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Prekäre Zeiten sind selten gute Zeiten, da sie unsicher und existentiell kritisch sind. Aber oft werden prekäre Zeiten auch zu bewegten und produktiven Lebensabschnitten, in denen sich das Prekäre eine Sprache sucht und in die Welt geflüstert oder gebrüllt zu werden wünscht. Dieser Gedichtband entstammt einer eben solchen Lebensphase, die unsicher war und dem Autor zu schaffen und ihn schaffend machte, um seinen Emotionen und Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Es wird gestürmt und gedrängt, leidend und liebend gedichtet, ohne Umschweife beschrieben und real und ironisch gebrochen, humoristisch gereimt sowie in kleinen Alltagsepisoden lyrisch vom prekären Leben am Bodensatz der neoliberalen Gesellschaft erzählt. Dabei sind facettenreiche Aufzeichnungen zu lesen, deren Erfahrungsspanne von Ausbeutung und Erniedrigung, über Liebe, Melancholie bis hin zu Verbitterung und der Zuversicht auf ein besseres Leben reichen.
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Seitenzahl: 79
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Ineke S., Karl F. und alle denen, die in prekären Verhältnissen leben und jenen, die in den Gedichten angedeutet werden und mit denen ich ein Stück des Lebensweges durch unsichere Zeiten ging.
„Sagte der Abgrund zu Hamlet: (…) Verlass` mich für immer und verbringe den Rest deiner Tage damit entschlossen und hart zuzupacken. Warum deine Wut tief in dir ruhen lassen (…)? Lass` deine Handlungen deine Geschichte erzählen. Das Physische ist die Manifestation deines Geistes. Lass` deinen Geist vor Wut strotzen. Lass` deine Stärke außergewöhnlich und kontrolliert sein. Der Durchschnitt ist die Begrenzung. (…) Los!“
Rollins, Henry: Solipsist, S. 22.
„Der Künstler wählt einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit, aber dieser Selektionsprozeß ist gleichzeitig ein Prozeß der Objektivierung. Sobald wir uns seine Perspektive zu eigen gemacht haben, sind wir genötigt, die Welt mit seinen Augen zu betrachten. Es scheint, als hätten wir die Welt nie zuvor in diesem besonderen Licht wahrgenommen.“
Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen, S. 225.
„Diese Arbeiter, die sich stückweise verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.“
Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 532.
„Im Übrigen arbeiten wir nicht mehr: wir jobben. Das Unternehmen ist kein Ort, in dem wir existieren, es ist ein Ort, den wir durchqueren. Wir sind nicht zynisch, wir haben nur Vorbehalte, uns missbrauchen zu lassen.“
Das unsichtbare Komitee: Der kommende Aufstand, S. 27.
„Die (sic!) Prekariat ist Teil einer neuartigen Herrschaftsform, die auf der Errichtung einer zum allgemeinen Dauerzustand gewordenen Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmer zur Unterwerfung, zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen.“
Bourdieu, Pierre: Gegenfeuer. S. 100.
„Leben, die sind, als ob sie nicht existiert hätten, Leben, die nur vom Zusammenstoß mit einer Macht überleben (…), Leben, die uns nur wiederkommen dank vielfältigen Zufällen – das sind die Infamen, von denen ich einige Reste hier versammeln wollte.“
Foucault, Michel: Das Leben der infamen Menschen. S. 22.
Vorwort
Begrüßung
Lächeln
Goethe
Zoo
Ziel
Ekel
Verkehrung
Rückspiegel
Denkmal
Käfig
Eldorado
Saturnalien
Fußvolk
Garten
Übermensch
Zuneigung
Bejahung
Wunde
Idealismus
Nachtmusik
Freiheit
Sisyphos
Horizont
Radio
Feierabend
Arbeiter
Idiot
Ahnung
Matratzenelegie
Verklärung
Freude
Identität
Umsichtigkeit
Kollegialität
Würde
Lehrer
Wettstreit
Farben
Romanze
Tragödie
Andacht
Wahrheit
Freitag
Option
Requiem
Bedürfnis
Erhebung
Einsamkeit
Märchen
Tyrann
Klima
Schachmatt
Gewohnheit
Beschaulichkeit
Weisheit
Frühschicht
Hälfte
Alkohol
Liebe
Exempel
Flexibilität
Lob
Wertschätzung
Fieber
Deutscher
Selbstachtung
Nordsee
Nachschub
Charakter
Wortlos
Pausenraumblues
Leistung
Beruhigungsmittel
Säulen
Geheimnis
Klimawandel
Tod
Druckmittel
Haltung
Urlaub
Überlebenskunst
Widerständchen
Aufstieg
Verbitterung
Sommer
Schwarz
Mut
Atem
Praxis
Kamerakultur
Alltag
Fremde
Teilhabe
Flair
Entwurzelung
Lachen
Ufer
Milchmädchen
Schönheit
Nichts
Diagnose
Büro
Schwebe
Konjunktiv
Abschied
Warten
Aufrichtigkeit
Zen
Ein Lyrikband benötigt in den meisten Fällen keine einleitenden Worte. Denn in der Regel stehen die einzelnen Gedichte für sich. Diese Unabhängigkeit des Gedichts ist im Folgenden zum Teil ebenfalls gegeben, dennoch werden einige Gedichte besser verständlich, wenn der Kontext, aus dem sie entstanden sind und der ihnen Sinn verleiht, erläutert wird. Und der Aspekt, der dem Gedichtband Kohärenz und Zusammenhang gibt, ist alltäglich und doch besonders: Es entstammt aus dem, was „man“ gemeinhin als „normales Leben“ bezeichnet und praktiziert. Im Zuge dieser „Normalitätskollision“ erhält es den heiter-melancholischen Grundton in weiten Teilen aus der Erfahrung mit dem verhassten Heiligtum der west- und restlichen Welt: der (Erwerbs-)Arbeit. Denn was kann Arbeit im Sinne eines Berufes nicht alles sein: „Rückgrat des Lebens“ (Nietzsche), Indikator für die soziale Stellung, Indiz für persönliche Eigenschaften wie Intelligenz, Durchsetzungsfähigkeit, Interessen usw., Möglichkeit der Selbstverwirklichung und des kreativen Ausdrucks, Lebenssinn, Zeit für Sozialkontakte, Tagesstrukturierung und - nicht zu vergessen - die Kernfunktion zur Produkterzeugung und der Sicherung des Lebensunterhalts. Und zugleich kann Arbeit in Form eines „Jobs“ Plage und Mühe sein, bezahlte Zeitverschwendung, ungeliebtes Mittel zum bloßen Zweck, notwendiges Übel, Grund für soziale Abwertung bei wenig anerkannter Arbeit, sie kann in Form von Burn-Out, Depression, Rückenleiden usw. psychisch und/oder physisch krank machen und existentiell niederdrücken. Kurzum: Arbeit kann je nach Stellung, Bedingung, Perspektive und Erfahrung Himmel und Hölle sein. Dieser Gedichtband handelt vornehmlich von Zweitem.
Konkret handelt der Gedichtband von einem Lebensabschnitt, in dem ich mich als Lagerarbeiter im Schichtdienst in einem Logistikunternehmen verdingte.1 Es liefert eine Art lyrischen Gefühls- und Milieubericht der unteren Gesellschaftsschicht, die als sogenanntes „Prekariat“ im Kapitalismus die Schwächsten in der Wertschöpfungskette und den Schwankungen des Marktes am heftigsten ausgesetzt sind, da sie oft eine geringe Qualifizierung und/oder Bildung haben und damit ihre Möglichkeit auf Aufstieg im Keim erstickt wird bzw. sie vom sozialen Abstieg bedroht sind.
In diesem Zusammenhang schildert das Gedichtband den Mikrobereich der Erfahrung mit der liberalen Marktwirtschaft, Leiharbeit, Unlust, Arbeitslosigkeit, Macht, Müdigkeit, Freude, Konkurrenz, Ressentiment, Monotonie, Verachtung und Erniedrigungen, erlebtem Nazismus, Alkohol- und Sehnsucht, Sinnfragen, Liebe und das Ringen um Gelassenheit, was in Konservatismus mündet. Kurzum: Es wird der ganz normale Wahnsinn dieser Zeit verdichtet.
Während meiner Studienzeit hatte ich, um mir mein Leben und mein Studium zu finanzieren, über fünf Jahre eine Anstellung in einer global agierenden Spedition, welche aufgrund des so genannten „Outsourcings“ die Dienstleistungen von Lagerung, Kommissionierung, Umpack- und Auslieferung der Produktionsfirmen übernahmen. Da ich in den Semesterferien, aber auch die Woche hindurch und am Wochenende fast mehr Zeit in der Spedition als an der Universität verbracht habe, identifizierte ich mich vorübergehend mit dieser Art des Lebens und fühlte mich mehr in der Rolle des Arbeiters - genauer: des Dienstleisters-, „heimisch“ als in der des Studenten.2
Meine Aufgabe während dieser Zeit war die des Kommissionierers von Gebäck- und Tabakwaren. Aufgrund meiner offenen Art, meiner schnellen Aufnahme- und Lernfähigkeit, sowie der inoffiziellen Sonderstellung als „der Student“ wurde ich zudem in diversen Abteilungen eingesetzt, wodurch ich mit vielen Menschen sowie deren Schicksalen und verschiedenen Arbeitsbereichen letztendlich bereichernde und prägende Erfahrungen machen konnte.3
In dieser Zeit lebte ich eine janusgesichtige Existenz und führte ein Leben mit zwei Anteilen in der Seele - einem öffentlichen und einem privatlyrischen Ich. Dieses war das des pflichterfüllenden, mehr oder weniger guten Dienstleisters, der seine Arbeit machte, weil er vom monatlichen Gehalt zur Existenzsicherung abhängig war und ist. Jenes dagegen war das Alter Ego und das eigentliche, integre Ich, das wie ein wachsamer Spion in der Betriebsamkeit des Alltäglichen umherschaut und die bedeutenden, bewahrenswerten Erlebnisse und Gedanken in den Pausen oder nach Feierabend aufschrieb.
Was im Kommenden zu erwarten ist, kann nach dem hier Gesagten als „Arbeiterlyrik“, „Profan“- und/oder „Prekariatspoesie“ „ordinary life poetry“ oder ähnliches bezeichnet und eingeordnet werden.
Auch wenn der Titel des Gedichtbandes es nicht erwarten lässt, so findet sich auch „schöngeistige“ Liebeslyrik unter den Aufzeichnungen, da die Liebe eine nicht unbedeutende Rolle in dieser prekären Zeit spielte. Wer zudem bild-, assoziationsreiche und verspielte Poesie in geschwungenem und erhebendem Ton mag, der wird vereinzelt auch fündig werden. Dennoch: Die Sprache derer, die sich noch die Hände schmutzig machen, nach getaner Arbeit mit Schwielen und Rückenschmerzen nach Hause gehen, ist nicht selten fäkalaffin, vulgär, direkt und brutal ehrlich. Und ich habe mir die Hände schmutzig gemacht, Schwielen und Rückenschmerzen erarbeitet und ebenso ist der Habitus der Sprache: Zumeist frei heraus, unumschweifend, schonungslos und umgangssprachlich, eine Art lakonischer Lyrismus, der auch vor einem derben Ton nicht zurückschreckt. Die Ursprungsworte wurden nicht allzu lange abgewogen und gewählt, sondern auf Papierfetzen, Toilettenpapier4, Notizblätter usw. hingeschrieben gerade so wie sie heraus kamen, - vielleicht sogar aufgrund einer inneren Notwendigkeit zur Erleichterung spontan heraus mussten.5 Kurzum: Dem Gewöhnlichen wird so ein adäquater, authentischer und aufrichtiger Ausdruck verliehen, so passend wie es meines Erachtens und Beobachtens der Stimmung und Situation angemessen erschien. Das heißt: es wird nur beizeiten romantisiert, aber viel gestürmt und gedrängt, naturalistisch dargestellt, humoristisch gereimt und leicht und lyrisch in Form von „Szenengedichten“ berichtet.
Beizeiten mag darum die Metaphern- und Wortwahl zugegebenermaßen etwas unterhalb der Gürtellinie des guten Geschmacks situiert sein. Aber erstens liegen die Wortwahl und der Ton der Musik gleichsam in der „Natur der Sache“, um ihr gerecht zu werden. Und zweitens: was heißt schon „guter Geschmack“? Wer würde sich heute in der so genannten Post- und/oder Spätmoderne noch anmaßen einen von Peinlichkeit bedrohten Versuch zu unternehmen den guten Geschmack allgemeingültig zu begründen und kanonische Kriterien in Bezug auf die Beurteilung von Schön und Hässlich von der Kanzel der Kunsttheorie zu verkünden? Der ästhetische Geschmack ist nur eine Metapher für ein subjektives, beobachterabhängiges Unterscheidungsvermögen des Schönen vom Unschönen und das fast dogmatische Festhalten an Kulturbeständen, die man als „klassisch“ etikettiert, sowie die Propagierung eines „Kanons des Abendlandes“ sind wohl treffender als bildungsbürgerliche Distinktionstendenzen und ein pädagogisches Großprojekt, sprich eine Erziehungsideologie und -praxis, zu bezeichnen.
Damit aber genug der einleitenden Worte, bevor ich weiter in kunst- und kulturtheoretische Überlegungen abdrifte. Zurück zum Eigentlichen, zurück zu den Worten, die dem Schweiß, den Schmerzen und der Monotonie einen Sinn abrangen, indem sie ihm Ausdruck verliehen. Der Entstehungskontext der Gedichte dürfte hinreichend erläutert sein. Lassen wir sie nun für sich sprechen. Ich wünsche kleine Anregungen und gute Unterhaltung.
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