, Konzepte und Interventionen der Positiven Psychologie Der neue wissenschaftliche Ansatz der Positiven Psychologie untersucht Faktoren eines erfüllten und gelingenden Lebens. Er erforscht, wie Menschen ihre Stärken entwickeln und sich selbst, ihr Umfeld und die Gesellschaft als Ganzes voranbringen können. Zentrale Fragen lauten: • Warum ist Glück mehr als die Abwesenheit von Unglück? • Wie lässt sich Zufriedenheit definieren, messen und fördern? • Wie kann man positive Gefühle nutzen, um auch mit widrigen Lebensumständen gut umzugehen? • Was macht nachhaltig leistungsfähig? Die Interventionen der Positiven Psychologie zielen darauf ab, positive Emotionen, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit zu fördern. Daniela Blickhan gibt einen umfassenden Überblick über Themen, Konzepte und Interventionen der Positiven Psychologie und ihre Anwendung in Coaching und Persönlichkeitsentwicklung.

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Daniela BlickhanPositive Psychologie – ein Handbuch für die Praxis

Über dieses Buch

Der neue wissenschaftliche Ansatz der Positiven Psychologie untersucht Faktoren eines erfüllten und gelingenden Lebens. Er erforscht, wie Menschen ihre Stärken entwickeln und sich selbst, ihr Umfeld und die Gesellschaft als Ganzes voranbringen können. 

Zentrale Fragen lauten: 

Warum ist Glück mehr als die Abwesenheit von Unglück? Wie lässt sich Zufriedenheit definieren, messen und fördern? Wie kann man positive Gefühle nutzen, um auch mit widrigen Lebensumständen gut umzugehen? Was macht nachhaltig leistungsfähig? 

Die Interventionen der Positiven Psychologie zielen darauf ab, positive Emotionen, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit zu fördern. Daniela Blickhan gibt einen umfassenden Überblick über Themen, Konzepte und Interventionen der Positiven Psychologie und ihrer Anwendung in Coaching und Persönlichkeitsentwicklung.

Daniela Blickhan, Diplom-Psychologin und MSc, promoviert derzeit in Positiver Psychologie an der FU Berlin. Sie ist 1. Vorsitzende des Deutschsprachigen Dachverbands für Positive Psychologie DACH-PP e.V.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2015

Coverfoto: © pphoto76, Photocase

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2015

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-334-8

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-361-4 (EPUB), 978-3-95571-363-8 (PDF), 978-395571-362-1 (MOBI).

Geleitwort von Prof. Michael Eid

Wer möchte es nicht: Ein langes und glückliches Leben führen, ein Leben, in dem die eigenen Stärken zum Tragen kommen, sich die Erwartungen und Hoffnungen erfüllen; ein Leben, dessen Herausforderungen man angemessen meistern kann; ein Leben, das sinnvoll erscheint und Spaß macht; ein Leben, dessen negative Seiten eine Herausforderung darstellen, an denen man wachsen kann; ein Leben, das trotz Aufs und Abs in einer positiven Lebensbilanz mündet?

Obwohl die Suche nach einem gelingenden Leben Menschen in vielen Epochen und Kulturen begleitet, hat sich die Psychologie erst relativ spät dieser Thematik angenommen. Über viele Jahrzehnte hinweg hat sie sich vor allem mit negativen Gefühlen, mit Problemen und psychischen Störungen beschäftigt. Erst in den letzten 30 Jahren ist das subjektive Wohlbefinden zunehmend in den Mittelpunkt der psychologischen Forschung gerückt. Und mit der Begründung des Faches der Positiven Psychologie vor weniger als 20 Jahren hat sich die Psychologie auch zunehmend der Frage geöffnet, wie die Erkenntnisse der Forschung zum subjektiven Wohlbefinden, zu positiven menschlichen Eigenschaften und zu positiven Institutionen für die Anwendungspraxis genutzt werden können und in welcher Weise die Psychologie Methoden an die Hand geben kann, um Menschen auf ihrem Weg zu einem glücklichen Leben zu begleiten.

Im Gegensatz zu anderen Ländern gehört die Positive Psychologie in Deutschland noch nicht zu den etablierten Fächern. Es besteht aber ein großes Interesse an ihren Erkenntnissen, insbesondere in der psychologischen Praxis. Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Interventionen der Positiven Psychologie das Wohlbefinden steigern können und dass solche Interventionen insbesondere auch in die Psychotherapie integriert werden sollten, um Rückfälle zu vermeiden. Trotz des zunehmenden Interesses an der Positiven Psychologie gibt es im deutschsprachigen Raum kaum Arbeiten, die dieses Gebiet wissenschaftlich fundiert, aber anwendungsbezogen darstellen. Mit dem vorliegenden Buch trägt Daniela Blickhan dazu bei, diese Lücke zu füllen.

Ihr Buch, als Handbuch für die Anwendungspraxis konzipiert, stellt die aktuellen Befunde der Positiven Psychologie klar und verständlich dar. Anschaulich werden etablierte Erkenntnisse der Psychologie vermittelt und verschiedene Möglichkeiten zur Selbstreflexion und zur Anwendung des theoretisch erworbenen Wissens im eigenen Leben beschrieben.

Daniela Blickhan ist es wichtig, ihr Buch in der wissenschaftlichen Psychologie zu verankern und damit mit einigen Vorurteilen gegenüber dem Fach der Positiven Psychologie aufzuräumen. Sie stellt klar, dass es sich bei der Positiven Psychologie um eine Disziplin der Psychologie handelt, die anhand wissenschaftlicher Methoden Interventionen entwickelt und überprüft, um sich somit eine evidenzbasierte Grundlage zu schaffen. Sie hebt hervor, dass Positive Psychologie nicht einfach positives Denken ist, gerade auch nicht das Leugnen von negativen Gefühlen und negativen Aspekten im eigenen Leben. Vielmehr geht es bei der Positiven Psychologie darum, bisherige Erkenntnisse der Psychologie zu ergänzen, und zwar um Aspekte, die sich auf positive menschliche Entwicklung beziehen.

Daniela Blickhan hat die Themen ihres Buches sinnvoll ausgewählt und sie zeigt die große Breite der Positiven Psychologie auf. Ihr gelingt es hierbei, die wesentlichen Erkenntnisse up to date darzustellen, ohne in einen akademischen Duktus zu verfallen. Hierbei kommt ihr ihre langjährige Praxiserfahrung zugute. Ihr gelingt es in hervorragender Weise, die wissenschaftlichen Erkenntnisse den Leserinnen und Lesern anwendungsbezogen zu vermitteln, ohne dass breite psychologische Vorkenntnisse notwendig sind. Das Buch zeigt sehr anschaulich, wie die Erkenntnisse der Positiven Psychologie für die Anwendungspraxis genutzt werden und wie sie Menschen helfen können, auf dem Weg zum Aufblühen wesentliche Schritte voranzugehen. Es sollte daher in jeder psychologischen Praxis stehen.

Prof. Dr. Michael Eid, Freie Universität Berlin
Berlin, im November 2014

1. Psychologie und Positive Psychologie

1.1 Psychologie als Wissenschaft

Die Positive Psychologie ist die Wissenschaft vom gelingenden und erfüllten Leben und damit die erste Disziplin, die sich wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, wie psychisches Wohlbefinden und persönliche Entwicklung für alle Menschen unterstützt und aufrechterhalten werden können. Sie ist eines der jüngsten und neuesten Forschungsgebiete der akademischen Psychologie.

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit vor Krankheit. Das hat die WHO im Rahmen der International Health Conference bereits 1946 in ihrer Definition betont: Gesundheit ist vollständiges physisches, geistiges und soziales Wohlbefinden.

Dieser Ansatz fordert sowohl die Medizin als auch die klinische Psychologie he­raus, denn dort standen lange Jahre die Diagnose und Linderung von Krankheit und Störung im Fokus. Doch genauso wie Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist, ist seelische Gesundheit mehr als die Abwesenheit psychischer Probleme oder Störungen. Dennoch fokussiert die Mehrheit der (klinischen) psychologischen Angebote auch heute noch vor allem auf den Abbau negativer Symptomatik, eine bessere Bewältigung des Alltages und damit die Reduzierung des erlebten Leidensdrucks für klinisch kranke Patienten. Um die Ziele und Ansätze der Positiven Psychologie innerhalb der psychologischen Forschung umfassend einordnen zu können, ist es hilfreich, einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Psychologie zu machen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, auf welchen Grundlagen sie aufbaut und wie die Positive Psychologie als eigenes Forschungsfeld die klassische Psychologie sinnvoll ergänzt.

1.1.1 Geschichte und Forschungsgebiete der Psychologie

Psychologische Schulen

Die Psychologie will „verstehen und erkennen, wie Menschen ihr persönliches Leben in ihren sozialen Beziehungen und Gemeinschaften erfahren, verstehen und durch ihr Verhalten organisieren können“ (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen 2014). Psychologie als Wissenschaft ist seit etwa 1875 als eigenständiges wissenschaftliches Fach an Universitäten etabliert. Die Wurzeln der naturwissenschaftlichen Psychologie liegen in Europa, genauer gesagt in Deutschland. Wilhelm Wundt gründete 1879 in Leipzig das weltweit erste Institut für experimentelle Psychologie, das sich mit Sinneswahrnehmung, Denkprozessen und Erinnerung befasste. Wundts Vorlesungen umfassten ein breites Spektrum von Logik und Methodenlehre, Psychologie der Sprache, Anthropologie, experimenteller Psychologie und Neurophysiologie bis hin zu historischer und moderner Philosophie. Wundt gilt als Begründer der Psychologie als eigenständige Wissenschaft. Er stellte hohe Ansprüche an wissenschaftliche Forschung und kritisierte die „unkritische Vulgärpsychologie“ (Wundt 1906, S. 15), die sich allein auf persönliche Lebenserfahrung beruft. Wundt ging davon aus, dass die innere Erfahrung des Menschen experimentell untersucht werden kann, und begründete damit die Introspektion als psychologische Forschungsmethode.

Die Psychologie in Amerika fokussierte sich zunächst eher auf philosophisch verwurzelte Konzepte wie das Bewusstsein und das Selbst. Als Begründer der amerikanischen Psychologie und als einer der wichtigsten Vertreter des philosophischen Pragmatismus gilt William James. Er war von 1876 bis 1907 Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Harvard, und auf ihn geht die Einführung des Fachbereichs Psychologie an US-amerikanischen Universitäten zurück. Seine psychologischen Theorien nahmen Grundideen der Gestaltpsychologie und des Behaviorismus vorweg. James Lehrbuch Principles of Psychology erschien 1890 in zwei Bänden mit 1400 Seiten und bot eine Zusammenfassung der Psychologie des 19. Jahrhunderts in nahezu ihrer ganzen Breite.

Auch James fasste die Psychologie naturwissenschaftlich auf und verband in seiner Theorie Bewusstseinszustände und körperliche Vorgänge. Körper und Geist waren für ihn zusammengehörige Teile eines einheitlichen Organismus. Damit hob er den Gegensatz von Leib und Seele auf und ersetzte ihn durch einen psycho-physischen Funktionalismus. Er arbeitete mit den Methoden der Introspektion, des Experiments und des systematischen Vergleichs (James 1950).

James stellte keine einheitliche Theorie auf, sondern formulierte vielmehr einen offenen Katalog an Forschungsfragen. Die empirische Psychologie betrachtete er als Vorstufe einer einheitlichen Humanwissenschaft (James 1950). Bis heute relevante Erkenntnisse von William James sind etwa die sogenannte James-Lange-Theorie der Emotionen und seine Differenzierung des Selbst in das Ich als den eigenen Bewusstseinsstrom (englisch „I“) und das Selbst als reflektierbare Identität (englisch „Me“).

Um die Jahrhundertwende (ca. 1890) begann die Entwicklung des Behaviorismus, der das Verhalten in den Mittelpunkt und mentale Vorgänge in den Hintergrund stellte. Das Verhalten von Menschen und Tieren sollte mit objektiven naturwissenschaftlichen Methoden – also ohne Introspektion – erforscht und erklärt werden. Geistige Prozesse wurden nicht näher untersucht, vielmehr wurde jede Form der Verarbeitung, die zwischen einem (beobachtbaren) Reiz und der (ebenfalls beobachtbaren) Reaktion stand, vernachlässigt. Alle Vorgänge zwischen Reiz und Reaktion spielten sich für die die Behavioristen in einem nicht zugänglichen Raum ab, den sie „black box“ nannten.

Reiz→black box→Reaktion

Der Begriff Behaviorismus geht auf John B. Watson zurück, der ihn erstmals 1913 in einem Fachaufsatz verwendete.

Zeitgleich zur Entstehung des Behaviorismus in den USA entwickelte Sigmund Freud in Wien die Psychoanalyse, einen konträren Ansatz, der vor allem auf Intro­spektion beruhte. In den USA waren die Vertreter des Behaviorismus lange Jahre die einflussreichsten Verhaltensforscher an den Universitäten und entschiedene Gegner der gleichzeitig aufkommenden Psychoanalyse.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurden mehrere neue Strömungen in der Psychologie relevant, deren Einflüsse bis heute wirksam sind. Die Methode der Introspektion wurde zum Grundstein für die Kognitionspsychologie bzw. kognitive Psychologie. Die sogenannte Kognitive Wende beruhte auf dem Wunsch nach einem wissenschaftlichen Theorieansatz über das Denken, das die Behavioristen in die sogenannte black box ausgelagert und damit aus ihrer Forschung ausgeklammert hatten.

Die kognitive Psychologie wollte in ihren Anfangsjahren auf der Grundlage der ganzheitlich ausgerichteten Gestaltpsychologie1 in die black box hineinschauen und dabei die inzwischen besser erforschten biologischen Bedingungen berücksichtigen, auf der Grundlage des Menschen als informationsverarbeitendem Organismus. Mit der Entwicklung der Computerwissenschaften, speziell auch im Feld der künstlichen Intelligenz, wurden neue wissenschaftliche Perspektiven formuliert, die den menschlichen Verstand mit einer Computer-Metapher beschreiben wollten. Die Methodik der Kognitionspsychologen beschränkte sich zunächst nur auf Experimente im Labor, bezog jedoch seit den 1970er-Jahren reale Situationen und Feldstudien ein, um übergreifende Theorien zu entwickeln. Heutzutage werden bildgebende Verfahren genutzt, um komplexe neurophysiologische Funktionen besser zu verstehen, die den Kognitionen zugrunde liegen. Hier hat die Kognitive Psychologie eine Schnittstelle mit der modernen Hirnforschung.

Die Humanistische Psychologie mit ihren Hauptvertretern Abraham Maslow und Carl Rogers betrachtet den Menschen als grundsätzlich gesunde, sich selbst entwickelnde und schöpferische Persönlichkeit. Die Wurzeln der Humanistischen Psychologie liegen im Humanismus und im Existenzialismus (Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger), in der Phänomenologie (Edmund Husserl) sowie in der funktionellen Autonomie (Gordon Allport). Carl Rogers (1961) betrachtete den Menschen als Individuum, das potenziell alle Möglichkeiten besitzt, um sich selbst zu verstehen und seine Selbstkonzepte, seine Grundeinstellung und sein Verhalten selbstgesteuert zu verändern. Förderliche psychologische Einstellungen können helfen, um dieses Potenzial zu entfalten. Psychische Störungen entstehen, wenn Umwelteinflüsse oder hinderliche Einstellungen die Selbstentfaltung blockieren (Rogers 1961). Rogers entwickelte auf dieser Grundlage die klientenzentrierte Psychotherapie.

Grundannahmen der Humanistischen Psychologie sind :

Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile.

Der Mensch lebt in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Der Mensch lebt bewusst und kann seine Wahrnehmungen schärfen.

Der Mensch kann entscheiden.

Der Mensch ist intentional.

(zitiert nach Yalom & Gremmler-Fuhr 1989, S. 30 f.)

Der Humanistischen Psychologie nahe stehen Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, Erich Fromm (humanistische Psychoanalyse), Hans-Werner Gessmann (Psychodrama) und Fritz Perls (Gestalttherapie).

Nach der Beschreibung dieser klassischen psychologischen Schulen sollen nun wesentliche Forschungsgebiete der modernen Psychologie kurz charakterisiert werden.

Forschungsgebiete der Psychologie

Die Sozialpsychologie erforscht, wie Menschen mit ihrer Umwelt und anderen Menschen interagieren. Hier begegnen sich die Forschungsgebiete der Psychologie und Soziologie. Die Sozialpsychologie untersucht Auswirkungen der tatsächlichen oder vorgestellten Gegenwart anderer Menschen auf das Erleben und Verhalten des Individuums. Ebenso wie die Humanistische und die Kognitive Psychologie geht sie davon aus, dass Menschen ihre eigene Realität konstruieren und dass das gesamte Erleben und Verhalten von sozialen Beziehungen beeinflusst wird.

Entwicklungspsychologie ist die Wissenschaft von der psychologischen Reifung und der Entwicklung von der Kindheit bis ins hohe Alter. Die Entwicklungspsychologie beeinflusst die Pädagogik zum Beispiel durch Ergebnisse aus der Lernforschung, Moralentwicklung und Bindungsforschung.

Als weiteres Forschungsgebiet bildete sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts die differenzielle Psychologie oder Persönlichkeitspsychologie im engeren Sinn heraus. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht, wie diese sich messen lässt, und aus welchen Bestandteilen sich zum Beispiel Intelligenz zusammensetzt. Auch die Frage der „Normalität“ gehört in dieses Feld. Die differenzielle Psychologie untersucht Unterschiede zwischen einzelnen Personen, innerhalb einer Person und weiterhin die Frage, wie sich Menschen in ihrer Veränderlichkeit unterscheiden und wie man diese Veränderung beeinflussen kann, z. B. durch Erziehung, Psychotherapie oder andere Maßnahmen.

Neben diesen Grundlagenfächern beinhaltet die wissenschaftliche Psychologie Methodenfächer (empirische Forschungsmethoden, die auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen genutzt werden, etwa in der Pädagogik, Medizin oder Soziologie) und die Anwendungsfächer der klinischen Psychologie, der Organisations- und Wirtschaftspsychologie sowie der Pädagogischen Psychologie.

Die klinische Psychologie beschäftigt sich mit der Diagnose, Behandlung und Vorbeugung psychischer Störungen und Krankheiten. Ihre Grundlagen werden ebenso wissenschaftlich untersucht wie ihre Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten. Die klinische Psychologie berücksichtigt dabei kognitive und emotionale Aspekte und außerdem biologische, soziale, entwicklungs- und verhaltensbezogene Gesichtspunkte. Das relativ neue Feld der Gesundheitspsychologie befasst sich mit der Erhaltung der Gesundheit, der Erforschung und Entwicklung gesundheitsfördernder Maßnahmen und der Prävention2.

Die Pädagogische Psychologie arbeitet im Bereich Schule und Erziehung, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Lernprozessen zu unterstützen. In dieses Feld gehören zum Beispiel die Begabungsdiagnostik sowie die Lehr- und Lernforschung.

Die Arbeits- und Organisationspsychologie befasst sich mit psychologischen Fragen im beruflichen Kontext und mit Wechselwirkungen zwischen Berufstätigen und ihren Arbeitsbedingungen. Im Feld der Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie betrifft dies zum Beispiel Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit, Eignungsdiagnostik, Personalbeurteilung und Konfliktmanagement. Weitere Themen sind Ergonomie, Arbeitssicherheit, psychologische Unfallforschung und die Auswirkung moderner Technologien auf den Menschen3. Arbeits- und Organisationspsychologen arbeiten zum Beispiel in der Personalauswahl, Personalentwicklung, in der betrieblichen Weiterbildung, in der Organisationsentwicklung oder im betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Anwendungsfelder

Es gibt zahlreiche weitere Anwendungsfelder der Psychologie, und diese decken einen breiten Raum ab: z. B. Gesundheitspsychologie, Behavioral Finance, Medien-, Rechts-, Werbepsychologie, Kulturvergleichende-, Geronto-, Sport-, Umwelt-, Verkehrs- oder politische Psychologie. Die moderne Psychologie4 überschneidet sich in ihrer Anwendung mit vielen anderen Fachgebieten, zum Beispiel mit der Medizin, den Neurowissenschaften, der Informatik, Pädagogik, Soziologie, Anthropologie, den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften.

Psychologie kann als Brücke zwischen Philosophie und Physiologie verstanden werden. Der Fokus der Physiologie liegt auf den körperlichen Vorgängen im Gehirn und in den Nervenzellen. Die Psychologie beschäftigt sich mit mentalen Prozessen, mit Gedanken, Sprache und Verhalten. Sie fragt also, wie diese Gedanken entstehen, was sie bewirken, und wie unser Geist arbeitet. Die Philosophie beschäftigt sich ebenfalls mit Gedanken, tut dies aber im Sinne von Ideen sowie der Frage nach ihrer Wahrheit und dem Sinn.

Psychologie vermittelt Menschen also ein Verstehen, konkrete Anleitungen und Lernhilfen dazu, wie sie z. B.

… sich gegenseitig gut verstehen, fair miteinander reden und ihre Wünsche und Anliegen in Gegenseitigkeit und miteinander regeln können.… lernen, effektiv, motivierend und leistungsfreundlich gestalten können.… Gesundheit und Wohlbefinden fördern und schädlichen Stress vermeiden können.… persönliche Fähigkeiten für ihr privates Leben und ihre Arbeit optimal nutzen können.… Ängste überwinden, Verlusterfahrungen und traumatische Erfahrungen bewältigen können.… Kaufverhalten erkennen und beeinflussen können.… eine Vielzahl von sozialen Prozessen in verschiedenen Lebensbereichen menschenfreundlich gestalten können.

Quelle: BDP Berufsverband Deutscher Psychologen (2014)

1.2 Positive Psychologie

1.2.1 Entwicklung der Positiven Psychologie

Neben der breiten Grundlagenforschung der Allgemeinen Psychologie, etwa im Bereich Wahrnehmung, Denken und Lernen, konzentrierte sich die klinische psychologische Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg aus praktischen und gesellschaftlichen Gründen vor allem auf das Erkennen und Behandeln von seelischen Störungen. Staatliche Stellen förderten schwerpunktmäßig Forschungsprojekte, die dabei helfen sollten, die psychische Gesundheit der Kriegsteilnehmer wiederherzustellen. Die Psychologie wurde – vor allem in den USA – mehr und mehr als Teilbereich der Gesundheitsberufe betrachtet und übernahm inhaltlich das medizinische Krankheitsmodell. Martin Seligman charakterisiert dies als victimology („Opfer-Wissenschaft“), die die „Reparatur“ des Patienten in den Mittelpunkt stellt beziehungsweise die seiner „beschädigten Gewohnheiten, der beschädigten Antriebe, beschädigten Kindheit und beschädigten Gehirne“ (2005a, p. 4). Dieser Forschungsansatz, der vor allem auf psychische Krankheit fokussierte, führte zur Entwicklung definierter Konzepte psychischer Störungen und entsprechender evidenzbasierter, wirksamer Behandlungsmethoden.

Weltweit stehen heute Depressionen in Ländern mit mittlerem oder hohem Einkommen an erster Stelle der Krankheitslast5 (WHO 2008). Sowohl individuell als auch gesellschaftlich betrachtet, stehen wir deshalb vor der Aufgabe, wirksame Methoden zu entwickeln und flächendeckend einzusetzen, damit mehr Menschen in einem Zustand psychischen Wohlbefindens leben können. Doch eine bloße Reduktion depressiver Symptome garantiert weder Lebenszufriedenheit noch Wohlbefinden.

Die einflussreichen Psychologieprofessoren Martin Seligman und Ed Diener forderten deshalb vor der Jahrtausendwende eine Neuausrichtung der Forschung und Anwendung in der Psychologie. Seligman selbst war durch seine Arbeiten zu den Hintergründen der Depression bekannt geworden (erlernte Hilflosigkeit6), die bis heute Grundlage einer wirksamen psychotherapeutischen Behandlung sind. Psychotherapie kann sich jedoch nicht darauf beschränken, negative Symptome zu lindern, denn die bloße Abwesenheit von Depression bedeutet noch längst nicht Gesundheit. Zentrales Ziel jeder Psychotherapie muss nach Seligman deshalb die Unterstützung von Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und psychischer Leistungsfähigkeit sein.

Martin Seligman wurde 1998 zum Präsidenten der Amerikanischen Psychologen-Vereinigung (APA) gewählt, was für amerikanische Psychologen eine der höchstmöglichen Ehrungen darstellt. In seiner Antrittsrede forderte er, dass sich die Psychologie auf ihr „Geburtsrecht“ besinnen und sich mit der Erforschung positiver Emotionen, positiver Eigenschaften und positiver Gemeinschaft befassen solle. Statt weiterhin primär auf Defizite und Krankheit zu blicken, sollten Psychologen sich darauf fokussieren herauszufinden, was das Leben lebenswert macht, und die Voraussetzungen für ein solches Leben schaffen (Seligman, 2005a). Seligman prägte damit die positive Psychologie als neuen Forschungszweig der akademischen Psychologie.

Positive Psychologie als empirische Wissenschaft begann also offiziell mit Seligmans Ansprache vor der Amerikanischen Psychologen-Vereinigung im Jahr 1998, doch ihre Ursprünge lassen sich viel weiter zurückverfolgen, bis zu den philosophischen Schriften von Aristoteles über Glück, Sinn und Tugend7. Abraham Maslow kann zu Recht als „Großvater der Positiven Psychologie“ bezeichnet werden, da er sowohl den Namen Positive Psychologie geprägt als auch wesentliche Grundprinzipien positiver menschlichen Entwicklung postuliert hat. Bereits 1954 überschrieb er das letzte Kapitel seines Buchs „Motivation und Persönlichkeit“ mit den Worten „Towards a Positive Psychology“. Seiner Ansicht nach müsse die Psychologie positiver und weniger negativ werden. Sie sollte „keine Furcht haben vor den höheren Möglichkeiten der menschlichen Existenz“ (Maslow 1965, S. 27). Carl Rogers kann neben Maslow als zweiter „Großvater“ betrachtet werden, da er den Menschen als prinzipiell positiv und entwicklungsfähig betrachtete. Sein Konzept der fully functioning person beschreibt ein Kernkonzept der Positiven Psychologie und ist vergleichbar mit dem Begriff des Aufblühens („Flourishing“). Leider lässt sich „fully functioning“ nur schlecht direkt ins Deutsche übertragen, da hier das Wort „funktionieren“ einen eher negativen Beigeschmack hat. Fully functioning beschreibt volle psychische Leistungsfähigkeit – wobei „Leistung“ hier nicht „Arbeitsleistung“ bedeutet, sondern das ganzheitliche und persönlich sinnstiftende Nutzen des eigenen Potenzials.

Niemals sollte der Begriff einer „Positiven Psychologie“ die Existenz einer „Negativen Psychologie“ implizieren oder die bestehende Psychologie als „negativ“ abwerten. Das lag weder in Maslows Absicht noch in der von Seligman oder anderen Begründern der Positiven Psychologie. Martin Seligman und Christopher Peterson, beides namhafte und einflussreiche Forscher, haben die Positive Psychologie von Anfang an als notwendige und sinnvolle Ergänzung der Psychologie verstanden. Seligman nennt sie einen „weiteren Pfeil im Köcher“ und Christopher Peterson äußert in seinem Grundlagenwerk die Hoffnung, dass die Positive Psychologie in einigen Jahren vollständig in die Psychologie integriert sein wird (Peterson 2006).

Leider wird der wegweisende Beitrag von Maslow und Rogers für die Positive Psychologie speziell in der amerikanischen Literatur wenig gewürdigt. Seligman grenzt sich sogar ausdrücklich von der „humanistischen positiven Psychologie“ ab und wirft dieser vor, sie sei nicht empirisch begründet und daher nicht wissenschaftlich (z. B. Seligman & Csikszentmihályi 2000). Im Licht der Tatsache, dass speziell Carl Rogers die empirische Forschung in der Psychotherapie maßgeblich gefördert hat8, erscheint Seligmans Einschätzung jedoch nicht ganz zutreffend. Maslows und Rogers Beitrag zur Positiven Psychologie erfährt in Europa, speziell in England9, übrigens wesentlich mehr Wertschätzung.

Neben der griechischen Philosophie und der Humanistischen Psychologie sind als weitere Grundlagen der Positiven Psychologie folgende Konzepte zu nennen:

Lebenslange Entwicklung (Erik Erikson)

Seelische Gesundheit (Marie Jahoda)

Lebensqualität und Wohlbefinden (Ed Diener, Peter Becker, Beate Minsel)

Ressourcenorientierung (Klaus Grawe, Maja Storch)

1.2.2 Ziele der Positiven Psychologie

Positive Psychologie befasst sich in Theorie und Forschung mit der Frage, was das Leben lebenswert macht. Ziel ist es, Menschen dabei zu unterstützen, Erfüllung und Sinn im Leben zu finden. Die Positive Psychologie möchte dazu beitragen, dass Menschen ihre Stärken erkennen und einsetzen, positive Gefühle erleben und zu einer positiven Gesellschaft beitragen. Interventionen der Positiven Psychologie fördern Wohlbefinden und Glückserleben, erweitern die persönlichen Ressourcen, helfen beim Einsatz eigener Stärken und tragen zu beruflichem Erfolg und privatem Glück bei. In Unternehmen beispielsweise können damit neue Handlungs- und Entwicklungsräume eröffnet und Innovation und Kreativität gefördert werden.

Die Positive Psychologie will also Antworten auf Fragen geben, die über die Jahre nicht nur von Psychologen, sondern von Philosophen, Theologen und Politikern gestellt wurden:

Wie kann man Glück definieren und messen?

Wie lässt sich subjektives Wohlbefinden steigern?

Warum sind manche Menschen oder Gruppen glücklicher als andere?

Die Positive Psychologie geht von der Annahme aus, dass Menschen ein erfülltes Leben führen und ihrem Leben Sinn geben wollen; dass sie daran interessiert sind, ihre guten Seiten zu entwickeln und somit sich selbst, aber auch die Gesellschaft als Ganzes voranzubringen. Damit richtet sich die Positive Psychologie ausdrücklich nicht nur an Patienten mit psychischen Schwierigkeiten oder Störungen, sondern an alle Menschen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Präventionsarbeit. Hier kann die Positive Psychologie zum Beispiel bei der Vorbeugung von Burnout und Depression einen wesentlichen Beitrag leisten. Seligman (2003) beschreibt drei Säulen der Positiven Psychologie: positives Erleben, positive Eigenschaften im Sinne von Tugenden und Charakterstärken und positive Institutionen, die Wachstum erlauben, also „gesunde“ Familien, Wohnumfelder, Schulen und Firmen.

1.2.3 Was Positive Psychologie nicht ist

Positive Psychologie ist nicht gleichzusetzen mit „Positivem Denken“

Manche Kritiker werfen der Positiven Psychologie vor, in ihrem Ansatz Esoterik mit einem psychologischen Mäntelchen zu versehen. Dieser Vorwurf basiert in der Regel auf einer Gleichsetzung von Positiver Psychologie mit Positivem Denken. Das „Positive Denken“ im Sinne der amerikanischen Ratgeberliteratur verfügt über keine wissenschaftliche Basis und wirkt möglicherweise auch besser, wenn man daran glaubt. Die Positive Psychologie ist dagegen ein Gebiet der akademischen Psychologie; ihre Theorien, Modelle und Interventionen werden mit wissenschaftlichen Methoden untersucht. Positives Denken ist deshalb nicht mit der Positiven Psychologie gleichzusetzen.

Ein weiteres Missverständnis besteht darin, dass Kritiker behaupten, die Positive Psychologie blende das Negative einfach aus und sei deswegen vor allem „Happy­ologie“. Dies trifft nicht zu, denn bei der Positiven Psychologie geht es in keiner Weise darum, das Negative im Leben zu ignorieren. Es wird vielmehr in einen neuen Rahmen gesetzt, und gleichzeitig wird das Gute und Bereichernde, das bereits im Leben vorhanden ist, betrachtet und gefördert10.

Positive Psychologie (nach Seligman & Kollegen) ist nicht gleichzusetzen mit Positiver Psychotherapie (nach Peseschkian)

Im deutschsprachigen Raum ist die Methode der Positiven und Transkulturellen Psychotherapie bekannt. Diese wurde um 1970 von Professor Nossrat Peseschkian entwickelt, einem aus dem Iran stammenden Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin, der lange Jahre in Wiesbaden lebte. Peseschkian schrieb zahlreiche Bücher, die auch außerhalb von Fachkreisen bekannt sind, wie zum Beispiel „Der Kaufmann und der Papagei“ (Peseschkian 1979).

Die Entwicklung der Positiven Psychologie in Amerika und die der Positiven und Transkulturellen Psychotherapie in Deutschland verlief unabhängig11. Beide Ansätze basieren auf dem Menschenbild der Humanistischen Psychologie und betrachten den Menschen als grundsätzlich lernbereit und entwicklungsfähig. Auch und gerade bei klinischen Patienten sollten nicht nur die Symptome, sondern immer auch Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen betrachtet werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Positive und Transkulturelle Psychotherapie schreibt dazu auf ihrer Website (2014): „Die Positive Psychotherapie vertritt ein ganzheitliches Menschenbild. Dieser Ansatz berücksichtigt neben den gestörten Bereichen die dem Individuum und der Familie innewohnenden Fähigkeiten.

Der zentrale Begriff ,positiv‘ ist nicht im Sinne einer Wertung zu verstehen, sondern ,positiv‘ bedeutet hier entsprechend seiner ursprünglichen Bedeutung (Lateinisch: positum) das Tatsächliche, das Vorgegebene.

Tatsächlich vorgegeben sind nicht notwendigerweise die Konflikte und Störungen, sondern die Fähigkeiten, die jeder Mensch mitbringt. Positive Psychotherapie richtet also den Blick auf das Ganze und meint damit, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, eine Störung zu entwickeln, und gleichzeitig auch die Fähigkeit zur Gesundung besitzt. Entsprechend diesem Denkansatz berücksichtigt die Positive Psychotherapie nicht nur die Vergangenheit – also die regressive Sicht, sondern sie hat vor allem eine zukunftsorientierte progressive Betrachtungsweise. Oder anders ausgedrückt – neben der Pathologie wird von Anfang an nach den Ressourcen des Patienten im Sinne seiner Selbstheilungskräfte gefragt.

Jedem Menschen wird die Fähigkeit zur Entwicklung seiner noch schlummernden Potenziale zugebilligt. Demnach sieht der Therapeut den Patienten als den Menschen, der er sein könnte, und ist ihm im Prozess zum ,Erkenne dich selbst‘ und ,Sei der du bist‘ behilflich. Das Therapiekonzept basiert damit auf der Grundannahme, dass der Mensch seinem Wesen nach gut ist.“12

Die Positive und Transkulturelle Psychotherapie nach Peseschkian steht auf drei ­Säulen:

Positiver Ansatz: Jeder Mensch besitzt positive Grundfähigkeiten. Positum (im Sinne dessen, „was da ist“) bezieht nicht nur die Störung, sondern auch die anderen Fähigkeiten des Patienten mit ein.

Transkultureller Ansatz: Lebensqualität durch das Balance-Modell. Nach Pe­sesch­kian ist geistige und körperliche Gesundheit nur durch ein Gleichgewicht in den vier Lebensbereichen Körper / Sinne, Leistung / Beruf, Kontakte / Partnerschaft und Sinn / Zukunft zu erreichen.

Methodischer Ansatz: Ein fünfstufiger Weg beschreibt das psychotherapeutische Vorgehen und führt vom Symptom zur Konfliktlösung. Geschichten, Mythen und Lebensweisheiten aus verschiedenen Kulturen helfen dem Klienten ebenso wie Humor, seine Situation zu reflektieren und Veränderungen anzustoßen.

Der Begriff Positive Psychotherapie wird sowohl von der „Peseschkian-“ als auch von der „Seligman-Richtung“ verwendet; beide Ansätze sind aber inhaltlich und methodisch nicht exakt deckungsgleich. Beide Schulen betonen ausdrücklich die Wichtigkeit einer lösungs- und wachstumsorientierten Grundhaltung und stehen damit auf der Grundlage der Humanistischen Psychologie. Peseschkians Ansatz ist vorrangig eine Methode der Psychotherapie, Seligman hat in seiner Antrittsrede die Positive Psychologie als neues wissenschaftlich-psychologisches Forschungsfeld begründet.

1.2.4 Das Manifest der Positiven Psychologie

Nachdem die moderne Positive Psychologie formal 1998 mit Martin Seligmans Antrittsrede vor der APA begründet worden war, wurde es notwendig, dieses Forschungsfeld zu definieren und zu fördern. In den folgenden beiden Jahren trafen sich deshalb zentrale Vertreter, um die Ziele der neuen Positiven Psychologie zu präzisieren. Sie nannten ihr Ergebnis nach dem Ort dieser Treffen im mexikanischen Akumal das „Akumal-Manifest“. Wenngleich man geteilter Meinung sein kann, ob eine wissenschaftliche Richtung ein Manifest benötigt, so sind die Inhalte dennoch hilfreich, um das Gebiet der Positiven Psychologie umfassend verstehen und einordnen zu können. Hier sehen Sie einen Auszug aus dem Text (Sheldon, Frederickson, Rathunde, Csikszentmihályi, & Haidt 2000)13:

1. Definition

Positive Psychologie ist wissenschaftliche Forschung zu optimaler menschlicher Leistungsfähigkeit. Positive Psychologie hat das Ziel, Faktoren zu entdecken und zu unterstützen, die Einzelnen und Gemeinschaften dabei helfen aufzublühen („to thrive“). Die Positive Psychologie beinhaltet eine Verpflichtung für wissenschaftlich arbeitende Psychologen, ihre Aufmerksamkeit auf die Quellen psychischer Gesundheit zu richten und damit über die bisherige Betonung von Krankheit und Störung hinauszugehen.

2. Ziele

Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir optimale Leistungsfähigkeit auf verschiedenen Ebenen betrachten: biologische, erfahrungsbezogene, persönliche, beziehungsrelevante, gesellschaftliche, kulturelle und globale.

Forschung ist notwendig, um Folgendes zu verstehen:

die dynamischen Beziehungen zwischen Prozessen auf diesen Ebenen,

die menschliche Fähigkeit, mit Zusammenhang und Sinn auf unvermeidliche Widrigkeiten

(„inevitable adversity“)

zu antworten und

die Mittel, mit denen „das gute Leben“ in seinen vielen Erscheinungsformen aus diesen Prozessen resultieren kann.

3. Anwendungen

Zu den mögliche Anwendungsfeldern der Positiven Psychologie gehören:

Die Erziehung zu verbessern, durch stärkeres Nutzen intrinsischer Motivation, positiver Gefühle und Kreativität in Schulen.

Die Psychotherapie zu verbessern, durch Entwicklung von Ansätzen, die Hoffnung, Sinn und Selbstheilung unterstützen.

Das Familienleben zu verbessern durch ein besseres Verständnis der Dynamik von Liebe, Generativität und Einsatz.

Die Arbeitszufriedenheit über die Lebensspanne zu verbessern, indem man Menschen dabei hilft, Teilhabe in ihrer Arbeit zu erfahren, dabei Flow zu erleben und einen echten Beitrag zu leisten.

Organisationen und Gesellschaften zu verbessern, indem entdeckt wird, welches die Voraussetzungen sind, die Vertrauen, Kommunikation und Hilfsbereitschaft zwischen Menschen fördern.

Den moralischen Charakter der Gesellschaft zu verbessern, indem spirituelle menschliche Impulse besser verstanden und gefördert werden.

2. Wohlbefinden und Flourishing

2.1 Was ist Glück?

„Glück ist die Bedeutung und der Sinn des Lebens, das Ziel der menschlichen Existenz.“

Aristoteles

Zur systematischen Erforschung menschlichen Wohlbefindens in der Psychologie hat Ed Diener, amerikanischer Psychologieprofessor, entscheidend beigetragen. Bereits in den 1980er-Jahren beschäftigte er sich umfassend mit der Frage, was menschliches Glück14 sei, und definierte subjektives Wohlbefinden als die Verbindung von positiven im Verhältnis zu negativen Gefühlen und persönlicher Lebenszufriedenheit. Subjektives Wohlbefinden (SWB) lässt sich entweder global oder lebensbereichs-spezifisch einschätzen. Diener unterscheidet die Lebensbereiche Selbst, Familie / Beziehungen, Arbeit, Gesundheit und Freizeit.

Die emotionale Komponente des subjektiven Wohlbefindens setzt sich aus dem Verhältnis von positiven und negativen Gefühlen zusammen. Überwiegen die positiven Gefühle, so erlebt ein Mensch subjektives Wohlbefinden. Positive Emotionen allein genügen jedoch nicht, um das komplexe Konstrukt des Wohlbefindens zu beschreiben; die kognitive Komponente der Lebenszufriedenheit gehört ebenfalls dazu. Sie beinhaltet den Grad der Zufriedenheit mit den eigenen Lebensbedingungen.

Emotionales / affektives subjektives Wohlbefinden
Kognitives subjektives
Wohlbefinden

Anwesenheit positiver Emotionen Abwesenheit negativer Emotionen

Lebenszufriedenheit

Dieners Forschung zeigte immer wieder, dass subjektives Wohlbefinden über die Zeit hinweg relativ stabil bleibt und auch mit Persönlichkeitsfaktoren zusammenhängt. Personen, die sich eher als extravertiert und optimistisch einschätzen und stabile soziale Beziehungen haben, erleben höheres Wohlbefinden. Äußere günstige Umstände beeinflussen das Glückserleben dagegen weniger stark als zum Beispiel das Erreichen persönlich wichtiger Ziele. Und schließlich tragen kulturelle Einflüsse zum subjektiven Wohlbefinden bei; „Glücklich-Sein“ wird in den USA anders definiert als in Japan oder in den Slums der dritten Welt. Diese Erkenntnisse wurden bereits vor der Jahrtausendwende veröffentlicht (vgl. etwa Diener, Suh, Lucas, & Smith 1999), und so konnte sich die Positive Psychologie in ihrer weiteren Forschung darauf stützen, zum Beispiel bei der Frage, wie sich Glück auf Gesundheit oder Einkommen auswirkt.

Wenn subjektives Wohlbefinden wie beschrieben aus positiven vs. negativen Emotionen und Lebenszufriedenheit besteht, würde folglich das persönliche Glücksniveau steigen, wenn mehr positive Gefühle und / oder eine größere Zufriedenheit mit dem eigenen Leben erlebt werden. Hier setzen die Interventionen der Positiven Psychologie an.

Unterschiede im subjektiven Wohlbefinden lassen sich nicht nur bei Individuen nachweisen, sondern auch bei Nationen. Felicia Huppert und Timothy So von der Universität Cambridge werteten Ergebnisse einer großen europäischen Umfrage aus, in der jeweils 2000 Erwachsene aus 23 EU-Ländern befragt wurden (Huppert & So 2013). Danach zeigten sich die Dänen als glücklichstes Volk, gefolgt von der Schweiz, Österreich und den anderen skandinavischen Ländern, während Russland, Portugal und die anderen osteuropäischen Länder die Schlusslichter in dieser Rangreihe darstellen. Deutschland liegt genau im Mittelfeld. Für das Glück von Nationen spielt eine Rolle, wie wohlhabend, stabil und demokratisch die Gesellschaft ist. Außerdem scheint relevant, wie die Gesellschaft das Streben nach positiven bzw. die Vermeidung negativer Erfahrungen bewertet (Seligman 2012).

Große Armut macht Menschen unglücklicher – doch großer Reichtum macht sie nicht glücklicher. US-Bürger, deren Lebensstandard heute im Durchschnitt deutlich höher ist als vor 100 Jahren, sind im Vergleich jetzt sogar unglücklicher als früher (Diener & Biswas-Diener 2011). Und ein Land auf der Welt hat die Vermehrung des Glücks zum Staatsziel erklärt: Der König von Bhutan hatte bereits 1972 den Begriff Gross National Happiness („Brutto-National-Glück“) als Ziel für sein Land eingeführt; mehr als 20 Jahre bevor Martin Seligman die Positive Psychologie formal als Forschungsfeld begründete. Ziel des Königs von Bhutan war seinerzeit, sein Land in eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu führen, die sich im Einklang mit den spezifischen religiösen und kulturellen Werten vollziehen und nicht nur westlichen Wohlstandsidealen nacheifern sollte. Dies führte dazu, dass der Tourismus in Bhutan anders entwickelt wurde als in vergleichbaren Ländern; ausländische Reisende mussten beispielsweise dafür bezahlen, um in Bhutan herumreisen zu können, und diese Einnahmen wurden in Bildung und Straßenbau investiert. Bis heute gilt Bhutan als Land, in dem das Glück der Bürger eine wichtige Rolle spielt.

2.2 Was bringt Glück?

Sonja Lyubomirsky ist neben Martin Seligman und Barbara Fredrickson sicher eine der meistgelesenen Autorinnen im Feld der Positiven Psychologie, gerade auch, wenn es um populärwissenschaftliche Veröffentlichungen geht. In ihrem Buch Glück­lich sein – The How of Happiness (Lyubomirsky 2008a) zeigt sie zahlreiche wissenschaftlich fundierte und alltagstaugliche Wege auf, um das eigene Wohlbefinden zu erhöhen. Eines ihrer Forschungsergebnisse, das sogenannte „Tortendiagramm“ wird jedoch häufig falsch zitiert. Lyubomirsky konnte mit einer großen Metastudie differenzieren, wie das persönliche Glücksempfinden von verschiedenen Faktoren abhängt, nämlich von äußeren Lebensumständen, anlagebedingten Voraussetzungen und aktivem Handeln (Sin & Lyubomirsky 2009). Das Verhältnis dieser Faktoren wird meist in einem einfachen Tortendiagramm dargestellt.

Abbildung 1: Entscheidende Faktoren für Glück (Quelle: Sonja Lyubomirsky, University of California, Riverside)

Die äußeren Lebensumstände (wie zum Beispiel materieller Wohlstand oder die derzeitige Wohnsituation) tragen demnach nur etwa 10 Prozent zum persönlichen Wohlbefinden bei, anlagebedingte Voraussetzungen (wie zum Beispiel die Gene) 50 Prozent und das aktive persönliche Verhalten weitere 40 Prozent. Dieses Modell scheint einleuchtend und plausibel, und das ist sicher auch der Grund, warum es häufig zitiert wird. Leider wird dabei in der Regel eine zentrale Tatsache übersehen: Das Tortendiagramm zeigt nämlich nicht prozentuale Anteile der drei Faktoren in Bezug auf das Glückserleben einer einzelnen Person, sondern es beschreibt vielmehr, worauf die Unterschiede im Glücksempfindenzwischen Personen zurückzuführen sind. Es würde auch relativ wenig Sinn machen, wenn man das Modell individuell auf eine einzelne Person anwendet, denn welchen Nutzen hätte die Aussage, dass ihr persönliches Wohlbefinden zu 50 Prozent an ihren genetischen Voraussetzungen hängt? Was könnte die Person damit anfangen?

Die Prozentangaben im Tortendiagramm beziehen sich auf statistische Varianzen, das heißt, auf Unterschiede im Glücksniveau zwischen vielen verschiedenen Personen. Betrachtet man diese Unterschiede zwischen vielen Personen, dann lassen sich diese, grob gesagt, zu 50 Prozent auf genetische Veranlagung zurückführen, zu 10 Prozent auf äußere Umstände15 und eben zu weiteren 40 Prozent auf individuelles, selbstgesteuertes Verhalten. Ein Coach könnte das Tortendiagramm also nutzen, um seine Klienten zu überzeugen, dass sie durchaus aktiv etwas zu ihrem persönlichen Wohlbefinden beitragen können, denn im Durchschnitt lassen sich 40 Prozent der Unterschiede im Glücksempfinden innerhalb einer Gruppe auf aktives Handeln zurückführen. Dies jedoch für eine Person individuell zu beziffern („Wenn Sie diese Intervention durchführen, werden Sie um 40 Prozent glücklicher sein“) wäre sachlich falsch.

„Glücklich zu sein“ heißt weit mehr, als nur „sich gut zu fühlen“. Glück macht nicht nur subjektiv zufrieden, sondern hat weitreichende Auswirkungen16. Glückliche Menschen sind sozial kompetenter, kooperativer, beliebter, großzügiger, flexibler, kreativer und attraktiver für andere. Sie können besser führen und verhandeln, haben stabilere Beziehungen, größere soziale Netzwerke, mehr Erfolg im Beruf und bessere Strategien, um mit Rückschlägen umzugehen. Und es zeigt sich auch ein positiver Effekt auf Gesundheit und Lebensdauer: Ihr Immunsystem ist stärker, damit werden sie seltener krank bzw. schneller wieder gesund.

Übersetzt man das nun in Denk- und Verhaltensmuster, so ergibt sich folgendes Spektrum:

Glückliche Menschen pflegen und genießen Beziehungen zu Familienmitgliedern und Freunden.

Sie drücken ihre Dankbarkeit aktiv aus.

Sie bieten anderen Hilfe an, z. B. Kollegen oder Passanten.

Sie blicken optimistisch in ihre Zukunft.

Sie genießen ihr Leben und sind innerlich mehr im gegenwärtigen Moment als in der Vergangenheit oder Zukunft.

Sie treiben regelmäßig bzw. häufig Sport.

Sie verfolgen Ziele und Ideale (z. B. ihren Kindern Werte weiterzugeben).

Sie erfahren ebenso Stress, Krisen und Tragödien wie andere Menschen, doch sie gehen konstruktiver mit diesen Herausforderungen um.

Positiv psychologische Interventionen bzw. Übungen spiegeln Denk- und Verhaltensmuster glücklicher Menschen. Die Interventionen stellen also sozusagen ein Trainingsfeld her, in dem die Muster geübt werden können. Dies führt in der Regel schnell zu positiven Wirkungen und trägt so unmittelbar zur Stabilisierung der neuen Gewohnheiten bei. Diese Ergebnisse empirischer Studien lassen sich also direkt für Coaching, Training und Persönlichkeitsentwicklung anwenden. Sie bieten sozusagen „Grundrezepte“ an, wie persönliche Denk- und Verhaltensgewohnheiten verändert werden können, um langfristig mehr Zufriedenheit und Wohlbefinden zu erleben. Für den Erfolg ist aber entscheidend, wie es dem Anwender gelingt, diese neuen Gewohnheiten zu stabilisieren und sie als selbstverständliche Bausteine in sein Verhaltensrepertoire aufzunehmen.

2.2.1 Langlebigkeit: Die Nonnenstudie

Eine häufig zitierte Studie konnte einen Zusammenhang zwischen positiven Gefühlen und Lebensdauer nachweisen (Danner, Snowdon, & Friesen 2001). Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass negative Emotionen das Immunsystem schwächen und das Krankheitsrisiko erhöhen, positive Emotionen aber den entgegengesetzten Effekt haben können. Danner und Kollegen wählten für ihre Studie einen recht ungewöhnlichen Rahmen: Sie untersuchten mehr als 600 US-amerikanische Nonnen, deren Lebensumstände sich verständlicherweise stark glichen. Um die Stimmungslage der Ordensschwestern zu bestimmen, verglichen die Forscher persönliche Texte, die die jungen Frauen bei ihrem Eintritt in den Orden geschrieben hatten. Man ging davon aus, dass sich in diesen Texten die emotionale Grundstimmung der Nonnen deutlich spiegeln würde. Die persönlichen Texte wurden um 1940 herum geschrieben; die angehenden Ordensschwestern waren im Schnitt 22 Jahre alt. Die Texte wurden auf ihre Menge an positiv emotionalen Wörtern und Sätzen verglichen sowie auf die Vielfalt positiver emotionaler Ausdrucksweisen. Zum Zeitpunkt dieser Analyse waren 60 Prozent der Nonnen bereits verstorben und so konnte die Lebensdauer als zusätzliche Variable in die Studie mit einfließen.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Frauen, die in ihren persönlichen Berichten zum Zeitpunkt ihres Eintritts in den Orden mehr positive Emotionen ausgedrückt hatten, im Schnitt zehn Jahre länger gelebt hatten. Da die Nonnen noch zu Lebzeiten einer medizinischen Untersuchung ihres Gehirns nach ihrem Tod zugestimmt hatten, konnte ein weiterer erstaunlicher Befund festgestellt werden: Die glücklicheren Nonnen hatten nicht nur länger gelebt; ihre Gehirne wiesen auch deutlich weniger Anzeichen degenerativer Veränderung (Alzheimer) auf. Außergewöhnlich war weiterhin, dass in den Gehirnen von 15 verstorbenen Nonnen zwar Anzeichen von Alzheimer gefunden wurden, die Frauen aber zu Lebzeiten keine Anzeichen von Demenz gezeigt hatten.

Die Nonnenstudie ist damit eine der klassischen Studien, die auf die Bedeutsamkeit von positiven Emotionen für Lebensqualität, Lebensdauer und geistige Gesundheit hinweist.

2.3 Wohlfühlglück und Werteglück

„Das gute Leben ist ein Prozess, kein Zustand.“ Carl Rogers

Ein klassisches Gedankenexperiment zeigt, dass Glück nicht einfach nur mit positiven Gefühlen gleichgesetzt werden kann. Darin stellt der Philosoph Robert Nozick Menschen vor die Frage, ob sie – hätten sie die Wahl – sich dafür entscheiden würden, sich an eine Maschine anschließen zu lassen, die ihnen dauerhaftes Wohlfühlglück garantieren könnte (Nozick 1974). Die damit verbundenen positiven Gefühle wären echt, lebenslang garantiert und man bräuchte rein gar nichts dafür tun, um sie zu erleben. Man müsste sich nur darauf einlassen, lebenslang an diese Maschine angeschlossen zu bleiben. Fragt man Menschen, ob sie bereit wären, sich an eine solche Maschine anschließen zu lassen, so antworten bei Weitem nicht alle mit Ja, denn dauerhafte positive Gefühle ohne persönlichen Einsatz erscheinen vielen letztendlich leer und sinnlos. Nozicks Gedankenexperiment führt deutlich vor Augen, wie wichtig es für menschliches Wohlbefinden ist, sich zu engagieren und aktiv zum eigenen Glück beizutragen.

Wohlfühlglück: das angenehme Leben

Hedonisches Glück besteht darin, angenehme Gefühle zu suchen und Schmerz zu vermeiden. Wir erleben Wohlfühlglück, wenn wir Tätigkeiten ausführen, die uns wohltun und gefallen. Ein warmes Bad, das Betrachten eines Sonnenuntergangs, die Nackenmassage durch den Partner, ein entspannter Spaziergang oder Stadtbummel, gutes Essen, vielleicht gefolgt von einem Cappuccino, der an den letzten Urlaub erinnert … all dies beschreibt Momente des Wohlfühlglücks. Oft liegen ihre Quellen in der Umwelt, die als angenehm und wohltuend erlebt wird.

Werteglück: das erfüllte Leben

Eudaimonisches Glück entsteht, wenn Menschen das tun können, was sie für wertvoll erachten. Damit ist immer das Streben nach persönlich wichtigen Werten und Zielen verbunden. Oft, jedoch nicht immer, werden dabei positive Gefühle erlebt. Manchmal ist Werteglück sogar mit dem vorübergehenden Erleben unangenehmer Gefühle verknüpft. Immer ist eudaimonisches Glück aber mit persönlichen Werten und dem eigenen Best Self verbunden, also der bestmöglichen Ausgabe seiner Selbst im Sinne von Goethes Appell „Werde, der du bist“.

Die Unterscheidung zwischen Wohlfühlglück und Werteglück lässt sich bis in die antike griechische Philosophie, speziell zu Aristoteles, zurückverfolgen. In seiner Nikomachischen Ethik weist Aristoteles das Prinzip des Hedonismus zurück, der das angenehme Leben als höchstes Ziel postuliert. Er beschreibt Menschen, die dem angenehmen Leben nachjagen, als Sklaven und vergleicht sie mit grasenden Tieren (Aristoteles 2011). Für Aristoteles besteht Erfüllung darin, moralische Werte zu verwirklichen und ein gutes, das heißt tugendhaftes und wertvolles, Leben zu führen. Glück ist für Aristoteles die natürliche Konsequenz18 eines guten Lebens, das sowohl Charakter als auch Handeln umfasst und menschliche Exzellenz verwirklicht. Eudaimonia, das Ergebnis eines solchen guten Lebens, beschreibt nach Aristoteles den Prozess, wie ein Mensch mit Vernunft und Maß lebt und sich in Richtung des guten Lebens ausrichtet. Psychologisch betrachtet resultiert aus diesem Prozess des guten Lebens persönliche Zufriedenheit im Sinne subjektiven Wohlbefindens. Das eigene Handeln wird als wert- und sinnvoll erlebt.

Abbildung 2: Wohlfühlglück – Werteglück

In der Positiven Psychologie wird die Unterscheidung zwischen hedonischem und eudaimonischem Prinzip auf verschiedenen Ebenen genutzt, etwa um unterschiedliche Motivationsformen oder um den Glücksbegriff generell zu differenzieren. Hedonisches Glück fokussiert auf spezifische Ergebnisse, nämlich die Anwesenheit angenehmer Gefühle und die Abwesenheit von Schmerz. Eudaimonisches Wohlbefinden umfasst dagegen mehr den Inhalt des eigenen Lebens und der damit verbundenen Prozesse, zum Beispiel Gesundheit, Vitalität, Nähe und Sinnerleben. Eudaimonisches Glück lässt sich mit dem Ausdruck „das Gute Leben“ umschreiben (Blickhan 2014). Einerseits wird das „Gute“, also das Wertvolle und Sinnhafte gelebt, andererseits ist das Leben selbst „gut“. Dies kann mit angenehmen Gefühlen verbunden sein, muss es aber nicht. Es sind durchaus auch Situationen im Leben denkbar, in denen man ein hohes Maß an eudaimonischem Wohlbefinden erlebt und wenig hedonisches Glück, etwa wenn man sich intensiv für eine persönlich wichtige Sache engagiert und dabei auf Komfort, Freizeit und ähnliche „Wohlfühlquellen“ verzichtet.

Die Unterscheidung dieser beiden komplementären Aspekte des hedonischen und eudaimonischen Glücksempfindens sind zentral für ein umfassendes Verständnis der Positiven Psychologie und ihrer sinnvollen Anwendung.

 SELBSTREFLEXION

Wohlfühlglück und Werteglück

Welche Aktivitäten, Dinge, Ereignisse etc. sind in Ihrem Leben Quellen für Wohlfühlglück? Welche für Werteglück?

Schreiben Sie jeweils 5 bis 10 Punkte auf und vergleichen Sie die beiden Listen. Welche Begriffe erscheinen in beiden Spalten?

Vergleichen Sie Ihre Glücksquellen nach folgenden Aspekten:

Wie lange hält das Glücksgefühl an?Welche Zeitperspektive ist damit vorranging verbunden? Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft?Wo erleben Sie das Glück für sich allein, wo in Verbindung mit anderen Menschen?

Schließlich: Welche Erkenntnisse hat Ihnen diese Reflexion gebracht? Welche Veränderungen möchten Sie in Ihrem Leben anstoßen?

2.3.1 Psychologisches bzw. psychisches19 Wohlbefinden

Das Modell des psychologischen bzw. psychischen Wohlbefindens (Ryff 1989) stellt eine Erweiterung von Ed Dieners Modell des subjektiven Wohlbefindens dar. Carol Ryff beschreibt damit psychische Leistungsfähigkeit; dabei ist allerdings wichtig, die Bedeutung des englischen positive psychological functioning präzise ins Deutsche zu übertragen. Psychological functioning bedeutet nicht etwa „gut funktionieren“, sondern umfasst vielmehr psychische Leistungsfähigkeit im Sinne der Realisierung des eigenen Potenzials. Dies entspricht der selbstaktualisierten fully functioning person nach Rogers (1961) und auch der Beschreibung der WHO im Sinne der Liebes-, Arbeits- und Genussfähigkeit.

Bausteine für psychisches Wohlbefinden (Ryff 1989)

Self-acceptance:Sich selbst akzeptieren

eine positive Grundeinstellung sich selbst gegenüberist ein zentrales Kriterium psychischer Gesundheit und psychischer Reifeist ein Charakteristikum der Selbstaktualisierung

Positive relations with others:Positive Beziehungen

warme, vertrauensvolle Beziehungen mit anderenEmpathiefähigkeit, Bindungsfähigkeitist ein weiteres zentrales Kriterium psychischer Gesundheit und psychischer Reife

Autonomy:Autonomie, Selbstbestimmtheit

die eigenen Werte als Kompass des eigenen Verhaltens nutzeninterne Bewertung statt Suche nach externer Anerkennungbedeutet nicht: Anarchie, Unabhängigkeit um jeden Preis!

Environmental mastery:Selbstwirksamkeit, aktive Gestaltung von Lebensumständen

die Fähigkeit, die eigene Umwelt zu wählen und zu gestalten bzw. mitzugestaltenaktive Teilhabe an der UmweltBewältigung von Alltagsanforderungenist ein zentrales Kriterium psychischer Gesundheit

Purpose in life:Sinn im Leben, relevante persönliche Ziele

klares Verständnis des eigenen Lebenssinns und -zielsZielorientierung, Ausrichtung an größeren Zielen / VisionenIst ein Kriterium psychischer Reife: „erfolgreich alt werden“ und den eigenen Lebensprozess akzeptieren

Personal growth:Persönliches Wachstum

kontinuierliche persönliche Entwicklung im Lauf des LebensOffenheit für neue ErfahrungenSelbstaktualisierung

Ryffs Konzept des Psychischen Wohlbefindens ist in vielen Aspekten eng verwandt mit dem eudaimonischem Glücksbegriff. Wong (2011) beschreibt eudaimonisches Glück sogar als Oberbegriff für psychisches Wohlbefinden, intrinsische Motivation, Flow, Sinnerleben und Mitmenschlichkeit. Er definiert Eudaimonia als Lebensstil, bei dem Tugend, Sinn und aktives Beitragen zum Besseren zur persönlichen Erfüllung und zum Flourishing führen. Dieses Glück kommt aus einem Leben, das „aktiv das Beste an Charakter oder Tugend ausdrückt“ (Wong 2011, S. 70, Übersetzung D. Blickhan).

Die beiden Aspekte des hedonischen und eudaimonischen Wohlbefindens sind die meistgenannten Unterscheidungen, wenn es um Glück geht. Manche Autoren nennen noch zwei weitere Facetten: prudential happiness und chaironic happiness.

Prudential happiness, auf Deutsch etwa „das kluge Glück“, entsteht aus einem erfüllten und aktiven Leben. Diese Zufriedenheit ist eng verbunden mit Flow und intrinsischer Motivation. Ein Mensch, der das tut, was er gut oder sehr gut kann, und daran Freude hat, wird prudential happiness erleben. Haybron (2000) betont, dass dabei Fragen der Moral oder der Tugend keine große Rolle spielen, sondern die persönliche Erfüllung im Sinne des Flowerlebens im Vordergrund steht. Das Gegenteil von prudential happiness wäre Langeweile und innere Leere (Wong 2011).

Chaironic happiness, auf Deutsch „Glückseligkeit“ oder „gesegnetes Glück“, beschreibt einen inneren Zustand der Ehrfurcht, Dankbarkeit und des Eins-Seins mit der Natur oder dem Göttlichen. Die Bezeichnung geht auf das griechische chairo zurück, das so viel wie Segen, Freude oder Geschenk bedeutet. Für Wong (2011), der diese Facette menschlichen Glücks in seinem Artikel Positive Psychology 2.0 beschrieb, sind Achtsamkeit und Empfänglichkeit die Grundlage dieser Art des Glücks. Sie ist oft mit persönlichen Gipfelerlebnissen oder spirituellen Erfahrungen verbunden, sei es in der Meditation oder in der Natur. Wong (2011) nennt chaironic happiness „den existenziellen, spirituellen Weg zum Glück“ (S. 70, Übersetzung D. Blickhan) und verweist auf die Notwendigkeit einer weiteren theoretischen und empirischen Fundierung des Konzepts in der Psychologie.

2.4 Salutogenese

Salutogenese bedeutet übersetzt „Entstehung von Gesundheit“ und geht auf den Medizinsoziologen Aaron Antonovsky zurück, der damit bereits in der 1970er-Jahren das Konzept von Gesundheit und Krankheit grundlegend prägte. Antonovsky beschrieb Gesundheit und Krankheit nicht als Dichotomie, sondern als Kontinuum, auf dem Veränderung leichter abbildbar ist als in einer Gegenüberstellung von zwei separaten Zuständen. Der Ansatz der Salutogenese untersucht die Frage, wie Menschen gesund werden und bleiben, sich also weg vom krankheitsorientierten zum gesunden Pol des Kontinuums „Gesundheit – Krankheit“ entwickeln.

Antonovsky (1979) entwickelte das Konzept der Salutogenese in den 70er-Jahren auf der Grundlage von Daten zur Gesundheit israelischer Frauen. Selbst in der Gruppe, die in jungen Jahren in Konzentrationslagern gewesen war, zeigte ein Drittel später eine gute psychische Gesundheit. Andererseits lagen Studien aus modernen Industriegesellschaften vor, die bei einem Drittel der Bevölkerung Krankheit feststellten. Diesem Widerspruch wollte Antonovsky in seiner Forschung nachgehen. Er ging dabei von der Annahme aus, dass der Mensch mit einer Vielzahl an Stressoren konfrontiert wird und dadurch in einen Spannungszustand gerät, mit dem er umgehen muss. Das Ergebnis dieses Coping-Prozesses ist individuell verschieden und kann entweder krank machen, neutral sein oder gesund erhalten. In seinem ersten Buch führte Antonovsky (1979) das auf sogenannte generalisierte Widerstandsressourcen zurück, zum Beispiel auf Ich-Stärke, soziale Unterstützung, kulturelle Stabilität oder die finanzielle Situation.

Für die positive Entwicklung im Kindes- und Jugendalter beschreibt Antonowsky (1979, 1997) folgende salutogenetisch wirksamen Widerstandsressourcen:

eine stabile emotionale Beziehung zu mindestens einem Elternteil oder einer anderen Versorgungsperson;

soziale Unterstützung innerhalb und außerhalb der Familie, z. B. durch Verwandte, Nachbarn, Lehrer und Gleichaltrige;

ein emotional warmes, offenes, strukturierendes und normorientiertes Erziehungsklima;

soziale Modelle, die zu konstruktivem Bewältigungsverhalten ermutigen, z. B. Eltern, Geschwister, Lehrer, Pfarrer;

dosierte soziale Verantwortlichkeit und Leistungsanforderungen, z. B. Sorge für andere Verwandte, Pflichten in der Schule;

kognitive Kompetenzen, z. B. ein mindestens durchschnittliches Intelligenz­niveau, kommunikative Fertigkeiten, eine realistische Zukunftsplanung;

Temperamentseigenschaften, die eine effektive Bewältigung begünstigen, z. B. Flexibilität, Annäherungsverhalten, Impulskontrolle;

Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, internale Kontrollüberzeugungen, Selbstvertrauen und ein positives Selbstkonzept;

die Art und Weise, wie die Person mit Belastungen umgeht, insbesondere die aktive Bemühung um Problembewältigung (aktives Coping).

Da die Anzahl dieser Widerstandsressourcen vielfältig schien, suchte Antonovsky ein Auswahlkriterium, das eine Aussage darüber zuließ, wie etwas individuell als generalisierte Widerstandsressource wirken könnte. Er fand es in der Erfahrung von Sinn, Struktur und Bedeutung in der eigenen Entwicklung, im Kohärenzsinn (sense of coherence). Dieser drückt das Maß aus, in dem man „ein durchdringendes, andauerndes, aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass

die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind;

einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen;

diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen“ (Antonovsky & Franke 1997, S. 36).

Der Kohärenzsinn (sense of coherence)

Der Kohärenzsinn entsteht aus drei Komponenten, die ihrerseits wieder miteinander verbunden sind.

Verstehbarkeit

Diese Komponente betrifft die kognitive Einordnung einer belastenden Erfahrung, speziell in ihrer Vorhersehbarkeit. „Warum ist das geschehen?“ Wird eine Erfahrung als chaotisch, willkürlich, zufällig und unerklärlich erlebt oder ist es möglich, eine Ordnung, Struktur und Konsistenz herzustellen? Die Dimension der Verstehbarkeit ist nicht mit der Erwünschtheit eines Ereignisses gleichzusetzen. Es geht hier primär um die Frage, ob sich jemand ein Ereignis subjektiv erklären kann.

Handhabbarkeit

Sie umfasst die konkrete, verhaltensorientierte Bewältigung der Erfahrung: „Wie kann ich damit umgehen?“ Es geht hier um die Frage, inwieweit geeignete Ressourcen verfügbar sind, um den Anforderungen der Situation gewachsen zu sein. Die Erfahrung der Handhabbarkeit ist der sogenannten Opferrolle diametral entgegengesetzt.

Bedeutsamkeit

Diese Dimension zielt auf die Einordnung der Erfahrung in einem größeren Sinnzusammenhang. „Welchen Sinn ergibt das?“ Für Antonovsky stellt diese Komponente das motivationale Element dar. Sie bezieht sich auf das Ausmaß, „indem man das Leben emotional als sinnvoll empfindet: dass wenigstens einige der vom Leben gestellten Probleme und Anforderungen es wert sind, dass man Energie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforderungen sind als Lasten, die man gerne los wäre“ (Antonovsky & Franke 1997, S. 35 f.). Antonovsky bezieht sich bei der Benennung dieser dritten Komponente explizit auf Viktor Frankls Werk (1985).

2.5 Flourishing

„Die Mehrzahl der Themen und Anwendungen der Positiven Psychologie zielt darauf ab, Flourishing zu erhöhen.“ Seligman (2011)

Abbildung 3: Flourishing

Flourishing stellt eines der zentralen Konzepte der Positiven Psychologie dar und umfasst subjektives Wohlbefinden, psychische Leistungsfähigkeit und persönliches Wachstum. Flourishing besteht aus kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Prozessen eines selbst-aktualisierenden Organismus.

Derzeit wird Flourishing in der Positiven Psychologie mit drei Modellen ­beschrieben:

das

Doppel-Kontinuum der geistigen Gesundheit

nach Keyes (2002)

das

Spektrum geistiger Gesundheit

nach Huppert (2005)

die Elemente des Wohlbefindens nach Seligman (

PERMA

, 2011b)

2.5.1 Das Doppel-Kontinuum der geistigen Gesundheit

Die Abwesenheit psychischer Krankheit bedeutet noch nicht psychische Gesundheit; so lautet die zentrale Aussage von Keyes Modell (2002). Er erweitert damit die eindimensionale Definition psychischer Gesundheit (gesund versus krank im Sinne einer Diagnose wie z. B. Depression oder Angststörung) um eine zweite Dimension des Aufblühens versus Verkümmerns.

Damit ergeben sich im Doppel-Kontinuum der geistigen Gesundheit von Keyes vier mögliche Quadranten:

Abbildung 4: Doppel-Kontinuum der geistigen Gesundheit (Keyes 2002)

Verkümmern: Im unteren Bereich des Schemas finden sich zwei Aspekte eingeschränkter psychischer Leistungsfähigkeit: Es beschreibt einerseits Menschen, die psychisch eingeschränkt leistungsfähig sind und gleichzeitig eine Diagnose tragen. (Keyes beschränkt sich hier auf die häufigsten Diagnosen psychischer Störungen, d. h. auf Depression und Angststörung.) Andererseits lässt sich hier auch das Befinden von Menschen mit eingeschränkter psychischer Leistungsfähigkeit einordnen, bei denen keine oder auch noch keine Diagnose vorliegt.

Aufblühen: Im oberen Bereich des Vier-Felder-Schemas lassen sich Menschen einordnen, die psychisch voll leistungsfähig sind, d. h. umfassend „liebes-, arbeits- und genussfähig“ im Sinne der WHO-Definition; einerseits bei gleichzeitigem Vorhandensein einer Diagnose und andererseits bei psychischer Gesundheit.

Eine Studie mit über 3000 US-Amerikanern20 zwischen 25 und 75 Jahren zeigte, dass nur etwa zwei von zehn Erwachsenen in einem Zustand des Flourishing leben (Keyes 2002). Etwa 60 Prozent der Stichprobe beschrieb sich als mittelmäßig zufrieden (weder aufblühend noch verkümmernd) und 12 Prozent fanden sich am unteren Ende des Kontinuums in einem Zustand des Verkümmerns(Languishing). Sie zeigten geringes Wohlbefinden und eine eingeschränkte psychische Leistungsfähigkeit.

Bei insgesamt 14 Prozent der Stichprobe lag eine Diagnose einer psychischen Störung vor. Personen im Zustand des „Verkümmerns“ litten doppelt so oft unter einer schweren Depression wie moderat psychisch gesunde Menschen und sechsmal so häufig im Vergleich mit Personen im Zustand des Flourishing. Allerdings gab es auch unter den klinisch diagnostizierten depressiven Patienten Flourishing, wenn auch deutlich seltener als bei gesunden Erwachsenen.

Von zehn Erwachsenen leben also laut dieser Studie nur zwei auf einem Level optimaler psychischer Leistungsfähigkeit. Von den verbleibenden acht Erwachsenen sind im Schnitt zwei klinisch depressiv; sechs sind zwar in ihrem Alltag mehr oder weniger zufrieden, leben aber auf einem deutlich niedrigeren psychischen Leistungsniveau, als sie es könnten. Eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit wäre nicht nur – im Sinne höheren psychischen Wohlbefindens – subjektiv erstrebenswert, sondern durchaus auch objektiv, denn Flourishing führt zu gesteigerter Produktivität. Zudem können Menschen dann auch besser mit belastenden Lebensereignissen umgehen, ohne klinische Symptome zu entwickeln (vgl. Diener & Biswas-Diener 2011). In diesem Sinne kann eine Förderung von Flourishing in der allgemeinen Population also auch als präventive Maßnahme verstanden werden.

Um das Ausmaß an Flourishing zu messen, nutzte Keyes die Kriterien des subjektiven und psychischen Wohlbefindens nach Diener bzw. Ryff und erweiterte sie um eine dritte, soziale Dimension.

Flourishing (nach Keyes 2002)

1. Subjektives Wohlbefinden (SWB, Diener 2000)

Ausmaß positiver Gefühle verglichen mit negativen Gefühlen, außerdem Lebenszufrie­denheit

2. Psychisches Wohlbefinden (Ryff & Keyes 1995)

sich selbst akzeptieren

positive Beziehungen

Autonomie, Selbstbestimmtheit

Selbstwirksamkeit, Bewältigung von Alltagsanforderungen, aktive Gestaltung von Lebensumständen

Sinn im Leben, relevante persönliche Ziele

persönliches Wachstum

3. Funktionales soziales Wohlbefinden (Keyes 1998)

soziale Akzeptanz, soziales Wachstum, sozialer Beitrag, sozialer Zusammenhalt, soziale Integration

Flourishing bedeutet:

hohe Werte in einer Skala des Subjektiven Wohlbefindens und

hohe Werte in 6 der 11 Skalen des Psychischen und Sozialen Wohlbefindens

Languishing bedeutet:

niedrige Werte in einer Skala des Subjektiven Wohlbefindens und

niedrige Werte in 6 der 11 Skalen des Psychischen und Sozialen Wohlbefindens

2.5.2 Das Spektrum geistiger Gesundheit

Felicia Huppert von der Universität Cambridge betrachtet in ihrem Ansatz für Flourishing nicht einzelne Individuen, sondern ganze Populationen, d. h. große Gruppen von Menschen. Sie definiert Flourishing ähnlich wie Keyes, unterteilt dabei aber in Kern- und Zusatzmerkmale.

Psychische Gesundheit und Flourishing (nach Huppert 2005)

Drei Kernmerkmale:

Positive Emotionen

Engagement

Sinn

Sechs Zusatzmerkmale:

Optimismus, Resilienz, Vitalität, positive Beziehungen, Kompetenz, emotionale Stabilität

Flourishing bedeutet:

Hohe Werte für die drei Kernmerkmale und für drei der sechs Zusatzmerkmale

Nach einer großen Umfrage zeigte sich im Jahr 2006 / 2007 in Europa folgende Verteilung (Huppert & So 2013):

Abbildung 5: Verteilung der Merkmale für Flourishing in Europa (Huppert & So 2013, S. 848)

Abbildung 6a: Spektrum psychischer Gesundheit (Huppert & Wittington 2005)

Abbildung 6b: Auswirkungen einer kleinen Verschiebung des Mittelwerts der Stichprobe auf das Spektrum psychischer Gesundheit

Dies bedeutet, dass eine große Anzahl mehr oder weniger gesund ist und jeweils eine Minderheit aufblüht bzw. verkümmert. Um die Gesamtzahl der Menschen zu erhöhen, die aufblühen, ist nach Hupperts Modell ein neuer epidemiologischer Ansatz notwendig, der anders mit der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen umgeht. Psychische Erkrankungen nehmen weltweit zu; so hat sich beispielsweise in Deutschland zwischen 2007 und 2011 der Verbrauch von Antidepressiva nahezu verdoppelt (OECD 2013)21.

Um zu erreichen, dass mehr Menschen im Zustand des Flourishing leben, wäre es nach diesem Modell erforderlich, die Symptombelastung in der Gesamtpopulation zu verringern (s. Abb. 6b). Die gesamte Glockenkurve würde sich dann ein Stückchen nach rechts in Richtung Flourishing verschieben. Wenn das gelingen würde, könnten schon kleine Veränderungen in der Gesamtpopulation einen maßgeblichen Effekt haben.

Vergleich beider Ansätze

Keyes zeigt, dass im Einzelfall Flourishing trotz Symptombelastung möglich ist. Huppert geht davon aus, dass eine Verringerung der Symptombelastung vermehrtes Flourishing zur Folge hat, und betrachtet Populationen. Gemeinsam ist beiden Ansätzen das Ziel, die Zahl der Menschen zu erhöhen, die im Zustand psychischer Leistungsfähigkeit leben.

2.5.3 Das PERMA-Modell

Ein drittes bekanntes Modell für Flourishing stammt von Martin Seligman, der sein aktuelles Buch danach benannt hat: „Flourish. Wie Menschen aufblühen“ (2012). Darin stellt er sein Modell PERMA vor, das fünf Säulen für Wohlbefinden beschreibt. Sein Konzept des Wohlbefindens im Sinne von Happiness hatte er bereits 2005 in „Authentic Happiness“ beschrieben. Dort benannte er drei Faktoren für menschliches Glück, nämlich Sinn, Engagement und positive Emotionen. Mit PERMA erweiterte er sein Modell nun um die beiden Säulen positive Beziehungen und positive Leistung. Diese fünf Aspekte tragen insgesamt zum Flourishing bei.

Wohlbefinden ist ein sogenanntes Konstrukt. Ein Konstrukt ist nicht direkt messbar, kann aber durch verschiedene ihrerseits messbare Elemente bestimmt werden. Seligman nennt in seinem Buch „Flourish“ als Beispiel das Konstrukt „Wetter“: Dieses lässt sich durch konkret messbare Faktoren wie Feuchtigkeit, Wind, Luftdruck, Temperatur usw. bestimmen. Ebenso lässt sich das Konstrukt „Freiheit“ mit messbaren Faktoren darstellen, z. B. Pressefreiheit, Wahlsystem, Korruption, Beteiligung der Bürger usw.

Das Konstrukt „Wohlbefinden“ lässt sich nach Seligman durch fünf Elemente beschreiben. Jedes dieser fünf Elemente trägt zum Wohlbefinden bei und wird von vielen Menschen als erstrebenswert betrachtet: „Jeder kann Ja dazu sagen“.

Seligman nennt sein Modell PERMA und spielt damit auf den Aspekt der Nachhaltigkeit des Wohlbefindens an, die mit diesen Elementen erreicht wird („permanent“).

Das PERMA-Modell des Wohlbefindens (Seligman 2011)

Positive Emotionen

Engagement

Relationships (Beziehungen)

Meaning (Sinn)

Accomplishment (Gelingen)

Das Modell ruht auf der Grundlage der persönlichen Stärken: Wer seine Stärken einsetzt, wird von allen fünf Elementen des Wohlbefindens mehr erleben.

Im Gegensatz zu Keyes’ und Hupperts Ansätzen handelt es sich bei PERMA um ein Konzept, das nicht explizit empirisch belegt ist, sondern sich auf zahlreiche einzelne Studien begründet und diese in einem Gesamtmodell zusammenfasst. Für die Anwendung in der Praxis bietet PERMA viele Vorteile, da es leicht verständlich ist und sich beispielsweise auch die vielfältigen Interventionen der Positiven Psychologie gut darin einsortieren lassen.

 SELBSTREFLEXION

Was bedeutet Flourishing für mich?

Teil 1

Erinnern Sie sich an einige Situationen und schreiben Sie dazu Ihre Gedanken auf – am besten im Sinne des „expressiven Schreibens“, einfach spontan aus dem Bauch heraus, ohne lang zu überlegen.

„Me at my Best“, Situationen, in denen Sie Ihre Stärken eingesetzt haben. Wann sind Sie über sich hinausgewachsen? Woran sehen Sie jetzt im Rückblick, dass Sie dabei Ihr Potenzial genutzt und Ihre volle psychische Leistungsfähigkeit entfaltet haben?

„Was ich Gutes bewirkt habe“: Unabhängig davon, wie alt Sie sind und wie viel Ihres Lebens noch vor Ihnen liegt: Was haben Sie bisher bereits Gutes in der Welt bewirkt? Das können ganz kleine Beiträge sein, vielleicht auch größere. Was ist durch Sie möglich geworden, wo haben Sie aktiv dazu beigetragen?