Post Corona: Von der Krise zur Chance - Scott Galloway - E-Book

Post Corona: Von der Krise zur Chance E-Book

Scott Galloway

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Ausbruch von Covid-19 hat Schlafzimmer in Büros verwandelt, Jung gegen Alt ausgespielt und die Kluft zwischen Arm und Reich, Maskenträgern und Maskenhassern vergrößert. Einige Unternehmen, wie Amazon und der Hersteller von Videokonferenzsoftware Zoom, fanden sich unter einer Lawine der Verbrauchernachfrage erdrückt. Andere, wie die Restaurant-, Reise-, Hotel- und Live-Entertainment-Branche, kämpften darum, nicht unter die Räder zu kommen. Die Pandemie war ein Beschleuniger von Trends, die bereits in vollem Gange waren. In "Post Corona" skizziert Galloway die Konturen der Krise und die Chancen, die vor uns liegen. Galloway kombiniert seinen unverkennbaren Humor und frechen Stil mit messerscharfen Einblicken und bietet Warnung und Hoffnung gleichermaßen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 288

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Post Corona: From Crisis to Opportunity

ISBN 9780593332214

Copyright der Originalausgabe 2020:

Copyright © 2020 by Scott Galloway.

Illustrations copyright © 2020 by Section4

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright der deutschen Ausgabe 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Irene Fried

Gestaltung Cover: Timo Boethelt

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Lektorat: Karla Seedorf

ISBN 978-3-86470-779-7

eISBN 978-3-86470-780-3

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenbuchverlage

www.instagram.com/plassen_buchverlage

Für die Steuerzahler Kaliforniens unddie Verwaltungsratsmitglieder derUniversity of California

SCOTT GALLOWAY

POSTCORONA

VON DER KRISE ZUR CHANCE

GEWINNER UND VERLIERER IN EINER AUF DEN KOPF GESTELLTEN WELT

INHALT

EINLEITUNG

Die große Beschleunigung

In der Krise liegt die Chance

Outsourcen von Verzicht

1. COVID & DIE DEZIMIERUNG

Die Dezimierung der Herde: Die Starken werden (viel) stärker

Die Dezimierung überleben: Cash is King

Grundkurs: Krisenmanagement

Überkorrigieren

In die Offensive gehen

Der Corona-Gangstermove: Variable Kostenstrukturen

Die große Ausbreitung

Arbeiten im Homeoffice

Sekundäreffekte der Arbeitsausbreitung

Das Markenzeitalter weicht dem Produktzeitalter

Willkommen im Produktzeitalter

Rot und blau

Rote und blaue Social Media

Rote und blaue Suchmaschinen & mehr

2. DIE VIER

Die Macht der Größe/Der Monopol-Algorithmus/Featurisierung

Technologie, wohin man sieht

Die Vier expandieren überall

Die Vier kommen nach Hollywood

Mehr Technologie, größere Probleme

Sich den Vieren widersetzen

Der Fluch der großen Zahlen

Amazon

Welches wirklich schwierige Unterfangen können wir uns vornehmen?

Apple

Den Rundle im Blick

Mad Men 2.0: Google und Facebook

3. ANDERE DISRUPTOREN

Der Disruptability-Index

Feuer in der Einhorn-Scheune

Bühne frei für das Einhorn

Das 100-Milliarden-Dollar-Einhorn-Büfett der SoftBank

Yogababble

Vollblut kontra Einhorn

Wenn der Rauch sich lichtet

Die schillerndsten Einhörner der Herde

4. HOCHSCHULBILDUNG

Disruptionsreif

Knappheit

Übermaß

Efeuumranktes Kastensystem

Disruptive Kräfte

Die Krise ist da

Haushaltsdebakel

Wahnhaft

Verzweifelt

Dem Untergang geweiht

Der Weg nach vorn

Skalieren

Köder

Hochschulbildung im 21. Jahrhundert

Empfehlungen

5. DAS GEMEINWESEN

Kapitalismus, Vorerkrankungen und das Coronavirus

Klingt gut, aber …

Die Aufgabe von Regierungen

Vorerkrankungen

Aufgegeben

Die Vorzüge des Scheiterns

Mein Abendessen mit Dara

Der Klüngel wird klüngeln

Günstlingswirtschaft und Ungleichheit

Wirtschaftliche Sorgen

Das neue Kastensystem

Privates Disneyland

Noch mal zum Thema Bildung

Wohlstandsprivileg

Cartoon

Aktiengesellschaften sind auch nur (reiche) Menschen

Die Ausbeutungswirtschaft

Überfluss

Die Regierung ernst nehmen

Qualität hat ihren Preis

Testkits

Über die Güte von Milliardären

Der „eine seltsame Trick“ der Demokratie

Wählen

Die Tragik der Allmende

Das Corona-Korps

Sehr vermögende Übeltäter

Was zu tun ist

Danksagungen

Anmerkungen

Einleitung

Es heißt, die Zeit sei verlässlich und unerbittlich. Der Lauf der Sonne am Firmament und unsere jahreszeitliche Umlaufbahn um die Sonne erzeugen einen ewig gleichförmigen Rhythmus. Unsere Wahrnehmung von Zeit ist aber nicht konstant. Mit fortschreitendem Alter weitet sich unser Bezugsrahmen (die Vergangenheit), und die Jahre vergehen schneller. Erst heute Morgen gab ich meinem Sohn vor seinem ersten Kindergartentag einen Abschiedskuss. Und heute Nachmittag kam er dann schon aus der fünften Klasse nach Hause. Er empfindet es genau umgekehrt, und seine Schule ist der Meinung, die fünfte Klasse wäre genau der richtige Ort, um zu scheitern: Seine ersten Dreier und Vierer halten für ihn die Zeit an – oft.

Aber was wir erleben, ist nicht Zeit, sondern Veränderung. Aristoteles merkte an, dass Zeit nicht ohne Veränderung existiere, denn das, was wir Zeit nennen, ist lediglich unsere Maßeinheit für die Differenz zwischen „vorher“ und „nachher“.1 Aus diesem Grund machen wir täglich die Erfahrung, die Zeit würde sich entweder endlos hinziehen oder wie im Flug vergehen. Zeit ist formbar, beeinflussbar durch Veränderung. Und dabei kann das Allerkleinste zu beispiellosen Veränderungen führen. Selbst so etwas Kleines wie ein Virus.

Anfang März 2020 lebten wir im „Vorher“. Das neuartige Coronavirus war zwar in den Schlagzeilen, mehr aber auch nicht. Außerhalb Chinas gab es nur wenige Anhaltspunkte, dass sich eine weltweite Krise zusammenbraute. Einundvierzig Menschen waren in Norditalien verstorben, aber im übrigen Europa ging das Leben unverändert weiter. Zwar meldeten die Vereinigten Staaten am 1. März den ersten Todesfall, die wichtigere Nachricht war allerdings, dass Mayor Pete seine Kandidatur zur Präsidentschaft zurückgezogen habe. Es gab keine Schließungen, keine Masken, und den meisten Menschen wäre Dr. Anthony Fauci unbekannt gewesen.

Zum Ende des Monats befanden wir uns dann im „Nachher“. Die Welt machte zu. Hunderttausende waren positiv auf das Virus getestet worden, darunter Tom Hanks, Placido Domingo, Boris Johnson und Dutzende Seeleute auf einem US-Flugzeugträger mitten im Pazifischen Ozean.

Ein Virus, dessen Größe ein Vierhundertstel des Durchmessers eines menschlichen Haares beträgt, packte sich eine 5,972 Trilliarden Tonnen schwere Kugel und ließ sie zehnmal schneller drehen.

Doch trotz der beschleunigten Zeit (Veränderung) hatte man das Gefühl, das Leben sei stehen geblieben. Wie mein Sohn, als er sein erstes schlechtes Zeugnis in der Hand hielt, verloren wir unsere Fähigkeit, über den Augenblick hinaus zu denken. Kein Vorher und kein Nachher. Nur noch Zoom-Anrufe, Essen zum Mitnehmen und Netflix. Statt Spielstände und das Kinoprogramm lasen wir Fall- und Todeszahlen nach. Der Kinohit des Sommers war Palm Springs – die Geschichte zweier Menschen, die immer und immer wieder denselben Tag erleben.

Nachdem ich bereits ungefähr fünfzigmal um die Sonne gekreist bin, weiß ich, dass wir die Dauer dieses Moments falsch einschätzen. Stets versuche ich, mich selbst von dem zu überzeugen, was ich meinen Jungs sage: „Auch das geht vorüber“. Dieses Buch ist der Versuch, über unsere beispiellose Gegenwart hinauszublicken und die Zukunft vorherzusagen, indem wir sie so gestalten, dass ein Dialog angestoßen wird, der zu besseren Lösungen führt.

Wenn das einzige bekannte astronomische Objekt, auf dem es Leben gibt, zu seiner normalen Rotationsgeschwindigkeit zurückkehrt, was wird sich im Geschäftsleben, in der Bildung und in unserem Land geändert haben? Wird es humaner und erfolgreicher zugehen? Oder werden die Menschen einfach vorziehen, dass es aufhört, sich zu drehen? Was können wir tun, um das „Nachher“ zu gestalten?

Ich bin Unternehmer und Professor an einer Business School und sehe die Dinge daher aus dem betriebswirtschaftlichen Blickwinkel. Damit sind wir bei dem zentralen Thema dieses Buches: Wie wird die Pandemie das wirtschaftliche Umfeld verändern? Hierfür untersuche ich, wie die Pandemie Großunternehmen und insbesondere Big-Tech-Firmen zugutegekommen ist. Eine gehörige Portion des vorliegenden Buches ist eine pandemische Aktualisierung meines ersten Buches The Four, womit wir noch einmal Amazon, Apple, Facebook und Google aufgreifen. Zudem beleuchte ich die Disruptionsmöglichkeiten außerhalb der Sektoren, die von den Vier dominiert werden, und einige der Firmen, die in den Startlöchern des Erfolges stehen.

Nachdem die Wirtschaft allerdings nicht im luftleeren Raum operiert, stelle ich einen breiteren Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Gesellschaft her. Der Hochschulbildung habe ich ein gesamtes Kapitel gewidmet, da sie sich meiner Ansicht nach an der Schwelle zu einem tiefgreifenden Wandel befindet. Ich verdeutliche, auf welche Art und Weise die Pandemie allgemeine Trends in unserer Kultur und in der Politik aufgedeckt und beschleunigt hat. Und warum der tiefgreifende, im Namen des Kapitalismus vorgenommene Wandel das kapitalistische System unterminiert und was wir diesbezüglich unternehmen können. Wir haben es hier mit einer weltweiten Krise zu tun. Und auch wenn meine Beispiele und die Analysen auf den Erfahrungen der Vereinigten Staaten von Amerika fußen, so hoffe ich, dass diese Erkenntnisse auch für Leser und Leserinnen in anderen Ländern von Wert sind.

Dabei stelle ich zwei Thesen auf: Erstens, der nachhaltigste Effekt der Pandemie dürfte die Beschleunigung sein. Auch wenn einige Veränderungen initiiert und die Richtung von Entwicklungen verändert werden dürften, wirkte sich diese Epidemie primär als Beschleuniger für die bereits in der Gesellschaft vorhandenen Dynamiken aus. Zweitens, in jeder Krise bieten sich Chancen; je größer und disruptiver die Krise, desto größer die Chancen. Allerdings dämpft der erste Punkt meinen Optimismus bezüglich des zweiten. Denn viele Entwicklungen, die die Pandemie beschleunigt, sind negativer Natur und schwächen unsere Fähigkeit zur Erholung und Entfaltung in einer Welt nach Corona.

Die große Beschleunigung

Das folgende Zitat wird Lenin zugeschrieben: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert; und Wochen, in denen Jahrzehnte passieren“. Tatsächlich stammt es jedoch nicht von Lenin, sondern vom schottischen Parlamentsmitglied George Galloway (toller Name, übrigens). Und dieser Galloway umschrieb mit der für einen Schotten typischen Kürze, was Lenin 1918, nach den durch seine Revolution angerichteten Umwälzungen, sehr viel umständlicher und stumpfsinniger ausgedrückt hatte.

Dieses Motiv, Jahrzehnte in Wochen, lässt sich in den meisten Branchen und in vielen Facetten des Lebens wiederfinden. Der E-Commerce kam ab dem Jahr 2000 auf. Seitdem stieg der Anteil des E-Commerce am Einzelhandel jedes Jahr um etwa ein Prozent. Anfang des Jahres 2020 wurden 16 Prozent des Einzelhandels über digitale Kanäle abgewickelt. Acht Wochen, nachdem die Pandemie die Vereinigten Staaten (März bis Mitte April) erreicht hatte, kletterte diese Zahl auf 27 Prozent … und sie geht nicht mehr zurück. Wir verzeichneten also im E-Commerce innerhalb von acht Wochen ein Jahrzehnt des Wachstums.

VERBREITUNG DES ONLINEHANDELS IN DEN VEREINIGTEN STAATEN

(% vom Einzelhandelsumsatz)2009–2020

Nehmen wir einen beliebigen Trend – ob sozialer, geschäftlicher oder persönlicher Natur – und spulen ihn um zehn Jahre nach vorn. Selbst wenn Ihre Firma noch nicht so weit ist, auf der Trendlinie liegen das Verbraucherverhalten und der Markt auf dem Punkt des Jahres 2030. Hatte Ihre Firma eine schwache Bilanz, wäre sie nun untragbar. Sind Sie im Einzelhandel tätig, der die Grundversorgung sicherstellt, wären Ihre Waren lebensnotwendiger denn je. Sind Sie im Konsumgüterbereich tätig, wären Sie konsumorientierter denn je. Und stritten Sie sich im Privaten mit Ihrem Partner, wären Ihre Auseinandersetzungen noch schlimmer. Gute Beziehungen würden auf weitere zehn Jahre gemeinsamer Geschichte und Wohlwollens zurückblicken.

Jahrzehntelang investierten Unternehmen in der Hoffnung, Distanzen zu überwinden, Millionen in die Ausrüstung für virtuelle Konferenzen. Universitäten übernahmen in den frühen 1990er-Jahren widerwillig technologische Tools wie beispielsweise Blackboard, um (mehr oder weniger) mit der Außenwelt Schritt halten zu können. Kommunikationsunternehmen schalteten zahlreiche Spots, die virtuelle Abendessen im Kreise der Familie, Arzt-Patienten-Gespräche quer durch das ganze Land und Studenten zeigten, die – ohne ihre Heimatstadt verlassen zu haben – bei den weltbesten Dozenten studierten.

Und jahrzehntelang passierte kaum etwas. Multimillionen-Dollar-Videokonferenzsysteme funktionierten nicht und Universitäten wehrten sich gegen eine Technologie, die komplexer als Whiteboards oder PowerPoint war. FaceTime und Skype drängten sich in unsere private Kommunikation, erreichten aber keine kritische Masse.

Und dann, binnen weniger Wochen, ging unser Leben online und die Wirtschaft wurde ortsunabhängig. Jeder Geschäftstermin wurde virtuell abgehalten, jeder Dozent wurde zu einem Online-Dozenten und gesellige Treffen verlagerten sich auf einen Bildschirm. In den Märkten nahmen Investoren eine Feinabstimmung des Wertes disruptiver Unternehmen nicht auf Basis der nächsten Wochen oder Jahre vor, sondern aufgrund der Annahmen zur Lage des Unternehmens im Jahr 2030.

Es dauerte 42 Jahre, bis Apple einen Unternehmenswert von einer Billion US-Dollar erreichte, und nur 20 Wochen, um von einer Billion US-Dollar auf zwei Billionen US-Dollar zu kommen (März bis August 2020). In derselben Zeit entwickelte sich Tesla nicht nur zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt, sondern war sogar wertvoller als Toyota, Volkswagen, Daimler und Honda … zusammengenommen.

Über Jahrzehnte forderten Bürgermeister großer Städte und Planungsbüros mehr Fahrradspuren, Fußgängerzonen und ein geringeres Fahrzeugaufkommen. Und über Jahrzehnte verstopften Verkehr, Luftverschmutzung und Unfälle unsere Straßen und Lufträume. Und dann, innerhalb weniger Wochen, übernahmen Fahrradfahrer die Straßen, Tische im Freien schossen aus dem Boden und der Himmel klarte auf.

MARKTKAPITALISIERUNG VON AUTOMOBILUNTERNEHMEN

Möglich, dass sich negative Trends stärker beschleunigt haben. Jahrzehntelang warnten Ökonomen davor, dass sich die wirtschaftliche Disparität ausweite und die wirtschaftliche Mobilität abnehme. Eine Wirtschaft mit beunruhigenden Grundtendenzen hat sich zu einer Dystopie gewandelt.

Vierzig Prozent der US-Amerikaner, so hieß es, hätten Mühe, Notfallausgaben in Höhe von 400 US-Dollar aufzubringen. Doch ein beispielloser, elf Jahre andauernder wirtschaftlicher Aufschwung sorgte dafür, dass niemals eine Ebbe kam, die das enthüllte. Dann, in den ersten drei Monaten der Corona-Rezession, gingen mehr Arbeitsplätze verloren (13 Prozent) als in den beiden Jahren der Großen Rezession (5 Prozent). In der Hälfte aller US-Haushalte hatte aufgrund des Ausbruchs mindestens eine Person ihren Arbeitsplatz verloren oder Lohneinbußen erfahren.2 Haushalte mit Einkommen unter 40.000 US-Dollar wurden dabei am härtesten in Mitleidenschaft gezogen: Fast 40 Prozent wurden Anfang April entlassen oder beurlaubt. Im Vergleich dazu traf es gerade einmal 13 Prozent der Haushalte mit einem Einkommen von über 100.000 US-Dollar.3

Die Welt drehte sich schneller – im Guten wie im Bösen.

In der Krise liegt die Chance

Dieses Klischee existiert nicht ohne Grund. Für John F. Kennedy war es ein fester Bestandteil seiner Wahlkampfreden. Al Gore verwendete es in seiner Rede zur Annahme des Nobelpreises. Das chinesische Wort für Krise besteht aus zwei Schriftzeichen. Das erste steht für Gefahr, das andere, so sagt man, bedeute Chance. Welche Chancen warten auf uns nach Corona?

Einen Lichtblick gibt es in der Pandemie, der die Wolken vertreiben könnte. Über Nacht verfügen die Vereinigten Staaten über eine höhere Sparquote und geringere Emissionen. Drei der größten und wichtigsten Verbraucherkategorien in den Vereinigten Staaten (Gesundheit, Bildung und Lebensmittel) befinden sich in einem Zustand beispielloser Disruption und womöglich auch beispiellosen Fortschritts.

Während die überwältigende Belastung einiger Krankenhäuser aufgrund von Corona zu Recht die Schlagzeilen beherrschte, dürfte ein nachhaltigeres Narrativ sein, wie die übrigen 99 Prozent der Menschen während der Pandemie Zugang zu medizinischer Versorgung erhielten – ohne einen Fuß in eine Arztpraxis, geschweige denn in ein Krankenhaus zu setzen. Die erzwungene Annahme der Telemedizin verspricht eine Innovationsexplosion und eröffnet eine neue Front im Kampf gegen die Kosten und Belastungen unseres kaputten Gesundheitssystems. Auch die erzwungene Annahme des Fernunterrichts könnte – so sperrig und problematisch er auch gewesen ist – die Entwicklung der Hochschulbildung beschleunigen, zu geringeren Kosten und höheren Zulassungsquoten führen und gleichzeitig dem College seine Rolle als Schmierstoff für die Aufwärtsmobilität der Amerikaner zurückgeben. Der Bereich Ernährung, der noch viel wesentlicher ist als die Bildung, steht vor einer Revolution, wenn die Verteilung von Lebensmitteln über Lieferdienste Möglichkeiten für einen effizienteren Vertrieb, eine größere Reichweite für frische Nahrungsmittel und die Akzeptanz lokaler Waren eröffnet.

Neben all diesen Veränderungen bietet das Erwachsenwerden in einer weltweiten Krise das Potenzial, dass eine Generation mit einer neuerlichen Wertschätzung für Gemeinschaft, Kooperation und Opferbereitschaft heranreift – eine Generation, für die Empathie keine Schwäche und Reichtum keine Tugend ist.

Chancen sind dabei keine Garantien. Die populäre Geschichte zu dem chinesischen Wort für Krise ist nicht ganz richtig. Das erste Schriftzeichen bedeutet sehr wohl Gefahr, das zweite ließe sich jedoch besser mit ein kritischer Punkt übersetzen. Ein Scheideweg. Für Lenins Landsleute eröffnete auch der radikale Umbruch von 1917 Chancen. Dass sie diese verstreichen ließen, führte zu ungeheurem Leid.

Leicht lässt man sich zu der Überzeugung hinreißen, das würde uns nicht passieren, das „könne hier nicht passieren“. Aber überlegen Sie bitte, dass wir vor nicht allzu langer Zeit (in der Mitte des 20. Jahrhunderts) 75.000 amerikanische Bürger hinter Stacheldraht internierten, weil sie japanischer Herkunft waren. Und berücksichtigen Sie auch, dass zu Beginn der Pandemie niemand von uns gedacht hätte, dass in den Vereinigten Staaten 1.000 Menschen am Tag ihr Leben an ein Virus verlieren, das andere (weniger entwickelte) Nationen im Keim erstickten.

Unsere Reaktion auf diese Krise sorgte nicht gerade für Zuversicht. Auch wenn wir mehr Zeit hatten, uns vorzubereiten, wir mehr als jedes andere Land für das Gesundheitswesen aufwenden und uns für die innovativste Gesellschaft in der Geschichte halten, haben die Vereinigten Staaten, die nur einen Anteil von 5 Prozent an der Weltbevölkerung stellen, 25 Prozent der Infektionen und Todesfälle getroffen. Zehn Jahre dauerte es, 20 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Und zehn Wochen, um 40 Millionen zu zerstören. Reisen sind kaum möglich, Restaurants bleiben geschlossen, der Alkoholkonsum und der Verkauf von Handfeuerwaffen sind angestiegen. Über zwei Millionen Gen Z-ler sind wieder zu ihren Eltern gezogen4 und 75 Millionen junge Menschen gehen inmitten von Unsicherheit, Konflikten und Gefahren in die Schule.

VERÄNDERUNG DES VERHALTENS VOR UND NACH DER PANDEMIE

April 2019 im Vergleich zu April 2020

Die Fehltritte, die uns hierhergeführt haben, können Historiker analysieren. Die tiefere Ursache unseres Versagens wird bereits jetzt deutlich.

Nehmen wir zum Vergleich zwei Kriege. Die Beteiligung der Vereinigten Staaten am Zweiten Weltkrieg dauerte drei Jahre und acht Monate und forderte das Leben von 407.000 Amerikanern. Schokolade oder Nylonstrümpfe waren nicht aufzutreiben, und trotz der finanziellen Belastungen in Kriegszeiten wurden Haushalte aufgefordert, tief in die eigene Tasche zu greifen und Kriegsanleihen zu kaufen. Hersteller rüsteten ihre Fabriken für den Bau von Bombern und Panzern um und ein landesweites Tempolimit auf 35 Meilen (Anm. d. Übers.: 56 Kilometer pro Stunde) wurde unter dem Namen „Victory Speed Limit“, zu Deutsch Höchstgeschwindigkeit für den Sieg, eingeführt, um für die Kriegsanstrengungen Treibstoff und Gummi zu sparen.5 Wir zogen Highschoolschüler und -lehrer ein und sie gaben ihr Leben für die Freiheit. Nach dem Krieg investierten wir in unsere Feinde und schufen mehr Reichtum und Wohlergehen als jede andere Gesellschaft bis heute. Und eine Zeit lang verteilten wir ihn fairer als jemals zuvor. Wir änderten unseren Lebensmittelpunkt (Vororte) und unsere Lebensweise (Auto und Fernseher) und begannen mit der längst überfälligen Aufarbeitung unserer ausgeprägtesten Rassen- und Geschlechtsunterschiede.

OUTSOURCEN VON VERZICHT

Neunzehn Jahre lang kämpften amerikanische Streitkräfte in Afghanistan und wir haben 2.312 Soldaten und Soldatinnen verloren. Der Konflikt streute Gewalt um die halbe Welt und forderte das Leben von unzähligen (buchstäblich) Hunderttausenden Zivilisten. In dieser Zeit habe ich zahllose 16 Liter pro 100 Kilometer schluckende Geländewagen mit „Support Our Troops“-Aufklebern gesehen. An Schokolade zu kommen oder an sonst etwas, das ich mir wünschte, bereitete mir indes weder im Laden noch auf meinem Mobiltelefon Schwierigkeiten. Je mehr Geld ich verdiene, desto geringer mein Steuersatz. Und ich wurde auch nicht aufgefordert, eine Kriegsanleihe zu kaufen, oder in den Dienst eingezogen. Stattdessen haben wir den Krieg an eine Freiwilligenarmee junger Menschen aus dem Arbeitermilieu ausgelagert, die über eine Ausweitung des Defizits von 6,5 Billionen US-Dollar von künftigen Generationen finanziert wird.6

Früher bedeutete Patriotismus, ein Opfer zu bringen, heute ist es ein Stimulus. Unser Land und seine Führungsriege haben in der Pandemie Taten sprechen lassen: Millionen US-amerikanische Todesopfer seien zwar schlimm, aber ein Rückgang des NASDAQ wäre tragisch. Die Konsequenz daraus ist unverhältnismäßiges Leid. Bei einkommensschwachen Amerikanern und People of Color ist eine Infektion wahrscheinlicher und sie tragen ein doppelt so hohes Risiko einer ernsthaften Erkrankung als Personen aus Haushalten mit höherem Einkommen.7 Für die Wohlhabenden hingegen haben die Zeit mit der Familie, Netflix, die Ersparnisse und der Wert des Aktienportfolios mit abnehmendem Pendeln und geringeren Kosten zugenommen.

Ob die Vereinigten Staaten auf eine Zukunft mit Hungerspielen oder strahlenderen Aussichten zusteuern, hängt davon ab, welchen Weg wir nach Corona einschlagen.

KAPITEL 1

Covid & die Dezimierung

Die Dezimierung der Herde: Die Starken werden (viel) stärker

Einer der bemerkenswertesten Aspekte der Coronakrise war die Stabilität der Kapitalmärkte. Nach einem kurzen Sturzflug, als sich der Ausbruch zu einer Pandemie entwickelte, schossen die größten Börsenindizes (Dow Jones, S&P 500, NASDAQ Composite) wieder nach oben. Bis zum Sommer hatten sie den verlorenen Boden größtenteils wiedergutgemacht, trotz mehr als 180.000 Todesfällen in den Vereinigten Staaten, einer Rekordarbeitslosigkeit und fehlender Anzeichen für einen Rückgang des Virus. Die Bloomberg Businessweek nannte dieses Phänomen in einer Titelgeschichte im Juni „Die große Entkopplung“.1 Selbst „Wall-Street-Profis“, erklärte das Magazin, seien „verblüfft“. Zwei Monate später, während ich an diesem Buch schreibe, tötet das Virus 1.000 Amerikaner pro Tag, aber die Indizes steigen unverdrossen weiter.

Dabei können Börsenindizes irreführend sein. Die „Erholung“ war das Ergebnis überdimensionaler Gewinne einiger weniger Firmen, insbesondere großer Tech-Unternehmen und anderer wichtiger Akteure. In den restlichen öffentlichen Märkten wird das nicht reflektiert. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2020 entwickelte sich der S&P 500, der die 500 größten Aktiengesellschaften abbildet, im Vergleich zum Vorjahr gerade noch positiv. Doch mittelgroße Unternehmen – die Mid Caps – waren um zehn Prozent gefallen. Und die 600 Small-Cap-Unternehmen des S&P 600 hatten sogar 15 Prozent verloren.

KURSENTWICKLUNG DER S&P SMALL-CAP-, MID-CAP- UND LARGE-CAP-INDIZES

1. Januar bis 31. Juli 2020

Während sich die Medien von Hochglanzobjekten wie großen Tech-Unternehmen und Large-Cap-Indizes ablenken lassen, ist eine unerbittliche Dezimierung der Herde bereits in vollem Gange. Die Schwachen geraten nicht einfach ins Hintertreffen, sie werden geschlachtet. Die Liste der Konkurse ist lang und schockierend: Neiman Marcus, J.Crew, JCPenney und Brooks Brothers; Hertz (dem Eigentümer der Autovermietungen Dollar und Thrifty) und Advantage; Lord & Taylor, True Religion, Lucky Brand Jeans, Ann Taylor, Lane Bryant, Men’s Wearhouse und John Varvatos; 24 Hour Fitness, Gold’s Gym, GNC, Modell’s Sporting Goods und XFL; Sur la Table, Dean & DeLuca und Muji; Chesapeake Energy, Diamond Offshore und Whiting Petroleum; California Pizza Kitchen, der US-amerikanische Zweig von Le Pain Quotidien und Chuck E. Cheese.2 „BEACH“-Aktien – das sind Aktien in den Bereichen Booking (Buchungen), Entertainment, Airlines (Fluggesellschaften), Cruises (Kreuzfahrten) und Casinos, Hotels und Resorts – sind durchschnittlich um 50 bis 70 Prozent eingebrochen.3

Das erklärt auch die solide Entwicklung der Marktführer. Die Bewertung eines Unternehmens ist von seinen Zahlen und dem Narrativ abhängig. Im Moment sorgt die Unternehmensgröße nicht nur für eine Unterstützung des Narrativs, wie ein Unternehmen die Krise übersteht, sondern auch, wie es in der Welt nach Corona erfolgreich sein kann. Wenn es nach der Dezimierung wieder regnet, gibt es mehr Blattwerk für weniger Elefanten. Unternehmen mit Barmitteln, Kreditsicherheiten und hoch bewerteten Aktien dürften in der Lage sein, die Vermögenswerte angeschlagener Konkurrenten zu erwerben und zur Marktkonsolidierung beizutragen.

Zudem befördert die Pandemie das Narrativ der Innovation. Als Innovatoren geltende Unternehmen erreichen eine Bewertung, in die Cashflows einfließen, die in zehn Jahren erwartet und mit einem unglaublich niedrigen Satz abgezinst werden. Investoren scheinen sich auf die Vision eines Unternehmens zu konzentrieren, auf das Narrativ, wo es in einem Jahrzehnt stehen könnte. So kommt es, dass der Wert von Tesla heute den von Toyota, Volkswagen, Daimler und Honda zusammengenommen übersteigt. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Tesla im Jahr 2020 etwa 400.000 Fahrzeuge herstellt, während die anderen vier Unternehmen zusammen 26.000.000 Fahrzeuge bauen.

Der Markt geht gewagte Wetten auf das Umfeld nach Corona ein – im Ergebnis sehen wir sowohl große Gewinne als auch kräftige Rückgänge. Ende Juli hatte Tesla im Vergleich zum Vorjahr 242 Prozent zugelegt, GM hingegen 31 Prozent verloren. Amazon verzeichnete ein Plus von 67 Prozent und JCPenney war insolvent. Diese „Entkopplung“ – zwischen den Großen und den Kleinen, den Innovativen und den Rückständigen – ist ebenso bedeutsam wie die viel diskutierte Kluft zwischen Finanzmärkten und Wirtschaft. Die heutigen Gewinner werden als die größeren Gewinner von morgen eingeschätzt und die heutigen Verlierer scheinen dem Untergang geweiht.

DIE STARKEN WERDEN STÄRKER

Aufgrund der Änderung der Marktkapitalisierung implizierter Gewinn 2002 bis 2020

Die Sache mit den Kapitalmarktprognosen ist die: Sie erfüllen sich bis zu einem gewissen Grad selbst. Durch die Entscheidung, dass Amazon, Tesla und andere aussichtsreiche Unternehmen zu den Gewinnern zählen, senken die Märkte die Kapitalkosten jener Unternehmen, erhöhen (über Aktienoptionen) den Wert ihrer Kompensation und stärken ihre Fähigkeit, das zu erwerben, was sie nicht selbst aufbauen können. Zudem sucht im Moment eine unglaubliche Menge an Kapital nach einem Zuhause. Die US-Regierung hat 2,2 Billionen US-Dollar in die Wirtschaft gesteckt und aufgrund einiger katastrophaler politischer Entscheidungen (später mehr dazu) fließt eine enorme Summe davon direkt in die Kapitalmärkte. Unternehmen, die bereits vor der Pandemie erfolgreich waren, konnten von dieser weltweiten Krise in bemerkenswerter Weise profitieren. Ihnen standen Gelder zur Verfügung, die für den Ausgleich von Umsatzrückgängen, den Ausbau des Geschäfts gegenüber dem Wettbewerb und die Erschließung neuer, pandemiebedingter Chancen eingesetzt werden konnten. Unterdessen blieb ihren schwächeren Mitbewerbern der Zugang zu den Kapitalmärkten versperrt, sodass mit einer Herabsetzung ihrer Kreditratings, einer Fälligstellung von Krediten durch Gläubiger und langfristigen Deals gegenüber kritisch eingestellten Kunden zu rechnen ist.

Wer untergeht, überlebt oder gar erfolgreich ist, entscheidet ein nicht ökonomischer Schiedsrichter: die staatliche Unterstützung. Fluggesellschaften sind beispielsweise mitnichten so aufgestellt, dass sie diese Pandemie in ihrer jetzigen Form überstehen könnten. Es fällt schwer, sich ein Produkt vorzustellen, das mehr zur Virusausbreitung beiträgt als ein Flugzeug. Die Pandemie beschleunigt das mobile Arbeiten und macht Geschäftsreisen, die Cashcow der Branche, überflüssig. Hinzu kommt, dass Fluggesellschaften enorme Gemeinkosten haben und bei einem Umsatzrückgang nur unter Mühe Kosten reduzieren können. Einige kleinere inländische Fluggesellschaften, die nicht als nationale Champions angesehen werden, und etliche ausländische Fluglinien, darunter Virgin Atlantic, haben Insolvenz angemeldet. Ich vermute jedoch, dass keine einzige große Fluggesellschaft der USA bankrottgehen wird, weil sie den US-Kongress im Würgegriff haben. Von der Regierung erhielten sie im April 2020 25 Milliarden US-Dollar an Hilfen und aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie noch mehr bekommen. Die Kombination aus guten Lobbyisten und PR-Fachleuten, hoher Konsumententreue und eine tiefe Verbundenheit mit dem Nationalstolz kann eine Branche retten, indem ihr ein finanzieller Rettungsring zugeworfen wird, für den man so tief in die Tasche greift wie noch nie in der Geschichte.

Die Dezimierung überleben: Cash is King

Während der vergangenen zehn Jahre haben die Märkte bei der Bestimmung des Unternehmenswertes den Gewinn durch eine Vision ersetzt. Blitzscaling um jeden Preis. Kosten sind lediglich eine Investition und Gewinne oder eine marktbeherrschende Stellung werden schon erlangt werden. Wieso auch nicht? Der Cashflow ist irrelevant, wenn Aktienanleger Schlange stehen, um mehr Kapital zu investieren. Und mit dem Wissen über ihre überaus geringe Verschuldung und die prosperierenden immateriellen Vermögenswerte werden insbesondere die Bilanzen der Tech-Unternehmen kaum unter die Lupe genommen.

In einer Pandemie ist jedoch nur Bares Wahres und die Kostenstruktur spiegelt den Sauerstoffgehalt im Blut wider. Eine starke Bilanz spricht für genügend Kapital, um die mageren Zeiten zu überstehen. Unternehmen, die über Barmittel verfügen oder eine geringe Verschuldung beziehungsweise günstige Kredite, hochwertige Vermögenswerte und niedrige Fixkosten vorweisen können, haben die größten Überlebenschancen.

Costco ist aus mehreren Gründen gut gerüstet, sich den unansehnlichen Tendenzen im Einzelhandel widersetzen zu können. Dazu gehören auch die elf Milliarden US-Dollar, die auf dem Bankkonto liegen. Die 15 Milliarden US-Dollar von Honeywell dürften das Unternehmen nach der Coronakrise wohl in ein Schlaraffenland befördern. Johnson & Johnson verfügen über knapp 20 Milliarden US-Dollar – und bleiben uns auch erhalten. Jedes einzelne dieser Unternehmen wird sich die Vermögenswerte und Kunden aussuchen können, die zurückbleiben, wenn die schwächeren Wettbewerber den Betrieb einstellen. In jeder Kategorie dürfte es zu einer größeren Machtkonzentration bei den zwei oder drei Unternehmen mit den solidesten Bilanzen kommen.

In den letzten Jahren wurde viel über das Problem der Aktienrückkaufprogramme diskutiert, also wenn Unternehmen ihren Gewinn einsetzen, um eigene Aktien zurückzukaufen. Denn das treibt das Kursniveau nach oben und führt oftmals zwar zu hohen Boni für die Geschäftsleitung, hat aber keinerlei Nutzen für das zugrunde liegende Geschäft. Während wir in eine Rezession schlittern, werden die Führungsriegen noch einmal an dieser Strategie zweifeln. Sie werden sich ihre Barmittel zurückwünschen, doch dann ist es zu spät. Aktienrückkaufprogramme waren schon immer tickende Zeitbomben, die die langfristige Zukunft des Unternehmens gegen kurzfristige Kapitalrenditen eintauschten. Und diese Bomben detonieren jetzt. Diese Firmen sollten scheitern dürfen. Ihnen das Scheitern zu verweigern kommt der Entscheidung gleich, dass wir – als Volkswirtschaft – das Eigenkapital über die Schulden stellen, denn eigentlich sollten diese Vermögenswerte den Gläubigern gehören.

Der größte Tribut dürfte von größeren Unternehmen mit vielen Beschäftigten und einer schlechten Bilanz gefordert werden. Ich hatte bereits im März 2020 erwähnt,4 dass die Bekleidungsmarke Ann Taylor die Pforten schließen würde, und im Juli meldete dann die Muttergesellschaft Ascena, die 100.000 Kreditgebern – zumeist Immobilieneigentümern – 10 bis 50 Milliarden US-Dollar schuldete, Insolvenz an. Auch Chico’s wird es treffen. Versäumte Innovationen und eine fehlende Attraktivität für eine jüngere, eher online kaufende Kundenbasis waren bereits vor der Corona-Pandemie tödlich für den klassischen Einzelhandel. Aus ökonomischer Sicht dürften mittlere und große Unternehmen mit schwachen Bilanzen den größten Schaden verursachen. Das ist die Herausforderung für Restaurantbesitzer. Man hat hohe Fixkosten (die Pacht) und kann nur wenig bis nichts dagegen tun. Und weil es ein margenschwaches Geschäft mit wenigen Finanzierungsquellen ist, existiert normalerweise kein Kapitalpuffer, mit dem man magere Zeiten überstehen könnte.

Grundkurs: Krisenmanagement

Bevor wir uns mit dieser Krise befassen, ist es zunächst erforderlich, zu verstehen, wo sich das Unternehmen im strategischen Spektrum der Pandemie befindet. Die für den größten Elefanten der Herde richtigen Schritte sind für eine „schwächelnde Gazelle“ (wie Jeff Bezos einst Kleinverlage bezeichnete) nicht der cleverste Zug. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Branchen: Einigen geht es blendend (Technologie), einige kommen ganz gut zurecht (Transport-, Gesundheitssektor) und einige haben zu kämpfen (Hotel- und Gaststättengewerbe). Innerhalb der Branche erfordert die relative Stärke in Bezug auf wesentliche Kennzahlen (Marke, Management, Bilanz) unterschiedliche Strategien. Selbst in der angeschlagensten Branche wird es jemand ans rettende Ufer schaffen.

Viele aber auch nicht. Hartnäckigkeit ist bis zu einem gewissen Grad eine Tugend. Unternehmen aus schwer getroffenen Industriezweigen, die sich nicht an den schwächeren Wettbewerbern gütlich tun können, sollten jedoch weit über ihre bisherigen Grenzen hinausdenken. Ist ein Kernelement zu erkennen? Ein Vermögenswert, mit dem man eine Brücke zu einem Neugeschäft schlagen kann? Ich selbst bin beispielsweise Investor und im Verwaltungsrat des landesweit größten Unternehmens für Gelbe Seiten, das sich aktuell zu einem Unternehmen für Customer Relationship Management (CRM) wandelt. Dabei macht es sich sein größtes Kapital zunutze – die Beziehung zu Hunderttausenden Kleinunternehmen – und bietet ihnen ein Produkt zur Verwaltung von Kundenbeziehungen auf Basis eines Software-as-a-Service-(SaaS)-Modells an. Und es funktioniert.

Wenn das größte Kapital die Marke ist, das Geschäft aber strukturell bedingt rückläufig ist, sollte man ernsthaft darüber nachdenken, die Marke so lange zu melken, bis sie stirbt. So sehr wir sie auch humanisieren, Marken sind keine Menschen. Es sind Vermögenswerte, die monetarisiert werden wollen. Eine Marke sterben zu lassen, ist nur dann etwas Schlechtes, wenn man während der goldenen Jahre nicht den vollen Nutzen aus ihr gezogen hat. Zu viele Manager versuchen, ihren alten Marken eine Verjüngungskur zu verordnen, anstatt sie in einen profitablen Altersruhestand zu schicken. Setzen Sie die letzten Gewinne ein, um den realen Menschen den Übergang zu erleichtern, die die Marke erst wertvoll gemacht haben: die Mitarbeiter und Kunden. Alles in allem bleibt den vielen zweitrangigen Akteuren ohne Schlechtwetterfinanzierung nur eines zu tun: nach einem guten Abgang zu suchen, der die Beschäftigten schützt und die Kunden nicht im Stich lässt.

ÜBERKORRIGIEREN

Für diejenigen, denen ein Weg in die Nach-Corona-Zukunft offensteht, und sei er auch noch so steinig, lautet die Parole für das Verhalten in Krisenzeiten überkorrigieren.

Das Paradebeispiel ist die Reaktion von Johnson & Johnson auf den Tylenol-Skandal. Dass der Pharma- und Konsumgüterkonzern eines der wertvollsten Unternehmen weltweit ist, liegt daran, dass Johnson & Johnson im Jahr 1982 – als eine Handvoll Tylenol-Fläschchen nach Verlassen des Werks, vermutlich zum Zwecke der Erpressung, vergiftet worden war – weder die Schuld von sich wies noch der Polizei die Ermittlungen überließ. Stattdessen ließ der Pharmakonzern 31 Millionen Flaschen Tylenol aus den Regalen entfernen, richtete eine Hotline ein, setzte ein Kopfgeld für Informationen zum Verbrechen aus und ersetzte die gekauften Flaschen. Trug Johnson & Johnson die Schuld an der Vergiftung? Nein. Hat das Unternehmen überreagiert? Ja. Hat es die Gesundheit der Bevölkerung sichergestellt und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens wiederhergestellt? Ja und ja.

Dr. Mike Ryan, Leiter des Programms für Krisenfälle im Gesundheitsbereich der WHO, formulierte es treffend – eine Lektion, die auf alle Notfälle zutrifft: „Wenn Sie recht haben müssen, bevor Sie einen Zug machen, werden Sie nie gewinnen. Die Perfektion ist in puncto Notfallmanagement der Feind des Guten. Geschwindigkeit übertrumpft Perfektion. Wir haben das gesellschaftliche Problem, dass alle Angst davor haben, einen Fehler zu begehen.“

Für Unternehmen in einer schwachen Position dürfte das Überleben von radikalen Kosteneinsparungen abhängen. Wir stellen fest, dass selbst mit der Entdeckung eines Impfstoffs die Rückkehr zur „Normalität“ langsam und unvorhersehbar werden dürfte. Fast jeder ist von Umsatzdefiziten betroffen. Und Unternehmen, die keine Eigenkapitalspritzen bekommen, günstige Fremdfinanzierungen erhalten oder staatliche Großzügigkeit erfahren, müssen den Gürtel so eng schnallen wie noch nie. Im Einzelhandel gilt ein alter Spruch: Die erste Preissenkung ist deine beste. Es ist besser, etwas zu 80 Prozent des veranschlagten Preises zu verkaufen, als einen weiteren Monat zu warten und es zu 60 Prozent verschleudern zu müssen. Abzuwarten verschlimmert nur das Problem.

Sehen Sie sich die Kosten an, als Unternehmen und als Team. Und dann machen Sie sich daran, so viele Kosten wie möglich zu streichen, und zwar schnell. Wenn Sie einen Vermieter haben, rufen Sie ihn an und sagen Sie ihm, dass Sie die Zahlungen aussetzen müssen. Kürzen Sie die Vergütungen, zuerst Ihre eigene, dann die Ihrer Spitzenverdiener – sie können es sich leisten, und dieser Schritt vermittelt eine Botschaft. Suchen Sie nach alternativen Entschädigungsmechanismen – Aktien, Entgeltumwandlung, Urlaub – alles, was kein Bargeld erforderlich macht. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Abfindungen. Jobs kann man nicht schützen, Menschen aber sehr wohl. Beim Abbau von Arbeitsplätzen muss man relativ darwinistisch und hart vorgehen, dann jedoch alles dafür tun, um eine gute Abfindung zu ermöglichen.

Machen Sie klar Schiff. Es ist Zeit, dem halbpensionierten Gründer das Eckbüro wegzunehmen, das vierte und fünfte Zeitschriftenabonnement für die Lobby zu stornieren und die Richtlinien für Reisen und Essenszuschüsse zu verschärfen. Im Juni 2020 ging Microsoft diesbezüglich aufs Ganze und nahm eine Belastung von 450 Millionen US-Dollar in Kauf, um aus dem stationären Einzelhandel, einer Altlast der Ballmer-Ära, auszusteigen.

IN DIE OFFENSIVE GEHEN

Abgesehen von Kostensenkungen – wo lässt sich noch mehr mit nicht abzustoßenden Vermögenswerten machen? Ich habe im Sommer 2020 sehr viel mit Führungskräften in der Hochschulbildung telefoniert, die aufgrund der Pandemie enorm unter Druck stehen, aber wegen Festanstellungen, starken Gewerkschaften und Einrichtungen kaum flexibel Kostensenkungsmaßnahmen ergreifen können. Daher versuchen sie, die Kosten pro Studierendem zu senken, indem sie mehr Studenten und Studentinnen erreichen. Eine geringe Investition in die Technologie erlaubt es, die Kursstärke ohne die entsprechenden baulichen Einrichtungen zu erweitern.

Zehn Jahre lang lehrte ich im Herbstsemester vor einem vollen Hörsaal von 160 Personen „Brand Strategy“ an der NYU Stern School of Business. Der Kurs ist beliebt und würde von mehr Studenten belegt werden, aber ein größerer Saal steht uns nicht zur Verfügung. Seit dem Jahr 2020 aber wird Stern auch virtuell angeboten, sodass es keine Begrenzung mehr gibt. Im Herbstsemester 2020 werde ich also 280 Studentinnen und Studenten in meinem virtuellen Hörsaal begrüßen. Das impliziert, dass wir einige zusätzliche Gebühren für Zoom aufbringen und ein paar weitere Technische Assistenten einstellen müssen, aber mein Gehalt verändert sich nicht und es bedarf auch keiner weiteren Immobilien in Manhattan.

Unternehmen, die glücklicherweise über eine starke Grundlage verfügen, sollten ihre pandemischen Muskeln spielen lassen. Das Interesse von Microsoft an einem Erwerb von TikTok ist dabei nur der Anfang des wohl seit einem Jahrzehnt robustesten Umfelds für Fusionen und Übernahmen. Big Tech und Innovatoren spielen mit einer fair bewerteten/inflationären Währung, das heißt, fast jede